1 Grundlegende und aktuelle Diskussionen zur Lehrkräftebildung

Das deutsche Modell der Lehrkräftebildung, basierend auf einem universitären Staatsexamen oder einem Bachelor- und einem Masterabschluss mit einem nachfolgenden Vorbereitungsdienst, unterscheidet sich in dieser Struktur von dem vieler anderer Länder und basiert im Grundaufbau auf Modellen einer professionellen Entwicklung entlang verschiedener Kompetenzbereiche (nach Shulman 1987). Dieses Modell verknüpft eine bereits zu Studienbeginn explizit auf die Berufstätigkeit als Lehrkraft ausgerichtete Qualifizierung mit einer wissenschaftlichen Fundierung und Reflexion; das Lehramtsstudium ist aber dennoch – anders als etwa Medizin und Jura – vielfach mit weiteren Studiengängen in den entsprechenden Fachdisziplinen und z. T. auch in den Bildungswissenschaften kombiniert. Die eigentliche Berufsphase wird zwar als dritte Phase der Lehrkräftebildung bezeichnet, ist jedoch im Vergleich zu den ersten beiden Phasen, der wissenschaftsfundierten Grundbildung und der praxisbasierten Ausbildung, nicht weiter formal strukturiert und auch nicht mit systematischen Fort- und Weiterbildungskonzepten verbunden. Letztere bleiben vielmehr überwiegend dem individuellen oder auch schulischen Engagement und somit allein Projektinitiativen und der intrinsischen Motivation überlassen (z. B. Kuschel et al. 2020). Auf der Angebotsseite haben die Länder unterschiedliche Strukturen etabliert, die in einigen Fächern um weitere ergänzt werden (z. B. Deutsches Zentrum für Lehrkräftebildung Mathematik, DZLM, oder die durch die Gesellschaft Deutscher Chemiker unterstützten Fortbildungszentren für Chemielehrkräfte). Eine Fort- und Weiterbildungsstruktur, die mit weiterführenden beruflichen Aufstiegsoptionen systematisch verknüpft ist, ist in Deutschland ebenfalls nicht im System verankert. Auch die Berufseingangsphase wurde zwar mehrfach wissenschaftlich diskutiert und untersucht, wird jedoch nicht strukturell begleitet. Und selbst für die im Vergleich zu der skizzierten „dritten Phase“ gut strukturierten ersten Phase werden mit Blick auf die Klarheit der Ausrichtung und der (erreichten) Ziele sowie auf die Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungen auch weiterhin eine Reihe zentraler Fragen zu Gestaltungskriterien und Wirkungen sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis der Lehrkräftebildung diskutiert.

Welche Zielsetzungen und Abstimmungsprozesse liegen somit heute der Grundkonzeption und den Phasen der Lehrkräftebildung zugrunde? Um hier eine bessere Vergleichbarkeit anzustreben, wurden ländergemeinsame Standards für die erste und zweite Phase festgelegtFootnote 1. Das Für und Wider einer solchen Orientierungsstruktur wird u. a. von Terhart (2007) erörtert; die Diskussion im Sinne einer vergleichbaren Qualitätsgrundlage haben sie zweifelsohne befördert. Fraglich ist mit Blick schon auf den Umfang jedoch, ob diesen eine curriculare Struktur umsetzbarerer Lernprogression(en) (Bernholt et al. 2018) zugrunde liegt oder sie eher eine Zusammenstellung normativ erwünschter Outcomes darstellen. Zudem zeigen Studien, dass die Standards bisher nur in Teilen in die Curricula der Hochschulen umgesetzt worden sind und damit ein Erreichen dieser fraglich bleibt (Hohenstein et al. 2014; Schiering et al. 2021). Eine systematische Planung einer weiterführenden Progression insbesondere in der eigentlichen Berufsphase ist kaum möglich, da – wie vorhergehend aufgezeigt – diese Phase im Gegensatz zu den ersten beiden kaum standardisiert oder verbindlich strukturiert ist. Gerade hier wird aber Wissen handlungswirksam und können Handlungen zu neuen Wissensbedarfen führen.

Obwohl auch für die fachlichen Studienanteile Standards vorliegen, sind diese kaum wissenschaftlich mit Blick auf eine systematische curriculare Ausrichtung fundiert. Dies ist besonders bedeutsam vor dem Hintergrund, dass die fachinhaltlichen Studienanteile einen erheblichen Teil der ersten Phase einnehmen und das Fachwissen nachweislich bedeutsam für die Unterrichtsqualität ist, wie nachfolgend ebenfalls dargelegt wird. Wirklich vertiefte Einblicke in die Theorie- und Methodengebäude der Bezugswissenschaften sind trotz dieser im Vergleich zu den Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften im Lehramt für weiterführende Schulen hohen Studienanteile in Deutschland aufgrund der Zwei-Fächer-Struktur des Lehramts dennoch kaum möglich. Dies ist in Ländern durchaus anders, in denen etwa für eine Tätigkeit in der Sekundarstufe II vielfach ein fachlicher Masterabschluss erwartet wird. Zudem wird in einigen Fächern wie beispielsweise der Mathematik kritisiert, dass auch schulrelevantes Fachwissen im Studium nur ansatzweise erarbeitet wird (z. B. Hoth et al. 2020; Dreher et al. 2018). Eine klare curriculare Entwicklungsperspektive liegt demnach auch in den fachwissenschaftlichen Studiengängen kaum explizit zugrunde, resultierend in der Forderung nach einer Verbesserung von Vernetzung und Kohärenz innerhalb jeder und über die Säulen und Phasen der Lehrkräfteprofessionalisierung hinweg (Kleickmann und Hardy 2019).

Konstant diskutiert werden zudem die Ausrichtung und Bedeutung von Praxisphasen in einem gleichermaßen professionsorientierten und wissenschaftsfundierten Studienmodell. Diese werden von Studierenden in ihrer Relevanz oft deutlich anders wahrgenommen als in der Forschung tatsächlich belegt ist (z. B. Hascher 2012; König und Rothland 2018; Ulrich und Gröschner 2020). Die Bezeichnung „Lehramtsausbildung“ mag diesbezüglich zu einer falschen oder unklaren Erwartungshaltung beitragen, die sich in der fortwährend intensiven Diskussion zu der Frage einer gelingenden Vernetzung der theoretischen Fundierung und Reflexion einer professionellen Lehrtätigkeit und der Ausübung dieser Tätigkeiten in den entsprechenden Praxisfeldern widerspiegelt.

Die größten Herausforderungen für ein Lehramtsstudium stellen aber womöglich gesellschaftliche Entwicklungen oder Veränderungen im Bildungssystem selbst dar, auf die Studienstrukturen nur langsam oder gar nicht ausreichend reagieren können, ohne an anderen Stellen Qualitätsverluste zu riskieren (Terhart 2020). (Wie) Lassen sich fundierte Grundlagen für Anforderungen der Diversität, der Inklusion, der Grundbildung für alle einerseits und der Talentförderung andererseits, der Digitalisierung, der Bildung für nachhaltige Entwicklung oder einer damit verbundenen Weiterentwicklung von Bildungsökosystemen als Zusammenarbeit schulischen und außerschulischen Lernens in Studiengänge und Vorbereitungsdienst ergänzend (auch noch) integrieren? Wie können schulische Fächerstrukturen und deren Veränderung besser mit Studienstrukturen der Lehrkräftebildung korrespondieren oder nachfolgende Fort- und Weiterbildungsphasen damit systematischer verbunden werden? Für die Integration zusätzlicher Anforderungen oder für einen systematischen Abgleich von schulischen Entwicklungen mit Strukturen der Lehrkräftebildung existieren derzeit keine etablierten Formate. Aktuelle Debatten stellen daher nicht nur aufgrund des akuten Lehrkräftemangels und der offenbar trotz guter Bezahlung schwindenden Attraktivität des Lehramtsberufs sehr grundlegend die Frage, ob die „Einbahnstraße“ des deutschen Lehramtsvorbereitungsmodells noch zeitgemäß ist.Footnote 2 Brauchen wir analog zu anderen Ländern auch bei uns mehrere echte und ebenso qualitätsgesicherte Einstiegsmöglichkeiten anstelle von Notlösungen eines aktuell bestehenden Quer- und Seiteneinstiegs? Brauchen wir mehr Diversität und Profile an Personen, Qualifizierungen und Aufgabenbereichen an Schulen anstelle eines „one size fits all“-Modells? Diese Fragen können wir hier nicht klären, sie werden wohl vielmehr die weitere Diskussion in Wissenschaft und Praxis der kommenden Jahre prägen.

Dieser Beitrag zeigt nachfolgend anhand exemplarischer Befunde zunächst für die eingangs genannten Debatten Forschungsbefunde und Modellentwicklungen für die Lehrkräftebildung auf und diskutiert dann weiterführend mögliche Szenarien einer besseren Kohärenz innerhalb bestehender Strukturen der Lehrkräftebildung sowie ergänzende Einstiegs- (und Ausstiegs-) bzw. Weiterqualifizierungsszenarien als potenzielle Zukunftschancen. Der Beitrag erhebt hierbei aber keinesfalls den Anspruch eines systematischen Reviews bzw. eines vollständigen Abrisses der letzten 50 Jahre der Lehrkräfteforschung. Vielmehr soll beispielhaft aufbauend auf Modellentwicklungen und exemplarischen, empirischen Befunden bzw. Strukturen in der Lehrkräftebildung gezeigt werden, wie Forschungsbefunde und systemische Entwicklungen interagieren und daraus weiterführende Handlungsperspektiven sowohl für die etablierten Strukturen als auch potenzielle neue Zugänge abgeleitet werden. Die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der bei uns verankerten Lehrkräftebildung wird sowohl empirisch gestützt als auch durch gesellschaftliche Bedarfe sichtbar. Die Forschung zu professionellen Entwicklungsformaten leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, den zahlreichen derzeitigen und auch zukünftigen Herausforderungen fundiert begegnen zu können. Dies wird nachfolgend an den genannten ausgewählten Handlungsfeldern näher erörtert.

2 Entwicklung und Förderung von Kompetenzen durch die Lehrkräftebildung und ihre Bedeutung für späteres berufliches Handeln

2.1 Modellentwicklungen und (exemplarische) empirische Befunde der Lehrkräftebildungsforschung

Obgleich die Frage, was eine gute Lehrkraft ausmacht, fortwährend die einschlägigen Disziplinen der Schulpädagogik, Didaktiken und Bildungswissenschaften prägte, hat die Forschung über Lehrkräfte, ihre berufsbezogenen Kompetenzen sowie deren Entwicklung und Förderung in den letzten Jahrzehnten einen immensen Aufschwung erfahren. Dies schlägt sich u. a. in einer steigenden Anzahl an Publikationen und thematischen Schwerpunktheften, Standards und Reformen in den verschiedenen Phasen der Lehrkräftebildung, programmatischen Forschungslinien, aber auch in einschlägigen Rahmenmodellen zur Beschreibung professionsbezogener Kenntnisse und Fähigkeiten von Lehrkräften sowie deren Entwicklung nieder (z. B. Baumert und Kunter 2006; Blömeke et al. 2015; Darling-Hammond 2006). Neben den verschiedenen Wissensfacetten des Professionswissens von Lehrkräften (i. d. R. basierend auf Shulman 1987) wird hierbei auch motivationalen, metakognitiven und selbstregulativen Aspekten sowie Überzeugungen und Werthaltungen eine bedeutsame Rolle zugesprochen, um Handeln in der Profession erfolgreich und andauernd zu ermöglichen (Baumert und Kunter 2006). Somit werden diese letztlich auch als zentrale Lernziele der ersten und zweiten Phase der Lehrkräftebildung betrachtet (Kultusministerkonferenz 2004, 2014).

Forschung zur Lehrkräftebildung in den letzten Jahrzehnten zeichnet sich einerseits durch spezifische standort- und programmbezogene Studien (z. B. im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung bzw. strukturellen Anpassungen des Lehramtsstudiums an Hochschulstandorten) aus, aber auch durch einige breit angelegte längsschnittliche Studien (z. B. COACTIV, TEDS‑M, PaLea, KiL/KeiLa), die zu bedeutsamen Erkenntnissen in der individuellen Kompetenzentwicklung sowie zu deren Zusammenhängen mit späteren beruflichen Erfolgsindikatoren geführt haben. In den Facetten der Überzeugungen und Werthaltungen zeigten sich beispielsweise Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (u. a. Schwarzer und Hallum 2008; Depaepe und König 2018), aber auch lehr-lernbezogene Überzeugungen (u. a. Voss et al. 2011; Staub und Stern 2002; Dubberke et al. 2008) positiv mit Maßen der Unterrichtsqualität assoziiert; diese beeinflussen darüber auch den Lernerfolg der Schüler*innen. Mit Blick auf die motivational-affektive Kompetenzfacette des Enthusiasmus lassen sich exemplarisch auch positive Effekte auf das Unterrichtshandeln und hierüber auf die Motivation sowie die Leistungen der Schüler*innen finden (u. a. Keller et al. 2016; Holzberger et al. 2016; Frenzel et al. 2009; Baier et al. 2018). Ein Zusammenhang des (Unterrichts)Enthusiasmus mit den Basisdimensionen konstruktive Unterstützung und Klassenführung wurde zudem für berufstätige Lehrkräfte gezeigt (Kunter et al. 2013), aber auch für die Stichprobe der angehenden Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst bestätigt (Holzberger et al. 2016).

Neben diesen Befunden zur Bedeutung nicht-kognitiver Kompetenzen für das spätere berufliche Handeln konnten in zahlreichen Untersuchungen auch positive Effekte des Professionswissens von Lehrkräften auf verschiedene Maße der Qualität des Unterrichts belegt werden, die wiederrum prädiktiv für Schüleroutcomes wie beispielsweise Leistungen, aber auch Interessen waren (z. B. Kunter et al. 2013; Keller et al. 2017; Fauth et al. 2019). Jedoch lassen sich auch empirische Untersuchungen finden, die einen solchen durchweg positiven Zusammenhang nicht identifizieren konnten (z. B. Cauet et al. 2015; Liepertz und Borowski 2019). Zur Erklärung dieser unterschiedlichen Befundlage könnten handlungsnähere Konstrukte beitragen, die gerade die Lücke zwischen dem Professionswissen und der später attestierten Unterrichtsqualität überbrücken. So formulieren Blömeke et al. (2015) in ihrem Kompetenzmodell, dass neben den Dispositionen wie dem Professionswissen und den Überzeugungen insbesondere situationsspezifische Fähigkeiten für die tatsächlich beobachtbare Performanz entscheidend sind (siehe auch Stahnke et al. 2016). Denkbar für solche situationsspezifischen Fähigkeiten wären zum Beispiel die professionelle Unterrichtswahrnehmung (z. B. Meschede et al. 2017; Seidel und Stürmer 2014) oder die Fähigkeit zur Planung von Unterricht (z. B. Riese et al. 2022). Erst wenn Lehrkräfte somit in der Lage sind, ihr Wissen in Planungssituationen zu kompilieren (z. B. Stender et al. 2017) und zusätzlich in der Handlungssituation zu nutzen (Gess-Newsome 2015), sollte sich ein substantieller Einfluss auf die Unterrichtsqualität zeigen lassen. Basierend darauf stellt sich die Frage, welchen Raum diese spezifischen unterrichtspraktischen Tätigkeiten wie die Planung von Unterrichtsstunden oder das Erkennen und Reagieren auf herausfordernde Situationen im Vergleich zur fachdidaktischen und pädagogischen Theorie im Laufe des Lehramtsstudiums einnehmen sollten.

Dem Fokus auf eine Kompetenzorientierung in der Lehrkräftebildung liegt die Annahme zugrunde, dass Fähigkeiten und Fertigkeiten einer erfolgreichen Lehrkraft grundsätzlich erlernbar sind (im Gegensatz zur Eignungshypothese). Neben den o. g. berufsspezifischen Kompetenzen stehen jedoch auch berufsunspezifische Merkmale, wie sie beispielsweise auf der Ebene der Eingangsvoraussetzungen bzw. der Nutzungsseite in den Angebots-Nutzungs-Modellen eingebunden sind, im Forschungsfokus. Erste Befunde aus längsschnittlichen Studien (bis in die Berufstätigkeit) deuten darauf hin, dass den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten zwar positive Effekte für einen erfolgreichen Studienabschluss, jedoch keine besondere Rolle für späteres erfolgreiches Unterrichten einzuräumen ist (Bardach und Klassen 2020; Roloff et al. 2020). Bedeutung gewinnen professionsunspezifische Merkmale aber auch mit Blick auf die Frage wer sich (nicht) und warum für ein Lehramtsstudium entscheidet, beispielsweise in aktuellen Debatten um die Gewinnung von Lehrkräften aber auch den Verbleib im Beruf (siehe auch Kap. 4).

Übergreifend lässt sich, wie in vielen anderen bildungswissenschaftlichen Themenfeldern, auch für die Modelle in der Lehrkräftebildung festhalten, dass der Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung dieser auf Basis empirischer Befunde zukünftig (mehr) Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Erste Debatten, beispielsweise mit Blick auf die Frage der Reziprozität in den Kompetenzmodellen (z. B. Vieluf 2022) bzw. dem Fokus auf zwischengeschaltete, situative Prozesse (z. B. Blömeke et al. 2022) werden aktuell geführt, sie sollten sich jedoch auch in den theoretischen Modellen bzw. Forschungssynthesen niederschlagen, um praktische Bedeutsamkeit jenseits von wissenschaftlichen Debatten zu erlangen.

2.2 Debatten und Lücken (in) der Lehrkräftebildungsforschung

Vor dem Hintergrund der Rolle von Eingangsvoraussetzungen beim Erlernen bzw. Erweitern von Kompetenzen sowie der grundsätzlichen Annahme einer Interaktion zwischen personen- und umweltbezogenen Aspekten in der Entwicklung dieser (Klassen und Kim 2017; Rimm-Kaufman und Hamre 2010), wird die Beachtung intra-individueller Unterschiede zwischen (angehenden) Lehrkräften bzw. die differentielle Nutzung von Lerngelegenheiten bedeutsam. In aktuellen Untersuchungen wird beispielsweise wiederkehrend die Frage aufgeworfen, ob sich Schwächen in der einen oder anderen Kompetenzfacette bzw. individuellen Eingangsvorrausetzungen durch Stärken in anderen Bereichen ausgleichen lassen (Kompensationsannahme; u. a. Holzberger et al. 2021; Blömeke et al. 2020). Diese Perspektive des Zusammenspiels zwischen individuellen Merkmalen von (angehenden) Lehrkräften, dem Lehr- bzw. Fort- und Weiterbildungsangebot sowie dessen Nutzung (Aptitude-Treatment-Effekte), sollte sich auch mit Blick auf die zunehmende Ausweitung möglicher Karrierewege über Quer- und Seiteneinstiege etc. (s. unten) in zukünftiger Forschung in größerem Maße angenommen werden. Zudem deuten aktuelle Studien auf bedeutsame intra-individuelle Unterschiede bzw. Kontextabhängigkeiten der professionellen Kompetenzen hin, etwa wenn sich die Ausprägungen der Unterrichtsqualitätsmaße einer Lehrkraft zwischen verschiedenen Klassen unterscheiden (Voss et al. 2022).

Besondere Beachtung könnte zudem die Wahl der (bisher meist sehr eingegrenzten) Erfolgsindikatoren erfahren, insbesondere mit Blick auf die verschiedenen Phasen der Lehrkräftebildung. Eine einseitige Ausrichtung auf einen unterrichts- oder schülerbezogenen Erfolgsindikator erscheint zunehmend unzureichend bei der Beschreibung anhaltend „professioneller“ Lehrkräfte. In aktuellen Studien werden daher vielfach Ansätze eingefordert, in denen mehrere Erfolgsindikatoren gleichzeitig („conjoint perspective“) sowie zusätzlich lehrkräftebezogene Outcomes (z. B. Verbleib im Beruf, Beanspruchungserleben, Kooperation und Kollaboration, Bereitschaft/Engagement zur Schulentwicklung) berücksichtigt werden (Holzberger et al. 2021; Blömeke et al. 2020). Ein umfassenderes Bild der individuellen Kompetenzentwicklung könnten somit Studien bieten, in denen mehrere Kompetenzfacetten (zeitgleich) mit einbezogen werden und die auch die Zeitspanne der Berufsausübung vom Einstieg über eine etablierte Tätigkeit bis hin zum Ausscheiden aus dem Lehrberuf in den Blick nehmen. Die Frage nach wirklich (im Sinne der Stärke eines Effektes) und nachhaltig (sowohl direkt als auch indirekt) bedeutsamen Kompetenzen für späteres berufliches Handeln stellt hierbei sowohl eine wissenschaftliche Rahmung als auch praktische Implikationen für strukturelle Reformen dar.

An die Notwendigkeit einer Klärung von Erfolgsfaktoren für professionalisierte Lehrkräfte schließt sich auch die Frage nach erfolgreichen Lernangeboten und curricular intendierten Entwicklungsverläufen an. Die Forschung zum Kompetenzaufbau bei Lehramtsstudierenden bzw. Lehramtsanwärter*innen greift für die Beschreibung der Entwicklung professioneller Kompetenzen in der Lehrkräftebildung zumeist auf Angebots-Nutzungsmodelle zurück (Helmke 2015; Kunter et al. 2011; Möller et al. 2023). Die Entwicklung professioneller Kompetenzen wird dabei nicht als direkter Effekt angenommen, sondern muss durch ein qualitativ hochwertiges Angebot ermöglicht und durch die Nutzung dieser Lerngelegenheiten seitens der Studierenden mit ihren individuellen Lernvoraussetzungen gewährleistet werden. Hierbei wird deutlich, dass den strukturellen Bedingungen sowie den spezifischen Lerngelegenheiten in der Lehrkräftebildung eine bedeutsame Rolle zukommt, was sich jedoch in der einschlägigen Forschungslandschaft bisher nur vereinzelt niederschlägt (s. unten zur Kohärenz). Mit Blick auf Studienstrukturen und -modelle weisen einschlägige Untersuchungen bundesweit zudem auf eine hohe strukturell-formale Diversität auf verschiedenen Ebenen (Staatsexamen vs. BA/MA, Praxisanteile, Polyvalenz des Studiums etc.; z. B. Bauer und Prenzel 2012; Bauer et al. 2012; Gröschner et al. 2015) und vielfältige Gestaltungs- und Schwerpunktsetzungen der eigentlich ländergemeinsamen, verbindlichen KMK-Standards hin (Hohenstein et al. 2014; Schiering et al. 2021; Terhart et al. 2010). Detaillierte Befunde zu Effekten von Studienstrukturen bzw. von spezifischen Lernangeboten auf die Entwicklung berufsbezogener Kompetenzen stehen daher, abseits von „groben“ Kategorisierungen wie Vergleichen zwischen BA/MA vs. Staatsexamen oder Praxissemester vs. Orientierungspraktikum, weitgehend aus.

Anknüpfend daran kann auch weiterhin eine deutliche Forschungslücke hinsichtlich der phasenübergreifenden Kompetenzentwicklung ausgemacht werden. Während sich die o. g. Längsschnittstudien meist auf die erste und zweite Phase bzw. teilweise auf den Berufseinstieg fokussieren, gibt es bisher vergleichsweise wenig Befunde über die Weiterentwicklung, Differenzierung, Ausweitung oder auch Aufrechterhaltung professioneller Kompetenzen in der dritten Phase. Ansatzpunkte bieten hierbei erste längsschnittliche Studien (z. B. Wege im Beruf, Bleck et al. 2019; COACTIV-expeRtFootnote 3; PaLea III; Möller et al. 2023), die den Kompetenzerwerb bis in den Beruf verfolgen und mit denen zukünftig der Blick auch in die dritte Phase ausgeweitet werden kann. Deutlicher Bedarf besteht auch dahingehend, Studien zur dritten Phase weiter auszudifferenzieren (z. B. mit Blick auf unterschiedliche Berufsphasen wie Einstieg, Ausstieg etc., vgl. Blonder und Vescio 2022), um das Zusammenspiel von individuellen Merkmalen, der Nutzung von Lerngelegenheiten (z. B. Fort- und Weiterbildungen, Schulentwicklungsprozesse, Kooperation und Kollaboration) und professionellem Handeln beschreiben zu können. Letztlich deutet sich zunehmend an, dass ein detaillierter Blick auf die Berufsausübung von Lehrkräften und deren Vernetzung mit der ersten und zweiten Phase der Lehrkräftebildung lohnenswert erscheint, um die strukturellen (z. B. Lehrkräftemangel, Seiten- und Quereinstiege), inhaltlich-didaktischen (z. B. Digitalisierung in und von Unterricht) sowie pädagogischen Herausforderungen (z. B. Inklusion und Heterogenität, Kooperationen in professionellen Teams, Ganztagsschulen) zukünftig bewältigen zu können.

3 Vernetzung und Kohärenzbildung in der Lehrkräftebildung

Lehrkräftebildung in Deutschland findet in seiner jetzigen Form in einem komplexen Gebilde unter Einbezug unterschiedlicher Stakeholder statt. So sind für angehende Lehrkräfte beispielsweise nicht nur unterschiedliche Fachwissenschaftler*innen und Fachdidaktiker*innen von zwei bis drei Fächern beteiligt, sondern darüber hinaus Erziehungswissenschaftler*innen, (pädagogische) Psycholog*innen, Schulleitungen, mentorierende Lehrkräfte, Kommunikationswissenschaftler*innen und in letzter Zeit verstärkt Vertretungen aus Medienpädagogik und Informatik involviert. Obgleich diese Liste nicht einmal erschöpfend ist, verdeutlicht sie doch umfänglich, welche Integrations- und Vernetzungsleistungen angehende Lehrkräfte im Laufe eines Lehramtsstudiums erbringen müssen. Herausforderungen zur Vernetzung in der Lehrkräftebildung waren zuletzt auch in der Unterrichtswissenschaft ein Thema. So stellten Kleickmann und Hardy (2019) ein Themenheft zu eben diesem Thema vor, in dessen Rahmen vier Interventionsstudien zur Vernetzung im Lehramtsstudium diskutiert wurden, was bereits die Bedeutung dieses Themengebiets unterstreicht.

Versucht man die Interventionsstudien des Themenhefts zusammenzufassen, so sind für eine vernetzte Lehrkräftebildung eine Orientierung an der schulischen Tätigkeit zur Relevanzsteigerung (Lorentzen et al. 2019), die Nutzung von Synergieeffekten unterschiedlicher Lerngelegenheiten (Paetsch et al. 2019; Tröbst et al. 2019) sowie kohärenzbildende Lernstrategien in der Form von Lerntagebüchern (Graichen et al. 2019) bedeutsam. Insbesondere die von Graichen et al. (2019) genutzte Perspektive der Kohärenzbildung ist dabei eng mit der Idee von Vernetzung verknüpft (siehe Hellmann et al. 2021). Während sich das ebenfalls in der Unterrichtswissenschaft publizierte Themenheft zur Kohärenz (Neumann 2020) zwar vorwiegend mit der Bedeutung instruktionaler Kohärenz für die Unterrichtsgestaltung beschäftigte, nimmt der Kohärenzbegriff im nationalen wie internationalen Diskurs zur Lehrkräftebildung eine große Rolle ein (z. B. Hellmann et al. 2019; Richmond et al. 2019).

Im Rahmen der Diskussion um Kohärenz in der Lehrkräftebildung unterscheidet Hammerness (2006) zunächst zwischen struktureller und konzeptueller Kohärenz. Konzeptuelle Kohärenz wird dabei als eine Fokussierung auf grundlegende Ideen für die Gestaltung von Programmen der Lehrkräftebildung verstanden (Hammerness 2006). Strukturelle Kohärenz beschreibt wiederum die Abstimmung zwischen und den konsekutiven Aufbau von unterschiedlichen Lerngelegenheiten sowohl innerhalb des universitären Kontexts als auch im Wechselspiel mit den schulischen Akteur*innen (Hammerness 2006). Die Relationierung unterschiedlicher Lerngelegenheiten im Laufe der Zeit und zwischen unterschiedlichen Fachbereichen und Akteur*innen wird dabei bei Hellmann (2019) im Sinne einer vertikalen und horizontalen Vernetzung sowie bei Cramer (2020) auf Mikro‑, Meso- und Makroebene betont.

Zur Konkretisierung der Charakteristika kohärenter Lehrkräftebildung schlagen Nordine et al. (2021) das sogenannte Science Teacher Education Programmatic Model Coherence (STEP-C) (siehe Abb. 1) vor. Im STEP‑C Modell werden basierend auf theoretischen Überlegungen und praktischen Erfahrungen konkrete Programmelemente des Lehramtsstudiums identifiziert, die zu einer kohärenten Lehrkräftebildung führen sollen. Dabei stehen zunächst im Sinne konzeptueller Kohärenz (Hammerness 2006) zentrale Ideen über Unterricht im Zentrum des Modells, die die Lehramtsstudierenden bei der Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht leiten und die gleichsam im universitären und schulischen Kontext adressiert werden sollen. Als zentrale Ideen über Unterricht könnten hierbei die Qualitätsdimensionen guten Unterrichts dienen, die in verschiedenen Standardsituationen thematisiert werden (Seidel et al. 2021). In ähnlicher Weise werden auch in den USA sogenannte core practices des Unterrichtens als zentrales Element der Lehrkräftebildung diskutiert (z. B. Grossman et al. 2009). Die Fokussierung auf core practices hat dabei zum Ziel, eine stärker praxisorientierte Lehrkräftebildung zu ermöglichen, die gleichsam auf eine wissenschaftliche Erschließung als auch auf einer praktischen Erprobung zentraler Handlungssituationen von Lehrkräften fußt (Forzani 2014; Fraefel 2019). Durch die Berücksichtigung von theoretischen Überlegungen und schulpraktischen Handlungsfeldern wird durch einen core practice Ansatz somit ebenfalls eine Vernetzung dieser Lernkontexte und damit die Kohärenz des Lehramtsstudiums gestützt (Voss et al. 2019). Offen ist dabei jedoch zunächst, inwiefern diese core practices von Lehrkräften fachspezifisch ausgestaltet sein sollten (z. B. Windschitl et al. 2012) und damit eine Vernetzung über unterschiedliche Fachbereiche hinweg erlauben. Denkbar wäre, dass core practices auf unterschiedlichen Auflösungsgraden definiert werden (Neumann 2013) und zugleich Anlass für produktive Diskussionen zwischen Dozierenden in der Lehrkräftebildung liefern können (Grossman und Pupik Dean 2019). Dabei scheint es, dass bereits der Austausch über diese grundlegenden Ideen zur Gestaltung des Lehramtsstudiums kohärenzfördernd sein kann und damit die Etablierung von Kohärenz eher als Prozess denn als Produkt verstanden werden sollte (Richmond et al. 2019).

Abb. 1
figure 1

Das Science Teacher Education Programmatic Coherence Model entnommen aus Nordine et al. (2021)

Um die Adressierung dieser zentralen Ideen zu unterstützen, werden weiterhin im STEP‑C Modell zwei bedeutsame Übersetzungsmechanismen identifiziert: der Einsatz von Planungs- und Reflexionstools, die diese Ideen anwendbar für Unterricht machen und eine enge Kooperation und Abstimmung mit Mentor*innen an Schulen über die Ideen. Hierdurch soll es ermöglicht werden, dass Lehramtsstudierende zentrale fachdidaktische Ideen wiederholt in unterschiedlichen Anwendungssituationen kennenlernen und es dadurch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der Anwendung kommt (siehe auch Harr et al. 2014). Auch im core practice Ansatz finden sich solche Unterstützungstools wieder, die eine Implementation entsprechender Handlungen wie beispielsweise das Aufgreifen der Ideen von Lernenden unterstützen (Windschitl et al. 2012). Das STEP‑C Modell und der core practice Ansatz identifizieren somit konkrete Möglichkeiten, die Kohärenz im Lehramtsstudium zu erhöhen und angehende Lehrkräfte zu unterstützen (Fraefel 2019; Nordine et al. 2021). Die Rolle des Fachs findet jedoch in beiden Ansätzen bisher nur wenig Berücksichtigung.

Dabei scheint gerade das Fachwissen eine zentrale Rolle für die Entwicklung fachdidaktischer Expertise einzunehmen (z. B. Baumert et al. 2010; Riese und Reinhold 2012; Schiering et al. 2022). Basierend auf dieser fundamentalen Rolle des Fachwissens für die Entwicklung der angehenden Lehrkräfte wurden zuletzt vielfältige Projekte angestoßen, die eine enge Vernetzung von fachlichen und fachdidaktischen Lerngelegenheiten unterstützen sollen (z. B. Barzel et al. 2016; Borchert et al. 2021; Brouër et al. 2018; Glowinski et al. 2018). Zentrale Zielstellungen dieser Vernetzungsangebote sind unter anderem eine Erhöhung der Relevanz der fachlichen Studieninhalte zur Förderung des fachlichen Lernens (Lorentzen et al. 2019), eine stärkere Verknüpfung der Wissensfacetten zur Förderung der Anwendung dieser (z. B. Barzel et al. 2016) oder eine bessere Vorbereitung auf die spätere Erarbeitung unterschiedlicher Methoden der Erkenntnisgewinnung (Borchert et al. 2021).

Weniger im Fokus der Untersuchungen stand bisher jedoch die Vernetzung des Wissens über Fächergrenzen hinweg. So bietet das deutsche Lehrkräftebildungssystem mit i. d. R. zwei studierten Fächern auch hier das Potenzial zwischen unterschiedlichen Fächern Synergieeffekte zu nutzen. Erste Untersuchungen deuten dabei bereits an, dass zwischen artverwandten Fächern wie Biologie und Chemie (Welter et al. 2022), Mathematik und Physik (Neumann et al. 2021) oder Wirtschaft und Mathematik (Jeschke et al. 2019) durchaus Synergieeffekte im Erwerb des Fachwissens und fachdidaktischen Wissens zu erwarten sind. Befunde für Fächerkombinationen aus unterschiedlichen Fachbereichen existieren bisher nicht, wären jedoch hilfreich, um empirisch gestützte Empfehlungen zur Wahl von Fächerkombinationen auszusprechen.

Neben der bisher diskutierten Vernetzung der universitären Anteile und Partner*innen der Lehrkräftebildung spielt die explizite Einbindung der schulischen Praxis, wie einleitend erörtert, ebenso eine entscheidende Rolle in der Forschung zur Lehrkräftebildung. Dabei ist zum einen zentral, dass angehende Lehrpersonen Schule und Hochschule nicht als getrennte Welten wahrnehmen und in beiden unterschiedliche Ziele verfolgen (z. B. Hutner und Markman 2017). Zum anderen sollen Studierende dazu befähigt werden, ihr universitär erworbenes Wissen in entsprechenden unterrichtlichen Situationen auch anzuwenden. Um sie dabei zu unterstützen, Hochschule und Schule als sich ergänzende Lerngelegenheiten wahrzunehmen, sollte eine enge Kooperation mit den entsprechenden Mentor*innen angestrebt werden (Nordine et al. 2021). Braaten (2019) konnte hierbei zeigen, dass Erfahrungen in der Schulpraxis vor allem für solche Studierende produktiv waren, die eine kooperative Beziehung zu ihren Mentor*innen hatten, die sich insbesondere im gemeinsamen Planen, Unterrichten und Reflektieren von Unterricht ausgedrückt hat (siehe auch Thompson et al. 2015). Gleichsam zeigen auch König und Rothnagel (2018), dass die Entwicklung der professionellen Kompetenz angehender Lehrkräfte von der Qualität des Mentorings an der Schule abhängt (siehe auch König et al. 2014). Für die Zukunft wäre es hierfür wünschenswert noch stärker Möglichkeiten zur Unterstützung von und Kooperation mit Mentor*innen auch aus Forschendenperspektive in den Blick zu nehmen. In Ergänzung zu Kooperationen mit der Schule sind in den letzten Jahren verstärkt Videos in der Lehre eingesetzt wurden, die ebenfalls eine Brücke zur Unterrichtspraxis schlagen sollen (für einen Überblick siehe Junker et al. 2022). Dabei können Videos zum einen zur Illustration von bestimmten Unterrichtspraktiken oder zum anderen in der Analyse und Reflexion von Lehrverhalten eingesetzt werden (Blomberg et al. 2014). Insbesondere in der Unterstützung des Reflexionsprozesses haben sich Videos als lernförderlich erwiesen (Hamel und Viau-Guay 2019). Für den spezifischeren Einsatz zum Beispiel zur Unterstützung der klassenführungsbezogenen Unterrichtswahrnehmung (Junker und Holodynski 2022) oder der Förderung von unterrichtsbegleitendem Diagnostizieren (Hoppe et al. 2020) konnte aber zum Teil kein zusätzlicher Mehrwert des Mediums Video im Vergleich mit traditionelleren Methoden festgestellt werden. Damit Videos somit gewinnbringend für die Verzahnung von Theorie und Praxis eingesetzt werden können, müssen diese entsprechend den jeweiligen Lernzielen in spezifische instruktionale Settings eingebunden werden (Blomberg et al. 2014; Junker und Holodynski 2022; Kücholl und Lazarides 2021).

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Vernetzung unterschiedlichster Stakeholder und Perspektiven in der Lehrkräftebildung einen deutlichen Forschungsschwerpunkt in den letzten Jahren eingenommen hat (siehe z. B. Kleickmann und Hardy 2019). Dabei lassen sich Bestrebungen auf unterschiedlichen Ebenen charakterisieren, wobei insbesondere die Vernetzung zwischen Fach und Fachdidaktik sowie der Aufbau von Videoarchiven im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung viel Beachtung gewonnen hat. Zudem hat die Untersuchung der Vernetzung zwischen universitärem und schulischem Kontext gezeigt, welche entscheidende Rolle eine optimale Betreuung in beiden Lernkontexten für die angehenden Lehrkräfte spielt (z. B. König et al. 2014). Für die zukünftige Forschung wird entscheidend sein, spezifische und evidenzbasierte Maßnahmen zu präsentieren, wie die Zusammenarbeit zwischen Schule und Hochschule gestützt werden kann und wie innerhalb der Lehrkräftebildung zentrale fachdidaktische und pädagogische Ideen in handlungsrelevantes Wissen umgesetzt werden können (Stender et al. 2017). Zudem bleibt festzuhalten, dass die bisherige Forschung in der Vernetzungsdebatte einen starken kognitiven Fokus hatte und bisher wenige Kenntnisse darüber vorliegen, welchen Einfluss die unterschiedlichen Bezugsdisziplinen auf die Ausprägung beispielsweise der Identität haben (z. B. Feser und Haak 2022) und wie sich diese wiederum auf die Entwicklung im Lehramtsstudium und den Übergang in den Beruf auswirkt.

4 Lehrkräftebildung im Spannungsfeld von Qualitätsentwicklung und gesellschaftlichen Herausforderungen

Die vorhergehend skizzierten Forschungsbefunde und Ansätze beziehen sich auf die grundlegenden Strukturen der Lehrkräftebildung und darauf ausgerichtete berufliche Handlungsfelder. Schon die Realität der schulischen Strukturen weicht davon jedoch z. T. ab, etwa mit Blick auf die fachliche Ausrichtung von Studien- und Unterrichtsfächern (bspw. Biologie/Chemie/Physik vs. Naturwissenschaften oder andere Integrationsfächer). Hinzu kommen fachfremde oder schulartabweichende Unterrichtseinsätze. Noch akuter ist die Situation mit Blick auf den zunehmend steigenden Anteil von Lehrkräften an Schulen, die kein Lehramtsstudium absolviert haben und die damit auch nicht die in den Kapiteln zuvor skizzierten Lerngelegenheiten im Studium genutzt haben können (z. B. Richter et al. 2019). Die große Heterogenität in den Vorerfahrungen und Voraussetzungen dieser Gruppe nicht-traditionell ausgebildeter Lehrkräfte als auch die Vielfalt der unterschiedlichen Quer- und Seiteneinstiegs- bzw. Weiterbildungsregelungen machen eine vergleichende und evidenzbasierte Qualitätssicherung derzeit kaum möglich.

Bestehende Studien im deutschsprachigen Raum konzentrieren sich überwiegend auf die Phase des Vorbereitungsdienstes und fokussieren neben den professionellen Kompetenzen nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte (inklusive Überzeugungen, motivationale Orientierungen und selbstregulative Fähigkeiten) im Wesentlichen deren Eingangsvoraussetzungen wie beispielsweise die Berufswahlmotivation oder pädagogische Vorerfahrungen. Dabei zeigen sich Probleme fehlender universitärer Studienanteile etwa in einem vielfach notwendigen Zweitfach (Korneck et al. 2010), ansonsten ist die Befundlage aber keineswegs nur kritisch. So fanden Lucksnat et al. (2022b) eine große Berufszufriedenheit verbunden mit einer starken Intention, im Lehrberuf zu bleiben, die sich nicht von der grundständig ausgebildeter Lehrkräfte unterscheidet. Darüber hinaus konstatieren Lucksnat et al. (2022a) in einer Zusammenfassung bisheriger empirischer Studien, dass nicht traditionell ausgebildete Lehrkräfte eine hohe altruistische und intrinsische Berufswahlmotivation zeigen und zahlreiche pädagogische Vorerfahrungen aufweisen. Sie verfügen über ein geringeres pädagogisches und bildungswissenschaftliches, aber ein vergleichbares fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen. Im Bereich von Selbstwirksamkeitserwartungen und Enthusiasmus zeigen sich keine Unterschiede, während die Fähigkeit zur Selbstregulation bei nicht traditionell ausgebildeten Lehrkräften stärker ausgebildet ist (Lucksnat et al. 2022a, S. 14, 2022c). Auch eine weitere aktuelle Studie (Porsch 2021) kommt zu dem Schluss, „dass die bislang vorliegenden empirischen Befunde die Annahme der ungünstigeren Voraussetzungen für das Lehrer*innenhandeln weitgehend nicht stützen können“ (S. 207) und darüber hinaus, dass unter Berücksichtigung historischer, aber auch aktueller Entwicklungen, auf die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen in Deutschland grundsätzlich und überdauernd nicht verzichtet werden kann.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und der weiter wachsenden Bedarfe an Lehrkräften müssen somit Fragen der Gewinnung von Studierenden für die grundständigen Lehramtsstudiengänge ebenso diskutiert werden wie die nach ergänzenden Zugängen und Profilen. Lehrkräfte mit weiteren beruflichen oder kulturellen Hintergründen bieten gerade mit Blick auf die vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen ergänzende Perspektiven und damit potenzielle Chancen, sofern es gelingt, auch hier vergleichbare Qualitätsstandards zu entwickeln und Lerngelegenheiten entsprechend zu konzipieren und curricular zu verorten. Die bisherigen Befunde zur Frage, wer ein Lehramtsstudium aufnimmt bzw. letztlich den Beruf als Lehrkraft ausübt, deuten auf eine immer noch stark ausgeprägte Berufsvererbung und sehr homogene Herkunftsmerkmale hin (Bernholt et al. 2023; Kampa 2020; Rothland 2014). Inwieweit hier die gezielte Anwerbung Studierender mit unterschiedlichen Migrations-, aber auch sozioökonomischen Hintergrundmerkmalen eine Stellschraube bilden kann, um den Bedarf an Lehrkräften abzudecken, den vielfältigen schulischen Anforderungen gerecht zu werden und letztlich auch die Attraktivität des Lehramtsberufs zu erhöhen, muss weiterverfolgt und bestenfalls wissenschaftlich begleitet werden.

Universitär begleitete Ansätze für die Gewinnung von Lehrkräften mit anderen Studienabschlüssen oder beruflichen Erfahrungen bestehen sowohl national (z. B. das QUER-ProjektFootnote 4 oder der Q‑Master an verschiedenen Hochschulen in Berlin, s. unten) als auch im europäischen Ausland wie beispielsweise in der SchweizFootnote 5 oder in SchwedenFootnote 6 durchaus, allerdings sind sie wenig durch empirische Entwicklungs- oder Qualitätsstudien begleitet. Die existierenden Programme unterscheiden sich teilweise in ihren Zielgruppen und Zugangsvoraussetzungen, ihrem Format (Studium in Vollzeit oder berufsbegleitend) und Umfang, ihren Abschlüssen als auch ihren spezifischen Inhalten. Allen gemein ist jedoch ein Fokus auf Lerngelegenheiten und Kohärenz. Sie versuchen, genau für die Inhalte Lerngelegenheiten zur Verfügung zu stellen, die Personen ohne reguläres Lehramtsstudium fehlen. Dieses umfasst in allen Programmen pädagogische und fachdidaktische Inhalte sowie ein explizites Einbinden der schulischen Praxis; hinzu kommen zumeist fachwissenschaftliche Anteile für z. B. ein Zweitfach.

Wenngleich die verschiedenen Programme bisher wenig empirisch untersucht sind, so existieren auf nationaler Ebene doch erste Befunde aus den Berichten zum QUER-Programm in Sachsen (Melzer et al. 2014) und dem Q‑Master Grundschullehramt mit Fokus Sachunterricht an der HU BerlinFootnote 7 (Lucksnat et al. 2022a). In beiden Studien wurden Teilnehmende der Qualifizierungsmaßnahme mit regulären Masterstudierenden verglichen. Im QUER-Programm bescheinigten die Lehrenden den Teilnehmenden vergleichbare Studienleistungen bei einer tendenziell stärker ausgeprägten Leistungsbereitschaft sowie einem tendenziell höheren Interesse an den Inhalten der Lehrveranstaltungen. Die Teilnehmenden bewerteten die Studieninhalte überwiegend als anschlussfähig, berufsrelevant und interessant. Die Evaluation des Q‑Masters fokussierte explizit auf drei Bereiche: Eingangsvoraussetzungen, Entwicklung professioneller Kompetenz sowie Bewertung des Studiums und der Lerngelegenheiten, wie oben bereits erwähnt. Generell waren die Unterschiede zwischen beiden Gruppen, traditionellen Lehramtsstudierenden vs. Quereinsteiger*innen, eher gering ausgeprägt. Auch die Entwicklung des fachdidaktischen Wissens ist für beide Gruppen vergleichbar und beide vertreten am Ende des Studiums stärker einen Conceptual Change-Ansatz; lediglich die Überzeugungen zum Transmissionsansatz erweisen sich bei Q‑Master-Studierenden als stabiler als bei regulären Masterstudierenden. Schließlich zeigt sich auch in der Bewertung des Studiums und der Lerngelegenheiten ein größtenteils vergleichbares Bild. Beide Gruppen attestieren eine eher hohe Zufriedenheit, fühlen sich aber dennoch nur mäßig auf den Lehrberuf vorbereitet. Q‑Master-Studierende fühlen sich dabei signifikant sicherer im Bereich Kommunikation und Umgang mit Konflikten im Kollegium sowie im Umgang mit Unterrichtsstörungen. Erste Analysen zur Evaluation des Q‑Masters für das Lehramt an Gymnasien und Integrierten Sekundarschulen an der FU BerlinFootnote 8 führen in weiten Teilen zu vergleichbaren Befunden (Ghassemi und Nordmeier 2021).

Wenngleich diese Ergebnisse grundsätzlich positiv stimmen, können sie doch nur einen ersten Schritt in Richtung einer systematischen und vertieften Untersuchung alternativer Qualifizierungswege für Quer- und Seiteneinsteigende darstellen. So fehlen bislang beispielsweise Studien, die untersuchen, inwieweit derartige Programme ihre Absolvent*innen befähigen, das erworbene Wissen in entsprechenden unterrichtlichen Kontexten auch anzuwenden (vgl. Kap. 2 und 3). Auch steht eine Systematisierung bestehender Angebote (und perspektivisch zukünftiger Entwicklungen, wie sie in anderen Ländern etwa mit regulären Einstiegen nach Fachstudiengängen bestehen), noch aus. Eine solche Systematisierung wäre aber Grundlage für vergleichende empirische Untersuchungen zu Lernangeboten, Lernverläufen und Ergebnissen sowie zur Weiterentwicklung der erworbenen Kompetenzen über die Berufsbiographie. Dabei sollte, wie in den Kap. 2 und 3 dargelegt, nicht nur die Qualität und Kohärenz der Lernangebote adressiert werden, sondern ebenso das Zusammenspiel mit deren Nutzung und individuellen Merkmalen der Lernenden – ein Punkt, der auf Grund der heterogenen Voraussetzungen der Quer- und Seiteneinsteigenden vermehrt in den Fokus zukünftiger Forschung genommen werden sollte.

5 Fazit

Die Lehrkräftebildung hat in den letzten Jahren sowohl auf politischer als auch auf Seite der Forschenden viel Aufmerksamkeit erfahren. Diese Aufmerksamkeit hat dazu geführt, dass zum einen umfassende Programmlinien wie die Qualitätsoffensive Lehrerbildung aufgesetzt wurden und zum anderen vielfältige empirische Forschungsergebnisse vorliegen. So existiert inzwischen weitgehender Konsens darin, dass angehende Lehrkräfte spezifische Kompetenzen benötigen (Baumert und Kunter 2006), um qualitätsvollen Unterricht zu gestalten und diese Kompetenzen im Laufe des Lehramtsstudiums erworben werden (können) (z. B. Kleickmann et al. 2013). Dabei scheint auch Einigkeit darüber zu herrschen, dass zum Erwerb der professionellen Kompetenzen ein Wechselspiel aus theoretischen und praktischen Erfahrungen notwendig ist. Trotz dieser vielfältigen Bemühungen um Forschungserkenntnisse sind die konkreten Hinweise zur Ausgestaltung dieser Erfahrungen jedoch weiterhin limitiert, wie die Diskussion beispielsweise um theory-to-practice und practice-to-theory Ansätze zeigt (z. B. Brouwer und Korthagen 2016). Sowohl mit Blick auf Modell(weiter)entwicklungen und -veränderungen, z. B. unter Berücksichtigung differenzieller Nutzung von Lerngelegenheiten, scheinen hier weitere Diskussionen und Forschungssynthesen unabdingbar, um praktische Implikationen für die zukünftige Lehrkräftebildung ableiten zu können.

Ebenso bleibt die Frage, welche Studieninhalte und -strukturen tatsächlich zu einer optimalen Kompetenzentwicklungen führen, weiterhin offen. Der Bedarf an systematischen und standortübergreifenden Längsschnitten vor allem unter Berücksichtigung phasenübergreifender Perspektiven und berufsbegleitender Kompetenzentwicklungen kann nach wie vor konstatiert werden. Diese Längsschnittuntersuchungen sollten dabei besonders die curriculare und individuelle Verknüpfung von Wissen und Handlungskompetenzen in den Blick nehmen. Diese sind bislang weniger erforscht als situative Kompetenzentwicklungen etwa in Praxisphasen oder weiteren Lerngelegenheiten wie dem Lernen mit Videos.

Ebenfalls überwiegend nur auf konkrete Interventionen (bspw. im Schwerpunktprogramm BiQua oder im DZLM) untersucht sind Entwicklungen durch Fortbildungsangebote in der so genannten dritten Phase der Lehrkräftebildung. Konzepte für eine systematische Fortführung von Kompetenzentwicklungen im Sinne von Lernprogressionen über alle Phasen sind – wenn überhaupt – nur in einzelnen Bereichen wie der aktuellen Digitalisierungsentwicklung zu finden. Als Basis für eine systematische Evidenzbasierung der Ausgestaltung der Fort- und Weiterbildung, in Kooperation von Landesinstituten und vergleichbaren Einrichtungen der Länder mit der Professionsforschung der Wissenschaft, dienen sie bisher nicht. Der dringende Bedarf einer stärkeren Fokussierung auch auf die weiterführenden Phasen nach der Berufsvorbereitung besteht demnach weiterhin.

Diese Debatte um die Modell- und Evidenzbasierung der Ausgestaltung der Lehrkräftebildung wird vor dem Hintergrund alternativer Karrierewege in das Lehramt weiter verstärkt. Für die Zukunft wäre es demzufolge wünschenswert, eine Reflexion der bestehenden Ansätze gemeinsam über alle Phasen der Lehrkräftebildung offen zu gestalten und unterschiedliche Modelle zu kontrastieren und zu beforschen. Dieses Vorgehen sollte nicht den Anspruch haben, eine für alle gültige Lehrkräftebildungsformel zu entwickeln, sondern vielmehr verschiedene Wege in das Lehramt für unterschiedliche Voraussetzungen zu ermöglichen und gleichsam die Qualität des Unterrichts zu sichern. Hierbei bieten die aktuellen Herausforderungen, z. B. im Quer- und Seiteneinstieg mit sehr heterogenen Berufsbiographien, für die Lehrkräfteforschung besondere Gelegenheiten, um bisherige Forschungsbefunde strategisch in praktische Strukturen in der Lehrkräftebildung zu überführen, aber auch anhand weiterer Personengruppen bisherige Erkenntnisse der Professionsforschung zu validieren und auszudifferenzieren. Erste Ansätze gehen in die Richtung, hier beispielsweise Personen mit einem Abschluss eines Fachstudiums im Quer- oder Seiteneinstieg vergleichend mit Berufsanfänger*innen aus dem regulären Lehramt in prototypischen Handlungssituationen im Unterricht oder in simulierten Settings wie einem VR-Klassenzimmer zu beobachten, um Erkenntnisse zur Entwicklung des entsprechenden fachdidaktischen Wissens oder dessen Anwendung zu untersuchen.

Insgesamt zeigen die aktuellen gesellschaftlichen, aber auch forschungsgetriebenen Debatten somit verschiedene Desiderata und Handlungsfelder für eine Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung und darauf bezogene Professionsforschung, ebenso aber auch für die Wirkungen von Strukturen und Ansätzen auf. Das weitere enge Zusammenwirken von Wissenschaft und Praxis in der Lehrkräftebildung stellt somit fraglos eine wertvolle und wesentliche Grundlage für zukünftige professionelle Entwicklungen von Lehrkräften und Lehrkräftebildungssystemen dar.