„Sehr eigenartig diese Angst, die mir der Schmerz gegenwärtig bereitet, zumindest dieser Schmerz jetzt. Er ist erträglich, und trotzdem kann ich ihn nicht ertragen“ [5].

Viel ist geschrieben worden über den Schmerz, ein Phänomen, welches die Menschheit seit Anbeginn begleitet und nach dessen Sinn sowie nach Wegen der „Erlösung“ gesucht wird [23]. Auch wenn die Komplexität von Schmerzen immer wieder thematisiert wurde, so hat sich ein umfassendes Verständnis des Schmerzes in der Medizin und – mit Verzögerung – in der Gesellschaft erst allmählich im 20. Jahrhundert entwickelt. Zu nennen sind hier Protagonisten wie u. a. der Anästhesist J.J. Bonica (1917–1994) und der Psychiater G.L. Engel (1913–1999), die nicht nur als Wegbereiter eines modernen Schmerzverständnisses gesehen werden dürfen, sondern auch als Wegbereiter einer komplexen Behandlung [22, 23]. Sie wiesen darauf hin, dass insbesondere unimodale Ansätze in der Behandlung chronischer Schmerzen in einer „Sackgasse“ enden und dass Schmerz ein Phänomen ist, das auch jenseits organisch fassbarer Begriffe und Befunde beschrieben und letztendlich auch behandelt werden muss. Somit dürfen sie auch als Wegbereiter der sogenannten interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) gesehen werden, wie sie – noch in rudimentärer Form – erstmalig von T.G. Mayer und R.J. Gatchel beschrieben wurde und ihren Weg nach Deutschland über H.U. Gerbershagen in Mainz und J. Hildebrandt sowie M. Pfingsten in Göttingen in der späten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand [8,9,10,11, 13]. Mittlerweile wird diese Therapieform in vielen Kliniken deutschlandweit angeboten und durchgeführt. Sie ist im sogenannten OPS-Katalog hinterlegt und wurde zeitweise von Krankenkassen empfohlen [4, 7]. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. begleitet diese Therapieform mit einer eigens etablierten Ad-hoc-Kommission bereits seit 2009. Diese Kommission definiert in abgestimmten Prozessen Standards und entwickelt die Therapieform weiter [1,2,3, 19]. In zahlreichen Untersuchungen konnte in den letzten Jahren die Effektivität dieser Behandlungsform eindrucksvoll demonstriert werden und so wird sie zunehmend als „Goldstandard“ in der Behandlung von Patienten mit chronifizierten Schmerzen angesehen [14,15,16, 20, 24]. Doch hinter der Fassade des „Goldstandards“ verbergen sich auch heute noch viele ungeklärte Fragen, die auf ihre Beantwortung warten. Zu nennen sind beispielhaft die (noch) fehlende Einigung auf zu nutzende Messinstrumente [6, 12] und die Frage nach den (notwendigen) Therapieinhalten [18]. Auch gibt es eine anhaltende Diskussion darüber, in welcher Form (stationär, teilstationär, ambulant) diese Therapieform angeboten und durchgeführt werden soll und kann. Hierzu hat unlängst die Ad-hoc-Kommission der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. Stellung bezogen [19].

Der Schmerz ist ein Phänomen, welches die Menschheit seit Anbeginn begleitet

In diesem Themenschwerpunkt versuchen wir gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation in den Bereichen der Versorgung, aber auch der wissenschaftlichen Fragestellungen und Ansätze zu geben. Bei einem so breit aufgestellten Feld, wie es die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie darstellt, kann aber auch dies nur ein erster Schritt sein und – so wünschen wir es uns – zu mehr Aufmerksamkeit, Umsetzung und Akzeptanz dieser komplexen Therapieform führen. Dabei legen wir als Vertreter der Ad-hoc-Kommission großen Wert darauf, dass die Therapieangebote, wo auch immer sie durchgeführt werden, sich nicht nur an den Vorgaben des OPS orientieren, sondern auch die weiterführenden Impulse der Ad-hoc-Kommission berücksichtigen und umsetzen, um eine hohe Qualität der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie zu gewährleisten.

B. Müller et al. (Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie bei Kopfschmerzerkrankungen), P. Mattenklodt et al. (Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie im Alter) sowie J. Wager & B. Zernikow (Pädiatrische stationäre interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (IMST) in Deutschland) beschreiben den „state of the art“ für spezifische Patientenpopulationen, die teilweise noch keine ausreichende Berücksichtigung im Rahmen der IMST gefunden haben. So bedürfen z. B. ältere Patienten, aber auch Kinder und Jugendliche der gleichen Aufmerksamkeit wie Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, die immer noch einen Großteil der IMST-behandelten Population ausmachen [16, 20, 24]. L. Zaranek et al. (Geschlechtsspezifische Ergebnisse des Dresdner Kinder/Jugendkopfschmerzprogrammes DreKiP) beschreiben Ergebnisse unter der Berücksichtigung der Geschlechtszugehörigkeit in der Behandlung von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen, die in einem rein ambulanten Setting erzielt wurden. Die Etablierung dieses Kopfschmerzprogramms folgte als logische Konsequenz aus den Erhebungszahlen zur Prävalenz von Kopfschmerzen in dieser sensiblen Population [17, 21]. L.A. Kasper et al. („Den Schmerz mentalisieren“ – Implementierung eines mentalisierungsbasierten Manuals für die therapeutische Begleitung von Schmerzpatient:innen) sowie A.J. Körner et al. (Emotionale Kompetenzen bei Menschen mit chronifizierten Schmerzen) zeigen auf überzeugende Art, welche Wege der psychologischen Forschung begangen werden können und wie mögliche erste Lösungsansätze aussehen könnten. Auch B. Schönbach et al. (Selbstwirksamkeitserwartung als zentrales Konzept in der Interdisziplinären Multimodalen Schmerztherapie Eine Übersicht zu: Begriffshorizont, Umsetzung, Erfassung und Grenzen) machen mit dem Thema der Selbstwirksamkeitserwartung auf einen interessanten und vielversprechenden Aspekt, der in Zukunft vermehrt in den Programmen berücksichtigt werden sollte, aufmerksam. Und nicht zuletzt bieten sowohl P. Nilges & B. Arnold (Schaltzentrale Team in der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie) als auch L. Schouten et al. (Das Interdisziplinäre Multimodale Assessment (IMA) – Interprofessionelle Interaktion in Teamsitzung und Abschlussgespräch) erstmals in dieser Zeitschrift wichtige und neue Impulse an, die sich aus der Binnenperspektive des Behandlungsteams in der IMST ergeben.

Allen Autorinnen und Autoren gelingt es überzeugend, die Vielfalt der IMST darzulegen und wichtige Impulse in der möglichen zukünftigen Ausrichtung sowohl in der Therapie als auch in der Forschung zu geben. Damit freuen wir uns, den Bereich der „Terra incognita“ ein wenig zu verlassen und die IMST hoffentlich einen weiteren Schritt voranzubringen, sodass sie in Zukunft uneingeschränkt als ein „Goldstandard“ in der Behandlung von Patienten und Patientinnen mit chronischen Schmerzen angesehen werden kann.