1 Einleitung

Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wurde der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland formal vollzogen. Zugleich bedeutete dies das Ende des staatssozialistischen Systems der DDR. Die Institutionen und Regelsysteme der DDR wurden beseitigt und das westdeutsche Institutionen- und Elitensystem auf die fünf neuen Länder transferiert. Inwiefern mit diesem Transfer der politischen Institutionen der alten Bundesrepublik auf das politische System Gesamtdeutschlands ein Wandel der politischen Einstellungen der Bürger:innen einherging, war seit der Wiedervereinigung umstritten (Gabriel 2007; Glaeßner 2011). Dabei sind die politischen Orientierungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung für die demokratische Qualität, die Stabilität und das Funktionieren eines politischen Systems von zentraler Bedeutung. Gemäß dem Political Culture-Ansatz ist die Kongruenz von politischer Kultur und politischer Struktur eine wichtige Bedingung für die Entwicklung einer stabilen und funktionsfähigen Demokratie (Almond und Verba 1963; Easton 1975; Lipset 1981).

In der politischen Kulturforschung lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: Einige Autoren (Holtmann und Jaeck 2022; Oswald und Robertson 2022; Pickel und Pickel 2020, 2023; Reiser und Reiter 2023; Westle 2022) legen den Fokus darauf, zu untersuchen, inwiefern nach 30 Jahren deutscher Einheit nach wie vor zwei politische Kulturen in einem Staat existieren. Andere Autor:innen argumentieren, dass die Ost-West-Differenzierung zu kurz greife und es sich eher um regionalisierte politische Kulturen in der heutigen Bundesrepublik handele (z. B. Enders et al. 2021; Mannewitz 2015, 2017; Rolfes 2020). Insbesondere die föderale Struktur der Bundesrepublik, in der die Länder über eigene Landesverfassungen verfügen, legen eine regionale Untersuchungsperspektive nahe (Werz und Koschkar 2016).

An den letztgenannten Forschungsansatz anknüpfend, steht im folgenden Beitrag die regionale politische Kultur in Sachsen-Anhalt im Fokus des Interesses. Hierfür spricht, dass Sachsen-Anhalt unter den fünf ostdeutschen Ländern in mehrfacher Hinsicht einen regionalen Sonderfall darstellt. Historisch gesehen ist Sachsen-Anhalt ein Land mit einer vergleichsweise kurzen Geschichte, dessen Bürger:innen erst eine Landesidentität entwickeln mussten (Tullner 2001). Zudem war und ist Sachsen-Anhalt stark vom demografischen Wandel betroffen (Friedrich 2019). Hinzu kommt, dass sich Sachsen-Anhalt mit einer schwachen Wirtschaftsstruktur sowie Infrastrukturdefiziten, einschließlich strukturschwachen ländlichen Regionen, konfrontiert sah und sieht (Holtemöller und Lindner 2018; Jaeck und Kleine 2019). Auch bezüglich Parteiensystem und Wahlverhalten der Bevölkerung gilt Sachsen-Anhalt als Ausnahmeerscheinung, wofür ein geringer Anteil parteipolitisch gebundener Wahlberechtigter, ein hohes Wechsel- und Protestwählerpotenzial, überdurchschnittliche Stimmenanteile der AfD und außergewöhnliche Regierungskoalitionen charakteristisch sind (Detterbeck 2019; Heinze 2022; Stöcker 2019; Weisskircher 2020). Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, wie es um die politische Kultur in Sachsen-Anhalt bestellt ist.

Im Folgenden wird zunächst das Land Sachsen-Anhalt mit seinen regionalen Besonderheiten näher beschrieben. In Kap. 3 wird dargelegt, welche Relevanz Einstellungen zur Demokratie und zu politischen Institutionen aus theoretischer Perspektive haben, und mit welchen Ansätzen sich diese theoretisch erklären lassen. Im Anschluss daran werden der Sachsen-Anhalt-Monitor als Datengrundlage der Untersuchung und die eingesetzten Analyseverfahren vorgestellt. Es folgt die Präsentation der empirischen Ergebnisse. Dabei stehen drei Fragen im Mittelpunkt: 1) Wie haben sich die Einstellungen der Bürger:innen Sachsen-Anhalts zur Demokratie und zu politischen Institutionen zwischen 2007 und 2020 entwickelt?; 2) Welcher Zusammenhang besteht zwischen diesen Einstellungen?; 3) Und wie lassen sich diese Einstellungen empirisch erklären? Der Beitrag schließt mit einer Diskussion der Ergebnisse.

2 Das Land Sachsen-Anhalt

Politische Einstellungen und Verhaltensweisen von Individuen sind stets in soziale Umgebungen eingebettet (Esser 1999). Daher gibt das folgende Kapitel anhand verschiedener Indikatoren einen Überblick über die historischen, demografischen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten Sachsen-Anhalts, um die in Kap. 5 präsentierten, empirischen Befunde in einen größeren Kontext einbetten zu können.

Sachsen-Anhalt ist ein Land mit einer vergleichsweise kurzen Geschichte. Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 durch den Zusammenschluss von Anhalt mit der ehemaligen preußischen Provinz Sachsen und kleineren Gebieten Braunschweigs und Thüringens gebildet (Welz 1999). In dieser Form bestand es bis 1952 als in der DDR im Rahmen der Gebietsreform das Land aufgelöst und die Bezirke Halle und Magdeburg gebildet wurden. Mit der Wiedervereinigung 1990 kam es zur Neubildung des Landes Sachsen-Anhalt aus diesen beiden Bezirken (Tullner 2001). Diese kurze Existenz und die künstliche Zusammensetzung haben Sachsen-Anhalt den Ruf als Land ohne Identität eingebracht, was auch der vielgestaltigen Landschaft geschuldet ist (Bleier 1999; Welz 1999).

Gemessen an der Größe und der Einwohner:innenzahl zählt Sachsen-Anhalt zu den kleineren und dünn besiedelten Bundesländern mit einem vergleichsweise hohen Anteil an landwirtschaftlich genutzter Fläche. In den letzten drei Jahrzehnten (1990 bis 2020) ist das Land stetig geschrumpft und verlor fast ein Viertel seiner Bevölkerung, wobei besonders ländliche Kreise von Abwanderung betroffen waren. Die Folgen sind fehlende Fachkräfte und Auszubildende für die Wirtschaft, ein geringer Frauen- und Kinderanteil sowie eine überalterte Bevölkerung. Zwar ist der Ausländer:innenanteil seit 2011 gestiegen, jedoch fällt der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund im bundesdeutschen Vergleich weit unterdurchschnittlich aus, sodass Zuwanderung keine Lösung des demografischen Problems darstellt (Friedrich 2019; Völkl 2021a). Wie in den anderen ostdeutschen Bundesländern besteht auch in Sachsen-Anhalt eine „Kultur der Areligiosität“ (Pickel 2011, S. 180), da der Großteil der Bevölkerung (ca. 80 %) keiner Kirche angehört.

Das Ende der DDR bedeutete für viele Betriebe in Sachsen-Anhalt das wirtschaftliche Aus, da die meisten technischen Anlagen veraltet und die produzierten Waren nicht wettbewerbsfähig waren. Folglich gestaltete sich der Übergang zur sozialen Markwirtschaft schwierig. Bis 1997 stieg die Arbeitslosigkeit auf 20,3 % und ging erst ab 2005 kontinuierlich zurück. Zugleich entwickelte sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Sachsen-Anhalts seit Anfang der 1990er-Jahre durch Modernisierung und Erweiterung des Kapitalstocks positiv (Holtemöller und Lindner 2018). Allerdings verliert die ostdeutsche Wirtschaft seit 2015 vermehrt den Anschluss an den Rest der Bundesrepublik, sodass eine weitere Angleichung der Wirtschaftskraft an das Westniveau künftig wahrscheinlich deutlich langsamer erfolgen wird (IfW-News 2022). Die geringe Exportorientierung und Produktivität sowie das Fehlen großer Unternehmen sind weitere Indikatoren für die Strukturschwäche Sachsen-Anhalts und des Ostens allgemein (Völkl 2021a).

Neben Gesellschaft und Wirtschaft ist auch die parteipolitische Angebots- und Nachfrageseite für den Zustand und die Entwicklung eines Landes zentral. Charakteristisch für die Wähler:innen Sachsen-Anhalts ist ihre Ungebundenheit an politische Parteien und eine damit einhergehende Neigung zur Wechselwahl (Detterbeck 2019; Stöcker 2019). Betrachtet man die seit 1990 abgehaltenen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt fallen weitere Besonderheiten auf. So ist die Wahlbeteiligung zwischen 1990 und 2016 durch deutliche Zu- und Abnahmen gekennzeichnet. Während sich beispielsweise 1998 71,5 % der Bevölkerung an der Landtagswahl beteiligten, gaben 2006 lediglich 44,4 % ihre Stimme ab, was einem bundesweit historischen Tiefstand entsprach. Ebenso typisch ist ein überdurchschnittlicher Stimmenanteil von Parteien am rechten Rand. 1998 erreichte die DVU bei der Landtagswahl 12,9 %. 2016 erhielt die AfD 24,3 % der Stimmen, was das beste Ergebnis einer Partei auf Landesebene aus dem Stand seit Gründung der Bundesrepublik war (Heinze 2022; Völkl 2021a; Weisskircher 2020). Auch einige Koalitionen, von denen Sachsen-Anhalt seit 1990 regiert wurde, stellen eine Besonderheit dar: angefangen bei einer rot-grünen Minderheitsregierung mit PDS-Tolerierung von 1994 bis 1998, die 1998 eine Neuauflage in Form einer SPD-geführten Minderheitsregierung mit PDS-Duldung erfuhr, über eine Kenia-Koalition (schwarz-rot-grün), die zwischen und 2016 und 2021 amtierte, bis hin zu einem Dreierbündnis aus CDU, SPD und FDP – auch Deutschlandkoalition genannt –, das seit 2021 regiert (Detterbeck 2019; Völkl 2021b).

3 Theoretische Überlegungen

Vor dem Hintergrund dieser spezifischen demographischen, wirtschaftlichen und politischen Kontextbedingungen stellt sich die Frage, wie es um die politische Kultur und politische Unterstützung des demokratischen Systems in Sachsen-Anhalt bestellt ist, umso dringlicher. Im Folgenden werden zunächst die wichtigsten Überlegungen dieser beiden Konzepte vorgestellt, die als Analyseraster dienen, und daraus Fragen bzw. Annahmen für die Untersuchung abgeleitet. Darauf folgt eine Übersicht über verschiedene Ansätze, die zur Erklärung der politischen Einstellungen herangezogen werden.

3.1 Das Konzept der politischen Kultur und der politischen Unterstützung

Der einstellungsorientierte Ansatz der Politischen Kulturforschung, der auf einem empirisch-analytischen Wissenschaftsverständnis basiert, geht vor allem auf Almond und Verba (1963) zurück. Demnach ist unter der politischen Kultur einer politischen Einheit, das Muster der Verteilung von individuellen Orientierungen bezüglich politischer Objekte zu verstehen (Almond und Verba 1963). Differenziert nach Bezugsobjekten können sich Orientierungen auf das politische System als Ganzes (Werte, Verfahrensregeln, Institutionen), den politischen Input (das, was in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse eingeht) und den politischen Output (Ergebnisse politischer Entscheidungsprozesse bzw. des politischen Systems) sowie auf das Individuum als politische:r Akteur:in beziehen. Je nachdem, wie die politischen Einstellungen im Kollektiv verteilt sind, unterscheiden Almond und Verba verschiedene Typen einer politischen Kultur. Am geeignetsten für eine stabile Demokratie ist den Autoren zufolge die sogenannte Civic Culture. Diese zeichnet aus, dass die Bürger:innen zwar ihre Möglichkeiten kennen, sich ins politische System einzubringen, von diesen aber nur im Bedarfsfall Gebrauch machen (Gabriel 1996). Darüber hinaus unterscheiden Almond und Verba zwischen kognitiven (auf Kenntnissen basierend), affektiven (auf Emotionen basierend) und evaluativen (auf Bewertungen basierend) Orientierungen. Zentral für eine Demokratie ist im Sinne des Konzeptes, dass die Bürger:innen positive affektive Bindungen an das politische System aufweisen (Neller 2006). Zudem geht die politische Kulturforschung von der Grundannahme aus, dass die Stabilität eines politischen Systems von der Übereinstimmung zwischen politischer Struktur und politischer Kultur abhängt (Almond 1956; Gabriel 1996).

Auch das Konzept der politischen Unterstützung von Easton (1965, 1975), das als Ergänzung des Ansatzes von Almond und Verba angesehen werden kann (Fuchs 1989), behandelt die Frage der Stabilität politischer Ordnungen. Ähnlich wie Almond und Verba differenziert auch Easton zwischen verschiedenen Objekten und Arten politischer Unterstützung. Auf Seiten der Unterstützungsobjekte wird zwischen politischen Autoritäten (Inhaber bestimmter politischer Rollen), dem politischen Regime (grundlegende Werte, Verfahren, Organisationsprinzipien, erbrachte Leistungen) und der politischen Gemeinschaft (Verbundenheit mit Nationalstaat und Identifikation mit Mitbürgern) unterschieden, bei den Unterstützungsarten zwischen diffuser und spezifischer Unterstützung. Unter diffuser Unterstützung ist eine generalisierte, leistungs- und situationsunabhängige Form der Unterstützung zu verstehen, die affektiv und/oder evaluativ im Orientierungssystem verankert ist. Spezifische Unterstützung dagegen ist durch Kurzfristigkeit und Konkretheit gekennzeichnet sowie leistungs- und situationsabhängig (Easton 1965, 1975; vgl. auch Gabriel 2005; Neller 2006; Westle 2002). Über das Konzept von Almond und Verba hinausgehend stellt Easton eine Hierarchie der politischen Unterstützung bezüglich der Stabilität politischer Systeme auf. Demzufolge sind positive Orientierungen, im Sinne einer diffusen, affektiven Unterstützung gegenüber der politischen Gemeinschaft die wichtigste Bedingung für ein stabiles politisches System, gefolgt von Einstellungen zum Regime, und darauffolgend den Einstellungen zu Autoritäten (Easton 1965, 1975; vgl. auch Fuchs 1989; Neller 2006). Dabei ist sowohl ein top down- als auch bottom up-Effekt möglich. So können Einstellungen zum politischen Regime mit zeitlicher Verzögerung die Einstellungen zu politischen Autoritäten beeinflussen. Umgekehrt ist allerdings auch vorstellbar, dass die Unterstützung politischer Autoritäten sich im Zeitverlauf auf die Unterstützung des politischen Regimes auswirken kann.Footnote 1

In Anlehnung an Almond und Verba sowie Easton und unter Berücksichtigung der Datenlage (vgl. Kap. 4) werden in der vorliegenden Untersuchung Einstellungen näher betrachtet, die sich auf verschiedene politische Objekte beziehen und zugleich eine unterschiedliche Art der politischen Unterstützung darstellen (vgl. Tab. 1).Footnote 2 Hierzu zählt die ideale Vorstellung von einer Demokratie als positive affektive Bindung an das politische System bzw. diffuse Unterstützungsart des politischen Regimes. Dabei wird zwischen einer abstrakten Idealvorstellung der Demokratie als Unterstützung der Idee der Demokratie und einer konkreten Idealvorstellung, zu der die konstitutiven Prinzipien einer Demokratie, wie z. B. die Befürwortung liberaler Grundrechte und ein pluralistischer Parteienwettbewerb zählen, differenziert (Völkl 2005). Des Weiteren wird die Zufriedenheit mit der Demokratie als spezifische Unterstützung des politischen Regimes untersucht, die für die Bevölkerung in alltäglichen Outputs erfahrbar ist. Ergänzt werden die auf das politische Regime bezogenen Unterstützungsformen um das Vertrauen in politische Institutionen als diffuse Unterstützung politischer Autoritäten. Politisches Vertrauen gilt als Kernelement der politischen Unterstützung (Zmerli 2020). Nach Easton (1975) zählt politisches Vertrauen zur diffusen Unterstützung, weil es durch Sozialisierungsprozesse oder langfristige positive Erfahrungen mit politischen Objekten gebildet wird und zudem durch den Glauben an die Rechtmäßigkeit eines politischen Systems geprägt ist.

Tab. 1 Untersuchte Unterstützungsformen nach Eastons Konzept politischer Unterstützung

Unter Berücksichtigung der verschiedenen Unterstützungsobjekte und -arten wird davon ausgegangen (Hypothese 1), dass die Unterstützung der Idee der Demokratie durch die Bevölkerung Sachsen-Anhalts und deren Einstellungen zu demokratischen Prinzipien geringeren Veränderungen über die Zeit unterworfen sind als deren Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen. Ferner wird angenommen (Hypothese 2), dass zwischen der Unterstützung der Idee der Demokratie und demokratischen Prinzipien als leistungsunabhängige Unterstützungsarten einerseits und der Zufriedenheit mit der Demokratie als leistungsabhängige Unterstützungsart und dem Vertrauen in politische Institutionen als autoritätsbezogene Unterstützungsform andererseits jeweils ein stärkerer Zusammenhang besteht als zwischen diffusen und spezifischen bzw. autoritätsbezogenen Unterstützungsformen.

3.2 Erklärungsfaktoren demokratischer Einstellungen

Ausgehend von der Frage, wie sich die Einstellungen der Bevölkerung Sachsen-Anhalts zur Demokratie und zu politischen Institutionen im Zeitverlauf entwickelt haben, stellt sich darüber hinaus die Frage, wie sich diese Einstellungen erklären lassen. Unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit brauchbarer Daten können verschiedene Erklärungsansätze, die in der Forschung existieren, geprüft werden: Sozialisations-, politische Motivations‑, Performanz- sowie institutionen- und akteursbezogene Ansätze (Gabriel 2005; Pickel 2011; Pickel und Pickel 2020, 2023; Roller 2010; Westle 2022). Dabei gilt, dass sich die Erklärungsansätze nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen. Mancher Indikator kann beispielsweise zur Operationalisierung zweier Ansätze herangezogen werden. Ebenso kann für bestimmte Einstellungen die Schnittmenge aus zwei unterschiedlichen Erklärungsansätzen ursächlich sein (Völkl 2005).

Sozialisationstheoretische Ansätze basieren auf der Annahme, dass grundlegende politische Einstellungen, wie demokratische Prinzipien, bereits in der Primärsozialisation im Elternhaus vermittelt werden. Folglich bilden Menschen, die unter ähnlichen Umständen sozialisiert wurden, auch ähnliche Einstellungen heraus. Vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung, die für die in der ehemaligen DDR sozialisierten Bürger:innen einen Regimewechsel mit sich brachte, stellt sich daher die Frage, welchen Einfluss die Einstellungen der ostdeutschen Bevölkerung zu dem untergegangenen Regime der DDR auf die Unterstützung des politischen Systems der Bundesrepublik ausüben. Anzunehmen ist (Hypothese 3), dass weiter existierende Bindungen an die ehemalige DDR bzw. Ostdeutschland und die Unterstützung sozialistischer Werte die Unterstützung demokratischer Einstellungen nach Vorbild der Bundesrepublik negativ beeinflussen (Dalton 1994; Gabriel 2000; Rohrschneider 1999). In diesem Zusammenhang wird ferner im Sinne der Identitätsthese geprüft, wie sich identitätsstiftende Bindungen auf die Unterstützung der politischen Ordnung auswirken (Offe 2000; Westle 2003).

Politische Motivationsansätze umfassen vor allem psychologische Prädispositionen in Form von Einstellungen gegenüber der Politik (Verba et al. 1995). Hierzu zählen die immaterielle Ressourcenausstattung von Individuen wie das Bildungsniveau, aber auch die Statuszugehörigkeit, Partizipationsbereitschaft und politische Involvierung, also die Bereitschaft des Individuums, sich mental mit Politik zu beschäftigen. Generell wird von einem positiven Einfluss der politischen Motivation auf Einstellungen zur Demokratie als Idee und demokratischen Prinzipien ausgegangen (Hypothese 4).

Performanzbasierten Ansätzen zufolge hängen demokratische Einstellungen in erster Linie von der wahrgenommenen Leistung des politischen Systems ab. Zu dieser Gruppe von Ansätzen zählen unter anderem die Situationsthese, die Demokratieeinstellungen mit Hilfe der sozioökonomischen Lage erklärt. Auch die These der relativen Deprivation ist hierunter zu subsumieren und geht davon aus, dass Individuen oder Gruppen einen ungleichen Zugang zu gesellschaftlichen Gütern haben (Gabriel 2000, 2005). Dieser Umstand kann dazu führen, dass Personen das Gefühl haben, einer benachteiligten Bevölkerungsgruppe anzugehören und von der Gesellschaft ungerecht behandelt zu werden. Folglich wird angenommen (Hypothese 5), dass eine negative Bewertung der sozioökonomischen Verhältnisse und die subjektive Wahrnehmung widerfahrener Ungerechtigkeit weniger Zufriedenheit mit der Demokratie und geringeres Vertrauen in politische Institutionen begünstigt.

Nach Easton (1965, 1975) wird die Unterstützung der politischen Ordnung maßgeblich von Einstellungen der Bevölkerung zu politischen Akteur:innen und Institutionen beeinflusst. Demnach gilt, dass eine positive Beurteilung von politischen Institutionen und/oder Politiker:innen mit einer höheren Unterstützung der politischen Ordnung einhergeht. Hierbei ist zu beachten, dass das politische Institutionenvertrauen in der vorliegenden Untersuchung den Status einer abhängigen Variable einnimmt und folglich nur die Beurteilung von Politiker:innen bzw. die Einstellungen zu einzelnen Entscheidungsträger:innen als Erklärungsfaktoren berücksichtigt werden. Es wird davon ausgegangen (Hypothese 6), dass Personen mit einem positiven Politiker:innenbild und Anhänger:innen von Regierungsparteien mit der praktizierten Demokratie zufriedener sind als Personen mit einem negativen Eindruck von Politiker:innen und Anhänger:innen von Oppositionsparteien (Fuchs 1989; Gabriel 2000; Westle 1989).

In Bezug auf die beiden Unterstützungsformen wird angenommen (Hypothese 7a), dass sich spezifische Unterstützungsformen, wie die Demokratiezufriedenheit und das politische Institutionenvertrauen, besser durch performanzbasierte und akteursbezogene Ansätze erklären lassen als diffuse Unterstützungsformen. Bei Letztgenannten wiederum sollten sich Ansätze, die Determinanten heranziehen, die tiefer im Orientierungssystem des Menschen verankert sind, wie politische Motivations- und Sozialisationsansätze, als erklärungskräftiger erweisen (Hypothese 7b).

4 Daten und Methoden

Die Fragen bzw. Annahmen werden mit Daten des Sachsen-Anhalt-Monitors untersucht. Der Sachsen-Anhalt-Monitor erhebt seit 2007 in unterschiedlichen zeitlichen Abständen repräsentative Daten zu den Einstellungen der Bevölkerung des Landes. Anlass für die Befragungen war die niedrige Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl am 26. März 2006, bei der lediglich 44,4 % der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben hatten. Bisher existieren acht Sachsen-Anhalt-Monitore (2007, 2009, 2010, 2012, 2014, 2015, 2018, 2020), deren Abschlussberichte im Internet zum Download zur Verfügung stehen.Footnote 3 Die Daten werden im Sinne von Open Data auf Anfrage per E‑Mail weitergegeben.

Generell werden für die Monitore repräsentative Zufallsstichproben unter der wahlberechtigten Bevölkerung in Sachsen-Anhalt ab 18 Jahren gezogen. Mit Ausnahme von 2020 handelt es sich bei allen Datenerhebungen um telefonische Befragungen (CATI). 2020 wurde erstmals davon abgewichen und die Telefonstichprobe um eine Onlinebefragung (CAWI) ergänzt. Grund hierfür war, die Probleme bei der Erreichbarkeit junger Personen über einen Festnetzanschluss zu kompensieren. Der Stichprobenumfang liegt in der Regel bei ca. 1000 Befragten.Footnote 4 Auftraggeber aller Monitore war die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen-Anhalt.Footnote 5 Die Datenerhebung wurde von verschiedenen Erhebungsinstituten durchgeführt: 2007, 2009 und 2010 von Infratest dimap, 2012 und 2014 von aproxima, 2015 von BACES, 2018 und 2020 von CONOSCOPE GmbH.

Inhaltlich lassen sich zwei Varianten von Sachsen-Anhalt-Monitoren unterscheiden: einerseits die regulären Monitore und andererseits die Sondermonitore. Erstgenannte bestehen aus einem kontinuierlichen Fragenrepertoire, das bei jeder Befragung erhoben wird, und durch spezifische Themen ergänzt wird. Abgesehen von diesen regulären Monitoren existieren zwei Sondermonitore (2010 und 2015), die einen speziellen Themenschwerpunkt aufweisen und vom üblichen Fragenrepertoire abweichen. Für die folgenden Analysen dienen die sechs regulären Monitore von 2007, 2009, 2012, 2014, 2018 und 2020 als Datenbasis. Sie haben den Vorteil, dass dank nahezu identischer Frage- und Antwortformulierungen Längsschnittuntersuchungen für den Zeitraum von 2007 bis 2020 durchgeführt werden können. Auf diese Weise lässt sich Stabilität und Wandel von Einstellungen über die Zeit untersuchen. Zudem gelten Längsschnittdaten im Vergleich zu einmaligen Erhebungen als zuverlässiger.

Bei der Auswahl geeigneter Variablen war sowohl auf abhängiger als auch auf unabhängiger Seite die inhaltliche Passung sowie die Verfügbarkeit entscheidend. Zwei der vier abhängigen Variablen wurden über einen Mittelwertindex gebildet.Footnote 6 Hierzu gehören die Einstellungen zu demokratischen Prinzipien, die sich aus der Befürwortung liberaler Grundrechte (Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht) sowie eines pluralistischen Parteienwettbewerbs (Recht auf Opposition und alternierende Parteienregierung) zusammensetzen. Der Mittelwertindex des politischen Institutionenvertrauens basiert auf dem Vertrauen in die beiden Exekutivorgane Bundes- und Landesregierung sowie dem Vertrauen in Parteien allgemein. Die Demokratiezufriedenheit wurde mit der Frage nach der Zufriedenheit „mit der Art und Weise, wie die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“ gemessen. Für die Analyse der Idee der Demokratie als beste Staatsform müssen zwei unterschiedliche Operationalisierungen verwendet werden: In den ersten Monitoren (2007, 2009, 2012 und 2014) wurde die Variable über die graduelle Zustimmung zu der Aussage „Die Demokratie ist die beste aller Staatsideen.“ erhoben. In den Monitoren 2018 und 2020 wurden die Befragten um eine Bewertung der Idee der Demokratie im Allgemeinen gebeten: „Was würden Sie, im Vergleich zu anderen Staatsideen, zur Idee der Demokratie sagen. Sind Sie entschieden dafür, eher dafür, eher dagegen oder entschieden dagegen?“ Dies gilt es bei der Auswertung zu berücksichtigen.

Die Operationalisierung der verschiedenen Erklärungsansätze erfolgt über die folgenden Variablen: Aspekte der politischen Motivation werden über das Bildungsniveau, eine beabsichtigte Nichtwahl bzw. Abgabe einer ungültigen Stimme, wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre, Politikinteresse und politische Diskussionshäufigkeit erfasst. Für die performanzbasierten Ansätze werden die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage in Sachsen-Anhalt, das monatliche Haushaltseinkommen, die Lebenszufriedenheit und die subjektive Einschätzung, ob man im Vergleich zu anderen in Deutschland seinen gerechten Anteil erhält, herangezogen. Für die akteursbezogenen Erklärungsansätze sind zwei Indikatoren verfügbar, zum einen die Beurteilung von Politiker:innenFootnote 7 und zum anderen die Sonntagsfrage auf Landesebene, aus der die Anhänger:innen von Regierungs- und Oppositionsparteien gebildet werden. Die Sozialisations- bzw. Identitätsthese wird über das Verbundenheitsgefühl zu OstdeutschlandFootnote 8 und Sachsen-Anhalt sowie die Zugehörigkeit zu verschiedenen GenerationenFootnote 9 operationalisiert. Als Kontrollvariable wird das Geschlecht berücksichtigt.

Der Großteil der Variablen wurde in den verschiedenen Monitor-Befragungen mit gleicher Formulierung erhoben. Ein Unterschied, den es zu beachten gilt, bezieht sich auf die Skalenbreite. Vor allem in den ersten beiden Monitoren 2007 und 2009 wurden häufiger 4er- anstelle von 5er-Likert-Skalen verwendet. Um dennoch einen Vergleich über die Zeit zu ermöglichen, wurden diese Variablen auf einen Wertebereich von −2 bis +2 codiert und das arithmetische Mittel als statistischer Kennwert herangezogen.

Als Analyseverfahren wird eine multiple lineare Regression verwendet. Hierfür spricht, dass der Großteil der Analysen in der Forschungsliteratur dieses Verfahren nutzt und zudem lineare Modelle besser interpretierbar sind als alternative Verfahren (Hebenstreit et al. 2022, S. 67). Das Bildungsniveau, die aus der Sonntagsfrage gebildeten Variablen und die Generationenzugehörigkeit wurde den Modellvoraussetzungen der linearen Regression entsprechend als Dummy-Variablen in die Analyse einbezogen. Die übrigen Variablen weisen quasi-metrisches Skalenniveau auf. Da vereinzelt Heteroskedastizität vorlag, wurden zur Kontrolle zusätzlich Modelle mit robusten Standardfehlern (HC3-Methode) geschätzt, die jedoch keine substanziell anderen Erkenntnisse ergaben. Insgesamt wurden für sechs Jahre, in denen ein regulärer Sachsen-Anhalt-Monitor erhoben wurde, jeweils vier Regressionsmodelle berechnet.

5 Empirische Analysen

Im Folgenden wird zunächst die Entwicklung der Einstellungen der Bevölkerung Sachsen-Anhalts im Zeitverlauf zwischen 2007 und 2020 aufgezeigt. Der Fokus liegt auf den vier oben eingeführten Unterstützungsformen: dem Vertrauen in politischen Institutionen als autoritätsbezogene Unterstützungsform und der Demokratiezufriedenheit als spezifische Unterstützungsform einerseits und der Beurteilung demokratischer Prinzipien sowie der Bewertung der Demokratie als Staatsidee als diffuse, regimebezogene Unterstützungsformen andererseits. Daran anschließend wird untersucht, inwiefern ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Unterstützungsformen besteht. Abschließend wird die Frage beantwortet, wie sich diese mit Hilfe verschiedener Ansätze erklären lassen.

5.1 Entwicklung der Einstellungen im Zeitverlauf und Zusammenhang zwischen den Einstellungen

Abb. 1 zeigt bereits auf den ersten Blick, dass sich die Einstellungen der Bürger:innen in Sachsen-Anhalt gemäß der unterschiedlichen Unterstützungsformen in zwei Gruppen aufteilen lassen: auf der einen Seite die diffuse und auf das politische Regime bezogene Unterstützung der demokratischen Prinzipien und die Idee der Demokratie und auf der anderen Seite die spezifische Unterstützung der Demokratiezufriedenheit und die autoritätsbezogene Unterstützung des politischen Institutionenvertrauens. Die Stabilität der Einstellungen betreffend war die Erwartung (Hypothese 1), dass die diffuse, regimebezogene Unterstützung weniger Veränderungen über die Zeit unterworfen ist als die spezifische bzw. autoritätsbezogene. Dies trifft unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zeitabstände zwischen den Erhebungen jedoch nur auf den Zeitraum zwischen 2007 und 2014 zu. Während die Zustimmung zu demokratischen Prinzipien gefolgt von der Idee der Demokratie als beste Staatsidee innerhalb dieser sieben Jahre auf hohem Niveau stabil war, war das Vertrauen in politische Institutionen und die Zufriedenheit mit der Demokratie zu Beginn 2007 geringfügig negativ ausgeprägt. Das Vertrauen in politische Institutionen stieg in den Folgejahren kontinuierlich an und erreichte 2014 seinen bisherigen Höchstwert. Die Entwicklung der Demokratiezufriedenheit war zwischen 2007 und 2014 von einem Auf und Ab gekennzeichnet und wurde 2014 von der Bevölkerung Sachsen-Anhalts neutral eingestuft. Es zeigt sich, dass die Sachsen-Anhalter:innen zumindest zeitweise mit den politischen Institutionen geringfügig zufriedener waren als mit der Demokratie. Allerdings war diese Entwicklung nicht von Dauer. Vor 2012 und nach 2014 wurden beide Unterstützungsobjekte fast identisch beurteilt.

Abb. 1
figure 1

Einstellungen zur Demokratie und zu politischen Institutionen im Zeitverlauf, 2007–2020 (Angaben: arithmetische Mittelwerte). Quellen: Sachsen-Anhalt-Monitore 2007–2020, eigene Berechnungen

Betrachtet man den Zeitraum zwischen 2014 und 2020 muss zunächst das veränderte Frageformat bei der Idee der Demokratie beachtet werden. Es fällt auf, dass der Wechsel von einer Aussage, deren graduelle Zustimmung zur politischen Ordnung im Rahmen einer Itembatterie als eine neben anderen Variablen erfasst wird, inhaltlich offensichtlich etwas anderes misst als die Bewertung der Idee der Demokratie im Vergleich zu anderen Staatsideen, die zudem in Zusammenhang mit der Demokratie, wie sie in der Verfassung verankert ist, und der Demokratiezufriedenheit erfragt wird. Beschränkt man sich aufgrund dessen auf die Jahre 2018 und 2020 ist festzuhalten, dass die Beurteilung der beiden diffusen und der spezifischen und autoritätsbezogenen Unterstützungsformen nahezu identisch bezüglich des Niveaus ausfallen. Sowohl das Institutionenvertrauen als auch die Demokratiezufriedenheit werden zu beiden Erhebungszeitpunkten geringfügig positiv eingestuft. Die Idee der Demokratie und die demokratischen Prinzipien werden 2018 zwar äußerst positiv beurteilt, erfahren 2020 aber einen relativ deutlichen Zustimmungsverlust. Diesbezüglich wird abzuwarten sein, in welche Richtung sich der Trend weiterentwickelt.

Bezieht man neben dem arithmetischen Mittelwert zusätzlich die StandardabweichungFootnote 10 in die Analyse ein, zeigt sich, dass die Beurteilung der verschiedenen Einstellungsarten unter den Befragten recht unterschiedlich ausfällt und nicht entlang der Trennlinie zwischen den beiden Unterstützungsformen diffus vs. spezifisch/autoritätsbezogen verläuft (tabellarisch nicht ausgewiesen). Das heterogenste Meinungsbild über alle Erhebungszeitpunkte hinweg weisen Sachsen-Anhalter:innen im Hinblick auf die Bewertung der Idee der Demokratie (gemessen über die Zustimmungsaussage) und die Demokratiezufriedenheit auf.Footnote 11 Relativ einig sind sich die Bürger:innen bei ihrem Urteil im Vergleich dazu bei den demokratischen Prinzipien und dem Institutionenvertrauen, wobei bei Letztgenanntem im Zeitverlauf eine leicht zunehmende Meinungsvielfalt zu beobachten ist.Footnote 12 Eastons Theorie zufolge wäre ein weitgehend homogenes Meinungsbild in der Bevölkerung insbesondere bei den diffusen Unterstützungsformen für ein stabiles politisches System förderlich. Diesem Anspruch werden die Einstellungen nur teilweise gerecht.

Wendet man sich der Frage zu, welcher Zusammenhang zwischen den verschiedenen Einstellungen zur Demokratie und zu politischen Institutionen besteht, gilt auch diesbezüglich, dass sich die in Kap. 3 aufgestellte Hypothese 2 nur teilweise bestätigt (vgl. Tab. 2). Bestätigt wird die Annahme in Bezug auf die spezifische bzw. autoritätsbezogene Unterstützungsformen. So fällt der Zusammenhang zwischen der Demokratiezufriedenheit und dem politischen Institutionenvertrauen über die Zeit hinweg am stärksten aus, wodurch die theoretische Annahme einer eigenständigen Subdimension empirisch gestützt wird. Demnach sollte der Zusammenhang zwischen den beiden diffusen Unterstützungsarten, die sich auf das politische Regime beziehen, ähnlich hoch ausfallen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Stärke des Zusammenhangs zwischen der Bewertung der Idee der Demokratie und der Beurteilung der demokratischen Prinzipien ist lediglich mittelstark und variiert teilweise erheblich zwischen den Jahren. Vergleichbare Zusammenhänge, was die Stärke betrifft, bestehen zwischen der Idee der Demokratie und dem Institutionenvertrauen sowie der Demokratiezufriedenheit. Lediglich die Beurteilung der demokratischen Prinzipien werden der Annahme einer diffusen Unterstützungsform gerecht, da sie weder mit der spezifischen noch autoritätsbezogenen Unterstützungsform einen nachweislichen Zusammenhang aufweisen. Zusammengefasst zeigt dies, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie weitgehend unabhängig von der Akzeptanz demokratischer Prinzipien ist. Das heißt, Zufriedenheit und Unzufriedenheit treten bei Demokraten und Nichtdemokraten auf. Umgekehrt bedeutet dies wiederum, dass Unzufriedenheit mit der Demokratie nicht in eine Ablehnung demokratischer Prinzipien umschlägt.

Tab. 2 Zusammenhang zwischen Einstellungen zur Demokratie und zu politischen Institutionen im Zeitverlauf, 2007–2020 (Angaben: Pearsons Korrelationskoeffizienten)

5.2 Erklärung der Einstellungen

Ausgehend von dem unterschiedlichen Niveau spezifischer bzw. autoritätsbezogener und diffuser Unterstützung der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt, wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wie gut sich diese Unterstützungsformen seit dem Erhebungsbeginn des Sachsen-Anhalt-Monitors 2007 mit den in Abschn. 3.2 vorgestellten Ansätzen erklären lassen. Tab. 3 zeigt, dass die Erklärungsleistung der Modelle nach Unterstützungsart und -objekt sowie über die Zeit teilweise deutlich variiert. Generell lassen sich die spezifischen bzw. autoritätsbezogenen Unterstützungsformen deutlich besser erklären als die diffuse, regimebezogene Unterstützung. Die Varianzaufklärung für das Vertrauen in politische Institutionen schwankt zwischen 31,5 % im Jahr 2014 und 51,1 % im Jahr 2020. Weniger Veränderungen ist die Erklärungskraft der Demokratiezufriedenheit unterworfen, die 2018 mit 23,1 % am geringsten und in der Folgeerhebung 2020 mit 34,2 % am höchsten ausfiel. Für die Erklärung der diffusen, regimebezogenen Unterstützung der Demokratie scheinen die Ansätze dagegen deutlich weniger geeignet zu sein. So liegt die Güte des Modells im Falle der Beurteilung demokratischer Prinzipien bei knapp 14 % Varianzaufklärung und im Falle der Bewertung der Demokratie als beste Staatsidee bei knapp 16 %. Dies zeigt, dass die generalisierte Unterstützung der Demokratie relativ unabhängig von Gruppenzugehörigkeit und anderen politischen Einstellungen ist. Auffallend ist, dass sich die gemessenen Einstellungen diffuser, regimebezogener Unterstützung im Jahr 2018 besonders schlecht erklären lassen.

Tab. 3 Erklärung der Einstellungen zur Demokratie und zu politischen Institutionen im Zeitverlauf, 2007–2020 (Angaben: korrigiertes R2)

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Erklärungsleistung der Einstellungen zur Demokratie und zu politischen Institutionen wird im Folgenden die Frage behandelt, welche Ansätze sich für die verschiedenen Unterstützungsformen als besonders erklärungskräftig erwiesen. Dabei liegt der Fokus auf denjenigen Ansätzen, die sich über die Zeit hinweg bei einem Großteil der sechs Erhebungen als signifikant erwiesen, um die zentralen Erklärungsstrukturen aufzuzeigen (tabellarisch nicht ausgewiesen).

Generell bestätigt sich für die spezifischen bzw. autoritätsbezogenen Unterstützungsformen die Annahme (Hypothese 7a), dass sie sich vor allem durch Determinanten, die den performanzbasierten und akteursbezogenen Ansätzen zuzurechnen sind, erklären lassen. Besonders erklärungskräftig für das Vertrauen in politische Institutionen sind – übereinstimmend mit Hypothese 6 – die Einstellungen zu politischen Akteur:innen. Dabei gilt, dass Personen, die den Eindruck haben, dass sich Politiker:innen um die Probleme der einfachen Leute kümmern, und Anhänger:innen von Regierungsparteien prinzipiell ein höheres Institutionenvertrauen haben als Personen mit einem negativen Politiker:innenbild oder Anhänger:innen von Oppositionsparteien. Nichtwähler:innen und Personen, die eine ungültige Stimme bei der nächsten Landtagswahl abgeben würden, tendieren dagegen dazu, politischen Institutionen nicht zu vertrauen. Darüber hinaus wirkt sich gemäß Hypothese 5 eine positive Beurteilung der wirtschaftlichen Lage Sachsen-Anhalts und der eigenen Lebenszufriedenheit sowie der Eindruck, im Vergleich zu anderen einen gerechten Anteil zu erhalten, zugunsten des Institutionenvertrauens aus. Abgesehen von diesen politiker- und leistungsabhängigen Faktoren zeigt sich über nahezu alle Erhebungen hinweg, dass eine regionale Verbundenheit mit Sachsen-Anhalt das Vertrauen in politische Institutionen fördert. Eine Besonderheit der Jahre 2018 und 2020 ist der signifikante Effekt der Generationenzugehörigkeit, der sich durch eine besonders hohe Erklärungsleistung auszeichnet. Im Vergleich zur Kriegsgeneration vertrauen Angehörige der DDR-Nachkriegsgeneration, der Wende- und der Nachwendegeneration politischen Institutionen weniger. Das heißt, dass auch identitätsstiftende und in den jüngsten Befragungen sozialisationsbezogene Faktoren für das Institutionenvertrauen der Sachsen-Anhalter:innen bedeutsam sind.

Ähnlich erklärungskräftig wie für das Institutionenvertrauen erweisen sich in Übereinstimmung mit den Hypothesen 5, 6 und 7a die akteursbezogenen und performanzbasierten Ansätze für die Demokratiezufriedenheit. Zusätzlich übt das Bildungsniveau in vier von sechs Erhebungen einen signifikanten Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Demokratie aus.

Ein gänzliches anderes Erklärungsmuster weisen die diffusen, regimebezogenen Unterstützungsformen auf. Damit bestätigt sich auch für sie die Vermutung (Hypothese 7b), dass sie sich besser durch tiefer im Orientierungssystem des Menschen verankerte Determinanten, wie politische Motivations- oder Sozialisationsansätze, erklären lassen. Zentrale Faktoren sind Hypothese 4 entsprechend insbesondere das Politikinteresse und die politische Diskussionshäufigkeit. Dabei gilt, je stärker das politische Interesse ausgeprägt ist und je häufiger eine Person über Politik diskutiert, desto eher stimmt sie demokratischen Prinzipien zu. In einigen Untersuchungsjahren übt auch das Bildungsniveau einen signifikanten Einfluss aus. Ergänzt werden diese motivationalen um sozialisationsbezogene Faktoren (Hypothese 3) als erklärende Determinante, konkret die Generationenzugehörigkeit. Es zeigt sich für alle Erhebungen, dass die Nachwendegeneration im Vergleich zur Kriegsgeneration demokratischen Prinzipien deutlich weniger Zustimmung entgegenbringt. Darüber hinaus stimmen Männer demokratischen Prinzipien eher zu als Frauen – ausgenommen 2020.

Das uneinheitlichste Bild, was die Erklärung betrifft, ergibt sich für die Bewertung der Demokratie als beste Staatsidee. Diese Aussage gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass 2018 und 2020 eine andere Frageformulierung zur Operationalisierung verwendet wurde. Den deutlichsten Effekt üben – wie erwartet (Hypothese 4) – Faktoren der politischen Motivation aus. Dabei führen eine höhere Anzahl politischer Diskussionen, ein stärkeres Politikinteresse und ein Gymnasialabschluss tendenziell zu einer positiveren Bewertung der Idee der Demokratie. Der Umstand, bei der nächsten Landtagswahl nicht wählen gehen zu wollen oder ungültig abzustimmen, bewirkt dagegen erwartungsgemäß eine negativere Bewertung. In einigen Untersuchungsjahren üben auch performanzbasierte Faktoren wie die Meinung, seinen gerechten Anteil zu erhalten, oder die Lebenszufriedenheit, teilweise ergänzt um den akteursbezogenen Faktor, Anhänger:innen einer Regierungspartei zu sein, einen positiven Einfluss auf die Bewertung der Idee der Demokratie aus. Auffallend ist, dass zwischen 2007 und 2014, als die Frage über eine Zustimmungsaussage erhoben wurde, durchgängig gemäß Hypothese 3 ein Generationeneffekt zu beobachten ist. Demnach bewerten Angehörige der Wende- und Nachwendegeneration die Idee der Demokratie im Vergleich zu in der Kriegszeit Sozialisierten deutlich negativer.

6 Schlussbemerkungen

Vor dem Hintergrund, dass das autoritäre System der DDR mit Zustimmung seiner Bürger:innen abgeschafft wurde, die Wiedervereinigung von einer Mehrheit der Ostdeutschen gewollt war und erste Umfragen nach der Wende nahelegten, dass auch die Demokratie als Ordnungsmodell mehrheitlich befürwortet wurde, war die Annahme, dass sich in den Jahren nach der Wiedervereinigung in den neuen Ländern eine demokratische politische Kultur nach dem Vorbild Westdeutschlands etablieren würde, nicht unberechtigt. Empirische Analysen in den Folgejahren wiesen jedoch darauf hin, dass zu Anfang und Mitte der neunziger Jahre die Bedingungen für ein stabiles und funktionsfähiges politisches System, das auf einer mehrheitlichen Unterstützung der Demokratie im Allgemeinen und so, wie sie in Deutschland besteht, nicht gegeben war (Roller 2010). Und auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung existieren noch immer Unterschiede bezüglich politischer Einstellungen aber auch politischer Verhaltensweisen zwischen Ost- und Westdeutschland (z. B. Pickel und Pickel 2023; Elff et al. 2022).

Die vergleichsweise hohe und stabile Zustimmung zur Demokratie als beste Staatsidee und zu demokratischen Prinzipien der Sachsen-Anhalter:innen zwischen 2007 und 2020 mag daher überraschen. Als Ursache für dieses generelle Systemvertrauen kann jedoch die positive Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Gegensatz zu den ersten Jahren der deutschen Vereinigung angesehen werden, die mit einer zunehmenden Lebensqualität eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung einherging. Hinzu kommt, dass soziale Härten durch arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Kurzarbeit abgemildert wurden (Holtmann 2019). Latent ist die Frucht vor Statusverlust und sozialem Abstieg sowie die Angst vor Arbeitsplatzverlust allerdings durchaus präsent, was insbesondere für die Mittelschicht gilt (Lengfeld und Ordemann 2016). Dies drückt sich in der allgemein deutlich kritischeren Beurteilung der Demokratiezufriedenheit und des politischen Institutionenvertrauens durch die Bürger:innen Sachsen-Anhalts im Zeitverlauf aus.

Hierbei gilt es, die regionalen Spezifika Sachsen-Anhalts, wie demografischer Wandel, schwache Wirtschaftsstruktur sowie Infrastrukturdefizite, und die Transformationserfahrungen der Bevölkerung infolge der Wiedervereinigung, die für viele Menschen mit Arbeitslosigkeit, negativer Wahrnehmung der Privatisierungsprozesse durch die Treuhand, finanzieller Unsicherheit, der Entwertung des eigenen Lebenslaufs, aber auch einem Gefühl der Benachteiligung und des Nicht-Mehr-Gebrauch-Werdens verbunden waren und bis heute im politischen Bewusstsein nachwirken, zu berücksichtigen (Holtmann et al. 2020). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass für das Institutionenvertrauen und die Demokratiezufriedenheit der Bürger:innen Sachsen-Anhalts in erster Linie akteursbezogene Faktoren wie ein positives Politiker:innenbild und Performanzaspekte wie eine positive Beurteilung der wirtschaftlichen Lage verantwortlich sind. Zugleich ist dies ein eindeutiger Hinweis für Politik und Politiker:innen, dass sich stabile wirtschaftliche Verhältnisse und Aufgeschlossenheit gegenüber den Sorgen der Bürger:innen positiv auf politische Einstellungen wie das Institutionenvertrauen und die Demokratiezufriedenheit auswirken.

Weniger eindeutig sind die Erkenntnisse bezüglich demokratischer Prinzipien und der Demokratie als Ordnungsmodell. Zwar ist die Zustimmung im Untersuchungszeitraum vergleichsweise hoch und stabil, allerdings lassen sich diese diffusen regimebezogenen Unterstützungsformen deutlich schlechter erklären als die spezifischen und autoritätsbezogenen Varianten politischer Unterstützung. Festzustellen ist, dass sich eine erhöhte politische Kompetenz positiv auf die diffusen, demokratischen Einstellungen auswirkt. Generell fiel bei diesen Einstellungen – aber auch beim Institutionenvertrauen – über nahezu alle Erhebungsjahre von 2007 bis 2020 ein Sozialisationseffekt auf. Sachsen-Anhalter:innen, die zur Wende- und/oder Nachwendezeit sozialisiert wurden, weisen eine kritischere Meinung gegenüber Demokratie und Institutionen auf als in der Kriegszeit Sozialisierte. Dieses durchaus als Krisensymptom zu wertende Ergebnis deckt sich mit den Ergebnissen des Sachsen-Anhalt-Monitors 2020 und sollte in Folgestudien mit kritischem Blick aufmerksam verfolgt werden.

Auch der Umstand der geringen Erklärungsleistung von demokratischen Prinzipien und der Einstellungen zur Demokratie als Idee und Ordnungsprinzip sollte als Auftrag für weiterführende Forschung verstanden werden. Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten ist die relative Unabhängigkeit dieser Einstellungen von Performanz- und Persönlichkeitsfaktoren zwar durchaus begrüßenswert. In Anbetracht der Relevanz dieser politischen Einstellungen für das politische System ist allerdings von Nachteil, dass zumindest teilweise ungeklärt bleibt, welche Faktoren für eine eindeutige Befürwortung diffuser Unterstützung verantwortlich sind. Demzufolge können – abgesehen von Maßnahmen zur Steigerung subjektiver politischer Kompetenzen – keine weiteren Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden, die sich positiv auf die Einstellungen zur Demokratie an sich und ihre Prinzipien auswirken.

Ebenso wären für künftige Untersuchungen Individualdaten wünschenswert, die regionalspezifische Analysen zwischen ländlich und städtisch geprägten Gegenden in Sachsen-Anhalt zulassen, um zuverlässigere Aussagen bezüglich der politischen Einstellungen der Bürger:innen unter Berücksichtigung des Lebensumfelds treffen zu können. Zudem würden solche Daten die Möglichkeit bieten, die Frage zu prüfen, inwiefern es sich bei den politischen Einstellungen der Sachsen-Anhalter:innen um eine homogene politische Kultur des Landes handelt oder ob verschiedene regionale politische Kulturen existieren.