Problemstellung

Mit Blick auf die sportliche Aktivität von Mädchen im Jugendalter weisen bisherige empirische Studien auf eine geringere Beteiligung von Mädchen mit MigrationshintergrundFootnote 1 hin. Gilt dies für das Sporttreiben allgemein, so zeigen sich insbesondere beim organisierten Sport erhebliche Disparitäten zwischen Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund. Besonders stark unterrepräsentiert sind dabei Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund sowie aus der ehemaligen Sowjetunion (vgl. u. a. Mutz 2009, S. 108 f.; Mutz und Burrmann 2015, S. 72), die relativ große Gruppen innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland stellen (Statistisches Bundesamt 2022, S. 148 f.). Trotz intensiver Bemühungen des organisierten Sports, zum Beispiel im Rahmen des Programms „Integration durch Sport“, finden Mädchen mit Migrationshintergrund offensichtlich nicht in derselben Weise Zugang zum Sport (Abb. 1) wie jene ohne und können somit nicht von dessen positiven Wirkungen (zum Beispiel auf Gesundheit, Wohlbefinden und soziale Integration in Freundschaftsnetzwerke) profitieren. Dies ist umso problematischer, weil diese Gruppe einen großen Teil der Mädchen in Deutschland ausmacht und dieser Anteil in den nächsten Jahren noch steigen dürfte.Footnote 2

Abb. 1
figure 1

Trotz intensiver Bemühungen des organisierten Sports finden Mädchen mit Migrationshintergrund offensichtlich nicht in derselben Weise Zugang zum Sport wie jene ohne. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Da die Ergebnisse bisher vorliegender Forschungen zur Beteiligung am Sport jedoch meist auf älteren Datengrundlagen beruhen, stellt sich die Frage, ob die beobachtete Unterrepräsentanz und die damit zusammenhängenden Faktoren auf Grundlage neuerer empirischer Daten bestätigt werden können oder ob sich Veränderungen zeigen. Im vorliegenden Beitrag soll deshalb anhand einer Re-Analyse von Daten 16- bis 17-jähriger Mädchen, die in den Jahren 2000 bis 2018 am Sozioökonomischen Panel teilgenommen haben, diesen Fragen nachgegangen werden.

Theoretische Überlegungen

Die hier aufgeworfenen Fragen lassen sich theoretisch einordnen in die soziale Ungleichheitsforschung im Sport (vgl. u. a. Schlagenhauf 1977; Cachay und Hartmann-Tews 1998; Rohrer und Haller 2015; in Bezug auf Jugendliche u. a. Nobis und El-Kayed 2019). Die maßgeblichen Annahmen dieser Forschungen beruhen darauf, dass verschiedene vertikale Faktoren, wie zum Beispiel das Einkommen und das Bildungsniveau, die Sportpartizipation sowohl im informellen Bereich wie auch in Sportorganisationen bedingen, in letzteren sogar in ganz besonders hohem Maße (vgl. Schlagenhauf 1977). In Bezug auf Kinder und Jugendliche sind dabei sozioökonomische Faktoren der Herkunftsfamilie (wie beispielsweise das Familieneinkommen, das Bildungsniveau und der berufliche Status der Eltern, vgl. Cachay und Thiel 1995), aber auch der angestrebte Bildungsabschluss der Kinder und Jugendlichen selbst, zu berücksichtigen. Hinter all dem steht die Annahme, dass der sozioökonomische Hintergrund und das Bildungsniveau Einfluss haben auf die Ausprägung eines bestimmten Habitus, der die Ausbildung einer Sportaffinität fördern oder aber eher verhindern kann (vgl. Bourdieu 1978). Über diese Faktoren hinaus sind bei der Betrachtung und dem Vergleich von Gruppen aber auch horizontale Faktoren, wie zum Beispiel das Geschlecht, das Alter und spezifische andere Merkmale, wie etwa der Migrationshintergrund, miteinzubeziehen. Dabei erscheinen horizontale und vertikale Faktoren als miteinander verwoben und wirken entsprechend gleichzeitig zusammen, wie es im Ansatz der Intersektionalität konzeptualisiert ist (Walgenbach 2014) und methodisch im intersektionalen Mehrebenenansatz zum Ausdruck kommt (Winker und Degele 2009). Für die Untersuchung von Gruppen mit und ohne Migrationshintergrund, und vor allem für einen Vergleich dieser Gruppen, heißt das, dass nicht nur sozioökonomische und bildungsbezogene Faktoren in den Blick zu nehmen sind, sondern auch jene sozialen Benachteiligungen, die zum Beispiel aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Herkunftsgruppe mit spezifischen religiös-kulturell bedingten Praxen resultieren. Es sind also auch Normen und Werte, die in den Familien der jeweiligen Gruppen von Kindern und Jugendlichen gelebt werden, daraufhin zu untersuchen, ob und in welchem Maße diese das Sportengagement moderieren.Footnote 3

Bisherige Befunde zur Beteiligung von Mädchen im Jugendalter am organisierten Sport

Häufigkeit des organisierten Sporttreibens im Verein im Zusammenhang mit verschiedenen Faktoren

Aufgrund unterschiedlicher Datengrundlagen und unterschiedlicher befragter Altersgruppen variieren die Organisationsgrade der Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund in den verschiedenen Studien. Mit 42 % für Mädchen ohne und 28 % für Mädchen mit Migrationshintergrund divergiert der Organisationsgrad bei Mutz (2009, S. 108) um 14 Prozentpunkte, während Mutz und Burrmann (2015, S. 72) mit einer Quote von 31 % für Mädchen mit und 50 % für Mädchen ohne Migrationshintergrund sogar einen Unterschied von fast 20 Prozentpunkten ausweisen. Einen geringeren Unterschied konstatieren Nobis und El-Kayed (2019, S. 16): Sie ermitteln für Mädchen mit Migrationshintergrund eine Partizipationsquote von 25 % und für Mädchen ohne eine von 34 %. Hoenemann et al. (2021) kommen bei Mädchen ohne Migrationshintergrund auf einen Organisationsgrad von 56 %, während Mädchen mit Migrationshintergrund nur zu 23 % im Verein organisiert sind, also um circa 33 Prozentpunkte zurückliegen (Hoenemann et al. 2021, S. 56f.). Die Zahlenwerte in den verschiedenen Untersuchungen sind zwar unterschiedlich, Einigkeit besteht jedoch darin, dass türkeistämmige Mädchen sowie jene aus Ländern, die der ehemaligen Sowjetunion angehörten, besonders stark unterrepräsentiert sind.

Da die Sportpartizipation allgemein, wie auch die Vereinspartizipation unter anderem von der besuchten Schulform abhängt, haben Mutz und Burrmann (2015) diesen Zusammenhang untersucht und dabei nachgewiesen, dass der Organisationsgrad von jugendlichen Migrantinnen mit dem Niveau der besuchten Schulform steigt: So haben Hauptschülerinnen mit Migrationshintergrund einen Organisationsgrad von nur 24 %, wohingegen Gymnasiastinnen mit Migrationshintergrund 42 % erreichen. Bei den Mädchen ohne Migrationshintergrund zeigt sich dieser Zusammenhang auch, aber dort liegt die Sportvereinspartizipation bei allen Schularten auf einem erheblich höheren Niveau: Gymnasiastinnen sind zu 59 % und Hauptschülerinnen zu 42 % im Sportverein engagiert (Mutz und Burrmann 2015, S. 80). Ähnliche Ergebnisse zeigen auch die neueren Untersuchungen von Borggrefe et al. (2019), Nobis und El-Kayed (2019) sowie Hoenemann et al. (2021).

Auch der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie moderiert das Sportengagement von Jugendlichen (Mutz und Burrmann 2015, S. 76f.), genauso wie der soziale Status von erwachsenen Personen deren Partizipation am Sport (Rohrer und Haller 2015). Deshalb wurde in einigen Studien der Organisationsgrad junger Migrantinnen in Relation zur sozialen Situation der Herkunftsfamilie betrachtet. Mutz (2009) konnte dabei zeigen, dass bei einem hohen Kapitalvolumen die Vereinsbeteiligung weiblicher Jugendlicher mit (47 %) und ohne Migrationshintergrund (55 %) steigt (S. 113f.), wohingegen sich ein niedriges Kapitalvolumen hemmend auf die Vereinsbeteiligung auswirkt (18 % Organisationsgrad bei Mädchen mit Migrationshintergrund und 27 % bei Mädchen ohne). Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen auch die Untersuchungen von Züchner (2016, S. 108f.), Mutz und Burrmann (2015, S. 76f.) sowie Borggrefe et al. (2019, S. 179).

Die Kombination aus höherem Einkommen der Eltern und insbesondere höherer Bildung als begünstigende Faktoren für die Teilnahme am organisierten Sport bestätigen auch Nobis und El-Kayed (2019) in ihrer Re-Analyse der SOEP-Daten von 2000–2015 (Nobis und El-Kayed 2019, S. 15).

Darüber hinaus wurde verschiedentlich auch der Zusammenhang von Sportpartizipation und Religionszugehörigkeit untersucht. Schon die frühe Untersuchung von Boos-Nünning und Karakasoglu (2005) kam zu dem differenzierten Ergebnis, dass eine geringere Beteiligung am organisierten Sport vor allem auf die Intensität, mit der bestimmte religiöse Praktiken ausgeübt werden, zurückzuführen ist und nicht allein auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion. Demgemäß kombinierten Borggrefe et al. (2019) die Frage nach der Religionszugehörigkeit mit der Frage nach der Einhaltung religiöser Regeln in der Familie. Dabei zeigte sich, dass vor allem jene Mädchen mit Migrationshintergrund, deren Eltern die Einhaltung religiöser Gebote für sehr wichtig erachten, im Sportverein in erheblichem Maße unterrepräsentiert sind: Mädchen, deren Eltern auf die Einhaltung religiöser Regeln wenig oder gar nicht achten oder areligiös sind, weisen mehr als doppelt so hohe Werte auf (vgl. Borggrefe et al. 2019, S. 172f.). Da sich bei Jungen dieser Zusammenhang nicht zeigt, folgern die Autor*innen, dass eine (durch die Religion beeinflusste) traditionelle Lebensweise der Familien, die vor allem die Mädchen betrifft, eine wesentliche Ursache der Unterrepräsentanz von Mädchen mit Migrationshintergrund im Sportverein ist (ebd.).

In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus zu fragen, ob und in welchem Maße formelle und informelle Strukturen von Sportvereinen als Barrieren beim Zugang und Verbleib von Mädchen mit Migrationshintergrund von Bedeutung sind. Seiberth, Weigelt-Schlesinger und Schlesinger (2013) haben derartige Barrieren identifiziert und sehen sie in Zusammenhang mit der Zwecklogik des Sportvereins sowie in der fehlenden Akzeptanz von Diversität in vielen Vereinen. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen Borggrefe und Cachay (2021) in Bezug auf die Integration von Personen mit Migrationshintergrund allgemein.

Häufigkeit des Sporttreibens in kommerziellen Einrichtungen

Die MediKuS-Studie von 2013 zeigt eine Tendenz dahingehend, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund vermehrt fitnessbezogenen Sport in kommerziellen Einrichtungen betreiben im Vergleich zur Gruppe ohne Migrationshintergrund (vgl. Züchner 2016, S. 129f.). Gemäß der Daten dieser Studie nehmen Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund zu 17 % am Fitnesssport im kommerziellen Kontext teil, während es bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund lediglich 12 % sind. In der geschlechtsspezifischen Betrachtung ihrer Daten gelangen auch Nobis und El-Kayed (2019, S. 16) zu Unterschieden, allerdings auf wesentlich niedrigerem Niveau (Mädchen mit Migrationshintergrund: 6 %, Mädchen ohne: 4 %; Jungen mit Migrationshintergrund: 6 %, Jungen ohne: 3 %). Hoenemann et al. (2021) haben diesen Sachverhalt ebenfalls untersucht und kommen zu ähnlichen Ergebnissen, allerdings mit höheren Anteilen für beide Gruppen (21 % mit zu 16 % ohne Migrationshintergrund). Zwischen Mädchen mit (18 %) und jenen ohne Migrationshintergrund (18 %) zeigt sich kein nennenswerter Unterschied. Bei Jungen dagegen schon: So sind Jungen mit Migrationshintergrund zu 25 % im kommerziellen Sport engagiert, Jungen ohne hingegen nur zu 14 % (Hoenemann et al. 2021, S. 57). Damit dürften die in der MediKuS-Studie (Züchner 2016) bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund gefundenen Unterschiede hinsichtlich des Betreibens von fitnessbezogenem Sport auf die Jungen mit Migrationshintergrund zurückzuführen sein.

Sportartpräferenzen

Was die Frage nach den Sportartpräferenzen zwischen Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund betrifft, so gibt es dazu bislang nur wenige Untersuchungen. Mutz und Burrmann (2011) weisen in ihrer Re-Analyse der SPRINT-Studie aus dem Jahr 2004 Schwimmen, Skaten und Tanzen als sowohl von Mädchen mit als auch ohne Migrationshintergrund favorisierte und wahrscheinlich informell betriebene Sportarten aus (S. 112). In der MediKus-Studie führt unter allen 13- bis 17-jährigen Mädchen der Fitnesssport mit 41 %, dicht gefolgt von Spielsportarten mit 40 % und Individualsportarten mit 20 % (vgl. Züchner 2016, S. 112). Borggrefe et al. (2019) kommen bei Mädchen mit Migrationshintergrund für die am häufigsten in einem Verein oder einer Sportschule betriebenen Sportarten auf Tanzen (15 % der Nennungen), Fußball (7 %) und Kampfsport (5 %). Mädchen ohne Migrationshintergrund geben ebenfalls Tanzen an (18 %), darüber hinaus aber auch Reiten (13 %) und Schwimmen (10 %). Das heißt, es zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber durchaus auch Differenzen.

Reflexion des Forschungsstands und weiterführende Fragestellungen

Insgesamt handelt es sich bei den dargestellten Studien um Daten aus älteren Erhebungen und darüber hinaus durchweg um Querschnittsuntersuchungen, durch die Entwicklungen nicht dargestellt werden können. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Frage nach dem Sportengagement von Mädchen mit im Vergleich zu Mädchen ohne Migrationshintergrund neu zu untersuchen und insbesondere anhand aktueller Daten auch die Entwicklung in einem bestimmten Zeitraum nachzuzeichnen.

Im Folgenden soll deshalb aus den Daten der regelmäßig wiederkehrenden und stets mit demselben Fragensatz arbeitenden Untersuchung des Sozioökonomischen Panels erstens der aktuelle Ist-Zustand des Sportengagements von Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund erhoben werden und zweitens ein Vergleich zwischen älteren (Zeitraum I: 2000–2010) und neueren Daten (Zeitraum II: 2011–2018) erfolgen, um so eventuelle Entwicklungen über einen größeren Zeitraum hinweg darstellen zu können. Damit schließt die vorliegende Studie eine wesentliche Forschungslücke und unterscheidet sich von früheren Studien mit SOEP-Daten, wie etwa der von Nobis und El-Kayed (2019), die zwar ebenfalls auf SOEP-Daten von 17-Jährigen basiert, jedoch nur einen Zeitraum von 2000 bis 2015 umfasst und daher keinen Vergleich zwischen früheren Zeiträumen und dem jetzigen Zustand bieten kann.

Entsprechend versucht unsere Re-Analyse einerseits die Frage zu beantworten, inwiefern sich die früher festgestellten Beteiligungsquoten von Mädchen mit Migrationshintergrund am organisierten Sport im Zeitraum I wiederfinden und andererseits, ob und welche Entwicklungen in neuerer Zeit zu beobachten sind. Darüber hinaus sollen maßgebliche sozialstrukturelle Einflussfaktoren auf die Sportpartizipation analysiert und die Ergebnisse mit früheren Forschungen verglichen werden. Auf diese Weise soll auf bestehende soziale Ungleichheitsprozesse in Folge des Zusammenwirkens vertikaler und horizontaler Faktoren aufmerksam gemacht werden.

Methodik

Das SOEP ist eine seit 1984 jährlich durchgeführte bundesweite repräsentative Panelbefragung von Privathaushalten (Britzke und Schupp 2019). Neben den erwachsenen Mitgliedern eines Haushalts füllen seit 2000 auch 16- bis 17-jährige Jugendliche einen speziellen Jugendfragebogen aus. Für die vorliegende Untersuchung wurden Daten aus zwei Zeiträumen, und zwar von 2000 bis 2010 (Zeitraum I) und von 2011 bis 2018 (Zeitraum II) verwendet, um einen Vergleich anstellen zu können.

Durch die Zusammenfassung mehrerer Jahrgänge steht der Untersuchung eine ausreichende Zahl an Probandinnen zur Verfügung, und zwar insgesamt 954 Mädchen mit und 2616 Mädchen ohne Migrationshintergrund. Alle werden im Jahr ihres 17. Geburtstags befragt. Die weiteren Merkmale der Stichprobenzusammensetzung sind in Tab. 1 abzulesen. Es zeigt sich, dass Mädchen mit Migrationshintergrund häufiger die Hauptschule besuchen und deren Herkunftsfamilien im Schnitt geringere Bildungsabschlüsse und ein niedrigeres Äquivalenzeinkommen aufweisen.

Tab. 1 Zusammensetzung der Stichprobe. Mittelwerte beziehungsweise prozentuale Angaben für Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund

Im Jugendfragebogen machen die Befragten auch Angaben zu ihrem sportlichen Verhalten. Auf einer Ordinalskala geben sie die Häufigkeit des Sporttreibens an, zum Beispiel ob mindestens einmal wöchentlich Sport getrieben wird oder nicht. Die Befragten geben darüber hinaus in einer offenen Frage an, welche Sportart für sie persönlich am wichtigsten ist. Diese Angaben werden für die folgenden Analysen zu Sportartengruppen zusammengefasst, und zwar zu Fitnesssport, Individualsport, Ballsport, Kampfsport, Turnen/Tanz und sonstige Sportarten wie Reiten, Wintersport oder Skaten. Unter Fitnesssport wird Folgendes zusammengefasst: Fitnesstraining im Sinne von Kardiotraining oder Krafttraining (sowie Mischformen der beiden) und Bodybuilding. Unter Individualsport werden Laufen, Walken, Fahrradfahren und Schwimmen gefasst. Zusätzlich geben die Jugendlichen an, in welchem Setting sie die ihnen wichtigste Sportart ausführen, sie können zwischen den Antwortmöglichkeiten Verein, kommerzieller Anbieter, Schule, sonstiger Organisation, privat mit anderen und privat allein wählen. Die Befragten werden dem organisierten Sport zugeordnet, wenn sie im Verein, bei kommerziellen Anbietern oder einer sonstigen Organisation (nicht Schule) Sport treiben. Zudem wurde gefragt, ob in der wichtigsten Sportart Wettkämpfe ausgeübt werden.

Der Migrationshintergrund wird über die Nationalität und das Geburtsland der Jugendlichen und deren Eltern operationalisiert. Damit kann einer Definition analog zur amtlichen Statistik Rechnung getragen werden, die sogar noch ein Stück weiter geht, da im SOEP auch die Generation der Großeltern einbezogen wird. Anhand der Frage nach der Nationalität ist es möglich, die Befragten mit Migrationshintergrund, abhängig vom Herkunftsland der Eltern, in die drei Gruppen „türkisch“, „ehemalige sowjetische Länder“Footnote 4 und „sonstige Länder“ einzuteilen. So kann in der deskriptiven Statistik nach diesen drei Gruppen unterschieden werden. In der Regressionsanalyse wird beim Migrationshintergrund unterschieden zwischen „türkisch/ehem. SU“ auf der einen und einem sonstigen auf der anderen Seite. Die besuchte Schulform wird im SOEP ebenfalls abgefragt. Sollte bereits ein Abschluss vorliegen, wird dieser der entsprechenden Schulform zugeordnet. Der Schulabschluss der Eltern wird über deren eigene Angaben operationalisiert, ist kein Abschluss vorhanden, wird dies bei Hauptschule zugeordnet. Bei unterschiedlichen Abschlüssen der Mutter und des Vaters wird der höhere verwendet. Das Äquivalenzeinkommen wird aus den Angaben der Eltern zum monatlich verfügbaren Nettoeinkommen des gesamten Haushalts und der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen errechnet. Zudem geben die Eltern ihre Religionszugehörigkeit an, sodass auch der Einfluss des Faktors Religion errechnet werden kann.

Die Ergebnisse werden zunächst deskriptiv, getrennt nach den Erhebungsjahren 2000 bis 2010 (Zeitraum I) und 2011 bis 2018 (Zeitraum II) dargestellt und dann miteinander verglichen, sodass eventuelle Entwicklungen nachvollzogen werden können. Es werden jeweils prozentuale Anteile der gültigen Antworten aufgezeigt. Die Darstellung erfolgt ungewichtet, da das für das Sampling verzerrende Merkmal des Migrationshintergrunds durch getrennte Betrachtung nicht relevant ist und es sich ansonsten um eine Zufallsstichprobe handelt. Darüber hinaus werden auf Grundlage der Daten von 2000 bis 2018 zwei binär-logistische Regressionen zur Erklärung der Partizipation am organisierten Sport gerechnet, einmal für Mädchen mit und einmal für Mädchen ohne Migrationshintergrund. Es werden mit dem Einschlussprinzip dieselben Einflussfaktoren betrachtet, bei den Mädchen mit Migrationshintergrund wurde zusätzlich die Variable Herkunftsland aufgenommen. Durch den fallweisen Ausschluss bei Item-Nonresponse verringern sich die Fallzahlen in den Regressionsanalysen auf 354 (mit Migrationshintergrund) beziehungsweise 1627 (ohne Migrationshintergrund) Personen. Multikollinearität kann nicht angenommen werden, alle Korrelationen der unabhängigen Variablen liegen unter 0,5. Die Zusammenfassung der Daten des gesamten Zeitraums ist bei diesen Fragen notwendig, um die Sportpartizipation, auch auf Ebene der Herkunftsländer der Mädchen mit Migrationshintergrund, mit einer akzeptablen Fallzahl beobachten zu können.

Ergebnisse der Re-Analyse der SOEP-Daten

Häufigkeit des Sporttreibens allgemein

Anhand der SOEP-Daten zeigt sich, dass zwischen dem Zeitraum I (2000–2010) und Zeitraum II (2011–2018) der Anteil an Mädchen, die wöchentlich Sport treiben (und zwar formell, das heißt organisiert, wie auch informell), in nahezu allen untersuchten Gruppen Zuwächse (zwischen 4 und 9 Prozentpunkten) verzeichnet (Abb. 2). Lediglich bei Mädchen, die aus einem Land der ehemaligen Sowjetunion stammen, sinken die Anteile leicht. Was Mädchen ohne Migrationshintergrund betrifft, so treiben diese zu beiden Zeiträumen häufiger wöchentlich Sport als Mädchen mit Migrationshintergrund. Eine merkliche Reduzierung der Unterschiede ist nicht zu erkennen. Differenziert man zusätzlich nach dem Herkunftsland, so ist festzustellen, dass vor allem türkeistämmige Mädchen deutlich seltener wöchentlich Sport treiben als solche mit einem anderen Herkunftsland.

Abb. 2
figure 2

Anteil an 16- bis 17-jährigen Mädchen, die mindestens einmal pro Woche Sport treiben, differenziert nach Migrationshintergrund und Zeiträumen

Häufigkeit des organisierten Sporttreibens im Verein und bei kommerziellen Anbietern

Auch beim Vereinssport zeigen sich die aus der Forschung bekannten Unterschiede zwischen Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund (Abb. 3), und zwar zu beiden Messzeitpunkten. Die Unterschiede betragen im Zeitraum I 13,6 % und im Zeitraum II sogar 18,3 %. Der Vergleich zwischen den Daten beider Zeiträume offenbart darüber hinaus bei den Mädchen mit Migrationshintergrund einen Rückgang, der insbesondere auf türkeistämmige sowie aus der ehemaligen Sowjetunion stammende Mädchen zurückzuführen ist. Dagegen verbleiben Mädchen ohne Migrationshintergrund zu vergleichsweise hohen Anteilen im Verein, legen sogar noch ein bisschen zu, von 43,7 auf 47,4 %.

Abb. 3
figure 3

Anteil an 16- bis 17-jährigen Mädchen, die ihre persönlich wichtigste Sportart organisiert ausüben, differenziert nach Migrationshintergrund und Zeiträumen

Was kommerzielle Sportangebote betrifft, so weisen alle Gruppen zum Teil beträchtliche, Anstiege von Zeitpunkt I zu Zeitpunkt II auf (vgl. Abb. 3). Die Werte für Mädchen mit Migrationshintergrund erhöhen sich um mehr als das Dreifache (von 4,6 auf 15,2 %). Darunter sticht die Verdopplung der Beteiligung türkeistämmiger und eine Verdreifachung der Beteiligung der Mädchen mit Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion besonders hervor. Aber auch bei Mädchen weiterer Herkunftsländer zeigt sich ein erheblicher Zuwachs von 3,9 auf 15,8 %. Die Zahlen bei Mädchen ohne Migrationshintergrund steigen ebenfalls um fast das Doppelte, und zwar von 5,7 auf 10,2 %.

Einflussfaktoren auf das organisierte Sporttreiben

Tab. 2 zeigt die Ergebnisse der binär-logistischen Regression, mit der überprüft wird, welche Prädiktoren die Tatsache beeinflussen, ob Mädchen mit beziehungsweise ohne Migrationshintergrund am organisierten Sport partizipieren.

Tab. 2 Binär-logistische Regressionsmodelle zur Erklärung der Beteiligung am organisierten Sport von Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund. Dargestellt sind Odds Ratio; * p < 0,05; ** p < 0,01; *** p < 0,001

Besuchte Schulform.

Im Hinblick auf die Beteiligung am organisierten Sport in Abhängigkeit der besuchten Schulform zeigen sich die aus früheren Forschungen bereits bekannten Befunde: Gemäß der SOEP-Daten haben Mädchen mit Migrationshintergrund, die das Gymnasium besuchen, eine 6,60-mal so hohe Wahrscheinlichkeit, organisiert Sport auszuüben wie diejenigen, die die Hauptschule besuchen. Dieser Zusammenhang zeigt sich – etwas schwächer ausgeprägt – auch beim Besuch einer Realschule (3,57-fache Wahrscheinlichkeit). Ein solcher Zusammenhang besteht auch bei Mädchen ohne Migrationshintergrund, allerdings nicht so stark ausgeprägt.

Das heißt, bei Mädchen mit Migrationshintergrund wirkt sich der Besuch einer Schulform, die höhere Bildungsabschlüsse vergibt, in weit stärkerem Maße positiv auf die Beteiligung am organisierten Sport aus als bei Mädchen ohne Migrationshintergrund. Ein Grund dafür könnte sein, dass in jenen Schulformen oftmals Peers, die vielfach bereits vereinsorganisiert Sport treiben, anregend auf die Aufnahme eines Sportengagements im Verein wirken (vgl. Fast 2021, S. 286f.). Denkbar sind aber auch Einflüsse aus dem Elternhaus, etwa spezifische Wertorientierungen, die unter Umständen mit dem höheren Bildungsaspirationsniveau der Familie zusammenhängen (vgl. Nobis und Albert 2018, S. 68).

Schulabschluss der Eltern.

Was die Beteiligung am organisierten Sport in Abhängigkeit vom Schulabschluss der Eltern betrifft, so zeigt sich bei Mädchen mit Migrationshintergrund ein Einfluss, allerdings ist dieser nicht signifikant. Für Mädchen ohne Migrationshintergrund konnte jedoch ein signifikant positiver Zusammenhang gefunden werden: Sie haben eine fast doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, organisiert Sport zu treiben, wenn die Eltern das Abitur statt eines Hauptschulabschlusses aufweisen.

Religionszugehörigkeit.

Die Beteiligung am organisierten Sport in Abhängigkeit von der Religionszugehörigkeit zeigt keinen signifikanten Zusammenhang, was an den geringen Fallzahlen liegen dürfte. Anhand der Daten lässt sich immerhin eine Tendenz dahingehend erkennen, dass Mädchen mit Migrationshintergrund, die muslimischen Glaubens sind, eine nur etwa halb so große Wahrscheinlichkeit haben, organisiert Sport zu treiben als Mädchen mit Migrationshintergrund, die einer christlichen Religion angehören. Eine wesentliche Ursache dafür dürften die in islamisch geprägten Familien vielfach gelebten Body Rules für Mädchen und Frauen sein, die die Aufnahme eines Sporttreibens in den sozialen Settings, Verein oder Fitnessstudio, wenn nicht verhindern, so doch erschweren (vgl. Fast 2021, S. 290ff.).

Herkunftsland.

Im Hinblick auf den Zusammenhang von Sportbeteiligung und dem Herkunftsland zeigt sich, dass türkeistämmige und aus der ehemaligen Sowjetunion stammende Mädchen eine nur 0,39-mal so hohe Wahrscheinlichkeit als Mädchen mit Migrationshintergrund aus anderen Herkunftsländern haben, organisiert Sport zu treiben. Damit werden die erheblichen Nachteile, die diese speziellen Gruppen von Mädchen im Zugang zum organisierten Sport haben, bestätigt.

Sportartpräferenzen

Betrachtet man für die Vergleichszeiträume I und II die Sportartpräferenzen im organisierten Sport (Abb. 4), so fällt auf, dass zum Zeitraum II (bis 2018) sowohl die Mädchen mit als auch jene ohne Migrationshintergrund einen Zuwachs beim Fitnesssport verzeichnen. Während Mädchen mit MigrationshintergrundFootnote 5 von vormals 6,8 % (Zeitraum I) auf 23,9 % (Zeitraum II) kommen, zeigt sich bei Mädchen ohne einen solchen ein etwas geringerer Anstieg (von 2,9 % zu 9,0 %), bei deutlich geringerem Ausgangsniveau. Mädchen mit Migrationshintergrund führten und führen immer noch die Beteiligungszahlen am Fitnesssport an, was mit ihren hohen Beteiligungszahlen am kommerziellen Sport insgesamt korrespondiert.

Abb. 4
figure 4

Persönlich wichtigste Sportart, die 16- bis 17-jährige Mädchen organisiert ausüben, differenziert nach Migrationshintergrund und Zeiträumen

Der Anteil derjenigen, die im organisierten Rahmen einer Ballsportart nachgehen, nimmt dagegen unter allen weiblichen Jugendlichen zum Zeitraum II hin deutlich ab. Dies trifft auf Mädchen mit Migrationshintergrund, die hier zuvor überrepräsentiert waren, in besonderem Maße zu: hier zeigt sich eine Abnahme von ehemals 44,3 % auf nun nur noch 23,1 %. Auch bei Mädchen ohne Migrationshintergrund sind erhebliche Verluste zu verzeichnen (von 38,6 auf 29,0 %). Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Rückgang der Beteiligung an Wettkämpfen aller organisierten Sportarten wider (42,4 % zu vormals 56,8 % für Mädchen mit und 56,1 % zu ehemals 65,1 % für Mädchen ohne Migrationshintergrund).

Für den in organisierter Form betriebenen Kampfsport (Abb. 5) lassen sich unter allen Mädchen moderat sinkende Werte ausmachen. Mädchen mit Migrationshintergrund – sie wurden im Alltagsverständnis aufgrund der hohen medialen Sichtbarkeit Einzelner vermehrt im Kampfsport vermutet – finden sich hier von 6,8 auf nur 4,5 % fallend wieder, sodass der durch die öffentliche Wahrnehmung entstandene Eindruck einer hohen Repräsentanz nicht bestätigt werden kann. Mädchen ohne Migrationshintergrund beteiligen sich annähernd gleichbleibend mit circa 5,0 %.

Abb. 5
figure 5

Mädchen beim Kampfsport, hier Boxen. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Was die Werte für die Teilnahme an den Sportarten Turnen und Tanz im Sportverein oder bei kommerziellen Anbietern betrifft, so sind unter Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund vergleichbare Beteiligungsquoten von um die 25 % zu verzeichnen, die auch im Zeitraum II weitgehend konstant bleiben. Sonstige Sportarten, wie zum Beispiel Reiten, Wintersport, Skaten, werden mit circa 19 % häufiger von Mädchen ohne Migrationshintergrund genannt (gegenüber circa 11 % von Mädchen mit Migrationshintergrund).

Diskussion, Schlussfolgerungen und Ausblick

Insgesamt ist zu konstatieren, dass das wöchentliche Sporttreiben bei Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund im untersuchten Zeitraum gestiegen ist, wenngleich bei „weichen“ Fragen, wie der nach dem wöchentlichen (auch unorganisierten) Sporttreiben, stets mit Antworten im Sinne einer sozialen Erwünschtheit zu rechnen ist. Erklären lässt sich dies damit, dass bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zunehmend ein Trend zu einem sportiven Lebensstil zu beobachten ist (Bindel und Theis 2020, S. 6f.). Dagegen nimmt das Engagement im Vereinssport in allen von uns untersuchten Mädchengruppen im Vergleich zwischen Zeitraum I und II ab. Besonders drastisch ist dies bei den auch in früheren Studien schon stark unterrepräsentierten Gruppen der Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund sowie aus der ehemaligen Sowjetunion. Zudem hat sich der bereits durch frühere Studien belegte Zusammenhang zwischen organisiertem Sporttreiben und dem Besuch einer Schulform, die zum höchsten Bildungsabschluss führt (Gymnasium), bestätigt. Bei Mädchen mit Migrationshintergrund ist dieser Zusammenhang nahezu doppelt so stark wie bei Mädchen ohne Migrationshintergrund. Dieses Ergebnis macht nur zu deutlich, dass bei den untersuchten Mädchen nicht der Migrationshintergrund an sich das Sportengagement beeinflusst, sondern dass der Migrationshintergrund vielmehr in Wechselwirkung mit anderen Faktoren – wie eben dem Geschlecht und dem Bildungsniveau, das heißt der besuchten Schulform und dem angestrebten Bildungsabschluss – steht. Dies unterstreicht ein weiteres Mal die Notwendigkeit einer intersektionalen Sichtweise auf die Bedingungen, die das Sportengagement von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund moderieren. Daraus folgt, dass nicht mehr einzelne Faktoren isoliert untersucht werden, sondern dass mögliche Wechselwirkungen zwischen horizontalen und vertikalen Einflussfaktoren berücksichtigt werden, um so zu einer differenzierten Sichtweise zu gelangen. Schlussendlich reicht die Kategorie „Migrationshintergrund“ versus „kein Migrationshintergrund“ als Unterscheidungskriterium nicht aus, weil sie der Komplexität der Bedingungen des Aufwachsens in den Familien, die – unabhängig vom Migrationshintergrund – höchst verschieden sein können, nicht gerecht wird.

Unsere Ergebnisse verweisen darüber hinaus auch darauf, dass das Setting „Vereinssport“ zunehmend bei den untersuchten Mädchen, und zwar sowohl bei denen mit als auch ohne Migrationshintergrund, an Attraktivität einzubüßen scheint. Die seit Jahren beobachtete allmähliche Abnahme der Sportvereinsmitgliedschaften, insbesondere im Jugendbereich bestimmter Sportarten (zum Beispiel im Handball und in der Leichtathletik, aber auch im Fußball)Footnote 6, kann nicht nur auf den demographischen Wandel zurückgeführt werden, demgemäß es heute weniger junge Menschen als noch vor 20 bis 30 Jahren gibt, sondern es dürfte auch der Wandel der Sportartpräferenzen bei Jugendlichen dazu beigetragen haben. Im Rückgang der Werte für die Ballsportarten bei allen untersuchten Mädchengruppen ist auch eine Abwendung von einem eher traditionellen und vor allem wettbewerbsorientierten Sportstil erkennbar, die sich besonders deutlich bei den Mädchen mit Migrationshintergrund zeigt.

In kommerziellen Settings betriebener Sport, wie er etwa von Fitnessstudios, Kampfsport- und Tanzschulen angeboten wird, ist unter weiblichen Jugendlichen zunehmend beliebter geworden (Abb. 6). Die Partizipationsquoten sind hier in den vergangenen Jahren kontinuierlich und in erheblichem Maße gestiegen und die untersuchten Gruppen nähern sich einander an. Die größten Zuwächse sind bei den Mädchen mit Migrationshintergrund zu verzeichnen, also bei jener Gruppe, deren Beteiligung am Vereinssport gleichzeitig stark abnimmt.

Abb. 6
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In kommerziellen Settings betriebener Sport, wie er etwa von Fitnessstudios angeboten wird, ist unter weiblichen Jugendlichen beliebter geworden. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Während zu vermuten ist, dass ein Teil der aus dem Verein scheidenden jungen Frauen kommerzielle Angebote aufsucht, darf nicht übersehen werden, dass sich auch immer mehr Jugendliche am informellen Sport beteiligen. Hierzu zählt privat betriebener Fitnesssport, wie zum Beispiel das Joggen, Radfahren oder Schwimmen, ebenso wie „Home-Workouts“, auch unter Anleitung neuer Medien, die in Corona-Zeiten an Einfluss noch gewonnen haben dürften.

Aus den Werten für die favorisierten Sportarten kann – ebenso wie aufgrund der Daten für die Nutzung der verschiedenen Sportsettings – auf eine gewisse Angleichung des Sportverhaltens von Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund geschlossen werden. Bei den Mädchen mit Migrationshintergrund zeigt sich allerdings bezüglich der Settings eine noch stärkere Abwendung vom Vereinssport und Hinwendung zum kommerziellen Sport als dies bei den Mädchen ohne Migrationshintergrund der Fall ist. Aufgrund des großen Anteils an Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Gesamtpopulation in Deutschland könnte sich bei den Sportvereinen die Zahl weiblicher jugendlicher Mitglieder in den nächsten Jahren noch weiter verringern, sofern der beobachtbare Trend anhält. Weiterhin zu untersuchen wäre, welcher Trend sich für die Gruppe der geflüchteten Mädchen abzeichnet, das heißt ob und in welchen Sportarten sie sich für ein Sportengagement im Verein entscheiden.Footnote 7

Was lässt sich nun aus den Ergebnissen folgern? Wenn man auf die gesundheitsförderliche Wirkung von Sport abhebt, so zeichnet sich an der zunehmenden Sportivität junger Mädchen ein positiver Trend ab. Allerdings zeigt sich in Bezug auf den vereinsbezogenen Sport unter Beobachtung soziostruktureller Einflussfaktoren, wie bereits durch frühere Studien (mit Daten aus den Jahren um 2000) belegt, dass bestimmte Gruppen von Mädchen die Sportangebote in Vereinen in weit geringerem Maße wahrnehmen als andere. Die soziale Öffnung des Sports hat zwar in den vergangenen Jahrzehnten eine Zunahme weiblicher Mitglieder begünstigt (Hartmann-Tews 2019, S. 1294), aber Mädchen (und Frauen) mit Migrationshintergrund und solche mit niedrigem Bildungsstatus partizipieren daran eben nach wie vor nicht im gleichen Umfang. Auf Grundlage unserer Daten zeigt sich zudem: Aus dieser Gruppe scheinen Mädchen im Jugendalter den Sportverein sogar noch weniger aufzusuchen als früher.

Die Nichtbeteiligung großer Gruppen von Mädchen mit Migrationshintergrund am Vereinssport ist auch im Hinblick auf die Integration kritisch zu sehen, denn anders als in kommerziellen und informellen Settings des Sports können im Rahmen des Vereinssports – aufgrund dessen spezifischer Strukturen – Erfahrungen gemacht werden, die für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt wie auch die individuelle Teilhabe höchst bedeutsam sind. Solche umfassen zum Beispiel Verbindlichkeit, Selbstorganisation, Verantwortungsbereitschaft, Teamgeist, Fairness sowie Formen prosozialen Verhaltens in unterschiedlichen Gruppierungen. Hinzu kommt, dass diese Erfahrungen im Verein in heterogenen Gruppen erfolgen, teilweise auch in Gruppen, die alters- und geschlechtergemischt sind und darüber hinaus einerseits aus schon lange in Deutschland Ansässigen, andererseits auch Zugewanderten unterschiedlicher Generationen bestehen, was die Sozialwelt der Jugendlichen enorm bereichern kann. Schließlich ist auch auf mögliche integrative Effekte im Hinblick auf wichtige gesellschaftliche Teilbereiche, die vielfach durch soziale Netzwerke im Verein angestoßen werden, zu verweisen. Diese Effekte (zum Beispiel in Bezug auf Bildung, Arbeitsmarkt oder Gesundheit) werden allerdings nur wirksam, wenn ein Anschluss an Vereinsgruppen erfolgt (vgl. Kleindienst-Cachay et al. 2012, S. 198ff.; Borggrefe und Cachay 2021, S. 152ff.).

Um allen Mädchen, insbesondere jenen aus Familien mit Einwanderungshintergrund und solchen mit niedrigem Sozial- und Bildungsstatus, den Zugang zum Sportverein zu erleichtern und deren Verbleib darin zu sichern, bedarf es gezielter und bereits früh, das heißt im Kindergartenalter, einsetzender Bemühungen des organisierten Sports. Dazu gehören insbesondere Angebote mit niedrigschwelligem Zugang, wie zum Beispiel Spiel- und Sportangebote in Kooperation mit Kitas und im Rahmen schulischer AGs, die insbesondere Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund adressieren. Studien haben gezeigt, dass derartige Angebote insbesondere von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehr gut angenommen werden (vgl. Frohn 2007, S. 131; Mutz und Burrmann 2011, S. 108f.; Kleindienst-Cachay et al. 2012, S. 142), nicht zuletzt deshalb, weil Kindergarten und Schule – im Unterschied zum Sportverein – von den Eltern als pädagogisch geschützte Räume wahrgenommen werden. Solche, aber auch sozialräumliche Aspekte berücksichtigende Angebote, wie etwa der „Open Sunday“ (vgl. Gebken und van den Sand 2016) für Grundschulkinder oder die „Open Area“-Sportgelegenheiten für Jugendliche in Stadtteilen mit hohen Anteilen an Zugewanderten und sozial benachteiligten Familien, können – wenn sie durch ausgebildetes Personal fachlich qualifiziert geleitet werden – dazu beitragen, dass der Vereinssport positiv wahrgenommen und das Vertrauen der Eltern in außerschulische Sportangebote gestärkt wird. Hierfür bedarf es jedoch nachhaltiger Kooperationsstrukturen zwischen Sportvereinen und Schulen/Kindergärten sowie Organisationen der Sozialarbeit. Darüber hinaus müssten sich Sportvereine in ihrer Kommunikation nach außen deutlich offener gegenüber der Gruppe der Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund präsentieren und auch proaktiv um sie als Mitglieder werben. Allerdings sollten diese Werbemaßnahmen den Migrationsstatus nicht offen adressieren, um Alterisierungen zu vermeiden, denn diese bergen die Gefahr, Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund als eine Problemgruppe zu konstruieren (vgl. Klein 2011), was sich kontraproduktiv auswirken dürfte. Ob und inwiefern sich die Sportpartizipation von Mädchen im Jugendalter durch entsprechende Maßnahmen steigern lässt, gilt es anhand künftig zu erhebender Daten weiter zu untersuchen.