Zusammenfassung
Der Beitrag geht der Frage nach, ob Einstellungen zur Gerechtigkeit systematisch mit politischer Partizipationsbereitschaft variieren und somit in unterschiedlichem Ausmaß politisch repräsentiert sind. Auf der Basis eines für Deutschland repräsentativen Surveys kann gezeigt werden, dass Personen, die sich benachteiligt fühlen, in höherem Maße politisch entfremdet sind als andere und eine geringere Bereitschaft zur Wahlbeteiligung aufweisen, zu unkonventionellen Partizipationsformen aber eher bereit sind. Politische Entfremdung ist zudem häufiger bei Personen zu finden, die sich stark an den Gerechtigkeitsprinzipen des Egalitarismus, des Bedarfs oder der Leistung orientieren. Dabei sind es besonders Personen aus den unteren sozialen Lagen, die sich benachteiligt fühlen und das Bedarfsprinzip sowie den Egalitarismus befürworten. Da Letztere oftmals NutzerInnen Sozialer Arbeit sind, stellt sich die Frage, wie Soziale Arbeit der politischen Unterrepräsentation dieser Bevölkerungsteile entgegenwirken kann.
Abstract
The article addresses the question if attitudes towards justice vary with intentions of political participation and therefore political representation. Based on a survey representative for Germany it is shown that people who feel deprived are more politically alienated and are less likely to vote than others but might be willing to take part in unconventional political participation. People who highly favour principles of justice like need, merit or egalitarianism are more likely to feel politically alienated. Relative deprivation and agreement with the principles of egalitarianism or distribution by need are closely related to low social status.
Social work, which represents this clientele, would have to ask itself, how it may be able to counteract the political under-representation of these segments of the population.
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Notes
Wegener und Liebig (1993) bezeichnen die Orientierung am Leistungsprinzip als Individualismus. Sie nennen neben Egalitarismus, Individualismus und Askriptivismus auch Fatalismus als eine Orientierung von Personen, die als Folge von Resignation kein Gerechtigkeitsprinzip vertreten.
Signifikanzen der Mittelwertdifferenzen (Scheffé-Test): Bedarf: 1. Quintil – 5. Quintil: p < 0.01; 2. Quintil – 5. Quintil: p < 0.001; 4. Quintil – 5. Quintil: p < 0.01; alle anderen Unterschiede: n.s. Gleichheit: 1. Quintil – 3. Quintil: p < 0.001; 1. Quintil – 4. Quintil: p < 0.001; 1. Quintil – 5. Quintil: p < 0.001; 2. Quintil – 3. Quintil: p < 0.001; 2. Quintil – 4. Quintil: p < 0.001; 2. Quintil – 5. Quintil: p < 0.001; 3. Quintil – 5. Quintil: p < 0.01; alle anderen Unterschiede: n.s. Anrecht: 1. Quintil – 3. Quintil: p < 0.01; 1. Quintil – 4. Quintil: p < 0.001; 1. Quintil – 5. Quintil: p < 0.001; 2. Quintil – 4. Quintil: p < 0.01; 2. Quintil – 5. Quintil: p < 0.01; alle anderen Unterschiede: n.s. Leistung: keine signifikanten Unterschiede
Signifikanzen der prozentualen Zustimmungsdifferenzen (Chi²-Test): Relative Deprivation: 1. Quintil – 4. Quintil: p < 0.001; 1. Quintil – 5. Quintil: p < 0.001; 2. Quintil – 4. Quintil: p < 0.001; 2. Quintil – 5. Quintil: p < 0.001; 3. Quintil – 4. Quintil: p < 0.01; 3. Quintil – 5. Quintil: p < 0.001; 4. Quintil – 5. Quintil: p < 0.01; alle anderen Unterschiede n.s.
Für die folgenden Regressionsanalysen wurde die Gruppe der Personen, die angeben mehr als ihren gerechten Anteil zu erhalten, ausgeklammert, da sich die zu testenden Hypothesen nur auf den Unterschied zwischen relativ deprivierten und nicht relativ deprivierten Personen beziehen, jedoch keine Aussagen zu Personen enthalten, die sich zu unrecht bevorteilt fühlen.
Signifikanzen der Mittelwertdifferenzen (Scheffé-Test): Politische Entfremdung: weniger als gerechten Anteil – gerechten Anteil: p < 0,001; weniger als gerechten Anteil – mehr als gerechten Anteil: p < 0,001; alle anderen Unterschiede n.s. Misstrauen gegenüber politischen Eliten: weniger als gerechten Anteil – den gerechten Anteil: p < 0,001; weniger als gerechten Anteil – mehr als gerechten Anteil: p < 0,001; alle anderen Unterschiede n.s.
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Klein, A. Die politische Repräsentation von Gerechtigkeitseinstellungen in einer ungleichen Gesellschaft. Soz Passagen 3, 181–200 (2011). https://doi.org/10.1007/s12592-011-0080-0
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