Ganztagsentwicklung und die Rolle außerschulischer Bildung

Gut 15 Jahre nach Beginn des flächendeckenden Ausbaus von Ganztagsschulen in Deutschland kann diese Entwicklung als eines der größten bildungspolitischen Reformprojekte der letzten Jahrzehnte in Deutschland gefasst werden, das über die Grenzen der Zuständigkeit der Bundesländer hinweg zu nachhaltigen Veränderungen im deutschen Bildungssystem geführt hat bzw. weiterhin führt (Arnoldt et al. 2018). Angestoßen insbesondere durch die Ergebnisse bundesdeutscher Schüler*innen bei internationalen Vergleichsstudien und massiv vorangetrieben von Bundes- und Landesprogrammen stieg zwischen 2005 und 2018 die Quote der Ganztagsschulen von ca. einem Viertel auf etwa zwei Drittel aller Schulen (StEG-Konsortium 2019, S. 154) und die Zahl der Ganztagsschüler*innen um ca. 15 % auf – je nach Studie und betrachteter Altersgruppe – 25 % (Andresen et al. 2018) bzw. etwa 43 % (KMK 2018).

Vor dem Hintergrund dieser sprunghaften Entwicklung wurde 2015 in Düsseldorf die Studie „Offene Ganztagsschule als Lebensort aus Sicht von Kindern“ (Deinet et al. 2018) umgesetzt, deren Ergebnisse der vorliegende Beitrag nutzt, um insbesondere deren Erleben von mit Bewegung verbundenen informellen Settings des Lernens und der Bildung zu beleuchten. Auf Basis einer – in diesem Rahmen notwendig skizzenhaften – Einführung zu den mit ganztägigen Schularrangements assoziierten Erwartungen wird insbesondere die in diesem Kontext Sport und Bewegung zugeschriebene Relevanz erörtert – sowohl in ihrer Perspektive auf das Individuum als auch in ihrer gesellschaftlichen Ausrichtung. Anschließend wird eine Einordnung von Teilergebnissen der Studie in diesen Erwartungshorizont vorgenommen, um konzeptionelle Implikationen für die involvierten Akteure zu diskutieren und die Erkenntnisse insbesondere auch in ungleichheitssensibler Perspektive zu rahmen.

Die an Ganztagsschulen gerichteten Erwartungen sind hoch: Vorrangig erscheinen in den Programmatiken Ziele im Bereich der Verbesserung individueller Kompetenzen. Mit Perspektive sowohl auf Benachteiligungsabbau als auch Begabungsförderung werden hier neben bildungs- und sozialpolitischen auch wirtschaftspolitische Ziele im Sinne einer besseren Ausschöpfung von Begabungsreserven aufgerufen (Arnoldt et al. 2018), familienpolitisch zentral ist zudem der Fokus einer Optimierung der Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit. Gleichzeitig wird aus pädagogischer Sicht eine konzeptionelle Erweiterung erhofft hinsichtlich eines „erweiterten“ Bildungsbegriffes, der formales, non-formales und informelles Lernen in den Blick nimmt und verbindet (z. B. Klieme und Rauschenbach 2011, S. 344; Coelen und Dollinger 2012, S. 767).

Akteure der außerschulischen Bildung werden in diesem Zusammenhang u. a. mit dem Auftrag adressiert, schulische Lerngelegenheiten durch zusätzliche Bildungsinhalte anzureichern, ihre Handlungsmaximen wie Freiwilligkeit, Partizipation, Lebenswelt- und Subjektbezug einzubringen und damit eine Veränderung der Lehr-Lern-Kultur in Schulen anzuregen. Auch wird ihnen im stärkeren Maße als Einrichtungen der formalen Bildung zugesprochen, auch diejenigen Kinder mit ihren Bildungsangeboten zu erreichen, die in ihren lebensweltlichen Zusammenhängen keine ausreichende Unterstützung und Anerkennung erfahren (z. B. Graßhoff 2017; Thole 2018). Ein Fokus der Ganztagsentwicklung liegt damit auch auf den Facetten non-formalen und informellen Lernens – sowohl hinsichtlich des Erwerbs von „Alltagsbildung“ (Rauschenbach 2007) als auch in ihrer Relevanz für die Reproduktion sozialer Ungleichheit (Harring et al. 2018). Der Auftrag kann also in vielen Aspekten als kompensatorisch zum System Schule betrachtet werden, ist gleichwohl auch mit der Hoffnung verbunden, in der Verschränkung der Systeme ein gemeinsames „Neues“ zu etablieren, das gekennzeichnet sein könnte durch ein verändertes Verständnis von Bildung, (mehr) Chancengerechtigkeit, eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder und damit auch einem Verständnis von Schule als wesentlichem Teil der kindlichen Lebenswelt.

Sport und Bewegung in Konzeptionen ganztägiger Bildung

Ausgehend beispielsweise vom 12. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2005) spielen Sport und Bewegung in der Entwicklung ganztägiger Bildung von Beginn an eine große Rolle (Abb. 1). Ohne die Begründungsfiguren hier im Einzelnen nachzeichnen zu können, bilden einen Ausgangspunkt Studien, nach denen Sport für Kinder eine der wichtigsten oder – für 8‑ bis 11-jährige Kinder gemeinsam mit „Freunde treffen“ mit 56 % – sogar die wichtigste Freizeitbeschäftigung (Wolfert und Pupeter 2018, S. 96) darstellt. „Insbesondere in diesen jungen Jahren ist der Sport ganz überwiegend eine Betätigungsform, die in Gemeinschaft mit anderen, in organisierter Form in Vereinen oder auch im Rahmen einer sportzentrierten oder aber sportintegrierenden Kinder- und Jugendarbeit ausgeübt wird“ (Züchner 2013, S. 96). Diese Ergebnisse geben Auskunft darüber, dass Sport als für Kinder prägende Betätigung angesehen werden kann, die zu einem hohen Grad aus intrinsischer Motivation betrieben wird (ebd. S. 136). Folglich ist von einem hohen Aufforderungscharakter entsprechender Angebote für einen Großteil der jungen Adressat*innen ebenso auszugehen wie von besonders günstigen Voraussetzungen für die Ermöglichung von Bildungsprozessen.

Abb. 1
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Sport und Bewegung spielen in der Entwicklung ganztägiger Bildung von Beginn an eine große Rolle. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Auf dieser Basis wird im Kontext der Ganztagsschulentwicklung das Potenzial sport- und bewegungsorientierter Angebote für informelle Lernprozesse und deren Beitrag zur Sozialisation und Bildung hervorgehoben (Krüger und Neuber 2011; Derecik 2013; Derecik und Deinet 2013): Diskutiert wird nicht nur deren Bedeutung für die Förderung motorischer, sondern auch sozialer Kompetenzen, ebenso wie für die Bewältigung weiterer Entwicklungsaufgaben und der Persönlichkeitsentwicklung insgesamt (siehe für einen Überblick z. B. Sygusch 2015; Neuber 2015; Neuber et al. 2015). Aus neurobiologischer Perspektive sind positive Auswirkungen auf emotionale, soziale und kognitive Prozesse des Aufwachsens beschrieben (z. B. Walk 2011), den Akzent der Gesundheitsförderung setzt zusätzlich beispielsweise der 13. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2009). Damit wird Bewegung als Selbstzweck und als „Mittel zum Zweck“ der Unterstützung von Bildungsprozessen in anderen Bereichen (schulischen) Lernens thematisiert wie auch im Kontext des (wieder) erstarkten Diskurses um die Bedeutung von Freiräumen im Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen (z. B. BMFSFJ 2017; Derecik 2015).

Analog zu anderen Feldern außerschulischer Bildung zeigt sich jedoch auch bei sportlichen Aktivitäten – obschon in etwas geringerem Maß als für musisch-kreative Tätigkeiten – eine Herkunftsabhängigkeit: Kinder aus Familien mit höherem sozioökonomischem Status und höherem kulturellen Kapital sind mit größerer Wahrscheinlichkeit sportlich aktiv (Tarazona und Tillmann 2013). Noch einmal verstärkt gilt dies hinsichtlich der Einbindung in organisierte Kontexte: Laut Ergebnissen der World Vision Studie (Wolfert und Pupeter 2018, S. 108) sind Kinder aus der Oberschicht mehr als dreimal so häufig in Sportvereinen aktiv wie Kinder aus unteren Schichten (77 % zu 24 %).

Diese generationale Transmission ungleicher sozialer Teilhabe sowie des damit einhergehenden sozialen wie kulturellen Kapitals begründeten die mit Ganztagsschulen verbundene Hoffnung, auch hier für einen Ausgleich sorgen zu können, d. h. Kindern aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien vielfältigere Möglichkeiten zu Sport und Bewegung eröffnen zu können und möglicherweise über Kooperationen mit Sportvereinen auch Anwerbeeffekte zu erzielen.

Offene Ganztagsschule aus Sicht der Kinder

Diese hier lediglich holzschnittartig skizzierten, an Ganztagsbildung adressierten Erwartungen bildeten den Kontext für die in Düsseldorf umgesetzte Studie „Offene Ganztagsschule als Lebensort aus Sicht von Kindern“. Die im Rahmen der Studie gefundenen Ergebnisse zu Spiel, Sport und Bewegung im Ganztag ordnen sich ein in eine bislang relativ begrenzte Anzahl von Untersuchungen in diesem Kontext: Auf bundesweiter Ebene sind hier einerseits die – quantitativ ausgerichteten – Studien im Kontext der Begleitforschung des Bundes zur Entwicklung der Ganztagsschule (StEG-Studien) sowie die allgemeinen Kinder- und Jugendpanels (AID:A, MediKuS, World Vision Studien) zu nennen, die auch Sport in den Blick nehmen. Aus qualitativer Perspektive ist insbesondere die Studie zu Bewegung und Sport in der Ganztagsschule zu erwähnen (Hildebrandt-Stramann et al. 2014). Einen Überblick liefert der dritte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht (Neuber et al. 2015), zu nennen sind auch Studien zu Konzepten „Bewegter Schule“, die in ganztägigen Settings umgesetzt wurden (siehe im Überblick Laging 2017, S. 69 f). Gleichwohl können „konkrete Untersuchungen zum Ganztagserleben, zu Motiven und Wünschen oder zur Zufriedenheit mit sportbezogenen Ganztagsangeboten aus der Sicht der Heranwachsenden“ weiterhin als „Mangelware“ betrachtet werden (Neuber und Züchner 2017, S. 410).

Den Ansätzen der neueren Kindheitsforschung entsprechend lag der vorgestellten Untersuchung die Annahme zugrunde, dass Kinder als Akteur*innen zu betrachten sind, die einen eigenen Blick auf ihre Lebenswelt haben und diesen auch kommunizieren können (z. B. Honig 2009; Sünker und Bühler-Niederberger 2014; Moran-Ellis 2014). Methodisch impliziert dies, Kinder als aktive, mitproduzierende Subjekte in den Forschungsprozess einzubeziehen und so durch die Forschung nicht nur Einblicke in ihre Perspektive zu erhalten, sondern auch einen Beitrag zu ihrer Teilhabe zu leisten. Mit Bergold und Thomas (2012) kann bei entsprechenden partizipativen Forschungsansätzen nicht von einem einheitlichen Set an Methoden ausgegangen werden, vielmehr handelt es sich um einen von Kontextualität und Flexibilität geprägten Forschungsstil, bei dem die teilnehmenden Menschen im Mittelpunkt stehen. Gewählt wurde daher ein weites Methodenrepertoire, das den Kindern unterschiedliche und ihrem Alter entsprechende Ausdrucksweisen anbietet (z. B. Lange und Mierendorff 2009). In einem Mix aus quantitativen und qualitativen Zugängen wurden neben dem eigens konzipierten Kinderfragebogen vor allem Methoden genutzt, die Kinder angelehnt an Formen der Aktions- und Feldforschung am Forschungsprozess beteiligen, d. h. die gleichzeitig analytisch (um die Sicht der Kinder zu erheben), animierend (aktivieren die Kinder, machen Spaß) und partizipativ sind (die Kinder werden als Expert*innen für ihre Lebenswelt ernst genommen).

Insbesondere auch vor dem Hintergrund des Diskurses zu Auswirkungen von Prozessen der Institutionalisierung von Kindheit, bestand ein Ziel der Düsseldorfer Studie darin, Ganztagsschule als wesentlichen Teil kindlicher Lebenswelten in den Blick zu nehmen. Kinder in der mittleren Kindheit schaffen sich hier besonders durch ihre Interaktion mit Peers und Erwachsenen eine eigene, wenngleich noch stark von Erwachsenen beeinflusste Lebenswelt. Mit einer aneignungstheoretischen Perspektive (Deinet 2004) wird der Blick so auf Prozesse der Interiorisation und Exteriorisation gelenkt (Leontjew 1982), d. h. diejenigen Vorgänge, in deren Verlauf „ihrer Form nach äußere Prozesse, die sich mit äußeren, stofflichen Gegenständen vollziehen, in Prozesse verwandelt werden, die auf der geistigen Ebene, auf der Ebene des Bewusstseins verlaufen“ (ebd. S. 92) bzw. Vorstellungen des Subjekts Vergegenständlichungen in Tätigkeiten und Produkten erfahren (ebd. S. 33). Dies ermöglicht, aus einer Subjektperspektive zu erklären und zu verstehen, was Kinder in den von ihnen im schulischen Kontext genutzten Räumen tun, welche Qualitäten Orte und Räume aus ihrer Sicht haben und diese kindlichen Lebenswelten somit auch auf die in ihnen liegenden Möglichkeiten der Kinder zur selbsttätigen Aneignung von Welt hin zu befragen, die von familiären Ressourcen, aber auch sozialräumlichen und institutionellen Bedingungen moduliert werden.

Mit einem an die raumsoziologischen Überlegungen von Martina Löw (2001) anschließenden relationalen Verständnis von Raum wird hierbei davon ausgegangen, „dass Räume nicht einfach nur existieren, sondern dass sie im Handeln geschaffen werden und als räumliche Strukturen, […], Handeln steuern.“ (Löw 2007, S. 96), so dass sich in diesem Verständnis an einem Ort verschiedene Räume herausbilden können. Löw markiert hierbei mit „Spacing“ das „Errichten, Bauen oder Positionieren“ (Löw 2001, S. 158) in Relation zu anderen Positionierungen im Raum und somit die Handlungspraxen, mit denen Menschen die vorgefundenen materiellen Raumbedingungen eigensinnig nutzen und verändern, während „Syntheseleistungen“ auf Vorgänge fokussieren, wie über Wahrnehmungs‑, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse Güter und Menschen zu Räumen zusammengefasst werden (Löw 2001, S. 159). Auch für den Bereich von Sport und Bewegung im Ganztag kann auf dieser Basis reflektiert und einer empirischen Analyse zugänglich gemacht werden, dass „nicht allein durch die Ausstattung mit Geräten, einen geeigneten Untergrund oder angemessene Bepflanzung das entsteht, was einen Bewegungsraum definiert, sondern die Bewegung selbst konstitutiv ist für das, was einen Raum zum Bewegungsraum macht“ (Laging 2017, S. 16 ff), so dass „den Akteuren eine aktive Rolle bei der Raumdefinition“ zugemessen wird (ebd. S. 16). So sensibilisiert die vorgenommene Rahmung auch dafür, dass, wie und welche Ressourcen im Kontext von Raumaneignung ungleich verteilt sind und dass gesellschaftlich ungleich auf (räumliche) Aneignungs- und Bewältigungsversuche von Kindern reagiert wird (z. B. Reutlinger 2013).

Mit dieser theoretischen Basis verfolgte die Studie ein weites Erkenntnisinteresse, bei dem der Fokus auf dem Erleben der Kinder und Fragen danach lag, wie sie diesen Ort und seine Akteur*innen wahrnehmen, welche Bedeutungen sie den architektonischen und gestalterischen Aspekten der Schule und dem Schulgelände zuweisen und welche (Um‑)Nutzungen sie im Prozess der Aneignung „ihres“ Lebensortes entwickeln. Zum Zeitpunkt der Untersuchung besuchten in Düsseldorf ca. 63 % der Grundschul- und Förderschulkinder im Primarbereich eine Ganztagsschule. In die Untersuchung einbezogen wurden Kinder der dritten und vierten Klassen an sechs, hinsichtlich ihres Einzugsgebietes unterschiedlichen Schulstandorten: Zwei Schulen liegen sehr zentral, eine in relativer Nähe zur Innenstadt, zwei sind eher in Randbezirken Düsseldorfs verortet. Eine der Schulen wird als Schule mit Förderschwerpunkt Sprache von Schüler*innen aus dem gesamten Stadtgebiet besucht. Hinsichtlich des sozioökonomischen Hintergrundes der Schüler*innen und den auf Bildung bezogenen familiären Ressourcen bilden die Schulen die in Düsseldorf vorzufindende Varianz ab: Beteiligt waren sowohl Schulen, an denen diesbezüglich von hohen bzw. mittleren Ressourcen auszugehen ist, wie auch Schulen in belasteten Stadtteilen, bei denen von ressourcenarmen Elternhäusern ausgegangen werden kann. Konzeptionell wird in einer der Schulen ein rhythmisierter Ganztag umgesetzt, in den übrigen ein additives Modell.

Die Erhebung erfolgte in zwei aufeinanderfolgenden Phasen: In der ersten wurde mit ganzen Schulklassen gearbeitet, um sowohl die Sichtweisen der „Ganztags-“ als auch der „Halbtagskinder“ zu erfassen. Über den Kinderfragebogen wurden somit insgesamt 362 Schüler*innen erreicht. Im Anschluss daran wurden zur Bearbeitung der Nadelmethode (Deinet et al. 2018, S. 195 ff), der subjektiven Landkarte (ebd. S. 199 ff) und der subjektiven Schulkarte drei geschlechtsgemischte Gruppen gebildet. Hierbei beteiligten sich an der Nadelmethode insgesamt 177 Kinder und an der subjektiven Landkarte 40 Kinder. Bei der subjektiven Schulkarte, die von insgesamt 143 Kindern ausgefüllt wurde, handelt es sich um eine für diese Studie vorgenommene Weiterentwicklung der subjektiven Landkarte: Den Kindern wurde eine detailgetreue Skizze des jeweiligen Schulgeländes mit der Aufforderung vorgelegt, mit je unterschiedlichen Farben beliebte, unbeliebte oder ihnen unbekannte Orte auszumalen. Über ergänzende Kommentare der Kinder zu ihren Markierungen erlaubt diese Methode, vertiefte Einblicke zu erhalten, welche Orte warum von den Kindern genutzt oder gemieden werden (ebd. S. 202 ff).

An der zweiten Erhebungsphase nahmen ausschließlich Kinder teil, die das OGS-Angebot (Offene Ganztagsschule, Anm.) nutzen. Hier wurden pro Schule jeweils zwei Gruppeninterviews in geschlechtsspezifisch getrennten Kleingruppen von ca. sechs Kindern geführt. Entlang eines offenen Leitfadens wurden systematisch verschiedene Themenbereiche behandelt, wobei jedes Kind die Möglichkeit erhielt, sich zu den jeweiligen Fragen zu äußern. Die Auswertung der Gruppeninterviews erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018). Des Weiteren kam die Methode der Autofotographie (Deinet et al. 2018, S. 205 ff) zum Einsatz, an der ebenfalls im Durchschnitt sechs Kinder pro Schule partizipierten.

Sport und Bewegung im Erleben der Kinder – Ergebnisse der Studie

Hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung, die Kinder sportlichen Aktivitäten sowie Bewegung im weitesten Sinne zumessen, schließen die Ergebnisse der Düsseldorfer Studie an die zitierten bundesweiten Panels an (z. B. Kolbe et al. 2009; Leschinski 2014): Im Kinderfragebogen ließen sich von den insgesamt 359 Antworten auf die Frage „was magst du an deiner Schule am liebsten“ 117 Nennungen dem Bereich „Sport, Sportunterricht, Turnhalle, Fußballplatz, Schwimmen“ zuordnen, so dass diese Kategorie nach Antworten in der Kategorie „Hofpause, Schulhof, Geräte“ an zweiter Stelle lag.

Dieser quantitative Zugang unterscheidet zunächst einmal nicht bezüglich des Settings: Anschließend an das Drei-Säulen-Modell der Kinder- und Jugendbildung im Sport (Pack und Bockhorst 2011) stehen hier sowohl Schulsport als auch außerunterrichtliche Bewegungs‑, Spiel- und Sportangebote im Ganztag in Rede, wobei letztere noch nach (pädagogisch gerahmten und organisierten) Angeboten im Rahmen von AGs als auch dem selbst organisierten Spiel während Pausen oder im Nachmittagsbereich zu unterscheiden sind. Eine stärkere diesbezügliche Differenzierung lassen die qualitativ erhobenen Daten und hier vor allem die Gruppeninterviews sowie die oben beschriebene Methode der „subjektiven Schulkarte“ zu. Beide Verfahren bestätigen die quantitativen Ergebnisse zur grundsätzlich hohen Bedeutung von Sport und Bewegung für die Kinder. Darüber hinaus konnten Hinweise zu den bevorzugten Bewegungsangeboten der Kinder gewonnenen werden, zu Motiven und Interessen, aber auch zu Herausforderungen und Konfliktfeldern. Aufgrund der methodischen Anlage der Studie lassen sich die Aussagen der Kinder gleichwohl nicht durchgängig eindeutig einem Setting – Schulunterricht, dezidierten Sportangeboten im Rahmen der OGS respektive dem vollständig selbst organisierten Bereich informellen Raum- und Bewegungserlebens in Pausen – zuordnen, da beispielsweise die Geräte oder auch auf Schulhöfen vorgezeichnete Spielfelder in allen drei Formaten genutzt werden und die Kommentare der Kinder auf ihre Nutzung insgesamt, nicht auf die jeweilige Einordnung in Settings fokussierten. Die Schwerpunkte der nachfolgend dargestellten Ergebnisse liegen gleichwohl einerseits auf den Bewegungsangeboten, die als Angebote der OGS einzuordnen sind – wobei hierunter auch solche Formen gefasst werden, die nicht im Rahmen einer regelmäßigen „AG“ stattfinden, sondern ebenfalls jene, die im non-formalen Bereich Spiel und Bewegung pädagogisch begleiten, anleiten und rahmen. Insbesondere beziehen sich die Aussagen jedoch auf den Bereich des größtenteils selbstorganisierten Spiels während der Pausen und im Nachmittagsbereich und damit auf den bislang – mit wenigen Ausnahmen (z. B. Derecik 2011, 2013, 2014) – kaum erforschten informellen Kontext von Sport und Bewegung in Ganztagsschulen.

Vielfalt und Einschränkungen der Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten auf Schulhöfen: „Fußballplatz, Fußballplatz und nochmal Fußballplatz“

Diese in einem der Gruppeninterviews getroffene Aussage eines Jungen ist seine Antwort auf die Frage, was ihm in den Hofpausen besonders wichtig ist und repräsentiert eine von vielen Aussagen, die sich auf das Themenfeld „Fußball“ beziehen. Die Ergebnisse unserer Studie zur hohen Beliebtheit von Ballsportarten allgemein (Abb. 2) spiegeln Ergebnisse verschiedener Studien zu sportartspezifischen Angeboten wider (im Überblick Neuber und Züchner 2017, S. 408). Sie lassen sich auch einordnen in Befunde der bundesweiten „MediKuS-Studie“, nach der Fußball bei Jungen die beliebteste Sportart ist, bei Mädchen dieser Altersgruppe rangiert er nach Laufen, Schwimmen, Turnen, Fahrrad fahren und Reiten erst auf Platz sechs (Züchner 2013, S. 110).

Abb. 2
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Ballsportarten erfreuen sich hoher Beliebtheit. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Auch die hier berichtete Geschlechtsspezifität ist im Rahmen unserer Studie zu rekonstruieren: In den Gruppeninterviews wird die Mehrzahl der positiven Aussagen zum Fußballspiel von Jungen getroffen, die Mehrzahl der negativen von Mädchen – wobei sich Hinweise darauf zeigen, dass Mädchen dann häufiger positiv berichten, wenn besondere Angebote das Fußballspiel der Mädchen explizit fördern. Kritisiert wird jedoch vor allem, wenn durch die Ausbreitung des Fußballspiels über den ganzen Hof andere Spiele gestört werden. Dies sehen auch einige der Jungen kritisch: „Ein bisschen doof ist es auch mit dem Fußballspielen. Manche spielen Fußball nicht auf dem Fußballplatz (…) Ich finde, es wird in letzter Zeit immer mehr. Die spielen nicht nur auf dem Fußballfeld, sondern auch beim Container – fast eigentlich überall auf dem Schulhof.“ Auch die Methode der subjektiven Schulkarten zeigt, dass die an vielen Schulen durch Markierung oder den Aufbau von Toren vorgesehenen Fußballfelder für die Kinder ein wesentliches Element des Schulhofs darstellen – insgesamt werden diese Bereiche 88-mal positiv und 43-mal negativ kommentiert – wobei sich auch hier die meisten der negativen Kommentare nicht auf das Spiel als solches beziehen, sondern entweder auf den schlechten Zustand der Plätze bzw. Tore sowie vor allem den benannten Umstand, dass durch das Fußballspielen und die Lage des Platzes andere Spiele gestört werden: „Wenn wir zum Klettergerüst gehen, müssen wir durch das Feld und das ist doof und dann gibt’s immer Ärger“. Anschließend an Ergebnisse zur Gestaltung von Schulhöfen (Derecik 2011, 2013) fallen die Äußerungen aller Kinder positiver aus, wenn eine räumliche Gliederung des Schulhofes das Ausbreiten des Spiels über den gesamten Platz verhindert. Im anderen Fall fühlen sich Mädchen häufiger als Jungen in ihren Spiel‑, Sport- und Bewegungsformen eingeschränkt: „Und manchmal spielen die dann woanders auf dem Schulhof und dann ist kein Platz mehr für andere Spiele“. Andere Spielsportarten im engeren Sinne spielen eine vergleichsweise geringe Rolle – auch die teilweise auf den Schulhöfen installierten Tischtennisplatten werden häufiger in ihrer Umnutzung als Klettergerüst, Aussichtsplattform, Sitzgelegenheit oder Torpfosten erwähnt als im Kontext von Tischtennisspiel. Weitere Spielsportarten werden selten genannt.

Besonders positiv hervorgehoben werden die an einzelnen Schulen anzutreffenden, häufig extern organisierten, das Angebot erweiternden Bewegungsangebote: „Am Mittwoch ist ein besonderer Tag, weil da ein Bus kommt mit einer Spiel-Ausleihe mit Skateboard, Rollern – das ist ein Action- oder Sport-Bus. Das ist gut“, erzählt ein Mädchen. An einer anderen Schule wird berichtet: „Jeden Donnerstag sind wir in den letzten drei Stunden draußen und dann kommt so einer, der heißt Jürgen und der hat dann seine Fahrzeuge da. Der kommt mit einem Laster, da sind Fahrzeuge drin – Roller, Einräder … Dann können wir mit denen fahren. Und dann haben wir auch eine Jürgen-Woche, da machen wir mit dem so Sachen, dann gehen wir auf den Abenteuerspielplatz. Und wir gehen auch manchmal mit unserer Lehrerin in den Grafenberger Wald.“ Diese mobilen, in der Regel im Nachmittagsbereich oder in den Pausen verorteten Angebote bieten eine von den Kindern explizit positiv hervorgehobene Abwechslung zu den Bewegungsmöglichkeiten des Schulhofs.

Die exemplarisch vorgestellten Aussagen der Kinder liefern damit einmal Hinweise auf die hohe emotionale Bedeutung, die Aneignung, Nutzung und Umnutzung von Raum durch Bewegung für die Kinder entfalten – sowohl dann wenn es sich um sich regelhaft wiederholende Handlungsformen handelt als auch in der Erfahrung, sich in der Auseinandersetzung mit etwas „Neuem“ auch selbst auf andere Art erfahren zu können. Hierbei sind Hinweise auf die starke Verbindung von Menschen und Orten im Prozess der Aneignung zu rekonstruieren, bei denen die An- oder Abwesenheit von Menschen die Räume für die Kinder verändern oder bestimmte Menschen(gruppen) mit Orten assoziiert sind. Gleichzeitig werden auch unterschiedliche Belastungen und Herausforderungen des Aneignungshandelns durch räumliche Konstellationen (Schulhofgestaltung), konzeptionelle Entscheidungen (Entscheidungspraxen zur Auswahl der ermöglichten Spiele) und damit auch das Handeln der beteiligten professionellen Akteure berichtet, die teilweise durch Konstellationen von Hierarchie und Machtausübung der Kinder untereinander gelöst werden.

Nutzung und Umnutzung, Abenteuer und Sicherheit: „Da ist so ein Wackelteil, da muss man über so ein Ding balancieren“ (Turnstangen, Schaukeln und Klettergerüste)

Neben den Fußballfeldern stellen aus Sicht der Kinder Turn- und Balancierstangen, Schaukeln und Klettergerüste weitere wichtige Elemente des Schulhofs dar. Für erstere zeichnet sich eine Bewertung ab, die sich ebenfalls einordnen lässt in die in der MediKuS-Studie gefundenen geschlechtsspezifischen Vorlieben: Turnen liegt bei Mädchen dieser Altersgruppe auf Platz drei, bei Jungen nur auf Platz neun der Beliebtheitsskala (Züchner 2013, S. 110). In unserer Studie finden sich 77 positive Kommentierungen von Mädchen und 66 von Jungen, explizit negativ werden diese Geräte von 36 Jungen und nur 14 Mädchen kommentiert. Hervorzuheben ist, dass sich viele der von Mädchen vorgenommenen negativen Kommentierungen nicht auf den Spielwert der Geräte beziehen, sondern auf deren schlechten Zustand bzw. die Lage, die z. B. dazu führt, dass sie sich dort nicht ausreichend geschützt fühlen – entweder rein physisch, z. B. weil die Turngeräte selbst zu nah beieinander liegen oder sie befürchten müssen, von den Bällen des Fußballspiels getroffen zu werden – oder in ihrem Empfinden von Sicherheit: Ein Mädchen merkt beispielsweise an: „Da, wo die hohen Stangen sind, ist es so offen, da hat man immer das Gefühl, dass man so beobachtet wird.“

Ein umgekehrtes Bild bezüglich der Vorlieben von Mädchen und Jungen zeigt sich bei den Klettergerüsten: 88 positive und 21 negative Kommentierungen von Jungen, 63 positive und 22 negative von Mädchen. Schaukeln waren auf den betrachteten Schulhöfen selten vorhanden, erfreuen sich aber relativ einhelliger Beliebtheit: 12 positive und 9 negative Kommentierungen von Jungen, 13 positive und 6 negative von Mädchen. Die überwiegende Mehrzahl der Kommentierungen ist in Bezug auf alle Geräteformen gleichwohl positiv. Diese Ergebnisse bestätigen die auch von Anne Leschinski (2014, S. 345) gefundene hohe Attraktivität von Klettergerüsten verschiedenster Art vor allem für jüngere Kinder. Gleichzeitig zeichnen sich in den Kommentaren der Kinder unterschiedliche (Um)Nutzungsformen ab. „Turnen“ im engeren Sinne wird nur von Mädchen thematisiert – überwiegt aber auch dann nicht, wenn ausschließlich Turnstangen vorhanden sind. Mädchen und Jungen geben für Klettergerüste, aber auch für Turn- und Balanciergeräte vor allem an, dort gern zu klettern oder verschiedenen Formen von Fangen zu spielen. Gleichzeitig werden die Geräte auch als Ort bedeutsam, der ihnen einen Überblick über den Schulhof schenkt – „da sieht man ganz weit über den Schulhof – wenn man Freunde nicht findet, kann man sie so sehen“ – bzw. als möglicher Rückzugsort, an dem sie sich allein oder mit Freund*innen von anderen Kindern oder Erwachsenen entfernen können: „Man kann sich auch da drauf setzen, ausruhen und mit Freundinnen quatschen.“ Darüber hinaus werden die Klettergerüste in einigen Kommentaren der befragten Jungen explizit zu „Abenteuergeräten“ umfunktioniert – „dann zieh ich meine Jacke aus und dann spiel ich damit Fallschirm“ – und es beziehen sich auch einige ihrer kritischen Kommentare darauf, dass die Geräte nicht hoch oder anspruchsvoll genug sind bzw. bei schlechtem Wetter nicht genutzt werden dürfen.

Schon weil sich die Ausstattung der betrachteten Schulhöfe zum Teil erheblich unterscheidet, können die sich in den Kommentaren andeutenden geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Zufriedenheit mit den Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten nicht an ihren absoluten Werten gemessen werden. Lesbar sind sie lediglich als Tendenz, dass die Mädchen in diesem Sample von einigen der üblichen Formen der Pausenhofgestaltung und den dort ermöglichten Aktivitäten eventuell weniger stark zu Sport und Bewegung motiviert werden. Insbesondere die Gruppeninterviews liefern weitere Hinweise in diese Richtung. Mehrfach äußern Mädchen den Wunsch nach abwechslungsreicheren, ihren Wünschen besser entsprechenden Sportangeboten: „Und nicht nur Fußball, gut wäre auch, wenn es eine Sport-AG geben würde, wo man in die Turnhalle geht oder draußen etwas macht. Federball oder Handball oder so etwas.“ Notwendig zur Überprüfung dieser Hypothese wären jedoch weitere empirische Untersuchungen.

Rekonstruierbar sind somit in den Beispielen so unterschiedliche Kategorien wie Abenteuerlust und Möglichkeiten der Körpererfahrung sowie emotionale Sicherheit und deren Bedrohung, die sich in Kommentierungen der zum Teil selben physischen Orte zeigen. Gerade vor dem Hintergrund der mit ganztägiger Bildung assoziierten Diskurse zu Bildungsgerechtigkeit verweisen diese Ergebnisse insbesondere auch auf die Notwendigkeit einer Orientierung am individuellen Erleben der Kinder und hier vor allem jener Kinder, die aus unterschiedlichen, ggf. gesellschaftlich modulierten Rahmungen über weniger Ressourcen für Aneignungshandeln verfügen: Die hier beispielhaft als Ungleichheitskategorie eröffnete Genderperspektive wäre zu ergänzen um vielfältige weitere mögliche Faktoren und Vorerfahrungen (z. B. im Bereich der physischen Voraussetzungen, von in der Familie erworbenen sportlichen Kompetenzen, aber auch Selbstbewusstsein etc.), die dazu führen, dass Kinder über gute oder weniger stark ausgeprägte Fähigkeiten zur Um- und Durchsetzung ihres Aneignungshandelns unter häufig belasteten und beengten baulichen Gegebenheiten verfügen: Derselbe physische Ort kann damit z. B. als ein (ggf. weiterer) Raum erlebt werden, der ein sich ausbreitendes, eigene Wünsche erfüllendes Bewegen ermöglicht oder als ein (ggf. weiteres) verunsicherndes, potenziell bedrohliches „Außen“, in dem die Exteriorisation eigener Vorstellungen, Bilder, Konzepte wenig erfahrbar wird. Werden diese Differenzierungen hinsichtlich der unterschiedlichen Vorerfahrungen und damit Bedürfnisse der Kinder konzeptionell wenig beachtet, erscheint es als Risiko, dass Erfahrungen z. B. von Ausgrenzung und Machtlosigkeit in anderen Bereichen auch im mit Bewegung assoziierten Handeln wiederholt und damit gestärkt und verfestigt werden.

Rückzugs- und Erlebnisräume: „Weil die Bäume groß und dick sind, und da wird man nicht gesehen“

Anschließend an die bereits oben angesprochene Qualität von Orten als Rückzugsmöglichkeit, lenken die Ergebnisse der subjektiven Schulkarte den Blick im besonderem Maße auf solche Orte, die von Schulhofplaner*innen und pädagogischen Fachkräften oft gar nicht als Spielmöglichkeiten vorgesehen sind: Bäume, Gebüsche oder baulich entstandene Nischen, die sich oft am Rand der Schulhöfe als Begrenzungen befinden. Die Unbestimmtheit in der Nutzung scheint eine Vielzahl verschiedener Spielmöglichkeiten anzuregen, die von den Kindern sehr differenziert und nahezu ausschließlich positiv erläutert werden (13 negative Kommentare bei 51 positiven). Zwischen verschiedenen Formen von Versteck- und „Räuber und Gendarm“-Spielen kommentiert ein Kind diese Spielqualität mit „da geh ich gerne hin, weil es mehr zum Erleben gibt“. Diese, wie auch die im Vorangegangenen dargestellten Umnutzungsformen lassen sich als Wünsche nach Erweiterung von Handlungsräumen und damit Ermöglichung weiterer Aneignungsprozesse lesen (Derecik 2015).

Darüber hinaus schätzen die Kinder diese Orte aber auch, weil sie ihnen die ansonsten selten vorhandene Möglichkeit bieten, sich abseits von anderen Kindern und Pädagog*innen mit Freund*innen zurückzuziehen, „wenn wir was besprechen wollen“, aber auch um ganz allein sein zu können. Gehäuft finden sich in den Kommentierungen der Kinder Motive des „Verschwindens“ und der Ruhe: „Weil wir da verschwinden können“, „es ist still, man hört die Vögel zwitschern“, „da geh ich rein und mach die Pflanzen vor mich“, „da denke ich gerne nach“, „weil da keine Erwachsenen hinkommen“. Die Fokussierungen der Kinder auf Ruhe- und Rückzugsoptionen bzw. Freiräume spiegeln sich auch in der quantitativen Befragung: Zwar gibt die Hälfte der befragten Kinder (51,1 %) an, dass sie Plätze zum Ausruhen haben, aber 26,2 % antworten mit „geht so“ und 20,2 % stimmen dem nicht zu. Immerhin 32,9 % der befragten Kinder verneinen die Frage: „Wir haben Orte, wo wir auch ohne Erwachsene sein können.“ Dazu kommen weitere 21,5 %, die hier sagen „geht so“, d. h. eine Mehrheit der Kinder ist der Meinung, dass es nur wenige Orte gibt, an denen sie sich ohne Erwachsene aufhalten können. Gestärkt wird dieser Befund durch Ergebnisse der Gruppeninterviews. Beispielhaft zu nennen ist hier die Aussage eines Mädchens: „Dass es vielleicht so einen Raum gibt, wenn man mal richtig müde ist oder gerade ausgepowert ist oder einen Streit hatte, dass man eine halbe Stunde sich ausruhen kann und auch mal ein bisschen schlafen, dass man Ruhe hat. Weil manchmal bin ich immer richtig müde und könnte so gerne einschlafen und das geht nicht. Ist immer so richtig laut in der Klasse.“

Rückzugs- bzw. Ruheräume lassen sich damit aus zwei Perspektiven betrachten. Zum einen mit der Frage nach den baulich vorhandenen Räumen für Rückzug und Entspannung. Zum anderen mit der pädagogisch-konzeptionellen Frage, inwiefern Kindern Zeiten für freie, selbstbestimmte Aktivitäten zur Verfügung stehen. Dabei bedingen sich beide Perspektiven gegenseitig, da Raum nicht nur als architektonische Erscheinung zu begreifen ist, sondern in Verbindung mit den Menschen entsteht, die „durch ihre Handlungen maßgeblich zum Entstehen von Räumen beitragen“ (Derecik 2015, S. 26). Aus pädagogischer Sicht ist hier neben dem „Ausruhen“ – auch als Voraussetzung nachhaltiger Lern- und Bildungsprozesse – an die Herausforderung von in der Regel acht Stunden ununterbrochener sozialer Interaktion mit anderen Kindern und Erwachsenen zu erinnern. Wesentlich erscheint aus Perspektive der Kinder eine deutlich stärkere bauliche Strukturierung der Außengelände, die verschiedene Spiele und kreative Aneignungsformen ebenso zulässt wie Rückzugsmöglichkeiten und das Erleben von Natur.

Aus raumsoziologischer Perspektive kann in diesem Kontext auch auf den geringeren Grad an Normativität verwiesen werden, den naturnahe Räume im Vergleich zu stark strukturierten Sportstätten, Klettergerüsten etc. vermitteln (Laging 2017, S. 16): Eine Lesart für die in den Aussagen der Kinder zu rekonstruierenden Motive von Freiheit und Ruhe könnte darin bestehen, dass nicht als Spielfläche geplante Orte und Natur auf dem Schulhof möglicherweise als weniger stark von gesellschaftlichen Vorbedingungen, Rahmungen und damit Anforderungen aufgeladene Räume erlebt werden. Sie verweist im Rahmen der Diskurse zum Ganztag darüber hinaus auf die hieran adressierten Erwartungen hinsichtlich eines veränderten Bildungsbegriffs, der unter anderem auch in stärkerem Maße Formen der Emanzipation und Subjektorientierung ermöglichen würde. Wie im Rahmen des Ganztags solche Orte als Gegenpol zu institutionalisierenden und normierenden Tendenzen erhalten und geschaffen werden können – wie also das dezidiert Ungeplante in Konzeptionen geplant und in professionellem Handeln angeregt werden kann – bedarf weiterer empirischer Sondierung wie auch Formen der Kooperation von Kindern sowie erwachsenen pädagogisch und baukulturell Tätigen.

„Weil es macht einfach Spaß“ – Motive und Motivationen

Wird das vorhandene Material auf die Motive befragt, die Kinder mit Bewegung und Sport assoziieren, so zeichnen sich neben dem viel zitierten Spaß, d. h. einer hohen subjektiv erlebten Freude und Begeisterung an Spiel, Sport und Bewegung unterschiedliche Orientierungen ab: Zunächst zeigt sich in den Berichten der Kinder, dass sie Sport, besonders in den Pausen als Ausgleich zum Stillsitzen erleben: „Dass man sich auspowern kann, dass man schreien kann, so viel man will, dass man Spaß haben kann. Okay, Unterricht kann man auch Spaß haben … Und dass man dann, wenn man wieder Unterricht hat, dass man dann ausgepowert ist und nicht rumbrüllt und so weiter.“ Hier und in anderen Sequenzen der Gruppeninterviews finden sich unter Begriffen wie „austoben“ und „auspowern“ Thematisierungen des Wunsches, im Unterricht aufgestaute Anspannung oder Müdigkeit zu überwinden. Sich selbst reflektierend deuten die Kinder eine bewegungsorientierte Pausengestaltung hier oft explizit als „Mittel zum Zweck“, um anschließend wieder fit für den Unterricht zu sein.

Hohe Erklärungskraft für die Motivation zu sportlichen Aktivitäten bietet der Aspekt des gemeinsamen Tuns und Erlebens mit den Peers, den viele Kinder mit ihren bewegungsorientierten Praktiken verbinden. Die große Bedeutung der Gemeinschaft mit anderen Kindern, die ein Kernergebnis der gesamten Studie darstellt (Deinet et al. 2018), prägt auch die Erzählungen der Kinder in diesem Kontext. Sport und Bewegung werden in der Regel als gemeinsame, selten als Einzelaktivität berichtet. Individualsportarten scheinen einerseits selten angeboten zu werden – selbst wenn dies geschieht (Skateboards, Einräder etc.) berichten die Kinder gleichwohl in der Regel in der „Wir-Form“.

Insbesondere für das Fußballspiel lassen sich zudem Motive des Wettbewerbs und Kräftemessens rekonstruieren: Hier ist häufig auch die Frage wichtig, „wer gewinnt“ sowie die damit verbundene soziale Anerkennung in der Gruppe. Bemerkenswert ist, dass Fußball gleichzeitig auch diejenige Bewegungsform darstellt, die in den Interviews besonders häufig und mit oft hoher Emotionalität thematisiert wird. Fußball scheint damit nicht nur ein Bewegungsangebot zu sein, das im besonderen Maße raumgreifend wirkt, sondern auch eines, das im Erleben der Kinder sehr präsent und eindrücklich ist. Inwiefern sich hier auch ein Zusammenhang rekonstruieren lässt zwischen der Möglichkeit eines leistungsorientierten Wettbewerbs und der hohen subjektiven Relevanz für die Kinder, bedarf weiterer Forschung. Gerade vor dem Hintergrund, dass es sich hier um Sport im Kontext des ebenfalls an Leistung und Bewertung orientierten Schulsettings handelt, erscheinen diese Überlegungen gleichwohl interessant. Anschließen ließen sich Fragen, inwieweit hier zumindest andere Kinder Erfolgserlebnisse sammeln als im unterrichtlichen Kontext, d. h. inwiefern Sport und Bewegung in diesem Sinne den Kindern alternative, positivere Erfahrungen bieten. Auch wenn Sportaktivitäten innerhalb des Ganztags nicht schichtspezifisch genutzt werden (Neuber und Züchner 2017, S. 409) ist vor dem Hintergrund der oben referierten Erkenntnisse zur sozialen Ungleichheit in der Mitgliedschaft in Sportvereinen hiervon zumindest nicht voraussetzungslos auszugehen.

Gleichwohl – auch das kann in den Erzählungen der Kinder rekonstruiert werden – stellt für die Kinder die Bearbeitung eigener Grenzen einen motivierenden Faktor dar. Dies bezieht sich explizit nicht nur auf die Erfahrung eigener Leistungsgrenzen in wettbewerblich organisierten Sportarten, sondern wird insbesondere im Kontext des „Kletterns, Turnens und Balancierens“ thematisiert, d. h. beispielsweise in der Frage danach, wie hoch ein Kind sich zu klettern traut, wie viele Rollen um Turnstangen gedreht werden können, ob über den hohen Balken balanciert wird etc. Der Vergleich mit anderen spielt zwar auch hier eine Rolle, Bezugspunkt ist aber häufiger die eigene Verbesserung, das Erleben und Erweitern eigener Grenzen, das hier vielfach nicht im Kontext von Leistung, sondern auch im Sinne einer Auseinandersetzung mit als riskant erlebten Bewegungsformen und „Abenteuern“ thematisiert wird, d. h. der Entwicklung von „Mut“ und der Bearbeitung von Herausforderungen. Gleichzeitig finden sich in diesen Passagen auch Begründungsfiguren, die im Kontext des Erlebens und Spürens des eigenen Körpers verstanden werden können. Ein Junge berichtet beispielsweise über ein Klettergerüst: „Da hüpf ich manchmal drauf, das fühlt sich cool an.“

Gerade mit Blick auf die mit Ganztag verbundene Hoffnung auf „neue Lehr-Lern-Kulturen“ wie auch ein erweitertes Bildungsverständnis, das stärker auf Prozesse der Emanzipation, der Ermöglichung alternativer Erfahrungen in der Auseinandersetzung von Subjekt und Welt fokussiert, können die hier rekonstruierten Momente des „über sich Hinauswachsens“, als bedeutsame Spur markiert werden: Die Rolle, die bewegungsorientierte Handlungspraxen hierbei übernehmen können, ist noch zielgerichteter in den Blick zu nehmen.

Diskussion

Die Voraussetzungen, die sich für Sport und Bewegung und die durch sie für den Ganztag intendierten Lern- und Bildungserfahrungen abzeichnen, erscheinen weiterhin günstig: Über alle Schulformen hinweg halten Ganztagsschulen mit über 95 % auch sportliche Angebote bereit (StEG-Konsortium 2015, S. 6). Ebenfalls durchgängig sind Sportvereine die häufigsten Kooperationspartner. Diese Entwicklung ist gleichwohl weiter zu beobachten: Zwischen 2012 und 2015 sank der Anteil an Primarschulen, die mit Sportvereinen kooperieren, von 86 auf 75 % (StEG-Konsortium 2015, S. 35), die im aktuellen Bericht konstatierte Steigerung auf knapp 80 % liegt jedoch immer noch auf niedrigerem Niveau als 2012 (StEG-Konsortium 2019, S. 33). Hinsichtlich des Ausbaus von Chancengerechtigkeit liefern Ergebnisse der StEG-Studie Hinweise darauf, dass sich Ganztagsangebote im Bereich Sport als weniger selektiv erweisen als Sportvereine (Züchner und Arnoldt 2011, 288). „Damit bindet der Ganztagsbetrieb durchaus andere Kinder in Sportaktivitäten ein als dies die stärker milieugebundenen Sportvereine tun, was eine Chance gerade für Kinder und Jugendliche aus ressourcenarmen Milieus bietet“ (Züchner und Arnoldt 2011, S. 281).

Um dieses Potenzial zu nutzen, erscheint es umso wichtiger, das „Wie“ der Umsetzung der Sportangebote in den Blick zu nehmen. Entsprechende Untersuchungen werden zwar in den vergangenen Jahren zunehmend umgesetzt, doch liegt in den gewählten empirischen Zugängen häufig weiterhin ein Fokus auf der Einschätzung der erwachsenen Akteure des Ganztags (Neuber und Züchner 2017, S. 407). Insbesondere vor dem Hintergrund der in unserer Studie deutlich werdenden, aber auch andernorts vielfach bestätigten Feststellung, dass von einer durchgehend partizipativen Ausrichtung von Ganztagsangeboten auch im Bereich von Sport und Bewegung nicht ausgegangen werden kann (z. B. Derecik et al. 2013), wären jedoch umso mehr auch forschungsmethodisch beteiligungsfördernde Verfahren zu fokussieren.

Die referierten Befunde der Studie bezüglich der aktuellen konzeptionellen Umsetzung sind an vielen Stellen lediglich als Hinweise zu lesen. Die Vielfalt der Bewegungsformen der Kinder und die unterschiedlichen Bedingungen vor Ort machen keine einheitliche Deutung möglich, verweisen jedoch auf den Forschungsbedarf zum Erleben, zu Aneignungsqualitäten und auch den Wirkungen unterschiedlicher Settings, architektonischer Vorgaben und konzeptioneller Rahmungen innerhalb des Ganztages wie z. B. zwischen Individual- und Teamsportarten sowie den sich abzeichnenden Unterschieden zwischen unterschiedlichen Graden pädagogischer Rahmung (Unterricht, AG, angeleitetes Spiel auf dem Schulhof) und von den Kindern vollständig selbst initiierten und geregelten Sport- und Bewegungsformen. Ein relationales Raumverständnis öffnet darüber hinaus den Blick für die scheinbaren Kleinigkeiten und Details, die in ihren von den Kindern erlebten und angeeigneten Bedeutungen und Zuschreibungen dennoch wesentliche Unterschiede bezüglich der Bildungschancen markieren können und damit einer Bildungsgerechtigkeit zu- oder abträglich wirken. Mit entsprechender Methodik sind Kinder hierbei sehr gut in der Lage und bereit, ihre Bedürfnisse mitzuteilen und Einblick in ihre je subjektiven Aneignungsprozesse zu geben. Ein solches Vorgehen sensibilisiert für von den Kindern erlebte unterschiedlichen Raumqualitäten, die über eine Orientierung an einer „altersgemäßen“ und „finanziell möglichen“ Schulhofgestaltung weit hinausweisen (auch Laging 2017, S. 17).

Oft sind die Kinder sogar in der Lage, sehr konkrete und umsetzbare Verbesserungsvorschläge anzubieten. Sie besitzen darüber hinaus in häufig beeindruckender Weise die Fähigkeit, auch – von außen betrachtet – wenig ansprechend gestaltete Schulhöfe für eine Vielfalt von Bewegungs- und Aneignungsformen kreativ zu nutzen (Abb. 3). Als „Kehrseite“ dieser kindlichen Anpassungsfähigkeit kann (nicht nur) aus forschungsmethodischer Sicht jedoch auch gesehen werden, dass Kinder aufgrund ihres Erfahrungsschatzes nicht über Vergleichsmöglichkeiten verfügen. Selten haben sie die Möglichkeit, die – für die Forschenden häufig eindrücklichen – Unterschiede wahrzunehmen zwischen räumlich und materiell gut ausgestatteten Schulen und solchen, die versuchen, mit den Bedingungen von Raum- und Ressourcenmangel möglichst geschickt umzugehen. Je nach Ausstattung, aber auch je nach pädagogischem Konzept der jeweiligen Ganztagsschule kann Institutionalisierung von Kindheit damit verschieden erlebt werden und perspektivisch das Aufwachsen der Kinder sehr unterschiedlich beeinflussen: Allein Rahmenbedingungen wie die erlebte Enge und der Zustand einiger Spielgeräte können dazu beitragen, dass sich Kinder die bereits im familiären Umfeld erfahrene soziale Ausgrenzung auch im schulischen Kontext räumlich aneignen (Deinet und Gumz 2017, S. 167), so dass Ganztagsschule dem Ziel der Verbesserung von Teilhabechancen in diesem Sinne zuwiderliefe. Diese Perspektive zu ergänzen kann und muss adressiert werden an die (erwachsenen) professionellen Akteure ganztägiger Bildung sowie an gesellschaftliche Diskurse zu materiellen Rahmenbedingungen ungleich verteilter Chancen, die nicht einseitig pädagogisch gelöst werden können.

Abb. 3
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Schulhöfe können für Bewegungs- und Aneignungsformen kreativ genutzt werden. Foto: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Parallel verweisen die Wahrnehmungen der Kinder jedoch auch auf pädagogisch-konzeptionelle Herausforderungen: Die gerade im Kontext von Sport, Spiel und Bewegung besonders greifbar werdenden Ambivalenzen zwischen „Freiraum“ und „pädagogisch angeleitetem Sport“ bergen – wenn sie nicht konzeptionell reflektiert und gerahmt werden – ebenfalls das Potenzial einer Stabilisierung und möglicherweise auch Verstärkung ungleicher biografischer Voraussetzungen: Hinweise lieferten die Befunde im Genderkontext und auch die gewährten Einblicke in die Wahrnehmung des sich in der Regel selbst organisierenden Fußballspiels durch nicht beteiligte Kinder: Hier ist nicht das Fußballspiel als solches zu kritisieren – vielmehr finden sich insbesondere für regelmäßig betriebene Teamsportarten Nachweise zu ihren Wirkungen auf soziale Kompetenzen (StEG-Konsortium 2016, S. 23). Exemplarisch liefert es jedoch Hinweise auf „Verteilungskämpfe“. Wird der selbstläufigen Organisation durch die Kinder einseitig vertraut, können „durchsetzungsstärkere“ Sport- und Bewegungsformen eine einschränkende Wirkung für andere Aktivitäten und andere Sportformen der Kinder entfalten und damit die potenzielle Vielfalt von Bewegungsformen, die sich in den Schilderungen der Kinder rekonstruieren lässt, stark einschränken, so dass bereits gesellschaftlich erfahrene Formen von Machtlosigkeit und Ausgrenzung sich auf der Ebene des Bewegungserlebens wiederholen und umso stärker inkorporiert werden. Dies kommt umso mehr zum Tragen, wenn Schulhöfe nur einen engen Raum anbieten und keine baulich-gestalterischen Abtrennungen vorsehen. Zu verweisen ist hier auch auf Ergebnisse zu informellem Sport, der – obschon er nicht fremdreguliert wird – sich gleichwohl nicht unreguliert organisiert (Schmidt 2015).

Damit können Prozesse der Institutionalisierung auch daraufhin kritisch befragt werden, welche Formen (und Ergebnisse) informellen Lernens sie begünstigen: Durch den flächendeckenden Ausbau des Ganztages werden Veränderungen im Aufwachsen vorgenommen, die einen erweiterten zeitlichen Zugriff durch pädagogisch gerahmte und öffentlich verantwortete Settings der Bildung, Betreuung und Erziehung implizieren. Die Kinder sind somit in stärkerem Maße abhängig davon, welches Spiel- und Sportangebot pädagogisch ermöglicht wird. Sie sind ebenso abhängig davon, inwiefern durch eine konzeptionelle Rahmung, ggf. unterstützt durch bauliche Maßnahmen, dazu beigetragen wird, eine Vielfalt von Spiel- und Bewegungsformen für alle Kinder zu ermöglichen und damit sowohl zu einem Zuwachs an Chancengerechtigkeit als auch zu einer Erweiterung von Bildungsanlässen und -chancen beizutragen, statt vorhandene gesellschaftliche Normierungen und Hierarchisierungen zu bestätigen.

Kinder bewegen sich in der Regel gern – dies könnte dazu verleiten, dem Bereich „Sport und Bewegung“ als sich scheinbar selbstläufig verwirklichendem Bereich in der Gestaltung des offenen Ganztages konzeptionell weniger Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Im Gegenteil lässt sich dieses Potenzial der grundsätzlichen Begeisterung der Kinder jedoch insbesondere dann vielfältig und im Sinne der Kinder nutzen, wenn ihre Wahrnehmung zunehmend empirisch zugänglich gemacht wird. Gleichzeitig wären die Erkenntnisse zu präzisieren, inwiefern und unter welchen Bedingungen ganztägige Bildung insgesamt sowie sportliche Angebote und Möglichkeitsräume im Besonderen in der Lage sein können, die mit ihnen verbundenen Hoffnungen bzw. politisch gesetzte Ziele tatsächlich zu erfüllen.

Dieses Ergebnis kann damit auch, aber nicht nur im bewegungspädagogischen Kontext gelesen werden. Zumindest aus Perspektive des mit dem Ganztag verbundenen Anspruchs der Subjektorientierung und individuellen Förderung, des Ausgleichs ungleicher Teilhabechancen, aber auch vor dem Hintergrund einer zunehmend deutlich werdenden Relevanz von Demokratieförderung ist eine mögliche „Stabilisierung“ von Macht- und Einflussverhältnissen, vorherrschenden Interessen und des sich im übertragenen Sinne abbildenden „Rechts des Stärkeren“ aufmerksam in den Blick zu nehmen. Die hier deutlich werdende Ambivalenz zwischen einerseits dem Anspruch, auch im Ganztag Freiräume der Kinder explizit zu fördern und zu schützen, auf Peer-Prozesse zu vertrauen, Kreativität zu ermöglichen und einer vollständigen Pädagogisierung kindlichen Aufwachsens entgegenzuwirken sowie andererseits dem Ziel einer ggf. individualisierten Förderung zur Bearbeitung ungleicher Teilhabe- und Bildungsvoraussetzungen ist letztlich nicht aufzulösen. Die referierten Ergebnisse können jedoch gelesen werden als Aufforderung zur konzeptionellen Reflexion.