1 Einleitung

Immer mehr Unternehmen und Organisationen verlassen sich zunehmend auf Datengestützte Systeme und Geschäftsmodelle, um fundierte Entscheidungen zu treffen und einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen (Elgendy und Elragal 2014). Der rechtskonforme Umgang mit Daten wird hierbei vorausgesetzt. Eine steigende Zahl an Initiativen zeigt, dass dieser nicht ausreicht, sondern ein ethischer Umgang mit Technologie im Allgemeinen (bspw. Spiekermann 2015; Spiekermann et al. 2022; D. E. 2023) und mit Daten im Speziellen (Floridi und Taddeo 2016) auf gesellschaftliches Interesse stößt. Das neue Forschungsfeld „Digital Responsibility“ (Trier et al. 2023) befasst sich mit der verantwortungsvollen Gestaltung von digitalen Technologien und umfasst dabei auch deren ethische Implikationen. Gerade mit diesem Gedanken und dem der verantwortungsvollen Innovation (Stahl et al. 2014) ist der ethische Umgang mit Daten und datengetriebenen Geschäftsmodellen sowohl für Praktiker als auch für Wissenschaftler von Interesse.

Um aus den Daten der Geschäftsprozesse einen zusätzlichen Mehrwert generieren zu können, bietet sich Process Mining (PM), an – wodurch die Verbesserung von Geschäftsprozessen durch die Analyse von Ereignisprotokollen ermöglicht wird (van der Aalst 2011). Allerdings existieren auch hier ethische Bedenken: Unternehmen sollten bei den gesammelten Daten, die verarbeitet und gespeichert werden, Datenschutz, Datensicherheit und Transparenz berücksichtigen (van der Aalst 2016). Besonders Bedenken hinsichtlich des potenziellen Missbrauchs sensibler Daten wie bspw. persönlicher Informationen sind bei der Anwendung von PM präsent (van der Aalst 2016).

Dieser Artikel analysiert die ethischen Implikationen von PM-Anwendungen und leitet daraus Richtlinien und bewährte Verfahren zur Sicherstellung von verantwortungsvoller Datennutzung ab. Durch die ethische Nutzung von Daten kann Vertrauen geschaffen, die individuellen Rechte der Nutzer und deren Interessen geschützt werden (Alt et al. 2021). Um diesem Forschungsbereich zu erweitern wurde eine systematische Literaturanalyse durchgeführt. Hierfür wurden die folgenden Forschungsfragen gewählt:

FF 1:

Wie ist der aktuelle Forschungsstand ethischer Implikationen in Process Mining?

FF 2:

Wie werden datenethische Fragen betrachtet und welche bewährten Verfahren können ethisches Verhalten im Zusammenhang mit Process Mining unterstützen?

Dieser Artikel ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Abschn. 1, die Einleitung betrachtet die wachsende Bedeutung datengestützter Systeme, insbesondere unter Berücksichtigung ethischer Aspekte. Der theoretische Hintergrund in Abschn. 2 beleuchtet Datenethik und Process Mining. Abschn. 3 erläutert die angewandte Forschungsmethode der Literaturanalyse. Die Ergebnisse werden in Abschn. 4, jeweils separat für Datenethik in Abschn. 4.1 und Process Mining in Abschn. 4.2 präsentiert. In der Diskussion in Abschn. 5, werden die ethische Implikationen gegenübergestellt. In der Zusammenfassung in Abschn. 6 werden die Hauptergebnisse zusammengefasst, und Impulse für die praxisnahe Implementierung von PM und Datenmanagement abgeleitet.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Datenethik

Floridi und Taddeo (2016) definieren Datenethik als den Zweig der Ethik, der moralische Probleme im Zusammenhang mit Daten und Algorithmen untersucht und bewertet, um moralisch gute Lösungen zu formulieren. Die meisten ethischen Fragen in Zusammenhang mit Daten beziehen sich auf Daten über Menschen (Hand 2018). Datenethik bildet einen wesentlichen Bestandteil eines verantwortungsvollen Datenmanagements und stellt sicher, dass Daten zum Wohle der Allgemeinheit verwendet werden (Mittelstadt und Floridi 2016).

Zu den wichtigsten ethischen Grundsätzen gehören Datenschutz (Floridi 2014), Transparenz (Turilli und Floridi 2009), die Vermeidung von Voreingenommenheit, Verzerrung und Diskriminierung durch Daten (Mehrabi et al. 2022), Verantwortung (Slussareff 2022), Informierte Zustimmung (Mittelstadt und Floridi 2016), sowie Datenqualität (Cai und Zhu 2015).

2.2 Process Mining

PM ist ein datengesteuerter Ansatz zur Analyse und Optimierung von Geschäftsprozessen, bei dem Informationen aus Ereignisprotokollen extrahiert werden, um Muster in Aktivitäten zu erkennen und die Prozessleistung zu messen (van der Aalst und Weijters 2004). PM bietet Vorteile wie die Identifizierung von Prozessineffizienzen, die Kostenreduktion und die Verbesserung der Prozessqualität (Rozinat und van der Aalst 2006). Zu den drei Haupttechniken im PM gehören die Prozessentdeckung (Process Discovery), die Konformitätsprüfung (Conformance Checking) und die Verbesserung (Enhancement) (van der Aalst 2011).

PM weist verschiedene Perspektiven auf, darunter Kontrollfluss‑, Fall‑, Zeit‑, Organisations‑, Ressourcen‑, Prozess- und Datenperspektiven. Jede Perspektive ermöglicht spezifische Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten (van der Aalst 2011). Bei der Anwendung von PM müssen bestimmte Datenanforderungen berücksichtigt werden (van der Aalst et al. 2010). Die Datenqualität kann sich auf die Genauigkeit und Gültigkeit der durch PM erzielten Ergebnisse auswirken, so dass es wichtig ist, sicherzustellen, dass die verwendeten Daten für den Zweck geeignet sind (Dustdar et al. 2006).

3 Methodik

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurde in dieser Arbeit eine Literaturanalyse nach Webster und Watson (2002) durchgeführt. Die Auswahl dieser Methodik erfolgte aufgrund ihrer strukturierten und systematischen Vorgehensweise, die eine adäquate Identifikation, Auswahl und kritische Bewertung relevanter Literatur ermöglicht. Für den Suchbegriff „Data Ethics“ wurden ausschließlich englischsprachige Zeitschriften im Bereich der Philosophie in Betracht gezogen. Die Auswahl erfolgte auf Basis des SCImago Journal Rank (SJR) (SCImago o.J.), um relevante Literatur zu identifizieren. Der SJR ist ein Indikator, der die wissenschaftliche Bedeutung von Zeitschriften anhand von Zitationsdaten bewertet. Die Top-26-Zeitschriften gemäß SJR-Ranking wurden mittels des Suchbegriffs „Data Ethics“, ohne zeitliche Einschränkungen, einer Volltextsuche unterzogen, was zu 33 Treffern führte. Durch sorgfältiges Screening der Volltexte wurden irrelevante Artikel eliminiert, sodass schließlich 24 Publikationen als relevant identifiziert wurden. Dabei wurde darauf geachtet, dass die ausgewählten Publikationen das Thema nicht nur erwähnen, sondern einen aktiven Forschungsansatz damit verfolgen, oder das Thema zumindest prominent behandeln. Exkludiert hingegen wurden solche Artikel, die das Thema Datenethik nur grob streifen, oder aber lediglich namentlich erwähnen Tab. 1.

Tab. 1 Dokumentation der analysierten Zeitschriften: Datenethik

Für den Suchbegriff „Process Mining“ wurden die vorgeschlagenen englischsprachigen Top-Tier Zeitschriften der Wirtschaftsinformatik von Lowry et al. (2013) bis Rang 2, ohne zeitliche Einschränkungen, untersucht. Lowry et al. verwenden Clusteranalysen, um ihre Stichprobe von 21 Top-Tier-Fachzeitschriften für den Bereich Information Systems in verschiedene Ebenen zu unterteilen, um deren Einfluss zu bewerten. Die Auswahl erfolgte aufgrund ihrer Reputation und ihres Einflusses in der Forschungsgemeinschaft. Für den Suchbegriff „Process Mining“ wurden 90 Publikationen identifiziert und nach Screening der Volltexte auf ihre Relevanz überprüft. Irrelevante Artikel wurden eliminiert, und nur Publikationen, die aktiv auf PM eingehen wurden inkludiert. Exkludiert wurden solche Artikel, die das Thema zwar nannten, sich aber nicht auf einer inhaltlichen Ebene damit befassten. Insgesamt wurden 39 relevante Publikationen für die Analyse berücksichtigt.

Eine vollständige Liste aller berücksichtigten Artikel ist auf Anfrage bei den Autoren verfügbar Tab. 2.

Tab. 2 Dokumentation der analysierten Zeitschriften: Process Mining

4 Ergebnisse der Literaturanalyse

4.1 Datenethik

Die vorliegende Konzeptmatrix in Tab. 3 präsentiert eine Übersicht über verschiedene datenethische Grundsätze, wie sie in ausgewählten relevanten Artikeln des Datenethik-Datensatzes identifiziert wurden. Im weiteren Verlauf erfolgt eine detaillierte Analyse bestimmter Grundsätze. Die in der Matrix aufgeführten Artikel repräsentieren dabei diejenigen, die im nachfolgenden Text einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden.

Tab. 3 Konzeptmatrix Datenethik

Die datenethischen Grundsätze wurden mittels einer induktiven Inhaltsanalyse der als relevant betrachteten Publikationen mit Fokus auf Datenethik ermittelt. Die Analyse zielte darauf ab, durch die Identifizierung von Schwerpunkten in den Publikationen Grundsätze zu erkennen, die für den adäquaten Einsatz datengetriebener Systeme von Bedeutung sind.

Datenqualität:

Datenverständnis, -beschreibung und -bereinigung sind entscheidend, um Probleme in Bezug die Genauigkeit und Korrektheit von Aussagen zu vermeiden (Ratti und Graves 2021). Digital Governance ermöglicht Prozesse zur Verbesserung von Datenqualität, -zuverlässigkeit, -sicherheit und -zugänglichkeit und fördert somit die Entwicklung effektiver Entscheidungsverfahren und Mechanismen zur Rechenschaftspflicht in datenbezogenen Prozessen (Floridi 2018).

Datenschutz:

Die Nutzung von KI kann zu erheblichen Herausforderungen im Datenschutz, wie Datenlecks oder fehlerhaft trainierten Algorithmen, führen (Hagendorff 2020; Chomanski 2021; Morley et al. 2021). Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird dabei als entsprechender rechtlicher Rahmen erachtet (Loi 2019; Saetra und Danaher 2022), wobei der bestehende Schutz personenbezogener Daten möglicherweise nicht ausreicht, um Diskriminierung von nicht identifizierten Personen zu verhindern. Resultierend daraus ergibt sich eine vertiefte Diskussion über die die Wahrung der Privatsphäre, der wissenschaftlichen Gültigkeit und den Eigentumsrechten (Loi 2019).

Informierte Zustimmung:

Die ethische Verpflichtung zur Einholung der Zustimmung zur Veröffentlichung anonymisierter Daten besteht, trotz fehlender DSGVO-Vorschriften für anonymisierte oder pseudonymisierte Daten. Die Schwierigkeiten bei der Erlangung informierter Zustimmung werden ebenfalls untersucht (Aggarwal und Floridi 2020). Es wird in Frage gestellt, wie man sicherstellen kann, dass Personen den Zweck der gemeinsamen Datennutzung verstehen. Dabei wird betont, dass ohne Vertrauen informierte Zustimmung nicht möglich ist, was alternative Wege zur Sicherung der Rechtmäßigkeit erfordert (Taylor 2021).

Transparenz:

Eine Möglichkeit für die verständliche Offenlegung zur Datenerfassung, -nutzung und -weitergabe besteht in der Durchführung von Audits, um das Vertrauen in KI-basierte Systeme zu stärken (Mökander et al. 2022). Gleichzeitig wird Kritik über mangelnde Transparenz in KI-Forschung und -Entwicklung, mit negativen Auswirkungen auf Nutzerzustimmung, Datenschutz und Rechenschaftspflicht, geäußert (Hagendorff 2020). Verschiedene Strategien zur Verbesserung der Transparenz werden vorgeschlagen, darunter die Veröffentlichung einer Liste von Verstößen durch Nutzer und technische Lösungen (Floridi et al. 2019).

Verantwortung:

Eine der bedeutendsten ethischen Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Technologie betrifft die Verantwortung von Softwareentwicklern gegenüber den Personen, die von der Technologie beeinflusst werden (Saetra und Danaher 2022), wobei die Verantwortung für voreingenommene Daten nicht allein bei den Entwicklern der Algorithmen, sondern auch bei den für die Daten zuständigen Personen liegt (Symons und Alvarado 2022).

Verzerrung:

Es wird vorgeschlagen, Datensatz-Datenblätter zu erstellen, um eine verantwortungsbewusste Datenverarbeitung zu gewährleisten. Diese sollen Informationen zur Datensatzqualität und möglichen Verzerrungen enthalten. Darüber hinaus wird auf die Notwendigkeit neuer Techniken und Software-Tools hingewiesen, die Verzerrungen, Erklärbarkeit und Robustheit berücksichtigen sollen (Laat 2021).

Voreingenommenheit:

Die Forschung konzentriert sich darauf, die Auswirkungen von Voreingenommenheit auf rassische Minderheiten zu verstehen und Maßnahmen zur Beseitigung von Voreingenommenheit in Algorithmen zu ergreifen (Lee und Floridi 2021; Symons und Alvarado 2022).

Diskriminierung:

Ein konkretes Beispiel für Diskriminierung ist der Cambridge-Analytica-Skandal, der die Problematik von Datenmissbrauch und schädlicher Vorurteile durch große Technologieunternehmen aufzeigt (Chomanski 2021). Eine mögliche Lösung hierfür ist die Einführung standardisierter Trainingsdatensätze (Hagendorff 2020).

4.2 Process Mining

Ähnlich wie in Abschn. 4.1 bei der Identifikation der datenethischen Grundsätze, wurden die für PM und Datenethik als relevant erachteten Publikationen mittels Inhaltsanalyse hinsichtlich ihrer Erwähnung datenethischer Grundsätze betrachtet. Zusätzlich wurde hier untersucht, ob die jeweilige Publikation eine Prozess- bzw. eine Datensichtweise einnimmt. Zur Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstands bezüglich ethischer Implikationen im Bereich des PM wird hervorgehoben, dass mit 7 der 39 analysierten PM-Publikationen nur eine begrenzte Anzahl spezifische Grundsätze der Datenethik oder relevante datenethische Fragestellungen thematisiert.

Im Kontext des PM werden verschiedene Analyseansätze aus einer Datenperspektive betrachtet – darunter ein Qualitätsbewertungsansatz, der die Datenqualität aus zwei Hauptperspektiven bewertet: der Eignung der Daten für ihre Verwendung im PM und die Erkenntnisfähigkeit der Datenanalyse (Andrews et al. 2020). Weitere Perspektiven sind die Datenprozessperspektive (Caron et al. 2013), die die während eines Prozesses verwendeten, erzeugten oder manipulierten Informationen und ihre Beziehungen darstellt und in verschiedene Perspektiven unterteilt, sowie die Kontrollflussperspektive, die Datenflussperspektive und die organisatorische Perspektive (Suriadi et al. 2017).

In den Publikationen zu PM ließen sich einige datenethische Grundsätze identifizieren. So spielen Datenschutz und individuelle Rechte in Unternehmensanwendungen eine Rolle (Breuker et al. 2016). Einwilligung und Transparenz bei der Datenverarbeitung (Kratsch et al. 2022), sowie die Identifizierung von Datenqualitätsdimensionen und deren Bedeutung für PM (Andrews et al. 2020) werden als relevant angesehen. Datenschutzbedenken, insbesondere im Gesundheitswesen, werden bspw. im Fall von RFID-Etiketten hervorgehoben (Zhou und Piramuthu 2010). Die Erhebung ausreichender Daten für das PM ist mit Herausforderungen verbunden, insbesondere hinsichtlich Sicherheitsaspekten wie der Anonymisierung von Daten. Dabei ist die Wichtigkeit der Einhaltung datenethischer Grundsätze bei der Datenerhebung und -verwendung für die Analyse zu beachten (Cho et al. 2017).

Die Signifikanz der Nutzung von Simulationen basierend auf realistischen Patientenmodellen wird ebenfalls betont, insbesondere für die Untersuchung von Behandlungsstrategien, die in realen Studien ethische Bedenken aufwerfen könnten (Meyer et al. 2014).

5 Diskussion

Diese Literaturanalyse zeigt einerseits datenethische Grundsätze zur Betrachtung datengestützter Systeme auf und geht andererseits spezifisch auf PM als datengestützte Technologie ein. Die analysierten Artikel zeigen dabei, dass innerhalb der Wirtschaftsinformatik die ethischen Implikationen von PM noch nicht erschöpfend behandelt wurden. 7 der 39 analysierten Artikel zu PM befassen sich mit den identifizierten datenethischen Grundsätzen, während die restlichen Artikel des Datensatzes diese nur eingeschränkt oder gar nicht berücksichtigen.

Ein erheblicher Teil der betrachteten Literatur zu Datenethik behandelt hauptsächlich die funktionalen Aspekte von Technologien, wobei ein besonderes Augenmerk auf spezifischen Technologien liegt, oft im Kontext von Künstlicher Intelligenz (KI) (bspw. Hagendorff 2020; Ratti und Graves 2021; Saetra und Danaher 2022).

Datenqualität stellt einen eher funktionalen Aspekt der datenethischen Grundsätze dar, da dieser ebenso für die grundlegende Nutzung von datengetriebenen Systemen, wie PM-Systemen (vgl. van der Aalst et al. 2010), notwendig ist. In jedem Fall sind Daten von guter Qualität für informierte Entscheidungen notwendig, bei denen alle Aspekte und absehbaren Auswirkungen im Vorhinein berücksichtigt werden können (Floridi 2018; Ratti und Graves 2021).

Der Themenbereich Datenschutz wird oft aufgrund rechtlicher Normen berücksichtigt (bspw. Loi 2019; Saetra und Danaher 2022). Allerdings wird hierbei ethisches Verhalten als solches angesehen, das über die bloße Umsetzung von rechtlichen Vorgaben hinausgeht (Trier et al. 2023). Daher ist eine Ausrichtung notwendig, die sich nicht ausschließlich am rechtlichen Rahmen orientiert, sondern auch auf die Bedürfnisse der Personen eingeht, die im Fokus der Datenerfassung liegen.

Ein wichtiger Aspekt ist ein klares Verfahren für die Einholung der Zustimmung der Personen, deren Daten verwendet werden sollen (Kratsch et al. 2022). Eine transparente Gestaltung von Datenerhebungs- und -Verwendungspraktiken, in Form der Bereitstellung klarer Informationen über die Daten, die gesammelt werden und deren Verwendung, sowie der Personen, die Zugang zu den Daten haben, kann ebenfalls dabei helfen die Akzeptanz von PM-Anwendungen zu steigern. Dabei ist es wichtig, dass die einschlägigen Gesetze und Vorschriften eingehalten werden (Floridi 2018). Die Sicherstellung von Datenqualität gewährleistet, dass in einer Organisation überhaupt informierte Entscheidungen getroffen werden können, da PM-Anwendungen in hohem Maße von dieser abhängen (Dustdar et al. 2006). Zudem trägt sie zur Glaubwürdigkeit von Entscheidungen bei, was besonders wichtig ist, wenn die Ergebnisse einer Analyse erhebliche Auswirkungen auf Einzelpersonen oder Organisationseinheiten haben können (Hand 2018).

Transparenz ist ein datenethischer Grundsatz, der insbesondere bei der Erstellung und dem Betrieb von KI-Systemen vorherrscht (bspw. Ratti und Graves 2021; Mökander et al. 2022; Saetra und Danaher 2022). Dementsprechend findet er sich bei PM-Anwendungen auch in erster Linie beim Einsatz von KI wieder (Kratsch et al. 2022). Transparenz kann jedoch auch auf organisationale Strukturen und die Verwendungsweise der erhobenen Daten bezogen werden. In diesem Kontext kann in Zukunft untersucht werden, ob die klare Darlegung der Datenverwendung die Akzeptanz von beispielsweise PM-Maßnahmen in Organisationen erhöht.

Datenethische Grundsätze wie Voreingenommenheit, Verantwortung und Verzerrung finden in unserem Datensatz nur wenig Betrachtung (bspw. Laat 2021; Morley et al. 2021; Symons und Alvarado 2022). Hieraus lässt sich schließen, dass ein Bedarf an weiter Forschung, insbesondere im organisationalen Umfeld besteht. Management-Entscheidungen sind oft nachgelagert und ihre Auswirkungen sind nicht direkt spürbar (Crane und Matten 2016). Ebenso verhält es sich mit den Auswirkungen der Verwendung von datengestützten Technologien. Hier kann der verantwortungsvolle und ethische Umgang sowohl mit datengestützten Technologien als auch mit gesammelten Daten einen aktiven Beitrag zum gegenseitigen Verständnis bei der Erhebung und Verwendung von Daten leisten. Insbesondere der Aspekt der Verzerrung ist nicht immer offensichtlich (Laat 2021) und hängt sowohl von den Nutzern der Daten als auch von den initial verfügbaren Datensätzen ab. Daher ist weitere Forschung sowohl auf technischer Seite zur Minimierung von Verzerrungen als auch auf organisationaler Seite zum adäquaten Umgang mit gegebenenfalls verzerrten Datensätzen notwendig.

Die in Tab. 3 dargestellten datenethischen Grundsätze lassen sich zu weiten Teilen in den Publikationen zu PM wiederfinden. Datenschutz bildet dabei den am häufigsten genannten Grundsatz, gefolgt von Transparenz. Diskussionen über die DSGVO, welche Regelungen über den Datenschutz festlegt (Loi 2019), sowie aufkommende Bedenken über KI-Anwendungen (Hagendorff 2020) stellen Ausprägungen dieser Grundsätze dar. Informierte Zustimmung und Datenqualität wurden verhältnismäßig wenig betrachtet, was in einer schwierigen Umsetzung in komplexen in KI-Systemen begründet liegen kann (vgl. Mökander et al. 2022).

Weitere Faktoren umfassen die regelmäßige Überprüfung der vorgeschlagenen Data-Governance-Richtlinien, die Durchführung ethischer Prüfungen und die Sicherstellung, dass ethische Praktiken kontinuierlich verfolgt werden (Floridi et al. 2019). Der Umgang mit datenethischen Fragen im PM erfordert einen vielschichtigen Ansatz, der klare Grundsätze und Richtlinien, Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre, zur Transparenz, Rechenschaftspflicht, ethischen Überprüfung und kontinuierlichen Verbesserung umfasst. Unternehmen können durch die Übernahme dieser Best Practices sicherstellen, dass ihre PM-Praktiken ethisch, verantwortungsvoll und vertrauenswürdig sind. Eine zusätzliche Unterstützung könnte durch die Einbeziehung von Ethikausschüssen oder Experten erfolgen, um die möglichen Auswirkungen auf Einzelpersonen oder die Gesellschaft zu bewerten. Eine kontinuierliche Überwachung und Verbesserung der Anwendung von PM kann zudem die ethische Nutzung dieser Technologie stärken.

6 Zusammenfassung und Ausblick

6.1 Zusammenfassung

Der Artikel gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu Datenethik und Process Mining. Dabei werden relevante Konzepte der Datenethik behandelt und bewährte Verfahren der Datenethik im Kontext von PM betrachtet. Im Zuge der hier durchgeführten Literaturanalyse wurden, Grundsätze und Richtlinien der Datenethik, die Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre, Transparenz, Rechenschaftspflicht, Überprüfungen auf ethische Problemstellungen hin und kontinuierliche Verbesserungen umfassen, identifiziert. Aspekte wie Datenqualität, Fairness, informierte Zustimmung und Verantwortung bieten Potenzial für weitere Forschung. Die Literaturanalyse zeigt, dass sich ein vergleichsweise geringer Anteil der Artikel im Bereich PM mit datenethischen Grundsätzen befasst. Dies weist auf einen Bedarf an weiterer Forschung und gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Philosophie und (Wirtschafts‑) Informatik hin. Die Festlegung von Data-Governance-Richtlinien, die Anonymisierung und Pseudonymisierung von Daten sowie die Transparenz der Datenerhebungs- und -verwendungspraktiken sind mögliche Maßnahmen, um ethisches Verhalten im Rahmen des PM sicherzustellen.

6.2 Limitationen

Beim Verfassen dieses Artikels mussten leider einige Einschränkungen berücksichtigt werden. Die Literaturanalyse wurde mit einer begrenzten Auswahl von Zeitschriften durchgeführt, die sich vorrangig auf theoretische wissenschaftliche Publikationen konzentrieren und versuchen, diese für die Praxis nutzbar zu machen. Einerseits besteht die Möglichkeit, dass bei den nicht berücksichtigten Konferenzen weitere relevante Beiträge existieren, andererseits besteht auch die Chance, dass in der Praxis übliche Konzepte nicht berücksichtigt wurden.

6.3 Implikationen für Forschung und Praxis

Die Ergebnisse dieser Literaturanalyse liefern Impulse für die praktische Umsetzung von PM und Datenmanagement in Unternehmen und Organisationen. Hierdurch zeigt sich eine gewisse Notwendigkeit für weitere empirische Forschung, um ein tieferes Verständnis für die ethischen Aspekte des PM zu entwickeln. Die Erstellung praktischer Handlungsrichtlinien und Leitfäden ist von entscheidender Bedeutung, um ethisches Verhalten im PM zu fördern. In der Praxis ergeben sich verschiedene Handlungsempfehlungen: In erster Linie ist die Entwicklung und konsequente Umsetzung klar definierter Leitlinien von Bedeutung. Diese sollten sicherstellen, dass PM und Datenmanagement ethisch verantwortungsbewusst eingesetzt werden, indem sie klare Grundsätze und Praktiken im Umgang mit Daten festlegen. Zusätzlich ist eine aktive Identifikation ethischer Problemstellungen und die Entwicklung von Vorschlägen zu deren Lösung wichtig. Dabei können die in dieser Analyse präsentierten Themengebiete als Orientierung dienen.