Einleitung

Im vorliegenden Beitrag geht es darum, einen Überblick über die Forschung zum vereinsgebundenen Jugendsport in Deutschland im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte zu geben und zu reflektieren, welche Entwicklungslinien, welche produktiven Trends und welche Lücken im Erkenntnisstand auszumachen sind und welche Perspektiven daraus für die zukünftige Forschung erwachsen könnten.

Vor der Umsetzung der Zielvorstellung gilt es, auf einige inhaltliche Schwierigkeiten hinzuweisen, die mit der Lösung der komplexen Aufgabe verbunden sind; außerdem sind Angaben zur Vorgehensweise zu machen und inhaltliche Einschränkungen vorzunehmen.

Jugendsportforschung oder sportbezogene Jugendforschung sind in der Sportwissenschaft gängige Begriffe, die sich auf ein Forschungsgebiet beziehen, das die vielfältigen sportiven Praxen der Heranwachsenden in ihrer Gesamtheit umfasst. Im vorliegenden Fall steht ausschließlich der vereinsgebundene Jugendsport in seiner Vielfalt – von den breitensportlichen Aktivitäten bis zum Nachwuchsleistungssport – einschließlich der mit ihm verbundenen Erwartungen und Wirkungen im Fokus der Betrachtung. Nicht nur der Forschungsgegenstand erweist sich als facettenreich; Heterogenität herrscht ebenfalls bei den theoretischen Konzepten vor, die den empirischen Untersuchungen zur Rahmung dienen, aus denen sich Forschungsfragen herleiten und die der Interpretation der Befunde ein sicheres Fundament verleihen können. Verschiedenartig sind auch die Designs, Erhebungsverfahren und Auswertungsstrategien der Untersuchungen.

Eine weitere Schwierigkeit für einen Rückblick ergibt sich daraus, dass die zentralen Begriffe „Jugend“ und „Sport“ keine Konstanten darstellen, sondern seit den 1980er Jahren zum Teil gravierende Bedeutungsveränderungen erfahren (haben). Destandardisierungs- und Individualisierungsprozesse haben dazu geführt, dass die Lebensphase Jugend statt durch Homogenität und weitgehend vorgespurte Entwicklungslinien durch vielfältige juvenile Lebensformen charakterisiert ist. Wandlungen hat auch die jugendliche Sportkultur erfahren. Nach wie vor nimmt das Sporttreiben in der Freizeit der Jugendlichen einen hohen Stellenwert ein und stellt ein prägendes Element ihrer Lebenswelten und Lebensstile dar. Jedoch weist das jugendliche Sportengagement zwischen Vereinssport und informellem Sporttreiben vielfältige Formen und Ausprägungen auf, die in der Wahrnehmung der Heranwachsenden nicht als konkurrierend, sondern als sich gegenseitig beeinflussend und ergänzend wahrgenommen werden. Auch erklärte Vereinssportler und -sportlerinnen sehen sich bei der Gestaltung ihres Sportengagements nicht mehr ausschließlich in der Rolle aktiver Teilnehmender am langfristig geplanten und geregelten Übungs- und Wettkampfbetrieb, sondern zunehmend auch in der Rolle engagierter Klienten, die längerfristige Bindung scheuen und es bevorzugen, Verein und Sportart spontan wechseln zu können.

Die Forschungsübersicht zum sportlichen Vereinsalltag der Heranwachsenden beginnt mit der Darstellung der querschnittlich angelegten und deskriptiv verfahrenden Untersuchungen, bevor die längsschnittlichen Wirkungsstudien mit ihren Befunden zum kausalen Zusammenhang zwischen Sportengagement und Persönlichkeitsentwicklung in den Vordergrund rücken. Danach erfolgt die Vorstellung der Untersuchungen zum Nachwuchsleistungssport und der mit der dualen Karriere verbundenen Doppelbelastung durch Schule und Training. Überlegungen zur zukünftigen Entwicklung des Jugendsports mit möglichen Forschungsfragen schließen den Überblick ab.

Beschränkungen des Beitragsumfangs führen dazu, dass – neben systematischen Überblicksdarstellungen – ausschließlich groß angelegte Querschnitt- und Längsschnittstudien und als richtungsweisend anzusehende Einzelstudien zu den genannten Forschungsfeldern in die Analyse einbezogen werden, während weitere wichtige themenbezogene Einzeluntersuchungen unberücksichtigt bleiben. Ausgeschlossen von der Analyse bleiben ferner Studien, die sich – wie etwa die regelmäßig erscheinenden Sportentwicklungsberichte der Kölner Gruppe um Breuer (z. B. Breuer 2017) oder die gesundheitlich orientierten KiGGS-Studien des Robert Koch-Instituts (z. B. Finger et al. 2018) – eher randständig mit Fragen des Jugendsports und seinem Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung befassen. Ebenfalls in den Überblick nicht einbezogen werden Interventionsstudien und Untersuchungen, die sich der Jugendarbeit im Sportverein unter dem Aspekt non-formaler Bildung, des informellen Lernens oder der Ressourcenstärkung widmen. Insofern sind die Ausführungen notwendigerweise selektiv und auch lückenhaft.

Der Überblicksbeitrag ist als narratives Review konzipiert. Als Datenbasis für die Literaturanalyse dienten die einschlägigen Recherchesysteme. Gleichwohl ist die Auswahl der Studien wie auch ihre Wahrnehmung als richtungsweisend oder Meilensteine der Jugendsportforschung subjektiv. Diese Subjektivität wurde dem Verfasser ausdrücklich zugestanden.

Shell Jugendstudien – Ausgangspunkt und Wegweiser für die sportwissenschaftlich orientierte Jugendsportforschung

Den Beginn der Jugendforschung im Westdeutschland der Nachkriegszeit markieren die beiden auf Emnid-Daten basierenden Ausführungen von Schelsky über die „Skeptische Generation“ (1957) und Blüchers Gesellschaftsanalyse der „Generation der Unbefangenen“ (1966). In beiden quantitativ orientierten Studien wird auch das Sportengagement der Jugendlichen randständig thematisiert. Bei Schelsky ist Sport Vereinssport, dessen Potenzial zur Ausprägung jugendlicher Individualität, Konformität und Nivellierung sozialer Unterschiede sowie zur Reproduktion der Arbeitskraft herausgestellt wird. Bei Blücher gilt Sport als die Summe institutionalisierter Sportarten. Das konservative Sportverständnis schließt aus, die Ausübung von Sportarten als Symbol des Aufbruchs der jungen Generation in die Moderne zu deuten. Dagegen wird das nicht dem Sport zugehörige Tanzen mit seinen Attributen des Lässigen und Unbeschwerten als Ausdruck eines freizeitorientierten jugendlichen Lebensstils und neuen Lebensgefühls interpretiert.

In den Jugendstudien der 1970er Jahre rückten gesellschaftspolitische Themen in den Vordergrund; Freizeitaktivitäten und Sportengagement hatten in diesem Kontext keinen Platz. Als Untersuchungsgegenstand profitierte der Sport von der in den Shell Jugendstudien der 1980er Jahre grundlegend neu ausgerichteten Jugendforschung. Es ging nicht mehr um die Aufdeckung objektiver Strukturen jugendlicher Lebenswelten, sondern erstmalig um deren subjektive Wahrnehmung und Deutung durch die Jugendlichen selbst. Auf methodologischer Ebene entspricht diese Umorientierung einer Hinwendung zu qualitativen Verfahren als Ergänzung zur quantitativen Datengewinnung. Es zeigte sich eine allmähliche Auflösung des im Umkreis der Protestbewegungen vorherrschenden „unsportlichen Körperbildes“ und ein allmählicher Abbau der „Sportfeindlichkeit“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1982, S. 257). Sport und Sportlichkeit wurden wieder zum Thema. In der Studie von 1985 (Jugendwerk der Deutschen Shell 1985) wurden nicht nur das vielfältige Sportengagement von den vereinsorganisierten traditionellen Sportarten bis zu dem in Szenen stattfindenden informellen Sportaktivitäten in den Blick genommen, sondern auch die verschiedenen Formen der Körperstilisierung (Fuchs und Fischer 1989). Sportaktivitäten und Körperpraktiken wurden mit jugendlichen Lebensstilen in Verbindung gebracht und ergaben konfigurale Zusammenhänge.

Nach dem Mauerfall standen die Hoffnungen und Ängste, die gesellschaftlichen Orientierungen und Zukunftsentwürfe der jungen Menschen im wiedervereinten Deutschland im Fokus der Aufmerksamkeit. In den Shell Jugendstudien 1992 und 1997 tauchte der Sport im Kontext der Freizeitpräferenzen zwar auf, erfuhr aber keine weitere analytische Beachtung.

In den Shell Jugendstudien des neuen Jahrtausends, die das Bild einer „pragmatischen Generation“ zeichnen, gilt Freizeit als frei disponible und weitgehend selbstbestimmte Zeit und dient der jungen Generation als „Labor der Selbsterfahrung“ (Albert et al. 2010, S. 80), in dem auch für Sport- und Bewegungsaktivitäten Platz ist. Bedeutung gewinnt vor allem das medial vermittelte Körperideal. Für weibliche Jugendliche heißt körperliche Attraktivität vor allem schlank und sexy, für ihre männlichen Counterparts in erster Linie sportlich und muskulös zu sein (Fuchs und Fischer 1989). Neben den vielfältigen Formen des Sportengagements und der Körperstilisierung ist der Organisationsgrad der in Sportvereinen engagierten Jugendlichen wiederkehrendes Thema in den Shell Studien. Zeitreihenanalysen zeigen, dass der Partizipationsgrad von den 1950er Jahren bis zum Ausgang des Jahrhunderts kontinuierlich ansteigt, um dann auf hohem Niveau zu stagnieren. In der Zeit von der Wiedervereinigung bis heute ergibt sich für den vereinsgebundenen Sport eine (geringe) Zunahme, während der informelle Sport einen (leichten) Rückgang erfährt (Albert et al. 2015, S. 113–114), wobei begriffliche Unschärfen die Interpretation der Ergebnisse erschweren.

Trotz einiger Vorläufer in der Sportwissenschaft sind es die Shell Jugendstudien der 1980er Jahre, die für die sportwissenschaftliche Jugendsportforschung in inhaltlicher und methodischer Ausrichtung die entscheidende Wegweiserfunktion ausgeübt haben (Brettschneider et al. 1989a, 1989b).

Vereinsgebundener Jugendsport – die Vermessung der Hauptparzelle

Nach ihren liebsten Freizeitbeschäftigungen gefragt, nennen Jugendliche mehrheitlich das Sporttreiben im Verein. Realistisch ist die Annahme, dass die Hälfte der männlichen und ein gutes Drittel der weiblichen Jugendlichen im Sportverein aktiv sind (zusammenfassend Breuer et al. 2015; Burrmann und Mutz 2017; Abb. 1). Assoziiert wird der organisierte Jugendsport – nicht nur in Deutschland – mit einer Vielzahl körperlicher, mentaler und sozialer Vorzüge. Ihm wohnen – so die gängige, zum Topos geronnene Annahme – Qualitäten inne, die auf die individuelle Entwicklung im Jugendalter wie auch auf die Entwicklung der Gesellschaft positiv einwirken (Holt 2016). So werden für den Bereich der Persönlichkeitsentwicklung etwa Verbindungen zwischen sportlicher Kompetenz und Selbstbewusstsein, sozialer Kohäsion oder Stressresistenz hergestellt. Der gesellschaftliche Nutzen und die gemeinwohldienende Funktion des Sports im Jugendalter werden vor allem hinsichtlich seiner suchtpräventiven, Gewalt mindernden oder integrativen Wirkweise angenommen – ein Narrativ, das sich in der sportpolitischen und allgemeinen Öffentlichkeit großer Beliebtheit erfreut und zugleich einen populären Rahmen für die Konzipierung und Implementierung von Sportprogrammen für die junge Generation bildet (Coakley 2016; Weiss 2016).

Surveys zum Jugendsport

Den Sport im Alltag der Jugendlichen zu beleuchten und die vermuteten Zusammenhänge zwischen Sportengagement und vor allem individueller Entwicklung zu untersuchen, ist das zentrale Anliegen der sportbezogenen Jugendstudien der 1990er Jahre.

Die für Nordrhein-Westfalen repräsentative Studie von Brettscheider und Bräutigam (1990) zielt mit Hilfe eines Methodenmix aus Fragebogenerhebung, qualitativen Interviews und teilnehmender Beobachtung auf die Erfassung des jugendlichen Sportengagements und dessen Bedeutung als wichtiger Lebensbereich im Kontext jugendlicher Alltagswelten. Dabei wird neben dem vereinsgebundenen auch der selbstorganisierte Sport in den Blick genommen – allerdings ohne sich des Labels „informell“ gezielt zu bedienen. Sowohl im quantitativen wie auch im qualitativen Teil der Untersuchung wird deutlich, dass mit den sportiven Praxen in den verschiedenen sozialen Settings auch variierende Orientierungsmuster verbunden sind. Die Analyse des subjektiven Sportverständnisses der Jugendlichen zeigt unmissverständlich auf, dass Sport für die Heranwachsenden mehr ist als nur die Summe institutionalisierter Sportarten. Was junge Menschen unter Sport verstehen, variiert interindividuell, ist in starkem Maße kontext- und situationsabhängig und verändert sich sowohl im Laufe der individuellen Entwicklung als auch im zeithistorischen Verlauf, wie Vergleiche mit früheren Untersuchungen ergeben (Burrmann 2005b; Sack 1989; Zinnecker 1989). Desgleichen kann aufgezeigt werden, wie Selbst- und Körperkonzept und auch das Gesundheitsbewusstsein in Abhängigkeit von ihrem sportlichen Engagement und soziobiografischen Variablen, vor allem des Geschlechts, Konturen annehmen. Mit Hilfe von Clusteranalysen wird eine Typologie von Lebensstilen erstellt, in der die unterschiedlichen Körper- und Sportkonzepte wichtige figurierende Elemente darstellen. Die auf der Basis von Daten aus qualitativen Interviews identifizierten Sportlertypen weisen große Ähnlichkeiten zu den quantitativ ermittelten Lebensstil-Typen auf. Ihre theoretische Rahmung erhält die Studie durch die Leitfigur der Körper- und Sportkarriere von Baur (1989), die auf dem sozialisationstheoretischen Fundament von Hurrelmann (1983) basiert. Sie wird ergänzt durch weiterführende Untersuchungen auf der Basis eigener Erhebungsdaten und zusätzlich weiterer Datensätze (Bräutigam 1993; Baur und Brettschneider 1994) wie auch durch interkulturell vergleichende Studien (Brandl-Bredenbeck 1999; Hofmann 2008).

Erweitert um die Zielgruppe der Kinder, richtet die Bielefelder Arbeitsgruppe um Kurz et al. (1996) neben einer Analyse des Sportengagements in der jugendlichen Freizeit den Fokus auf den vereinsorganisierten Sport und erweitert den Erkenntnisstand hinsichtlich der Bedingungen für eine längerfristige Vereinsbindung, der Gründe für einen Austritt aus dem Verein und eine prinzipielle Vereinsabstinenz sowie der Übernahme der Rolle des Übungsleiters beträchtlich. Untersuchungen zum Zusammenhang von sportlicher Aktivität im Verein und Selbstkonzept, weiteren personalen Ressourcen, sozialer Unterstützung und Gesundheitsverhalten ergeben positive Korrelationen. Der ursprüngliche Mangel der Studie, nämlich ohne fundierte theoretische Rahmenkonzeption zu operieren, wird nachträglich durch den der Habilitationsschrift von Brinkhoff (1998) zugrundeliegenden sozialisations- und stresstheoretisch begründeten Bezugsrahmen sowie eine Anzahl begleitender, ebenfalls theoretisch fundierter Dissertationen behoben. So untersuchen Menze-Sonneck (1998) jugendliche Vereinskarrieren unter geschlechtsspezifischer Perspektive, Sygusch (2000) das Gesundheitsverhalten, Endrikat (2001) den Zusammenhang von Sport und Identitätsbildung, Tietjens (2001) die Funktion des Sports im Kontext sozialen Rückhalts und Gogoll (2004) die Rolle sportlicher Aktivität im Beziehungsgeflecht von Gesundheit und Stress.

In einer die Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg vergleichenden Anschlussuntersuchung werden viele der vorliegenden Befunde bestätigt oder aber sie verweisen auf die Notwendigkeit einer länderspezifischen Differenzierung. Was den ebenfalls untersuchten Zusammenhang von Sportengagement und Persönlichkeitsentwicklung angeht, belegen die Ergebnisse – wie in der Studie zuvor – ein stärkeres Selbstwertgefühl und eine bessere soziale Einbindung seitens jugendlicher Sportler und Sportlerinnen, ohne jedoch sagen zu können, ob die Befunde sozialisations- oder selektionsbedingt sind.

Sozialisationstheoretisch gerahmt sowie thematisch und methodisch ähnlich ausgerichtet wie die zuvor genannten Studien geht die Potsdamer Gruppe um Baur vor (Baur und Burrmann 2000; Burrmann 2005a, 2005b). In einer Reihe aufeinander bezogener Untersuchungen bildet die Forschungsgruppe die Sportvereinslandschaft in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung in detaillierter Weise ab und lässt dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Freizeitverhalten west- und ostdeutscher Jugendlicher deutlich werden. So zeigt sich eine große Übereinstimmung zwischen beiden Gruppen hinsichtlich der Bedeutsamkeit des Sports im Alltag der Jugendlichen; gleichzeitig spiegeln Beteiligungsraten und Sportinteressen die auch nach der Wende noch bestehenden strukturellen Unterschiede im organisierten Sport der beiden Teile Deutschlands wider – mit starker Benachteiligung der Heranwachsenden in ländlichen Regionen infolge mangelnder sportlicher Infrastruktur wie auch generell der weiblichen Jugend. Zugleich werden die erhobenen Daten dazu genutzt, Zusammenhänge zwischen Sportengagement und verschiedenen Dimensionen der Persönlichkeitsentwicklung zu untersuchen und positive Korrelationen zwischen den Variablen zu ermitteln.

Mit einigen wenigen zusätzlichen Befunden gelangt die ebenfalls querschnittlich und quantitativ angelegte MediKuS-Studie, die hinsichtlich ihrer theoretischen Fundierung der Interessentheorie verpflichtet ist, 20 Jahre später zu Ergebnissen, die denen der zuvor analysierten Studien weitgehend entsprechen (Braumeister 2016; Grgic und Züchner 2013; Züchner 2014). Sie bestätigt den konstant hohen Grad sportlicher Aktivität im Jugendalter und betont die Bedeutung vor allem des vereinsgebundenen Sports als wichtigen Lebensbereich, in den viel Engagement und Zeit investiert wird (Abb. 2). Der mit zunehmendem Alter auftretende Bedeutungsgewinn des informellen Sports mit seinen vielfältigen Handlungsfeldern manifestiert sich zumeist in Kombination mit dem Sport im Verein. Neu sind die Daten zur Nutzung des Internets und der sozialen Medien, die vor allem Informations- und Unterhaltungszwecken in Sachen Sport dienen. Die ermittelten Befunde erlauben vor dem Hintergrund der als Grundlage beanspruchten Interessentheorie die Feststellung, dass vor allem für die subjektiv bedeutsamsten sportlichen Aktivitäten der Jugendlichen eine hohe intrinsische Motivation vorliegt.

Basierend auf einem differenziert entfalteten sozialisationstheoretischen Konzept geht Mutz (2012) in seiner Sekundäranalyse des Datensatzes der nationalen Ergänzungserhebung der PISA-Daten einen inhaltlich und methodisch neuen Weg. Die Stichprobe ist – im Unterschied zu den länderspezifischen Erhebungen – repräsentativ für alle 15-Jährigen in Deutschland und stellt die Gruppe der jugendlichen Migranten in den Fokus. Hohe Fallzahlen und die Kontrolle wichtiger Drittvariablen ermöglichen den Nachweis robuster Korrelationen zwischen Sportengagements und Sozialisationsindikatoren, die von Mutz vorsichtig und auf Plausibilitätsebene als Effekte des Sporttreibens gedeutet werden.

Die differenzierten Analysen weisen für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund ähnlich hohe Partizipationsraten aus wie für deutsche Heranwachsende, mit allerdings großen Unterschieden zwischen den Geschlechtern zum Nachteil der weiblichen Jugendlichen. Der Zugang zum Sportverein fällt Migrantinnen und Migranten relativ schwer, wohingegen sich die schulischen Sportarbeitsgemeinschaften als ausgesprochen inklusiv erweisen. Die Leistungen des organisierten Sports als „Integrationsmotor“ stellen sich – so das Fazit – als überschätzt dar. Der sportspezifische Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Zugewanderten und ihre Integration in die Gesellschaft erweist sich als unerheblich; Integrationsvorteile der im Vereinssport Engagierten sind nicht erkennbar (Abb. 3).

Längsschnittlich angelegte Wirkungsstudien zum jugendlichen Vereinssport

So differenziert die Survey-Ergebnisse zum jugendlichen Sportengagement auch sind, das querschnittlich angelegte Untersuchungsdesign schließt statistisch gesicherte Aussagen über mögliche echte Effekte des Sporttreibens auf die Persönlichkeitsentwicklung oder für das Gemeinwohl aus. Prospektive Längsschnittuntersuchungen über einen längeren Zeitraum sind das Gebot und markieren einen Trend in der sportbezogenen Jugendforschung nach der Jahrtausendwende.

Die Untersuchungen von Brettschneider und Kleine (2002) sowie Gerlach und Brettschneider (2013), denen eine sozialisationstheoretisch fundierte Rahmenkonzeption zugrunde liegt, bestätigen auch in längsschnittlicher Perspektive die vorliegenden Ergebnisse zur Sportpartizipation von Heranwachsenden im Verein. Analysen des Fluktuationsverhaltens der Sportvereinsjugendlichen zeigen eine Verlustquote, die im Verlauf der Vereinskarriere durch Einsteiger zum Teil kompensiert wird.

In der Studie von Brettschneider und Kleine (2002) kann ein Einfluss der sportlichen Aktivität im Verein auf die jugendliche Persönlichkeitsentwicklung weder im sozialen noch im emotionalen Bereich nachgewiesen werden. Und auch das Körperkonzept mit den Facetten der sportlichen Leistungsfähigkeit und körperlichen Attraktivität profitiert kaum vom Engagement im Sportverein. Eine moderate Wirkung des Sportengagements kann für die Ausprägung des Selbstwertgefühls nachgewiesen werden, während die Suche nach Effekten des vereinsgebundenen Jugendsports auf psychosomatische Beschwerden ergebnisarm verläuft. Als Präventionsinstrument gegen Gewalt (Hofmann 2008) und Alkoholkonsum erweist sich der organisierte Sport wirkungslos. Dagegen ist seine Schutzwirkung gegenüber dem Rauchen signifikant (Brandl-Bredenbeck 2006). Insgesamt sind die Ergebnisse zu den Effekten des vereinsgebundenen Sports auf die Persönlichkeitsdimensionen und Verhaltensmuster der Jugendlichen – gemessen an den Erwartungen der Sportorganisationen – als ernüchternd einzustufen. Die zentralen Ergebnisse werden in der Nachfolgestudie von Gerlach und Brettschneider (2013, 2018), in der die Probandinnen und Probanden über zehn Jahre von der Kindheit bis in die Adoleszenz begleitet werden, in zum Teil differenzierterer Weise bestätigt und um Befunde erweitert, die dem vereinsgebundenen Sportengagement die Funktion einer äußerst wirksamen sozialen Ressource im Prozess der Bewältigung krisenhafter Lebenssituationen zuschreiben.

Zeitlich zwischen den beiden zuvor dargestellten Studien platziert sind Untersuchungen zum Sportverhalten im Kontext jugendlichen Freizeitengagements, die dem Brandenburger Längsschnitt (1998–2002) zuzuordnen sind (Burrmann 2005b). Die für dieses Bundesland ermittelten Beteiligungsquoten sind nicht so hoch wie die in Westdeutschland, signalisieren aber gleichwohl einen hohen Aktivitätsgrad und Stellenwert des vereinsgebundenen Sports in der Freizeit der ostdeutschen Jugendlichen. Wie schon in den zuvor dargestellten Studien zeigt sich auch im Brandenburger Längsschnitt keine Konkurrenz zwischen dem mit Verpflichtungen verbundenen Jugendsport im Verein und dem durch weniger Verbindlichkeiten charakterisierten informellen Sport. Was die Sozialisationskraft sportlicher Aktivitäten angeht, so werden – wenn überhaupt – insgesamt geringe Effekte vor allem für männliche Jugendliche hinsichtlich des leistungsbezogenen Körperbildes wie auch des sozialen Selbstbildes ermittelt.

Unabhängig von der Größe der Stichprobe und dem methodischen Instrumentarium geht es in den dargestellten Längsschnittstudien darum, ob und in welcher Weise das Sporttreiben für die Persönlichkeitsentwicklung von Heranwachsenden entwicklungswirksam ist. Die gefundenen Ergebnisse erlauben Aussagen zu den Effekten des sportlichen Engagements im Verein und lassen oftmals auch erkennen, ob die erzielten Effekte sozialisations- oder selektionsbedingt sind oder sich wechselseitig bedingen (was zumeist der Fall ist).

Eine vom bisherigen quantitativen Design abweichende und originelle Zugangsweise wählt Bindel (2015) für seine ebenfalls längsschnittlich angelegte und nach Wirkungen des sportlichen Engagements suchende nicht-repräsentative Studie. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung, die sich der ethnografischen Methode und qualitativer Interviews bedient, stehen sportliche Multiplayer, die zu einem hohen Grad dem vereinsorganisierten Sport verbunden sind. Gestützt auf die philosophisch und sozialwissenschaftlich hergeleiteten Begriffe Bedeutung und Bedeutsamkeit zeigt er im Interviewlängsschnitt auf, in welchem Maße vor allem subjektiv bedeutsame vereinsorganisierte Sportaktivitäten Jugendlichen eine wirksame Orientierungshilfe für die Entwicklung der eigenen Identität und Ordnung für die Lebensführung bieten können.

Zusätzlich zum Erkenntnisgewinn durch die gewonnenen Befunde lässt diese Studie mit ihren normativen Implikationen erkennen, in welchem Maße eine Kombination von repräsentativen quantitativ ausgerichteten Studien und Untersuchungen im qualitativen Längsschnitt, deren Stichprobenzusammensetzung durch theoretical sampling erfolgt, den Erkenntnisstand zur Wirksamkeit sportiver Praxen auf die jugendliche Persönlichkeitsentwicklung bereichern könnte.

Die dominierende theoretische Grundlage der Surveys der 1990er Jahre ist die Sozialisationstheorie im Sinne Hurrelmanns (1983), die vor allem von Baur (1989) und später von Brinkhoff (1998) auf den Sport übertragen wurde. Ausgehend von der Kernannahme einer handlungsvermittelten Person-Umwelt-Transaktion wird Sozialisation als Prozess der Persönlichkeitsentwicklung verstanden, die sich in der aktiven Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Lebenswelt vollzieht. Das Individuum ist in seiner Entwicklung weder dem Ablauf biogenetischer Programme noch den sozialisatorischen Einflüssen ausgeliefert. Vielmehr hat das Individuum beträchtlichen Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Biografie (vgl. Baur 1989; Bauer und Hurrelmann 2016). Diese Kernannahmen erklären die Attraktivität der Sozialisationstheorie auch für die sportbezogene Jugendforschung – und zwar in dreifacher Hinsicht: Unter der Perspektive Sozialisation zum Sport geht es um die Untersuchung des Einflusses der Lebensbedingungen auf die Teilhabe an der jugendlichen Sportkultur. Unter der Perspektive Sozialisation im Sport geht es um die Entwicklung sportlicher Kompetenzen, und die Perspektive Sozialisation durch Sport rückt die Frage der Wirksamkeit sportlicher Aktivitäten auf die Entwicklung jugendlicher Persönlichkeit in den Aufmerksamkeitshorizont (vgl. Sygusch et al. 2009).

Bilanziert man die Ergebnisse der bisher vorgestellten quantitativ ausgerichteten Quer- und Längsschnittuntersuchungen zum vereinsgebundenen Jugendsport, so ergeben sich von den 1990er Jahren bis heute hinsichtlich der Verbreitung und subjektiven Bedeutsamkeit des vereinsorganisierten Sporttreibens der Jugendlichen kaum nennenswerte Unterschiede. Das Spektrum der sportlichen Aktivitäten hat sich erweitert, das ihnen zugrundeliegende Motivbündel erweist sich dagegen als relativ stabil – bei leichten Veränderungen in der Prioritätenliste der Orientierungen. Ebenfalls unverändert ist die Bedeutung der soziodemografischen Merkmale Alter, Geschlecht, Bildung, Elternhaus und Migrationshintergrund als Prädiktoren des jugendlichen Sportengagements geblieben.

Antworten auf Fragen nach der Wirksamkeit sportlichen Engagements auf die jugendliche Persönlichkeitsentwicklung werden durch die Befunde von Längsschnittuntersuchungen über einen längeren Zeitraum möglich. Sie relativieren die gelegentlich vorschnell als Effekte sportlicher Aktivität auf Persönlichkeitsdimensionen interpretierten querschnittlich ermittelten korrelativen Zusammenhänge, in denen sich junge Sportler und Sportlerinnen als selbstbewusster, emotional ausgeglichener, sozial eingebundener und auch stressresistenter als ihre altersgleichen Counterparts erweisen. Die längsschnittlich angelegten Wirkungsstudien zeigen – im Übrigen in Übereinstimmung mit den meisten internationalen Studien – für aktive Sportler und Sportlerinnen im Vergleich zu ihren nicht-sportlichen Altersgleichen kaum durch Sportengagement erklärbare Entwicklungsvorteile.

Nun sind die Befunde der Längsschnittstudien hinsichtlich der Tragweite ihrer Ergebnisse insofern zu relativieren, als die für das Zustandekommen der Ergebnisse wichtigen, breit variierenden kontextualen Bedingungen weder im Detail erfasst wurden noch verallgemeinerbar sind. Diese Einschränkung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit den repräsentativen und längsschnittlich angelegten Wirkungsstudien und ihren evidenzbasierten Befunden ein qualitativer Sprung in der sportbezogenen Jugendforschung erreicht wurde.

Jugendlicher Leistungssport als Untersuchungsgegenstand

Im Rahmen des vereinsgebundenen Sportengagements übt die wettkampf- und leistungsorientierte Sportkarriere nicht nur Faszination auf ambitionierte Jugendliche aus, sondern erweist sich zugleich als ein attraktives Feld für wissenschaftliche Untersuchungen. Die Überblicksbeiträge von Heim und Richartz (2003) sowie von Güllich und Richartz (2015) gewähren mit Bezug auf vorliegende Einzelstudien einen Einblick in die verschiedenen Stationen der jugendlichen Leistungssportkarriere wie auch in die Organisationsstrukturen des Nachwuchsleistungssports und Anforderungsprofile der einzelnen Sportarten. Herausgestellt werden die Risiken, die mit den hohen Anforderungen des sportlichen Leistungstrainings im Jugendalter verbunden sind. An erster Stelle finden sich Verletzungen und damit verbundene Schmerzen, die nicht selten von den Athletinnen und Athleten selbst, aber auch vom Trainingspersonal bagatellisiert werden. Der ständige Konkurrenzkampf kann zu Schlaf- und Essstörungen wie auch zu psychosomatischen Beschwerden und in Folge auch zum Konsum von Drogen, Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln führen. Wie Sallen (2017) in seiner Dissertation aufzeigen kann, leben Nachwuchsleistungssportlerinnen und -sportler hinsichtlich ihres Tabak‑, Alkohol- und Cannabiskonsums keineswegs abstinenter als die altersgleiche Allgemeinbevölkerung. Dagegen ist Medikamentenmissbrauch eine Besonderheit des jugendlichen Leistungssports. Die Einnahme von Schmerzmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln ist bei vielen jungen Leistungssportlern und ‑sportlerinnen zur unreflektierten Routine geworden.

Als weiteres Risiko für die jugendliche Entwicklung wird chronischer Stress identifiziert, der als Resultat wachsender Anforderungen in der Schule und zeitgleich steigender Trainingsanforderungen zu gelten hat. Er scheint aber dann beherrschbar zu sein, wenn auf geeignete Ressourcen zurückgegriffen werden kann (Breithecker 2018; Brinkhoff 1998; Güllich und Richartz 2015). Bei einer breiten Streuung der ermittelten Stresswerte für junge Leistungssportler und -sportlerinnen lassen sich signifikante Zusammenhänge zwischen Trainingsumfängen und Belastungserleben nicht feststellen, wohl aber eine schwach ausgeprägte Korrelation zwischen schulischen Anforderungen und chronischem Stress (Richartz und Sallen 2017).

Leistungssportliches Engagement im Jugendalter stellt nicht nur ein Risiko für die Gesundheit dar, sondern auch für die Bildungskarriere. Um dieses Risiko zu mindern, wurden in den 1990er Jahren Verbundsysteme entwickelt, die eine Verknüpfung von Schul- und Leistungssportkarriere ermöglichen sollten. Die vorliegenden Studien im Quer- und Längsschnitt – mal quantitativ und im cross-lagged-panel Design angelegt, mal qualitativ ausgerichtet – sind durchgängig an Schulen dieses Typs durchgeführt worden.

Anhand der verfolgten Zielrichtung und dem Grad der zugrundeliegenden pädagogischen Orientierung und Normativität lassen sich die vorliegenden Studien in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe rückt die individuelle Entwicklung von jugendlichen Leistungssportlern und -sportlerinnen in den Fokus und sucht im Interesse von Bildungsabschluss und sportlichem Erfolg nach Verbesserungsmöglichkeiten der organisatorischen Rahmenbedingungen wie auch der Unterstützungs- und Fördermaßnahmen. Erkennbar wird die – stärker durch Schule als durch Training – evozierte Doppelbelastung (Brettschneider und Klimek 1998). Es zeigt sich aber auch die Chance, diese mit Hilfe der verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen bewältigen zu können, wobei sich die intellektuelle Kompetenz, Eltern, Freunde und auch Lehrer als besonders effektive Unterstützungsquellen erweisen, während sich die Unterstützung durch das Trainingspersonal als weniger hilfreich herausstellt. Stärker pädagogisch orientiert sind die im Umfeld dieser Panel-Studie entstandenen Untersuchungen von Richartz und Brettschneider (1996), Richartz (2000) und Heim (2002). Die beiden erstgenannten Untersuchungen befassen sich schwerpunktmäßig mit der aus der dualen Karriere von Schule und Leistungssport resultierenden Doppelbelastung, einschließlich der beanspruchten Verarbeitungsmechanismen und Bewältigungsstrategien. Wie die objektiv messbare Belastung subjektiv wahrgenommen wird, hängt zum einen davon ab, ob die Athletinnen und Athleten mit dem Sinn und Ziel der Anforderungen einverstanden sind oder diese als fremdbestimmt und von außen kontrolliert wahrgenommen werden. Zum anderen wird die Ausprägung des subjektiven Stressempfindens von der Quantität und Qualität der unterstützenden personalen und sozialen Ressourcen bestimmt.

Heim (2002) stellt die Sozialisation und Entwicklung des Selbstkonzeptes jugendlicher Athleten und Athletinnen in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Hinsichtlich der Auswirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung lassen sich die gewonnenen Befunde insgesamt weder durchgängig im Sinne negativer noch im Sinne positiver Effekte leistungssportlichen Engagements interpretieren, ein Ergebnis, das in einer aktuellen Untersuchung zu Selbstkonzeptentwicklung und chronischem Stress bei Schülerinnen und Schülern einer Sportschule in Nordrhein-Westfalen von Breithecker (2018) in bemerkenswerter Weise bestätigt wird.

In der zweiten Gruppe werden die Ergebnisse der Studien explizit mit normativen Forderungen verbunden. Die in dezidiert pädagogischer Perspektive erstellten Studien von Prohl und Elflein (1996) und Stiller (2017) basieren auf empirischen Daten, die an der Schülerschaft von sportorientierten Schulen gewonnen wurden und den Ausgangspunkt für Forderungen nach einer tiefgreifenden vor allem inhaltlichen Reform des Schulkonzepts bilden. Gestützt auf querschnittlich ermittelte Ergebnisse von Interviews mit Schülern und Schülerinnen einer sportbetonten Schule in Thüringen setzen sich Prohl und Elflein kritisch mit den weitgehend auf organisatorischer Ebene ergriffenen Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung der leistungssporttreibenden Schülerschaft auseinander und sehen die schulischen Maßnahmen zu stark der dominierenden Leitidee der Effizienzsteigerung verpflichtet und zu einseitig an der Zielgröße sportlicher Erfolg ausgerichtet. Ihre Forderung lautet, dem Bildungsgedanken wie auch der selbstbestimmten Lebensführung des leistungssportlichen Nachwuchses mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Unterstützungsmaßnahmen stärker in Richtung allgemeiner Bildungsprozesse zu lenken. Von Stiller (2017) wird dieser Gedanke auf der Basis stringent entfalteter anthropologischer und bildungstheoretischer Überlegungen sowie längsschnittlicher Interviewdaten weiterentwickelt. Gewonnen werden die Daten zum einen in einer Gruppe von Leistungssport treibenden Schülern und Schülerinnen einer Eliteschule des Sports und zum anderen in einer Gruppe von erwachsenen Spitzensporttreibenden auf nationalem und internationalem Niveau, die ehemals Schülerinnen und Schüler im „Verbundsystem Schule und Leistungssport“ waren. In der Verbindung mit theoretisch hergeleiteten Postulaten bilden diese Befunde die argumentative Basis für die normative Forderung nach der Realisierung eines Dreifachauftrages an den Eliteschulen des Sports. Dieser sieht die dem humanistischen Bildungsideal verpflichtete Persönlichkeitsentwicklung als Bindeglied zwischen den synergetisch aufeinander bezogenen schulischen und spitzensportlichen Zielen.

Waren die bisher dargestellten Studien implizit oder explizit in pädagogischer Perspektive erstellt, so spielen pädagogische Forderungen in den Untersuchungen der dritten Gruppe eine eher untergeordnete beziehungsweise gar keine Rolle. Durchgeführt wurden sie im Rahmen einer Totalerhebung an den Eliteschulen des Sports in Brandenburg (Borchert 2013) beziehungsweise prototypisch ausgewählten nordrhein-westfälischen Schulen im Rahmen des „Verbundsystems Schule – Leistungssport“ (Teubert et al. 2006). Beide Studien setzen sich mit der dualen Karriere auseinander und argumentieren auf der Basis systemtheoretischer Überlegungen. Bei Borchert (2013) geschieht dies über einen akteurtheoretisch rekonstruierten Ansatz der Systemtheorie (der pädagogische Implikationen zulässt). Die duale Karriere wird im Sinne einer Koevolution eines allgemeinbildenden und spezialbildenden Bildungsgangs interpretiert, in dessen Rahmen eine Passung zwischen institutionellen Vorgaben und individuellen Vorstellungen zu erfolgen hat. Wie das geschehen kann, wird am Beispiel von ergriffenen Maßnahmen zur sozialen Unterstützung aufgezeigt. Die Untersuchung von Teubert et al. (2006) basiert ebenfalls auf systemtheoretischen Überlegungen – allerdings in einer puristischen Ausprägung. Als Leitlinie gilt, dass eine strukturelle Kopplung der beiden durch divergierende Handlungsrationalitäten gekennzeichneten Systeme Schule und Leistungssport auf einer inhaltlichen Ebene ausgeschlossen ist, wohingegen Angleichungen der beiden Organisationen auf der Zeit- und Sozialebene möglich sind. Konsequenterweise beziehen sich die ermittelten empirischen Ergebnisse weitgehend auf Maßnahmen zur Koordination der Trainings- und Unterrichtszeiten, der Freistellung zu Wettkämpfen oder der Rekrutierung von Personal. Das nüchterne Fazit der Studie mündet in der Feststellung, dass die Funktionalisierung der schulischen Bildung durch den Leistungssport keineswegs ausgereizt ist und dem Sport in dieser Hinsicht noch vielfältige Optionen und Kapazitäten offenstehen.

Alle Studien zum leistungssportlichen Engagement im Jugendalter haben die duale Karriere und die daraus resultierende Doppelbelastung durch Schule und Training zum Thema. Die erste Gruppe von Studien – sozialisationstheoretisch und/oder am Belastungs-Bewältigungs-Paradigma orientiert – sieht leistungssportliches Engagement im Jugendalter als riskante Chance und sucht nach Möglichkeiten, die beträchtlichen Belastungen mit individuell ausgerichteten und institutionell machbaren Maßnahmen zu bewältigen. Die der zweiten Gruppe zugeordneten Untersuchungen sind anthropologisch und bildungstheoretisch fundiert und normativ orientiert. Ihre theoretischen Überlegungen und empirischen Befunde münden in dem Postulat, neben schulischen und sportlichen Zielen Bildung und Persönlichkeitsentwicklung als Voraussetzung für chancenreiche Lebenswege nicht nur konzeptionell vorzusehen, sondern auch umzusetzen. In der dritten – systemtheoretisch verfahrenden – Gruppe sind zwei Varianten unterscheidbar. Während der akteurtheoretisch akzentuierte Ansatz Platz für pädagogisch begründete Maßnahmen lässt – hier zur Verbesserung der sozialen Unterstützung –, schließt die puristische Variante eine strukturelle Koppelung von Schule und Leistungssport auf der Inhaltsebene kategorisch aus (Abb. 4).

Wohin geht die Entwicklung des vereinsgebundenen Jugendsports und der auf ihn bezogenen Forschung im Kontext beschleunigter Globalisierung?

Soweit der Blick zurück. Und nun der Blick nach vorn.

In welche Richtung sich die vereinssportbezogene Jugendforschung zukünftig entwickelt und welche Schwerpunkte sie setzt, hängt nicht zuletzt von der Beantwortung der Frage ab, ob, in welchem Maße und in welche Richtung die jugendliche Sportkultur in der nächsten Zeit Veränderungen erfährt.

Wer den Versuch unternimmt, Zukunftsszenarien zu entwerfen und Trends für den vereinsgebundenen Jugendsport der kommenden Jahre zu benennen, sollte zumindest zweierlei tun: erstens die Entwicklung des Jugendsports auf internationaler Bühne beobachten. Denn es ist zu vermuten, dass sich im Zeichen des weltumfassenden und allgegenwärtigen Internets und der sozialen Medien, des wachsenden Einflusses der Unterhaltungs- und Sportartikelindustrie sowie internationaler Sponsorentätigkeit beschleunigte Globalisierungsprozesse zeigen, die auch in der Sportkultur der Jugendlichen hierzulande ihre Spuren hinterlassen. Zweitens sollte man sich der facettenreichen Sportlandschaft in Deutschland mit ihrer Besonderheit eines höchst differenzierten Vereinssports und seiner Tradition vergegenwärtigen, um ihn dann einem abwägenden interkulturellen Vergleich mit der internationalen Entwicklung im Jugendsport zu unterziehen.

In der aktuellen internationalen Literatur zum Jugendsport (vgl. u. a. Green und Smith 2016; Wheaton 2010; Jones et al. 2017), die in der deutschen Jugendsportforschung merkwürdigerweise erst ansatzweise rezipiert und diskutiert worden ist, macht derzeit der Begriff „Lifestyle Sport(s)“ Karriere. Als Sammelbegriff für die Symbiose von Sport und Lebensstil zielt er auf ein nicht scharf umrissenes Spektrum von selbst organisierten, mit Thrill, Action und Abenteuer verbundenen Sportaktivitäten in der Stadt und in der Natur, die in einem deutlichen Kontrast und qualitativen Unterschied zum traditionellen, regelgebundenen und institutionalisierten Sport mit seiner Affinität zum Leistungs- und Wettkampfgedanken stehen (Gilchrist und Wheaton 2016). Als typischer informeller und expressiver Lifestyle-Sport gelten zum einen Aktivitäten, die Trendsportarten in unserem Verständnis entsprechen. Zum anderen werden aber zunehmend auch solche sportiven Praxen dem Lifestyle-Sport zugeordnet, die stärker strukturiert sind und auch kommerziell angeboten werden. Die bevorzugten Sportaktivitäten zeichnen sich durch eine ausgeprägte Fitnessorientierung und Körperästhetik aus. Wer im Lifestyle-Sport als Teilnehmender oder Konsument involviert ist, weist in der Regel individualistische und hedonistische Züge auf und stammt aus gut situierten Familien der oberen sozialen Mittelschicht. Geschlechter- und ethnische Grenzen sind markante Kennzeichen, wohingegen die Altersgrenzen verwischen. Auch die deutsche Trendforschung (die im Übrigen mit ihren Prognosen zur Sportentwicklung im Jugendbereich seit den 1980er Jahren fast immer danebenlag), sieht den Lifestyle-Sport als Möglichkeit, flexibel, zeit- und ortsunabhängig und unterstützt durch digitale Medien und entsprechende Wearables etwas für die eigene Fitness und Gesundheit tun zu können (Muntschick et al. 2014). Ob sich die beschriebenen informell-kommerziell orientierten Sporthybride unter der Leitidee Fitness und Körperstilisierung wirklich als Vorboten einer sich wandelnden jugendlichen Sportkultur in Richtung eines globalisierten Lifestyle-Sports interpretieren lassen, wie etwa Bindel (2017) meint, und in welchem Maße sie den Jugendsport in Deutschland tatsächlich verändern werden, bleibt abzuwarten. Neben der bisher nicht zu beantwortenden Frage nach dem Einfluss gesellschaftlicher Wandlungsprozesse in Folge beschleunigter Globalisierung und der damit in Verbindung stehenden Frage nach dem Einfluss des Sports der digitalen Welt (Internet, soziale Medien, YouTube) auf die jugendliche Sportkultur in der realen Welt sind es zumindest drei Argumente, die Skepsis gegenüber der Annahme einer schnellen und bruchlosen Veränderung der Sportkultur der Heranwachsenden in Deutschland in Richtung eines globalen Lifestyle-Sports empfehlen:

Das erste Argument: Das im anglo-amerikanischen Raum vorherrschende Sportsystem kennt als Träger des nicht-kompetitiven Sports im Jugendbereich neben Kommune und Schule den kommerziellen Sport in der beschriebenen Ausprägung. Dagegen bildet in Deutschland nach wie vor der – oft schon totgesagte, aber immer noch mit hohen Partizipationsraten aufwartende – hoch differenzierte vereinsgebundene Sport den Kern des Jugendsports. Dass dieser tatenlos zusieht, wie der Lifestyle-Sport von kommerziellen Anbietern funktional als Beitrag zur aktuellen Lebensstilformation und Fitnesskultur der jungen Leute interpretiert und den Gesetzen des Marktes überantwortet wird, ist kaum vorstellbar.

Das zweite Argument widmet sich der sozialen Ungleichheit, die sich im Lifestyle-Sport auch der Jugendlichen manifestiert und zu einer sozialen Segregation innerhalb des Jugendsports führen könnte. Das Szenario, in dem Heranwachsende aus sozial weniger privilegierten Schichten in die Sportvereine gehen, um an wettkampf- oder breitensportlich orientierten Sportarten teilzunehmen, oder dem Sport gänzlich fernbleiben, wohingegen Jugendliche aus der oberen Mittelschicht den informell-kommerziellen Sport aufsuchen, um etwas für die eigene Fitness, den eigenen Körper und den Status zu tun, scheint ebenfalls wenig realistisch.

Ein drittes Argument fokussiert den Aspekt des lebenslangen Lifestyle-Sporttreibens. Mit Blick auf das Individuum ist es zweifellos attraktiv und wünschenswert, die in der Jugendphase erworbene sportive Identität bis ins Erwachsenen- und Seniorenalter zu bewahren. Aus der Perspektive der Jugendlichen könnten die Weichen anders gestellt werden. Es ist keinesfalls ausgemacht, dass sich Jugendliche sportlich in den Bereichen engagieren, die auch für ergraute Erwachsene zugänglich sind. Ob der Lifetime-Aspekt die Lifestyle-Sportaktivität stärkt oder im Jugendalter eher zur Abwendung führt, bleibt eine offene Frage.

Mit den vorgetragenen Argumenten und gestellten Fragen sind zugleich einige mögliche inhaltliche Schwerpunkte für die zukünftige Jugendsportforschung benannt. Die drängende „Master-Frage“ nach der zukünftigen Entwicklung des Jugendsports ist – auch angesichts der genannten Vorbehalte – derzeit kaum zu beantworten. Viel spricht dafür, dass sich der im Verlauf der letzten Jahrzehnte beobachtbare Prozess der gegenseitigen Beeinflussung der Sportmodelle fortsetzen (Baur und Burrmann 2004) und der vereinsgebundene Jugendsport Tendenzen des informell-kommerziellen Lifestyle-Sports aufgreifen und in der geänderten Form weiterhin den Kern der jugendlichen Sportkultur in Deutschland ausmachen wird.

Viele Fragen zur zukünftigen Entwicklung des Jugendsports und der sportbezogenen Jugendforschung in Deutschland bleiben offen und unbeantwortet. Eins aber ist unstrittig: Der Sport der Jugendlichen wie auch die auf ihn bezogene Forschung bleiben auch in Zukunft spannend.

Abb. 1
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Realistisch ist die Annahme, dass die Hälfte der männlichen und ein gutes Drittel der weiblichen Jugendlichen im Sportverein aktiv sind. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Abb. 2
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Vereinsgebundener Jugendsport, hier Wasserball. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Abb. 3
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Der Zugang zum Sportverein fällt Migrantinnen und Migranten relativ schwer, wohingegen sich die schulischen Sportarbeitsgemeinschaften als ausgesprochen inklusiv erweisen. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)

Abb. 4
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Alle Studien zum leistungssportlichen Engagement im Jugendalter haben die duale Karriere und die daraus resultierende Doppelbelastung durch Schule und Training zum Thema. (Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann)