1 Einleitung

Bereits vor der Coronakrise zeigten Studien, dass in weiten Teilen Europas mit einer Verschlechterung der Lebensumstände gerechnet wird (z. B. Lengfeld und Ordemann 2017 für Deutschland; Hofmann 2016 für Österreich). Dieser Gesellschaftspessimismus wird in der wissenschaftlichen Diskussion unisono mit dem (Wieder‑)Erstarken sozialer Trennlinien in Verbindung gebracht. Die antizipierte Verschlechterung der Lebensumstände wird als Konsequenz anhaltender Krisenerscheinungen gesehen (z. B. die Finanzkrise der 2000er-Jahre oder die Flüchtlingskrise 2015; Bacher et al. 2019, Heitmeyer 2018), welche sich in Verteilungsungleichheiten – von materiellen Gütern hin zu gesellschaftlichen Teilhabechancen – manifestieren (Hofmann 2016, S. 247; Verwiebe und Bacher 2019, S. 505).

Der Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020 brachte unmittelbare Veränderungen im Alltagsleben. Nicht nur kam es zu veränderten Betreuungsstrukturen, Einschränkungen von Sozialkontakten und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, sondern es folgten auch wirtschaftliche Einschnitte: Im April 2020 waren knapp 1,5 Mio. Österreicher*innen zwischen 15 und 64 Jahren nicht erwerbstätig, die Anzahl geleisteter Arbeitsstunden war deutlich reduziert. Die Arbeitslosenquote lag nach nationaler Definition bei 12,3 %. Das entspricht einem Plus von 5 Prozentpunkten im Vergleich zum April 2019 (Statistik Austria 2020). Bereits frühe Schätzungen gingen davon aus, dass das BIP Österreichs um bis zu 8 % zurückgehen könnte (OECD 2020).

Krisenhafte Umbrüche bergen auch die Gefahr neuer Verteilungsungleichheiten (Heitmeyer 2018). Vor diesem Hintergrund befasst sich der vorliegende Beitrag mit der Frage, wie die Österreicher*innen in der ersten Phase der Coronakrise die Entwicklung der Lebensumstände in den nächsten Jahren beurteilt haben. Empirische Grundlage sind Umfragedaten des Austrian Corona Panel Project (Kittel et al. 2020).

Hierfür wird zunächst ein Vergleich mit Daten aus dem Jahr 2018 vorgenommen. Damit ist eine Annäherung daran möglich, ob sich die disruptiven Ereignisse im Frühjahr 2020 in den Erwartungen an die Entwicklung der Lebensumstände niedergeschlagen haben. Konzeptionell wird zwischen einer persönlichen Sphäre – Erwartungen an die Entwicklung der persönlichen Lebensumstände – und einer gesellschaftlichen Sphäre – Erwartungen an die Entwicklung der Lebensumstände in Österreich – differenziert, da es Unterschiede in den Erwartungen hinsichtlich der persönlichen Zukunft und den Erwartungen an die gesellschaftliche Zukunft gibt (Fritsche et al. 2017; Prandner et al. 2020). Gesellschaftliches Unbehagen scheint größer zu sein als individuelles (Heitmeyer 2010). Die Entwicklung der eigenen Lebensumstände wird optimistischer beurteilt, da diese kontrollierbarer erscheinen (Weinstein 1980, S. 806).

Darauf aufbauend, wird nach Einflussfaktoren gesucht: Was führt dazu, dass trotz Coronakrise optimistisch in die Zukunft geblickt wird bzw. eben nicht? Als theoretische Grundlage zur Identifikation relevanter Einflussfaktoren dienen dabei die drei von Anhut und Heitmeyer (2000) postulierten Krisenzustände.

2 Theoretische Hintergründe und Verortung

Es wird davon ausgegangen, dass moderne Gesellschaften einerseits über ein hohes Integrationspotenzial – das Potenzial, weite Teile der Bevölkerung an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben zu lassen – verfügen, andererseits aber anfällig für Krisen sind (Imbusch und Heitmeyer 2012). Desintegration und Skeptizismus werden durch einen nicht adäquaten Zugang zu materiellen und kulturellen Gütern, durch den fehlenden Ausgleich konfligierender Interessen durch Institutionen sowie durch die erodierenden emotionalen Beziehungen zwischen Menschen begünstigt. Weitreichende wie beispielsweise durch die Coronakrise ausgelöste Umbrüche und Veränderungen wirken auch auf Teilhabechancen und führen dazu, dass über antizipierte Entwicklungen der Lebensumstände reflektiert werden muss. Neben konkreten Erfahrungen fließen dabei auch subjektive Empfindungen und Vergleiche ein; einerseits Vergleiche mit Referenzzeitpunkten – also beispielsweise vor der Coronakrise –, andererseits mit Referenzgruppen. Dementsprechend spiegeln sich in pessimistischen bzw. optimistischen Erwartungen für die Zukunft nach Corona die aktuellen Ängste der Österreicher*innen hinsichtlich der eigenen, aber auch der gesamtgesellschaftlichen Situation wider (vgl. u. a. die Ausführungen zu Deutschland bei Heitmeyer 2018, S. 95–108). Eine Auseinandersetzung mit der Einschätzung zukünftiger Lebensumstände erlaubt es aber auch, darüber hinaus Rückschlüsse auf das wahrgenommene Potenzial einer Gesellschaft zu ziehen, Krisenphänomene zu bewältigen und Teilhabechancen (wieder-)herzustellen. Anhut und Heitmeyer (2000) folgend, lassen sich potenzielle Krisenphänomene der Sozialintegration in drei Dimensionen verorten (für eine ausführlichere Darstellung siehe Prandner et al. 2020).

  1. 1.

    Eine wahrgenommene bzw. erfahrene Strukturkrise, welche sich in steigenden sozialen Ungleichheiten und Deprivationserfahrungen manifestiert.

    Strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, wie beispielsweise die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse, eine Zunahme von working poor, höhere Flexibilitätsanforderungen etc., führen dazu, dass größere Teile der Bevölkerung von Unsicherheiten betroffen sind (Fritsche et al. 2017; Imbusch und Heitmeyer 2012). Neben dem allgemeinen Unbehagen über die ungleiche Verteilung von gesellschaftlichen Gütern sind es dabei vor allem die erlebten und wahrgenommenen Lücken zwischen dem, was einem gerechterweise zusteht, und dem, was man tatsächlich erhält, die zu Deprivationserfahrungen führen (Anhut und Heitmeyer 2000). Prandner et al. (2020) illustrierten, dass Ungleichheits- und Deprivationsempfinden zentrale Erklärungsgrößen für die Beurteilung gesellschaftlicher Entwicklungen sind. Phänomene der tatsächlichen und der wahrgenommenen Ungleichverteilung von Lebenschancen dürften durch die Coronakrise weiter verstärkt worden sein.

  2. 2.

    Eine empfundene Regulationskrise, die sich in sinkendem Institutionsvertrauen und abnehmender politischer Selbstwirksamkeit äußert und auf Prozesse zum Ausgleich konfligierender Interessen bezieht.

    Die Krise der Regulation, das fehlende Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen, soziale Konflikte und Probleme zu lösen, ist als Entfremdung von Politik zu fassen. Seit den 1980er-Jahren ist in Österreich die traditionelle politische Partizipation rückläufig (Glavanovits et al. 2019, S. 446), und die Gruppe derer, die politisch distanziert sind – also kein oder nur geringes Interesse an politischen Prozessen haben und die Relevanz politischer Systeme für das eigene Leben gering schätzen –, ist gewachsen (Martin und van Deth 2007; Prandner und Grausgruber 2019). Das wird auch von Caprara et al. (2009) herausgestrichen: Eine geringe Involvierung in politische Prozesse beeinflusst Einstellungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen.

    Zukunftsoptimismus, so Zmerli und Newton (2017, S. 121), hängt unter anderem mit Einstellungen zu gesellschaftlichen Institutionen zusammen. Auch Prandner et al. (2020) berichten, dass Institutionsvertrauen einen signifikanten Einfluss auf die Beurteilung der gesellschaftlichen Entwicklungen hat. Speziell vor dem Hintergrund der Coronakrise dürfte gelten, dass Institutionsvertrauen und politische Involvierung sich auf die Zukunftserwartungen der Österreicher*innen auswirken. Darin drückt sich auch die Zuversicht aus, dass es relevanten Akteuren – beispielsweise durch gesetzte Maßnahmen – gelingen wird, die Krise zu bewältigen.

  3. 3.

    Eine erlebte Kohäsionskrise, worauf schrumpfendes soziales Vertrauen und gefühlte Exklusion Hinweise sind.

    Newton und Zmerli (2011) betonen die Relevanz von sozialem Vertrauen für soziale Kohäsion und für die Einschätzung von zukünftigen Entwicklungen. Ein verbindendes Gemeinschaftsgefühl und die Überzeugung, dass man Menschen grundsätzlich vertrauen kann, gehen mit einer positiven Einschätzung des Allgemeinzustands der Gesellschaft einher. In der Vergangenheit konnte mit Daten des Sozialen Survey Österreich (SSÖ) 2018 ein Zusammenhang zwischen Sozialvertrauen und Erwartungen an die Entwicklung der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände aufgezeigt werden, so Prandner et al. (2020). In einer Situation, in der Praktiken wie Social Distancing und die Notwendigkeit, anderen dahingehend zu vertrauen, dass sie sich ebenso an Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit halten, stark präsent sind, muss in Anlehnung an Newton und Zmerli (2011) davon ausgegangen werden, dass das Ausmaß des sozialen Vertrauens von zentraler Bedeutung für die Zukunftserwartungen nach der Krise ist.

3 Datengrundlage und Analyseverfahren

Datengrundlage für die gegenständlichen Analysen sind Umfragedaten aus dem Austrian Corona Panel Project, in dem wöchentlich ca. 1500 Personen mit Wohnsitz in Österreich und einem Alter von über 14 Jahren mittels Onlineumfrage zur jeweils aktuellen Situation befragt wurden (Kittel et al. 2020). Die Respondent*innen der Umfrage wurden mittels Online-Access-Panel, basierend auf einem Quotenverfahren (Alter, Geschlecht, Bundesland, Wohnortgröße und Bildungsabschluss), rekrutiert (ebd.). Die verwendeten Items wurden in der fünften Welle der Umfrage abgefragt (24. bis 29. April). Ergänzend wurden einzelne Items aus der achten Erhebungswelle herangezogen (15. bis 20. Mai).

Analytisch kommen zwei multinominale Regressionsmodelle zur Anwendung: eines für die persönlichen Lebensumstände und eines für die Lebensumstände in Österreich. Die Variation der logistischen Regression ermöglicht es, Gruppen zu vergleichen: jene Menschen, die davon ausgehen, dass sich (1) die Lebensumstände in Zukunft verbessern werden, (2) jene, die meinen, dass sie gleich bleiben, und (3) jene, die glauben, dass sie sich verschlechtern werden.Footnote 1

Knapp zwei Drittel der Ende April 2020 Befragten gehen davon aus, dass sich die Lebensumstände in Österreich in den kommenden Jahren deutlich oder zumindest etwas verschlechtern werden. Nur ca. 10 % der Befragten sind der Ansicht, dass sich die Lebensumstände in Österreich in den nächsten Jahren verbessern werden. Demgegenüber steht die Beurteilung der persönlichen Zukunft: Das Gros der Befragten ist der Ansicht, dass die persönlichen Lebensumstände in den nächsten Jahren gleich bleiben werden (vgl. Tab. 1). Dennoch zeigt sich, dass die Urteile miteinander in Bezug zu bringen sind (Kendall-Tau‑b.: 0,464; p < 0,01). D. h., wer für den einen Bereich pessimistischer ist, ist das auch eher für den anderen.

Tab. 1 Erwartung an die Entwicklung der persönlichen Lebensumstände und der Lebensumstände in Österreich (Anteile in %, gewichtete Daten, n = 1404)

Die unabhängigen Variablen wurden basierend auf den drei Krisendimensionen, die im vorigen Abschnitt dargelegt wurden, ausgewählt (vgl. Tab. 2). Der erste Bereich umfasst Variablen zur Wahrnehmung von und zur Einstellung zu materieller Ungleichheit. Die Befragten sind der Ansicht, dass die Einkommensunterschiede in Österreich zu groß sind, aber auch, dass Maßnahmen ergriffen werden sollten, um diese zu reduzieren. Zusammengenommen bilden die beiden Variablen ab, ob soziale Ungleichheit in Österreich als Problem wahrgenommen wird. Als zusätzliche Variable wird für diesen Block die Frage hinzugenommen, ob die Befragten der Ansicht sind, persönlich im Vergleich dazu, wie andere in Österreich leben, einen gerechten Anteil zu bekommen.

Tab. 2 Verwendete Variablen

Der zweite Bereich inkludiert Indikatoren zur Regulationskrise. Vorhandenes Institutionsvertrauen berücksichtigt die gemittelte Einschätzung, ob Befragte während der Coronakrise Vertrauen in das Parlament, in das Gesundheitswesen und in die Bundesregierung haben. Der Indikator für politische Involvierung wurde analog zu dem Modell von Martin und van Deth (2007) gebildet.Footnote 2 Er impliziert, inwieweit dem politischen Prozess – und dementsprechend dessen Reaktion auf eine Krise – Aufmerksamkeit geschenkt und dessen Einfluss reflektiert wird (Martin und van Deth 2007, S. 304 f.).

Um sich der Frage anzunähern, ob seitens der Befragten eine Kohäsionskrise wahrgenommen wird, wird das allgemeine soziale Vertrauen herangezogen. Daneben wird noch das Gefühl der sozialen Akzeptanz betrachtet. Dieses setzt sich aus den Antworten auf die Fragen „Ich habe das Gefühl, keinen Platz in der Gesellschaft zu finden“ und „Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung nehmen mich so, wie ich bin“ zusammen.

Um der ungleichen Verteilung von Lebenschancen Rechnung zu tragen, wird zusätzlich auf Bildung, Alter, Geschlecht und Erwerbsstatus kontrolliert. Bei Bildung wird unterschieden zwischen Abschlüssen ohne Matura (68,9 %) und darüber hinausgehenden Abschlüssen (31,1 %). Das Alter wurde in Jahren erfasst. Der Mittelwert liegt bei 47 Jahren (SD: 17,5). 48,8 % der Befragten sind männlich. Im Februar 2020 waren 52,6 % der Befragten erwerbstätig (unselbstständig oder selbstständig beschäftigt), 26,6 % waren in Pension oder dauerhaft arbeitsunfähig, die restlichen 20,9 % waren entweder arbeitslos, in Karenz oder haushaltsführend, in Präsenz- bzw. Zivildienst oder in Ausbildung.

4 Ergebnisse

4.1 Wie blicken die Österreicher*innen während der Coronakrise in die Zukunft?

Wie bereits beschrieben, gehen im April 2020 beinahe zwei Drittel der Befragten im Corona Panel davon aus, dass sich die Lebensumstände in Österreich in den nächsten Jahren verschlechtern werden. Im direkten Vergleich zu den Daten aus dem SSÖ 2018 lässt sich ein Zuwachs von ca. 20 % beobachten. Die Anteile derjenigen, die von einer stabilen Entwicklung bzw. von einer Verbesserung für Österreich ausgehen, sind zurückgegangen (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Durch die Befragten antizipierte Entwicklung der persönlichen Lebensumstände und der Lebensumstände in Österreich im Vergleich (Anteile in %, gewichtete Daten)

Eine ähnliche Tendenz lässt sich in geringerem Umfang auch bezüglich der Entwicklung der persönlichen Lebensumstände beobachten. Während 2018 ca. 17 % der Befragten davon ausgingen, dass sich die persönlichen Lebensumstände in den nächsten Jahren deutlich bzw. etwas verschlechtern werden, waren es während der ersten Phase der Coronakrise ca. 26 %. Der Anteil jener, die bei den persönlichen Lebensumständen von keiner Veränderung ausgehen, ist im Zeitvergleich etwa gleich groß.Footnote 3

Allgemein zeigt sich, dass die ersten Monate der Coronakrise mit einer Zunahme des Zukunftspessimismus einhergingen. Dies trifft einerseits auf die gesellschaftliche Sphäre und andererseits in geringerem Ausmaß auf die persönliche Sphäre zu.Footnote 4 Diese Veränderungen erscheinen in Referenz auf die in der Einleitung skizzierten Entwicklungen zur wirtschaftlichen Lage und zum Alltagsleben plausibel.

4.2 Was führt dazu, dass die Entwicklung der Lebensumstände in Österreich pessimistisch oder optimistisch wahrgenommen wird?

Nachfolgend wird der Frage nachgegangen, welche Einflüsse während der ersten Phase der Coronakrise dazu führen, dass die Zukunft Österreichs in den nächsten Jahren pessimistisch bzw. optimistisch beurteilt wird (Tab. 3).

Tab. 3 Multinominales Regressionsmodell – Zukunftserwartungen Österreich

Personen, die eine hohe Einkommensungleichheit in Österreich wahrnehmen, sowie Ältere und Involvierte im Vergleich zu Distanzierten sind eher der Meinung, dass sich die Lebensumstände in Österreich verschlechtern werden. Umgekehrt führt ein hohes Institutionsvertrauen dazu, dass Befragte seltener zum Schluss kommen, dass sich die Lebensumstände in Österreich verschlechtern werden. Tendenziell sind Männer – im Vergleich zu Frauen – ebenfalls eher dieser Ansicht.

Unter den Optimist*innen finden sich vermehrt Personen mit hohem Institutionsvertrauen. Es zeigt sich auch ein Effekt der individuellen Deprivation. Jene, die glauben, aktuell nicht den gerechten Anteil zu erhalten, finden sich öfter unter den Gesellschaftsoptimist*innen. Dieser Effekt ist im ersten Moment kontraintuitiv. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass diejenigen, die der Ansicht sind, nicht den gerechten Anteil zu bekommen, nur Raum für Verbesserung sehen, da sie sich ohnehin bereits am unteren Rand der Gesellschaft sehen. Dies geht konform mit Erkenntnissen von Davidai und Gilovich (2015). Bezogen auf die USA stellten sie fest, dass das untere Einkommensquintil, selbst in Zeiten von zunehmender sozialer Ungleichheit, von Möglichkeiten sozialer Mobilität – und dementsprechend zunehmendem gesellschaftlichem Wohlstand – überzeugt ist. Neben dem Alter und tendenziell auch dem Geschlecht sind es zudem Zuschauer und Betroffene, die – im Vergleich zu den politisch Distanzierten – weniger optimistisch für die Zukunft Österreichs sind.

4.3 Was führt dazu, dass die Entwicklung der persönlichen Lebensumstände pessimistisch oder optimistisch wahrgenommen wird?

Mit höherem Alter geht ein pessimistischerer Blick in die Zukunft einher. Wer sich individuell depriviert fühlt, sieht die Entwicklung der persönlichen Lebensumstände pessimistischer. Hinsichtlich der Zukunft Österreichs gaben diese Personen hingegen tendenziell optimistischere Urteile ab (Tab. 4). Aufbauend auf den angesprochenen Ergebnissen von Davidai und Gilovich (2015), zeigt sich eine Überschätzung von gesellschaftlichen Entwicklungen und erfahrungsbasiertem Individualpessimismus. Dies geht auch einher mit dem Effekt, der bei der Gruppe der Betroffenen zu finden ist. Der Typus der Betroffenen umfasst jene, welche die gesellschaftliche Relevanz von Politik und deren Regulationswirkung anerkennen, aber kein Interesse dafür aufbringen können. Jene, die am Rand der Gesellschaft stehen, individuelle Deprivation erfahren und sich den politischen Prozessen ausgeliefert sehen (Martin und van Deth 2007, S. 315), sind für ihre eigene Zukunft pessimistischer.

Vorhandenes Institutionsvertrauen und tendenziell soziales Vertrauen führen hingegen dazu, die eigene Zukunft weniger pessimistisch zu sehen. Das trifft auch auf bereits pensionierte Personen, im Vergleich zur Referenzgruppe der Erwerbstätigen, zu. Eine potenzielle Erklärung dafür ist, dass mit einer Pension ein gesichertes Einkommen vorhanden ist, welches weniger von aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt abhängig ist.

Tab. 4 Multinominales Regressionsmodell – Persönliche Zukunftserwartungen

Hinsichtlich eines optimistischen Blicks in die persönliche Zukunft kann festgehalten werden, dass jene, die Einkommensungleichheit in Österreich wahrnehmen, vermehrt unter den Optimist*innen zu finden sind. Höher gebildete Personen sind – zumindest tendenziell – öfter optimistisch. Weniger optimistisch im Hinblick auf die Entwicklung der eigenen Lebensumstände sind ältere Befragte.

5 Fazit

Im Vergleich zum Jahr 2018, siehe Prandner et al. (2020), zeigt sich in den Daten des Corona Panels im Frühjahr 2020 – sowohl auf individueller wie auch auf gesellschaftlicher Ebene – ein pessimistischeres Bild, was die Entwicklung der zukünftigen Lebensumstände betrifft. Insgesamt bestätigt sich aber auch in der Coronakrise die in der Literatur vorzufindende Diskrepanz: Die Entwicklung der eigenen Lebensumstände wird positiver beurteilt (Weinstein 1980), wobei hier weiterführende Untersuchungen notwendig sind, die stärker die individuelle Position und deren Veränderung durch die Coronakrise berücksichtigen (z. B. Arbeitsplatzverlust, gestiegene Betreuungstätigkeiten, Krankheitsfolgen).

Das Urteil über die Entwicklung der Lebensumstände in beiden Bereichen wird durch Institutionsvertrauen beeinflusst. Wer zu Beginn der Coronakrise Vertrauen in zentrale gesellschaftliche Institutionen hatte, ging weniger davon aus, dass sich die eigene, aber auch die Situation in Österreich verschlechtert. Mit den Daten aus dem Sozialen Survey Österreich 2018 konnten Prandner et al. (2020) lediglich eine Wirkung des Institutionsvertrauens auf die Entwicklung der Lebensumstände in Österreich nachweisen. In Zeiten der Coronakrise scheint dies auch mit der persönlichen Sphäre zusammenzuhängen. Das spricht für die Bedeutung der politischen Akteure und der Institutionen in der Krisensituation.

Die Wahrnehmung einer Strukturkrise hat ebenfalls Einfluss auf die Zukunftserwartungen. Während für Österreich jene Menschen, die eine hohe Einkommensungleichheit wahrnehmen, eher pessimistisch sind, sind die individuell Deprivierten hier tendenziell optimistischer. Für die persönliche Zukunftserwartung trifft das Gegenteil zu. Dass die Wahrnehmung einer Strukturkrise für die Zukunftserwartungen von Relevanz ist, stellten bereits Prandner et al. (2020) fest. Auch in der Krise gilt: Wie jemand in die Zukunft blickt, hängt von der Verteilung von materiellen Gütern ab.

Eine gewisse Entfremdung von Politik ist auch während der ersten Phase der Coronakrise feststellbar. Allerdings sind es nicht die Distanzierten – also nicht jene, die sich nicht für Politik interessieren und diese auch nicht als wichtig erachten –, welche die Entwicklung der Lebensumstände in Österreich am kritischsten sehen. Zuschauer und Betroffene gehören weniger oft zu den Optimist*innen, die Involvierten öfter zu den Pessimist*innen. Wer sich also mit dem politischen Geschehen auseinandersetzt, dessen Relevanz anerkennt und sich dafür interessiert, ist skeptischer, was die Entwicklung der Lebensumstände in Österreich betrifft.

Insgesamt kann festgehalten werden: Der Beginn der Coronakrise ist in Österreich mit einem hohen Niveau an Zukunftspessimismus verbunden. Um Aussagen darüber treffen zu können, wie und ob sich der langanhaltende Krisenzustand nachhaltig auf die Wahrnehmung antizipierter Entwicklungen ausgewirkt hat, sind weitere Auswertungen und Erhebungszeitpunkte während und nach dem Ende der Krise notwendig bzw. wünschenswert.