Zusammenfassung
Im Zusammenhang mit einigen kritischen Auseinandersetzungen über den “Strukturwandel der Öffentlichkeit” (Habermas) und damit verbundener Verfallsdiagnosen rückt immer wieder auch das Parlament in den Mittelpunkt der öffentlichen und insbesondere der wissenschaftlichen Diskussion. Diese aufgreifend widmet sich der vorliegende Beitrag, den in diesem Kontext relevanten Fragen nach Funktion, Struktur und Wandel parlamentarischer Öffentlichkeit in der repräsentativen Demokratie. Dazu sollen zunächst zwei grundlegend unterschiedliche Verständnisweisen von Parlamentarismus und parlamentarischer Demokratie vorgestellt werden, vor deren Hintergrund diskutiert wird, ob das medienattraktive klassisch-altliberale Parlamentarismusmodell die Komplexität politischer Wirklichkeit im parlamentarischen Regierungssystem noch angemessen abbildet (vgl. Kap. 1). Mit Blick auf Gegenwart und Zukunft verdient dabei besondere Beachtung, was parlamentarische Öffentlichkeit im Kontext jener Entwicklungen noch leisten kann, die Arthur Benz als “postparlamentarische Demokratie” (Benz, 1998) bezeichnet hat (vgl. Kap. 2). Die Einbindung des keineswegs mehr handlungssouveränen Parlaments in komplexe Interessenvermittlungs-, Willensbildungs- und Kooperationsstrukturen macht es erforderlich, von tradierten Homogenitätsvorstellungen einer parlamentarischen Öffentlichkeit abzurücken und ein Modell öffentlicher, halböffentlicher und nicht öffentlicher parlamentarischer Arenen zu entwickeln (vgl. Kap. 3), das nicht nur anschlussfähig ist an empirische politik- und kommunikationswissenschaftliche Forschungen, sondern auch angemessener die Komplexität parlamentarischer Kommunikation in der Mediengesellschaft abbildet. Dabei zeigt sich auch, dass die inzwischen populäre These einer linearen Ablösung des repräsentativen durch den präsentativen Parlamentarismus einer differenzierten Betrachtung der jeweiligen Parlamentsarenen und -akteure nicht stand hält. Zu konstatieren und mit Blick auf die Frage parlamentarischer Legitimation kritisch zu hinterfragen ist letztlich eine zunehmende Orientierung am parlamentarischen Output, an den “Schaubühnen” bei gleichzeitiger Vernachlässigung komplexer werdender Inputprozesse (vgl. Kap. 4).
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Sarcinelli, U., Tenscher, J. (2000). Vom repräsentativen zum präsentativen Parlamentarismus? Entwurf eines Arenenmodells parlamentarischer Kommunikation. In: Jarren, O., Imhof, K., Blum, R. (eds) Zerfall der Öffentlichkeit?. Mediensymposium Luzern, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07953-8_6
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