1 Einleitung

In den jüngsten Debatten um Kreisgebietsreformen in Brandenburg und Thüringen wurde von Opposition und anderen Gegnern der Reformen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) in beiden Ländern – ein altes Argument mobilisiert: Die Größe territorialer Einheiten und Verwaltungszuschnitte präge das Partizipationsverhalten der BürgerInnen. Große Verwaltungseinheiten schwächten demnach die Identifikation der BürgerInnen mit dem Gemeinwesen und damit auch das Wahlverhalten auf anderen Ebenen. Dabei wurde auch im wissenschaftlichen Diskurs ein Zusammenhang von AfD-Wahlerfolgen in Bundesländern mit erfolgten Gebietsreformen hergestellt (Rösel und Sonnenburg 2016). Diese auch in den Anhörungen in den Landtagsausschüssen der jeweiligen Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten Argumente (siehe bspw. Landtag Brandenburg 2017) blieben nicht ohne Wirkungen. Nach der Bundestagswahl 2017 wurden beide Reformvorhaben ausgesetzt.

Die Frage nach der Größe lokaler Einheiten und deren Auswirkungen auf die vor Ort wahrgenommene und praktizierte Demokratie sowie deren Effekte auf höhere politische Ebenen hat eine lange politikwissenschaftliche Tradition (Dahl und Tufte 1974; Denters et al. 2014). Die durchaus widersprüchlichen empirischen Erkenntnisse entstammen unterschiedlichen Ländern sowie Zeitperioden und variieren dabei vergleichsweise stark. Teile dieser Varianz können sicherlich über die unterschiedlichen Konzeptualisierungen und Messungen der abhängigen Variablen (Wahlverhalten, Demokratiezufriedenheit, Partizipation, etc.) und die verschiedenen Aggregationsebenen (Makro- oder Mikrodaten) erklärt werden, abschließende Gewissheit beispielsweise über die Effekte von Gebietsfusionen auf die Demokratiequalität herrscht allerdings keineswegs.

In den aktuellen Debatten werden dabei – neben der unzureichenden Kontrolle alternativer Erklärungen – zwei Sachverhalte nicht hinreichend unterschieden: die Effekte von Reformen über Zeit und der Einfluss der Kreisgröße selbst. Erstere können angesichts der Abneigung der Bevölkerung gegenüber Veränderungen kurzfristig zu geringer Akzeptanz von Reformen unabhängig von deren Inhalt führen. Explizit dem Effekt der Kreisgröße an sich auf das Wahlverhalten in Deutschland widmet sich dagegen dieser Beitrag. Um feststellen zu können, ob eine systematische Varianz zwischen der Größe eines Landkreises und dem Wahlverhalten vorliegt, werden die Wahlergebnisse der Bundestagswahl 2017 mit strukturellen und sozioökonomischen Faktoren kombiniert. Da das Wahlverhalten in der vorliegenden Argumentation als Proxy für die Artikulation einer generellen politischen Unzufriedenheit dient und damit nicht an die Wahlen auf Kreisebene gebunden ist, ermöglicht die Bundestagswahl eine über die Beobachtungseinheiten hinweg homogene Erfassung von Wählerpräferenzen. Als abhängige Variablen werden dabei einerseits die Wahlbeteiligung und andererseits die konkrete Wahlentscheidung für die AfD herangezogen, auch wenn diese niederschwellige Beteiligungsformen darstellen. Gerade die unter Kosten-Nutzen-Aspekten gesehene Anspruchslosigkeit des Wahlakts macht diesen aber zu einem sensiblen Indikator für mögliche politische Desintegrationserscheinungen. Mit dieser Herangehensweise kann der empirische Gehalt der Argumente zu Größeneffekten direkt untersucht werden, um die sich die Debatte zur Reform lokaler Einheiten – implizit oder explizit – dreht. So soll eine teils zunehmend emotional und normativ geführte Debatte (Landtag Brandenburg 2017) empirisch versachlicht werden und unterschiedliche wissenschaftliche Annahmen zur sozialintegrativen Bedeutung der Kreisebene (z. B. Kuhlmann et al. 2018; Rösel und Sonnenburg 2016) für BürgerInnen getestet werden.

Dazu werden im Folgenden zunächst die Konturen der politikwissenschaftlichen Debatte um Größe und Demokratiequalität eingeführt (Abschn. 2), um darauf aufbauend die theoretischen Annahmen des Beitrags zu explizieren und die der empirischen Analyse zugrunde gelegten Hypothesen zu begründen (Abschn. 3). Nach einer Diskussion des methodischen Vorgehens (Abschn. 4) werden die Ergebnisse der Analyse vorgestellt (Abschn. 5) und abschließend diskutiert (Abschn. 6).

2 Aktualität und Konturen der Debatte

Vor dem Hintergrund der Tendenz in vielen Staaten, über Gebietsreformen zu leistungsfähigeren administrativen Einheiten zu gelangen (Blom-Hansen et al. 2016; Ebinger et al. 2019; Steiner und Kaiser 2017), hat das Thema der „optimalen Gebietsgröße“ eine neue Aktualität erhalten (Denters et al. 2014). Obwohl theoretisch recht stringente Argumente zu den Effekten von Gebietsgrößen vorliegen, existieren in der Empirie keine klaren und belastbaren Erkenntnisse darüber, dass größere Einheiten tatsächlich zwangsläufig wirtschaftlicher und effizienter arbeiten (Kuhlmann et al. 2018, S. 49–60). Noch weniger eindeutig sind die Erkenntnisse darüber, ob und unter welchen Rahmenbedingungen die Beteiligung von BürgerInnen in zivilgesellschaftlichen Organisationen, ehrenamtliches Engagement oder politische Partizipation unter der abnehmenden „Integrationskraft“ (Wagener 1969) großer Gebietseinheiten leiden.

In der internationalen Forschung überwiegen Befunde, die eine geringere Wahlbeteiligung in größeren Einheiten – teils auch über Ebenen hinweg – nahelegen: Cancela und Geys (2016) werten in einer Metastudie 36 Studien aus und finden in 25 einen negativen Zusammenhang von Bevölkerungsgröße und Wahlbeteiligung bei subnationalen Einheiten. Van Houwelingen (2017) kommt nach einer Auswertung von 15 Studien, die sich auf die subnationale Ebene konzentrieren und verschiedene Formen politischer Partizipation berücksichtigen, zu dem Schluss, „je größer die Gemeinde, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sich Personen an der Gemeindepolitik beteiligen“ (van Houwelingen 2017, S. 418). Kuhlmann et al. (2018) widmen sich in einer Metastudie unter anderem dem Einfluss der Kreisgebietsgröße bzw. deren Reform auf die politische Partizipation. Allerdings bewerten sie die Ergebnisse für den europäischen Raum anders: „Zwar gibt es einige indirekte und wenige direkte Effekte der Gebietsgröße auf verschiedene Aspekte von Partizipation. Aber insgesamt darf der Einfluss von Gebietsveränderungen auf die Ausübung demokratischer Teilhaberechte nicht überschätzt werden“ (Kuhlmann et al. 2018, S. 88).

In Bezug auf Deutschland beschäftigen sich einige Studien mit dem Effekt von Gebietsgrößen auf politische Partizipation, aber nur wenige Studien beziehen sich explizit auf das aktive und passive Wahlverhalten. Bei der aktiven Wahl ist zunächst die Untersuchung von Morlan (1984) zu nennen, die sich allerdings auf den Zusammenhang der Größe der westdeutschen Bundesländer und deren Wahlbeteiligung beschränkt. Michelsen und Rosenfeld (2015) kommen in einer Regressionsanalyse von 1600 Gemeinden zum Ergebnis, dass in einwohnerstärkeren Gemeinden die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen niedriger ist. Seitz (2007) dagegen untersucht Effekte auf Kreisebene und findet „einen extrem geringen Einfluss der Kreisgröße auf die Bereitschaft der Bürger, sich an Kommunalwahlen auf der Kreisebene zu beteiligen“ (Seitz 2007, S. 36). Im Hinblick auf das passive Wahlrecht sind keine negativen Auswirkungen von der Kreisgröße auf die Zahl der zur Verfügung stehenden KreistagsbewerberInnen feststellbar (Seitz 2007, S. 36). Eine Umfrage unter KreistagspolitikerInnen im Jahr 2016 in Sachsen nach einer Gebietsreform ergab, dass die Anforderungen an die PolitikerInnen zwar gewachsen sind, aber dies weder der grundsätzlichen Motivation noch den Bewerberzahlen für politische Ämter geschadet hat (Ems und Nürnberger 2018). Hesse (2015, S. 134–135) kommt in der dritten Umfragewelle von Kreistagsabgeordneten für Mecklenburg-Vorpommern zu der Einschätzung, dass keine Gefährdung des Ehrenamts zu erkennen ist. Die Bewerberzahlen sind stabil, über die Hälfte der vorher im Kreistag vertretenen Personen gehören auch dem neuen Kreistag an, die Mobilitätsbereitschaft hat sich erhöht, durch die verstärkte Nutzung des Internets wurde der Arbeits- und Informationsaufwand handhabbar gehalten und ehrenamtliche wurden nicht durch hauptamtliche LokalpolitikerInnen verdrängt.

Entgegen diesen Befunden stellen Rösel und Sonnenburg (2016) in ihrer Studie zu den Kreisgebietsreformen in Mecklenburg-Vorpommern einen Zusammenhang von räumlicher sowie politischer Distanz in den reformierten Kreisen mit dem AfD-Wählerstimmenanteil bei den Landtagswahlen 2016 her. Für die räumliche Distanz, gemessen als Distanz einer Gemeinde zum Kreissitz, finden sie dabei keinen robusten Zusammenhang mit dem AfD-Wahlergebnis. Politische Distanz wurde mit dem Anteil der Wahlberechtigten einer Gemeinde an allen Wahlberechtigten des Landkreises operationalisiert (Rösel und Sonnenburg 2016, S. 8). Unter Berücksichtigung von Kontrollvariablen finden die Autoren einen signifikanten Effekt, wonach die Vergrößerung eines Kreises in Bezug auf die Einwohnerzahlen mit einem Anstieg des Stimmenanteils für die AfD einhergeht. Diese Befunde gelten allerdings nur für reformierte Kreise, nicht aber für gewachsene Kreise. Somit bleibt die Frage offen, ob der Effekt auf die Reform zurückzuführen sei oder auf die Kreisgebietsgröße. Für Letzteres sprächen den Autoren zufolge etwa Entfremdungsprozesse, die den Verlust einer regionalen Identität bedingen (Rösel und Sonnenburg 2016, S. 6). Während davon ausgegangen werden kann, dass diese Effekte ebenso wie Abneigung gegenüber einer Reform über Gewöhnungseffekte mittelfristig abnehmen, sollte ein tatsächlich existierender struktureller Effekt der Kreisgröße einen nachhaltigen Einfluss ausüben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die internationale Literatur überwiegend einen negativen Zusammenhang erwarten lässt – ob die Ergebnisse übertragbar sind, ist aufgrund der Spezifizität der Kreisebene jedoch fraglich. Für Deutschland bestehen vereinzelt Studien, allerdings analysieren diese meist nur wenige Bundesländer. Die Mehrzahl der theoretischen Argumente bezieht sich nicht auf Reformen, sondern auf die strukturellen Eigenschaften größerer Kreise, während die empirischen Arbeiten allerdings vorwiegend auf die kurzfristigen Effekte von Reformen abzielen. Dieser Beitrag beschäftigt sich daher mit den isolierten Effekten der Kreisgröße, da die Argumente zu Kreisgebietsreformen stets auf Größe und nicht auf Veränderung fußen. Die Datengrundlage erstreckt sich auf alle deutschen Flächenländer, um eine möglichst verallgemeinerbare Aussage zu treffen. Die Bundestagswahlergebnisse 2017 stellen insofern die bestmögliche Vergleichsbasis dar, als diese für alle Kreise denselben zeitlichen Horizont und einen vergleichsweise homogenen Raum politischer Themen widerspiegeln. Zwar bringt die eben angeführte Literatur häufig die Größe von Gebietskörperschaften mit Partizipationsformen oder Wahlverhalten auf derselben gebietskörperschaftlichen Ebene in Verbindung, die Artikulation einer generellen politischen Unzufriedenheit oder Desintegration dürfte allerdings kaum auf die Wahl auf einer spezifischen Ebene beschränkt sein. Vielmehr eignen sich Bundestagswahleffekte für den vorliegenden Zweck besonders gut, da sich – anders als bei Kommunalwahlen – kreisspezifische Themenkonjunkturen ausblenden lassen und so Größeneffekte besser isoliert werden können.

3 Kreisgröße und Wählerverhalten

Die Überlegungen zum Zusammenhang von Gebietsgröße und Demokratiequalität reichen bis zur antiken Entstehungsgeschichte der Demokratie zurück. Ideengeschichtlich wurden meist kleine Einheiten als Voraussetzung für demokratietheoretisch akzeptable institutionelle Arrangements und gelingende Partizipation gesehen (z. B. Jörke 2019, insb. S. 41–80). Diese Traditionslinie lässt sich von den antiken Klassikern der Polis über Rousseaus und Montesquieus Apologie der Stadtstaaten und Tocquevilles Betrachtungen zur Demokratie in Amerika bis hin zu aktuellen Debatten deliberativer und partizipatorischer Demokratie weiterverfolgen (zuletzt z. B. Barber 2013). Der Zielkonflikt besteht dabei nach wie vor zwischen inputorientierter Legitimation durch größere Entsprechung von Regierten und Regierenden einerseits und der Effektivität der politischen Einheit anderseits. Zunächst wurden im Zuge der Nationalstaatsbildung Fragen der Landesverteidigung und der Volkswirtschaft thematisiert, später auch der konkreten Leistungserstellung und Daseinsvorsorge (Benz 2001). Hier etablierte sich unter Berücksichtigung der ökonomischen Argumentation von Skalen- und Verbundeffekten die Sichtweise, dass Einheiten, die über anspruchsvolle Aufgaben verfügen sollen, gewisse Mindestgrößen erfordern (Wagener 1969). Die weitere Debatte ist also geprägt vom Zielkonflikt zwischen der effektiven Widerspiegelung des Bürgerwillens (citizen effectiveness) und der Leistungsfähigkeit des politischen Systems (system effectiveness) (Dahl und Tufte 1974, S. 20).

Die Befürworter kleiner politischer Einheiten argumentieren mit einem höheren Stimmgewicht und einem höheren politischen Integrationswert. So ist das Stimmgewicht relativ zur Gesamtzahl der Wahlberechtigten in der Regel in kleineren Einheiten höher und damit aus rationaler Sicht der Nutzen der Stimmabgabe größer. Damit verbunden ist zudem eine qualitativ bessere Repräsentation und Kontrolle der gewählten VertreterInnen, da die BürgerInnen besser in der Lage sind, den RepräsentantInnen ihre Interessen, Wünsche und Sorgen mitzuteilen und ihnen zugleich „auf die Finger zu schauen“ (Dahl und Tufte 1974; Denters et al. 2014). Darüber hinaus können Interessen in vielen kleinen Einheiten besser auf die lokalen Bedürfnisse abgestimmt werden (Alesina und Spolaore 1997; Oates 1972). Zudem wird argumentiert, dass Repräsentation basierend auf lokaler Identität zu größerer Akzeptanz des politischen Systems und ihrer VertreterInnen auch über Ebenen hinweg führt, als dies etwa auf Basis parteipolitischer Interessensvertretung der Fall sei. Dahinter steht die Annahme, dass kleinräumige Einheiten eine hohe soziale Homogenität aufweisen und damit verbunden die Interessenunterschiede zwischen den BürgerInnen geringer ausfallen.

Die Befürworter größerer Einheiten verweisen dagegen auf eine höhere Leistungsfähigkeit größerer politisch-administrativer Einheiten, die im Sinne von Output-Legitimation die Akzeptanz des politisch-administrativen Systems bei den BürgerInnen steigert (Bogumil 2016; Grohs et al. 2012; Kuhlmann et al. 2018; Wagener 1969). Skaleneffekte ermöglichen es großen Einheiten, öffentliche Güter überhaupt bereitzustellen (z. B. Müllentsorgung, Krankenhäuser, Feuerwehren, etc.) oder diese kostengünstig aufgrund von Spezialisierung und Arbeitsteilung anzubieten. Verbundvorteile entstehen zum Teil erst ab einer gewissen Größe und ermöglichen die Bereitstellung weiterer Güter (bspw. ÖPNV, Zu- und Abwasseranlagen). Bei kleinen Einheiten besteht die Gefahr, gemeinsamen Nutzen nicht zu realisieren, wenn diese von anderen mitgenutzt werden, aber nur eine Einheit die Kosten trägt. Umgekehrt kann dies auch zu Allmende-Problemen führen, also dass eine gemeinsame Ressource zu stark genutzt wird, da keine Regulierung der Nutzung stattfindet.Footnote 1 Ob größere Einheiten zu höherer Leistungsfähigkeit und/oder geringeren Kosten führen, ist eine empirische Frage. Im internationalen Kontext ist die Debatte hierzu noch nicht entschieden (Blom-Hansen et al. 2016; Roesel 2017; Steiner und Kaiser 2017). Im deutschen Kontext kommen Fallstudien zu Kreisgebietsreformen meist zu positiven Ergebnissen (Bogumil 2016; Kuhlmann et al. 2018). An dieser Stelle wird deshalb angenommen, dass größere Kreise ceteris paribus leistungsfähiger sind. Agerberg (2017, S. 582) zufolge wird in der Wahrnehmung der durchschnittlichen BürgerInnen die Qualität der öffentlichen Verwaltung mit der Qualität des politischen Systems gleichgesetzt, da letztere meist nur vermittelt durch die Verwaltung erfahren wird. Höhere Leistungsfähigkeit könnte in der Konsequenz dazu führen, dass die wahrgenommene Qualität der Verwaltung und damit auch des politischen Systems steigt, was wiederum in höherer Wahlbeteiligung und einem geringeren Stimmenanteil für populistische Parteien über Ebenen hinweg führen könnte.

Ob und wie die wahrgenommene Qualität der öffentlichen Verwaltung auf lokaler Ebene sich auch in einer höheren Wahlbeteiligung auf Bundesebene niederschlägt, ist bisher noch wenig empirisch untersucht und dabei umstritten. Bei Vetter (2013, S. 375–377) zeigt sich eine positive Korrelation der Bewertung der lokalen Politikperformanz sowohl mit der lokalen als auch mit der nationalen Politikzufriedenheit. Allerdings besteht Faas (2013, S. 432) zufolge, wider Erwarten, zwischen Vertrauen in kommunale Institutionen und der Wahlabsicht in Bezug auf Bundestagswahlen sogar ein negativer Zusammenhang.

Der Einfluss der Größe politisch-administrativer Einheiten auf den politischen Wettbewerb wurde in der Vergangenheit wenig berücksichtigt und fast ausschließlich im Kontext von Wahlkreiszuschnitten diskutiert (Gelman und King 1994). In größeren Kreisen wächst der politische Wettbewerb, was aus Sicht der WählerInnen prozedural ebenso wie substanziell wünschenswert sein kann (Gerring et al. 2015). In größeren Gebieten ist es zudem unwahrscheinlicher, dass lokale Eliten die Kontrolle über einen großen Teil der Wähler ausüben, somit wird der „Stimmenkauf“ teurer und damit wird es günstiger, sich für Kollektivgüter einzusetzen und sich auf diese Weise eine Wählerbasis zu sichern. Die geringere soziale Homogenität bedingt, dass verschiedene Interessen bedient werden müssen. Während die Repräsentation aufgrund von Herkunft und lokaler Identität voraussichtlich zurückgeht, kann diese im besten Falle durch Identifikation mit politischen Positionen durch eine breitere Repräsentation inhaltlich kompensiert werden. Des Öfteren wird ins Feld geführt, dass größere Kreise die RepräsentantInnen überforderten oder den Aufwand für Ehrenämter zu sehr erhöhten. Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass die Auswirkungen auf kommunalpolitischer Ebene und infolge von Gebietsreformen gering oder nicht vorhanden seien (Ems und Nürnberger 2018; Hesse 2015; Seitz 2007).

Der Wettbewerb macht es wahrscheinlich, dass die Kandidierenden um verschiedene Wählergruppen kämpfen müssen und somit Partikularinteressen geringer ins Gewicht fallen. Dies kann zu einer Rationalisierung der Politik führen, wonach WählerInnen stärker aufgrund von Inhalten und weniger aufgrund von lokaler Zugehörigkeit wählen. Dies steigert insgesamt die politische Performanz. Somit wäre zu erwarten, dass insgesamt das Vertrauen in PolitikerInnen und das politische System in größeren Einheiten stärker ausgeprägt ist. Der gesteigerte Wettbewerb führt dazu, dass die Relevanz der eigenen Stimme ansteigt und PolitikerInnen dazu bringt, sich auf lokaler Ebene responsiver zu verhalten, was letztlich in höherer externer politischer Selbstwirksamkeit der BürgerInnen mündet. Dies führt wiederum dazu, dass BürgerInnen eher zur Wahl gehen und weniger wahrscheinlich populistische Parteien wählen. Fasst man den Diskurs zusammen, so spricht für kleinere Einheiten in erster Linie ein höheres Stimmgewicht, größere Homogenität und damit verbunden die bessere Repräsentation der BürgerInnen in lokalen politischen Einheiten. Für größere Einheiten sprechen dagegen die größere Leistungsfähigkeit der Verwaltung und eine bessere politische Performanz.

Welche Auswirkungen die Kreisgröße vor diesem Hintergrund auf die Akzeptanz des politischen Systems hat, wird hier anhand der beiden abhängigen Variablen der Wahlbeteiligung und des Wahlverhaltens, genauer der Wählerstimmenanteile für die AfD, gemessen. Bisherige Forschungsergebnisse zur Wahlbeteiligung zeigen zwei konkurrierende Argumente: zum einen den angenommenen Desintegrationseffekt, zum anderen aber auch den gegenläufigen Normalisierungs- oder Zufriedenheitseffekt. In der Forschung dominiert erstere Sichtweise, dass Nichtwählen auf eine Desintegration vom politischen System und die Annahme mangelnder Selbstwirksamkeit zurückzuführen ist (Falter und Schumann 1994; Kleinhenz 1995; Lamers und Roßteutscher 2014; Schäfer und Roßteutscher 2015). Als wesentliche Determinanten werden hier soziale Benachteiligung bzw. die sozioökonomische Stellung (Schäfer 2013, 2015; Schäfer und Roßteutscher 2015), fehlende Integration in familiäre und andere soziale Netzwerke (Gabriel und Völkl 2004; Kleinhenz 1995) sowie eine generelle Entfremdung von politischen Institutionen, eine fehlende Internalisierung einer „Wahlnorm“ (Rattinger und Krämer 1995) und das Angebot politischer Parteien (Falter und Schumann 1994) herausgestellt. Die konkurrierende Normalisierungsthese (Jackman 1987, S. 418–419; Roth 1992) bleibt dagegen eine Minderheitsposition, die kaum durch empirische Evidenz belegt werden kann. Zusammenfassend stellt die Wahlbeteiligung einen guten Indikator für Desintegration und die Entfremdung vom politischen System dar, der allerdings für die sozioökonomische Stellung kontrolliert werden muss.

Die Wahlforschung greift bei der Erklärung von Nicht-Wahl auf die gängigen sozialpsychologischen, soziologischen und Rational-Choice-Ansätze zurück (Caballero 2014). Unter den sozialpsychologischen Ansätzen werden in der Regel die Parteiidentifikation, das politische Interesse, die Überzeugung der Selbstwirksamkeit und die Internalisierung einer „Wahlnorm“ als wichtigste Faktoren für die Wahlbeteiligung identifiziert (Campbell 1980). Unter einer soziologischen Perspektive wird insbesondere die Auswirkung sozialer Ungleichheitsdimensionen auf die Wahlbeteiligung herausgestellt (Lazarsfeld et al. 1969). Rationalistische Theorien stellen das individuelle Kosten-Nutzen-Kalkül in den Mittelpunkt (Downs 1957; Riker und Ordeshook 1968). Argumente, die eine Auswirkung der Kreisgröße hervorheben, stellen insbesondere auf die rationalistischen Ansätze ab, die einerseits die Kosten der Wahl (Information über nicht persönlich bekannte KandidatInnen, Anfahrtswege, etc.), insbesondere aber auf die abnehmende wahrgenommene Nutzenfunktion bzw. Selbstwirksamkeit abstellen (Rösel und Sonnenburg 2016).

Die Ursachen der Wahlergebnisse der mittlerweile meist als rechtspopulistisch (Arzheimer 2015; Lewandowsky et al. 2016; Rosenfelder 2017) eingestuften AfD werden ebenfalls kontrovers diskutiert. Die durch deren Wahlerfolge stark anwachsende Forschung zur AfD und ihrer Wählerschaft konzentriert sich – wiederum an die drei wesentlichen Erklärungstraditionen der Wahlforschung anknüpfend – meist auf folgende zentrale Faktorenbündel: Erstens sozialstrukturelle Faktoren und darunter vor allem die individuelle sozioökonomische Lage. In diesem Zusammenhang wird häufig von sogenannten „Modernisierungsverlierern“ gesprochen, also Menschen mit niedrigem Ausbildungsstatus und geringer Mobilität, die sich tendenziell als „Verlierer“ der Globalisierung der Wirtschaft wahrnehmen. Diesen wird eine höhere Wahlwahrscheinlichkeit rechtspopulistischer Parteien unterstellt, wenngleich die Empirie nicht so eindeutig ist (mit negativen Befunden: Bergmann et al. (2016), Lengfeld (2017), Manow (2018), Schmitt-Beck (2014), Schwarzbözl und Fatke (2016); mit bestätigenden Befunden für andere rechtspopulistische Parteien: Bornschier und Kriesi (2014), Spier (2010)).

Zum Zweiten werden sozialpsychologische Faktoren wie eine generelle Affinität zu rechten Parteien und Ideologien angeführt (mit bestätigenden Befunden: Schwander und Manow (2017), Schwarzbözl und Fatke (2016)). So weisen Personen, die mit der AfD sympathisieren, eine Präferenz für identitätsbasierte Politik und die konservativsten Einstellungen in Hinblick auf europäische Integration, Migrations- und Sozialpolitik auf (Berbuir et al. 2015; Schmitt-Beck 2014; Schmitt-Beck et al. 2017). Schwarzbözl und Fatke (2016) zufolge wiesen schon bei der Bundestagswahl 2013 die Wähler entlang einer kulturellen Konfliktlinie (Kriesi et al. 2008) kohärente Positionen auf, während dies in sozioökonomischer Hinsicht nicht der Fall war. Steiner und Landwehr (2018, S. 467–70) führen den Wahlerfolg der AfD nicht nur auf politische Positionen oder Protestwahl zurück, sondern weisen auch auf ein populistisches Demokratieverständnis in der Wählerschaft hin. Dieses sei, erstens, durch eine antipluralistische Einstellung gekennzeichnet, zweitens durch eine Bevorzugung des Mehrheitswillens über Minderheitenschutz und drittens durch eine unmittelbare Repräsentation der WählerInnen durch deren gewählte VertreterInnen.

Schließlich spielen auch rationalistische Erklärungen wie die Erwartung von Problemlösungen (z. B. in der Flüchtlingspolitik, „rationale Protestwahl“) eine Rolle in der empirischen Forschung (Jäckle et al. 2018; Niedermayer und Hofrichter 2016). Auch hier fußen Kausalannahmen, die die Kreisgröße als Ursache für Wählerstimmenanteile verstehen, primär auf rationalistischen Erklärungsansätzen, sprich die rationale Protestwahl. Ein Wahlakt wird demnach nicht so sehr durch die sozioökonomische Position oder eine besondere ideologische Nähe, sondern durch die Unzufriedenheit mit dem politisch-administrativen System erklärt. Protestwahl im engeren Sinne ist die Wahl einer Partei, um Unmut zu äußern und nicht aufgrund einer programmatischen Position. Bei der Wahl der AfD zeigte sich allerdings, dass es sich oft nicht um eine reine Protestwahl aus fehlendem Vertrauen oder diffuser politischer Unzufriedenheit handelte, da eine grundlegende Übereinstimmung mit einigen zentralen politischen Positionen etwa zu Migrations‑, Sozial- oder europäischer Integrationspolitik überdurchschnittlich häufig vorlag. Unter den WählerInnen der AfD ist die Zufriedenheit mit bestehenden Parteien gering (Schwarzbözl und Fatke 2016, S. 284–5), ebenso die Parteiidentifikation (Schmitt-Beck 2014, S. 110). Generell ist das Vertrauen in die politischen Institutionen insgesamt sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene gering ausgeprägt (Schmitt-Beck et al. 2017, S. 296). Die gleichen Studien zeigten zugleich auch die Relevanz der inhaltlichen Positionen auf.

Der Bezug zur Kreisgröße ergibt sich durch deren möglichen Einfluss auf politische Zufriedenheit und Institutionenvertrauen.Footnote 2 Unzufriedenheit wird durch die abnehmende Selbstwirksamkeit und allgemeine Entfremdung in größeren Kreisstrukturen erklärt und führt in extremen Fällen entweder zur Nichtwahl oder zur Wahl der AfD. In Anlehnung an Steiner und Landwehr (2018) könnte darüber hinaus das Demokratieverständnis von AfD-WählerInnen eine Rolle spielen: Wenn AfD-SympathisantInnen die unmittelbare Repräsentation einer homogenen Bevölkerungsgruppe bevorzugen, so ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich solche Gegebenheiten eher in kleinräumigen Einheiten wiederfinden und somit größere Kreise zu mehr Unzufriedenheit führen.

Der Effekt der Kreisgröße verläuft über den Einfluss auf politische Zufriedenheit, nicht aber über eine politische Übereinstimmung, die vermutlich ebenfalls in Teilen vorliegen muss, damit die Wahlentscheidung auf die AfD fällt.Footnote 3 Ob die Kreisgröße sich positiv oder negativ auf die Akzeptanz des politischen Systems und somit auf Wahlbeteiligung und die rationale Protestwahl auswirkt, ist jedoch theoretisch umstritten und gilt es somit empirisch zu überprüfen. Fasst man die grundlegenden Annahmen eines Effekts der Kreisgröße auf die beiden abhängigen Variablen zusammen, ergeben sich folgende konkurrierende Hypothesen:

H1a

Größere Kreise weisen eine niedrigere Wahlbeteiligung auf.

H1b

Größere Kreise weisen einen höheren Wählerstimmenanteil der AfD auf.

H2a

Größere Kreise weisen eine höhere Wahlbeteiligung auf.

H2b

Größere Kreise weisen einen niedrigeren Wählerstimmenanteil der AfD auf.

4 Daten, Messungen, Methode

Im Grundsatz handelt es sich bei den durch die zentrale abhängige Variable gemessenen Desintegrationserscheinungen vom politischen System (operationalisiert über das Wahlverhalten) um ein genuin individuelles Phänomen. Bei einer Analyse individueller Phänomene auf einer aggregierten Ebene kann es zum Problem ökologischer Fehlschlüsse kommen, wenn statistische Zusammenhänge auf der Makroebene automatisch als gültig für die Mikroebene angenommen werden (Tam Cho und Manski 2008, S. 547). Dagegen handelt es sich im vorliegenden Fall bei der zentralen unabhängigen Variable – der Kreisgröße – eindeutig um ein nicht-individuelles Phänomen. Zwar bestünde die Möglichkeit, mit individuellen Daten und erklärenden Variablen auf einer höheren Ebene zu arbeiten, allerdings ist die Verknüpfung von Umfragedaten mit der Kreiszugehörigkeit in Deutschland datenschutzrechtlich nicht unbedenklich und erschwert eine solche Analyse deutlich. Gleichzeitig würde sich für die Analyse von Wahlverhalten die Nutzung von Daten über Zeit grundsätzlich anbieten. Allerdings ist der zentrale Vorteil von Analysen über Zeit – die Kontrolle von Heterogenität über Analyseeinheiten hinweg (Halaby 2004) – nicht anwendbar, da es sich bei der Kreisgröße um ein sehr stabiles Phänomen handelt. Darüber hinaus bietet die Nutzung des AfD-Wahlverhaltens als vergleichsweise junges Phänomen nicht sehr viel Varianz über Zeit.

Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich daher auf die Analyse von Landkreisdaten zum Zeitpunkt der Bundestagswahl 2017. Die Datengrundlage setzt sich aus Wahldaten des Bundeswahlleiters und offiziellen Landkreisdaten der Regionaldatenbank der statistischen Ämter der Länder und des Bundes zusammen. Die Zielgruppe der Analyse sind die Landkreise aller deutschen Bundesländer. Die Stadtstaaten und die kreisfreien Städte wurden aufgrund der systematisch deutlich abweichenden Flächen- und Bevölkerungsstruktur von der Analyse ausgeschlossen.

Durch die notwendige Analyseebene und den zeitlichen Horizont ist die Operationalisierung der abhängigen Variablen auf Wähleranteile bei der Bundestagswahl 2017 begrenzt. Auf Ebene der Landkreise stellen grundsätzlich Wahlergebnisse die einzige Möglichkeit dar, aggregierte „Quasi-Einstellungen“ der BürgerInnen zu erfassen. Zudem macht der Fokus auf die Kreisebene die Betrachtung einer Wahl notwendig, die über Bundesländergrenzen hinweg homogen ist, um eine genügend große Zahl und Varianz an Landkreisgrößen für die Datenanalyse zur Verfügung zu haben. Verständlicherweise können Wahlergebnisse immer nur einen Proxy für die theoretisch postulierte zu- oder abnehmende Desintegration darstellen. Der Proxy soll die Artikulation einer generellen Protesthaltung abbilden, die sich nicht auf die Landkreis- oder Landespolitik beschränkt. Die Entscheidung, Bundestagswahlergebnisse als Proxy heranzuziehen, bietet den Vorteil einer deutschlandweiten, auf einen konsistenten Zeit- und Themenrahmen fokussierten Analyse. Dieser Vorteil überwiegt unserer Ansicht nach die Bedenken, strukturelle Ursachen der Wahlergebnisse für die Ebene des Bundes mit jenen der kommunalen Ebene zu verknüpfen. Bei genauerer Betrachtung muss die Eignung einer Analyse mit Daten niedrigerer föderaler Ebenen (Kreis- oder Landtagswahlen) sogar als substanziell problematischer bewertet werden, da kreis- und bundeslandspezifische Themen die Protestwahl leichter überlagern können.

Zusätzlich soll durch die Nutzung zweier Operationalisierungen der abhängigen Variablen die Zuverlässigkeit der Ergebnisse abgesichert werden. Wie oben thematisiert, wird zum einen die Verbreitung der grundsätzlichsten Form von Partizipation, die Wahlbeteiligung, als abhängige Variable genutzt. Als weiterer Proxy für die Artikulation von Unzufriedenheit werden die Zweitstimmenanteile der AfD-WählerInnen genutzt. Zwar kann man nicht davon ausgehen, dass alle WählerInnen der AfD rein aus Gründen der Unzufriedenheit ihre Wahl getroffen haben, allerdings finden Niedermayer und Hofrichter (2016, S. 283) durchaus Hinweise auf einen hohen Anteil enttäuschter Wähler. So sind theoretisch WählerInnen aus Protest und übrige WählerInnen zu unterscheiden. Die Verwendung des AfD-Stimmenanteils als Proxy wäre systematisch verzerrt, wenn etwa davon auszugehen wäre, dass die Wahl aus Protest und die Wahl aus anderen Gründen auf andere Weise systematisch zwischen den Landkreisen variiert als vermittelt durch die Kreisgröße und die erfassten Kontrollvariablen. Sofern die AfD, etwa aufgrund besonders überzeugender Wahlkämpfe in einigen Landkreisen (unabhängig von der Kreisgröße) einen höheren Teil ihrer Wählerschaft inhaltlich überzeugt und somit einen geringeren Teil an ProtestwählerInnen beherbergt, sollte dies lediglich den Fehlerterm vergrößern, nicht aber den Zusammenhang verfälschen. Die im Theorieteil konkurrierend formulierten Einflüsse der Kreisgröße auf das Wahlverhalten stützen sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte der Größe: zum einen die geografische Größe in Form von Fläche, zum anderen die Einwohnerzahl. Um die Effekte ggf. sauber trennen zu können, werden beide Maße als die zentralen unabhängigen Variablen in die Analyse integriert und können daher jeweils unter Kontrolle der anderen Größe interpretiert werden.

Für die Wahl der weiteren zu berücksichtigenden Variablen ist das grundsätzliche Forschungsdesign des Beitrags ausschlaggebend. Durch die Fokussierung auf die Rolle der Kreisgröße handelt es sich um ein x‑zentriertes Design; nicht um ein y‑zentriertes Design, das versucht, alle denkbaren Determinanten des Wahlverhaltens empirisch zu berücksichtigen (Gschwend und Schimmelfennig 2007). Dies hat Konsequenzen für die Wahl zusätzlicher Kontrollvariablen. Statt möglichst viele denkbare Variablen, die zur Erklärung des Wahlverhaltens beitragen können, in ein Modell zu integrieren, sollte das Ziel statistischer Kontrolle sein, konfundierende Effekte auszuschließen. Dazu werden Variablen integriert, die potenziell mit der zentralen unabhängigen Variablen und der abhängigen Variablen korreliert sind (siehe Abb. 1). Folglich ist die Absicherung des zentralen theoretischen Schritts das vordringliche Ziel der Kontrolle im x‑zentrierten Design, im Gegensatz zur oft wenig sparsamen Integration möglichst vieler plausibler Einflussfaktoren.

Abb. 1
figure 1

Logik der Drittvariablenkontrolle. (Quelle: Eigene Darstellung)

Dieser Logik folgend wird für verschiedene Faktoren kontrolliert, mit denen ein Großteil der strukturellen Heterogenität der Landkreise abgedeckt wird und die zusätzlich mit dem aggregierten Wahlverhalten in Verbindung stehen können. Abgedeckt wird dabei hauptsächlich der Bereich sozialstruktureller Einflussfaktoren, da Informationen über konkretere individuelle Motive auf der hier genutzten Analyseebene nicht zur Verfügung stehen. Dementsprechend wurden der Ausländeranteil, der Anteil an über 60-Jährigen sowie die Einwohnerdichte als Kontrollen für die Zusammensetzung der Gesellschaft im jeweiligen Kreis eingeführt. Mit der Arbeitslosenquote, dem BIP pro Kopf, der Verschuldung pro Kopf sowie dem Wanderungssaldo (Differenz zwischen Zu- und Abwanderung) pro Kopf werden zusätzliche Indikatoren für die sozioökonomische Anspannung vor Ort mit aufgenommen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das Wahlverhalten mit sozioökonomischen und strukturellen Bedingungen korreliert ist, die ihrerseits wiederum mit Kreisstrukturen im Zusammenhang stehen können. Zentrale Bedeutung besitzen darüber hinaus die Bundesländerzugehörigkeit und ein Ost-West-Dummy als zusätzliche Kontrollvariablen, da zwischen den Bundesländern von einer systematischen Heterogenität bezüglich des Wahlverhaltens und gleichzeitig der Kreisgröße ausgegangen werden muss.

Als Analyseverfahren wird auf ein lineares Mehrebenen-Regressionsmodell zurückgegriffen, um der mangelnden statistischen Unabhängigkeit der Kreise in ihren jeweiligen Bundesländern Rechnung zu tragen und ggf. auch bundesländerspezifische Parameter schätzen zu können. Da es sich beim Wahlverhalten um Anteile handelt, die nicht unbedingt normalverteilt sind und deren Werte sich zwischen 0 und 1 bewegen, wurde zusätzlich auch eine Beta-Regression für Anteile geschätzt; deren Ergebnisse unterscheiden sich allerdings nicht substanziell von denen einer linearen Regression. Als Einschränkung sollte erwähnt sein, dass Regressionsmodelle in den seltensten Fällen Garantien über tatsächlich existente kausale Verbindungen bieten. Dazu müssten in einem Regressionsmodell alle potenziellen Drittfaktoren identifiziert sein (Morgan und Winship 2007, S. 132). Als grundsätzliche, eher deskriptive Darstellung von statistischen Zusammenhängen unter gewissen kontrollierten Bedingungen eignen sich Regressionsmodelle allerdings ohne Weiteres.

5 Ergebnisse

Um vor der Ergebnisauswertung sicherzustellen, dass die Schätzung der Regressionsparameter nicht grundsätzlich verzerrt ist, wurde mit dem Variance Inflation Factor (VIF) getestet, ob die verwendeten Variablen Multikollinearitätsprobleme aufweisen; dies erscheint bei strukturell häufig eng zusammenhängenden Variablen nicht unwahrscheinlich. Allerdings zeigen sich keinerlei die Schätzung gefährdende Werte.Footnote 4 In Tab. 1 sind die Ergebnisse getrennt für beide abhängigen Variablen dargestellt. Bei den Kontrollvariablen in Modell 1 zeigt sich, dass in den neuen Bundesländern ein im Schnitt um 11,2 Prozentpunkte höherer Anteil der AfD-Wähleranteile vorzufinden ist. Je höher die Arbeitslosenquote ist, desto höher ist auch der AfD-Stimmenanteil, während je dichter der Kreis besiedelt und je höher der Ausländeranteil ist, desto niedriger ist er. Es besteht kein signifikanter Zusammenhang zwischen der absoluten Einwohnerzahl eines Kreises und dem AfD-Stimmenanteil. In flächenmäßig größeren Kreisen besteht dagegen ein geringerer Anteil an AfD-Wählerstimmen; und zwar um 1,2 Prozentpunkte in Kreisen, die 1000 km2 größer sind. Der Effekt ist aus substanzieller Sicht eher klein, wenn man berücksichtigt, dass durchschnittliche Kreise ca. 1158 km2 groß sind und eine Standardabweichung von 656 haben.

Tab. 1 Ergebnisse der Regressionsanalyse

Im Fall der Wahlbeteiligung zeigt sich bei den Kontrollvariablen eine niedrigere Wahlbeteiligung in Ostdeutschland, in Landkreisen mit einem höheren BIP pro Kopf sowie in Kreisen mit einer höheren Arbeitslosigkeit. In dichter besiedelten Kreisen liegt die Wahlbeteiligung generell etwas höher. Bei den beiden zentralen unabhängigen Variablen zeigt sich kein signifikanter Effekt. In beiden Modellen ist die Erklärungskraft in Form des R2 vergleichsweise hoch. Bereits die Variablen ohne Berücksichtigung der Bundesländerstruktur (fixed effects) erklären 63,5 bzw. 61,5 % der Varianz. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Bundesländerstruktur (random effects) können 88,8 bzw. 71,9 % erklärt werden. Sehr stark getrieben ist diese Erklärungskraft zum einen durch die Bundesländerzugehörigkeit und zum anderen durch den Ost-West-Dummy, was auf eine wichtige Rolle systematischer Bundesländerunterschiede hindeutet.

Ein Mehrebenenmodell erlaubt es, die Schätzung variierender Parameter inklusive deren Unsicherheit anzugeben. In diesem Fall sind dies die unterschiedlichen Konstanten (Intercepts) der jeweiligen Bundesländer, die substanziell das relative Niveau der Bundesländer in Bezug auf die AfD-Wahlentscheidung und die Wahlbeteiligung widerspiegeln (siehe Abb. 2). Ablesen lässt sich daraus, dass – unter Einbezug der Kontrollvariablen – in Sachsen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg die geschätzte Konstante des AfD-Anteils signifikant höher geschätzt wird als die durchschnittliche Konstante. Im Fall der Wahlbeteiligung ist diese in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg signifikant niedriger. Kontrolliert man also für verschiedene Faktoren, lässt sich kein Muster dahingehend erkennen, dass in Bundesländern mit Kreisgebietsreformen in der jüngeren Vergangenheit (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt) ein höherer AfD-Stimmenanteil oder eine niedrigere Wahlbeteiligung zu beobachten wäre. Zwar stellt Sachsen beim AfD-Stimmenanteil einen Ausreißer nach oben dar, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben allerdings sogar signifikant niedrigere geschätzte Werte. Dies ist im engeren Sinn keine Überprüfung eines Reformeffekts, da der Reformeffekt und der generelle Bundesländereffekt analytisch verständlicherweise nicht getrennt werden können. Allerdings kann es als vorsichtiges Indiz dafür verstanden werden, dass die reformierten Bundesländer kein höheres Niveau politischer Desintegration aufweisen.

Abb. 2
figure 2

Geschätzte bundeslandspezifische Konstanten und deren Konfidenzintervalle des AfD-Stimmenanteils (a) und der Wahlbeteiligung (b) (Die X‑Achse stellt die Abweichung von der durchschnittlichen geschätzten Konstanten dar). (Quelle: Eigene Darstellung)

Eine weitere analytische Absicherung der Ergebnisse besteht in der weiteren Differenzierung des Effekts der Kreisgröße. Es ist theoretisch plausibel, dass die Kreisgröße eventuell nur unter bestimmten strukturellen Bedingungen politische Desintegrationserscheinungen nach sich zieht. Aus diesem Grund werden zur weiteren Validierung der Ergebnisse verschiedene Interaktionseffekte zwischen den beiden Variablen zur Kreisgröße und drei zentralen strukturellen Variablen berechnet: das BIP pro Kopf, die Arbeitslosenquote und der Wanderungssaldo pro Kopf als Indikatoren für strukturelle Stärke (Schwäche) eines Landkreises. Bei Modellen mit Interaktionseffekten sind die reinen Koeffizienten nur begrenzt aussagekräftig. Angemessener ist die Berechnung marginaler Effekte einer unabhängigen Variablen in Abhängigkeit der Werte einer Moderatorvariablen und eine darauffolgende grafische Analyse. Um bestehende Probleme dieser Herangehensweise, wie die Linearitätsannahme bei Interaktionseffekten oder den sogenannten fehlenden common support (Überlappung von Datenpunkten zwischen zwei Variablen), zu beheben, haben Hainmueller et al. (2019) eine flexible Schätzmethode für Interaktionseffekte entwickelt. Die Ergebnisse der grafischen Analyse für die AfD-Stimmanteile sind in Abb. 3 zu sehen; in der oberen Zeile (a, b, c) für den Effekt der Bevölkerungsgröße, in der unteren (d, e, f) für die Fläche.

Abb. 3
figure 3

Darstellung der Interaktionseffekte zwischen der Einwohnerzahl und dem BIP pro Einwohner (a), der Arbeitslosenquote (b), dem Wanderungssaldo pro Einwohner (c) sowie zwischen der Fläche und dem BIP pro Einwohner (d), der Arbeitslosenquote (e), dem Wanderungssaldo pro Einwohner (f) auf den AfD-Wähleranteil. (Quelle: Eigene Darstellung)

Entscheidend ist dabei, dass die Balken über der X‑Achse anzeigen, in welchem Bereich der Moderatoren überhaupt Datenpunkte vorhanden sind. In Bereichen, in denen wenige oder gar keine Daten zur Verfügung stehen (kein common support), ist auch die Interpretation eines Interaktionseffekts nicht sinnvoll. Dies würde bei einer reinen Analyse der Regressionskoeffizienten keine Berücksichtigung finden. In Abb. 3a zeigt sich, dass in Kreisen mit einem niedrigen BIP pro Kopf die Einwohnerzahl tatsächlich einen positiv signifikanten Effekt auf die AfD-Stimmanteile hat. Im mittleren und oberen BIP-Bereich verschwindet dieser Effekt allerdings. Bei der Interaktion mit der Arbeitslosenquote in Abb. 3b tritt ein positiver Zusammenhang scheinbar in den oberen Bereichen der Arbeitslosenquote auf. Wie die Balken allerdings verdeutlichen, sind in diesem Bereich kaum Datenpunkte verfügbar, sodass die Interpretation spekulativ wäre. Weder für den Wanderungssaldo noch für die Berechnungen mit der Fläche als unabhängige Variable können darüber hinaus substanzielle und konsistente Interaktionseffekte entdeckt werden. Selbiges gilt in weiten Teilen für die Analyse der Wahlbeteiligung in Abb. 4. Lediglich in Kreisen mit einem positiven Wanderungssaldo hängt eine größere Bevölkerung mit einer höheren Wahlbeteiligung zusammen (Abb. 4c).

Abb. 4
figure 4

Darstellung der Interaktionseffekte zwischen der Einwohnerzahl und dem BIP pro Einwohner (a), der Arbeitslosenquote (b), dem Wanderungssaldo pro Einwohner (c) sowie zwischen der Fläche und dem BIP pro Einwohner (d), der Arbeitslosenquote (e), dem Wanderungssaldo pro Einwohner (f) auf die Wahlbeteiligung. (Quelle: Eigene Darstellung)

In der Gesamtschau zeigt sich nicht der in der existierenden Literatur teils festgestellte Effekt einer zunehmenden Desintegration der BürgerInnen bei zunehmender Kreisgröße – sei es gemessen an der Fläche oder der Bevölkerungszahl. Eine einzige leichte Einschränkung dieser Erkenntnis besteht in dem signifikant positiven Effekt der Bevölkerungsgröße in Kreisen mit einem niedrigen Pro-Kopf-BIP. Allerdings sollte man dabei einschränkend festhalten, dass die Bevölkerungsgröße auch ein Proxy für andere kreisspezifische Faktoren, die im Zusammenhang mit der AfD-Wahl stehen, sein kann. Darüber hinaus kann dieses Teilergebnis nicht als besonders robust bewertet werden, da sich eine desintegrierende Wirkung ansonsten in keinem der zahlreichen Modelle bestätigt hat. Dasselbe gilt für die Ergebnisse aus Modell 1: Aus diesen könnte man eine vorsichtige Unterstützung für Hypothese H2b, dass die Leistungsfähigkeit und der gesteigerte politische Wettbewerb größerer Kreise einen positiven Effekt auf das Wählerverhalten haben, herauslesen. Da dieser Effekt allerdings nur bei einer der beiden abhängigen Variablen beobachtet werden kann, sollte dieser positive Effekt nicht als robust gedeutet werden. Die überwiegende Ablehnung der Hypothesen H1a und H1b deuten darauf hin, dass zumindest die desintegrierende Wirkung größerer Landkreisstrukturen bislang überwiegend falsch eingeschätzt wurde.

Wie es zu der Fehleinschätzung, dass größere Kreise mit weniger Wahlbeteiligung und höheren AfD-Wähleranteilen einhergehen, kommen kann, lässt sich für den deutschen Fall empirisch vergleichsweise einfach nachzeichnen. Bereits die Ergebnisse aus Modell 1 und 2 betonen die zentrale Rolle der Bundesländerzugehörigkeit und des Ost-West-Unterschieds. Weiter verdeutlicht wird dies in Abb. 5. Dort sind die Koeffizienten und Konfidenzintervalle acht verschiedener Modelle abgetragen. Bei den gestrichelten Linien handelt es sich um die Schätzung des bivariaten Zusammenhangs zwischen der Kreisgröße (Fläche und Bevölkerung) und des Wahlverhaltens (AfD-Stimmenanteil und Wahlbeteiligung) ohne Kontrolle der Bundesländerstruktur, bei den durchgehenden Linien um die gleichen Zusammenhänge mit Kontrolle der Bundesländer. Von unten nach oben betrachtet zeigt sich, dass ohne Kontrolle ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kreisgröße und AfD-Stimmenanteil besteht, der unter Kontrolle verschwindet. Bei der Einwohnerzahl zeigt sich weder mit noch ohne Kontrolle ein positiver Zusammenhang. Im Fall der Wahlbeteiligung mildert sich der negative Effekt der Landkreisgröße bei Kontrolle der Bundesländerstruktur deutlich ab, ein signifikant negativer Effekt der Bevölkerungsgröße lässt sich in keinem der beiden Modelle finden. Substanziell bedeutet dies, dass es sich in starkem Maße um länderspezifische Effekte der AfD-Wahlergebnisse handelt, die nur indirekt in Zusammenhang zur Kreisgröße stehen. Bundesländer mit großen Kreisstrukturen sind gleichzeitig die Bundesländer, die ein grundsätzlich höheres AfD-Wählerpotenzial besitzen, ohne dass dies – wie Abb. 5 verdeutlicht – etwas mit der tatsächlichen Fläche oder Einwohnerzahl zu tun hätte.

Abb. 5
figure 5

Koeffizienten und Konfidenzintervalle der Beziehung zwischen Kreisgröße und Wahlverhalten in Abhängigkeit unterschiedlicher statistischer Kontrolle. (Quelle: Eigene Darstellung)

Zusätzlich verdeutlicht werden kann dies an deskriptiven Daten in Tab. 2. Unter den fünf Bundesländern, mit der größten durchschnittlichen Kreisfläche befinden sich vier der fünf Bundesländer mit den höchsten AfD-Wähleranteilen und vier der fünf Bundesländer mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Empirisch abgesichert kann und soll dieser Artikel nicht aufklären, welche Mechanismen genau hinter den Bundesländereffekten stehen. Die starken Bundesländereffekte dürften vermutlich hauptsächlich in landespolitischen Faktoren, der Ost-West-Zugehörigkeit sowie in Pfadabhängigkeiten der einzelnen Bundesländer begründet sein. Die Rolle der Kreisgröße – als genuiner Fokus dieses Beitrags – konnte allerdings als wenig bedeutsam für das Wahlverhalten identifiziert werden.

Tab. 2 Durchschnittliche Landkreisfläche, AfD-Wähleranteile und Wahlbeteiligung in den deutschen Bundesländern

6 Zusammenfassung und Ausblick

Das zentrale Ziel dieses Artikels ist es, die Diskussion über die Effekte der Größe von Landkreisen in Deutschland anzureichern und zu versachlichen. Der Fokus liegt dabei auf den Effekten, die die Größe von Gebietskörperschaften auf das Partizipations- und Wahlverhalten der BürgerInnen haben. Ausgangspunkt dieser Debatte sind die in Reformdebatten der jüngeren Vergangenheit häufig kolportierten Zusammenhänge zwischen Kreisgröße und einer Entfremdung der BürgerInnen vom politischen System. Eine Aufarbeitung der relevanten theoretischen Literatur hat gezeigt, dass diese Zusammenhänge keineswegs eine klare Richtung aufweisen, sondern dass je nach gewähltem theoretischem Argument sowohl positive als auch negative Effekte der Kreisgröße postuliert werden können. Demenentsprechend wurden konkurrierende Hypothesen zum Effekt der Kreisgröße auf das Wahlverhalten – operationalisiert über die Wahlbeteiligung und die AfD-Wähleranteile – formuliert. Die empirische Analyse bestätigt diese Ambivalenz insofern, als keine robusten systematischen Effekte der Kreisgröße auf eine der abhängigen Variablen gefunden werden konnten. Vielmehr hat sich gezeigt, dass sich auf den ersten Blick scheinbar existierende Zusammenhänge auf systematische Bundesländerunterschiede und nicht auf Kreisgrößen zurückführen lassen.

Mit dieser Aufarbeitung wird in erster Linie ein zentraler Beitrag zur Debatte um Kreisgebietsreformen in den deutschen Bundesländern geliefert. Die – auch bislang spärliche – Evidenz zu den Effekten von Gebietsreformen in Deutschland im Sinne der Schaffung größerer Einheiten konnte die tatsächlichen Größeneffekte, die in der Regel Kern der Argumentationen gegen die Schaffung solcher Einheiten sind, nicht von den reinen Effekten einer generellen Tendenz zur Ablehnung von Reformen trennen. Dies hat vergleichsweise starke Implikationen, da „Reformabwehrreflexe“ der BürgerInnen einerseits keine sachliche oder funktionale Begründung für das Aussetzen notwendiger Reformen darstellen und andererseits mittel- und langfristig ein Gewöhnungseffekt in Bezug auf durchgeführte Reformen vermutet werden kann. Schließlich liefert der Beitrag neue Evidenz im Diskurs über die Determinanten der Wahlbeteiligung und der AfD-Wahlentscheidung, wenngleich dies nicht den genuinen Fokus der Analyse darstellt.

Verständlicherweise sollen verschiedene, vor allem methodische Limitationen des hier gewählten Forschungsansatzes nicht unerwähnt bleiben. Wie bereits ausgeführt ist die Untersuchung eines individuellen Phänomens mithilfe von aggregierten Daten nicht unproblematisch. Aufgrund der Datenproblematik und der Tatsache, dass bisher noch keine empirische Untersuchung mit dem hier gewählten Fokus existiert, erscheint dieses Vorgehen zur Eröffnung bzw. Erweiterung des Forschungsfelds zu den Effekten von Kreisgebietsgrößen allerdings angemessen. Weiterhin ist die Frage nach konfundierenden Drittvariablen niemals abschließend zu beantworten. Gerade die im Anschluss an die Regression durchgeführte Analyse, die eine potenzielle Scheinkorrelation zwischen Kreisgröße und Wahlverhalten aufdecken konnte, erhöht allerdings das Vertrauen in die Schlussfolgerung, dass der Größeneffekt nicht robust ist. Schließlich ist es diskussionswürdig, ob die gewählten abhängigen Variablen perfekte Messungen der politischen Desintegration darstellen, die existierende Literatur legt dies allerdings zumindest in Teilen nahe.

Für die zukünftige Forschungsagenda könnten diese Einschränkungen vor allem bedeuten, die Analyse auf Individualdaten mit einer expliziten Messung zu politischer Desintegration und Entfremdung auszuweiten. Könnte man zusätzlich noch Individuen über Zeit beobachten, würde die Differenzierung von Reform- und Größeneffekten auf eine weiter gesicherte empirische Basis gestellt werden.