FormalPara Zusammenfassung

Der Beitrag führt die spezifischen pflegerischen Versorgungsbedarfe (schwerst-)pflegebedürftiger Kinder exemplarisch aus, beschreibt typische familiale Pflegearrangements sowie zentrale Herausforderungen. Erläuterungen zum Erleben und Bewältigungshandeln von Eltern, betroffenen Kindern und gesunden Geschwisterkindern aus empirischen Untersuchungen tragen zum Verstehen familialer Pflegearrangement mit einem pflegebedürftigen Kind bei und liefern Ansatzpunkte für pflegerische Interventionen. Zusammenfassend werden zukünftige Handlungsanforderungen an eine familienorientierte Pflege in der häuslichen Versorgung von pflegebedürftigen Kindern abgeleitet.

This article exemplifies the specific care needs of seriously ill children, describes typical outpatient arrangements of family care as well as their central challenges. To improve the understanding of family care arrangements for a care-dependent child, insights about the experience and coping strategies of the parents, the ill children and their healthy siblings from empirical studies are elaborated and provide starting points for care interventions. In summary, the author derives future needs for action within family-oriented care in domestic settings of children in need of care and with life-limiting diseases.

1 Zur Situation (schwerst-)pflegebedürftiger Kinder in Deutschland

Pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sind im Kontext der Diskussionen um Pflegebedürftigkeit, Pflegebildung und Versorgungsstrukturen eine unzureichend beachtetet Gruppe. Lange Zeit wurde die Pflege kranker Kinder mit einem akutem Krankheitsgeschehen assoziiert, das sich im Rahmen eines stationären Aufenthaltes kurieren lässt. Doch in der Pädiatrie zeichnet sich schon lange eine sogenannte „neue Morbidität“ (Reinhardt und Petermann 2010) ab, die gekennzeichnet ist durch komplexe chronische Störungen, die sich nicht nur somatisch manifestieren, sondern auch Störungen der psychischen Gesundheit einschließen (Karg et al. 2021). Aufgrund dieser Entwicklungen, durch veränderte Krankheitsverläufe und auch durch eine Zunahme spezialisierter Versorgungsstrukturen (wie die spezialisierte ambulante Palliativversorgung von Kindern und Jugendlichen (SAPV-KJ)) findet eine Verlagerung des pädiatrischen Versorgungsschwerpunktes (Spindler 2016) auf den ambulanten Sektor statt.

Die professionelle Pflege übernehmen zumeist außerklinische spezialisierte Kinderkrankenpflegedienste. Diese blicken in Deutschland auf eine rund dreißigjährige Tradition zurück. Doch bis heute ist das Feld der pädiatrischen Pflege nicht zufriedenstellend bearbeitet und wenig erforscht. Entwicklungen wie Fachkräftemangel, veränderte Versorgungsbedarfe, Technisierung und fehlende adäquate Qualifizierung für dieses spezifische Handlungsfeld stellen pflegebedürftige KinderFootnote 1, ihre Familien, Kinderkrankenpflegedienste und professionell Pflegende vor immer neue Herausforderungen.

Gleichzeitig rücken pflegebedürftige und schwerkranke Kinder und ihre Familien verstärkt in den Fokus von Forschung (Kofahl und Lüdecke 2014; Kofahl et al. 2017; Oetting-Roß et al. 2019; Falkson et al. 2020; Schüürmann 2020; Adler et al. 2021). Für die Pflege und Versorgung von Kindern mit seltenen, lebenslimitierenden und/oder chronischen Erkrankungen sind nicht nur Erkenntnisse zur Sicht der betroffenen Kinder selbst relevant, sondern auch zur Perspektive ihrer Eltern, der Geschwisterkinder und der Familien als Ganzes. Die Versorgung eines pflegebedürftigen Kindes ist eine „Familienangelegenheit“. Eltern und Geschwister sind in die Pflege involviert und sollten gleichermaßen Adressaten professioneller Pflege sein, insbesondere in Bezug auf Beratung, psychosoziale Begleitung sowie auf Aspekte der Gesundheitsförderung und Prävention.

1.1 Pflegebedürftige Kinder und Jugendliche in Deutschland

Bis heute fehlen über die Gruppe der (schwerst-)pflegebedürftigen Kinder in Deutschland solide epidemiologische Daten. Ein Grund für die unklare Datenlage besteht darin, dass diese Gruppe unterschiedlich betrachtet wird – als chronisch krank, als Kinder mit Behinderungen, als Kinder mit seltenen Erkrankungen, als lebenslimitierend erkrankt aus der Perspektive der Palliativversorgung und eben als pflegebedürftig im Sinne des SGB XI, sofern sie einen Pflegegrad aufweisen.

Verzeichnete die Pflegestatistik 2018 in der Gruppe der 0- bis 15-Jährigen noch 80.539 pflegebedürftige Kinder (Statistisches Bundesamt 2018), sind nach aktueller Pflegestatistik schon 160.953 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren pflegebedürftig im Sinne des SGB XI (Statistisches Bundesamt 2020). Die hier abzulesende, zuvor prognostizierte Tendenzsteigerung lässt sich auf eine zunehmende Technisierung, medizinischen Fortschritt und eine damit einhergehende höhere Lebenserwartung zurückführen. Die Pflegequote, also der Anteil der Pflegebedürftigen in dieser Altersgruppe, liegt bei 1,4 %. Anders als die Alterseinteilung der Pflegestatistik schließt die pädiatrische Versorgung Kinder, Jugendliche und mitunter junge Erwachsene bis 21 Jahre ein. Aufgrund der Alterseinteilung der Pflegestatistik bis 15 Jahre ist auch diese Datenbasis für die pädiatrische Pflege nur bedingt aussagekräftig.

Viele der pflegebedürftigen Kinder leiden unter sehr seltenen und komplexen Erkrankungen. Aktuell werden ca. 8.000 seltene Erkrankungen geschätzt, davon sind 80 % genetisch determiniert (Boettcher et al. 2021). Für die meisten seltenen Erkrankungen existieren keine kurativen Therapieansätze; die Behandlung und Pflege sollte daher einem palliativen Ansatz folgen, symptomorientiert und auf eine Linderung des Leidens ausgerichtet sein sowie auf die Förderung von Lebensqualität, Würde und Autonomie des Kindes und der gesamten Familie abzielen. Dies gelingt bisher nur bedingt, nicht flächendeckend und konzeptionell durch sehr unterschiedliche Ansätze (Kremeike et al. 2016; Fischbach et al. 2018). Die Lebenserwartung der Kinder ist aufgrund der seltenen Erkrankungen oftmals verkürzt. So haben viele pflegebedürftige Kinder seltene, sogenannte lebenslimitierende Erkrankungen.

Die Krankheitsbilder sind ausgesprochen heterogen. Längst nicht alle lebenslimitierend erkrankten Kinder gelten als pflegebedürftig im Sinne des SGB XI (Kofahl et al. 2017). Da manche Familien ausschließlich Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beziehen, werden sie nicht in der Pflegestatistik erfasst und es fehlt an Daten zur Häufigkeit einzelner lebenslimitierender Erkrankungen in Deutschland. Bekannt ist, dass in Deutschland jedes Jahr 3.500 bis 4.000 Kinder an einer unheilbaren Erkrankung versterben (Zernikow et al. 2017). Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass sich Pflegebedürftigkeit, die in angeborenen Beeinträchtigungen, Unfällen oder chronischen Erkrankungen gründet, anders darstellt als Pflegebedürftigkeit, die aus Alterungsprozessen entsteht (Rothgang et al. 2017).

1.2 Versorgungssituationen

Annähernd alle pflegebedürftigen Kinder werden zu Hause versorgt, obschon sie in der Regel eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz aufweisen (Statistisches Bundesamt 2018, 2020) und mitunter intensivpflichtig gepflegt werden. Nach aktueller Pflegestatistik sind nur 0,16 % (268) der pflegebedürftigen Kinder in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht. Mit zunehmender Technisierung und medizinischem Fortschritt steigt nicht nur die Lebenserwartung erkrankter Kinder, sondern auch die Anzahl der langzeitbeatmeten Kinder unter ihnen an. Nach Schätzungen sind etwa 2.000 Minderjährige in Deutschland auf eine dauerhafte Unterstützung der Atmung angewiesen. Genaue Zahlen über die Häufigkeit der außerklinischen Beatmung von Kindern liegen ebenfalls nicht vor, da ein nationales Heimbeatmungsregister fehlt (Falkson et al. 2020).

Zusammenfassend verdeutlichen aktuelle Zahlen zur Versorgungssituation, dass Familien mit einem pflegebedürftigen Kind diejenigen sind, die die Verantwortung für die äußerst heterogenen, hoch komplexen, intensiven und kaum vorhersehbaren Pflegesituationen und -verläufe übernehmen, wobei sich die „Last der Pflege“ zumeist auf eine Hauptperson konzentriert (Büker 2015). Diese Rolle übernimmt im Allgemeinen die Mutter – 80 % der Mütter sehen sich als Hauptpflegeperson an (Lapwood und Goldman 2012; Kofahl und Lüdecke 2014). Sie halten diese Aufgabe für selbstverständlich bzw. sehen sich dazu verpflichtet (Stahl et al. 2013; Büker 2015). Gleichzeitig ergeben sich für sie erhebliche Effekte auf den Erwerbsumfang (Eggert et al. 2021). So reduziert jede zweite betroffene Mutter ihre Arbeitszeit, jede vierte beendet ihre berufliche Karriere, um den täglichen Herausforderungen bei der Versorgung pflegebedürftiger Kinder nachkommen zu können (Kofahl et al. 2017).

Aufgrund unzureichend spezialisierter und den Eltern wenig bekannter Hilfestrukturen sowie durch fehlende Versorgungskontinuität sind die Familien weitestgehend auf sich gestellt. Die Versorgungsstrukturen sind für Familien undurchsichtig. Segmentierungen von Zuständigkeiten auf der Ebene von Leistungsträgern und Leistungserbringern, eine Fragmentierung von Behandlungsabläufen, unterschiedliche Steuerungslogiken der Sozialleistungsträger selbst sowie eine unzureichende Kultur der Zusammenarbeit verschiedener Akteure erschweren den Zugang zum Versorgungssystem für sie grundlegend (Bruker und Klie 2016). Englert et al. (2018) konstatieren, dass bei Beratungsangeboten zur Langzeitpflege die Bedarfe von Familien mit pflegebedürftigen Kindern unberücksichtigt bleiben. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass spezifische Beratungsangebote für diese Nutzergruppe fehlen (ebd.).

Familiale Pflegearrangements

In der Mehrzahl haben pflegebedürftige Kinder und ihre Familien mehrwöchige bzw. mehrmonatige Krankenhausaufenthalte hinter sich, meistens aufgrund von komplexen Operationen oder akuten Krisen. Trotz identischer Pflegegrade sind die familialen Pflegearrangements und Versorgungssituationen sehr verschieden. Kinder erhalten teilweise professionelle außerklinische (Kinder-)Intensivpflege und Begleitung bis zu 24 Stunden täglich. Andere Familien übernehmen die Versorgung ausschließlich und über Jahre hinweg selbst (Peuker und Lehmann 2017). Mitunter sind spezialisierte ambulante Palliativteams für Kinder und Jugendliche (SAPV-KJ) wiederkehrend in die Versorgung involviert (Kremeike 2019). Andere Familien werden (zusätzlich) durch Ehrenamtliche eines ambulanten Kinderhospizdienstes begleitet. Auch der Bunte Kreis oder familienentlastende Dienste (FeD) unterstützen Familien mit einem pflegebedürftigen Kind (Oetting-Roß et al. 2019). In jüngster Zeit entstehen innovative außerklinische Betreuungsformen im Sinne von Wohngruppen oder (teil)stationären Einrichtungen für Kinder (BHK 2022).

Durch die Corona-Pandemie verschärfte sich die Versorgungssituation vieler Familien mit einem pflegebedürftigen Kind. Familien wurden mit ihren Ängsten, ihren Sorgen um das Leben ihres Kindes und mit den (zusätzlichen) alltäglichen Anforderungen alleingelassen. Pandemische Maßnahmen potenzierten das Belastungserleben und reduzierten die Inanspruchnahme von (dringend erforderlichen) Versorgungsleistungen. Einschränkungen der Teilhabe verstärkten eine oftmals ohnehin bestehende soziale Isolation. Die Quarantänemaßnahmen ziehen voraussichtlich negative psychische sowie körperliche Folgen für Kinder, Eltern und Familien nach sich (Brooks et al. 2020). Darüber hinaus wirkt sich die „vergessene Perspektive der informellen Pflege“ (Fischer 2021) vermutlich auf das Vertrauen der Familien in das Versorgungssystem aus.

Außerklinisch-pädiatrische Pflege

Sind außerklinische Kinderkrankenpflegedienste eingebunden, begeben sich die professionell Pflegenden in äußerst heterogene und belastete Familiensituationen; die Privatheit der Familien wird zum Arbeitsplatz. Es handelt sich dabei um pflegerische Langzeitversorgung, die viele Jahre andauern kann. Die Pflegezeiten liegen je nach Situation, Genehmigung und Verfügbarkeit zwischen wenigen Stunden täglich bis hin zu 24-Stunden-Versorgungen (Peuker und Lehmann 2017). Nicht immer können Familien mit einem pflegebedürftigen Kind auf dieses Angebot zählen, denn schon vor der Pandemie fehlte es an Kapazitäten: In Niedersachsen mussten 2014 beispielweise 53 pädiatrische Versorgungen abgelehnt werden. Mitunter müssen Familien ihr Kind dann zur lebensnotwendigen Versorgung über Monate hinweg im Krankenhaus belassen (Häusliche Pflege 2016).

Die inhaltliche Vielfalt außerklinisch-pädiatrischer Pflegesituationen erfordert eine hochspezialisierte und qualifizierte Pflege und Begleitung, die sich zum einen an den individuellen krankheitsbedingten Problemen und Bedürfnissen der Kinder und Familien orientiert und zum anderen physiologische, psychosoziale und kognitive Entwicklungsbesonderheiten in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen berücksichtigt (Köhlen 2011). Außerklinisch-pädiatrische Pflege geht mit hoher Verantwortung, emotionaler Belastung und zeitlichen Freiräumen einher (Peuker und Lehmann 2017; Schüürmann 2020), die situative Anpassungen erforderlich machen und in denen Notfälle wiederkehrend und unvermittelt auftreten.

Die professionelle Pflege eines pflegebedürftigen Kindes wird auch dann als Intensivpflege beschrieben, wenn die Kinder nicht zwangsläufig auf Beatmung angewiesen sind, da es sich um eine hochspezialisierte Form der Pflege handelt, die im Grenzbereich zwischen Leben und Tod stattfindet und existenzielle Bereiche des Lebens berührt (Peuker und Lehmann 2017). Beziehungsgestaltung und Aushandlungsprozesse beschreiben professionell Pflegende – auch aufgrund einer großen Nähe und familiären Einbindung – als herausfordernd (Schüürmann 2020). Diese psychosoziale Begleitung von (hoch belasteten) Eltern und Familiensystemen stellt ein spezifisches Aufgabenfeld außerklinisch-pädiatrisch Pflegender dar, für das Pflegende ohne Weiterbildung bisher nicht ausreichend qualifiziert und nicht angemessen entlohnt werden.

1.3 Versorgungsbedarfe

Die Abhängigkeit von einer (medizin-)technischen Versorgung ist unterschiedlich stark ausgeprägt und reicht wie erwähnt bis hin zur invasiven Heimbeatmung. Die körperlichen Einschränkungen der Kinder sind ebenso wie ihre Krankheitsverläufe und Lebenssituationen ausgesprochen heterogen. Viele Kinder sind immobil, die meisten sogar im Stadium der Ortsfixierung. Andere Kinder sind nicht in der Lage, verbal zu kommunizieren.

Die Versorgungsbedarfe und Bedürfnisse sind äußerst vielfältig und je nach Alter, Entwicklungszustand und Gesundheitssituation des erkrankten Kindes und nach Familiensituation verschieden. Anforderungen ergeben sich aus der

  • körperlichen Situation, z. B. durch ein ausgeprägtes Symptomgeschehen wie Schmerzzustände, Atemproblematik, Spastiken, Mobilitätsprobleme, Hautprobleme oder Körperbildveränderungen, aus der

  • emotionalen Situation aller, z. B. durch Trauer, Wutanfälle, Frust oder Phasen der Langeweile der Kinder, die vielfach isoliert von Gleichaltrigen leben. Pflegerische Erfordernisse und regelmäßige Therapien führen zu einem rigiden Alltag der Kinder, in dem Spontanität, Flexibilität und Freizeit sehr wenig Raum haben. Dementsprechend ist es zusätzlich die

  • soziale Situation und entsprechende Aspekte, z. B. die Förderung des Kontaktes zu Gleichaltrigen, die Beziehungsförderung unter Geschwistern und die Erziehung der Kinder, die die Familien mit einem pflegebedürftigen Kind täglich herausfordern.

Die Sorge- und Erziehungsaufgaben unterliegen anderen Maßstäben als in Familien mit gesunden Kindern. Kranken Kindern Grenzen zu setzen, ihre Bedürfnisse zurückzustellen, Wünschen nicht immer gleich nachzukommen oder ihre Selbstständigkeit zu fördern fällt Eltern schwer, obschon sie um die Notwendigkeit wissen (Oetting-Roß et al. 2019). Die Organisation und Bewältigung des Alltags nimmt immensen Raum ein: Pflege und Therapien, die Auswahl von und der Kontakt zu Hilfsangeboten, Betreuungseinrichtungen und Schule. Die zusätzlichen gravierenden Beanspruchungen einer Familie mit einem pflegebedürftigen Kind fordern die Bewältigungsressourcen heraus und führen mitunter dazu, dass erheblich belastete Familien so erschöpft sind, dass sie nicht in der Lage sind, Schritte zu unternehmen, um ihre Situation zu ändern.

2 Herausforderungen familialer Pflege

Wie die Eltern die familiale Pflege ihres lebenslimitierend erkrankten Kindes dennoch bewältigen, lässt sich anhand der derzeitigen nationalen wie internationalen Forschung nur unzureichend ablesen. Die Grenzen des autonomen familialen Handelns ergeben sich aus der individuellen Familiensituation (Tiesmeyer 2012). Um Familien in ihrer individuellen Situation begleiten, professionell pflegen und bedarfsorientiert beraten zu können, ist es hilfreich, die Familie als individuelles System zu verstehen. Dazu ist es notwendig, sowohl das Erleben und Bewältigungshandeln einzelner Familienmitglieder in Bezug auf die Krankheitsbewältigung als auch die familiale Bewältigung in den Blick zu nehmen (ebd.).

2.1 Erleben und Bewältigungshandeln aus der Perspektive der Eltern

Eltern (schwerst-)pflegebedürftiger Kinder setzen sich intensiv dafür ein, als diejenigen ernst genommen zu werden, die ihr Kind am besten kennen. Sie betrachten sich als diejenigen, die ihr Kind bestmöglich vertreten und schützen können (Bachmann 2014; Kars et al. 2015). Dem gegenüber steht, dass die elterliche ebenso wie die familiale Situation von Schockerleben, Erschöpfung und dem Gefühl emotionaler und handlungsbezogener Überforderung geprägt ist (Büker 2008; Tiesmeyer 2012). Eltern bewegen sich permanent zwischen ihren Zielen für eine bestmögliche Begleitung ihres Kindes einerseits und ihrer eigenen Belastung und Betroffenheit andererseits (Oetting-Roß et al. 2019). Eltern sind gefordert, den Schock der Diagnose (Tiesmeyer 2012), Trauer, Orientierungslosigkeit sowie die schmerzlichen Stigmatisierungserfahrungen zu verarbeiten. Gleichzeitig stehen sie unter dem immensen Handlungsdruck, ihrem Kind gute Eltern zu sein (Tiesmeyer 2012) und die alltägliche Pflege und Sorgearbeit zu gestalten. Sie eint die existenzielle Sorge um ihr Kind und der Wunsch, ihrem Kind ein langes und gutes Leben zu ermöglichen (Verberne et al. 2017).

Vom Moment des Diagnoseschocks an befinden sich Eltern in einer Krisensituation (Filipp und Aymanns 2018). Diese ist durch eine Überflutung mit negativen Emotionen und den Verlust von Zielorientierung und Kontrolle über das eigene Denken und Tun geprägt. Nur langsam und parallel zum Krankheitsverlauf gelingt es den Eltern, die Situation zu realisieren, Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und eine Strategie der Pflege und Sorgearbeit zu etablieren. Nach einem tiefgreifenden Schockerleben beginnt ein Prozess des Realisierens (Oetting-Roß et al. 2019), der so lange anhält, wie das Kind lebt. Dieser Prozess wird nachfolgend skizziert.

Versuchen zu verstehen: Eltern erkrankter Kinder vermögen nicht abzusehen, was diese Diagnose konkret bedeutet. Die Konsequenzen lassen sich anfangs nur vage erahnen. Zunächst versuchen Eltern, Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Ihre Situation ist geprägt von Ungewissheit, Grübelei und der Suche nach Antworten und Informationen. Eltern sind in dieser Phase besonders auf spezialisierte Beratung angewiesen. Sie versuchen zu verstehen, welche Rolle sie ihrem kranken Kind gegenüber einnehmen sollten. Ganz für das Kind da zu sein ist trotz vielfältiger emotionaler, körperlicher, kognitiver und sozialer Herausforderungen ein zentrales Handlungsmotiv.

Situativen Anforderungen an Sorgearbeit gerecht werden: Vielfältige alltägliche Anforderungen unterliegen ständigen Veränderungen, was eine hohe Flexibilität erforderlich macht. Die fragile Handlungsfähigkeit der Eltern wirkt sich auf die Deutung ihrer eigenen Situation und damit indirekt auch auf die Deutung der Situation des Kindes aus. Eltern sehen vorrangig die Defizite, Abhängigkeiten und den Hilfebedarf ihrer Kinder.

Krisen und Rückschritte durchleben: Viele pflegebedürftige Kinder gelangen eine gewisse Zeit oder sehr schnell nach Diagnosestellung in einen krisenhaften Zustand. Die Lebensbedrohung des Kindes rückt in den Vordergrund, gepaart mit einer schwer auszuhaltenden Ungewissheit und ständigen Sorge um das Kind. Eltern realisieren, dass die Sicherheit ihres Kindes permanent bedroht sein wird. Sie erfahren, dass es (jederzeit) zur weiteren Verschlechterung und zum Tod ihres Kindes kommen kann.

Sorgearbeit etablieren: Im Kontext skizzierter Anforderungen einerseits und durch den Zuwachs an Wissen und Erfahrungen andererseits realisieren Eltern für sich, dass ihnen eine grundlegende Ausrichtung Orientierung bieten kann. Eltern positionieren sich und etablieren individuelle Strategien der Pflege und Sorgearbeit, denen die existenzielle Sorge um das Wohl des Kindes gemein ist. Diese elterlichen Strategien haben einen direkten Einfluss auf die Gestaltung familialer Pflegearrangements (Oetting-Roß et al. 2019).

  • Die pathologisierend-kontrollierende Strategie zielt auf die größtmögliche Sicherheit für die Gesundheit des Kindes. Stabilisierung und der Erhalt der Ist-Situation ist oberste Maxime. Eltern entwickeln dabei wiederkehrende, berechenbare Strukturen und Handlungsabläufe, die aufgrund ihres systematischen Charakters gut zu überblicken und zu kontrollieren sind und damit vermeintliche Kontrolle der Situation suggerieren. Es besteht kaum Flexibilität in der Gestaltung der Pflegesituation

  • Die bildungs- und entwicklungsfördernde Strategie ist darauf ausgerichtet, Bildung zu ermöglichen und damit die Option für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben des Kindes zu schaffen. Oberste Maxime ist das Lernen und damit einhergehend eine individuelle Weiterentwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen. Die alltägliche Sorgearbeit zielt darauf ab, eine geeignete Lernumgebung und Anreizstrukturen zu schaffen. Aspekte des körperlichen Wohlbefindens und der Pflege werden als nachrangig betrachtet.

  • Die reflektiert-situative Strategie zielt in erster Linie auf das subjektive Wohlbefinden und die Lebensqualität des Kindes ab. Ziel ist es, Anforderungen zu reduzieren und Überforderungssituationen für das Kind und die Familie als Ganzes zu vermeiden. Zentrale Aspekte der Sorgearbeit sind die umfassende Orientierung am Kind und an seinen situativen Bedürfnissen. Körperliche, kognitive, emotionale und soziale Bedürfnisse werden dabei gleichermaßen berücksichtigt. Es besteht eine große Flexibilität.

Mit Hilfe dieser (oftmals unbewussten) Strategien gelingt es den Eltern, den Fokus nicht nur auf das erkrankte Kinder, sondern auch wieder auf sich als Paar und auf die Familie als Ganzes zu richten.

2.2 Erleben und Bewältigungshandeln erkrankter Kinder

Aus Sicht der erkrankten und pflegebedürftigen Kinder erscheinen weniger die körperlichen und emotionalen Beschwerden oder pflegerischen Erfordernisse, sondern vielmehr daraus resultierende Konsequenzen für ihren Alltag zentral zu sein. Für die Kinder ist das Streben danach, ein normales Leben zu führen, von großer Bedeutung (Atkin und Ahmad 2001). Kinder entwickeln vielfältige Strategien, um eine Normalität aufrechtzuerhalten, obschon sie um die Fragilität ihrer Situation und dieser Strategien wissen. Kinder und vor allem Jugendliche lehnen es ab, als tragische Opfer ihrer Erkrankung gesehen zu werden. Gleichzeitig beschreiben einige Jugendliche den Eindruck, ihre Eltern sähen nur die Krankheit und nicht sie selbst (ebd.). Ein weiteres zentrales Bedürfnis erkrankter Kinder besteht darin, altersentsprechende Freizeitaktivität, „normal childhood actvities“, zu erleben. Swallow et al. (2012) beschreiben, Jugendlichen sei es wichtig, funktionstüchtiges Equipment vor Ort zu haben, wie beispielsweise einen elektrischen Rollstuhl. Dieser sei aus ihrer Sicht die hauptsächliche Mobilitätsmöglichkeit und darüber hinaus ihr Schlüssel zur Unabhängigkeit. Im Gegensatz dazu beschreiben einige Mütter den elektrischen Rollstuhl als Zeichen einer Verschlechterung, als letzten Ausweg und lehnen eine frühzeitige Nutzung ab (ebd.). Das Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich die Sichtweisen und Bewertungsmaßstäbe zwischen erkrankten Kindern und ihren Eltern sein können.

Verschiedene Untersuchungen zur Kinderperspektive ist die Erkenntnis gemein, dass pflegebedürftige Kinder über ihre Krankheit Bescheid wissen wollen und die Informationen aufspüren, die für sie wichtig sind (Oetting-Roß et al. 2014). Bluebond-Langner (1994) hebt hervor, dass sterbenskranke Kinder in ihrem Verständnis und ihrer Sicht auf den Tod keinesfalls gleichgesetzt werden können mit alters- und entwicklungsbedingten Stufenschemen zum kindlichen Verständnis des Todes.

Nahezu alle Kinder beschreiben eine Alltagsstruktur, die durch rigide Abläufe gekennzeichnet ist. Die Kinder stehen morgens früh auf, um gewaschen, gepflegt und angezogen zu werden. Die Pflege beinhaltet neben einer – aufgrund von Immobilität, Spastiken oder Abhängigkeit von technischen Hilfsmitteln – ohnehin aufwändigen Körperpflege spezielle Interventionen wie atemstimulierende Maßnahmen, spezielle Mobilisierungsübungen oder aufwändige Hautpflege (Oetting-Roß et al. 2018). Zudem sind bei vielen pflegebedürftigen Kindern neben der Atmung auch die Ausscheidung und die Ernährung problematisch. Die Kinder benötigen überdurchschnittlich viel Zeit für eine Mahlzeit, leiden unter Appetitlosigkeit, Schluckstörungen und sind auf Hilfe bei der Nahrungsaufnahme angewiesen. All das erfordert frühes Aufstehen, insbesondere dann, wenn die Kinder in weit vom Wohnort entfernte Sonderschulen gehen. Nach der Schule und einer abermals aufwändigen Mittagsmahlzeit stehen für die Kinder täglich Therapien auf dem Plan: Sie gehen zur Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, besuchen regelmäßig Fachärzte, gehen zur Bewegungstherapie ins Schwimmbad oder zum pädagogischen Reiten (ebd.).

Grundsätzlich bleibt den Kindern kaum Zeit für sich, für Freizeitaktivitäten oder dafür, sich einfach von der Schule auszuruhen. Spontanität ist nur bedingt und verbunden mit einem (hohen) gesundheitlichen Risiko möglich, das Beteiligte ungern in Kauf nehmen. Der durchstrukturierte Alltag, der sich Woche für Woche wiederholt, stresst und langweilt die Kinder gleichermaßen (Oetting-Roß et al. 2018).

Handlungsstrategien erkrankter Kinder

Kognitiv Handeln: Die erste Strategie umfasst eine kognitive Auseinandersetzung mit der eigenen Situation und zeigt sich beispielsweise im Aufbau komplexer Phantasiewelten, in denen die Kinder handeln, spielen, laufen, mit der Schwester in eine WG ziehen oder in andere Rollen schlüpfen. Die Kinder ermöglichen sich in ihrer Phantasie das, was in der Realität unmöglich ist. Der „defekte“ Körper verliert an Bedeutung, die geistige Auseinandersetzung und kognitiv-emotionale Anteile des Selbst sind zentral.

Soziale Bündnisse eingehen: Gezielt werden intensive soziale Bündnisse zumeist mit erwachsenen Personen außerhalb der Familie geschlossen. Den Kindern gelingt es, diese Personen für sich zu vereinnahmen. Die erwachsenen Bündnispartner überschreiten professionelle Grenzen, bspw. zwischen Nähe und Distanz. Innerhalb dieser für die Kinder äußerst bedeutsamen Bündnisse existieren Thematisierungs- und Umgangsregeln, die durch die Kinder festgelegt sind. In diesen Beziehungen erhalten sie die Möglichkeit zu gestalten und selbstbestimmt zu handeln.

Gesundheitskompetenz entwickeln: Eine weitere Strategie ist die Entwicklung von Gesundheitskompetenz. Schon Schulkinder sind in der Lage, sich selbst und die eigenen körperlichen Bedürfnisse sehr gut wahrzunehmen und einzuschätzen. Ihnen ist bewusst, dass Fehler eine Gefahr für ihr Leben darstellen. Vor diesem Hintergrund beschaffen sie sich Wissen aus unterschiedlichen Quellen, beherrschen Fachtermini, folgen den Therapie- und Pflegeauflagen und entwickeln sukzessive und im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine krankheitsbezogene Expertise. Damit tragen sie zum Selbstschutz und zur Reduktion ihrer Ängste aktiv bei (Oetting-Roß et al. 2018).

Rolle und Perspektive der Geschwisterkinder

Sind Geschwister vorhanden, kommt ihnen eine schwierige Rolle zu. Geschwister fühlen sich allein, einsam, unbedeutend, unwichtig, unbeachtet oder vernachlässigt (Knecht 2016). Ihre vielfältigen Gefühle können sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet sein. Geschwister zeigen aber trotz ihrer eigenen Betroffenheit und Belastung Verständnis, Geduld und Mitgefühl für ihre erkranken Geschwister und ihre Familien (ebd.). Auch sie wollen aktiv mitwirken. Für pflegebedürftige Kinder spielen die Geschwister eine herausragende Rolle. Gerade weil ein intensiver Kontakt zu Gleichaltrigen oft fehlt, sind die Beziehungen zu den gesunden Geschwisterkindern von immenser Bedeutung. Hier fühlen sie sich anerkannt, für voll genommen und als Person gesehen (Oetting-Roß et al. 2018). Im Kontext der Geschwisterbeziehung gelingt es erkrankten Kindern, einfach Kind zu sein (ebd.)

3 Zukünftige pflegerische Handlungsanforderungen

Nicht etwa technische Herausforderungen stehen für die professionell Pflegenden im Vordergrund, vielmehr fordern sie Beziehungsgestaltung, Aushandlung, Nähe und Distanz und eine offene, nicht-direktive Kommunikation auch über schwierige Themen heraus (Peuker und Lehmann 2017; Schüürmann 2020).

Konzeptionelle Fundamente schaffen

Die Herangehensweise Pflegender an diese Aufgaben sollte zukünftig stärker theoriegeleitet und methodengestützt erfolgen. Förderprogramme und Forschungsausschreibungen sollten konkret (schwerst-)pflegebedürftige Kinder und ihre Familien adressieren, zu einer differenzierteren Datenlage beitragen und Langzeiterhebungen ermöglichen (Boettcher et al. 2021). Pflegewissenschaft, Pflegebildung und Pflegende selbst sind gefordert, konzeptionelle Fundamente für diese Aufgaben zu entwickeln, spezifische Instrumente zu implementieren und Methodenkompetenzen zu erweitern (Peuker und Lehmann 2017). Die Integration spezifischer Instrumente zur Familienorientierung (Wright und Leahey 2014), Beziehungsgestaltung, Beratung und Fallsteuerung (GKV-Spitzenverband 2013), aber auch zur Reflexion können zu einer bedarfsgerechten Pflege beitragen. Gerade der Bedarf an spezifischen Beratungen wird schon lange konstatiert; leider zeigten sich in diesem Bereich jedoch über Jahre hinweg bisher keine Verbesserungen (Kofahl et al. 2017).

Strukturelle Entwicklungen vorantreiben

Damit sich dies ändert, werden dringend Strukturen benötigt, die eine Versorgung aus einem Guss ermöglichen, Fragmentierungen aufbrechen (Bruker und Klie 2016) und die Zusammenarbeit relevanter Akteure initiieren (GKV-Spitzenverband 2013), in Verschränkung mit bereits vorhandenen Nachsorgeeinrichtungen und Strukturen der SAPV-KJ. Kinderkrankenpflegedienste sollten in entsprechenden Versorgungsnetzwerken eine zentrale Verankerung erfahren. Darüber hinaus benötigen Familien Respite-Care-Angebote, die über einfache Entlastungspflegeangebote hinausgehen (Whitmore und Snethen 2018). Die Etablierung von innovativen stationären wie teilstationären Pflegeinrichtungen für Kinder (BHK 2022) können familiale Pflegesituationen stabilisieren und Familien eine Versorgungsperspektive bieten, bevor die familialen Pflegesysteme kollabieren. Werden pädiatrische Pflegenden als Schulgesundheitspflegende (DBfK 2018) tätig, können sie in Bildungseinrichtungen als Bindeglied zwischen Familien mit pflegebedürftigen Kindern, Lehrern und Versorgungsnetzen fungieren. Insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender psychischer Auffälligkeiten bei Kindern mit krankheitsbedingten Einschränkungen (Karg et al. 2021) kommt ihnen zukünftig eine bedeutsame Rolle zu.

Familienorientierung ermöglichen

Familienorientierte Pflege (Wright und Leahey 2014) impliziert die Notwendigkeit, sowohl die Perspektiven jedes einzelnen Familienmitgliedes zu identifizieren als auch eine geteilte, kollektive Familienperspektive zu berücksichtigen. Dem Verständnis von „Familie als Herstellungsleistung“ (Jurczyk 2014) nach gilt es auch und besonders für Familien, zu denen ein pflegebedürftiges Kind gehört, neuen gesellschaftlichen Anforderungen an die Herstellung von Familie gerecht zu werden. In Familien, zu denen ein lebenslimitierend erkranktes Kind zählt, kommt die dauerhafte Pflege eines Familienmitgliedes als eine weitere und in dieser Phase untypische Entwicklungsaufgabe hinzu. Diese Anforderungen gehen weit über die hinaus, denen Familien, in denen die Kinder gesund sind, gegenüberstehen und sie weisen keinen temporären Charakter auf. Im Gegenteil: Sie stellen im Kern einen dauerhaften Zustand dar, der sich über die gesamte Lebenszeit des erkrankten Kindes erstreckt (Oetting-Roß 2018). Professionelle Pflege sollte Familien mit einem pflegebedürftigen Kind bei der „Herstellung von Familie“ unterstützen und den „erzwungenen Lernprozess“ (Schaeffer und Moers 2009), den Eltern bisher intuitiv durchlaufen, systematisch begleiten, bewusst initiieren, gestalten und dabei den beeinflussenden Charakter ihrer familienzentrierten Handlungen systematisch reflektieren. Der Auftrag außerklinischer Kinderkrankenpflege sollte sich explizit auf das pflegebedürftige Kind und alle Familienmitglieder beziehen, was eine Abbildung familiärer Aufgaben in Leistungskatalogen zur Folge hätte.

Spezifische pädiatrische Qualifizierungen etablieren

Damit diese anspruchsvolle Aufgabe gelingt, bedarf es fundierter Weiterbildungsangebote für die (außerklinische) Kinderkrankenpflege. Diese sollten inhaltlich und bzgl. des Umfangs der hohen Komplexität und Heterogenität pädiatrischer Pflegesituationen Rechnung tragen. Beispielhaft sei hier die Entwicklung in Österreich angeführt: Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger haben die Möglichkeit, sich für den Bereich der „Pflege von Kindern und Jugendlichen“ zu spezialisieren. Die Spezialisierung umfasst eine Weiterbildung von 1.600 Stunden innerhalb eines Jahres. Auch die erweiterten Kompetenzen, die im Rahmen eines Pflegestudiums erworben werden, sollten bei der Begleitung von Familien zum Einsatz kommen. Auf Masterniveau pädiatrisch qualifizierte Advanced Nursing Practioner könnten im Feld der pädiatrischen Pflege eine steuernde und supervidierende Rolle einnehmen und Beratungs-, Fall- und Netzwerkmanagementaufgaben übernehmen.

Fragen der Haltung und Partizipation diskutieren

Die Haltung, die pflegebedürftigen Kindern entgegengebracht wird (Jennessen et al. 2010), sowie der Grad an Partizipation sollten grundsätzlich überdacht werden. Pflegende sind gefordert, Partizipation zu unterstützen. Viele lebenslimitierend erkrankte Kinder, denen sich keine kurative Therapieoption bietet, haben heute die Aussicht auf ein längeres Leben und dies bei guter Lebensqualität (Zernikow et al. 2017). Die Vorbereitung erkrankter Kinder auf ihr zukünftiges Leben nimmt bisher wenig Raum ein. Veränderte Krankheits- und Entwicklungsverläufe und damit einhergehende Anforderungen im Leben der Kinder sollten im Pflegeprozess Berücksichtigung finden und eine Entwicklungsförderung sowie die Förderung familialer Gesundheitskompetenzen zur Folge haben. Gezielte familiale Gesundheitsförderung ist eine zentrale Voraussetzung, um Partizipation, Empowerment und letztendlich auch Prozesse der geteilten Entscheidungsfindung zu gestalten.