Im Rahmen der schrittweisen Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab 2026, wird von Akteur*innen der Praxis, Wissenschaft und Politik (u. a. GaFöG 2021Footnote 1) wiederkehrend gefordert, nicht nur den Ausbaustand, sondern auch die Qualität des Ganztags zu berücksichtigen und zu verbessern. Unklar bleibt bei diesen Forderungen jedoch eine Konkretisierung der Qualitätsvorstellung im Ganztag. Zum Teil werden Modelle der Schulqualität auf den Ganztag übertragen und erweitert (Fischer et al. 2011b). Dies greift allerdings zu kurz, da neben den schulpädagogischen Akteur*innen mit der Kinder- und Jugendhilfe (mindestens) noch eine weitere Akteurin im Ganztag involviert ist, deren Ziel- und Qualitätsvorstellungen zu denen der Schulpädagogik komplementär, aber teils auch konträr sein können. Ferner sind ganztägige Bildungs- und Betreuungsarrangements durch eine hohe Heterogenität der Organisation und Gestaltung gekennzeichnet, sowohl zwischen als auch innerhalb der Bundesländer (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2022; Seemann und Titel 2022). Dies erschwert jedoch eine Systematisierung der Konzeptionen von Qualität in Ganztagsschulen (Sauerwein 2017).

Der Qualitätsbegriff selbst – auch in Bezug auf den Ganztag – ist keineswegs eindeutig. In zahlreichen politischen Absichtserklärungen ist von Qualitätsoffensiven, Qualitätsstandards, einem qualitätsvollen Ganztag o. Ä. die Rede (u. a. Zukunftsvertrag NRW), ohne die Natur der erwünschten Qualität zu beschreiben. Somit kann Qualität auch als ein leerer Signifikant (Laclau 2002) im Ganztagsdiskurs identifiziert werden: Die unterschiedlichen Akteur*innen fordern Qualität ein, bestimmen diese aber nicht näher. Im allgemeinen Sprachgebrauch kann Qualität als neutrale und somit objektiv überprüfbare Beschreibung verwendet werden, wird zumeist jedoch als Wertung gebraucht (Sauerwein und Klieme 2016). Dabei sind Wertungen abhängig von den jeweiligen Bewertungsgrundlagen (Heid 2000). Als Qualität können so entweder bestimmte (z. B. professionelle) Standards verstanden werden, aber auch Merkmale, die mit der Erreichung bestimmter Zielvorgaben verknüpft werden (Sauerwein und Klieme 2016). Im Fall des Ganztags können diese von der zuverlässigen Betreuung der Kinder bis hin zum Abbau ungleicher Bildungschancen reichen. Auch professionelle Standards als Bewertungsgrundlagen variieren und sind abhängig von den Perspektiven und Zielvorstellungen der Wertenden. Zugleich bestehen unterschiedliche Vorstellungen über die Wege der Zielerreichung. Die bestmögliche Förderung von Entwicklungsverläufen Heranwachsender ist beispielsweise eine Zielvorstellung, die Schule und Kinder- und Jugendhilfe teilen, nur bestehen unterschiedliche Vorstellungen über die Methoden, um dieses Ziel zu erreichen (Sauerwein 2017).

Es lässt sich festhalten: Ein integriertes theoretisch und empirisch fundiertes Qualitätsmodell von Ganztagsbildung unter Berücksichtigung schulischer und außerschulischer Konzeptionen existiert bisher nicht. Als Vorleistung entsprechender Aushandlungsprozesse ist daher zunächst eine systematische Betrachtung spezifischer Perspektiven auf Qualität hilfreich. Im Folgenden wird fokussiert, was aus den Perspektiven der Organisation bzw. der Steuerungsebene (insbesondere im Verhältnis von Schule und Kinder- und Jugendhilfe), der Eltern und der Kinder jeweils einen guten Ganztag ausmacht. Dies mündet in einer zusammenfassenden Überlegung zur Ganztagsqualität.

1 Guter Ganztag aus Perspektive der Organisation

Auf der Ebene der Organisation selbst wird die Perspektive der möglichst reibungslosen Steuerung für die Qualität des Ganztags relevant, wobei das „Funktionieren“ (Buchna et al. 2017) die entsprechende Zielvorstellung ist. Da hier Institutionen der Schule und der Kinder- und Jugendhilfe koordinative Aufgaben übernehmen, kann die Art und Weise der Koordination und Kooperation zwischen Schule und internen wie externen Partnern der Kinder- und Jugendhilfe (1.1) als Qualitätsmerkmal begriffen werden. Gemäß dieser Perspektive hängt Qualität auch eng mit personellen Ressourcen (1.2) des Ganztagssystems zusammen und ist an bestimmte pädagogische Ziele bzw. utilitaristisch intendierte Wirkungen geknüpft (1.3).

1.1 Kooperation und unterschiedliche Sichtweisen von Schul- und Sozialpädagogik

Ohne die Kooperation mit externen Partnern ist es für viele Schulen kaum möglich, unterschiedliche Ganztagsangebote bereitzustellen und Ganztagsschule zu werden (Coelen 2014; Zipperle 2015). Kooperationen und deren Umsetzung werden so entscheidende Schalthebel für professionelle und gute Ganztagsangebote. Denn die Angebote können unterschiedlich eng mit dem Unterricht verzahnt sein, und diese Verzahnung wird häufig als normatives Qualitätsmerkmal von Ganztagsschule betrachtet. So gilt die rhythmisierte und gebundene Ganztagsschule in der Schulpädagogik als Ideal, in der sich unterschiedliche Lernformen in Unterricht und Angeboten abwechseln, welche konzeptionell miteinander verbunden sind und somit erweiterte Formen des Lernens ermöglichen (Holtappels 2006; Prüß 2020).

Aus Perspektive der Sozialpädagogik besteht allerdings Skepsis gegenüber einer allzu engen Verbindung zu einem vorgegebenen Curriculum. Während Schule – und bei Anmeldung zu Ganztagsangeboten auch der Nachmittagsbereich – eine Pflichtveranstaltung ist, verstehen sich freiwillige Angebote der Kinder- und Jugendhilfe (insbesondere der Kinder- und Jugendarbeit) als „andere Seite der Bildung“ (Graßhoff et al. 2019a; Otto und Rauschenbach 2008). Die andere Seite der Bildung konturiert ein breites Bildungsverständnis. Freiwilligkeit, Selbstbildung sowie das Fehlen von Machtmitteln eröffnen Heranwachsenden demnach erweiterte Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt, was in der Kinder- und Jugendarbeit als Bedingung für Bildungsprozesse angesehen wird (Sting und Sturzenhecker 2021). Die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit muss an den Interessen der Kinder anschließen, weil sie die Angebote sonst nicht besuchen würden. Im Rahmen eines schulischen Ganztagsangebots besteht oftmals Anwesenheitspflicht, so dass die fortwährende Ausrichtung an den Interessenslagen der Kinder und Jugendlichen weniger zentral ist. In der schulischen Realität bezieht sich die Freiwilligkeit häufig nur auf die Wahl eines Angebots oder der Teilnahme am Ganztag. Im sozialpädagogischen Diskurs wird Bildung als selbstbestimmter, auf Freiwilligkeit basierender Prozess verstanden, weshalb Anmeldeverfahren problematisiert werden. Auch das Wegfallen einer niedrigschwelligen Komm- und Gehstruktur wird kritisch hinterfragt (Graßhoff et al. 2019a, 2019b; Sauerwein 2018). Aus dieser Perspektive würde hohe Qualität bedeuten, auch in Kooperation mit Schule diese Strukturmaxime beizubehalten, was aufgrund schulrechtlicher Vorgaben schwer umzusetzen ist. Obwohl sich somit die Qualität der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen der Ganztagsschule verändert (u. a. Graßhoff et al. 2019a; Sauerwein 2021), zeigen empirische Befragungen bei der Evaluation von Ganztagsgrundschulen, dass eine gemeinsame rechtliche Grundlage aller Elemente des Ganztags sowohl von Angebotsträgern als auch von Schulleitungen ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist (Fischer und Kuhn 2021).

Ein Problem ist, dass sich außerschulische Kooperationspartner häufig an ein bereits vorhandenes Schulkonzept anpassen (müssen), das sie nicht mitgestaltet haben. Die Qualitätsdefinition der Schule kann sich an diesen Stellen gegenüber denen der Kooperationspartner*innen durchsetzen. Eine Neugestaltung einer Institution findet jedoch nur statt, wenn Prozesse der De- und Reinstitutionalisieren durchlaufen werden. Kessl und Richter (2021) arbeiten heraus, dass zunächst institutionelle Routinen aufgebrochen werden müssen, damit in Kooperation von Jugendhilfe und Schule eine „neue“ Form der Zusammenarbeit (Reinstitutionalisierung) entstehen kann. Aktuell gibt es Versuche der Länder oder einzelner Kommunen, dieses Problem durch die Vorgabe zur Gestaltung eines gemeinsamen Konzepts der Schule und zumindest eines (Haupt‑)Angebotsträgers der Kinder- und Jugendhilfe zu begegnen (z. B. im Rahmen des Pakts für den Nachmittag in Hessen: Fischer und Kuhn 2021). Befragungen der Leitungskräfte aus beiden Professionen zeigen, dass sich die Konzeptentwicklung zwar schwierig gestaltet, aber durchaus als bereichernd und lohnend erlebt wird (s. a. Böhm-Kasper et al. 2017, S. 122). Eine gemeinsame konzeptionelle Arbeit findet aber längst nicht überall statt. Oftmals ist die Zusammenarbeit eine Zweckehe. Schulen brauchen die Partner aus der Kinder- und Jugendhilfe, um die vorgegebenen Betreuungszeiten abzudecken. Diskurse über Qualität werden durch den Handlungszwang überlagert, den Ganztag zu organisieren.

Kooperation zwischen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie ihren professionellen Akteur*innen wird als wesentlich für die Qualität des Ganztags angesehen. Kooperation als Qualität changiert hier zwischen einem affirmativen Apell, indem Kooperation per se als gut unhinterfragt angenommen wird, aber auch Vorstellungen einer gelingenderen Zusammenarbeit auf Augenhöhe bis hin zu Annahmen, dass Kooperation positiv für Schüler*innen sei (u. a. Rother et al. 2021; Hochfeld und Rothland 2022). Organisationen wie die Schule sind aber in ihren Abläufen vorbestimmt. Veränderungen von diesen geordneten Abläufen werden als Zusatzbelastung erlebt (Schwab 2012). Es geht also mit Blick auf eine gute Ganztägigkeit nicht zwangsläufig auch um eine bestimmte Qualität, sondern ums Funktionieren, als möglichst spannungsarme Zusammenarbeit von verschiedenen Instanzen und pädagogischen Akteur*innen (z. B. Rother et al. 2021; Rother 2019; Spies 2019).

Mit Blick auf die konkrete Kooperation vor Ort ist zudem auf weitere Professions- (Silkenbeumer et al. 2018), Organisations- (Spies 2019) und Statusunterschiede (Arnoldt und Züchner 2020; Buchna et al. 2016) hinzuweisen, die sich auch in der Ausgestaltung der internen multiprofessionellen Kooperation vor Ort niederschlagen (z. B. Tillmann 2020). Aufgrund all dieser Divergenzen wird die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwar gesehen, in der konkreten Praxis ist die Zusammenarbeit jedoch ambivalent (Gosse 2020; Icking und Deinet 2021; Zipperle 2015, 2021). Erschwerend für die Zusammenarbeit der unterschiedlichen pädagogischen Berufsgruppen sind tradierte Verständnisse über die jeweils andere Berufsgruppe respektive Einrichtung. Schulen und Lehrkräfte sind für die kognitive Förderung und formale Bildungsprozesse zuständig. Den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe und somit auch den entsprechenden Berufsgruppen (Erzieher*innen, Sozialpädagogen*innen) fällt die Aufgabe zu, Defizite zu kompensieren und soziale Probleme zu bearbeiten (Stahl et al. 2022). In Kooperation mit Schulen sollen so Lehrkräfte von als „schwierig“ markierten Schüler*innen entlastet werden (Hochfeld und Rothland 2022). Bringen sich Sozialpädagogen*innen aktiv in Schule ein, kann dies jedoch auch mit Irritationen verbunden sein, wenn Aufgaben und Zuständigkeiten ausgehandelt werden müssen (Silkenbeumer et al. 2018; Thieme 2021), während einige Lehrkräfte Delegationsbedarfe haben (Spies 2019, S. 293). Nicht-Lehrkräfte beklagen sich zudem oftmals über fehlende Anerkennung von Seiten des Lehrpersonals (Chiapparini et al. 2018).

In der Diskussion um Kooperation wird deutlich, dass unterschiedliche Perspektiven auf das jeweilige Qualitätsverständnis im Ganztag bestehen. Insgesamt bleibt die Bestimmung von Qualität der Kooperation eine Herausforderung, da es sowohl einleuchtende Begründungen für Modelle einer engen Zusammenarbeit mit ähnlichen Zuständigkeiten und Zielen gibt, als auch für eine eher distanzierte Betrachtung schulischer Anforderungen durch weiteres pädagogisches Personal, um sich einer Vereinnahmung durch Schule zu entziehen und die Qualität außerunterrichtlicher Settings zu bewahren.

1.2 Organisation des Personals: Personalmangel und Qualifikation des Personals

In der öffentlichen Debatte wird wiederholt formuliert, dass Personalmangel (z. B. van Mil und Feist-Ortmanns 2022), aber auch die Öffnung für nicht pädagogisch Qualifizierte zu einem Qualitätsabfall beitragen. Entsprechend wird ein Fachkräftegebot gefordert bzw. Nachqualifizierungen aus verwandten Berufen. Die notwendige Personalausstattung im außerunterrichtlichen Bereich ist aber wesentlich mit Fragen nach der Bedarfsdeckung aus der Perspektive von Eltern verknüpft, aber auch mit Anliegen der Bildungspolitik und wird somit auch zur Qualitätsfrage. In der StEG-Schulleitungsstudie geben rund zwei Drittel (an Gymnasien rund die Hälfte) der Schulen an, Probleme bei der Rekrutierung von zusätzlichem Personal für den Ganztag zu haben (StEG-Konsortium 2019), und die Fachkräfte selbst sehen neben den räumlichen Bedingungen den unzureichenden Personalschlüssel als zentrale Herausforderung bei der konzeptionellen Umsetzung an (van Mil und Feist-Ortmanns 2022). Im gegenwärtigen Fokus auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung liegen Bedarfsberechnungen vor, die von 33.000 bis zu 100.000 fehlenden Stellen ausgehen, wobei Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen (Bock-Famulla et al. 2022; Rauschenbach et al. 2021).

Forschungsarbeiten, in denen die Qualifikation mit dem pädagogischen Alltag in Verbindung gebracht wird, stehen jedoch erst am Anfang: Einen Zusammenhang zwischen einer höheren Angebotsqualität und der Qualifikation mit positiverem Sozialverhalten der Teilnehmer*innen stellen nordamerikanische Studien fest (Cross et al. 2010; Gottfredson et al. 2007). Sozialpädagogische Fachkräfte orientieren sich zudem stärker an Kindern, während nicht einschlägig qualifiziertes Personal sich eher an schulischen Regeln ausrichtet (Sauerwein und Danner i.E.). Ähnlich beschreibt Idel (2021), dass sich sogenannte Laien der Bearbeitung pädagogischer Antinomien im Ganztag entziehen. Bisher wird allerdings in den weiteren vorliegenden Studien zur multiprofessionellen Kooperation im Ganztag auf Ebene des weiteren pädagogisch tätigen Personals nicht genauer nach Ausbildungshintergrund bzw. pädagogischer Qualifikation des Personals differenziert (Hochfeld und Rothland 2022). Die pädagogische Qualifikation des Personals sowie die Ausstattung mit personellen Ressourcen können aus dieser Perspektive als Qualität verstanden werden.

1.3 Guter Ganztag und pädagogische Ziele – Wirkung von Ganztagsschulen als Qualität

Der Anstoß zum Ausbau von Ganztagsschulen vor rund 20 Jahren zielte neben der Vereinbarkeit von Beruf und Familie darauf, Bildungschancen gleichmäßiger zu verteilen, um so herkunftsbedingte Disparitäten zu kompensieren. Auch sollten soziale und emotionale Kompetenzen gefördert werden (Holtappels 2010). Daher sind Wirkungen des Ganztags auf fachliche und überfachliche Kompetenzen als Qualitätsmerkmal zu verstehen. Positive Zusammenhänge mit der Entwicklung von schulfachbezogenen Kompetenzen konnten in den Studien der vergangenen Jahre kaum gefunden werden (Sauerwein et al. 2019; Sauerwein und Heer 2020; Steinmann und Strietholt 2019). Die wenigen Studien, die positive Zusammenhänge zwischen dem Besuch von Ganztagsangeboten und Schulleistungen finden, stellen bestimmte Merkmale fest, die hierfür vorliegen müssen. Zunächst scheint die freiwillige Teilnahme an Angeboten sehr bedeutsam (Fischer et al. 2016; Sauerwein und Heer 2020). Ebenso müssen die Angebote den Schüler*innen Spaß machen (Linberg et al. 2018). Holtappels et al. (2019) finden positive Effekte eines Leseangebotes – „Detektivclub“ – auf die Entwicklung von Lesekompetenzen in der Primarschule. Dies gilt auch für benachteiligte Schüler*innen. Das Angebot ist zielorientiert und strukturiert gestaltet, jedoch rückt es auch das spielerische Lesen in den Fokus (Tillmann et al. 2021). Die Durchführung erfolgte stark kontrolliert mit wissenschaftlicher Begleitung. Die Übertragung solcher Programme in den Alltag des Ganztags stellt allerdings noch ein Desiderat für Forschung und Praxis dar. Bildungschancen sind jedoch auch wesentlich von schulischen Zertifikaten abhängig, daher sind vorliegende Befunde mit Blick auf die Reduktion von Klassenwiederholungen durch Ganztagsteilnahme (Steiner 2011) und eine weniger negative Notenentwicklung über die Sekundarstufe I hinweg (Kuhn und Fischer 2011a) bezüglich verbesserter Bildungschancen bedeutsam, auch wenn sich die Effekte auf die Notenentwicklung über eine Erhöhung des schulischen Wohlbefindens (Fischer und Theis 2014) und verbessertes Sozialverhalten (Kuhn und Fischer 2011b) erklären lassen. Ganztag kann also unter bestimmten Bedingungen Leistungen und Notenentwicklung beeinflussen. In diesem Zusammenhang werden vielfach Merkmale des Ganztags wie Partizipation, Lebensweltbezug und Autonomieunterstützung als Qualitätsmerkmale von Ganztagsangeboten angesehen (z. B. Fischer et al. 2012; Sauerwein 2017).

Qualität kann auch an der Entwicklung sozialer Kompetenzen abgelesen werden. Neben dem Befund, dass die Ganztagsangebotsteilnahme per se mit weniger störendem und aggressivem Verhalten in Schule und Unterricht einhergeht (Fischer et al. 2011c) zeigt sich, dass Wirkungen auf soziale Kompetenzen und Sozialverhalten abhängig von der Gestaltung der Angebote (Qualitätsmerkmale) sind. Basierend auf sozialpädagogischen Konzepten – insbesondere aus der Kinder- und Jugendarbeit – sowie auf Motivationstheorien und empirischer Forschung zur Unterrichtsqualität und zu „extracurricular activities“ in den USA, konnte in den vergangenen Jahren eine Matrix für die Qualität von Ganztagsangeboten erstellt werden (zusammenfassend: Sauerwein und Fischer 2020). Ihre Dimensionen umfassen Strukturiertheit, (kognitive) Aktivierung, Autonomieunterstützung, Anerkennung, Partizipationsmöglichkeiten sowie Alltagsorientierung der Angebote (Sauerwein 2017). Diese Merkmale der Angebote, in den jeweiligen Studien mal als allgemeine Prozessqualität, mal differenziert erhoben, hängen mit der Entwicklung des Sozialverhaltens, des Selbstwertgefühls, der sozialen Selbstwirksamkeit und des Wohlbefindens zusammen (Fischer et al. 2011a; Kuhn et al. 2016; Sauerwein 2017). In diesem wirkungsorientierten Diskurs sind Merkmale, die zur Kompetenzentwicklung beitragen, gleichzusetzen mit Qualität.

2 Guter Ganztag aus Perspektive der Adressat*innen

Im Gegensatz zur organisationalen oder professionellen Ebene wird die Adressat*innenperspektive im Qualitätsdiskurs eher weniger beachtet. Allerdings zeigen sich die Qualitäten für ein Angebot einer Organisation insbesondere in der Passung zu den Adressat*innen. Zunächst wird die Eltern- (2.1) und danach die Kinderperspektive (2.2) auf guten Ganztag erörtert, die sich deutlich unterscheiden können.

2.1 Guter Ganztag aus der Perspektive von Eltern

Aus der Elternperspektive wird Qualität zunächst als Deckung der Betreuungsbedarfe konturiert, um z. B. die Vereinbarkeit von Sorge- und Berufstätigkeiten zu ermöglichen. In unterschiedlichen amtlichen Statistiken (Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik 2021; KMK 2021) oder Bedarfsberechnungen der Kosten, Betreuungsplätze oder des Personalbedarfs mit Blick auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung (Huschik et al. 2023; Bock-Famulla et al. 2022; Hüsken et al. 2021) werden eine möglichst hohe Betreuungsquote im Ganztag ebenso wie umfassende Betreuungszeiten und möglichst wenig ungedeckte Bedarfe als erstrebenswert erachtet. Insgesamt übersteigt der Bedarf die Beteiligungsquote bei Grundschulkindern bundesweit um ca. 9 %, jedoch bestehen insbesondere in ländlichen Regionen bzw. Bundesländern niedrigere Bedarfe (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2022). Zur Erfüllung des Rechtsanspruchs wird mit bis zu 577.000 zusätzlich benötigten Plätzen gerechnet (Huschik et al. 2023, S. 25). Bedeutsam ist aus dieser Perspektive folglich nicht unbedingt eine hohe Betreuungsquote, sondern eine hohe Bedarfsdeckung.

Einen Betreuungsbedarf von acht Stunden täglich an fünf Tagen artikulieren rund 30 % der Eltern von Grundschulkindern (Hüsken et al. 2021). Auch wenn die Bedarfsabdeckung aus Sicht der Eltern ein Qualitätsmerkmal darstellt, präferieren sie überwiegend flexible Betreuungsmodelle (Killus und Tillmann 2017). Motive der Eltern für die Anmeldung ihres Kindes am Ganztag können – neben der Betreuung und Aufnahme oder Ausweitung einer beruflichen Tätigkeit (Hüsken et al. 2021) – die zusätzlichen Angebote im Ganztag sein, zusätzliche Fördermöglichkeiten und Unterstützung bei den Hausaufgaben sowie ein längeres Zusammensein mit Freund*innen (Bertelsmann Stiftung 2016; Killus und Tillmann 2017; van Mil und Feist-Ortmanns 2022). Qualitätsansprüche für Eltern sind also nicht nur in einer Bedarfsdeckung sowie einer Entlastung (z. B. in Bezug auf häusliche Lernunterstützung) zu sehen, sondern auch in Bezug auf die Unterstützung der Entwicklung ihrer Kinder. In empirischen Studien zeigt sich übergreifend, dass Eltern sich im Ganztag, neben zuverlässiger Betreuung, vor allem eine Stärkung der Persönlichkeit sowie soziale und motorische Förderung wünschen und eine individuelle fachliche Förderung demgegenüber von einem geringeren Anteil der Eltern erwartet wirdFootnote 2 (Fischer und Kuhn 2021; Gerleigner und Kanamüller 2021). Der Qualitätsanspruch der Eltern macht sich also neben der Aufrechterhaltung einer zuverlässigen und flexiblen Betreuung vor allem an der Persönlichkeitsförderung des Kindes fest. Ebenso kann als Qualitätsmerkmal in der Diskussion um Elternbedarfe das Verhältnis von Eltern und Personal aufgegriffen werden. Ein gelingender Informationsfluss, aber auch Sensibilität für die jeweiligen Lebenslagen sind aus Elternperspektive relevant für die Qualitätseinschätzung (Pilchowski und Lipowski 2022).

2.2 Guter Ganztag aus der Perspektive von Kindern

Während in den wirkungsorientierten Studien zwar die Zustimmung der Kinder zu bestimmten Qualitätsmerkmalen erhoben wird, spiegelt dies jedoch nicht zwangsläufig die Perspektive der Kinder als handlungsmächtige Akteur*innen wider. Erst in den vergangenen Jahren wurde verstärkt die Kinderperspektive auf Qualität in Ganztagsschulen zum Forschungsgegenstand (Chiapparini et al. 2020; Deinet et al. 2018; Fischer et al. 2022; Walther und Nentwig-Gesemann 2021) und wird auch in Positionspapieren eingefordert (AGJ 2022). Werden Arbeiten, die die Kinderperspektive explizit aufgreifen zusammengefasst, können nachfolgende Aspekte als Qualitätsmerkmale herausgearbeitet werden. Die Beziehungen zu den Betreuer*innen wird wiederkehrend erwähnt. Diese sollten von gegenseitiger Anerkennung geprägt sein. Auch die Beziehungen zu Mitschüler*innen sind für Kinder zentral. Ferner geben Kinder an, dass sie sich echte Erlebnisse wünschen, draußen sein, Ausflüge unternehmen und die Natur erleben wollen (Chiapparini et al. 2020; Deinet et al. 2018; Fischer et al. 2022; Walther und Nentwig-Gesemann 2021). Auch reklamieren Kinder ein Recht auf Erholung, die sie jedoch eher über Aktivitäten statt über Ruhe erleben (Gumz 2020; Rother 2023). Kinder wünschen sich vor allem, dass sich außerunterrichtliche Ganztagsangebote vom Unterricht unterscheiden, was aus ihrer Sicht häufig nicht der Fall ist (Fischer et al. 2022). Dies gilt auch für die selbstbestimmte Gestaltung des Ganztags. Das Personal wird häufig eher als kontrollierend anstelle von autonomieunterstützend wahrgenommen (Fischer et al. 2022). Partizipation spielt aus der Perspektive von Kindern in Unterricht und Angeboten eine wichtige Rolle. Sie wünschen sich das Mitentscheiden insbesondere bei alltäglichen Dingen. Deutlich wird dies beispielsweise beim Mittagessen: Dieses soll nicht nur schmecken, sondern Kinder möchten mitentscheiden, was sie essen und kritisieren es, wenn Sie gezwungen werden Speisen zu probieren und ihre Grenzen vom Personal übertreten werden (Sauerwein et al. 2023). Schließlich sind Räume bzw. die räumliche Gestaltung des Ganztags für Qualität aus Kindersicht zentral. Rückzugsräume müssen vorhanden sein, um Privatheit und Freundschaft zu ermöglichen. Dies inkludiert ebenso, nicht unter Dauerbeobachtung von Erwachsenen zu stehen. Zudem wünschen sich Kinder eine ansprechende Ausstattung im Ganztag mit Spielen und Spielgeräten (bei deren Anschaffung sie auch beteiligt werden können). Auch der Wunsch nach Natur und naturnahen Erlebnissen ist in entsprechenden Antworten klar zu erkennen (Fischer et al. 2022; Lehto und Eskelinen 2020; Simoes Lourêiro et al. 2019; Walther und Nentwig-Gesemann 2021; Sauerwein et al. 2023).

3 Kinderrechte und ungleiche Lebensbedingungen

Ein starkes Argument für die Orientierung an Kindern bei der Betrachtung von Qualität kann über die Rechte von Kindern entwickelt werden (Wapler 2020). Hierbei steht nicht direkt die Perspektive der Kinder im Fokus, sondern die Umsetzung bestimmter Rechtsvorgaben. Gefragt wird nach den Zugängen zu den Bildungsangeboten im Ganztag und damit auch nach Kosten für Eltern. Hier liegen Hinweise vor, dass diese ein Hindernis bei der Anmeldung zum Ganztag darstellen können (Bertelsmann Stiftung 2016). Ebenso werden aus rechtlicher Perspektive Prinzipien des Kindeswohls betrachtet. Auch dies führt zu dem Ergebnis, dass im Ganztag, die Interessen der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und hierbei auch ihre Rechte auf Erholung, Spiel und FreizeitFootnote 3 zu berücksichtigen seien. Kindern steht ebenso ein Schutz ihrer PrivatsphäreFootnote 4 zu, der im Ganztag gewahrt werden muss. „Im Ganztagsbetrieb muss es Orte geben, an denen Kinder ungestört sein und dies auch gegenüber anderen Kindern durchsetzen können“ (Wapler 2020, S. 20). Auch das Recht auf Entwicklungsmöglichkeiten wird aufgeführt und mit Blick auf Fragen der Beteiligung diskutiert (Wapler 2020). Über diese Perspektive können ferner die über das Investitionsprogramm Bildung und Betreuung qua Ganztagsschule intendierten Zielvorstellungen des Abbaus von Bildungsungleichheiten aufgerufen werden (BMBF 2003). Auch wenn es nicht gelingt, schulische Defizite auszugleichen (s. Abschn. 1.3), kann argumentiert werden, dass die Ermöglichung von Teilhabe ein zentrales Qualitätsmerkmal von Ganztagsschulen darstellt (Sauerwein und Rother 2022). Vorliegende Befunde weisen darauf hin, dass es Ganztagsschulen gelingen kann, mehr Kinder für außerunterrichtliche Betätigungen (insbesondere Sport) zu erreichen und gar Anwerbeeffekte bestehen (Hakim und Züchner 2021). Auch die Ermöglichung von Inklusion im Ganztag schließt hier an, artikuliert durch die Forderung „allen Kindern in unterschiedlichsten Lebens- und Bildungssituationen, unabhängig von ihren persönlichen Voraussetzungen und ihrer Herkunft, eine möglichst optimale individuelle Förderung zukommen zu lassen“ (AGJ 2022, S. 6). Entsprechendes Personal ist jedoch oftmals nur für den Unterricht vorhanden (StEG-Konsortium 2019). StEG-Ergebnisse (ebd.) deuten darauf hin, dass Ganztag und Inklusion an vielen Schulen noch nicht im Zusammenhang gedacht werden und hier Weiterentwicklungspotenziale bestehen.

3.1 Qualität in Ganztagsschulen – eine zusammenfassende Betrachtung

Qualität in Ganztagsschulen ist ein viel genutztes, aber oftmals nicht hinreichend konkretisiertes Konzept, das sich je nach Perspektive unterscheidet. Im Ganztag ist eine Vielzahl von Akteur*innen involviert, die unterschiedliche Zielvorstellungen mitbringen: Um die Vorstellungen und Bedarfe der Eltern zu decken, sind genügend Ganztagsschulen mit umfassenden Betreuungszeiten nötig, die möglichst kostenfrei in Anspruch genommen werden können. Kinder sollen insbesondere bei der Persönlichkeitsentwicklung sowie bei der Bearbeitung der Hausaufgaben unterstützt werden und zudem spannende Angebote besuchen können. Hierfür bedarf es ausreichenden Personals und die wenigen vorliegenden Befunde zeigen, dass die pädagogische Qualifikation des Personals mit einem höheren Grad an Reflexivität im pädagogischen Handeln und damit professionellerem Agieren einhergeht.

Wird hingegen die Wirkung als Qualitätskriterium untersucht, sind Angebote zentral, die idealiter freiwillig und dauerhaft aufgesucht werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, ob fachliche Bildungsziele oder eher die soziale und emotionale Entwicklung fokussiert werden. Betrachtet man z. B. Autonomieunterstützung, Anerkennung und Partizipationsmöglichkeiten als Qualitätsmerkmale von Ganztagsangeboten, so konvergiert dies durchaus mit den Qualitätsvorstellungen der Kinder, beruht aber in der Wirkungsdebatte auf dem Wunsch der Erreichung eines zukünftigen (Bildungs‑)Ziels und entwertet damit das Hier und Jetzt von Kindern (Honig 2016, S. 170).

Aber nicht nur Kinder, sondern auch die Akteur*innen aus Schule und Kinder- und Jugendhilfe haben disparate Qualitätsverständnisse, die vor allem dann markant werden, wenn die Kooperation fokussiert wird. Während aus schulpädagogischer Perspektive eher eine enge Zusammenarbeit präferiert wird, ist der sozialpädagogische Diskurs ambivalent und changiert zwischen möglichen Anwerbeeffekten auf der einen (zur Sicherstellung der eigenen außerschulischen Angebote sowie zur Ermöglichung von Teilhabe) und einer Distanzierung zur Schule auf der anderen Seite, um den genuin anderen Bildungszugang zu erhalten. Auch hier gibt es keine einheitliche richtige Perspektive aus fachlicher Sicht.

Die Antwort auf die Frage, was ein qualitätsvoller bzw. guter Ganztag sei, bleibt entsprechend diffus, herausfordernd und vielschichtig. Auflistungen entsprechender Merkmale können nur Teilfacetten abdecken und sind deshalb kritisch zu reflektieren. Dennoch können sie Anregungen für die Gestaltung des Ganztags bieten. Der Idee einer evidenzbasierten Steuerung, mit vorgegebenen Qualitätsmerkmalen ist daher ein reflexives Verständnis von Qualität entgegenzusetzen (zum Diskurs über Reflexivität und evidenzbasierte Steuerung s. u. a. Helsper 2021). Vielleicht ist es der Diffusität des Qualitätsbegriffes geschuldet, dass politische Ansätze in diesem Bereich meist nur empfehlenden Charakter haben. So berücksichtigen z. B. die „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität der Ganztagsschule und weiterer ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“ verschiedene Perspektiven und erkennen neben der Schule auch die Kinder- und Jugendhilfe als relevante Akteurin an.

Auf Ebene der einzelnen Institution sind jeweils Schule und Träger des Ganztagsangebots angehalten, sich über die eigenen und gemeinsamen Zielvorstellungen klar zu werden, sich untereinander zu verständigen und basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen Qualitätsmerkmale herauszuarbeiten, die mit den konsensual ausgehandelten Zielvorstellungen in Zusammenhang stehen. Unabdingbar erscheint hier eine Fokussierung auf Kinder als Adressat*innen, deren Entwicklung und Wohlergehen bei allen Akteur*innen eine Rolle für die Qualitätseinschätzung spielt. Die skizzierte dynamische Rahmung von Qualität kann zu unterschiedlichen Resultaten führen. So kann für die eine Ganztagsschule eine enge Verzahnung mit verbindlichen Betreuungszeiten sinnvoll sein, während die andere ein offenes Modell präferiert und in einer dritten Ganztagsschule Schule und Träger weitestgehend unabhängig voneinander – mit klar vereinbarten Zielen – agieren. Entscheidungen für entsprechende Modelle sollten aus guten Gründen, aber nicht aus pragmatischen Notwendigkeiten oder hierarchischen Abhängigkeiten getroffen werden. Guter Ganztag ist also immer eine Frage der Perspektiven und Ziele. Womöglich liegt in der kontinuierlichen Bearbeitung dieser Herausforderungen und des Hinterfragens der eigenen Organisation die Qualität guter Ganztagsschulen.