Die visuelle Darstellung des N.  recurrens ist weltweit als Goldstandard einer rekurrensschonenden Resektionstechnik bei Schilddrüsenoperationen anerkannt. Das intraoperative Neuromonitoring (IONM) ergänzt die visuelle Nervendarstellung durch eine Funktionsanalyse, die nicht nur die Erkennung des N.  recurrens verbessert und eine Unterscheidung zwischen nervalen und nichtnervalen Strukturen erlaubt, sondern auch eine Prädiktion hinsichtlich der postoperativ zu erwartenden Stimmlippenfunktion besitzt. Mit zunehmender Sicherheit in der technischen Anwendung und dem Verfolgen eines standardisierten Vorgehens konnte die intraoperative Vorhersagekraft der postoperativen Stimmlippenfunktion deutlich verbessert werden. Daraus hat sich das Konzept des sog. Strategiewechsels entwickelt, wenn es bei geplant bilateralem Vorgehen auf der erstoperierten Seite zu einem Signalverlust als elektrophysiologischem Korrelat einer Rekurrenslähmung kommt.

Die vorliegenden Empfehlungen (E) sollen dazu beitragen, die Qualität in der Anwendung des intraoperativen Neuromonitorings zu sichern. Die bislang vorliegenden Erfahrungen mit dem IONM haben zu einer erweiterten Kenntnis der Pathophysiologie der Rekurrenslähmung beigetragen. Der wesentliche Vorteil des IONM besteht jedoch in der Möglichkeit, bei standardisierter Anwendung eine visuell nicht feststellbare, jedoch gleichwohl funktionell wirksame Rekurrenslähmung zu erkennen, potenzielle Schadensmechanismen zu identifizieren und bilaterale Rekurrensparesen zu vermeiden.

Da bei intraoperativem Signalverlust ggf. eine Änderung des präoperativ geplanten Resektionskonzeptes notwendig wird, werden in den vorliegenden Empfehlungen erstmals Aufklärungshinweise gegeben, die zu den Möglichkeiten und Grenzen des IONM in der Entscheidungssituation eines intraoperativen Signalverlustes Stellung beziehen.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Technik und Anwendung des IONM in der Schilddrüsenchirurgie in den nächsten Jahren wesentlich weiterentwickeln wird und Aktualisierungen der vorliegenden Empfehlungen erforderlich machen.

Hintergrund

Das intraoperative Neuromonitoring in der Schilddrüsenchirurgie hat in den vergangenen 15 Jahren weltweit zunehmende Verbreitung gefunden [1, 2, 3, 4]. In Deutschland besitzen heute die meisten chirurgischen Kliniken Neuromonitoringgeräte und verwenden sie routinemäßig oder in schwierigen Situationen im Rahmen der Rekurrensdarstellung und -kontrolle [5]. Klinisch relevante Nebenwirkungen der wiederholten Neurostimulation des N.  vagus und N.  recurrens, die einer routinemäßigen Anwendung des Verfahrens entgegenstehen könnten, wurden nicht nachgewiesen [4].

Da mithilfe der bislang zur Verfügung stehenden Gerätetechnik des intermittierenden Neuromonitorings keine synchrone, sondern nur eine sequenzielle Präparation und Stimulation des Rekurrensnerven möglich ist, haben sich die anfangs in diese Technik gesetzten Erwartungen auf eine spürbare Senkung der Rekurrenspareserate gegenüber der alleinigen visuellen Darstellung nicht erfüllen können [6, 7, 8, 9, 10, 11, 12]. Das IONM ersetzt daher nicht die visuelle Nervendarstellung, die unverändert Grundvoraussetzung einer sicheren und nervenschonenden Präparation ist.

Ob in Zukunft die neuen Techniken des kontinuierlichen Neuromonitorings (CIONM) [13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21] eine Schadensvermeidung ermöglichen und dadurch das Pareserisiko gesenkt werden kann, wird durch entsprechende Studien zu klären sein. Die von der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie (CAEK) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein-/Viszeralchirurgie (DGAV) erarbeiteten Empfehlungen beziehen sich daher im Folgenden ausschließlich auf den gegenwärtigen Stand der Anwendung des intermittierenden Neuromonitorings.

E 1

Beim intermittierenden Neuromonitoring können die Präparation und Stimulation des Rekurrensnerven nicht gleichzeitig, sondern sequenziell erfolgen. Im Einzelfall ist eine Rekurrensparese nicht sicher vermeidbar.

Ziele

Aufgrund zahlreicher Studien besteht hinreichende Evidenz, dass mithilfe des IONM gegenüber der ausschließlich visuellen Darstellung die Identifikation des N.  recurrens (NR) erleichtert werden kann [10, 12, 22, 23, 24, 25, 26] und eine Vorhersage über die zu erwartende postoperative Stimmlippenfunktion möglich ist [9, 27, 28, 29, 30, 31]. Die Erreichung beider Ziele des IONM beruht auf der Funktionsgenauigkeit der verfügbaren Gerätetechnologie. Sie sind jedoch nur dann im Rahmen des chirurgischen Vorgehens verlässlich umsetzbar, wenn präoperativ eine intakte Stimmlippenfunktion nachgewiesen wurde [32] und das IONM standardgerecht eingesetzt wird [4, 9, 24, 33, 34, 35]. Bei der elektrophysiologischen Überprüfung der Rekurrensfunktion ist zur Abgrenzung von Artefaktsignalen ein Elektromyogramm (EMG) der Stimulationssignale erforderlich [4, 5, 23, 28, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54].

Das IONM bietet keine zuverlässige Information bei präoperativ vorbestehender Rekurrensparese, da etwa 10 % der vorbestehend paretischen Stimmlippen ein fast normales Vagus-EMG aufweisen. Außerdem ist das IONM des N.  vagus und N.  recurrens zur intraoperativen Funktionsdiagnostik des N. laryngeus superior nicht ausreichend verlässlich, da bei letzterem das Erfolgsorgan des abgeleiteten EMG nicht der Vokalismuskel der Stimmlippe ist, sondern die krikothyreoidale Muskulatur, und ein R. communicans nur in ca. 70–80 % der Fälle vorhanden ist [55].

Bei intraoperativ regelrechtem Vagus- und Rekurrenssignal und -EMG vor und nach Resektion ist aufgrund vorliegender Studien davon auszugehen, dass postoperativ in > 97 % eine ipsilateral intakte Stimmlippenbeweglichkeit vorliegt (richtig-negativer Test). Die Vorhersagegenauigkeit bei intraoperativem Signalverlust ist demgegenüber wegen möglicher Störfaktoren, die zu einem Signalverlust führen können, geringer (> 60–90 %; [9, 27, 28, 29, 30]).

E 2

Das IONM des N. laryngeus inferior ist nur bei präoperativ intakter Stimmlippenbeweglichkeit aussagekräftig.

E 3

Eine Funktionsdiagnostik des R. externus des N. laryngeus superior ist nur dann möglich, wenn der R. communicans vorhanden ist (70–80 %).

E 4

Das EMG dient dem Vergleich der prä- und postresektionellen Rekurrensfunktion und der Abgrenzung von Artefaktsignalen. Die EMG-Dokumentation ist zu asservieren.

Anwendungsstandards

Gerätetechnik

Bei intakter Nervenfunktion wird gerätetechnisch das über den N. vagus und N. recurrens vermittelte EMG des Zielmuskels (M. vocalis) in ein akustisches Signal transformiert. Das EMG des M. vocalis wird durch Ableitelektroden aufgenommen und auf dem Monitor abgebildet [4]. IONM-Geräte ohne EMG-Darstellung erlauben keine zweifelsfreie Differenzierung zwischen einem Artefaktsignal und einem M.-vocalis-Aktionspotenzial. Der Signalton kann nur in Verbindung mit einem intakten Stimulations-EMG des N. vagus als Beweis für das Vorliegen einer intakten Rekurrensfunktion bewertet werden.

Die Ableitung über dem M. vocalis erfolgt entweder direkt über Nadelelektroden, die durch das Ligamentum cricothyreoideum in den ipsilateralen M. vocalis eingebracht werden, oder indirekt über Tubuselektroden, die auf Stimmlippenebene das Muskelaktionspotenzial der Vokaliskontraktion aufnehmen. Die Vorteile der Nadelelektrode liegen in der stärkeren und tubuspositionsunabhängigen Signalantwort. Nachteile sind die Invasivität und die unilaterale Ableitung, was bei bilateraler Resektion eine Nadelumplatzierung auf die andere Seite erfordert. Die Vorteile der Tubuselektrode liegen demgegenüber in der Nichtinvasivität und bilateralen Ableitungsoption. Nachteile sind die geringere Stimulationsantwort und die Abhängigkeit von der Tubusposition [22]. Qualitative Unterschiede zur Bewertung des IONM ergeben sich aus diesen unterschiedlichen Elektrodentypen jedoch nicht.

E 5

Sowohl mit Tubuselektroden als auch Nadelelektroden ist ein sachgerechtes IONM möglich.

E 6

Das EMG des M. vocalis ist unverzichtbarer Bestandteil des Rekurrensmonitorings. Artefaktsignale können von echten M.-vocalis-Aktionspotenzialen nur durch das korrespondierende EMG differenziert werden.

Präoperative Laryngoskopie (L1)

Die präoperative Laryngoskopie (L1) ist Voraussetzung, das IONM bei Primär- und Rezidiveingriffen interpretieren zu können, da bei vorbestehender Rekurrensparese in ca. 10 % der Fälle das intraoperativ erhaltene Stimulations-EMG nicht von einem normalen Stimulations-EMG bei intakter Stimmlippenbeweglichkeit zu unterscheiden ist.

E 7

Die präoperative Laryngoskopie ist zur Interpretation des IONM erforderlich, da präoperativ vorbestehende Rekurrensparesen mit einem normalen Stimulations-EMG verbunden sein können.

Narkose

Zur adäquaten intraoperativen Neurostimulation ist eine relaxationsfreie Narkoseführung erforderlich. Die Narkoseeinleitung und Intubation wird daher mit kurzwirksamen Relaxanzien gewichtsadaptiert durchgeführt [56, 57].

Zur Ableitung des Stimulations-EMG durch Tubuselektroden stehen verschiedene technische Varianten zur Verfügung [58]:

  • Tuben, auf die selbstklebende Ableitungselektroden manuell aufgebracht werden,

  • konfektionierte Tuben mit integrierter Ableitungselektrodenfläche und

  • seitengetrennt ableitbare Tuben.

Entscheidend bei der Tubuswahl ist eine adäquate Tubusgröße, da nur bei gutem Tubuskontakt zur trachealen Schleimhaut auf Stimmlippenebene ein verlässliches IONM ermöglicht wird. Die auf dem Monitor angezeigte Impedanz zeigt den Kontakt zwischen Tubuselektrode und Stimmlippenschleimhaut an, sie sollte < 5 kΩ betragen und die Seitendifferenz bei < 1 kΩ liegen.

Wichtig für die adäquate Tubuspositionierung und -fixierung ist die visuell kontrollierte Platzierung der Ableitungselektroden auf Stimmlippenebene. Da sich die Tubuslage nach erfolgter Lagerung und Reklination verschieben kann, ist ggf. eine Repositionierung des Tubus erforderlich [59]. Manche Tubustypen erfordern neben der Kontrolle der Tubustiefe auch eine Überprüfung der Rotation des Tubus.

E 8

Zur adäquaten intraoperativen Neurostimulation ist eine relaxationsfreie Narkoseführung während der Phase des IONM erforderlich.

E 9

Bei Verwendung von Tubuselektroden ist durch geeignete Tubusgröße und -platzierung ein ausreichender Schleimhautkontakt (Impedanz) in Stimmlippenhöhe erforderlich.

Präliminäre Vagusstimulation (V1)

Bei intakter Stimmlippenbeweglichkeit prüft die präliminäre direkte Vagusstimulation (V1) die Rekurrensfunktion in seinem gesamten weiteren Verlauf, sie sollte daher vor der Präparation am N. recurrens vorgenommen werden [4, 33, 60, 61]. Zur Stimulation während des gesamten Operationsverlaufs wird eine supramaximale Stromstärke von 1–2 mA empfohlen [4].

Zur initialen Vagusstimulation sollte der N. vagus zwischen V. jugularis interna und A. carotis communis insbesondere auf der rechten Seite möglichst kaudal aufgesucht werden, um bereits zu Beginn der Präparation auf die seltene anatomische Variante (ca. 0,5 %) eines rechtsseitigen nonrekurrenten N. laryngeus inferior aufmerksam zu werden [62, 63, 64]. Das Vorliegen eines nonrekurrenten N. laryngeus inferior ist typischerweise am Ausbleiben des Vagusstimulationssignals bei kaudaler Vagusstimulation erkennbar. Beim Verdacht auf das Vorliegen eines nonrekurrenten N. laryngeus inferior wird nach primär kaudaler Stimulation der N. vagus möglichst weit kranial stimuliert und bei positiver Stimulation gezielt der vermutete nonrekurrente N. laryngeus inferior aufgesucht.

Die Ausgangsparameter des primären Vagus-EMG (Amplitude, Latenz, Signalform) sind Referenz für EMG-Veränderungen während der Operation. Bei Operationsbeginn sollte unter supramaximaler Stimulation eine möglichst hohe Amplitude erzielt werden. Lorenz et al. [35] haben folgende Standardwerte mitgeteilt:

  • N. vagus links median 460 µV,

  • N. vagus rechts median 511 µV.

Bei nicht ausreichender Amplitude ist bei Verwendung von Tubuselektroden eine entsprechende Korrektur der Tubusposition, bei Verwendung von Nadelelektroden eine Korrektur der Nadelplatzierung erforderlich.

Bei Stimulation des N. vagus und ungestörter Nervenleitung kann der retrolaryngeale palpatorische Nachweis einer Vokaliskontraktion („laryngeal twitch“) Zeichen einer intakten Funktion des ipsilateralen N. recurrens sein [65, 66, 67, 68]. Systematische Studien zur Korrelation des „laryngeal twitch“ mit dem EMG und der postoperativen Rekurrensfunktion liegen jedoch nicht vor.

E 10

Zur Funktionskontrolle des gesamten Rekurrensverlaufs ist die präliminäre Vagusstimulation erforderlich.

E 11

Bei kaudaler Vagusstimulation und Ausbleiben des Vagusstimulationssignals kann das Neuromonitoring bereits frühzeitig auf die seltene Variante eines rechtsseitigen nonrekurrenten N. laryngeus inferior hinweisen.

E 12

Die Ausgangsamplitude des Vagus-EMG sollte bei standardgerechter supramaximaler Stimulation mit 1,0–2,0 mA mindestens 300 µV betragen, anderenfalls ist eine Korrektur der Tubus- bzw. Nadelposition empfohlen.

Präliminäre Rekurrensstimulation (R1)

Die präliminär direkte Stimulation des N. recurrens (R1) bestätigt die visuell identifizierte Struktur des Nerven durch eine Funktionsbestimmung des Nerven. Durch die direkte Nervenstimulation können nichtnervale Strukturen insbesondere bei voroperationsbedingten Narbenbildungen vom N. recurrens abgegrenzt und es kann eine initiale Positionsbestimmung der Nervenlage vorgenommen werden [4]. Die präliminäre Rekurrensstimulation dient als funktionelle Referenz etwaiger Veränderungen der Nervenleitung im Rahmen der Resektion.

Die Ausgangsparameter der direkten Stimulation des N. recurrens zeigen in der Regel eine höhere Amplitude als bei der ipsilateralen Vagusstimulation [35]. Sie dienen als Referenz der Funktionswerte im Verlauf der sich anschließenden Schilddrüsenresektion.

E 13

Die präliminäre Rekurrensstimulation dient als funktionelle Referenz etwaiger Veränderungen der Nervenleitung im Rahmen der Resektion.

Nervenverlaufsdarstellung

Die Verlaufskontrolle des N. recurrens (sog. Mapping) beschreibt den wiederholten Vorgang der direkten Rekurrensstimulation im Verlauf des N. recurrens [4, 33]. Ziel der Verlaufsdarstellung ist, den Nerven bereits im noch nicht anatomisch freigelegten Verlauf antizipierend zu erfassen, um den sich anschließenden Resektionsvorgang unter visueller Darstellung und Schonung des Nerven durchführen zu können. Bei Präparation in unmittelbarer Nervennähe ist eine ausschließlich funktionelle Nervenorientierung nicht ausreichend, die nervennahe Präparation erfordert zusätzlich eine visuelle Darstellung.

Zur Verlaufsdarstellung des N. recurrens stehen verschiedene Sondenmodelle zur Verfügung. Unipolare Stimulationssonden haben einen größeren Wirkungskreis als vergleichsweise bipolare Stimulationssonden. Letztere sind daher aufgrund ihrer exakteren Diskrimination des Nerven von nichtnervalen Strukturen für Fälle problematischer anatomischer Nervenidentifikation günstiger.

Wie bereits bei der initialen Stimulation des N. recurrens ist auch bei der Verlaufsdarstellung eine sichere EMG-Differenzierung zwischen Artefaktsignalen und echten Nervenaktionspotenzialen erforderlich, um nervale von nichtnervalen Strukturen und eine intakte und von einer gestörten Nervenfunktion sicher unterscheiden zu können. Artefaktsignale sind im EMG an der fehlenden Latenz zwischen Stimulation und Beginn des Nervenaktionspotenzials zu erkennen [33]; am Signalton allein sind Artefaktsignale von echten Nervenaktionspotenzialen nicht zu unterscheiden.

E 14

Die funktionelle Verlaufsdarstellung des N. recurrens beschreibt die Technik der direkten Nervenstimulation mit dem Ziel, bereits vor Durchführung einzelner Resektionsschritte den Nervenverlauf orientierend zu erfassen. Die funktionelle Darstellung ersetzt nicht die visuelle Darstellung des Nerven.

E 15

Zur Verlaufsdarstellung eignen sich unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Reichweite sowohl unipolare als auch bipolare Stimulationssonden.

Vagusstimulation (V2) nach Resektionsende

Bei primär erhaltenem Nerven wird nach Abschluss aller operativen Maßnahmen auf der jeweils operierten Seite eine abschließende Vagusstimulation (V2) durchgeführt und das Ergebnis dokumentiert. Die Vagusstimulation V2 ermöglicht mit hoher Wahrscheinlichkeit, den Funktionserhalt des N. recurrens vorherzusagen. Bei geplant bilateraler Operation ist das Ergebnis V2 Voraussetzung für die Indikationsstellung zur Operation der kontralateralen Seite [33].

E 16

Bei primär erhaltenem N. recurrens nach erfolgter Resektion zeigt das Ergebnis der Vagusstimulation (V2) die aktuelle Rekurrensfunktion und beeinflusst die Entscheidung über das weitere Vorgehen.

Postoperative Laryngoskopie (L2)

Die frühpostoperative laryngoskopische Beurteilung der Stimmlippenbeweglichkeit ist Goldstandard der Beurteilung einer intakten oder gestörten Stimmlippenfunktion und daher zur Funktionsdiagnose und Qualitätskontrolle unerlässlich [4, 33, 68, 69, 70]. In seltenen Fällen weicht die laryngoskopisch am wachen, kooperativen Patienten beurteilte Stimmlippenfunktion vom Ergebnis des IONM ab.

E 17

Die laryngoskopische Beurteilung der Stimmlippenbeweglichkeit ist postoperativ wie präoperativ Goldstandard der Stimmlippenfunktionsdiagnostik und daher obligater Bestandteil der postoperativen Funktionsdiagnostik und Qualitätskontrolle nach Schilddrüsenoperationen.

Vorgehen bei intraoperativem Signalverlust

Der intraoperative Signalverlust ist definiert als kompletter Ausfall („loss of signal“, LOS). Bei Verwendung einer Tubuselektrode bedeutet bei der derzeitigen Gerätetechnologie ein Amplitudenabfall auf < 100 µV bei Vagusstimulation mit hoher Wahrscheinlichkeit (> 90 %) einen Funktionsverlust des stimulierten Nerven [4].

Unter der Voraussetzung einer präoperativ intakten Stimmlippenbeweglichkeit ergeben sich hinsichtlich der Korrelation der intraoperativen Signalantwort mit der als Referenz geltenden postoperativen ipsilateralen Stimmlippenbeweglichkeit folgende richtig bzw. falsch-positive und -negative Befundkonstellationen [9, 29, 31]:

  • richtig-negativ: intaktes Vagussignal und -EMG, postoperativ ipsilateral intakte Stimmlippenbeweglichkeit,

  • falsch-negativ: intaktes Vagussignal und -EMG, postoperativ ipsilateraler Stimmlippenstillstand,

  • richtig-positiv: intraoperativer Signalverlust, postoperativ ipsilateraler Stimmlippenstillstand,

  • falsch-positiv: intraoperativer Signalverlust, postoperativ ipsilateral intakte Stimmlippenbeweglichkeit

Die möglichen Ursachen für falsch-negative und falsch-positive Befunde sind in Tab. 1 angegeben. Bei länger als 6 Monate anhaltender Rekurrensparese ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer permanenten Stimmlippenparese auszugehen.

Tab. 1 Korrelation der intraoperativen Signalantwort mit dem als Referenz geltenden postoperativen Stimmlippenbefund und mögliche Ursachen falsch-positiver und falsch-negativer Befunde

E 18

Bei präoperativ intakter Stimmlippenbeweglichkeit ist als intraoperativer Signalverlust jeder komplette Ausfall eines zuvor intakten Vagussignals definiert. Ein Amplitudenabfall auf unter 100 µV des zuvor intakten und quantitativ regelrechten Vagussignals macht einen Funktionsverlust des stimulierten Nerven sehr wahrscheinlich. Bei Signalverlust oder Amplitudenabfall unter 100 µV ist in etwa 10 % aus unterschiedlichen Gründen eine falsche Prädiktion der postoperativen Stimmlippenbeweglichkeit möglich.

E 19

In Korrelation zum Referenzparameter der prä- und postoperativen Stimmlippenbeweglichkeit erlaubt das unverändert intakte Vagussignal und -EMG bei Resektionsende (V2) in über 97 % eine korrekte Prädiktion der postoperativen Stimmlippenfunktion.

Zur Reduktion falsch-negativer bzw. falsch-positiver Befunde ist der in Abb. 1 gezeigte Algorithmus hilfreich. Nach Eintreten eines Signalverlustes des N. vagus sollte nach dem Gerätecheck und Ausschluss einer narkosemittelbedingten neuromuskulären Blockade zunächst geprüft werden, ob nach ipsilateraler Vagusstimulation eine Dislokation des Tubus oder der Nadelelektrode vorliegt (z. B. kontralaterale Stimulation, direkte Laryngoskopie), die entsprechend zu korrigieren ist. Resultiert nach negativer Vagusstimulation bei kehlkopfnaher Stimulation ein positives Signal, liegt ein lokalisierter Nervenschaden proximal (larynxfern) des Stimulationspunktes vor (Typ 1, Abb. 2, [33]). Resultiert bei kehlkopfnaher und -ferner Stimulation kein positives Nervenstimulationssignal ist von einer globalen Nervenleitstörung auszugehen (Typ 2, Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Algorithmus zum Vorgehen bei intraoperativem Signalverlust und zur Evaluation des Läsionstyps der Rekurrensfunktionsstörung. NR N. recurrens, NV N. vagus

Abb. 2
figure 2

Evaluation und Definition eines intraoperativen Signalverlustes entsprechend Typ 1 („lokalisiert“) oder Typ 2 („global“)

Bei Vorliegen einer Rekurrensfunktionsstörung des Typ 1 („lokalisiert“) kann durch retrogrades Mapping des N. recurrens von distal (larynxnah) nach proximal (larynxfern) ggf. der Schädigungsort lokalisiert werden mit dem Ziel, die mögliche Ursache der Nervenstörung zu identifizieren und wenn möglich zu beseitigen. Bei beiden Formen der Nervenfunktionsstörung können Kortikosteroide intravenös verabreicht werden [71, 72]. Über die optimale Dosis und die Ergebnisse der Steroidgabe liegen jedoch keine hinreichend gesicherten Daten vor, sodass entsprechende Therapieempfehlungen nicht möglich sind.

E 20

Zur Reduktion falsch-positiver und falsch-negativer Befunde ist bei intraoperativem Signalausfall ein Algorithmus hilfreich, bei dem ein lokalisierter (Typ 1) oder globaler Typ (Typ 2) der Rekurrensfunktionsstörung unterschieden werden können.

E 21

Ob bei eingetretenem Signalausfall die Gabe von Kortikosteroiden die Regeneration des Nervenschadens begünstigt, ist durch Studien nicht hinreichend gesichert.

Strategiewechsel bei Signalverlust

Bei benigner Struma und geplanter bilateraler Operation wird bei präoperativ bilateral intakter Stimmlippenfunktion ein Strategiewechsel empfohlen, wenn auf der zuerst angegangenen Seite ein Signalverlust gesichert wurde [5, 25, 33]. Ziel des Strategiewechsels ist die sichere Schonung der Rekurrensfunktion auf der kontralateralen Seite. Am sichersten ist es, in dieser Situation auf die Resektion der kontralateralen Seite vollständig zu verzichten. Die Fortsetzung des Eingriffs auch auf der kontralateralen Seite muss begründet werden. Die Risiken eines zweizeitigen Vorgehens nach Erholung der Stimmlippenfunktion sind in der Regel als geringer einzuschätzen als das potenzielle Risiko einer gegebenenfalls bilateralen Rekurrensparese.

Ob bei Vorliegen eines Schilddrüsenmalignoms ein Strategiewechsel mit sequenziellem Vorgehen unter Abwägung der Vorteile und Risiken angezeigt ist, hängt von der Art und Ausdehnung des Malignoms ab und erfordert eine Einzelfallentscheidung.

E 22

Bei benigner Struma und geplanter Thyreoidektomie wird bei präoperativ bilateral intakter Stimmlippenfunktion ein Strategiewechsel empfohlen, wenn auf der zuerst resezierten Seite ein Signalausfall gesichert werde.

E 23

Bei maligner Struma und Sicherung eines Signalausfalls auf der erstoperierten Seite hängt die Entscheidung über eine kontralateral ein- oder zweizeitige Resektion von der Art und Ausdehnung des Malignoms ab.

Aufklärung, Dokumentation

Präoperative Aufklärung

Ziel der Aufklärung über das Neuromonitoring ist es, dem Patienten die Bedeutung und Grenzen des Verfahrens insbesondere bei bilateralen Eingriffsindikationen zu erläutern.

Das IONM erkennt auch ohne sichtbares anatomisches Korrelat relevante Funktionsstörungen des N. recurrens. Intraoperative Signalausfälle und signifikante Signalabschwächungen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer (früh-)postoperativen Stimmlippenlähmung assoziiert. Nach beidseitigem intraoperativem Signalverlust ist daher das Risiko einer bilateralen Rekurrensparese sehr hoch. Zur bestmöglichen Vermeidung einer bilateralen Rekurrensparese wird deshalb empfohlen, nach Signalverlust auf der ersten Seite einen begründeten Strategiewechsel hinsichtlich der Resektion der anderen Seite vorzunehmen, sei es durch Verzicht auf gleichzeitige Resektion der Gegenseite, sei es nur als Teilresektion außerhalb der Rekurrensverlaufsebene.

Ein falsch-positives Ergebnis des IONM (intraoperativer Signalverlust, postoperativ keine Rekurrensparese auf der ersten Seite) kann allerdings dazu führen, dass durch Beendigung der Operation die Resektion der Gegenseite erst in einem zweiten Eingriff erfolgt bzw. sich durch Limitierung des dortigen Vorgehens ein Rezidivrisiko ungerechtfertigt erhöht. Die Wahrscheinlichkeit falsch-positiver Ergebnisse des Neuromonitorings liegt derzeit bei 10–30 % [31].

Umgekehrt kann ein falsch-negatives Neuromonitoringergebnis (intraoperativ regelrechtes Neuromonitoringsignal und -EMG, postoperativ Rekurrensparese) auf der ersten Seite dazu führen, dass es trotz Einsatz des Verfahrens zu einer bilateralen Rekurrensparese kommt. Die Wahrscheinlichkeit falsch-negativer Ergebnisse des Neuromonitorings mit der Konsequenz einer bilateralen Rekurrensparese ist sehr gering, jedoch in der Literatur beschrieben [29, 31, 74, 75].

Dokumentation

Hinsichtlich des Dokumentationsumfanges geht die Schilddrüsenoperation unter Einsatz des IONM über den Dokumentationsumfang bei allein visueller Nervenkontrolle hinaus, bei der die schriftliche Beschreibung der Nervendarstellung und -schonung vor, während und nach der Schilddrüsenresektion ausreichend ist. Wie bei Einsatz anderer operationstechnischer Hilfsmittel ist auch bei der Technik des IONM eine Dokumentation erforderlich [73]. Nur das Stimulations-EMG kann ein Signalartefakt sicher von einem echten Nervenaktionspotenzial abgrenzen [23, 28, 29, 33, 66].

Minimalvoraussetzung der Dokumentation des Neuromonitorings ist die Beschreibung der Stimulationssignale des N. vagus auf der operierten Seite nach Beendigung aller chirurgischen Maßnahmen im Bereich der Schilddrüsenloge (V2).

E 26

Minimalvoraussetzung der Dokumentation des Neuromonitorings ist die Beschreibung der Stimulationssignale des N. vagus auf der operierten Seite nach Beendigung aller chirurgischen Maßnahmen im Bereich der Schilddrüsenloge (V2).

Tab. 2 Angaben zum Interessenkonflikt