1 Einleitung

Das Mathematikstudium für das Lehramt an Gymnasien und vergleichbaren Schulformen beinhaltet weltweit traditionell einen hohen Anteil fachwissenschaftlicher Lehrveranstaltungen, welche meist nicht lehramtsspezifisch ausgestaltet sind (Tatto et al. 2010). Auch in Deutschland findet nur an fünf von 57 Hochschulen, die Gymnasiallehrkräfte ausbilden, der Studieneinstieg für Fach- und LehramtsstudierendeFootnote 1 in getrennten Lehrveranstaltungen statt (Gildehaus et al. 2021). Es besteht insgesamt Konsens darüber, dass eine umfangreiche fachmathematische Ausbildung notwendig ist, da Mathematiklehrkräfte die zugrundeliegenden Ideen, Verfahren und Begründungen der in der Schule zu unterrichtenden Inhalte kennen müssen (z. B. Ball et al. 2005; Fletcher 1975; Winsløw und Grønbæk 2014). Jedoch gibt es über die Ausrichtung und Gestaltung der fachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen für Lehramtsstudierende eine seit über 100 Jahren andauernde Diskussion, die von der Problemlage der doppelten Diskontinuität (Bezeichnung nach Klein 1908) ausgeht. Diese äußert sich darin, dass viele Lehramtsstudierende weder zu Beginn des Studiums noch nach ihrem Studium beim Eintritt in den Schuldienst Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik erkennen können.

Kleins Annahme wird mittlerweile von empirischen Befunden gestützt, die nahelegen, dass Lehramtsstudierende tatsächlich nicht automatisch Wissen über Verbindungen zur Schulmathematik erwerben (Hoth et al. 2020). Auch qualitative Studien weisen darauf hin, dass Lehramtsstudierende und praktizierende Lehrkräfte nur eine geringe oder gar keine Relevanz der Hochschulmathematik für das Unterrichten in der Schule sehen (Even 2011; Gildehaus und Liebendörfer 2021; Liebendörfer 2018; Wasserman et al. 2018; Zazkis und Leikin 2010). Die doppelte Diskontinuität bleibt somit ein aktuelles Problem für Lehramtsstudierende. Dieses Problem wird auch in der Praxis der Hochschullehre wahrgenommen, sodass in den vergangenen Jahren viele Hochschulen begonnen haben, ihre Lehramtsstudierenden bei der Herstellung und Wahrnehmung von Verbindung zwischen Schul- und Hochschulmathematik zu unterstützen (z. B. Murray und Star 2013; Winsløw und Grønbӕk 2014).

Neben der Neugestaltung ganzer Lehramts-Lehrveranstaltungen (z. B. im Rahmen des Projektes Mathematik neu denken, Beutelspacher et al. 2011) ist hierbei eine verbreitete Maßnahme der Einsatz sogenannter Lehramts‑/Schnittstellen‑/VernetzungsaufgabenFootnote 2 (z. B. Ableitinger et al. 2013; Álvarez et al. 2020; Bauer 2013a; Eichler und Isaev 2017; Schadl et al. 2019; Weber et al. 2021) in gemeinsam von Lehramts- und Fachstudierenden besuchten Veranstaltungen. Wir verstehen unter diesen Lehramtsaufgaben solche Aufgaben, die in der Hochschullehre gezielt eingesetzt werden, um Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik für Lehramtsstudierende in Veranstaltungen, die sonst keine Lehramtsspezifität aufweisen, zu explizieren. Dies betrifft vor allem die Veranstaltungen Lineare Algebra und Analysis, die meist im ersten (teils auch noch im zweiten) Studienjahr vorgesehen sind (Gildehaus et al. 2021).

Da Lehramtsaufgaben explizit Verbindungen zwischen den beiden „mathematischen Welten“ adressieren sollen, ist davon auszugehen, dass diese die wahrgenommene doppelte Diskontinuität abmildern. Empirische Studien hierzu gibt es bisher allerdings kaum. Ziel unserer Studie sind daher weitere Erkenntnisse zur Frage, welche Auswirkung der Einsatz von Lehramtsaufgaben auf die Wahrnehmung der doppelten Diskontinuität durch Studierende haben kann. Fokussiert werden dabei die wahrgenommenen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik sowie die wahrgenommene Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf.

Für die vorgestellte Studie besteht als hochschuldidaktische Feldstudie die Herausforderung darin, eine adäquate Vergleichsgruppe heranzuziehen. Randomisierte Zuteilungen von Versuchsbedingungen sind in der Praxis der Hochschulforschung selten möglich, da zum Beispiel in anderen Kontexten übliche Strategien, wie die Nutzung einer Wartekontrollgruppe, nicht realisierbar sind. So werden Lehramtsaufgaben in der Regel als Reaktion auf eine erkannte Problemlage eingeführt und sollen aus Sicht der Hochschulpraxis daher allen Lehramtsstudierenden zugutekommen und nicht nur einer Teilgruppe. Wie oben dargelegt, besuchen Lehramtsstudierende die fachmathematischen Lehrveranstaltungen jedoch häufig gemeinsam mit Fachstudierenden. Diese wurden in der dargestellten Studie daher als Vergleichsgruppe herangezogen, die fachlich unter den gleichen Bedingungen studierte wie die Lehramtsstudierenden, allerdings keine Lehramtsaufgaben bearbeitete. Auch wenn sie als Nicht-Lehramtsstudierende nicht die ideale Vergleichsgruppe darstellen, ist der Einsatz von Lehramtsaufgaben unter Feldbedingungen kaum anders zu evaluieren. Im folgenden theoretischen Hintergrund wird daher auch erläutert, welche Befunde über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Fach- und Lehramtsstudierenden in Bezug auf ihre Wahrnehmung zu Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik bereits vorliegen und die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen stützen oder auf entsprechende Limitationen hinweisen.

2 Theoretischer Hintergrund

Es wird gefordert, dass Schul- und Hochschulmathematik von Lehramtsstudierenden als „füreinander nützlich und aufeinander bezogen erlebt werden“ (Bauer 2013b, S. 41). Da Schul- und Hochschulmathematik einen grundlegend unterschiedlichen Charakter aufweisen, ist dies jedoch nicht trivial. Während die Schulmathematik auch dem Ziel der Allgemeinbildung verschrieben ist und daher u. a. ein großes Gewicht auf Anwendungsorientierung legt, verfolgt die Hochschulmathematik als Wissenschaft das Ziel eines deduktiven Theorieaufbaus mit einer Definition-Satz-Beweis-Systematik (z. B. Fischer et al. 2009; Heintz 2000; Hoyles et al. 2001; Rach und Heinze 2017). Da sich der Charakter der gelehrten Mathematik am Übergang von der Schule zur Hochschule somit substanziell verändert, ist es nicht verwunderlich, dass viele Studienanfängerinnen und Studienanfänger einen „Bruch“ erleben und Schwierigkeiten haben, Verbindungen zwischen den mathematischen Welten zu sehen (Di Martino und Gregorio 2019; Gueudet 2008; Rach und Heinze 2017). Klein (1908) bezeichnete das Erleben dieses Bruches vor über 100 Jahren als erste Diskontinuität. Das beschriebene Phänomen kann mithilfe aktueller Theorien zur Person-Umwelt Passung (Holland 1997; Nagy 2006; Su et al. 2015) präziser gefasst werden.

2.1 Erleben der doppelten Diskontinuität vor dem Hintergrund der Theorien zur Person-Umwelt-Passung

Die Theorien zur Person-Umwelt-Passung werden im Hochschulkontext häufig herangezogen, um Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule zur Hochschule und Studienabbrüche zu erklären. Als zentral werden von Nagy (2006) dabei zwei Faktoren der Passung beschrieben: (P1, kognitiv) die erreichte Passung zwischen den Fähigkeiten einer Person und den umweltseitigen Anforderungen, sowie (P2, affektiv) die erreichte Passung zwischen den Interessen einer Person und den umweltseitigen Verstärkern, die Möglichkeiten zur Verwirklichung der Interessen geben. Passung auf kognitiver Ebene führt laut der Theorien zu zufriedenstellenden Leistungen (satisfactoriness), Passung auf affektiver Ebene zu Zufriedenheit (satisfaction, Lubinski und Benbow 2000). Wir verorten unter dem affektiven Faktor hierbei auch die Relevanzwahrnehmung, d. h. inwiefern eine Person die umweltseitigen Angebote zur Interessensverwirklichung als persönlich bedeutsam wahrnimmt (Definition nach Priniski et al. 2018).

Die Theorien zur Person-Umwelt-Passung wurden in mathematikdidaktischen Kontexten bereits mehrfach zu einer präziseren Beschreibung der ersten Diskontinuität mit Blick auf den Übergang von der Schule in mathematische Studiengänge herangezogen (z. B. Blömeke 2009; Rach und Heinze 2017; Geisler et al. 2023). Dabei zeigte sich zum einen, dass auf kognitiver Ebene insbesondere mathematisches Wissen mit Bezug zur Hochschulmathematik mit zufriedenstellender Leistung assoziiert ist (Rach und Heinze 2017). Zum anderen zeigten Geisler et al. (2023), dass auch auf affektiver Ebene hochschulbezogene Variablen im Hinblick auf die Passung bedeutender erscheinen als schulbezogene Variablen und etwa das Interesse an Hochschulmathematik positiv mit Zufriedenheit assoziiert war, während das schulmathematische Interesse keinen entsprechenden Effekt zeigte.

Auskunft zur möglichen Nicht-Passung zwischen studentischen Fähigkeiten und umweltseitigen Anforderungen (P1) geben Befragungen von Studienabbrecherinnen und -abbrechern. Dabei geben Studierende (generell, aber stärker pointiert für Mathematik) fehlendes mathematisches Vorwissen als eines der größten Probleme an (Heublein et al. 2017). Umgekehrt zeigen Studien, dass das mathematische Vorwissen bedeutsamer Prädiktor für den Studienerfolg im ersten Semester ist, wobei dies insbesondere für das mathematische Vorwissen mit Bezug zur Hochschulmathematik gilt, über das bei weitem nicht die Mehrheit der Studierenden verfügt (Rach und Ufer 2020). Es ist somit anzunehmen, dass die Anforderungen der Hochschule nur in Teilen mit den Fähigkeiten korrespondieren, die die Studierenden aus der Schule mitbringen.

Die erste Diskontinuität kann damit genauer beschrieben werden als Erleben einer mangelnden Passung (P1) zwischen persönlichen Fähigkeiten und hochschulseitigen Anforderungen. Dabei ist diese mangelnde Passung kein exklusives Problem für Lehramtsstudierende, sondern wird von allen Studierenden in Studiengängen mit substanziellem Mathematikanteil erfahren. Für Lehramtsstudierende ist sie jedoch von besonderer Bedeutung, da die Unterschiede zwischen Schul- und Hochschulmathematik nicht nur für den Einstieg ins Studium relevant sind, sondern auch für den angestrebten Beruf. Da Lehramtsstudierende mit einem klaren Berufsziel an die Hochschule kommen, ist davon auszugehen, dass sie eine Ausrichtung ihres Studiums hierauf erwarten. Schließlich wird die Studienwahl von Lehramtsstudierenden wesentlich vom Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, dem generellen Interesse am Unterrichten, aber auch dem Fachinteresse beeinflusst (Glutsch und König 2019; Göller und Besser 2021; König und Rothland 2012). Das Fachinteresse von Lehramtsstudierenden erscheint dabei für Schulmathematik höher ausgeprägt als für Hochschulmathematik (Ufer et al. 2017). Die mathematischen Lehrveranstaltungen des ersten Studienjahrs sind jedoch an den wenigsten Hochschulen in Deutschland lehramtsspezifisch ausgestaltet (Gildehaus et al. 2021). Fachdidaktische Veranstaltungen werden in der Regel im ersten Studienjahr nicht angeboten. Entsprechend gibt es für Lehramtsstudierende verstärkt das Problem mangelnder Passung – nicht nur im Hinblick auf die eigenen Fähigkeiten und hochschulischen Anforderungen (P1), sondern auch im Hinblick auf die eigenen Interessen und Erwartungen (P2), welche im ersten Studienjahr kaum auf passende umweltseitige Verstärker treffen. Die erste Diskontinuität könnte von Lehramtsstudierenden somit stärker erlebt werden als von Fachstudierenden.

Die zweite Diskontinuität ist hingegen exklusiv von Lehramtsstudierenden erlebbar, wenn sie etwa im Rahmen von Praktika, Praxissemestern oder dem Vorbereitungsdienst Schulmathematik unterrichten und hierbei nicht auf ihr in der Hochschule erworbenes Fachwissen zurückgreifen können – also erneut eine mangelnde Passung zwischen persönlichen (an der Hochschule erworbenen) Fähigkeiten und (erwarteten) umweltseitigen Anforderungen (P1), nun im Kontext der Schule, erfahren (Hefendehl-Hebeker 2013; Prediger 2013). Neben dieser Passung auf kognitiver Ebene ist auf affektiver Ebene auch die wahrgenommene Relevanz der Hochschulmathematik für den Lehrberuf bedeutsam, welche sich als wahrgenommene Passung zwischen dem persönlichen Ziel, Lehrkraft zu werden, und den Verstärkern (z. B. Lerngelegenheiten, Vorlesungsinhalte) der Hochschule fassen lässt (P2; Mischau und Blunck 2006). Diese Berufsrelevanz wird von Lehramtsstudierenden aufgrund des klaren Berufsziels mutmaßlich bereits ab dem ersten Semester projektiv eingeschätzt, wobei es naheliegt, dass als Referenzpunkte neben Praxiserfahrungen auch (zurückliegende) eigene schulische Erfahrungen genutzt werden.

Bezüglich der Passung auf kognitiver Ebene (P1) ist davon auszugehen, dass diese vorrangig dann gegeben ist, wenn Lehramtsstudierende das hochschulmathematische Wissen in Verbindung zur Schulmathematik setzen können. Andernfalls können Schwierigkeiten auftreten, das Fachwissen beim Unterrichten von Schulmathematik anzuwenden (Hefendehl-Hebeker 1998; Prediger 2013). Annahmen, dass Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik von den Studierenden selbständig hergestellt werden oder sich automatisch aus dem Verständnis der Hochschulmathematik ergeben (sogenannte intellectual-trickle-down-Annahme, Wu 2011) werden durch die Befunde von Hoth et al. (2020) nicht gestützt: Sie zeigten, dass sich im ersten Studienjahr zwar das hochschulmathematische Fachwissen signifikant weiterentwickelt, gleichzeitig aber kein Zuwachs im berufsspezifischen Fachwissen über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik zu verzeichnen ist. In den klassischen fachmathematischen Lehrveranstaltungen erhalten Lehramtsstudierende somit vermutlich noch nicht ausreichend Lerngelegenheiten, die den Aufbau eines Wissens über Verbindungen unterstützen. Vielmehr vermissen Lehramtsstudierende in ihrem Studium insgesamt einen verstärkten Berufsbezug (Mischau und Blunck 2006; Wenzl et al. 2018). Zudem weisen die Ergebnisse mehrerer qualitativer Studien darauf hin, dass Lehramtsstudierende und Lehrkräfte der Hochschulmathematik nur eine geringe bis gar keine Relevanz für den Lehrberuf zuschreiben (Even 2011; Gildehaus und Liebendörfer 2021; Göller und Gildehaus 2021; Liebendörfer 2018; Wasserman et al. 2018; Zazkis und Leikin 2010), also auf affektiver Ebene eine mangelnde Passung erleben (P2).

Hierbei ist hervorzuheben, dass Lehramtsstudierende die Hochschulmathematik im ersten Studienjahr nicht grundsätzlich anders wahrnehmen als Fachstudierende. So zeigten Geisler und Rolka (2021) in einer Studie mit 104 Studierenden, dass sich die Vorstellungen zum Wesen der MathematikFootnote 3, die Lehramts- und Fachstudierende in klassischen Einstiegsvorlesungen entwickeln, nicht wesentlich unterscheiden. Entsprechend nehmen wir an, dass sich auch die Wahrnehmung über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik in den beiden Gruppen nicht grundsätzlich unterschiedlich entwickelt. Weitere Studien zur Wahrnehmung von Schul- und Hochschulmathematik sind uns nicht bekannt, sodass wir für eine breitere Datenbasis im Folgenden Befunde zu weiteren affektiven Merkmalen heranziehen.

Bezüglich des Selbstkonzepts zeigten Rach et al. (2021), dass sich das schulische Selbstkonzept im Laufe des ersten Semesters nicht verändert, während das allgemeine und das universitäre Selbstkonzept bei Lehramts- und Fachstudierenden signifikant mit starkem Effekt absinken. Einzig für das universitäre Selbstkonzept konnten leichte Unterschiede zwischen Fach- und Lehramtsstudierenden festgestellt werden, wobei es bei Lehramtsstudierenden etwas stärker abfiel (Rach et al. 2021), was möglicherweise Auswirkungen auf die Relevanzwahrnehmung hat. Sinkt das universitäre Selbstkonzept von Studierenden, wäre es selbstwertdienlich, auch die eigene Relevanzzuschreibung zum Lerngegenstand Hochschulmathematik anzupassen. Entsprechende empirische Befunde gibt es allerdings unseres Wissens bisher nicht. Rach (2022a) zeigte zwar, dass Lehramtsstudierende im Vergleich zu Fachstudierenden den Inhalten von fachmathematischen Veranstaltungen im Mittel eine geringere RelevanzFootnote 4 zuschreiben. Hinweise darauf, dass sich die Relevanzwahrnehmung unterschiedlich entwickelt, fanden sich aber nicht. Es ist anzunehmen, dass Lehramtsstudierende die (erwartete) Relevanz der Inhalte im Hinblick auf ihren angestrebten Beruf beurteilen und sich hier erneut die mangelnde Passung zwischen persönlicher Bedeutung und umweltseitigen Verstärkern (P2), also eine mangelnde Relevanzwahrnehmung, niederschlägt.

Insgesamt kann also auch die zweite Diskontinuität als Problem mangelnder (erwarteter) Passung formuliert werden, wobei auf affektiver Ebene (P2) die Relevanzwahrnehmung von Hochschulmathematik für den zukünftigen Beruf und auf kognitiver Ebene (P1) Wissen über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik zentral scheint. Für ein professionsspezifisches Fachwissen solcher Art gibt es in der fachdidaktischen Forschung bereits Konzeptualisierungen, die als Grundlage für die Entwicklung von Lehramtsaufgaben genutzt werden können.

2.2 Wissen über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik

Bereits Klein (1908) hatte gefordert, Lehrkräfte müssten als professionsspezifisches Fachwissen eine Elementarmathematik vom höheren Standpunkt erlernen. Diese Idee wurde auch in mehreren Studien zum Professionswissen von Lehrkräften, beispielsweise COACTIV (Krauss et al. 2008), MT21 (Blömeke et al. 2008) und TEDS‑M (Blömeke et al. 2010), aufgegriffen. Aktuell gibt es vor allem zwei Modelle, die Kleins Idee weiterführen und zeitgemäße Konzeptualisierungen eines professionsspezifischen Fachwissens über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik anbieten: das Modell des Mathematical knowledge for teaching (MKT, Ball et al. 2008) sowie das Modell des schulbezogenen Fachwissens (school-related content knowledge, SRCK, Dreher et al. 2018).

Im MKT-Modell wird das Fachwissen einer Lehrkraft der Primarstufe ausgehend von einer Job-Analyse in drei Facetten untergliedert: Das common content knowledge (CCK), das specialized content knowledge (SCK) und das horizon content knowledge (HCK) (Ball et al. 2008). Wissen über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik ist im MKT-Modell vor allem innerhalb des SCK zu verorten, teils auch innerhalb des HCK. SCK wird als das mathematische Wissen beschrieben, welches eigens zum Unterrichten benötigt wird. HCK wiederum umfasst ein generelles Bewusstsein darüber, wie Themen der Schulmathematik zusammenhängen. Allerdings weist das MKT-Modell auch einige Schwächen auf.

Problematisch ist zum einen, dass das HCK ausdrücklich nur provisorisch in das Modell aufgenommen wurde, damit eher unterentwickelt blieb und in den meisten Studien nicht erhoben wurde (s. z. B. Dreher et al. 2018; Wasserman 2018). Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass das MKT-Modell für Lehrkräfte der Primarstufe entwickelt wurde und nicht ohne Weiteres auf die Sekundarstufe übertragbar ist. Ferner hatten empirische Studien bisher Schwierigkeiten, die theoretisch angenommene Mehrdimensionalität auch empirisch nachzuweisen, da das SCK meist hoch mit dem fachdidaktischen Wissen korrelierte (z. B. Hill 2010; Hill et al. 2007).

In Anbetracht der genannten Schwächen schlugen Dreher et al. (2018) als neues Modell zur Beschreibung des Wissens über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik von Sekundarstufenlehrkräften das schulbezogene Fachwissen (school-related content knowledge, SRCK) vor, in welchem u. a. das MKT-Modell (Ball et al. 2008) sowie die Idee der Elementarmathematik vom höheren Standpunkt (Klein 1908) aufgegriffen und weiter ausdifferenziert wurden. In insgesamt drei Facetten beschreibt SRCK das Wissen über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik, über welches Lehrkräfte der Sekundarstufe zum Unterrichten verfügen sollten und das die beschriebene Wahrnehmung von Diskontinuitäten abmildern sollte. Die erste Facette umfasst das Wissen über bottom-up Verbindungen, d. h. Wissen darüber, wie Elemente der Schulmathematik in der Hochschulmathematik verankert sind. Dieses Wissen wird beispielsweise dann benötigt, wenn eine Lehrkraft beurteilen muss, ob ein Zugang im Schulbuch „intellektuell ehrlich“ (Bruner 1970) ist. Darüber hinaus benötigen Mathematiklehrkräfte auch Wissen über top-down Verbindungen, welche in der zweiten Facette des SRCK zusammengefasst sind. Wissen über top-down Verbindungen muss beispielsweise dann angewendet werden, wenn eine Lehrkraft eine hochschulmathematische Idee (z. B. Konstruktion der reellen Zahlen) ohne fachliche Verzerrungen für die Schulmathematik zugänglich machen möchte.

Die dritte Facette des SRCK bildet schließlich das curriculare Wissen, welches ein Metawissen über die Struktur und den fachsystematischen Aufbau der Schulmathematik darstellt (Dreher et al. 2018). Dies umfasst insbesondere auch Wissen über die curriculare Struktur der Schulmathematik sowie zugrundeliegende fachmathematische Legitimationen. Nicht zum curricularen Wissen des SRCK zählen hingegen nicht-mathematische Begründungen des Curriculums (z. B. kognitive Voraussetzungen der Lernenden in bestimmten Altersstufen). Lehrkräfte benötigen curriculares Wissen beispielsweise, um entscheiden zu können, auf welchen mathematischen Ideen sie in einer bestimmten Klassenstufe bei der Vermittlung eines Konzeptes bereits aufbauen können und welche Aspekte sie zusätzlich behandeln sollten, damit in späteren Klassenstufen auf diese zurückgegriffen werden kann. Eine detaillierte Beschreibung der theoretischen Konzeptualisierung von SRCK ebenso wie Anwendungsbeispiele finden sich bei Dreher et al. (2018), und Dreher et al. (2023). Heinze et al. (2016) konnten zeigen, dass sich SRCK reliabel und valide messen lässt und empirisch von den beiden anderen fachspezifischen Komponenten des Professionswissens – Fachwissen (CK) und fachdidaktischem Wissen (PCK) – unterscheidbar ist.

Offen ist jedoch weiterhin die Frage, wie SRCK erworben wird. Eine erste Analyse von Lehramtsaufgaben acht verschiedener Hochschulen zeigte, dass diese Aufgaben, die Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik adressieren sollen, in den meisten Fällen explizit mindestens eine SRCK-Facette ansprechen (Weber und Lindmeier 2022). Entsprechend ist davon auszugehen, dass Lehramtsaufgaben Lerngelegenheiten für SRCK darstellen können.

2.3 Angenommene Wirkung und Merkmale von Lehramtsaufgaben

Mittlerweile betten immer mehr Hochschulen im Sinne einer hochschuldidaktischen Lehrinnovation Lehramtsaufgaben als professionsspezifische Übungsaufgaben in ihre fachmathematischen Lehrveranstaltungen ein – an den meisten Standorten als Teil der wöchentlichen Übungsaufgaben.

Einige Standorte fokussieren mit ihren Lehramtsaufgaben die erste Diskontinuität und adressieren somit eine Passung auf kognitiver Ebene (P1) zwischen Fähigkeiten der Studierenden und Anforderungen der Hochschule (z. B. Hoffmann und Biehler 2017). An den meisten Standorten liegt der Fokus jedoch vermehrt auf dem Aufbau eines Wissens über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik, auf welches Lehrkräfte beim Unterrichten zurückgreifen können. Hierbei wird eine Passung zwischen Fähigkeiten angehender Lehrkräfte und (zukünftigen) Anforderungen der Schule adressiert (P1). Neben diesen Zielen auf kognitiver Ebene werden mit Lehramtsaufgaben auch Ziele auf affektiver Ebene verfolgt. So wird angenommen, dass Lehramtsaufgaben durch ihren Bezug zur Schulmathematik eine höhere Passung (P2) zu den Interessen von Lehramtsstudierenden aufweisen als klassische Übungsaufgaben (Rach 2022b; Ufer et al. 2017). Darüber hinaus sollen Studierende durch die Illustration handlungsnaher Anforderungen an Lehrkräfte in Lehramtsaufgaben vermehrt eine Passung (P2) zwischen dem persönlichen Berufsziel und den Lerninhalten der Hochschule und somit eine Relevanz von Hochschulmathematik für den späteren Beruf wahrnehmen (z. B. Eichler und Isaev 2022; Leufer und Prediger 2007).

Beispiele von Lehramtsaufgaben sind in Abb. 1 und 2 illustriert. In Abb. 1 werden Verbindungen in bottom-up sowie top-down Richtung adressiert, die in der Wahl eine generischen Zahlenbeispiels in Aufgabenteil (b) sichtbar werden können. In Abb. 2 können Studierende demgegenüber feststellen, dass das Konzept des Grenzwerts in der Schulmathematik implizit und allenfalls propädeutisch bleibt und somit die Definition von \(0{,}\overline{9}\) nicht präzise vorgenommen werden kann. In den Schulbeweisen benutzte rechnerische Umformungen können somit schulmathematisch nicht begründet werden. Hinweise darauf, dass Studierende durch die Bearbeitung solcher Aufgaben Wissen über Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik aktivieren, lassen sich in schriftlichen Studierendenlösungen finden (Weber und Lindmeier 2022). Auf affektiver Ebene ist anzunehmen, dass sie Schul- und Hochschulmathematik als inhaltlich stärker zusammenhängend wahrnehmen als dies ohne entsprechende Aufgaben der Fall wäre (Wirkung auf Wahrnehmung der sogenannten 1. Diskontinuität). Gleichzeitig wird in Abb. 1 eine Unterrichtssituation illustriert und in Abb. 2 werden die Schulbeweise aus einer Meta-Perspektive der Hochschulmathematik beurteilt, sodass anzunehmen ist, dass Lehramtsstudierende durch die Bearbeitung solcher Aufgaben Hochschulmathematik als relevanter für den Lehrberuf wahrnehmen (Wirkung auf Wahrnehmung der sogenannten 2. Diskontinuität).

Abb. 1
figure 1

Lehramtsaufgabe, die sowohl in der Lehrveranstaltung „Lineare Algebra I“ als auch in der „Analysis I“ eingesetzt werden kann. In der Aufgabe wird zunächst eine bottom-up und anschließend eine top-down Verbindung eingefordert (Weber et al. 2021)

Abb. 2
figure 2

Lehramtsaufgabe aus der Lehrveranstaltung „Analysis I“, welche die curriculare Facette adressiert (Weber et al. 2021)

Andererseits ist zu bedenken, dass beim Einsatz von Lehramtsaufgaben in Mathematiklehrveranstaltungen meist nur eine Aufgabe (von vier oder fünf) pro Übungsblatt eine Lehramtsaufgabe ist (Weber und Lindmeier 2022), Lehramtsaufgaben also nur einen kleinen Teil der wöchentlichen Lerngelegenheiten darstellen. Aus der allgemeinen Forschung zu Relevanzinterventionen ist jedoch bekannt, dass auch verhältnismäßig kleine Interventionen substanziellen und länger anhaltenden Einfluss auf die Relevanzwahrnehmung von Lernenden nehmen können (Gaspard et al. 2015).

2.4 Vorliegende empirische Befunde zur Wirkung von Lehramtsaufgaben

Bisher gibt es nur vereinzelt Forschung, ob die Nutzung von Lehramtsaufgaben tatsächlich zu einer Abmilderung der wahrgenommenen doppelten Diskontinuität beiträgt.

In einer Evaluationsstudie von Schadl et al. (2019) wurde untersucht, ob Lehramtsstudierende, nachdem sie in einem Semester in einem Seminar Lehramtsaufgaben bearbeiteten, Hochschulmathematik als relevanter für ihren späteren Beruf erachten als zu Beginn des Semesters. Dabei wurden Lehramtsaufgaben abweichend von dem sonst typischen Vorgehen nicht in Fachvorlesungen eingebettet, sondern in nachgängigen Seminaren mit dem Fokus auf der Verbindung zwischen Fachmathematik, Schulmathematik sowie didaktischen Inhalten genutzt. Es zeigte sich nur in einer von drei Kohorten eine signifikante Veränderung. Schadl et al. (2019) diskutieren als mögliche Ursache für ausbleibende Veränderungen, dass das gemessene Fachwissen ihrer Studierenden eher gering ausgeprägt war und diese insofern vermutlich Schwierigkeiten hatten, Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik herzustellen.

Informativer für den typischen Einsatz von Lehramtsaufgaben als wöchentliche Übungsaufgaben in fachmathematischen Veranstaltungen (Lineare Algebra und Analysis) ist eine Studie von Eichler und Isaev (2022) mit 72 Lehramtsstudierenden des ersten und dritten Semesters einer Universität. In dem experimentellen prä-post Design der Evaluationsstudie untersuchten Eichler und Isaev (2022), wie sich die wahrgenommene Relevanz der Hochschulmathematik für den Beruf in Abhängigkeit davon entwickelt, ob die Studierenden Lehramtsaufgaben bearbeiteten oder nicht. Die Autoren stellten dabei einen signifikanten Interaktionseffekt fest: Während in der Treatmentgruppe keine veränderte Relevanzwahrnehmung zu verzeichnen war, sank die wahrgenommene Relevanz in der Kontrollgruppe signifikant ab. Insofern ist es möglich, dass der Einsatz von Lehramtsaufgaben nicht zu einer Steigerung der wahrgenommenen Relevanz von Hochschulmathematik führt, wohl aber einem Absinken entgegenwirkt. Eichler und Isaev (2022) untersuchten in ihrer Studie zudem, inwiefern sich die Wahrnehmung der inhaltlichen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik in Abhängigkeit von der Bearbeitung von Lehramtsaufgaben verändert. Hierbei zeigte sich entgegen den Erwartungen kein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Treatment und Messzeitpunkt, jedoch ein Haupteffekt des Faktors Messzeitpunkt, welcher auf ein generelles Absinken der wahrgenommenen inhaltlichen Verbindungen hinwies.

Auch eine Studie von Isaev et al. (2022) untersuchte die Auswirkungen von Lehramtsaufgaben auf die Wahrnehmung der Studierenden. In drei Subgruppen (Treatmentgruppe Standort 1, N = 23, Treatmentgruppe Standort 2, N = 13, Kontrollgruppe Standort 2, N = 12) wurde die Entwicklung der wahrgenommenen inhaltlichen Verbindungen sowie der wahrgenommenen Relevanz untersucht. Aus der Rekrutierung von Treatmentgruppen unterschiedlicher Standorte ergeben sich selbstverständlich neue Schwierigkeiten, da die Rahmenbedingungen stark variieren können. Bezüglich der wahrgenommenen Relevanz sind die Ergebnisse vergleichbar mit denen von Eichler und Isaev (2022) und deuten ein Absinken der Relevanzwahrnehmung in der Kontrollgruppe an. In Bezug auf die wahrgenommenen inhaltlichen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik ergab sich einzig in der Treatmentgruppe an Standort 1 ein signifikanter Anstieg.

Weitere Untersuchungen zum Einfluss von Lehramtsaufgaben auf die wahrgenommene doppelte Diskontinuität sind uns nicht bekannt. Da die bisherigen Befunde aus eher kleinen Stichproben einzelner Hochschulen stammen und teilweise inkonsistent sind, sind diese noch durch weitere Untersuchungen zu stärken.

3 Forschungsfragen

Im Folgenden stellen wir daher eine eigene Studie vor, welche einen weiteren Beitrag zur Beantwortung der bereits in einem ersten Ansatz von Eichler und Isaev (2022) sowie Isaev et al. (2022) adressierten Forschungsfrage leisten soll:

Welche Auswirkungen hat der Einsatz von Lehramtsaufgaben auf die von Studierenden wahrgenommenen inhaltlichen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik sowie auf die wahrgenommene Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf?

Da Lehramtsaufgaben in klassischen Lehrveranstaltungen die einzigen Lerngelegenheiten darstellen sollten, die Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik adressieren, erwarten wir, dass sich der Einsatz von Lehramtsaufgaben positiv auf die Wahrnehmung inhaltlicher Verbindungen auswirkt. Wir formulieren daher folgende erste Hypothese:

H1

Die Entwicklung der Wahrnehmung von Verbindungen unterscheidet sich in Abhängigkeit davon, ob Lehramtsaufgaben bearbeitet wurden. Nach der Bearbeitung von Lehramtsaufgaben werden mehr inhaltliche Verbindungen wahrgenommen als zuvor, während sich die Wahrnehmung nicht verändert, wenn keine Lehramtsaufgaben bearbeitet wurden.

Ferner erwarten wir aufgrund der Befunde von Schadl et al. (2019), Eichler und Isaev (2022) sowie Isaev et al. (2022), dass der Einsatz von Lehramtsaufgaben nicht zu einer Steigerung der wahrgenommenen Relevanz für den Lehrberuf führt, aber einem Absinken der Relevanzwahrnehmung vorbeugt. Entsprechend lautet unsere zweite Hypothese:

H2

Die Entwicklung der Relevanzwahrnehmung unterscheidet sich in Abhängigkeit davon, ob Lehramtsaufgaben bearbeitet wurden. Die wahrgenommene Relevanz sinkt, wenn keine Lehramtsaufgaben bearbeitet wurden, während sich keine Veränderung zeigt, wenn Lehramtsaufgaben bearbeitet wurden.

4 Methoden

Die Studie wurde als Fragebogenstudie mit Mathematikstudierenden der Universität Kiel im ersten Studienjahr durchgeführt. Die Daten wurden in zwei Kohorten in den Jahren 2018/19 und 2019/20 zu je zwei Messzeitpunkten erhoben, um zu ermitteln, wie sich die wahrgenommenen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik und die wahrgenommene Relevanz von Hochschulmathematik in Abhängigkeit von der Bearbeitung von Lehramtsaufgaben entwickelt. Der erste Messzeitpunkt (T1) lag jeweils in der zweiten Hälfte des ersten Fachsemesters, der zweite Messzeitpunkt (T2) am Ende des zweiten Fachsemesters. Der erste Messzeitpunkt wurde bewusst nicht zu Beginn des ersten Semesters angesetzt, damit die Studierenden zunächst ein Bild der Hochschulmathematik erwerben konnten, welches nicht mehr primär von ihren möglicherweise stark unterschiedlichen schulischen Vorerfahrungen geprägt ist (z. B. durch Profilwahl in der Oberstufe).

4.1 Kontext der Studie und Stichprobe

In dieser Studie besteht die Treatmentgruppe aus allen Lehramtsstudierenden. Die Fachstudierenden, die in der Studieneingangsphase in Kiel zum Zeitpunkt der Studie fachlich unter den exakt gleichen Bedingungen studierten wie die Lehramtsstudierenden, wurden als Vergleichsgruppe herangezogen. Auch wenn sie als Nicht-Lehramtsstudierende nicht die ideale Vergleichsgruppe darstellen, ist der Einsatz von Lehramtsaufgaben unter Feldbedingungen, die keine randomisierte Zuteilung von Bedingungen erlauben, kaum anders zu evaluieren (s. Abschn. 1).

In den beiden einbezogenen Kohorten studierten 97 % bzw. 98 % der Lehramtsstudierenden für das gymnasiale Lehramt, die übrigen das allgemeinbildende Fach Mathematik auf Gymnasialniveau für das Lehramt an beruflichen Schulen. Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gab es im Studienverlaufsplan in Mathematik nicht, sie werden im Folgenden daher auch nicht unterschieden. Das Mathematikstudium war während der Durchführung unserer Studie wie an vielen anderen Standorten so organisiert, dass Lehramts- und Fachstudierende im ersten und zweiten Semester gemeinsam jeweils eine vierstündige Vorlesung zur Linearen Algebra und eine zur Analysis besuchten. Die Vorlesungen wurden von habilitierten Fachmathematikern gelesen. Die Fachstudierenden besuchten zusätzlich zur Linearen Algebra und Analysis in den Semesterferien im Anschluss an das erste Semester ein zweiwöchiges Programmierpraktikum. Weitere mathematische Veranstaltungen waren für Lehramts- und Fachstudierende im ersten Studienjahr nicht vorgesehen, insbesondere besuchten die Lehramtsstudierenden auch keine fachdidaktischen Lehrveranstaltungen. Im Rahmen der Lehrveranstaltungen zur Linearen Algebra und Analysis mussten die Studierenden wöchentlich pro Veranstaltung 4–5 mathematische Übungsaufgaben bearbeiten. Die korrekte Bearbeitung eines festen Anteils der Übungsaufgaben war Voraussetzung für die Zulassung zur Klausur. Mindestens Dreiviertel der Aufgaben waren jede Woche klassische mathematische Übungsaufgaben, die von allen Studierenden (Lehramt und Fach) zu bearbeiten waren. Für Lehramtsstudierende war jede Woche in jeder Veranstaltung zusätzlich jeweils maximal eine der Aufgaben eine Lehramtsaufgabe. Die Fachstudierenden erhielten statt einer Lehramtsaufgabe eine weitere klassische mathematische Aufgabe, welche von den Lehramtsstudierenden nicht bearbeitet werden musste.

Die Lehramtsaufgaben wurden jeweils von der Erstautorin entwickelt, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Lehrveranstaltungen mitwirkte, und mit den Dozierenden abgestimmt, auf deren Wunsch teils noch angepasst und anschließend von den Dozierenden auf die Übungsblätter aufgenommen. Die Studierenden konnten die Übungsaufgaben allein oder zu zweit schriftlich einreichen, wobei Letzteres die Regel war und von den Dozierenden auch explizit beworben wurde. Es wurde jedoch explizit gefordert, dass alle Studierenden in der Lage sein mussten, die von ihrer Gruppe eingereichten Lösungen zu erläutern. Wir nehmen daher an, dass die Studierenden sich auch mit den Lösungen auseinandersetzten, die sie nicht selbst verschriftlichten. Die korrekte Lösung aller Übungsaufgaben wurde wöchentlich sowohl in der Linearen Algebra als auch in der Analysis in zweistündigen Übungen besprochen. Etwa 20 Studierende (Lehramt- und Fachstudierende gemischt) besuchten gemeinsam eine Übung. Die Übungen wurden von Studierenden höherer Semester oder wissenschaftlichen Mitarbeitenden geleitet, von denen die meisten Personen keinen Lehramtshintergrund aufwiesen. Für die Lehramtsaufgaben wurden – wie für alle anderen Aufgaben auch – schriftliche Musterlösungen und Korrekturhinweise erstellt, die den Übungsleitungen zur Verfügung gestellt wurden. Die Übungsleitungen korrigierten damit die schriftlich bearbeiteten Übungsaufgaben eigenverantwortlich. Dieser Prozess wurde im Rahmen der üblichen Qualitätssicherung nur stichprobenartig geprüft, wobei die Übungsleitungen insgesamt nur kurze Korrekturanmerkungen schriftlich festzuhalten schienen.

Erhoben wurde jeweils in den Übungsgruppen der Linearen Algebra, in welchen die Studierenden Anwesenheitspflicht hatten, was auch kontrolliert wurde. Die Erhebung dauerte 10 min und die Teilnahme war für alle Studierenden freiwillig und wurde nicht vergütet. Am ersten Messzeitpunkt zu T1 nahmen insgesamt 306 Studierende teil (225 Lehramt, 81 Fach; 47 % weiblich), zum zweiten Messzeitpunkt 154 (111 Lehramt, 43 Fach; 55 % weiblich), was jeweils etwa zwei Dritteln der Gesamtpopulation entsprach, die regelmäßig Vorlesung und Übung besuchte.Footnote 5 Längsschnittliche Daten lagen von insgesamt 98 Studierenden (74 Lehramt, 24 Fach; 53 % weiblich) vor. Wir nehmen an, dass die fehlenden Werte in vielen Fällen nicht zufällig auftraten, sondern z. B. auf Studienabbruch oder Wiederholung eines Semesters zurückgehen und eine Schätzung dieser auf Basis der vollständigen Datensätze nicht sinnvoll durchzuführen ist. In die Analyse wurden daher nur die N = 98 Personen einbezogen, für die zu beiden Messzeitpunkten Daten vorlagen. Von einem bedeutenden Einfluss des Studiengangs ist bei der Auswahl der Längsschnittstichprobe nicht auszugehen: Das Verhältnis aus Lehramts- und Fachstudierenden veränderte sich über die Messzeitpunkte hinweg nicht wesentlich und lag jeweils – ebenso wie in der Längsschnittstichprobe – etwa bei 3:1.

Zusammenfassend setzte sich die dieser Studie zugrundeliegende Stichprobe somit aus 74 Studierenden des gymnasialen Lehramts, 20 Fachstudierenden der Mathematik und 4 Fachstudierenden eines anderen Faches (z. B. Informatik) mit Mathematik als Nebenfach zusammen. Tab. 1 zeigt eine Übersicht, wie sich die Studierenden auf die Kohorten verteilen. Wie oben dargelegt, besuchten alle Studierenden die gleichen fachmathematischen Lehrveranstaltungen, wurden unter den exakt gleichen Bedingungen unterrichtet und erhielten mit Ausnahme der Lehramtsaufgaben die gleichen Lerngelegenheiten.

Tab. 1 Anzahl von Fachstudierenden (Vergleichsgruppe) und Lehramtsstudierenden (Treatmentgruppe) aufgeteilt nach Kohorte

4.2 Eingesetzte Lehramtsaufgaben

Die Lehramtsaufgaben, welche in der Stichprobe eingesetzt wurden, orientierten sich explizit am Konstrukt des schulbezogenen Fachwissens (SRCK, Dreher et al. 2018). Sie waren somit so gestaltet, dass eine erfolgreiche Lösung die Nutzung hochschulmathematischen Wissens erforderte und mindestens eine der SRCK-Facetten als Grundgerüst zur Aufgabengestaltung genutzt wurde.

Wie oben erwähnt, wurden die Daten in zwei Kohorten in den Jahren 2018/19 und 2019/20 erhoben. In Kohorte 1 wurden weniger Lehramtsaufgaben eingesetzt als in Kohorte 2, was auf personelle Ressourcen in der Entwicklung der Lehramtsaufgaben sowie die Freiheit über die Lehre und die Auswahl der Aufgaben durch die Fachdozierenden zurückging. Tab. 2 zeigt eine Übersicht über die Anzahl der bearbeiten Lehramtsaufgaben in den Kohorten. Im Online-Supplement dieses Beitrags findet sich eine Übersicht, zu welchen Inhalten jeweils Lehramtsaufgaben gestellt wurden und welche SRCK-Facetten dabei adressiert wurden. In der Linearen Algebra erhielten beide Kohorten fast jede Woche eine Lehramtsaufgabe. Die Erhebung fand daher in den Übungsgruppen zur Linearen Algebra statt, also in einem Umfeld, in welchem beide Kohorten regelmäßig Lehramtsaufgaben erhielten. Es wurde somit erwartet, dass keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Kohorten in der erhobenen Wahrnehmung der doppelten Diskontinuität bestanden.

Tab. 2 Übersicht über Anzahl der bearbeiteten Lehramtsaufgaben aufgeteilt nach Lehrveranstaltung und Kohorte

Wie beschrieben, erhielten die Fachstudierenden anstelle der Lehramtsaufgaben eine alternative klassische Aufgabe. Hierbei handelte es etwa um vertiefende Aufgaben, die von den Dozierenden als für Lehramtsstudierende nicht unmittelbar relevant eingestuft wurden. In Abb. 3 ist dies exemplarisch dargestellt. Aufgabenteil (a) zeigt eine klassische Übungsaufgabe, die von allen Studierenden zu bearbeiten war. Aufgabenteil (b) bildet einen vertiefenden Aufgabenteil, welcher nur von Fachstudierenden bearbeitet werden musste, während Aufgabenteil (c) eine schulbezogene Aufgabe darstellt, die nur von Lehramtsstudierenden zu bearbeiten war.

Abb. 3
figure 3

Gegenüberstellung einer klassischen Übungsaufgabe für alle Studierenden (Aufgabenteil a) einer Nicht-Lehramtsaufgabe nur für Fachstudierende (Aufgabenteil b) und einer Lehramtsaufgabe (Aufgabenteil c, adaptiert nach Prediger 2013)

4.3 Instrument

Für die Studie wurde der „Fragebogen zur doppelten Diskontinuität“ (Isaev und Eichler 2022) genutzt, welcher die beiden Subskalen Inhaltliche Verbindungen (IV, 8 Items) und Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf (RB, 10 Items) umfasst (s. Tab. 3) und auch in den Studien von Eichler und Isaev (2022) sowie Isaev et al. (2022) eingesetzt wurde. Die Subskala IV fokussiert dabei eine Passung auf affektiver Ebene (P2) im Sinne der ersten Diskontinuität, während die Subskala RB die (erwartete) Passung auf affektiver Ebene bezüglich der zweiten Diskontinuität abdeckt (vgl. Abschn. 2.3). Die Teilnehmenden konnten bei jedem Item auf einer 6‑stufigen Likert-Skala angeben, wie sehr sie der gegebenen Aussage zustimmen (1 – trifft gar nicht zu, 6 – trifft voll zu). Für beide Subskalen wurden jeweils nur Personen einbezogen, die keine fehlenden Daten aufwiesen, sodass sich leicht reduzierte Stichprobenzahlen ergaben (s. Tab. 3). Für die Subskala der inhaltlichen Verbindungen konnten 70 Lehramtsstudierende und 21 Fachstudierende einbezogen werden, für die Subskala der Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf 70 Lehramtsstudierende und 22 Fachstudierende. Beide Subskalen zeigten akzeptable bis exzellente Reliabilitäten (s. Tab. 3).

Tab. 3 Beispielitems für beide Subskalen des „Fragenbogens zur doppelten Diskontinuität“ (Isaev und Eichler 2022)

4.4 Analysemethoden

Um zu überprüfen, ob die wahrgenommene doppelte Diskontinuität sich im Verlauf des ersten Studienjahres bei Treatment- und Vergleichsgruppe unterschied, wurden für beide Subskalen mixed-design Varianzanalysen mit der Statistiksoftware R (R Core Team 2017) mit dem Paket stats (Version 3.6.2) durchgeführt. Die Voraussetzung der Varianzhomogenität wurde mittels des Levene-Tests überprüft und war erfüllt. Zudem wurde die Normalverteilung der abhängigen Variablen in allen Subgruppen mittels des Shapiro-Wilk-Tests überprüft. Auch hierbei wurden keine Verletzungen festgestellt. Berechnet wurde pro Subskala ein Modell bestehend aus Gruppe und Kohorte als between-subject Faktoren und Messzeitpunkt als within-subject Faktor.

5 Ergebnisse

Wir berichten die Ergebnisse im Folgenden getrennt nach den beiden Subskalen.

5.1 Wahrgenommene inhaltliche Verbindungen

Bezüglich der wahrgenommenen inhaltlichen Verbindungen zeigte sich kein Haupteffekt der Kohorte, was auch nicht erwartet wurde (vgl. Tab. 4). Im Folgenden wird daher nicht weiter nach den beiden einbezogenen Kohorten unterschieden.

Tab. 4 Ergebnisse der Varianzanalyse zur studentischen Wahrnehmung der Subskala inhaltliche Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik (IV)

Auch in den beiden weiteren einbezogenen Faktoren Gruppe und Messzeitpunkt lag kein Haupteffekt vor. Treatment- und Kontrollgruppe nahmen die inhaltlichen Verbindungen somit nicht generell unterschiedlich wahr. Jedoch zeigte sich zwischen diesen beiden Faktoren ein signifikanter Interaktionseffekt mit geringer Effektstärke. Tab. 5 zeigt die Deskriptiva dieser Variablen, Abb. 4 gibt einen Überblick über die Entwicklung der wahrgenommenen inhaltlichen Verbindungen zwischen Treatment- und Vergleichsgruppe zwischen beiden Messzeitpunkten. Insgesamt waren die wahrgenommenen inhaltlichen Verbindungen zwischen den beiden Messzeitpunkten relativ stabil, in der Vergleichsgruppe sanken sie deskriptiv etwas ab, in der Treatmentgruppe nahmen sie hingegen leicht zu.

Tab. 5 Mittelwerte und Standardabweichungen in der Subskala inhaltliche Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik getrennt nach Gruppe und Messzeitpunkt
Abb. 4
figure 4

Mittelwerte und Standardfehler in der Subskala inhaltliche Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik. Höhere Werte bedeuten, dass mehr inhaltliche Verbindungen wahrgenommen wurden

Um zu ermitteln, welche Gruppenunterschiede den Interaktionseffekt bedingen, wurden post-hoc paarweise alle möglichen Mittelwertvergleiche mittels t‑Tests mit Bonferroni-Korrektur durchgeführt. Hierbei ergaben sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Subgruppen (s. Tab. 6). Anzunehmen ist, dass der signifikante Interaktionseffekt auf dem knapp nicht signifikanten Unterschied zwischen T1 und T2 innerhalb der Treatmentgruppe beruht (t (89) = −2,69, p = 0,05). Dieser wies im Post-hoc Test deutlich den geringsten p-Wert auf, was darauf hinweist, dass Gruppenunterschiede hier am ehesten zu verorten sind. Anzumerken ist, dass die Bonferroni-Korrektur ein sehr konservatives Korrekturverfahren ist, was die Wahrscheinlichkeit für falsch-negative Ergebnisse im Post-hoc Test erhöht. Sie wurde aufgrund des unbalancierten Designs (Verhältnis Treatmentgruppe:Vergleichsgruppe ca. 3:1) gewählt. Insgesamt kann Hypothese H1 nicht vollständig bestätigt werden.

Tab. 6 Ergebnisse der paarweisen t‑Tests mittels Bonferroni-Korrektur zur studentischen Wahrnehmung der Subskala inhaltliche Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik (IV). Die Effektstärke d wurde aufgrund der teils ungleichen Gruppengrößen mithilfe der gepoolten Varianz berechnet

5.2 Wahrgenommene Relevanz für den Lehrberuf

Die Ergebnisse der Varianzanalyse für die wahrgenommene Relevanz sind in Tab. 7 dargestellt.

Tab. 7 Ergebnisse der Varianzanalyse zur studentischen Wahrnehmung der Subskala Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf (RB)

Auch in dieser Subskala zeigte sich erwartungsgemäß kein Haupteffekt der Kohorte, sodass im Folgenden nicht weiter auf die unterschiedlichen Kohorten eingegangen wird. Ein Haupteffekt des Messzeitpunktes lag ebenfalls nicht vor, allerdings ein Haupteffekt des Faktors Gruppe mit geringer Effektstärke, der eine höhere Relevanzwahrnehmung in der Vergleichsgruppe indizierte. Wie schon bei der Subskala der inhaltlichen Verbindungen zeigte sich ferner ein kleiner, aber signifikanter Interaktionseffekt zwischen den Faktoren Gruppe und Messzeitpunkt. Die deskriptiven Werte zu diesen Variablen sind in Tab. 8 und Abb. 5 dargestellt.

Tab. 8 Mittelwerte und Standardabweichungen in der Subskala Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf getrennt nach Gruppe und Messzeitpunkt
Abb. 5
figure 5

Mittelwerte und Standardfehler in der Subskala Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf. Höhere Werte bedeuten, dass die Hochschulmathematik als relevanter eingeschätzt wurde

Die post-hoc durchgeführten t‑Tests mit Bonferroni-Korrektur indizierten hierbei zwei signifikante Unterschiede jeweils mit großer Effektstärke (s. Tab. 9). Zum einen unterschieden sich Treatment- und Vergleichsgruppe signifikant zum ersten Messzeitpunkt, zum anderen lag die wahrgenommene Relevanz in der Vergleichsgruppe zum ersten Messzeitpunkt signifikant über der wahrgenommenen Relevanz in der Treatmentgruppe zum zweiten Messzeitpunkt. Zum zweiten Messzeitpunkt wurde hingegen kein signifikanter Unterschied mehr zwischen Treatment- und Vergleichsgruppe beobachtet. Allerdings sinkt die Relevanzwahrnehmung in der Vergleichsgruppe nur in der Tendenz und nicht statistisch signifikant ab, was nicht zuletzt durch die geringe Größe der Vergleichsgruppe bedingt sein kann. Insgesamt stützen die Befunde zur wahrgenommenen Relevanz damit die Hypothese 2.

Tab. 9 Ergebnisse der paarweisen t‑Test mittels Bonferroni-Korrektur zur studentischen Wahrnehmung der Subskala Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf (RB). Die Effektstärke d wurde aufgrund der teils ungleichen Gruppengrößen mithilfe der gepoolten Varianz berechnet

6 Diskussion und Ausblick

Ziel der vorgestellten Studie war es, erste Befunde zu den Auswirkungen von Lehramtsaufgaben auf die wahrgenommene doppelte Diskontinuität zu ergänzen. Es sollte somit ein weiterer Beitrag zu der Frage geleistet werden, inwiefern Lehramtsaufgaben die wahrgenommenen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik sowie die wahrgenommene Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf beeinflussen können. Insgesamt sprechen unsere Ergebnisse für einen positiven Einfluss in dem Sinne, dass Lehramtsaufgaben die wahrgenommene doppelte Diskontinuität abmildern.

6.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Für die Subskala der inhaltlichen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik zeigte sich erwartungsgemäß ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen den Faktoren Gruppe und Messzeitpunkt, der auf eine günstigere Entwicklung in der Treatmentgruppe hinweist. Unsere Befunde weichen damit von den ersten Ergebnissen von Eichler und Isaev (2022) ab und sind eher im Einklang mit Isaev et al. (2022). Eichler und Isaev (2022) stellten entgegen den Erwartungen keinen Einfluss des Treatments Lehramtsaufgaben auf die wahrgenommenen Verbindungen fest, jedoch ein generelles Absinken der wahrgenommenen Verbindungen über die Zeit. Ein solcher Haupteffekt der Zeit zeigte sich in unseren Ergebnissen ebenso wie bei Isaev et al. (2022) nicht.

Für die Subskala der wahrgenommenen Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf konnten die bisherigen Befunde hingegen im Wesentlichen gestützt werden. Ebenso wie bei Eichler und Isaev (2022) zeigte sich kein signifikanter Anstieg der Relevanzwahrnehmung in der Treatmentgruppe. Dies war auch bei der Mehrzahl der von Schadl et al. (2019) untersuchten Kohorten und einer der zwei Treatmentgruppen von Isaev et al. (2022) der Fall. Analog zu Eichler und Isaev (2022) sowie Isaev et al. (2022) zeigte sich zudem auch in unserer Stichprobe eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren Gruppe und Messzeitpunkt, welche auf ein Absinken der Relevanzwahrnehmung in der Vergleichsgruppe hindeutet. Insgesamt indizieren die bisherigen Studien somit, dass durch den Einsatz von Lehramtsaufgaben keine Steigerung der wahrgenommenen Relevanz bewirkt wird. Da in der Tendenz sowohl in der Vergleichsgruppe unserer Studie als auch statistisch abgesichert in der von Eichler und Isaev (2022) sowie von Isaev et al. (2022) ein Absinken der Relevanzwahrnehmung zu verzeichnen war, liegt weiterhin die Vermutung nahe, dass ohne den Einsatz von Lehramtsaufgaben ein Absinken der Relevanzwahrnehmung zu erwarten ist.

Während die Ergebnisse zur wahrgenommenen Relevanz somit in unserer und anderen Studien darauf hinweisen, dass der Einsatz von Lehramtsaufgaben zwar keine Steigerung der Relevanzwahrnehmung zu bewirken scheint, aber einem Absinken der Relevanzwahrnehmung vorbeugen könnte, bleibt die Befundlage hinsichtlich der Wahrnehmung inhaltlicher Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik noch inhomogen. Hier bedarf es weiterer Forschung, die auch die Unterschiede der durchgeführten Studien gezielt berücksichtigen sollte. So legten Eichler und Isaev (2022) beispielsweise ihren ersten Messzeitpunkt an den Beginn des ersten bzw. dritten Semesters, während in unserer Studie der Fragebogen bewusst erst später im ersten Semester zum ersten Mal eingesetzt wurde. Da sich das Bild, welches Studierende von Mathematik haben, zu Studienbeginn gewöhnlich stark ändert (Geisler und Rolka 2021), ist davon auszugehen, dass Messungen zur Wahrnehmung von inhaltlichen Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik zu verschiedenen Zeitpunkten in der Eingangsphase möglicherweise stark variieren. Ein weiterer Unterschied zwischen den Studien ergibt sich daraus, dass an den beteiligten Hochschulen unterschiedliche Treatments (d. h. insbesondere unterschiedliche Lehramtsaufgaben) genutzt wurden, welche die unterschiedlichen Ergebnisse bedingt haben könnten. So können etwa verschiedene Schwerpunktsetzungen in der Gestaltung von Lehramtsaufgaben unterschiedlich auf die Wahrnehmung von Studierenden wirken. Erste Hinweise hierauf finden sich bei Isaev et al. (2022). Hier bedarf es weiterer Forschung dazu, welche Auswirkungen konkrete Gestaltungsmerkmale von Lehramtsaufgaben auf die wahrgenommene doppelte Diskontinuität nehmen. Als Ausgangspunkt können dabei die von Weber und Lindmeier (2022) identifizierten Merkmale, in denen Lehramtsaufgaben sich vorrangig unterscheiden, dienen: adressierte SRCK-Facetten, explizierter Schulbezug, benötigtes mathematisches Wissen sowie dominanter mathematischer Arbeitstyp. In einem weiteren Schritt ist zudem untersuchen, inwiefern die Ergebnisse sich zwischen verschiedenen Lehramtsstudiengängen unterscheiden. Unsere Studie hat, wie die bisherige Forschung auch, das gymnasiale Lehramt fokussiert, die doppelte Diskontinuität ist jedoch auch für andere Lehramtsstudiengänge relevant und kann möglicherweise auch dort mithilfe von Lehramtsaufgaben abgemildert werden.

Darüber hinaus ist zu untersuchen, inwiefern die Art der Korrektur sowie der Umgang mit den Lehramtsaufgaben in den vorlesungsbegleitenden Übungen sich auf die Wahrnehmung der Studierenden auswirken. Insgesamt ist die Forschungslage zu Gelingensbedingungen von Übungen im Mathematikstudium noch dünn, so dass unklar ist, wie Korrekturanmerkungen im Mathematikstudium gestaltet werden oder wie Studierende mit schriftlichen Korrekturanmerkungen umgehen. Generell scheint es, dass Übungsleitungen die Studierenden in ihren Übungen unterschiedlich stark unterstützen, den Aufgabeninhalt noch einmal genauer zu elaborieren (Püschl 2019). Lehramtsspezifische Befunde sind uns dazu nicht bekannt. Auf Basis der Befunde aus Forschungen im schulischen Kontext (s. z. B. Hattie 2008 für einen Überblick) ist davon aber auszugehen, dass Feedback, welches Studierende in schriftlichen Korrekturanmerkungen oder innerhalb der Übung erhalten, einen positiven Einfluss auf den Lernerfolg nimmt.

6.2 Limitationen

Als wesentliche Limitation unserer Studie ist anzuführen, dass die Vergleichsgruppe aufgrund der vorhandenen Rahmenbedingungen aus Fachstudierenden bestand, da keine Lehramtsstudierenden für eine randomisiert generierte Kontrollgruppe herangezogen werden konnten.

Die Eignung der Gruppe für Vergleiche auf Basis der beiden verwendeten Subskalen ist jedoch differenziert zu betrachten und für die Subskala „inhaltliche Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik“ als weniger kritisch einzuschätzen als für die Subskala „Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf“. Wie in Abschn. 2.1 dargelegt, stellt das Erleben einer ersten Diskontinuität kein lehramtsspezifisches Phänomen dar. Auch Fachstudierende können am Übergang Schule–Hochschule Schwierigkeiten haben, Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik zu sehen, da die beiden mathematischen Welten grundlegend verschieden sind und auch Nicht-Lehramtsstudierende Probleme im Sinne der Theorien der Person-Umwelt-Passung erleben (vgl. Abschn. 2.1). Entsprechend ist auch die Wahrnehmung, inwiefern Schul- und Hochschulmathematik inhaltlich miteinander verbunden sind, eine relevante Frage, mit der Fachstudierende sich im ersten Studienjahr vermutlich ebenso auseinandersetzen wie Lehramtsstudierende (Geisler und Rolka 2021). Es ist somit anzunehmen, dass Fachstudierende ihre Wahrnehmung der inhaltlichen Verbindungen ebenso wie Lehramtsstudierende valide einschätzen können und die beiden Gruppen für diese Subskala miteinander verglichen werden können. Möglich ist, dass Lehramtsstudierende in ihrer Einschätzung nicht nur auf ihr eigenes Lernen fokussieren, sondern auch auf den späteren Beruf, während Fachstudierende sich bei ihren Angaben nur auf das eigene Lernen beziehen. Da die Lehramtsstudierenden in unserer Stichprobe jedoch noch keine fachdidaktischen Lehrveranstaltungen oder Praktika besucht haben und somit noch keinen Blick auf Schulmathematik außerhalb ihrer eigenen Schulzeit erworben haben, kann sich ihre Einschätzung zu Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik nur aus dem ergeben, was sie selbst als Schülerinnen und Schüler erlebt haben. Gleiches gilt für Fachstudierende. Zusammenfassend gehen wir daher davon aus, dass die Einschätzung zu inhaltlichen Verbindungen zwischen Fach- und Lehramtsstudierenden sinnvoll zu vergleichen ist und sich in beiden Gruppen aus Erfahrungen der eigenen Schulzeit sowie neuen Erfahrungen an der Hochschule ergibt und der gewählte Studiengang hierbei keine verzerrende Rolle einnimmt.

Für die Subskala der „Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf“ gibt es hingegen möglicherweise wichtigere Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Anzunehmen ist, dass sich Fachstudierende in der Regel weniger mit der Relevanz von Hochschulmathematik für den Lehrberuf auseinandersetzen, während Lehramtsstudierende dies wahrscheinlich eher tun. Entsprechend ist es möglich, dass die Einschätzung der Lehramtsstudierenden reflektierter ist als die der Fachstudierenden. Dies gilt für beide Messzeitpunkte. Daraus leitet sich aber nicht ab, dass sich die Wahrnehmung in den beiden Gruppen unterschiedlich entwickeln sollte. Unsere Ergebnisse zeigen einen Haupteffekt der Gruppe, der darauf hinweist, dass Fachstudierende generell eine höhere Relevanzwahrnehmung zeigten als Lehramtsstudierende. Dies passt zu den Befunden von Rach (2022a), die zeigten, dass Fachstudierende den fachmathematischen Inhalten eine höhere Relevanz zuschreiben als Lehramtsstudierende, wobei Rach (2022a) mutmaßt, dass dies darin begründet sein kann, dass Lehramtsstudierende die Relevanz der Inhalte in Bezug auf ihren angestrebten Beruf beurteilen. Hinweise, dass sich die Wertzuschreibung signifikant unterschiedlich entwickelt, gibt es bisher hingegen nicht.

Abschließend ist hervorzuheben, dass die Messwerte unserer Vergleichsgruppe aus Fachstudierenden deskriptiv ein ähnliches Muster zeigten wie die der Kontrollgruppe aus Lehramtsstudierenden bei Eichler und Isaev (2022), nämlich ein Absinken sowohl in der Relevanzwahrnehmung als auch hinsichtlich der Wahrnehmung inhaltlicher Verbindungen (jeweils nicht signifikant in unserer Studie). Auch dies weist darauf hin, dass die Wahrnehmung von Fachstudierenden ähnlich der von Lehramtsstudierenden ist, wenn keine Lehramtsaufgaben bearbeitet werden.

6.3 Fazit

Zusammenfassend konnte unsere Studie somit Befunde stützen, dass Lehramtsaufgaben einen positiven Einfluss auf die wahrgenommene doppelte Diskontinuität nehmen oder zumindest einer zunehmenden Diskontinuitätswahrnehmung entgegenwirken können. Gleichzeitig wurde weiterer Forschungsbedarf im Bereich der wahrgenommenen Verbindungen aufgezeigt. In diesem Kontext ist zudem zu untersuchen, inwiefern Lehramtsaufgaben nicht nur zu einer erhöhten Wahrnehmung von Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik führen, sondern ob die Aufgaben auch tatsächlich dazu beitragen, dass Lehramtsstudierende Wissen über solche Verbindungen, also schulbezogenes Fachwissen (Dreher et al. 2018), aufbauen. Wie eingangs dargelegt, können Lehramtsaufgaben als Lerngelegenheiten für SRCK verstanden werden. Dabei sollte der Wissenserwerb durch die wahrgenommene Relevanz des Lerngegenstands (hier Hochschulmathematik und Verbindungen zur Schulmathematik), welche durch die Aufgaben unterstützt werden kann, noch zusätzlich begünstigt werden (Hulleman und Harackiewicz 2009). Empirische Befunde zum SRCK-Aufbau durch Lehramtsaufgaben stehen jedoch noch aus und können als nächster wichtiger Schritt verstanden werden, um die tatsächliche Eignung von Lehramtsaufgaben als professionsspezifische Lerngelegenheiten zu untersuchen.