Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Software muss nach Gesetzeslage für alle Beteiligten ermöglicht werden. Wie sind die Berücksichtigung von Diversität von Studierenden und die inklusive Nutzung von Software methodisch umzusetzen?
Hier sollte mit einem weiten Inklusionsbegriff, der sich nicht nur auf Behinderung reduziert, geplant werden. Es ist davon auszugehen, dass viele Studierende heutzutage unzufrieden sind, wenn ihre Lehrenden zu selten digitale Lösungen einsetzen, um Lehre zugänglicher zu machen. Auch für hörende Studierende wäre es von Vorteil, wenn Lehrende Mikrofone in Hörsälen einsetzen und erfahrungsgemäß sind nicht alle Flipchart-Zeichnungen oder Tafelbeschriftungen von Lehrenden gut erkennbar – selbst ohne Sehbehinderung. Inklusive digitale Lösungen für behindernde Praktiken zu finden kann demnach – das wird an diesen Beispielen sichtbar – Mehrwerte für alle bieten, nicht nur für Menschen mit Behinderungen, mit Sprach- oder Schreibschwierigkeiten, mit Abwesenheiten wegen Pflege- oder Erziehungszeiten et cetera.
Es kann also ein Ansatz des Universal Design für das Lernen (UDL) sinnvoll sein. Danach wird Lehre so gestaltet, dass sie von allen Menschen gleichermaßen in Anspruch genommen werden kann.
Universal Design scheint auch für US-amerikanische Universitäten ein Mittel, um Klageverfahren zu vermeiden, wenn didaktisches Lernmaterial nicht barrierefrei gestaltet ist und so Studierenden Chancengleichheit in der Bildung verwehrt bleibt (Zentrales eLearning-Büro der Universität Hamburg 2014). Durch die Orientierung an Grundsätzen des Universal Designs, also durch die zugängliche und nutzbare Gestaltung von Praktiken und Geräten (vgl. Claus und Züllich 2008), kann Hochschullehre vielfältiger und besser auf den Bedarf diverser Studierender abgestimmt werden.
Universal Design ist ursprünglich ein Konzept aus dem Produktdesign: Produkte sollen so designt werden, dass sie von möglichst vielen Menschen genutzt werden können. Statt Produkte speziell für bestimmte Gruppen oder den Durchschnitt von Menschen zu designen, sollte dieses universelle Design allen Menschen entgegenkommen. Dazu wurden sieben Prinzipien universellen Designs entwickelt (Story et al. 1998). Auf dieser Grundlage wurden in der Pädagogik universelle Designs für Instruktion (Scott et al. 2016) und Lernen (Fisseler 2015; vgl. Meyer et al. 2016; Scott et al. 2016) gestaltet. Die neun Prinzipien des Universal Design of Instruction (Scott et al. 2016) beschreiben für Lehrkontexte genauer, was solche Produkte als Lehrmaterialien und auch für Lehrsituationen auszeichnet (vgl. Fisseler 2015). Anhand dieser neun Prinzipien soll die Lehre universell gestaltet werden, sodass alle an ihr teilhaben können. Bezieht man diese Prinzipien auf Digitalisierungsstrategien an Hochschulen, so lassen sich daraus Fragen an Digitalisierungsprozesse entwickeln (Zorn und Weiser 2018). Tab. 1 fasst diese Prinzipien als Vorlage für Entscheidungsträger*innen zusammen.
Tab. 1 Universal Design für digitalisierte Lehre: Prinzipien bezogen auf Digitalisierung an Hochschulen. (Eigene Darstellung) Wie Digitalisierung zum universellen Design von Lernsituationen und -materialien beitragen kann, haben Zorn und Weiser (2018) in ihrer Handreichung für Lehrende für die einzelnen Prinzipien detailliert und mit vielen Beispielen ausgeführt. Sie zeigen auch, wie bei Digitalisierungsmaßnahmen auf die Auswahl und Gestaltung barrierearmer Tools geachtet werden kann.
Ein Beispiel für das erste Prinzip des UDL, die breite Nutzbarkeit, wird für Speech-to-Text-Technologie illustriert:
Kommunikation und Interaktion als zentrale Elemente des Lernens sind herausfordernd für Studierende mit Sinneseinschränkungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Anwesenheits- oder Sprachschwierigkeiten. Wer nicht versteht, kann nur schlecht teilhaben. Dies ist nicht nur für hörgeschädigte Studierende problematisch; auch gut hörende Studierende können in Vorlesungen aufgrund schlechter Akustik und der nur seltenen Verwendung von Mikrofonen durch Lehrende unter Verständnis- und Aufmerksamkeitsproblemen leiden. Wer für eine Weile abgelenkt war und dem Diskussionsverlauf nicht folgen konnte, wird ebenfalls Schwierigkeiten bei der Beteiligung an der Kommunikation haben. Auch des Deutschen nicht mächtige Erasmus-Studierende können sich nicht an der Kommunikation in Lehrveranstaltungen beteiligen. Neben der Integration von Gebärdendolmetscher*innen für gehörlose Studierende wären auch die Entwicklung von Speech-to-Text-Technologien, welche automatisiert Gesprochenes in Schrift umwandeln und auf einem Monitor live abbilden, denkbare Lösungen, um mehr Studierenden Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten. Die in Text umgewandelte Sprache kann dann auch durch ein Übersetzungsprogramm in andere Sprachen übersetzt werden. Am Karlsruhe Institute of Technology wird derzeit mit einem Lecture TranslatorFootnote 1 experimentiert, dieser funktioniert allerdings noch nicht live. Das Beispiel verdeutlicht, dass von Lösungen für Individuen bei einer UD-Perspektive viele Lernende profitieren können.
Die Frage zum zweiten Prinzip, ob digitale Medien die Lehre flexibler machen können, lässt sich bei digitalem Medieneinsatz so beantworten: Aufgrund ihrer Digitalität bieten digitale Medien dafür gute Möglichkeiten: Während ein deutschsprachiger Textausdruck auf Papier unveränderbar immer ein deutscher Text bleibt, kann derselbe Text als digitales Medium wahlweise in größerer Schrift, mit anderen Farben, als gesprochenes Audio oder gar in übersetzter Sprache ausgegeben werden. Bei vernetztem Arbeiten wird auch eine gemeinsame Annotation möglich, die eine andere Form des (asynchronen) Diskutierens ermöglicht. Digitalität ist numerische Repräsentation statt fixer Darstellung und ermöglicht Modularität, Variabilität, Transkodierung (Manovich 2002).
Prinzip drei: Diese Formen versetzen seh- oder hörbehinderte Studierende in die Lage, Inhalte von Vorlesungen oder Texten in benötigter Form zu erhalten. Als Chance anzusehen ist es daher, wenn derzeit Digitalisierungen vorgenommen werden, die diese Möglichkeiten beachten: Wenn beispielsweise zunehmend Vorlesungen als Videos bereitgestellt werden, müssen sie hör- oder sehbehinderten Studierenden Untertitel oder ein digitales Skript anbieten (BIK für alle 2018) und auf Formaten bereitgestellt werden, die durch Screenreader für blinde Menschen gesteuert werden könnenFootnote 2. Der Greenfish Subtitle Player ist ein Programm, das auf dem Bildschirm ein kleines halbtransparentes Fenster erscheinen lässt, auf dem Untertitel abgespielt werden können. Dieses Tool kann verwendet werden, um Untertitel einzublenden, die nicht synchronisiert wurden. Mit der Tastatur kann manuell der nächste Untertitel eingeblendet werden. Mithilfe einer Untertitelungssoftware wie „Subtitle Edit“Footnote 3 könnte das Transkript eines Videos an beliebigen Stellen in kleine Absätze unterteilt werden und in einer Untertiteldatei gespeichert werden.
Barrierefreie Dokumente sind generell nützlicher als schlecht formatierte – sie sind screenreaderfähig und außerdem strukturierter und übersichtlicher. Für die Erstellung barrierefreier Textdokumente und Folien existieren gute Anleitungen. Um die eigene Erstellung zu testen, können Tests im Dokument oder mit zusätzlicher Software vorgenommen werden.Footnote 4
Das Prinzip vier der sensorischen Wahrnehmbarkeit zeigt sich in der Notwendigkeit von Untertiteln für Lernvideos. Rechtlich notwendig für hörbehinderte Studierende bieten Untertitel als universelles Design auch Vorteile, wenn hörende Studierende in einer lauten Umgebung (U-Bahn) die Vorlesung hören oder lieber als Transkript lesen (oder übersetzen lassen) möchten (BIK für alle 2018). Neue digitale Möglichkeiten für die Frage, wie Unabhängigkeit von sensorischen Fähigkeiten erreicht werden kann, sind beispielsweise die Anbringung von QR-Codes an Gegenständen oder Behältern, deren Inhalt vorgelesen wird.
Für die Fragen zum Prinzip fünf der Fehlertoleranz und der Möglichkeit nachzuarbeiten zeigen sich Potenziale bei PDF-Nutzung: Die meisten PDF-Reader (auch der verbreitete kostenlose Adobe Acrobat Reader) haben übrigens die Möglichkeit, in der Datei selbst Notizen, Kommentare, Unterstreichungen, Hervorhebungen et cetera zu erstellen. So könnten Besprechungen (in der Lehrveranstaltung) von Texten direkt im Text dokumentiert werden. Screencasts (untertitelt) können angeboten werden als einleitende, wiederkehrende Themenüberblicke für Studierende, die nacharbeiten möchten (Herstellung beispielsweise mit datensicherem Open Source Tool).Footnote 5 Inklusive Lehre weist Lernende auf die lernfördernde Nutzung solcher Tools hin.
Zur Frage des Prinzips sechs nach geringem körperlichen Aufwand ist zu überlegen, wodurch digitale Tools diesen reduzieren helfen: beispielsweise durch virtuelle Veranstaltungen, die weniger Mobilität erfordern oder durch digitale sprechende Etiketten oder NFC-Aufkleber, die mit Stiften oder Smartphones vorgelesen werden können (Zorn 2020)Footnote 6. Auch ist zu überlegen, ob Architekturmodelle zwangsläufig händisch gebaut werden müssen oder ob bei Körperbehinderung auch der Bau mittels digitaler Tools denkbar ist, die mit Assistenztechnologie gesteuert werden.
Die Fragen zum Prinzip sieben der Lernräume lassen Ideen darüber entstehen, wie Räume digital zugänglich gemacht werden können: Digitale Türschilder, digitale Gebäudeleitsysteme könnten vielen Menschen bessere Orientierung bieten bei der Suche nach Räumen oder ihren Lehrveranstaltungen. Die Fragen verweisen auch darauf, dass bei virtueller Lehre zu beachten ist, dass die virtuellen Lernräume im übertragenen Sinn zugänglich und angenehm sind. Dies betrifft auch Prinzip acht der Lerngemeinschaft. Darauf sollte auch bereits bei der grundlegenden Auswahl des Lernmanagementsystems einer Hochschule geachtet werden: Lernplattformen wie ILIAS, moodle, OPAL, gelten als barrierearm, haben jedoch unterschiedlich gelungene Ausprägungen für die Steuerung mit Assistenztools. Bei Open-Source-Systemen sind eher Anpassungen für Barrierefreiheit machbar. Dafür sind geeignete digitale Kommunikationstools, eventuell auch (sichere) Messengersysteme bereitzustellen, um Studierende damit nicht alleine zu lassen. Hier sollte die Hochschule vor einer Entscheidung von großer Tragweite Prüfungen vornehmen.
Prinzip neun wird unterstützt durch die Signalisierung einer Bereitschaft von Lehrenden und Hochschulverwaltung zur Unterstützung und Teilhabe aller Lernenden. Da die Lernenden oft selbst Expert*innen darin sind, was sie wie (digital und analog) benötigen, kann es nicht nur effektiv, sondern auch förderlich für das Lernklima sein, die Lernenden an der Gestaltung des Lernprozesses und der Auswahl der Tools zu beteiligen.