Zusammenfassung
Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser im April 2015 am Tübinger Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) gehalten hat. Er behandelt das Thema „Strafverfahren und Medien“ im Hinblick auf die unterschiedliche Medien- und Öffentlichkeitsarbeit von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, d. h. ihren jeweiligen rechtlichen Rahmen sowie aktuelle Konfliktlagen bei der tatsächlichen Umsetzung. Schwerpunkt ist zum einen die Frage der Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit medialer Aktivität der Staatsanwaltschaft. Zum anderen ist Schwerpunkt das Phänomen sog. Litigation-PR, d. h. prozessbegleitender strategischer Verteidigungskommunikation. Solche Litigation-PR sind im Gegensatz zur Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft weitgehend unbeschränkt zulässig, obwohl ihnen ein doppelter Manipulationsvorwurf zu machen ist. Trotz dieser Manipulationsgefahr hat der Rechtsstaat Litigation-PR als zeitgemäße Ergänzung von Beschuldigtenrechten in der Massenmediengesellschaft zu akzeptieren, dies nicht zuletzt im Vertrauen auf die Professionalität und Sicherungsmechanismen des Strafrechtssystems.
Abstract
The paper is based on a lecture the author gave at the Tübingen International Centre for Ethics in the Sciences and Humanities (IZEW) in April 2015. The general topic “criminal cases and the media” is zoomed in on media and public relations under a comparative perspective of the prosecutor’s and the defence lawyer’s different roles in criminal proceedings, meaning the respective legal frameworks, as well as, in terms of their application, current conflicts de facto. Within that, the focus is drawn, on the one hand, to the question of admissibility and appropriateness of the prosecutor’s active media relations. On the other hand, the paper focuses on the phenomenon of Litigation PR, meaning media and public relations as part of the defence strategy. They are, compared to the prosecutor’s media and public relations, widely non-restricted. Despite the risk of a doubly manipulating effect, a constitutional state must accept Litigation PR, because they are an up-to-date supplement, in our modern times of mass media, to a suspected person’s fundamental rights. The said risk of manipulating effects must be faced with trust in the professionalism and the elaborated hedging mechanisms of the German criminal law system.
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Trentmann, C. Medien- und Öffentlichkeitsarbeit bei Strafverfahren – Fluch oder Segen?. Publizistik 60, 403–421 (2015). https://doi.org/10.1007/s11616-015-0243-7
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