Hintergrund

Die Ballonkyphoplastie gilt als minimalinvasives Verfahren der Wahl bei der Therapie osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen. Ihre Vorteile bestehen in einer Schmerzreduktion unmittelbar postoperativ [11], einer frühen Mobilisation [11] sowie einem Ausgleich kyphotischer Fehlstellungen [7].

Vor- und Nachteile der Zementarten

Bisher gilt Zement auf PMMA-Basis (PMMA: Polymethylmethacrylat) als Goldstandard unter den Augmentationsmaterialien [7]. Er weist jedoch einige Nachteile auf: Zum einen kann er, bedingt durch hohe Aushärtungstemperaturen, thermische Schäden benachbarter Organe hervorrufen [5]. Zum anderen sind systemische Nebenwirkungen nicht polymerisierter toxischer Monomere beschrieben [16]. Neben diesen beiden Komplikationen führte seine fehlende ossäre Integrierbarkeit [12] dazu, dass Zemente auf Ca-P-Basis (Ca-P: Kalziumphosphat) mehr in den Focus rückten. Diese haben den Vorteil, dass sie resorbierbar sind und zu eigener Knochenstruktur umgebaut werden [6]. Außerdem erfolgt die Aushärtung nur knapp über Körpertemperatur [14]. Die bisher untersuchten Ca-P-Zemente wiesen eine zu geringe Zug- und Biegeelastizität auf [2]. Außerdem wurde als Komplikation eine Zementauswaschung beschrieben [2].

Mit Xeraspine© entwickelte die Firma DOXA einen Zement auf Kalziumbasis, der mit seinen zusätzlichen Aluminiumbestandteilen mehr Stabilität durch bessere Bindung von Wasser im Kern verspricht und damit eine mögliche Alternative zum Goldstandard darstellt.

Eigenschaften von Xeraspine©

Chemische Beschaffenheit und Verarbeitung

Xeraspine© ist ein biointegratives Augmentationsmaterial und besteht aus Kalziumaluminat und Zirkoniumdioxidpulver. Nach Zugabe einer Flüssigkeit auf Wasserbasis kommt es zu einer chemischen Reaktion in Form einer Kristallisation. Die Verarbeitungszeit beträgt 7 min, die Aushärtung in situ erfolgt knapp über Körpertemperatur. PMMA besitzt im Gegensatz dazu eine Verarbeitungszeit von 10 min und härtet aufgrund der exothermen Reaktion, welche in Form einer Polymerisation abläuft, in situ bei 100 °C aus [10].

Kalziumaluminat bindet wesentlich mehr Wasser als der konventionelle Ca-P-Zement, was sich in seiner größeren Festigkeit widerspiegelt [10].

Druck- und Biegeelastizität

In einer an der Universität Uppsala durchgeführten Studie von Persson u. Axén [15] wurden die verschiedenen Zementarten in 37 °C warmes PBS („phosphate buffered saline“) für einen Zeitraum zwischen 24 h und 3 Monaten eingelegt. Dabei konnte gezeigt werden, dass Xeraspine© im Vergleich zu PMMA bezüglich der Druck- und Biegefestigkeit annähernd gleiche Ergebnisse erzielte. Im Vergleich zu Ca-P war die mechanische Festigkeit signifikant höher (Tab. 1).

Tab. 1 Ergebnisse des Kalziumaluminatzements vs. PMMAa und Ca-Pa

Biointegrierbarkeit

Uhlin et al. [17] untersuchten die Biointegrierbarkeit des Xeraspine©-Zements im Vergleich zu PMMA an Schafen. Hierfür applizierten sie die jeweiligen Zemente in Wirbelkörper lebender Tiere und analysierten diese post mortem unter dem Elektronenmikroskop. Dabei konnten sie beobachten, dass sich Ca-Al (Kalziumaluminat) sehr gut in den Knochen integriert hatte und kein Spalt zwischen diesem und dem Zement nachweisbar war. Im Gegensatz dazu fand man bei PMMA zwischen Knochen und Zement einen Abstand von 10 μm [17]. Damit war es erstmals gelungen, einen Zement auf Kalziumbasis herzustellen, der die Stärke der guten Biointegrierbarkeit mit den guten physikalischen Eigenschaften von PMMA – hinsichtlich der Druck- und Biegefestigkeit – zumindest in experimentellen Untersuchungen vereint. Ob sich diese experimentell nachgewiesenen guten mechanischen Eigenschaften auch in vivo am Patienten bestätigen und demzufolge die Refrakturrate tatsächlich in der Praxis gesenkt werden konnte, sollte diese Studie zeigen.

Methoden

Wir führten eine prospektive klinische Studie über einen Zeitraum von 2 Jahren mit 24 Patienten der Klinik für Unfall-, Wiederherstellungs- und Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Leipzig durch, welche 29 Wirbelkörperfrakturen erlitten hatten, die mittels Xeraspine©-Zement kyphoplastiert wurden.

Die Operation erfolgte in Standardkyphoplastietechnik in Bauchlage, Intubationsnarkose und mit transpedikulärem Zugang.

Ein- und Ausschlusskriterien

Zu den Einschlusskriterien zählten 1 oder 2 symptomatische Wirbelkörperfrakturen zwischen BWK8 (Brustwirbelkörper 8) und LWK4 (Lendenwirbelkörper 4) mit Indikation zur Kyphoplastie, ein Alter zwischen 50 und 90 Jahren, ein T-Score < − 2,5 sowie ein initialer Wert auf der VAS (visuelle Analogskala) von > 50.

Ausschlusskriterien waren eine zusätzliche dorsale Instrumentierung, das Vorliegen einer pathologischen Fraktur, Tumorerkrankung, Herzrhythmusstörungen sowie andere relevante Begleiterkrankungen.

Untersuchungsaspekte

Die Patienten wurden präoperativ, postoperativ, nach 6 Wochen sowie nach 3, 6, 12 und 24 Monaten hinsichtlich folgender Aspekte untersucht: mit Hilfe der VAS und des ODI („Oswestry disability index“) wurden die subjektiv empfundenen Schmerzen erfragt, außerdem wurden alle Patienten zu allen Nachuntersuchungszeitpunkten einer konventionellen Röntgenuntersuchung unterzogen, anhand derer die Wirbelkörperhöhe, der Kyphosewinkel und die prozentuale Wiederaufrichtung bestimmt werden konnten. Zusätzlich veranlassten wir präoperativ sowie nach 6, 12 und 24 Monaten einen CT-Scan (CT: Computertomographie) der Frakturregion.

Die statistische Auswertung erfolgte mit den Programmen Office 2007 EXCEL (Firma Microsoft, USA) und SPSS Statistics 20.0 für OS Mac (Firma IBM). Die Signifikanz wurde mittels Einstichproben-T-Test errechnet, das Signifikanzniveau lag bei p < 0,05. Die in den Nachuntersuchungen bestimmten Werte für VAS und ODI sowie die verschiedenen erhobenen radiologischen Parameter wurden im Verlauf auf signifikante Unterschiede in Bezug zu den präoperativ erhobenen Werten getestet. Alle radiologischen Parameter wurden anhand der konventionellen Röntgenaufnahmen bestimmt.

Ergebnisse

Von den 23 Patienten waren 14 (61 %) weiblichen und 9 (39 %) männlichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter betrug 73,55 Jahre (Minimum 61 Jahre, Maximum 84 Jahre).

Insgesamt wurden 29 Wirbelkörper kyphoplastiert, wobei der BWK12 mit 34,5 % am häufigsten betroffen war, gefolgt vom LWK1 mit 24,1 %.

Von uns wurden 12 Frakturen als A1.3 (41,4 %) und 17 Frakturen als A3.1 (58,6 %) nach Magerl et al. [13] klassifiziert. Bei 19 Patienten augmentierten wir jeweils 1 und bei 5 Patienten jeweils 2 Wirbelkörper. Als Füllmaterial diente Kalziumaluminatzement. Das durchschnittliche Füllungsvolumen betrug 6,3 ml je Wirbelkörper (Minimum: 5 ml; Maximum 9 ml).

Die Krankenhausliegedauer belief sich im Durchschnitt auf 9,6 Tage.

In der Nachuntersuchungszeit verstarben 2 Patienten, 5 Patienten brachen die Studie vorzeitig ab.

Intraoperative Komplikationen

Bei 7 der 29 versorgten Wirbelkörper kam es zu einem Zementaustritt, wobei es sich 2-mal um A1.3- und 5-mal um A3.1-Frakturen handelte. Dabei trat der Zement 2-mal nach epidural, 2-mal venös und 3-mal nach paravertebral aus. Keiner der Patienten zeigte neurologische Symptome.

Postoperative Komplikationen

Innerhalb des Nachuntersuchungszeitraums kam es bei 7 Patienten zu einer Refraktur, wovon 2 erneut operativ versorgt werden mussten. Außerdem wurden 2 Frakturen angrenzender Wirbelkörper beobachtet. Ein Patient erlitt im Verlauf eine neue Fraktur eines entfernt liegenden Wirbelkörpers.

Bei einem Fall kam es am 6. postoperativen Tag zur Bildung eines paravertebralen Hämatoms auf Höhe des ehemals frakturierten Wirbelkörpers, sodass eine operative Ausräumung notwendig war (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Paravertebrales Hämatom

Radiologische Parameter

Im Mittel betrug die Höhe der Vorder-, Mittel- und Hinterkanten der frakturierten Wirbelkörper präoperativ 26,2 mm; 23,1 mm und 28,8 mm. Intraoperativ gelang eine Wiederaufrichtung der Vorderkante um 2,6 mm (p = 0,006), der Wirbelkörpermitte um 4,8 mm (p < 0,001) und der Hinterkante um 3,3 mm (p < 0,001). Im Vergleich der Frakturklassifikationen konnte jedoch nur bei den A3.1-Frakturen eine signifikante Wiederaufrichtung erzielt werden. Bereits 6 Wochen postoperativ war bei Frakturen beider Klassifikationen insgesamt eine deutliche Sinterung eingetreten, sodass keine Signifikanz der Höhen im Vergleich zum präoperativen Befund zu verzeichnen war (Tab. 2).

Um eine Aussage über die Wiederaufrichtung der frakturierten Wirbelkörper treffen zu können, bestimmten wir den Kyphosewinkel. Direkt postoperativ waren sowohl die betroffenen Wirbelkörper der A1.3-Frakturen als auch die der A3.1-Frakturen signifikant aufgerichtet (A1.3 postoperativ um 4,34 °, A3.1 um 4,94 °). Bereits 6 Wochen nach der Operation war eine deutliche Resinterung zu verzeichnen, sodass lediglich für Frakturen vom A3.1-Typ noch signifikante Werte zu messen waren (Tab. 2).

Ein weiterer Parameter zur Beurteilung der Wiederaufrichtung ist der prozentuale Vergleich von prä- und postoperativen Höhen des frakturierten Wirbelkörpers, jeweils bezogen auf den Nachbarwirbel. Hierbei zeigte sich ebenfalls postoperativ eine signifikante Wiederaufrichtung für beide Frakturtypen (A1.3 12,2 %, A3.1 8,2 %), aber auch hier ließ sich 6 Wochen nach dem Eingriff eine Sinterung v. a. für die A3.1-Frakturen nachweisen (Tab. 2).

Tab. 2 Ergebnisse der radiologischen Parameter

Klinische Parameter

Anhand der Ergebnisse der VAS ergab sich ein Rückgang der Schmerzsymptomatik von im Mittel 77,5 mm präoperativ auf 16,4 mm unmittelbar postoperativ, der über den weiteren Nachuntersuchungszeitraum konstant blieb [nach 24 Monaten 10,6 mm (A1.3) und 20 mm (A3.1)].

Auch die auf die verschiedenen Alltagsaktivitäten bezogenen Schmerzen, welche mit Hilfe des ODI erfasst wurden, konnten von präoperativ im Mittel 74,3 % auf unmittelbar postoperativ 24,5 % (A1.3) und 26,4 % (A3.1) gesenkt werden. Im Verlauf waren die Werte weiter konstant niedrig mit im Mittel 18,3 % nach 24 Monaten (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Ergebnisse von VAS (visuelle Analogskala) und ODI („Oswestry disability index“)

Diskussion

Im Rahmen der Kyphoplastie zur Therapie osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen wird bevorzugt PMMA verwendet [7]. Durch den Einsatz von biokompatiblen Zementen auf Kalziumbasis wird jedoch ein Material appliziert, das sich den physiologischen Gegebenheiten im Körper anpasst, indem es zu eigener Knochenstruktur umgebaut wird [6]. Dieser Vorteil ist gerade beim Einsatz am jüngeren Patienten von enormer Bedeutung. Die bisher untersuchten Kalziumphosphatzemente wurden den biomechanischen Anforderungen jedoch nicht gerecht und schnitten immer schlechter als PMMA ab [1, 8, 9].

Vorteile von Xeraspine© gegenüber Ca-P

Experimentelle Studien zeigten eine Verbesserung der Druck- und Biegeelastizität bei Xeraspine© im Vergleich zu herkömmlichem Ca-P [15]. Außerdem war bei den mit Xeraspine© versorgten Wirbelkörpern keine Zementauswaschung – eine sonst typische Komplikation bei Ca-P-Zement – mehr zu beobachten.

Vorteile von Xeraspine© gegenüber PMMA

Aus den Studienergebnissen lässt sich eine deutliche Überlegenheit von Xeraspine© bezogen auf die Ergebnisse der VAS und ODI im Vergleich zu PMMA ableiten [4]. Da allerdings bei allen Zementarten eine signifikante Schmerzreduktion nachgewiesen werden konnte, rechtfertig dies den Einsatz einer speziellen Zementart, bezogen auf den Aspekt Schmerz, nicht.

Schwächen von Xeraspine© gegenüber PMMA

Die Verarbeitungszeit von Xeraspine© ist etwas kürzer als die von PMMA, weshalb es schneller appliziert werden muss und, bezogen auf das intraoperative Handling, subjektiv schlechter abschneidet als PMMA-Zement. Der Einsatz von Xeraspine© erfordert, wie die herkömmlichen Zemente auf Ca-P-Basis, vom Operateur eine größere Erfahrung und insgesamt mehr Sicherheit in der Beherrschung des Verfahrens. Dies erschwert das Erlernen der Operationstechnik der Kyphoplastie durch einen unerfahrenen Operateur.

Am meisten Gewicht als Schwäche von Xeraspine© aber hat die hohe Komplikationsrate – mit 73,9 % gesamt und 13 % klinisch relevanten Komplikationen (im Vergleich dazu in der Literatur allgemein angegebene Komplikationsraten für eine Kyphoplastie: 16,3 % [19] gesamt, 0,4 % [3] relevant). Von allen beschriebenen Komplikationen fiel die hohe Refrakturierungsrate mit 24 % (im Vergleich: PMMA < 1 % [18]) besonders auf.

Die Ergebnisse für den Kyphosewinkel und die prozentuale Wiederaufrichtung von Xeraspine© waren im Vergleich zu PMMA schlechter.

Der Vorteil der Biointegrierbarkeit allein rechtfertigt einen Ersatz von Xeraspine© nicht – zuerst müssten die biomechanischen Eigenschaften von Xeraspine© weiter verbessert werden.

Kernaussagen

  • Kyphoplastie/Vertebroplastie sind minimalinvasive Verfahren der Wahl in der Behandlung von Wirbelkörperfrakturen.

  • PMMA ist bisher Goldstandard, weist jedoch Defizite in Biokompatibilität und Osteointegration auf.

  • Ca-P-Zemente sind aufgrund ihrer schlechten biomechanischen Eigenschaften und Wasserlöslichkeit (Zementauswaschung) als kritisch anzusehen.

  • Bei Xeraspine© kommt es nicht zur Zementauswaschung, jedoch ist die Biomechanik weiter unzureichend.

  • PMMA bleibt somit weiter Goldstandard.

Fazit für die Praxis

  • Innovationen in Richtung praxistauglicher biointegrativer Augmentationsmaterialen gibt es.

  • Aufgrund weiterhin insuffizienter biomechanischer Eigenschaften auch moderner Zemente auf Kalziumbasis bleibt PMMA Goldstandard für die Zementaugmentation im Rahmen der operativen Versorgung der osteoporotischen Wirbelkörperfraktur.