Problemstellung

Die Sportpartizipation der Bevölkerung in Deutschland ist in den vergangenen 30 Jahren gestiegen (Klostermann und Nagel 2014). Derzeit treibt fast die Hälfte der Bevölkerung laut eigener Angabe mindestens einmal in der Woche Sport und weitere 25 % gelegentlich (Haut 2020). Insbesondere für viele Kinder und Jugendliche war das Sportengagement noch nie wichtiger als heute, Sporttreiben ist „geradezu eine altersspezifische Norm“ (Burrmann und Mutz 2017, S. 386).

Trotz des Anstiegs der Sportaktivität von Jugendlichen ist der Organisationsgrad im Sportverein relativ konstant geblieben, das heißt der Anstieg seit den 1990er-Jahren ist hauptsächlich auf einen Anstieg des nicht organisierten Sports zurückzuführen (Burrmann und Mutz 2017; Borgers et al. 2015; Haut 2020). Burrmann und Mutz (2017) beobachten die Tendenz, dass Jugendliche vermehrt Sportarten ausüben, die individuell betrieben werden können (Abb. 1). Zudem stellt Brettschneider fest, dass die Sportkultur junger Menschen zunehmend am Fitnesssport und der Körperästhetik orientiert ist (Brettschneider 2020). Doch wen genau betrifft dieser Trend? Inwiefern stehen sozialstrukturelle Merkmale in einem Zusammenhang mit der Wahl einer Individualsportart als präferierte Sportart?

Abb. 1
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In der Wissenschaft wird die Tendenz beobachtet, dass Jugendliche vermehrt Sportarten ausüben, die individuell betrieben werden können. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Die Frage, ob Sport getrieben wird und welcher Sportart nachgegangen wird, ist (immer noch) stark durch sozialstrukturelle Merkmale beziehungsweise durch die soziale Herkunft geprägt (Haut 2020). So konnten Rohrer und Haller (2015) feststellen, dass vertikale Ungleichheitsdimensionen (insbesondere das Einkommen und der Bildungshintergrund) im internationalen Vergleich weiterhin einen starken und vor allem konstanten Einfluss auf das Sportengagement in Deutschland haben, während horizontale Dimensionen, wie Alter und Geschlecht, an Einfluss verloren haben. Hinzukommend prägt die soziale Herkunft auch die Motive, Sport zu treiben, sowie die Wahl der Sportart (Rohrer und Haller 2015). Bislang ist jedoch unklar, inwiefern die Tendenz zu Individualsportarten auch bei Jugendlichen durch sozialstrukturelle Merkmale geprägt ist und ob in dem Zusammenhang Unterschiede bezüglich des Settings, in welchem die Sportart ausgeübt wird, bestehen.

Der vorliegende Beitrag geht daher den Fragen nach: Inwiefern lässt sich unter Jugendlichen ein Trend zu einer Individualsportart erkennen und inwiefern werden die Wahl des Individualsports und des Settings, in dem er betrieben wird, durch sozialstrukturelle Merkmale geprägt?

Das Ziel hierbei ist es, Entwicklungstendenzen in den von Jugendlichen gewählten Sportaktivitäten im Hinblick auf eine Individualisierung mit vergleichbaren Längsschnittdaten zu identifizieren und hinsichtlich ihrer sozialen Determinanten zu erklären.

Um die Frage zu beantworten, wird zunächst anhand der Kapitaltheorie von Bourdieu (1983) beschrieben, wie sozialstrukturelle Merkmale auf die Sportpartizipation von Jugendlichen wirken. Anschließend wird mit Daten aus dem Jugendfragebogen des Sozioökonomischen Panels (SOEP) aus dem Zeitraum 2000 bis 2018 gezeigt, wie sich die Partizipation bei Individualsportarten, also solchen, zu denen nicht zwingend eine weitere Person zur Ausübung vorausgesetzt wird, und das Setting, in dem diese aufgeführt werden (innerhalb eines Sportvereins, bei einem kommerziellen Anbieter oder selbst organisiert), im Zeitverlauf entwickelt haben. Zudem wird überprüft, von welchen sozialstrukturellen Merkmalen dies beeinflusst wird.

Entwicklung der Sportaktivität und des Sportverständnisses

Im Hinblick auf die Frage nach dem Trend zu einer Präferenz von Individualsportarten lässt sich, wie einleitend angedeutet, feststellen, dass sich das Sportverständnis beziehungsweise die Formen und Settings, in denen Sport getrieben wird, gewandelt haben. So geht die steigende Sportpartizipation in Deutschland mit einer seit den 1990er-Jahren beobachtbaren Stagnation des vereinsgebundenen Sportengagements von Jugendlichen einher (Burrmann et al. 2016; Gille 2015). Bei bestimmten Gruppen, wie beispielswiese Mädchen mit Migrationshintergrund, ist der vereinsgebundene Sport sogar rückläufig (Gehrmann et al. 2022). Ähnliche Tendenzen sind nicht nur national, sondern auch international, zum Beispiel in Belgien (Borgers et al. 2015, S. 56), erkennbar.

Auch Brettschneider (2020) zeigt in einem Rückblick über die vergangenen drei Jahrzehnte einen Wandel der Sportjugendkultur weg vom klassischen vereinsgebundenen Sport hin zu vielfältigen Bewegungsformen, wobei der Vereinssport seiner Ansicht nach nicht abgelöst wird, sondern vielmehr durch informelles Sporttreiben ergänzt wird, oder – wie es Klostermann und Nagel (2014) formulieren: „The classic sport model was joined by further models, with the informal practice of sport growing particularly strongly“ (Klostermann und Nagel 2014, S. 627). Auch Burrmann et al. (2016) vermuten, dass die hohe Beteiligung am informellen Sport, bei welchem häufig Individualsportarten ausgeführt werden, mit einem Mehrfachengagement einhergeht, dass also viele Jugendliche sowohl in einem Verein aktiv sind als auch nebenher informell Sport treiben. Insofern kann vermutet werden, dass sich insbesondere im Jugendalter das Verständnis von Sport durch „vielfältige Sinnperspektiven […], Bewegungsformen und -trends sowie neue Sportkontexte jenseits des Vereinssports“ (Burrmann und Mutz 2017, S. 395) erweitert hat.

Damit lässt sich ein gewandeltes Sportverständnis beobachten, das nicht nur traditionelle Sportarten wie die großen Sportspiele umfasst, die als Wettkampfsport betrieben werden. Vielmehr wird ein breites Sportverständnis zugrunde gelegt, das unter anderem auch fitness- und gesundheitsorientierte Bewegungsarten als Sport anerkennt (Haut 2020). Die betriebene Sportart wird jedoch häufiger gewechselt als dies früher der Fall war, neue Sportarten und Formen der Bewegung werden ausprobiert (Burrmann et al. 2016, S. 114) und immer häufiger „mit Freunden oder allein“ (Burrmann et al. 2016, S. 130) betrieben. Damit geht ein geringeres Interesse am wettkampforientierten Sport einher.

Klostermann und Nagel (2014) konnten innerhalb eines 30-jährigen Beobachtungszeitraums feststellen, dass die Popularität des Wettkampfsports in der Bevölkerung in Deutschland generell abgenommen hat, während vielfältige andere, individualisierte Organisationsformen zugenommen haben. Ähnliches beobachtet Bindel (2017), der feststellt, dass auch bei Jugendlichen „die Zahl derer [steigt], die einen funktionalen Sport betreiben“ (Bindel 2017, S. 422) und so die eigene Fitness zu steigern suchen.

Den vorgestellten Studien ist gemein, dass sie entweder querschnittlich oder retrospektiv angelegt sind. Eine Trendanalyse, die über einen langen Zeitraum mit einer immer identischen Operationalisierung Jugendliche und deren Sportartpräferenz analysiert, fehlt bislang und soll mit der vorliegenden Arbeit eingeholt werden.

Der Einfluss sozialer Determinanten auf das Sportengagement Jugendlicher

Haut und Emrich (2011) stellen bezüglich gruppenspezifischer Unterschiede in der Sportpartizipation eine Diversifizierung des Sportverständnisses fest:

„Die Unterschiede in der Sportaktivität zwischen Schichten, Geschlechtern und Altersgruppen sind [jedoch] nicht irrelevant geworden, sie werden lediglich durch ein gewandeltes Sportverständnis verdeckt, und/oder sie haben sich in neue Sportbereiche verlagert“ (Haut und Emrich 2011, S. 315).

Ihrer Ansicht nach weist der traditionelle Wettkampfsport damit weiterhin eine starke Prägung durch alters- und geschlechtsbedingte Differenzen auf. Zudem „erscheint ein traditionelles Verständnis, das Sport primär mit Leistung und Wettkampf assoziiert, gerade in niedrigen sozialen Positionen ausgeprägt, in denen die Aktivität insgesamt geringer ist“ (Haut und Emrich 2011, S. 317). Es ist anzunehmen, dass sich dieses unterschiedliche Verständnis von Sport auch darin äußert, dass unterschiedliche Sportarten präferiert werden.

In den letzten Jahren wurde in der sportwissenschaftlichen Forschung verstärkt auf die Theorien Bourdieus zurückgegriffen, um Unterschiede in der Sportpartizipation und der Ausübung bestimmter Sportarten zu erklären (siehe beispielsweise Haut 2020). Bourdieu unterscheidet drei Formen von Kapital: das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital. Während ökonomisches Kapital (also zum Beispiel auch Aktien, Gemälde oder Immobilien) direkt in Geld umwandelbar ist, trifft dies für kulturelles und soziales Kapital nur bedingt zu. Kulturelles Kapital kann beispielsweise dadurch akquiriert werden, dass das Spielen eines Musikinstruments erlernt oder Wissen durch das Lesen von Büchern, regelmäßige Theater- oder Museumsbesuche angeeignet wird. Bourdieu spricht in solchen Fällen von inkorporiertem kulturellem Kapital. Als institutionalisiertes kulturelles Kapital bezeichnet Bourdieu beispielsweise Schulabschlüsse, die dann in einer beruflichen Anstellung gegen Geld getauscht werden können (Bourdieu 1983). Unter sozialem Kapital werden die Ressourcen, die aus Beziehungen und sozialen Netzwerken resultieren können, gefasst. Diese Ressourcen können dadurch erworben werden, dass eine Person zu einer bestimmten Personengruppe zählt oder mit wichtigen Personen vernetzt ist (Bourdieu 1983, S. 191). Die Kapitalformen sind als Einflussfaktoren zu verstehen, die die Präferenz einer Sportart und der Organisationsform, innerhalb derer Sport getrieben wird, prägen. Dies geschieht über den Habitus, der die Gesamtheit aller „Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1987, S. 112) einer Person, die sich beispielsweise in einem spezifischen Geschmack oder Kleidungsstil äußern können, bezeichnet. Den Habitus verleiben sich Personen bereits ab dem Kindes- und Jugendalter ein, wobei sie sich stark an den Werten, Normen und Einstellungen der Eltern orientieren, welche in Abhängigkeit von deren sozialen Status variieren. Die Kapitalarten und der Habitus von Kindern und Jugendlichen beeinflussen sich der Theorie zufolge gegenseitig und sind jeweils von sozialstrukturellen Merkmalen der Eltern geprägt. Im Habitus verankerte Werte, Normen und Einstellungen betreffen auch die sportliche Aktivität und dabei nicht nur in Bezug auf die Frage, ob überhaupt Sport ausgeübt wird, sondern auch, welche Sportart ausgeübt wird. Einstellungen zur Ausübung von Sport können entsprechend dahingehend variieren, dass eine Sportart präferiert wird, in der viel mit anderen Sportler*innen interagiert wird, oder eher eine, bei der die individuelle ästhetische Bewegung im Vordergrund steht (Bourdieu 1978). Ebenso kann das Setting, in dem Sport am liebsten ausgeführt wird, variieren. Für die vorliegende Studie sind Bourdieus Annahmen insofern relevant, als dass die Kapitalarten der befragten Jugendlichen selbst als auch von deren Eltern als Einflussfaktoren zu verstehen sind, die die Wahl einer Sportart und des Settings, innerhalb dessen Sport getrieben wird, prägen. Im Folgenden wird entlang bislang vorliegender Forschungsergebnisse gezeigt, welchen Einfluss die Kapitalformen auf das Sportverhalten haben können.

Der Einfluss ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals auf das Sportengagement

Insgesamt verbleibt der spezifische Einfluss der einzelnen sozialstrukturellen Faktoren bislang noch eher im Unklaren (Burrmann et al. 2016, S. 118). Vertikalen Faktoren wird insgesamt eine hohe Bedeutung beigemessen. Laut Haut (2020) „weisen Längsschnittanalysen darauf hin, dass vertikale Faktoren (Bildung, Einkommen etc.) nicht etwa zeitweilig irrelevant waren und nun wieder erstarkten, sondern vielmehr kontinuierlich die Sportaktivität prägten“ (S. 7) Dies gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche. Auch Rohrer und Haller (2015) konstatieren, dass vertikale Dimensionen und hierbei insbesondere der Bildungshintergrund sowie der Beruf in den vergangenen Jahrzehnten nicht weniger einflussreich, sondern vielmehr weiterhin konstant hoch in ihrem Einfluss auf das Sportengagement von erwachsenen Personen waren und immer noch sind. Diese Effekte verringern sich auch im Zeitverlauf nicht (Abu-Omar et al. 2021) und sind bei Jugendlichen ebenfalls erkennbar (Mutz 2009; Nobis und Albert 2018). Dies betrifft Indikatoren des ökonomischen Kapitals wie auch die des institutionalisierten kulturellen Kapitals. Diese Einflüsse auf die Sportpartizipation von Jugendlichen lassen sich auch in internationalen Studien nachweisen (Stalsberg und Pedersen 2010; Vandermeerschen et al. 2016). Insbesondere die Zugehörigkeit zu einem Sportverein ist bei Jugendlichen stark von sozialstrukturellen Merkmalen geprägt (Burrmann et al. 2016). Ähnliche Ergebnisse lassen sich aber auch für das generelle Sportverhalten erkennen, das mit höherem elterlichen Sportengagement sowie dem Sozialstatus der Eltern steigt (Klein et al. 2011). Die genannten Studien weisen zwar einen Einfluss der Kapitalarten nach, jedoch lediglich bezogen auf die Tatsache, ob überhaupt Sport getrieben wird. Nur sehr wenige Studien haben sich bislang mit den Einflussfaktoren auf die Sportartpräferenz befasst.

In Bezug auf die spezifische Sportartpräferenz wird mit den Einstellungen von Personen seit einigen Jahren einem weiteren Faktor Beachtung geschenkt. Demnach kommt Aspekten wie Werten, Einstellungen und Mentalitäten, aber auch vom sozialen Status beeinflussten Sportartenpräferenzen sowie der Haltung gegenüber dem eigenen Körper – zusammengefasst also dem Habitus –, eine hohe Bedeutung zu (Haut 2020). Auch Rohrer und Haller (2015) beobachten bei erwachsenen Personen einerseits schichtspezifische Sportartpräferenzen und andererseits unterschiedliche Werte und Motive, die im Sportengagement zum Tragen kommen. Demnach bevorzugen Personen mit einem hohen Status Sportarten mit einem Individualbezug und geringem Körperkontakt, wie Tennis, Segeln oder Reiten (Abb. 2), die beispielsweise mit Eleganz und Ästhetik verbunden werden, während solche mit einem niedrigen Status eher Mannschaftssportarten und Sportarten mit intensiven Zweitkämpfen und Körperkontakt, wie Ringen oder Boxen, präferieren. Allerdings betreiben Frauen seltener Teamsport und Sport mit viel Körperkontakt als Männer. Mutz und Müller (2021) stellen fest, dass sowohl ein (gemessen an der Häufigkeit des Lesens) hohes inkorporiertes als auch ein (gemessen an den erlangten Bildungsabschlüssen) hohes institutionalisiertes kulturelles Kapitel die Wahrscheinlichkeit für die Ausübung diverser einzelner Sportarten wie Fitness, Schwimmen oder Gesundheitssport bei Personen ab 14 Jahren erhöht. Allerdings wurden dort die Ausübenden einer jeden Sportart immer mit sportlich inaktiven Personen ins Verhältnis gesetzt, nicht mit Ausübenden einer anderen Sportart. Deshalb ist unklar, wie sich der Einfluss des kulturellen Kapitals bei der Wahl einer Sportart im Gegensatz zu einer anderen verhält.

Abb. 2
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Studien haben ermittelt, dass Personen mit einem hohen Status Sportarten mit einem Individualbezug und geringem Körperkontakt, wie Tennis, Segeln oder Reiten (Foto) bevorzugen. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Das Setting, in dem Sport getrieben wird, scheint ebenfalls von der sozialen Herkunft beeinflusst zu werden. Mit Daten der MoMo-Studie konnte herausgefunden werden, dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem hohen sozialen Status häufiger Sport treiben. Das liegt allerdings vor allem an der Sportausübung im Verein, außerhalb des Vereins ist die Häufigkeit unabhängig vom Status (Schmidt et al. 2020). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Nobis und El-Kayed (2019) mit Daten des SOEP. Zudem fanden sie heraus, dass Jugendliche mit einem hohen ökonomischen und institutionellen kulturellen Kapital etwas häufiger in kommerziellen Einrichtungen Sport treiben. Ob jedoch wirklich das Setting oder die präferierte Sportart für diese Ergebnisse verantwortlich sind, konnte nicht abschließend geklärt werden.

In Anlehnung an Bourdieu spielt laut Haut (2011) auch der „Kulturgeschmack“, so zum Beispiel das habituell geprägte Interesse für bestimmte kulturelle Bereiche, eine Rolle für das ausgewählte Sportverhalten. Personen mit geringem oder durchschnittlich hohem kulturellen Kapital betreiben eher wettkampforientierten Sport im Verein, während Personen mit viel hochkulturellem Kapital tendenziell ein Sporttreiben präferieren, welches das Ziel der Gesundheitsförderung oder der Körperformung verfolgt und bei dem eine physische Distanz zu anderen Personen besteht. Bezugnehmend auf das Setting, in dem Sport getrieben wird, wären in Anlehnung an Bourdieu ebenfalls die Einstellungen von Bedeutung. So wird Sport im Verein praktiziert, wenn dieser den eigenen Neigungen entspricht. „Ist dies nicht der Fall – geht man in informellen Kontexten auf Distanz“ (Haut 2011, S. 149). Ob dieser Befund von erwachsenen Befragten auch bei Jugendlichen erkennbar ist und ob diesbezüglich neben dem Kapital der Jugendlichen auch das der Eltern einen Einfluss ausübt, stellt bislang eine Forschungslücke dar und soll in der vorliegenden Studie analysiert werden.

Zum Einfluss horizontaler Faktoren auf das Sportengagement

Von besonderer Relevanz für das Sportengagement von Erwachsenen (Haut und Emrich 2011) und Jugendlichen (Burrmann et al. 2016) sind laut des aktuellen Forschungsstands das Geschlecht, die Wohnregion sowie das Vorliegen eines Migrationshintergrundes, auch wenn der Einfluss dieser drei Faktoren auf die Tatsache, dass überhaupt Sport getrieben wird, in den vergangenen Jahren – zumindest bei Erwachsenen – deutlich schwächer geworden ist (Rohrer und Haller 2015). Vielmehr weisen diese Faktoren einen deutlichen Einfluss auf die jeweils betriebene Sportart und das Setting, in dem Sport getrieben wird, auf. Haut (2020) führt die zunehmende Sportbeteiligung von Frauen und Mädchen primär auf das veränderte Sportverständnis zurück, welches vermehrt im Ausdauer- und Fitnessbereich ohne Wettkampfgedanken zu verorten ist.

Auch für die Frage, ob Sport in einem Vereinskontext oder außerhalb betrieben wird, bilden Geschlecht, Alter und das Vorliegen eines Migrationshintergrundes wichtige Einflussgrößen. So sind männliche, jüngere Personen ohne Migrationshintergrund mit der höchsten Wahrscheinlichkeit in einem Sportverein aktiv, Mädchen mit einem Migrationshintergrund dagegen deutlich seltener (Vandermeerschen et al. 2016, S. 468). Mädchen mit Migrationshintergrund üben Sport vermehrt in einer kommerziellen Einrichtung wie dem Fitnessstudio aus (Gehrmann et al. 2022).

Insgesamt lässt sich feststellen, dass insbesondere dem ökonomischen und kulturellen Kapital eine hohe Bedeutung in Bezug auf das Sportengagement zukommen, während horizontale Faktoren zwar einflussreich sind, jedoch in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren haben mögen. Weitgehend unbekannt ist weiterhin, in welcher Weise die Kapitalarten von Jugendlichen und deren Eltern hinsichtlich des Trends, eine Individualsportart zu präferieren, relevant werden. Zudem ist bislang unbekannt, „wie vertikale Merkmale auf den Zugang zu welchen Settings wirken“ (Nobis und Albert 2018, S. 79). Anhand des Forschungsstands und der entsprechenden Forschungslücken ergeben sich drei Desiderate, die in der vorliegenden Studie aufgegriffen werden: Zunächst wird (1) mit vergleichbaren Daten eine Entwicklung der Individualsportartpräferenz über einen Zeitraum von insgesamt 18 Jahren nachvollzogen. Anschließend wird (2) analysiert, welche horizontalen und vertikalen Merkmale, insbesondere bezüglich der erläuterten Kapitalarten, einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit ausüben, dass eine jugendliche Person eine Individualsportart präferiert. Schließlich wird (3) überprüft, inwiefern diese Merkmale auch das Setting, in dem die Individualsportart ausgeübt wird, beeinflussen.

Methodik

Für die Beantwortung der Forschungsfrage ist es notwendig, Daten zu verwenden, die eine Unterscheidung sowohl nach der ausgeführten Sportart als auch nach dem Setting zulassen. Die Daten des SOEP bieten diese Möglichkeit.

Das SOEP ist eine seit 1984 jährlich durchgeführte bundesweite repräsentative Panelbefragung von Privathaushalten (Britzke und Schupp 2019). Neben den erwachsenen Mitgliedern eines Haushalts füllen seit 2000 auch 16- bis 17-jährige Jugendliche einen speziellen Jugendfragebogen aus. Diese Jugendlichen werden in der vorliegenden Studie betrachtet. Die Struktur des SOEP erlaubt die Zuordnung der Angaben von Eltern zu denen der Kinder. Auf diese Weise lassen sich sozioökonomische Informationen und Angaben zu den Kapitalarten der Eltern gut integrieren. Zudem erlauben die Daten eine Beobachtung der Sportartpräferenzen von Jugendlichen seit dem Jahr 2000, so ist ein Trend nachvollziehbar. Für die vorliegende Studie werden Daten aus den Wellen von 2000 bis 2018 verwendet. Insgesamt stehen für die deskriptiven Trendanalysen Daten von 4365 Jugendlichen zur Verfügung. Aufgrund fehlender Werte bei verschiedenen Einflussfaktoren und eines folgenden fallweisen Ausschlusses kann für Modell 1 der Regressionsanalyse eine Fallzahl von 3094 Jugendlichen generiert werden. Bei den fehlenden Daten zeigt sich keine Systematik, so dass nicht von einer Stichprobenselektivität ausgegangen wird. Für die Analyse der jeweiligen Settings in den Modellen 2 bis 4 beträgt die Fallzahl 1497, da hier ausschließlich Personen mit einer Individualsportpräferenz betrachtet werden.

Um unsere Forschungsfrage bezüglich des Trends zur Ausübung einer Individualsportart und dessen Determinanten zu beantworten, werden zum einen die Sportartpräferenzen und zum anderen das Sportsetting in den Blick genommen. Die Sportartpräferenz wird durch folgende offene Frage erhoben: „Welches ist für Sie die wichtigste Sportart, die Sie ausüben?“ Anhand der Angaben wird eine dichotome Variable gebildet, die angibt, ob eine Individualsportart die wichtigste Sportart ist oder eine andere Sportart. In der vorliegenden Studie ist eine Individualsportart als solche definiert, zu deren Ausübung keine Interaktion mit anderen Individuen zwingend nötig ist. Dies betrifft hauptsächlich Sportarten, die auch alleine ausgeübt werden können, wie Fitness, Laufen, Schwimmen und Radfahren. Nach dieser Definition zählen beispielsweise Tennis und Boxen nicht als Individualsport, da zur Ausübung ein*e Gegner*in zwingend erforderlich ist. In einem weiteren Schritt wird überprüft, in welchem Setting die wichtigste Sportart überwiegend ausgeübt wird. Die Befragten konnten angeben, wo sie die genannte Sportart am häufigsten ausüben. Für die Analysen wird unterschieden nach „Privat“, „Kommerzieller Anbieter“, „Verein“ und „Sonstige“.

Als Prädiktoren für eine unterschiedliche Sportartpräferenz werden weitere Variablen operationalisiert. In Anlehnung an Bourdieu wird das institutionelle kulturelle Kapital, also der Schulbesuch über die besuchte Schulform beziehungsweise den bereits erreichten Abschluss, abgefragt. Das kulturelle sowie das soziale Kapital von Jugendlichen und ihren Eltern werden über die Häufigkeit des Ausübens verschiedener Freizeitaktivitäten erhoben. Mittels Skalen geben Jugendliche und Eltern an, wie häufig sie bestimmte Freizeitaktivitäten ausüben (täglich, wöchentlich, monatlich, seltener oder nie). Um das inkorporierte kulturelle und soziale Kapital abzubilden, werden die Angaben zu den entsprechenden Aktivitäten als metrisch angenommen und über die Bildung eines Mittelwerts zusammengefasst. Beim kulturellen Kapital handelt es sich um drei Aktivitäten (Lesen, Musik machen, Tanz & Theater), ebenso wie beim sozialen Kapital (Freunde treffen, Ausüben eines Ehrenamts, Zusammensein mit der Clique). Elterliches kulturelles Kapital setzt sich aus den Angaben zu zwei Aktivitäten zusammen (Besuch von Oper, Theater etc., künstlerische Aktivitäten). Elterliches soziales Kapital besteht aus fünf Aktivitäten (Freunde besuchen, Verwandte besuchen, Freunden helfen, Ausüben eines Ehrenamts, Beteiligung bei Parteien, Verbänden etc.). Bei allen Kapitalarten der Eltern gilt, dass Informationen – sofern vorhanden – von beiden Elternteilen einbezogen werden. Die Kapitalarten der Jugendlichen werden mit einer fünfstufigen Skala (nie, selten, monatlich, wöchentlich, täglich) erhoben, bei den Eltern handelt es sich um eine vierstufige ohne die Ausprägung täglich. Das ökonomische Kapital wird über das monatliche Nettoäquivalenzeinkommen des Haushalts gemessen, das heißt über die gesamten Nettoeinkünfte eines Haushalts im Verhältnis zu den Mitgliedern, wobei der Haushaltsvorstand mit 1, jede Person unter 14 mit 0,3 und alle anderen mit 0,5 einbezogen werden. Darüber hinaus wird als weitere Variable der Schulabschluss der Eltern in die Analysen einbezogen, wobei der jeweils höchste Bildungsabschluss zählt. So wird deren institutionalisiertes kulturelles Kapital abgebildet. In die Regressionsanalyse fließen sowohl der Schulbesuch als auch der Schulabschluss der Eltern als kategoriale Variable ein. Beim Schulbesuch fungiert die Ausprägung Hauptschule als Referenzkategorie, beim Schulabschluss der Eltern die Ausprägung höchstens Hauptschule. Die Ausprägungen sind als Referenzkategorien geeignet, da sie am Rand der Ordinalskala stehen und eine ausreichend große Fallzahl aufweisen. Als weitere Differenzierungsvariablen dienen das Erhebungsjahr, das Geschlecht und der Migrationshintergrund. Bei letztgenanntem wird zwischen vorhanden und nicht vorhanden unterschieden, wobei vorhanden meint, dass mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde oder eine nicht deutsche Staatsangehörigkeit hat. Das Erhebungsjahr wird für die deskriptive Analyse des Settings in vier Zeiträume (2000–2005, 2006–2010, 2011–2014 und 2015–2018) unterteilt, ansonsten handelt es sich um eine metrische Variable mit den Werten 2000 bis 2018.

Im Folgenden wird zunächst der Anteil derjenigen, die eine Individualsportart als am häufigsten betriebene Sportart genannt haben, dargestellt sowie das Setting, in dem das Sportengagement stattfindet, im Zeitverlauf betrachtet. Im Anschluss werden binär-logistische Regressionen mit Hilfe der vorgestellten Prädiktoren durchgeführt. Modell 1 betrachtet die Wahrscheinlichkeit, eine Individualsportart als wichtigste anzusehen. Die Modelle 2 bis 4 betrachten lediglich die Jugendlichen, die eine Individualsportart ausführen, und fragen nach dem Setting. Die Settings „privat“, „kommerziell“ und „im Sportverein“ werden dafür dichotomisiert und mit den jeweils anderen verglichen.

Ergebnisse

Abb. 3 zeigt die Entwicklung der Sportartpräferenz im Zeitraum von 2000 bis 2018 in Bezug auf den Anteil derjenigen Jugendlichen, deren Lieblingssportart eine Individualsportart ist. Insgesamt zeigt sich im Trend eine prozentuale Zunahme von Jugendlichen, deren wichtigste Sportart eine Individualsportart ist. Die am häufigsten genannte präferierte Individualsportart ist Fitnesssport (20,8 % aller Individualsportarten), gefolgt von Laufen (11,5 %), Reiten (10,8 %), Fahrradfahren (9,8 %) und Schwimmen (9,1 %). Besonders der Fitnesssport nimmt im Zeitverlauf besonders stark als präferierte Individualsportart zu, im Zeitraum bis 2005 geben das insgesamt 12,5 % an, im Zeitraum 2015 bis 2018 sind es 29,2 %.

Abb. 3
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Anteil an Jugendlichen, deren wichtigste Sportart eine Individualsportart ist, im Zeitverlauf

Während der Anteil an Personen, deren wichtigste Sportart eine Individualsportart ist, bis 2005 maximal 50 % beträgt, steigt er zunächst bis 2008 auf etwa 60 % an und schwankt bis 2015 zwischen 55 und 70 %. Seitdem pendelt sich der Anteil mit leichten Schwankungen bei 55 bis 60 % ein. Das bedeutet, dass etwa sechs von zehn Jugendlichen eine Individualsportart als für sie wichtigste Sportart bezeichnen.

Das Setting, in welchem die Jugendlichen die Individualsportart ausführen, wird im Folgenden anhand von vier Befragungszeiträumen in Abb. 4 dargestellt. Es ist erkennbar, dass der Anteil an Jugendlichen, die eine Individualsportart als wichtigste Sportart benennen und diese hauptsächlich privat ausüben, seit 2000 annähernd konstant bei knapp über 40 % liegt. Dagegen steigt der Anteil an Jugendlichen, die ihre präferierte Sportart überwiegend bei kommerziellen Anbietern wie Fitnessstudios ausüben. Sind es im Zeitraum von 2000 bis 2005 9,3 %, so steigt dieser Anteil auf 20,9 % im Zeitraum von 2011 bis 2014, ehe der Anteil wieder leicht auf 19,9 % zurückgeht. Das geht mit einem abnehmenden Anteil an Jugendlichen, die ihren Individualsport überwiegend im Verein oder in einem sonstigen Setting ausüben, einher.

Abb. 4
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Anteile der Settings, in denen der Individualsport, sofern es die wichtigste Sportart von Jugendlichen ist, ausgeübt wird im Zeitverlauf

Es zeigt sich, dass Jugendliche den Individualsport, sofern es sich um die für sie wichtigste Sportart handelt, überwiegend im privaten Umfeld ausführen. Es ist auch erkennbar, dass der Verein immer die zweithäufigste Anlaufstelle ist, um den Lieblingssport auszuüben. Dennoch zeigt sich, dass immer mehr Jugendliche einen kommerziellen Anbieter aufsuchen und der Anteil des Sportvereins als überwiegend aufgesuchtes Setting tendenziell leicht rückläufig ist.

In Tab. 1 sind die Ergebnisse der logistischen Regressionsmodelle aufgeführt. Dort wird der Einfluss eines jeden Einflussfaktors unabhängig von dem der anderen Faktoren angezeigt. Modell 1 zeigt, wodurch die Wahrscheinlichkeit beeinflusst wird, ob die als wichtigste genannte Sportart eine Individualsportart ist. Das Erhebungsjahr weist einen hochsignifikanten positiven Einfluss auf. Das bestätigt den Trend aus Abb. 3, der ebenfalls zeigt, dass der Anteil an Individualsportarten an den wichtigsten Sportarten von 2000 bis 2018 ansteigt.

Tab. 1 Logistische Regressionen: Odds Ratio für die Wahrscheinlichkeiten, ob die wichtigste Sportart eine Individualsportart ist und wenn ja, dass sie in bestimmten Settings ausgeübt wird; * p < 0,05: ** p < 0,01; *** p < 0,001

Ebenfalls hochsignifikant ist der Einflussfaktor der Variablen Geschlecht sowie das Vorliegen eines Migrationshintergrundes. Während weibliche Jugendliche im Vergleich zu männlichen eine mehr als dreimal so häufige Wahrscheinlichkeit aufweisen, dass ihre wichtigste Sportart eine Individualsportart ist, betreiben Jugendliche mit Migrationshintergrund seltener eine Individualsportart als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.

Der Besuch einer Schule mit einem hohen Bildungsabschluss geht mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer Individualsportpräferenz einher. Jugendliche, die das Gymnasium besuchen, weisen nur eine 0,44-mal so hohe Wahrscheinlichkeit auf, einen Individualsport als wichtigste Sportart auszuüben als Jugendliche, die eine Hauptschule besuchen.

Das Vorhandensein sozialen Kapitals geht ebenfalls mit einer niedrigen Wahrscheinlichkeit einher, eine Individualsportart als wichtigste Sportart anzusehen. Hingegen haben Jugendliche, die ein hohes kulturelles Kapital aufweisen, eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine Individualsportart zu präferieren. Das kulturelle Kapital übt also einen gegenteiligen Effekt aus, je nachdem ob es in institutionalisierter oder in inkorporierter Form vorliegt.

Auch ein hohes kulturelles Kapital der Eltern geht mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit einher, dass ein*e Jugendliche*r eine Individualsportart als wichtigste Sportart ansieht. Ein hohes soziales Kapital der Eltern hingegen senkt die Wahrscheinlichkeit.

Die Modelle 2 bis 4 zeigen, wie stark sich soziokulturelle und weitere Faktoren auf die Wahrscheinlichkeit auswirken, dass die Individualsportart in einem bestimmten Setting ausgeführt wird. Es ist zu erkennen, dass insgesamt wenige signifikante Einflüsse auf die Wahrscheinlichkeit, dass die Individualsportart einem bestimmten Setting ausgeführt wird, bestehen.

Modell 2 überprüft das private Setting. Je mehr kulturelles Kapital eine jugendliche Person aufweist und je mehr Äquivalenzeinkommen im Haushalt zur Verfügung steht, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Individualsportart privat ausgeführt wird. Zudem üben Mädchen ihren präferierten Individualsport seltener privat aus.

In Modell 3, in dem das Engagement im kommerziellen Sektor vorhergesagt wird, zeigen sich sowohl das Erhebungsjahr als auch das Geschlecht und ein Migrationshintergrund als wichtige Einflussfaktoren für die Wahl des Settings eines kommerziellen Anbieters. Es zeigt sich, dass im Zeitverlauf der Anteil derer steigt, die bei kommerziellen Anbietern Sport treiben. Mädchen zeigen nur eine ungefähr halb so hohe Wahrscheinlichkeit, ihren Individualsport hauptsächlich bei kommerziellen Anbietern auszuüben als Jungen. Haben Jugendliche einen Migrationshintergrund, weisen sie eine fast doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit auf, den Individualsport im kommerziellen Setting auszuüben, als wenn sie keinen Migrationshintergrund haben.

Modell 4 überprüft die Einflussfaktoren hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Wahrscheinlichkeit, dass der Individualsport hauptsächlich im Verein ausgeübt wird. Hier zeigen sich erneut das Geschlecht sowie der Migrationshintergrund als signifikant einflussreich. Während Mädchen 1,70-mal so häufig im Verein Sport treiben wie Jungen, ist die Wahrscheinlichkeit bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund nur etwas mehr als halb so hoch als bei solchen ohne Migrationshintergrund. Einen positiven Einfluss haben zudem sowohl ein hohes soziales Kapital der Jugendlichen selbst als auch das der Eltern.

Diskussion

Insgesamt betrachtet lässt sich unter den Jugendlichen ein Trend zu einer Individualsportart als persönlich wichtigster Sportart erkennen. Der Anteil ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Das bestätigt bisherige Ergebnisse und deren Interpretationen, die von einer solchen Zunahme berichtet haben (Burrmann et al. 2016; Burrmann und Mutz 2017). Dies kann durchaus mit dem vielfach beobachteten gewandelten und diversifizierten Sportverständnis erklärt werden (Haut 2020).

Hinsichtlich des Settings, in dem Sport getrieben wird, zeigt sich, dass der Individualsport nicht nur im privaten Setting, sondern auch im Zeitverlauf vermehrt bei kommerziellen Anbietern betrieben wird, wenn auch nicht so häufig wie im Sportverein. Hauptsächlich – aber nicht ausschließlich – dafür verantwortlich scheint die Präferenz von Fitnesssport zu sein, bei dessen Favorisierung ein besonders starker Anstieg festzustellen ist, was die Aussagen von Brettschneider (2020) bestätigt. Allerdings ist fragwürdig, inwieweit die häufige Annahme der Niedrigschwelligkeit eines solchen Angebots zutrifft, schließlich ist auch die Registrierung in einem Fitnessstudio ebenso wie das Eingehen einer Mitgliedschaft im Verein ein formaler Akt und ein teilweise langfristiges und verhältnismäßig teures Engagement. Ein Einfluss des ökonomischen und kulturellen Kapitals auf das Setting kann anders als in bisherigen Studien (Nobis und El-Kayed 2019; Schmidt et al. 2020) nur in wenigen Fällen festgestellt werden, sofern man ausschließlich Individualsportarten betrachtet. Weiterführende Studien sollten sich der Differenzierung nach einzelnen Sportarten widmen, um Näheres dahingehend in Erfahrung zu bringen. Diese Zunahme scheint zu Lasten der Vereine und sonstiger Settings zu gehen. Für Individualsportarten lässt sich somit durchaus – und zwar anders als von Brettschneider (2020) hinsichtlich der gesamten Sportjugendkultur postuliert – eine Abkehr vom vereinsgebundenen Sport erkennen. Ein Anstieg des Ausübens von Individualsportarten bei gleichzeitiger Abkehr vom Verein kann die Existenz vieler Sportvereine gefährden.

Zieht man die theoretischen Annahmen Bourdieus zur Erklärung der Ergebnisse heran, könnten diese darauf zurückzuführen sein, dass sich der sportbezogene Habitus von Jugendlichen im Zeitverlauf dahingehend gewandelt hat, dass sich Werte, Normen und Einstellungen den Sport betreffend geändert haben. Waren früher möglicherweise Einstellungen leitend, die Sport hauptsächlich als spielerische, gemeinsam erlebte Freizeitbeschäftigung definiert haben, könnte sich das Verständnis dahingehend geändert haben, dass Sport vermehrt Gesundheit und Körperästhetik gewährleisten soll. Diese Änderungen im Habitus der Sporttreibenden könnten so zu einer vermehrten Präferenz für Individualsportarten geführt haben.

Die Wahrscheinlichkeit, in welchem Setting Jugendliche ihre präferierte Individualsportart betreiben, wird durch verschiedene Merkmale und Kapitalarten geprägt. Als besonders einflussreich zeigen sich die Variablen Geschlecht und Migrationshintergrund. Mädchen betreiben häufiger eine Individualsportart und gehen dieser häufiger im Verein und seltener in einem kommerziellen Setting nach. Der Migrationshintergrund senkt die Wahrscheinlichkeit, eine Individualsportart als wichtigste Sportart auszuüben. Wenn Jugendliche mit Migrationshintergrund aber einen Individualsport als wichtigste Sportart nennen, geschieht dies deutlich häufiger im kommerziellen Setting als innerhalb eines Vereins. Horizontale Faktoren prägen also sowohl die Wahl einer Individualsportart als auch das Setting, in dem diese hauptsächlich betrieben wird.

Die Kapitalarten sind ebenfalls einflussreich, wenn es darum geht, die Präferenz zu einer Individualsportart vorauszusagen. Ein hohes kulturelles Kapital führt zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit zu einer Individualsportart. Beim sozialen Kapital verhält es sich andersherum. Ist ein hohes soziales Kapital vorhanden, wird Sport möglicherweise als eine gesellige und kontaktreiche Freizeitbeschäftigung angesehen. Dies kann entsprechend die Wahrscheinlichkeit, dass eine Sportart mit Interaktion präferiert wird, erhöhen und die Wahrscheinlichkeit der Präferenz einer Individualsportartpräferenz senken. Da beide Befunde für das Kapital der Befragten als auch für deren Eltern zutreffen, bestätigen sich Bourdieus Annahmen, dass der Habitus einer Person sich nicht unabhängig von Verhaltensweisen der Eltern, die sich im kulturellen und sozialen Kapital widerspiegeln, bildet. Das ökonomische Kapital, welches sich in vielen Studien (Nobis und Albert 2018; Rohrer und Haller 2015) als hoch bedeutsam für den Zugang zum Sport gezeigt hat, hat keinen signifikanten Einfluss auf die Wahl der Sportart. Das kann an den Bereinigungen des sozialen Status durch andere Variablen wie kulturelles Kapital liegen. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Wahl der Sportart, wenn bereits Zugang zum Sport gefunden wurde, nicht mehr von den finanziellen Möglichkeiten beeinflusst wird. Bezüglich des Settings sind die Kapitalarten insgesamt von deutlich geringerer Relevanz, lediglich ein hohes soziales Kapital der Befragten oder deren Eltern führt eher dazu, den Individualsport im Vereinskontext auszuüben. Die Frage, wo Jugendliche ihren präferierten Sport ausüben, scheint weniger eine Frage des Habitus zu sein, sondern könnte vielmehr dadurch beeinflusst werden, in welchem Setting die präferierte Individualsportart überhaupt angeboten wird.

Fazit

Will man nun möglichst vielen Jugendlichen ein Sportengagement ermöglichen, damit ihnen die positiven Entwicklungspotenziale des Sports zugutekommen, so sollte das derzeit hohe Interesse an Individualsportarten aufgegriffen werden. Von Vorteil ist dabei, dass nicht zwangsläufig Mannschaften installiert oder gemeinsame Zeiten des Sporttreibens ausgehandelt werden müssen, sondern niedrigschwellige Angebote genutzt werden können, um den (ersten) Zugang zum Sport zu erleichtern. Denkbar wären neben einem preisgünstigen Zugang zu Schwimmbädern beispielsweise der Bau von Fitnessparks oder die Initialisierung niedrigschwelliger Laufgruppen.

Sportvereine, die das Ziel der Mitgliedergewinnung verfolgen, sollten den Trend zur Präferenz von Individualsportarten berücksichtigen (Abb. 5). Sie sollten dahingehend also das eigene Angebot hinterfragen und gegebenenfalls durch zielgruppenorientierte Angebote anpassen. Aufgrund des hohen Zulaufs bei kommerziellen Einrichtungen wie Fitnessstudios könnte zudem möglicherweise die Einrichtung eigener, vereinsgebundener Fitnessstudios für Sportvereine für die Gewinnung neuer Mitglieder zielführend sein.

Abb. 5
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Ein Fazit der Autor*innen: Sportvereine, die das Ziel der Mitgliedergewinnung verfolgen, sollten den Trend zur Präferenz von Individualsportarten berücksichtigen. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Die Studie ist nicht frei von Limitationen. Wie bei vielen Sekundäranalysen bleiben blinde Flecken bestehen. Vor allem fehlen Informationen zu den Motiven des Sporttreibens sowie den Werten, Normen und Einstellungen bezüglich des Sports im Allgemeinen. Es wäre wünschenswert, wenn sich künftige – quantitative und qualitative – Studien diesem Thema widmen und mehr über den sportbezogenen Habitus von Jugendlichen herausfinden. Ist möglicherweise die Option der Selbstbestimmung das zentrale Motiv für die Wahl einer Individualsportart oder sind andere Gründe leitend? Zudem ist es für die Betrachtung der weiteren Entwicklung des Sporttreibens Jugendlicher wichtig, Daten des SOEP ab dem Jahr 2020 zu betrachten, um auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie einzubeziehen und dementsprechende Änderungen zu untersuchen. Aufgrund des zu dieser Zeit (insbesondere während der „Lockdowns“) notwendigen Rückzugs in den privaten Raum ist davon auszugehen, dass das individualisierte Sporttreiben weiter an Bedeutung gewonnen hat.