1 Einleitung

Die gegenwärtige „Polykrise“ (Tooze 2022) stellt die repräsentative Demokratie und die sie tragende politische Kultur in Deutschland vor große Herausforderungen. So verändern sich im Kontext der sich zeitlich und räumlich überschneidenden Krisen – u. a. der Finanz- und Wirtschaftskrise, der Corona-Pandemie, dem Klimawandel und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – die demoskopisch ermittelten politischen Einstellungen und Wahlpräferenzen tiefgreifend. Das Vertrauen in die Demokratie mit ihren Institutionen und Akteuren erodiert in wachsenden Teilen der Bevölkerung. Aktuelle Studien zeigen, dass weniger als die Hälfte der Bevölkerung der Bundesregierung vertraut und mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden ist (Best et al. 2023; Reiser und Reiter 2023). Gleichzeitig werden die existierenden politischen Strukturen verstärkt infrage gestellt. Die zunehmende Verbreitung illiberaler Einstellungen und das Erstarken von Populismus und Rechtsextremismus (Zick et al. 2023; Decker et al. 2022) spiegeln die Krise der repräsentativen Demokratie ebenso wider wie der deutliche Anstieg von Protesten und politisch motivierter Straftaten (BMI 2021). Da die Gefahr besteht, dass die Polykrise somit auch zu einer folgenreichen Krise der demokratischen politischen Kultur führt, gewinnt die Forschung zur politischen Kultur und der Einstellungen zur Demokratie in Deutschland – wie in anderen liberalen Demokratien – an neuer Relevanz (vgl. u. a. Best et al. 2023; Mauk 2020; van der Meer und Zmerli 2017).

Allerdings treten diese Entwicklungen nicht gleichmäßig im gesamten Bundesgebiet zutage. Vielmehr bestehen regionale Schwerpunkte und Besonderheiten in den Bundesländern. So zeigen sich auch mehr als 30 Jahre nach der Deutschen Einheit signifikante Unterschiede bei zentralen politischen Einstellungen zwischen Ost und West (u. a. Braun und Trüdinger 2023; Pickel und Pickel 2023; Reiser und Reiter 2023; Tausendpfund 2021). Beobachtungen verweisen auf weitere regionale Unterschiede jenseits und innerhalb der Ost-West-Dichotomie (Best et al. 2023; Mannewitz 2016). Auch wenn der Aufstieg der AfD insbesondere in den östlichen Bundesländern verortet wird, zeigen die Wahlergebnisse der AfD bei Bundestags- und Landtagswahlen eine große Varianz auch innerhalb von ost- und westdeutschen Bundesländer. Autoritäre und fremdenfeindliche Einstellungen variieren zudem signifikant zwischen den Bundesländern (vgl. u. a. Decker et al. 2022); und auch die Querdenken- bzw. Corona-Proteste waren nicht nur regional konzentriert, sondern unterschieden sich auch regional ideologisch stark voneinander (Frei und Nachtwey 2021; Reuband 2022; Weidmann 2023).

Die politische Kulturforschung fokussiert überwiegend auf nationale Analysen (Almond und Verba 1963; Easton 1965), wobei jedoch in Deutschland seit den 1990er-Jahren insbesondere Ost-West-Vergleiche dominieren (vgl. u. a. Enders et al. 2021; Fuchs et al. 2002; Niedermayer und von Beyme 1996; Pickel und Pickel 2023; Reiter und Reiser 2023). Obwohl in einer jüngeren Debatte auf regionale Unterschiede in der politischen Kultur bzw. auf regionale politische Kulturen hingewiesen wird (Henderson 2010; Mannewitz 2013; Mannewitz und Vollmann 2019; Pickel 2016; Werz und Koschkar 2016), stellen regional vergleichende Analysen jedoch nach wie vor ein „Desiderat“ (Mannewitz 2016, S. 34) dar.

Eine regionale Perspektive auf die politische Kultur ist jedoch, so bereits Wehling (1984), gerade im deutschen Föderalismus angesichts der regionalen Vielfalt der Bundesländer, die sich neben ihrer grundgesetzlich garantierten Eigenständigkeit durch unterschiedliche Identitäten, Traditionen und Orientierungen auszeichnen, unbedingt notwendig. Vor dem Hintergrund der weiterhin bestehenden wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Unterschiede zwischen den Bundesländern ist anzunehmen, dass die politische Kultur, d. h., die Orientierungen und Einstellungen der Bevölkerung gegenüber dem politischen System (Easton 1965, 1975), systematisch zwischen den Bundesländern variiert. Diese Heterogenität zwischen den Bundesländern werde jedoch in aktuellen Analysen, so Pickel (2016) und Mannewitz (2016), durch eine unterkomplexe Ost-West-Dichotomie überdeckt.

Das Fehlen von subnational vergleichenden (quantitativen) Analysen wird dabei insbesondere mit fehlenden Daten bzw. zu kleinen Fallzahlen für die Länderebene in existierenden Erhebungen wie der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) begründet (vgl. u. a. Mannewitz 2016; Werz und Koschkar 2016). Die zunehmende Verbreitung sogenannter Ländermonitore und vergleichbarer regionaler Datensätze zur politischen Kultur in den Bundesländern, die für die Grundgesamtheit der jeweiligen Landesbevölkerung repräsentative Daten erheben, eröffnet neue Potenziale für die Analyse der politischen Einstellungen in den Bundesländern.

Ziel dieses Special Issues ist es, diese regionalen Studien stärker als bisher für die wissenschaftliche Analyse zu nutzen und auf ihrer Basis Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Bundesländern herauszuarbeiten. Ein besonderer Fokus liegt in der Analyse der politischen Einstellungen der Bürger:innen zur Demokratie. Dies ist in der aktuellen Polykrise von besonderer Relevanz, um regional konzentrierte Unzufriedenheiten mit der Demokratie – jenseits und innerhalb der stark diskutierten Ost-West-Dichotomie – zu erfassen und zu erklären, da sie eine potenzielle Bedrohung für die Stabilität des Gesamtsystems darstellen können (vgl. dazu auch Mannewitz und Vollmann 2019, S. 36; Mauk 2020; Reiser und Reiter 2023).

Im Zentrum dieses Special Issues steht daher erstens die Frage nach dem Ausmaß der Unterstützung der Demokratie in den Bundesländern. Dieser Frage wird nachgegangen, indem die Länderbeiträge insbesondere die generelle Unterstützung des politischen Regimes, die Demokratiezufriedenheit und das Vertrauen in die Institutionen untersuchen. Zweitens sollen die zentralen Determinanten für die demokratischen Einstellungen analysiert werden, um auf dieser Basis allgemeine und gegebenenfalls regionalspezifische Erklärungsfaktoren zu erfassen. Auf dieser Basis ist es drittens das Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den demokratischen Einstellungen zwischen den Bundesländern herauszuarbeiten. Damit verbunden ist die Frage, inwiefern sich die Ländermonitore als Grundlage für eine regional-vergleichende politische Kulturforschung eignen.

Im Folgenden wird zunächst der theoretisch-konzeptionelle Rahmen für die Analyse der demokratischen Einstellungen in den einzelnen Bundesländern bzw. Regionen gelegt. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Bedeutung einer Regionalisierungsperspektive im deutschen Mehrebenensystem und der bisherigen Defizite. Diesem folgen eine Beschreibung der Ländermonitore als „Datenbrunnen“ für die regionale politische Kulturforschung und die Vorstellung und Zusammenfassung der Länderanalysen dieses Special Issues. Im letzten Teil dieses Rahmenbeitrags erfolgt die zusammenfassende Analyse der demokratischen Einstellungen in den Bundesländern, um regionale Spezifika und allgemeine Trends und Herausforderungen für die repräsentative Demokratie herauszuarbeiten. Auf Basis der Stärken und Schwächen der Ländermonitore werden abschließend Potenziale und Desiderata für eine stärker regionalisierte politische Kulturforschung diskutiert.

2 Regionale Politische Kulturforschung: Theorie und Forschungsstand

Theoretischer Bezugspunkt für die Analyse der Einstellungen zur Demokratie in den Bundesländern ist die politische Kulturforschung in der Tradition von Almond und Verba (1963) sowie Easton (1965; vgl. auch Pateman 1971; Norris 1999; zu Deutschland u. a. Conradt 2015; Pickel und Pickel 2020).Footnote 1 Ziel ist es, Aussagen über die Bedingungen für die Persistenz bzw. Stabilität politischer Systeme treffen zu können, wobei dies aus dem Verhältnis der Bürger:innen zum politischen System abgeleitet wird. In diesem einstellungsbasierten Verständnis wird politische Kultur als das „Muster politischer Orientierungen und Einstellungen gegenüber dem politischen System und seinen verschiedenen Teilen sowie der Rolle des Individuums in diesem System“ (Almond und Verba 1963, S. 13) verstanden. Demokratien können danach nur effektiv funktionieren und langfristig stabil sein, wenn politische Strukturen und politische Kultur kongruent zueinander sind und die Bürger:innen das politische System unterstützen (Easton 1957, 1965).

Vor diesem Hintergrund gilt die Haltung zur Demokratie als der „wichtigste Bezugspunkt“ (Pickel 2016, S. 60) der politischen Kulturforschung. So ist es „einer Demokratie […] (zeitlich) nur sehr begrenzt möglich, ohne eine breitflächige Unterstützung der Bürger überhaupt zu überleben“ (Pickel 2016, S. 46). Nach Easton (1965, S. 171–189) können zwei grundlegende Arten der politischen Unterstützung unterschieden werden: Die manifeste Unterstützung („overt support“) bezieht sich auf direkt beobachtbare Handlungen, die – nach Easton bedeutsamere – latente Unterstützung („covert support“) auf die Einstellungen, Orientierungen und Werthaltungen der Bürger:innen. Easton differenziert zudem zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung: Spezifische Unterstützung kann dabei als unmittelbare „response to authorities, [which] is directed to the perceived decisions, policies, actions, utterances or the general style of these authorities“ (Easton 1975, S. 437) verstanden werden. Demgegenüber konzeptualisiert Easton diffuse politische Unterstützung als „reservoir of favorable attitudes or good will [which] is independent of the effects of daily outputs“ (Easton 1965, S. 273). Insofern ist die spezifische Unterstützung von Bürger:innen aus dem konkreten Output (Gesetze, Verordnungen, Verhalten politischer Autoritäten) ableitbar und damit leistungsbezogen, während der diffuse Support als eine vom Output losgelöste Größe betrachtet werden kann. Diese Unterstützung kann sich dabei auf unterschiedliche politische Bezugsobjekte beziehen: die Herrschaftsordnung, politische Autoritäten sowie die politische Gemeinschaft (Easton 1965, S. 177). Je nach Kombination von Unterstützungsformen und der politischen Bezugsobjekte ergeben sich unterschiedliche Formen der Einstellungen zur Demokratie (vgl. Tausendpfund 2021). Im Zentrum dieses Schwerpunkthefts stehen insbesondere drei zentrale Einstellungen zur Demokratie: die Demokratieunterstützung als eine generelle Unterstützung des politischen Regimes, die Demokratiezufriedenheit als eine spezifische Unterstützung des politischen Regimes und das Vertrauen in Institutionen als eine Form der Unterstützung politischer Autoritäten (vgl. dazu Abschn. 4).

Die politische Kulturforschung fokussiert traditionell v. a. auf die nationale Ebene (Almond und Verba 1963; Easton 1965), während innerhalb dieser einstellungsorientierten Kulturforschung, so Henderson (2010, S. 470), „little attention is dedicated to studying diversity within states.“ Deutschland stellt insofern einen Sonderfall dar, da seit dem Systemumbruch 1989/90 der Ost-West-Vergleich die dominierende Perspektive darstellt (vgl. u. a. Enders et al. 2021; Fuchs et al. 2002; Niedermayer und von Beyme 1996; Pickel und Pickel 2023; Reiter und Reiser 2023). Die Deutsche Einheit bedeutete die Vereinigung zweier Staaten mit unterschiedlichen politischen Systemen und Kulturen. In Bezug auf die ehemalige DDR bedeutete die Systemtransformation nicht nur die Integration Ostdeutschlands in die Institutionen- und Gesellschaftsordnung der alten Bundesrepublik, sondern auch die Eingliederung von Bürger:innen, die zuvor unter einem undemokratischen Regime gelebt hatten und daher staatlichen Institutionen oft mit Skepsis begegneten (Mishler und Rose 1997; Thumfart 2001; Diamond und Plattner 2002). Daher liegt ein Schwerpunkt der politischen Kulturforschung in Deutschland auf der Analyse und Entwicklung der Einstellungen der ostdeutschen Bürger:innen zur Demokratie und ihren Institutionen (vgl. u. a. Dalton und Weldon 2010; Conradt 2015; Campbell 2012; Greiffenhagen et al. 2021; Fuchs et al. 2002; Enders et al. 2021; Pickel und Pickel 2020; Reiser und Reiter 2023). Damit verbunden wird seit den 1990er-Jahren in longitudinaler Ost-West-Perspektive untersucht, inwiefern Konvergenz, Divergenz oder Persistenz in den politischen Einstellungen zu beobachten sind. Spätestens seit den überdurchschnittlichen Wahlerfolgen der AfD in Ostdeutschland und Bewegungen wie PEGIDA (u. a. Backes und Kailitz 2020; Köpping 2018; Vorländer et al. 2015; Weisskircher 2020) ist das – zwischenzeitlich deutlich gesunkene – Interesse an der „inneren Einheit“ der politischen Kultur in Ost- und Westdeutschland wieder deutlich gestiegen (vgl. für einen aktuellen Überblick u. a. Enders et al. 2021; Pickel und Pickel 2023; Reiser und Reiter 2023).

Vergleichende Studien zur politischen Kultur in den Bundesländern sind hingegen – insbesondere in der quantitativen, einstellungsorientierten Variante der politischen Kulturforschung – rar (vgl. zu den wenigen Ausnahmen Mannewitz 2016). Die dominierende Ost-West-Dichotomie der politischen Kulturforschung würde, so u. a. Pickel (2011, S. 388) und Mannewitz (2016), die regionale Vielfalt, die auch innerhalb Ost- sowie Westdeutschlands besteht, überdecken.Footnote 2 Dieses weitgehende Fehlen einer regionalisierten vergleichenden Perspektive auf die politische Kultur Deutschlands ist angesichts der historischen Entwicklung aus der Kleinstaaterei und der zentralen Rolle des Föderalismus erstaunlich. Das Bundesstaatsprinzip und das im Grundgesetz formulierte Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse beruht gerade auch auf einer regionalen Vielfalt. Diese drückt sich nicht nur u. a. in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, sondern auch in geographisch konzentrierten unterschiedlichen Identitäten, Traditionen, politischen Einstellungen und Orientierungen aus (Mannewitz 2014, S. 527; vgl. auch Rohe 1996).

Spezifische regionale politische Kulturen sind dabei in Deutschland insbesondere in den Bundesländern zu erwarten. So argumentiert Henderson (2010, S. 6), dass „sub-state institutions are […] able to create new political cultures, and thus can lead to greater variation of political cultures within a single state.“ Zudem würde auch die Sozialisation in regional verantworteten Bildungssystemen eher zu spezifischen Einstellungen gegenüber dem politischen System mit seinen Institutionen und Akteuren führen (Henderson 2010). Auch die Unterschiede in den strukturellen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Bundesländer sollten sich der sogenannten Situationshypothese folgend auf die Einstellungen auswirken und zu einer Regionalisierung der politischen Kultur führen.

Dies spiegelt sich auch in den existierenden Unterschieden in den politischen Einstellungen und Verhaltensweisen zwischen den Bundesländern wider, u. a. in der Parteiidentifikation und im Wahlverhalten (u. a. Niedermayer 2009; Zabler et al. 2020), in der Partizipation (Holtmann et al. 2023), in der ideologisch-programmatischen Ausrichtung des Parteienwettbewerbs (Bräuninger et al. 2020) und im Ausmaß rechtsextremer und populistischer Einstellungen (Decker et al. 2022; Reuband 2022). Während somit bundesländervergleichende Analysen regelmäßig einen wichtigen Stellenwert einnehmen, wurde die politische Kultur bisher v. a. aus einer qualitativ-historischen Perspektive in Länderstudien herausgearbeitet (vgl. u. a. Berg-Schlosser und Schissler 1987; Korte et al. 2006; Luutz 2002; Matz 2008; Oberndörfer und Schmitt 1991; Rohe 1984; Sarcinelli et al. 2000; Schiffmann 2010; Wehling 1984, 2006; Werz und Koschkar 2016). Diese verweisen ebenso wie die sehr wenigen vergleichenden Untersuchungen aus einer quantitativ-einstellungsorientierten Perspektive (Mannewitz 2013, 2015; Mannewitz und Vollmann 2019) auf regionale Spezifika in der politischen Kultur bzw. regionale politische Kulturen. So betont auch Pickel (2011, S. 388), dass sich Wertedifferenzen nicht nur als Ost-West-Unterschiede, sondern auch „als Nord-Süd-Unterschiede oder entlang anderer sozialstruktureller und regionaler Linien verlaufender Differenzen“ darstellen (vgl. auch Best et al. 2023). Trotz dieser Hinweise fehlen systematische bundesländervergleichende Analysen, insbesondere zu den Einstellungen der Bürger:innen zur Demokratie. Solche sind wichtig, um Hochburgen sowohl von zufriedenen Demokrat:innen als auch von demokratieskeptischen bzw. antidemokratischen Einstellungen auf Bundesländerebene erfassen und erklären zu können. Dies gewinnt in der aktuellen Polykrise eine besondere Relevanz, da auch regional konzentrierte Unzufriedenheiten die Stabilität des Gesamtsystems gefährden können (vgl. dazu auch Mannewitz und Vollmann 2019, S. 36; Mauk 2020).

Neben dem starken Fokus auf Ost-West-Unterschiede seit der Deutschen Einheit liegt eine weitere Ursache für den Mangel an vergleichenden regionalen Studien in der unzureichenden Datenbasis für systematische Analysen (Mannewitz 2015; Pickel 2016). Denn obwohl selbst größere Umfragen wie die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) oder die German Longitudinal Election Study (GLES) mittlerweile regelmäßig mehr als 4000 Personen befragen, kann trotz dieser großen Stichprobenumfänge nicht statistisch belastbar in kleinere politische Einheiten hineingeblickt werden. Zwar entsprechen die bundeslandspezifischen Fallzahlen näherungsweise proportional den jeweiligen Einwohner:innenzahlen, doch lassen sich, wie anhand des ALLBUS 2021 (N = 5342) illustriert werden soll, davon ausgehend keine abgesicherten Aussagen über die demokratischen Einstellungen und ihre Ursachen – insbesondere kleinerer – Bundesländer treffen. Dies soll im Folgenden exemplarisch für die Demokratiezufriedenheit als einer zentralen Einstellung zur Demokratie verdeutlicht werden: So liegen die gewichteten Fallzahlen für diese Variable in Sachsen-Anhalt und Thüringen bei lediglich 99 bzw. 93 Befragten (vgl. Abb. 1). Wie Abb. 1 zu entnehmen ist, besteht dieses Problem auch für andere etablierte Umfragen wie die GLES (2021) oder die Politbarometer-Kumulation (Politbarometer 2021).

Abb. 1
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– Fallzahlen pro Bundesland in überregionalen Umfragen im Vergleich. Eigene Darstellung. Datenbasis: ALLBUS 2021 (Gesis-Archivnr.: ZA5280), GLES 2021 (ZA7701), Politbarometer Kumulation (2021) (ZA7856). Hinweis: Angegeben wurden die gewichteten Fallzahlen

Vergleicht man die Werte für die Demokratiezufriedenheit in den Studien ALLBUS, GLES und der Politbarometer-Kumulation (siehe Abb. 2), treten die Probleme aufgrund der geringen Fallzahlen deutlich zutage. Konsistenz herrscht lediglich hinsichtlich der Ost-West-Unterschiede: Durchweg liegt die Demokratiezufriedenheit in den ostdeutschen Bundesländern etwa 10 Prozentpunkte niedriger als in den westdeutschen Ländern. Weitere regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern lassen sich hingegen nicht mit Sicherheit ausmachen, wie sich hinsichtlich des Niveaus der Demokratiezufriedenheit deutlich zeigt. Besonders deutlich wird dies an den extremen Werten für Bremen (95 %) und das Saarland (67 %) in der Analyse basierend auf den ALLBUS-Daten sichtbar. Auch variiert die Demokratiezufriedenheit – trotz Erhebung im gleichen Jahr (2021) – zum Beispiel in Hessen zwischen 69,8 % (Politbarometer) und 85 % (ALLBUS) und liegt somit in einer Umfrage am unteren, in der anderen Umfrage am oberen Rand der westdeutschen Bundesländer. Ursächlich für die Diskrepanzen dürften neben Aspekten der Operationalisierung (so wird die Demokratiezufriedenheit entweder als Dummy-Variable, als 5‑stufige oder als 6‑studige Skala erhoben) insbesondere die geringen Fallzahlen und die mangelnde Repräsentativität der Stichproben sein. Das Umfragedesign sieht nämlich in der Regel lediglich eine Repräsentativität auf nationaler Ebene und in den beiden Landesteilen (Ost- und Westdeutschland) vor – nicht jedoch für die einzelnen Bundesländer. Auf dieser Basis sind Analysen zu Ursachen demokratischer bzw. antidemokratischer Einstellungen weder für einzelne Bundesländer noch für einen Bundesländervergleich zuverlässig möglich.

Abb. 2
figure 2

– Demokratiezufriedenheit pro Bundesland in überregionalen Umfragen im Vergleich. Eigene Darstellung. Datenbasis: ALLBUS 2021 (Gesis-Archivnr.: ZA5280), GLES 2021 (ZA7701), Politbarometer Kumulation (2021) (ZA7856). Hinweis: Die Werte sind gewichtet

3 Ländermonitore als neuer „Datenbrunnen“ für die regional vergleichende politische Kulturforschung

Dass trotz dieser Widrigkeiten mittlerweile eine detaillierte Betrachtung der Tiefe des geographischen Raumes möglich geworden ist, ist dem Umstand zu verdanken, dass der Thüringen-Monitor – in gewisser Weise als „Ur-Monitor“ – erfreulicherweise Schule gemacht hat und für die Gründung zahlreicher weiterer Ländermonitore Pate stand. Ein Blick in Abb. 3 verdeutlicht, dass spätestens seit dem Jahr 2007 eine kontinuierliche Etablierung neuer Ländermonitore zu beobachten ist, die sich in der Summe mittlerweile auf elf regionale politische Kulturstudien beläuft. Zu diesen zählen das Demokratiemonitoring Baden-Württemberg, der Berlin- und Brandenburg-Monitor, die Hamburger Bürgerumfrage der Sozialwissenschaften, der Mecklenburg-Vorpommern-Monitor, der Niedersächsische Demokratie-Monitor sowie der Thüringen-Monitor. Zu den neun aufgezählten Studien kommen die gerade in der Planung beziehungsweise Umsetzung befindlichen Monitore für Nordrhein-WestfalenFootnote 3 und Rheinland-Pfalz. Blinde Flecken bestehen auf der Deutschlandkarte somit nur noch für Bayern, Bremen, Hessen, das Saarland sowie Schleswig-Holstein. Interessant ist zudem die Beobachtung, dass seit dem Jahr 2018 in allen ostdeutschen Bundesländern Regionalstudien existieren, wohingegen sich die Monitorquote in Westdeutschland – bei Ausschluss des Berliner Falles – lediglich auf 50 % beläuft.

Abb. 3
figure 3

– Entwicklung der Anzahl der Ländermonitore. Eigene Darstellung; Hinweis: abgetragen ist jeweils das Jahr der ersten Veröffentlichung

Eine ausführliche Übersicht aller regionalen Monitore geht aus Tab. 1 im Online-Anhang hervor. Es zeigt sich zunächst, dass nicht alle Erhebungen über einen genuin wissenschaftlichen Hintergrund verfügen und von Forschenden aus dem Bereich der Sozialwissenschaften angefertigt werden. Dies trifft auf den Brandenburg‑, Mecklenburg-Vorpommern- und Sachsen-Monitor zu. Aber auch hinsichtlich der Auftraggeber, Grundgesamtheiten (Wohn- vs. Wahlbevölkerung sowie 15 vs. 16 vs. 18 Jahre), Datenerhebungsverfahren (CATI vs. CAPI vs. CAWI sowie single- vs. dual-frame) sowie Erhebungsinstitute und -rhythmen (jährlich vs. zweijährlich vs. unregelmäßig) lassen sich Unterschiede beobachten. Für die Vergleichsperspektive ist indes viel wichtiger, dass zahlreiche Standardindikatoren der politischen Kulturforschung monitorübergreifend erhoben wurden (und werden). Unter den für eine Vergleichsperspektive geeigneten Items befinden sich unter anderem die Demokratieunterstützung und -zufriedenheit, die Bewertung alternativer Gesellschaftsformen, das Institutionenvertrauen sowie darüber hinaus Indikatoren, die politische Partizipation und Responsivität als auch Autoritarismus und Rechtsextremismus messen. Jenes Forschungspotenzial soll vom vorliegenden Special Issue aufgegriffen werden.

So ermöglichen sie im Unterschied zu existierenden Befragungen (u. a. ALLBUS) aufgrund der für die jeweilige Landesbevölkerung repräsentativen Erhebungen, Ursachen von demokratischen Einstellungen und Hochburgen für demokratieskeptische bzw. antidemokratische Einstellungen auf Bundesländer- bzw. kleinräumiger Ebene zu erfassen und intraregionale Unterschiede zu identifizieren. Der sonst eigentlich nur bei nationalen Erhebungen vorzufindende „Large-N-Vorteil“ kann somit auch auf der Bundesländerebene genutzt werden. Dieses Potenzial wird bisher kaum genutzt, da die Ländermonitore bisher überwiegend für die Politikberatung in den einzelnen Bundesländern verwendet werden.

4 Demokratische Einstellungen in den Bundesländern: Theoretische Annahmen

Ziel dieses Special Issues ist es, diesen – vergleichsweise neuen – Datenbrunnen der Ländermonitore bzw. regionalen Studien erstmals für vergleichende Analysen zu verwenden. Dabei liegt der Fokus auf den Einstellungen der Bürger:innen zur Demokratie. Dafür werden im Folgenden auf Basis des Forschungsstands die zentralen Annahmen für Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der politischen Kultur der Bundesländer herausgearbeitet.

Hinsichtlich des Niveaus der demokratischen Unterstützung in den Bundesländern stehen wie ausgeführt drei zentrale Einstellungen zur Demokratie im Zentrum: Erstens interessiert die Demokratieunterstützung als generelle und langfristige Unterstützung des politischen Regimes. Diese Legitimität der Demokratie wird in der Regel über die Bewertung der Idee der Demokratie als beste Staatsform gemessen. Empirische Untersuchungen zeigen regelmäßig sehr hohe Zustimmungswerte zur Idee der Demokratie in Ost- und Westdeutschland, sodass insgesamt eine sehr hohe Legitimität des politischen Systems zu konstatieren ist. Im Jahr 2022 hielten jeweils ca. 94 % der Ost- und Westdeutschen die Demokratie für die beste Staatsform (Decker et al. 2022; vgl. auch Best et al. 2023; Pickel und Pickel 2023). Gleichwohl hat Mannewitz (2013) auf Basis des ALLBUS 2008 deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern in der Demokratieunterstützung gezeigt. Danach schwankte diese signifikant zwischen den Extremwerten 83,3 % (Berlin Ost) und 100 % (Bremen). Angesichts der diskutierten Probleme der mangelnden Repräsentativität auf der Ebene der Bundesländer (vgl. Abschn. 2) und der insgesamt sehr hohen Demokratieunterstützung in aktuellen Befragungen ist jedoch zu hinterfragen, ob es sich tatsächlich um regionale Unterschiede in der Unterstützung für die Demokratie als Idee handelt oder ob diese Unterschiede auf methodische Aspekte (siehe Abschn. 2 und 6) zurückzuführend sind.

Zweitens wird die Demokratiezufriedenheit als eine spezifische Unterstützung des politischen Regimes untersucht (vgl. Singh und Mayne 2023). Die Zufriedenheit mit der Praxis der Demokratie ist im Zeitverlauf volatiler und auf einem deutlich niedrigeren Niveau als die Demokratieunterstützung, auch wenn sie in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch liegt (Tausendpfund 2021). Nach der Wiedervereinigung war die Demokratiezufriedenheit in Ostdeutschland zunächst mit einem Abstand von ungefähr 20 Prozentpunkten deutlich niedriger als in Westdeutschland. Seither stellen Studien – bei weiterhin bestehenden signifikanten Unterschieden von ca. 10 Prozentpunkten – in der Tendenz konvergente Entwicklungen fest (u. a. Decker et al. 2022; Holtmann und Jaeck 2015; Pickel und Pickel 2023; Tausendpfund 2021), wobei neuere Studien teilweise auch divergente Entwicklungen feststellen (u. a. Best et al. 2023). Neben der Ost-West-Dimension gibt es auch Hinweise auf weitere regionale Muster: So zeigt die Vertrauensstudie (Best et al. 2023) signifikante Nord-Süd-Unterschiede. Auch wenn die Analysen zur Demokratiezufriedenheit auf Basis der ALLBUS- und Politbarometer-Daten aufgrund der nicht repräsentativen Stichproben für die Bundesländer mit großer Vorsicht zu betrachten sind, verweisen die Ergebnisse ebenfalls auf gewisse regionalisierte Muster (vgl. Abb. 2 sowie Mannewitz 2013). Entsprechend werden hinsichtlich der Demokratiezufriedenheit Bundesländerunterschiede – auch jenseits der Ost-West-Dimension – erwartet.

Drittens fokussiert dieses Special Issue auf das Vertrauen in Institutionen als eine Form der Unterstützung politischer Autoritäten (vgl. u. a. Braithwaite und Levi 1998; Braun und Trüdinger 2023; Norris 2011). Studien zeigen regelmäßig, dass die Bürger:innen ein signifikant höheres Vertrauen in regulatorische Institutionen (u. a. Gerichte, Polizei) als in repräsentative Institutionen, wie Bundes‑, Landesregierung und Parlament, haben (Conradt 2015). Zudem verweisen aktuelle Untersuchungen auch darauf, dass Ostdeutsche weiterhin niedrigere Vertrauenswerte haben als Westdeutsche, auch wenn die Unterschiede geringer geworden sind (Braun und Trüdinger 2023; Zmerli 2020). Ähnlich wie bei der Demokratiezufriedenheit können aufgrund der unterschiedlichen politischen Systeme und der unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen systematische Bundesländerunterschiede vermutet werden.

Neben dem Niveau der Unterstützung der Demokratie fokussieren die Beiträge auf die zentralen Erklärungsfaktoren für die demokratischen Einstellungen in den Bundesländern. In der politischen Kulturforschung existieren mehrere etablierte Ansätze zur Erklärung demokratischer Einstellungen, die sich auch gegenseitig ergänzen (vgl. u. a. Gabriel 2007; Pickel und Pickel 2020, 2023; Westle 2022). Zur Erklärung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Bundesländern erscheinen vor allem sozialisationstheoretische Ansätze, politische Motivationsansätze sowie situations- und performanzbasierte Ansätze relevant.

Sozialisationstheoretische Ansätze gehen davon aus, dass politische Einstellungen und Orientierungen in der (Primär‑)Sozialisation vermittelt und angeeignet werden (Almond und Verba 1963; Gabriel 2007; Fuchs und Roller 2016; Braun und Trüdinger 2023). Infolgedessen entwickeln Bürger:innen, die unter vergleichbaren Sozialisationsbedingungen aufwachsen, ähnliche langfristige angelegte politische Einstellungen. Danach sind aufgrund der Sozialisation in einem autokratischen System und der damit fehlenden Internalisierung demokratischer Werte und Normen (Fuchs und Roller 2016; Gabriel 2007) geringere Zufriedenheits- und Vertrauenswerte in ost- als in westdeutschen Bundesländern zu erwarten. Zudem kann jedoch auch die Sozialisation in verschiedenen Bildungssystemen zu unterschiedlichen politischen Einstellungen führen (Henderson 2010). Insofern sind aufgrund des Bildungsföderalismus in Deutschland auch sozialisationsbedingte Unterschiede zwischen den Bundesländern möglich.

Politische Motivationsansätze fokussieren insbesondere auf den Einfluss psychologischer Prädispositionen und Ressourcen auf die Einstellungen gegenüber der Politik (Verba et al. 1995). Hierzu zählen u. a. die Bildung, finanzielle Ressourcen und die politische Involvierung (Campbell 2019). Generell wird von einem positiven Einfluss der politischen Motivation und der individuellen Ressourcen auf Einstellungen zur Demokratie ausgegangen. Angesichts existierender Bundesländerunterschiede in der Ressourcenausstattung, u. a. im Bildungsgrad (Statista 2022), sind entsprechend auch regionale Unterschiede in den Einstellungen zur Demokratie erwartbar.

Situations- und performanzbasierte Ansätze verweisen auf die Bedeutung, auch kurzfristiger, ökonomischer und struktureller Bedingungen für politische Einstellungen (z. B. Clarke et al. 1993; Lange 2018; Quaranta und Martini 2016; Pollack 2000; Tausendpfund 2021). Demnach wäre zu erwarten, dass in Bundesländern mit schlechteren sozioökonomischen Rahmenbedingungen die Demokratiezufriedenheit und das Vertrauen in Institutionen geringer ausfällt als in Bundesländern mit besseren Voraussetzungen. Neben den ökonomischen Rahmenbedingungen kann sich auch die politische Performanz auf die demokratischen Einstellungen auswirken. Während schlechte Regierungsführung die politische Unterstützung beschädigen kann (van der Meer und Hakhverdian 2017), können politische Selbstwirksamkeit (political efficacy) und Responsivität der Regierung gegenüber der Bevölkerung die Zufriedenheit mit Demokratie und das Vertrauen in Institutionen erhöhen (Maier 2000). Bei schlechter politischer Performanz sind somit niedrigere Werte für die Demokratiezufriedenheit und das Institutionenvertrauen in den Bundesländern zu erwarten.

Des Weiteren wird in der Literatur die These der relativen Deprivation vertreten (Wegener und Liebig 2000). Danach ist die Unzufriedenheit mit der Demokratie nicht so sehr auf die sozioökonomische Situation der einzelnen Personen zurückzuführen, sondern vielmehr auf das Gefühl der Benachteiligung gegenüber anderen (Kollmorgen 2015; Neller 2006, S. 217; Pickel und Pickel 2023). Das wahrgenommene Gefühl der Benachteiligung kann sich dabei diffus, aber auch spezifisch über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe äußern. In diesem Kontext wird insbesondere die Ostdeprivation angeführt, die das Gefühl beschreibt, dass sich Ostdeutsche benachteiligt oder als „Menschen zweiter Klasse“ fühlen (Best 2018, S. 104). Neuere Studien zeigen, dass noch heute mehr als die Hälfte der Ostdeutschen kollektive Benachteiligung und Ausgrenzung empfinden (Kollmorgen 2015; Miethe 2019, S. 61; Weisskircher 2020). In Bezug auf diese kollektive Deprivation sind v. a. Ost-West-Unterschiede zu erwarten, während hinsichtlich der individuellen Deprivationserfahrungen durchaus Bundesländerunterschiede auch jenseits der Ost-West-Dimension erwartbar sind.

Die Bedeutung sozialräumlicher Faktoren und ihrer Wahrnehmung für demokratische Einstellungen wird in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund sogenannter „abgehängter“ ländlicher bzw. peripherer Regionen intensiv diskutiert (vgl. u. a. Arzheimer und Bernemann 2023; de Lange et al. 2022; Dijkstra et al. 2020; McKay et al. 2021; Reiser et al. 2023). Diese seien durch einen langfristigen wirtschaftlichen Niedergang, eine schlechte Infrastrukturanbindung, Abwanderung und Überalterung charakterisiert (u. a. de Lange 2022; Diermeier 2020; Hannemann et al. 2023; Rodríguez-Pose 2018). Dieses Gefühl des Abgehängtseins wirkt sich auch auf die Einstellungen der Bevölkerung zur Demokratie aus (Lago 2022; Reiser et al. 2023). Vor diesem Hintergrund sind neben Unterschieden zwischen Bundesländern auch Unterschiede innerhalb von Bundesländern zu erwarten.

5 Die Beiträge des Special Issues im Einzelnen

Die empirischen Analysen in diesem Special Issue basieren auf den regionalen Daten und Länderexpertisen der in den vergangenen Jahren entstandenen Ländermonitore (z. B. Berlin-Monitor, Niedersächsischer Demokratie-Monitor, Sachsen-Anhalt Monitor, Thüringen-Monitor) sowie vergleichbaren Einzeluntersuchungen (z. B. Umfrage Demokratie und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg, MIDEM Sachsen, Ruhrgebietsstudie der FES).

Im Mittelpunkt der Analyse zur politischen Kultur in Baden-Württemberg von Angelika Vetter und Frank Brettschneider stehen die Demokratiezufriedenheit und das Vertrauen in den Landtag sowie die Landesregierung. Sowohl Demokratiezufriedenheit (2022: 64 %, 2021: 71 %) als auch das Vertrauen in die politischen Institutionen sind auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Neben signifikanten Effekten der standardmäßigen Einflussfaktoren (u. a. Einschätzung der wirtschaftlichen Lage, externe und interne Effektivität sowie politisches Interesse), zeigt die Studie die Bedeutung der Input-Dimension. Zentrales Thema der Analyse ist die Erforschung der Auswirkungen dialogischer Bürger:innenbeteiligung auf die Demokratiezufriedenheit und das Institutionenvertrauen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Prozess- und Ergebniszufriedenheit, die von Vetter und Brettschneider eingehend untersucht werden. Eine wichtige Erkenntnis ihrer Studie ist, dass nicht die bloße Teilnahme an dialogischer Bürger:innenbeteiligung an sich zu einer höheren Demokratiezufriedenheit führt, sondern vielmehr die Zufriedenheit sowohl mit dem Prozess als auch mit dem Ergebnis. Im Gegensatz dazu zeigen Befragte, die mit dem Prozess und dem Ergebnis unzufrieden sind, sogar eine geringere Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie als Personen, die nicht an der Bürger:innenbeteiligung teilgenommen haben. Im Unterschied zu früheren Untersuchungen (etwa Esaiasson et al. 2019) erweist sich die Bewertung der Prozessqualität zudem als wichtiger als die Ergebnisbewertung.

Für den Fall der „multikulturellen Stadtgesellschaft“ Berlin präsentieren Gert Pickel, Kazim Celik und Oliver Decker ihre Analyse basierend auf Daten des Berlin-Monitors 2021 (N = 2035). Die Autoren untersuchen dabei die Zufriedenheit mit der Demokratie, die Unterstützung für die Idee der Demokratie sowie für alternative nicht-demokratische Gesellschaftsformen. Obwohl Unterschiede im Niveau der politischen Unterstützung zwischen Berlin und dem Bund auszumachen sind und sowohl Demokratieunterstützung als auch -zufriedenheit 10 bis 12 Prozentpunkte über gesamtdeutschem Niveau liegen, zeigen vertiefende Analysen kaum Unterschiede in den Prädiktoren. Sozialpsychologische Faktoren wie Autoritarismus, Verschwörungsmentalität und soziale Dominanzorientierung üben einen entscheidenden Einfluss auf die Unterstützung und Zufriedenheit mit der Demokratie aus. Daher tragen ihre Erkenntnisse dazu bei, insbesondere die Erklärungskraft der diffusen politischen Unterstützung zu erhöhen.

Philipp Harfst, Simon T. Franzmann, Joschua Helmer und Steffen M. Kühnel gehen anhand der Daten des Niedersächsischen Demokratie-Monitors 2021 (N = 1001) insbesondere der Frage nach, wie die Zufriedenheit mit den Corona-Maßnahmen – auch in Abhängigkeit von populistischen Einstellungen – die Demokratiezufriedenheit und das Institutionenvertrauen in Niedersachsen beeinflusst. Damit legen sie den Fokus auf einen weiteren performanzbezogenen Faktor: das Krisenmanagement – ein Aspekt, der in Zeiten der Polykrise der vergangenen Jahre von großer Wichtigkeit ist. In Übereinstimmung mit der sogenannten „Policy-Feedback-Hypothese“ korreliert die Zufriedenheit mit der Corona-Politik sowohl der Bundes- als auch der Landesebene positiv mit der Demokratiezufriedenheit und dem Vertrauen in die jeweilige Regierung. Mithilfe von Interaktionsmodellen kann weiterhin gezeigt werden, dass populistische Einstellungen den negativen Effekt der Unzufriedenheit mit den Corona-Maßnahmen auf die Systemunterstützung verstärken.

Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen untersucht der Beitrag von Anne Küppers und Frank Decker nicht das gesamte Bundesland Nordrhein-Westfalen, sondern mit dem Ruhrgebiet eine wichtige Region innerhalb dieses Bundeslandes. Neben seiner hohen urbanen Dichte zeichnet sich das Ruhrgebiet seit dem Niedergang der Montanindustrie durch hohe Arbeitslosigkeit, Armutsgefährdung und eine soziale Spaltung entlang der auch als „Sozialäquator“ (Bogumil et al. 2012) bekannten Autobahn A40 aus. Anne Küppers und Frank Decker haben sich in ihrer Untersuchung daher der Demokratiezufriedenheit und des Institutionenvertrauens im Ruhrgebiet gewidmet. Neben den politischen Erklärungsfaktoren, wie der Zufriedenheit mit bestehenden Partizipationsmöglichkeiten und der Gewinnerhypothese, analysiert der Beitrag die für diese Region besonders wichtigen sozialen Performanzaspekte, wie die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit und die Zufriedenheit mit den Leistungen des Sozialstaates. Die Unzufriedenheit mit den Leistungen des Sozialstaats zeigt einen klaren negativen Effekt auf die Demokratiezufriedenheit und das Institutionenvertrauen. Interessanterweise offenbart die Studie trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Ruhrgebiets, dass es in Bezug auf Demokratiezufriedenheit und politisches Vertrauen nicht hinter dem bundesweiten Niveau zurückliegt.

Kerstin Völkls Untersuchung der politischen Kultur in Sachsen-Anhalt basiert auf einer umfassenden Längsschnittanalyse, die auf sechs Wellen des Sachsen-Anhalt-Monitors beruht. Jede dieser Wellen beinhaltete etwa 1000 Befragte. Während die Unterstützung für die Idee der Demokratie mit 93 % (im Jahr 2020) – wie auch in den anderen Regionalstudien – sehr hoch liegt, sind nur 62 % der Befragten mit der Demokratie zufrieden und weniger als vier von zehn Befragten vertrauen der Bundesregierung. Die spezifischen und akteursbezogenen Unterstützungsformen der Demokratiezufriedenheit und des Institutionenvertrauens können am besten durch performanzbasierte Faktoren wie die Bewertung der wirtschaftlichen Lage, die Deprivationsthese sowie akteursbasierte Ansätze erklärt werden. Hingegen lässt sich die diffuse politische Unterstützung besser durch politische Motivations- und Sozialisationsansätze wie Politikinteresse und Generationenzugehörigkeit erklären. Personen, die zur Wende- bzw. Nachwendezeit sozialisiert wurden, zeigen eine geringere politische Unterstützung. Insofern bestätigen sich langfristig wirkende Effekte der Sozialisation und die Bedeutung regionalspezifischer Erklärungsfaktoren.

Mithilfe der Daten des Sachsen-Monitors 2021/22 sowie der CoviSax-Erhebung des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) zeigen Hans Vorländer und Maik Herold, dass in Sachsen die Unterstützung für die Demokratie als Staatsidee mit über 90 % auf einem sehr hohen Niveau liegt. Demokratiezufriedenheit und Vertrauen in die Bundesregierung fallen dagegen schwächer aus und liegen mit 58 respektive 39 % auf einem vergleichbaren Niveau wie im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt. Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie und ein geringes Institutionenvertrauen lassen sich in Sachsen durch die Angst vor sozialem Abstieg und ein Gefühl mangelnder politischer Selbstwirksamkeit erklären. Gleichzeitig spielen mit dem Einfluss der Ostdeprivation auch regionalspezifische Faktoren eine Rolle. Ethnozentrische oder neo-nationalsozialistische Einstellungen erweisen sich als hemmend für Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen, sie beeinflussen jedoch die Präferenz für direktdemokratische Entscheidungsverfahren positiv.

Die Untersuchung zu den demokratischen Einstellungen im Freistaat Thüringen durch Jörg Hebenstreit und Marion Reiser kann mit dem Thüringen-Monitor auf die längste Datenreihe zur regionalen politischen Kultur in Deutschland zurückgreifen. Die Längsschnittanalyse von 2000–2022 offenbart eine stabile und in der Tendenz ansteigende Demokratieunterstützung. Im Jahr 2022 ist im Zuge der Polykrise jedoch ein deutlicher Einbruch bei der Demokratiezufriedenheit (von 65 auf 48 %) und dem Vertrauen in politiknahe Institutionen zu verzeichnen, womit die politische Unterstützung wieder auf das Niveau des ersten Ergebungsjahre zurückfällt. In der Querschnittsanalyse der Daten aus dem Jahr 2022 finden die Autor:innen einerseits Belege für performanzbasierte Erklärungsansätze sowie für die Deprivationshypothese, indem sich die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage, individuelle wirtschaftliche Deprivation und Responsivitätswahrnehmung als wichtige Determinanten der spezifischen und akteursbezogenen politischen Unterstützung erweisen. Andererseits zeigen sich regionalspezifische Erklärungsfaktoren, indem sich etwa die Sozialisationshypothese für die Erklärung der Unterstützung der Demokratie als Idee bestätigt und die Ostdeprivation einen signifikanten Einfluss auf die Demokratiezufriedenheit ausübt.

6 Demokratische Einstellungen in den Bundesländern: Zentrale Erkenntnisse

Auf Basis der Länderstudien wird im Folgenden herausgearbeitet, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den untersuchten Bundesländern und Regionen hinsichtlich des Niveaus der Unterstützung der Demokratie sowie hinsichtlich der zentralen Erklärungsfaktoren für diese demokratischen Einstellungen bestehen und inwiefern sich die Ländermonitore für die vergleichende regionale politische Kulturforschung eignen.

Die regionalen Studien zeigen hinsichtlich der Legitimität der Demokratie, also der Frage nach der diffusen Unterstützung für die Idee der Demokratie, kaum Unterschiede zwischen den Bundesländern. Zwar wurde die Frage lediglich in vier der sieben Ländermonitore (Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) erhoben. Dort zeigt sich aber ein einheitliches Bild, da die Unterstützung im Jahr 2021 durchweg bei mehr als 90 % liegt. Diese sehr hohe Legitimität der Demokratie ist in Übereinstimmung mit deutschlandweiten Befragungen (vgl. u. a. ALLBUS 2021) und erwartungsgemäß bestehen keine bzw. nur geringe Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern.

Eine deutlich größere regionale Varianz zeigt sich hingegen sowohl beim Niveau der Demokratiezufriedenheit, das zwischen den Extremwerten 48 % (Thüringen, 2022) und 70 % (Berlin, 2021) variiert, sowie beim Institutionenvertrauen. So nimmt beispielsweise das Vertrauen in die Bundesregierung Werte zwischen 22 % (Thüringen, 2022) und 70 % (Niedersachen, 2021) ein. Auffällig ist zudem, dass es auch innerhalb des „Ostens“ und innerhalb des „Westens“ noch einmal merkliche Unterschiede im Niveau der spezifischen bzw. akteursbezogenen politischen Unterstützung gibt: So schwanken die Werte für die Demokratiezufriedenheit in den westdeutschen Bundesländern zwischen 50 % (Niedersachsen, 2021)Footnote 4 bzw. 55 % (Ruhrgebiet, 2019) auf der einen und 71 % in Baden-Württemberg 2021 auf der anderen Seite. Werte für das Vertrauen in die Bundesregierung etwa variieren im Osten zwischen 22 % (Thüringen, 2022) und 39 % in Sachsen im Winter 2021/22.

Einem systematischen bundesländerübergreifenden Vergleich und einer Interpretation dieser Ergebnisse stehen jedoch die doppelte methodische Heterogenität von Datenerhebung und Operationalisierung der regionalen Erhebungen entgegen (vgl. hierzu auch Tab. 2 im Online-Anhang). Neben der bereits angesprochenen Diversität von Grundgesamtheiten sowie Datenerhebungsverfahren, -instituten und -rhythmen (vgl. Abschn. 3), erschweren insbesondere uneinheitliche Fragetexte und Antwortskalierungen einen Vergleich der Studienergebnisse (siehe für Auswirkungen des question wording auf das Antwortverhalten z. B. Meijers und van der Velden 2023; Schuldt et al. 2011; für Antwortskaleneffekte z. B. Schwarz et al. 1985, 1991). Am deutlichsten treten die Unterschiede beim Institutionenvertrauen hervor, bei welchem sich nicht nur die einleitenden Fragetexte, sondern auch die Anzahl der Skalenstufen, deren Beschriftung sowie die Verwendung von Residualkategorien unterscheiden.Footnote 5 Inwieweit es sich daher bei den hier berichteten Werten tatsächlich um regionale Unterschiede handelt oder ob diese vorwiegend durch die methodischen Unterschiede etwa in Datenerhebungsmethode und -zeitpunkt sowie Operationalisierung (vgl. hierzu auch die Tabellen 1 und 2 im Online-Anhang) erklärt werden können, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen.

Gleichzeitig offenbaren die Analysen zur Demokratiezufriedenheit aber eine Stärke der regionalen Studien zur politischen Kultur: nämlich die Möglichkeit, die Einstellungen zur Demokratie (oder etwa auch demokratiegefährdende Einstellungen) im Zeitverlauf abzubilden und so gegebenenfalls frühzeitig auf problematische Entwicklungen zur reagieren. Insbesondere die beiden ältesten Ländermonitore in Thüringen und Sachsen-Anhalt sind hierfür gelungene Beispiele. Entsprechend der Leistungsabhängigkeit der spezifischen Unterstützung für die Demokratie (Easton 1975; Fuchs 1989; Quaranta und Martini 2016) ist diese sowohl in Thüringen als auch in Sachsen-Anhalt entsprechend durch eine hohe Volatilität charakterisiert (siehe dazu die Beiträge von Völkl sowie Hebenstreit und Reiser in diesem Special Issue). Der Einbruch der Demokratiezufriedenheit um 17 ProzentpunkteFootnote 6 von 65 (2021) auf 48 % im Jahr 2022 in Thüringen ist dementsprechend auch als Folge der Polykrise aus russischem Angriffskrieg auf die Ukraine, Inflation und hohen Energiepreisen zu sehen (Reiser et al. 2023; Hebenstreit und Reiser in diesem Band). Darin zeigt sich auch das Potenzial dieser Ländermonitore für die Untersuchung von Auswirkungen und Effekten von Krisen auf die (regionale) politische Kultur.

Vergleicht man die Erklärungsfaktoren für die diffuse Unterstützung der Demokratie, lässt sich die Leistungsunabhängigkeit dieser Unterstützungsform (Claassen und Magalhães 2021; Easton 1975) im Wesentlichen bestätigen – obschon etwa die Bewertung der wirtschaftlichen Lage in manchen der Analysen (schwach) signifikant ist. Vor allem die politische Ressourcenausstattung (etwa politisches Interesse, internal Efficacy) erweisen sich als Prädiktoren, ebenso wie Sozialisationseffekte. Gemein ist den Modellen zudem ihre im Vergleich zur Analyse der spezifischen Unterstützung schwache Erklärungskraft, die sich allerdings, wie Pickel, Celik und Decker in der Analyse Berlins ausführen, durch die Aufnahme sozialpsychologische Faktoren sowie Einstellungen aus dem Bereich der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (etwa Antisemitismus oder anti-schwarzer Rassismus) deutlich verbessern lässt.

In Bezug auf die Erklärungsfaktoren für die Demokratiezufriedenheit erweisen sich performanzbasierte Erklärungen trotz unterschiedlicher Schwerpunkte und Messinstrumente als gemeinsamer Nenner sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland. Die Performanz wurde dabei auf vielfältige Weise gemessen, darunter wirtschaftliche Indikatoren auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene (etwa wirtschaftliche Lage, Entwicklung der eigenen Stadt oder Gemeinde), Corona-Politik (in Niedersachsen) oder sozialstaatliche Leistungen (im Ruhrgebiet). Eine größere Heterogenität besteht in den abgefragten „politischen“ Faktoren, die sich etwa in politische Ressourcenausstattung, Responsivitätswahrnehmung, Wahlverhalten, Vertrauen sowie anti-demokratische Einstellungen unterscheiden lassen. Einzige Gemeinsamkeit zwischen den Bundesländern ist, dass die external Efficacy bzw. Responsivitätswahrnehmung (mit zwei Ausnahmen) überall signifikant ist.Footnote 7 Auch Wahlverhalten (in Form der sogenannten „Gewinnerhypothese“ oder als Nichtwahl operationalisiert) sowie die politische Ressourcenausstattung sind in jeweils drei Fällen signifikant mit der Demokratiezufriedenheit assoziiert. Hingegen spielen soziodemographische Faktoren – abgesehen von der formalen Bildung – in der Regel keine signifikante Rolle.

Die Studien zeigen auch regionalspezifische Erklärungsfaktoren: Hinsichtlich der Demokratiezufriedenheit finden sich Alterseffekte nur in den ostdeutschen Bundesländern (einschließlich Berlin), was für Sozialisationseffekte spricht. Auch der Einfluss der Ostdeprivation, der Bewertung der DDR und die individuelle wirtschaftliche Lage sind nur in den östlichen Bundesländern als Erklärungsfaktoren signifikant. Dies verweist auf langfristige Sozialisationseffekte und Langzeitwirkungen der Transformation. Insofern bestätigen sich auch in der vergleichenden Analyse der Ländermonitore weiterhin bestehende Ost-West-Unterschiede in der politischen Kultur anderer Studien (vgl. Enders et al. 2021; Pickel und Pickel 2023). Gleichzeitig ist jedoch zu beachten, dass in den ostdeutschen Monitoren im Vergleich zu den „West“-Monitoren kollektive und individuelle Deprivationserfahrungen auch deutlich umfassender und differenzierter abgefragt werden (vgl. Tab. 3 im Online-Anhang). Vor dem Hintergrund, dass aber auch andere Regionen innerhalb Deutschlands wie etwa das Ruhrgebiet von Arbeitslosigkeit, Armutsgefährdung und Transformationserfahrungen (vgl. Beitrag von Küppers und Decker in diesem Special Issue) betroffen sind, würde sich eine verstärkte Betrachtung dieser Faktoren auch in den anderen Länderstudien anbieten. Insofern liegt eine weitere Stärke der Länderstudien in der Möglichkeit, regionenspezifische Erklärungsfaktoren in der Analyse der politischen Unterstützung zu berücksichtigen und damit im Umkehrschluss auch interregionale Vergleiche anstellen zu können.

Last but not least zeigen die Analysen auf Basis der regionalen Monitore, intraregionale Unterschiede in der politischen Kultur der einzelnen Bundesländer. Hier konnte im Rahmen dieses Special Issues im Fall Sachsen etwa Unterschiede zwischen ländlich-peripheren und städtischen Räumen aufgezeigt werden, wobei insbesondere die Mittelstädte durch demokratieskeptische Einstellungen auffielen. Eine Notwendigkeit solcher Analysen sind allerdings repräsentative Samples für die Subregionen, wie sie etwa auch im Thüringen-Monitor 2022 (vgl. Reiser et al. 2023) erhoben wurden, womit u. a. erhebliche Unterschiede in der Demokratiezufriedenheit und im Institutionenvertrauen zwischen städtischen und extrem ländlichen Regionen gezeigt werden konnten. Auch der Niedersächsische Demokratie-Monitor verweist auf regionale Unterschiede in den Einstellungen zur Demokratie (vgl. Schenke et al. 2021). Damit heben die Analysen der Ländermonitore neben Gemeinsamkeiten in den demokratischen Einstellungen auch regionale Spezifika und Unterschiede sowohl zwischen Ost- und Westdeutschland, zwischen den Bundesländern als auch innerhalb der Bundesländer hervor.

7 Regionale politische Kulturen? Fazit und Ausblick

Ziel dieses Special Issues war es, die demokratischen Einstellungen in den Bundesländern auf Basis der in den vergangenen Jahren neu entstandenen Ländermonitoren vergleichend zu analysieren. Die empirischen Ergebnisse zum Niveau der drei zentralen Einstellungen zur Demokratie – Demokratieunterstützung, Demokratiezufriedenheit und Vertrauen in die staatlichen Institutionen – zeigen einerseits große Gemeinsamkeiten. Neben der flächendeckend sehr hohen Legitimität der Demokratie kristallisieren sich in den Bundesländern zwei zentrale Erklärungsfaktoren für Demokratiezufriedenheit heraus. Dies sind in Übereinstimmung mit anderen Studien (vgl. u. a. Hebenstreit et al. 2022; Quaranta und Martini 2016; Tausendpfund 2021) die wirtschaftliche Performanz sowie die externe Selbstwirksamkeit. Innerhalb der ostdeutschen Bundesländer zeigen sich einheitlich auch Sozialisationseffekte sowie mit den Transformationsprozessen im Zusammenhang stehende Deprivationserfahrungen als bedeutsam und bestätigen somit vorliegende Erkenntnisse zum Ost-West-Vergleich (vgl. u. a. Pickel und Pickel 2023; Reiser und Reiter 2023). Andererseits lassen sich auch größere Unterschiede zwischen den Bundesländern beobachten hinsichtlich des Niveaus von Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen. Es muss jedoch an dieser Stelle offenbleiben, ob dafür regionale Faktoren ursächlich sind oder die methodische Heterogenität der Ländermonitore (vgl. Tab. 2 im Online-Anhang).

Unabhängig von dieser Limitierung bietet die Analyse der Ländermonitore, wie dieses Special Issue zeigt, gleich mehrere Potenziale: Als reicher Datenbrunnen mit für die jeweiligen Landesbevölkerungen repräsentativen Erhebungen mit Stichprobenumfängen, die den üblichen demoskopischen Standards entsprechen, überführen die Ländermonitore den „large-N-Vorteil“ von der Bundesebene nun auf die Landesebene. Damit werden erstmals statisch belastbare Aussagen auch für regionale Einheiten unterhalb der üblichen Bundes- als auch Ost-West-Ebene möglich, die Datenquellen wie ALLBUS, GLES oder Politbarometer aufgrund unzureichender Fallzahlen und mangelnder Repräsentativität nicht erlauben. Da, mit Ausnahme der Ruhrgebietsstudie, in sämtlichen Fällen bereits mehrere Wellen erhoben wurden, sind Analysen in der Tiefe des geographischen Raumes nicht nur im Quer- sondern mittlerweile auch im Längsschnitt möglich. Hinzu kommt, dass in manchen Fällen (so z. B. Sachsen oder Thüringen) aufgrund der Erhebung von Regionalisierungsvariablen innerhalb des Untersuchungsgebietes belastbare intraregionale Analysen möglich werden, die unser Verständnis über lokale und regionale Spezifika der politischen Kultur(en) grundlegend erweitern. Trotz aller methodischer Heterogenität der unterschiedlichen Ländermonitore, konnten im vorliegenden Special Issue ebenfalls die Potenziale für inter-regionale Vergleiche angedeutet werden. Unabhängig davon bieten die existierenden Monitorstudien sowohl aus inhaltlicher als auch methodischer Perspektive zahlreiche neue, innovative sowie spannende Zugänge. Inhaltlich sei hier beispielsweise auf die Schwerpunkte Corona (Niedersachsen), soziale Ungleichheit (Ruhrgebiet) oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie anti-schwarzer Rassismus (Berlin) verwiesen. Länderstudien können daher gezielt auf regionale Spezifika eingehen, die für die Bundesebene möglicherweise unbedeutend sind und aus diesem Grund auch nicht von den großen Mehrthemenumfragen wie z. B. dem ALLBUS abgedeckt werden. Dieser Gedanke lässt sich aber nicht nur auf horizontale Unterschiede zwischen den einzelnen Ebenen, sondern auch auf die vertikale Länderperspektive übertragen. So ist zu erwarten, dass auch auf Ebene der Bundesländer unterschiedliche Themen wichtig sind und eine Metropole wie Berlin zumindest teilweise andere Problemlagen zu bewältigen hat als das ländlich geprägte Thüringen. Methodisch werden in den Ländermonitoren darüber hinaus vielfach neue Wording- oder Skalierungsvarianten sowie bisweilen gänzlich neue Items getestet. An dieser Stelle sei auf die Messung zur Teilnahme an dialogischer Bürger:innenbeteiligung sowie die damit in Zusammenhang stehende Zufriedenheit mit Verfahren und Ergebnis im Falle des „Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg“ verwiesen. Schließlich stellen die Ländermonitore eine wertvolle Ergänzung für vorwiegend holistisch sowie kulturalistisch orientierte Länderkunde-Beiträgen dar (siehe u. a. Jesse 2016; Rohe 1984; Wehling 1984).

In der Gesamtschau wäre es aufgrund der geschilderten Heterogenitäten wünschenswert, wenn künftig eine größere Vereinheitlichung der Erhebungsinstrumente erreicht werden könnte. Ein gemeinsames Standbein von beispielsweise 10 bis 15 einheitlichen Fragen, könnte zu einer weiteren qualitativen Verbesserung der regionalen politischen Kulturforschung beitragen und diese auf eine gänzlich neue Stufe heben. Das vorliegende Special Issue versteht sich als Aufruf als auch als ersten Schritt für eine diesbezügliche (methodische) Annäherung der Ländermonitore. Erstrebenswert wäre in diesem Zusammenhang auch, dass die bestehenden „blinden Flecken“ auf der Monitorlandkarte in den nächsten Jahren behoben werden und auch für Bayern, Bremen, Hessen, das Saarland sowie Schleswig-Holstein regionale Studien zur politischen Kultur entstehen.