Hintergrund und Fragestellung

Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung leidet unter Schlafproblemen: Schätzungen gehen von bis zu 10 % für die chronische Insomnie und 25 % für Symptome einer akuten Insomnie aus [21, 26]. In Hausarztpraxen berichten bis zu 20 % der Patient:innen, an chronischen Schlafproblemen zu leiden [28]. Hier wird die Insomnie am häufigsten mit Medikamenten behandelt [10, 20], obwohl die empfohlene Erstbehandlung die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) ist [6, 22, 23] und diese auch von der Mehrheit der Patient:innen als bevorzugte Behandlung angegeben wird [25, 38].

Die Verfügbarkeit der KVT‑I durch Therapeut:innen ist äußerst gering. In Deutschland wurde im Jahr 2017 geschätzt, dass nur etwa 10 % der Patient:innen mit der Diagnose Insomnie eine psychotherapeutische Behandlung (evtl. auch für eine andere vorliegende Erkrankung) erhielten [10]. Eine Lösung könnten digitale Therapieprogramme sein, denn diese sind ortsunabhängig einsetzbar und bieten vielversprechende Möglichkeiten, den Zugang zur leitliniengerechten Therapie für Insomnie zu verbessern und damit die Versorgungslücke zu schließen [18, 30]. Darüber hinaus ermöglicht eine Integration digitaler Interventionen in das Gesundheitssystem eine zielgerichtete Patientenversorgung. Diese Art der Versorgung ist in Deutschland seit der Einführung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) möglich. Im Oktober 2020 wurde die erste digitale KVT‑I (somnio, mementor DE GmbH) als DiGA dauerhaft zugelassen und kann seitdem bei Vorliegen einer Insomnie-Diagnose (F51.0 oder G47.0) verschrieben werden [13].

Die Wirksamkeit der KVT‑I wurde bereits in vielen Studien bestätigt [6, 34] und auch das digitale Format überzeugt mit Effektgrößen in einem zur Face-to-Face-Therapie vergleichbaren Bereich [8, 29, 39]. Jedoch gibt es nur wenige Belege für den Nutzen und die Wirksamkeit empirisch validierter digitaler Therapieprogramme außerhalb kontrollierter klinischer Studien (RCTs). Während RCTs entscheidend und notwendig sind, um die Wirksamkeit von Behandlungen zu verstehen, bieten Beobachtungsdaten außerhalb von Studien eine wichtige Ergänzung, indem sie die Verallgemeinerbarkeit von Interventionen und Ergebnissen im Kontext der realen Umsetzung bewerten [5]. Eine Veröffentlichung für die sogenannte „Real-World-Evidenz“ digitaler KVT‑I stammt aus den USA und zeigte vielversprechende Ergebnisse der Anwendung SHUTi bei 7216 Erwachsenen, welche die digitale KVT-I-Intervention zwischen 2015 und 2019 durchführten. Auswertungen des Insomnie-Schweregrad-Indexes (ISI) zeigten große Effekte (d = 1,90) für die Verbesserung zwischen Anfang und Abschluss der Anwendung sowie eine mit klinischen Studien vergleichbare Remissions- (ISI < 8; 40 %) und Responserate (ISI-Reduktion ≥ 8; 61 %) [24]. Ähnliche Ergebnisse berichtete auch eine Regelversorgungsstudie aus Finnland: 2464 Patient:innen erhielten hier durch eine Fachperson Zugang zu einem begleiteten, internetbasierten KVT‑I Programm. Zum Ende der Anwendung erfüllten 34 % die Kriterien der Remission und 46 % die der klinischen Response. Im Schnitt verbesserte sich die Insomnieschwere um −7,04 Punkte auf dem ISI (d = 1,45) [32].

Durch das neu eingeführte digitale Versorgungsgesetz in Deutschland und die Verfügbarkeit verschreibungsfähiger digitaler KVT‑I seit > 2 Jahren bieten Nutzerdaten nun erstmalig die Möglichkeit, somnio in der Versorgungsrealität zu untersuchen und damit zur bisherigen Bewertung der therapeutischen Leistung beizutragen [11, 17, 27]. Die vorliegende retrospektive Auswertung untersucht, ob und wie sich somnio in der Regelversorgung auf vorliegende Insomniesymptome und den Schlaf auswirkt. Die Analyse basiert auf einem zufällig ausgewählten Datensatz von Patient:innen, welche die Anwendung von einer Fachperson nach Insomniediagnose verschrieben bekommen haben und nutzten. Ziel der Analysen ist es, den Schweregrad der Insomnie, den von Tagebüchern abgeleiteten Schlaf, das Tagesbefinden und die Responder- sowie Remissionsraten der digitalen Behandlung in der Regelversorgung zu bewerten.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Design und Nutzerdatenauswahl

Für die Realdatenanalyse wurden Informationen von Erwachsenen ausgewählt, welche somnio verschrieben bekommen und zwischen dem 01.01.2021 und dem 31.12.2022 abgeschlossen haben. Der Abschluss der Anwendung wurde durch das Vorhandensein eines ISI-Wertes im Abschlussmodul definiert. Dieser setzt voraus, dass alle vorherigen Module durchlaufen wurden und das Schlaftagebuch ≥ 12 Tage geführt wurde. Nutzer:innen, deren ISI-Wert zu Beginn der Behandlung (im Einführungsmodul) < 8 war, wurden von der Analyse ausgeschlossen. Der ISI ist ein validierter Index mit sieben Items und ein Standardmaß für den selbstberichteten Schweregrad der Insomnie [1, 4]. Aus diesem Datensatz wurde anschließend eine Auswahl von N = 5000 Nutzer:innen per automatisiertem Zufallsprinzip („round“ command, Rstudio v2023.03; R Core Team 2021) ausgewählt, um eine Rückführung der Daten auf Nutzer:innen des Zeitraums auszuschließen.

Alle somnio-Nutzer:innen stimmen im Rahmen des Registrierungsprozesses den Nutzungsbedingungen und der Datenschutzerklärung zu. Darin werden die Nutzer:innen darüber informiert, dass ihre Daten in aggregierter Form analysiert (d. h. anonymisiert) und als Teil von Veröffentlichungen zu Forschungszwecken verwendet werden können. Es ist wichtig anzumerken, dass es sich bei der vorliegenden Analyse nicht um eine Forschungsstudie im klassischen Sinn handelt und daher keine herkömmliche, informierte Einwilligung eingeholt wurde.

Intervention

Voraussetzung für die Verordnung von somnio ist die Diagnose einer Insomnie (F51.0 oder G47.0). Die Verordnung kann bei der Krankenkasse des Betroffenen eingelöst werden, welche die Anwendung per Freigabe eines Lizenzcodes ermöglicht. Dieser wird bei der Registrierung eingelöst und schaltet damit die Nutzung von somnio für 90 Tage frei. Somnio setzt die digitale KVT‑I mit zwölf aufeinanderfolgenden, edukativen Modulen um (siehe Tab. 1). Die Inhalte eines Moduls dauern ca. 10–20 min und werden von einem animierten Avatar vermittelt. Vier sogenannte Zielmodule ermöglichen zusätzlich eine regelmäßige Auswertung der eigenen Schlaftagebuchdaten im Hinblick auf zuvor gesetzte Ziele (z. B. schnelleres Ein- oder besseres Durchschlafen).

Tab. 1 Modulare Struktur und Inhalte von somnio

Die edukativen Module werden in aufeinanderfolgender Reihenfolge freigeschaltet. Für das Freischalten eines Zielmoduls müssen zusätzlich mindestens drei Schlaftagebucheinträge vorhanden sein und mindestens drei Tage seit Beginn der Anwendung (erstes Zielmodul) oder seit dem vorherigen Zielmodul (Zielmodul 2–4 und Nachsorgemodul) vergangen sein. Das Nachsorgemodul kann unter der Voraussetzung, dass sieben neue Schlaftagebucheinträge hinzugekommen sind, beliebig oft, bis zum Ende der Lizenzdauer wiederholt werden. Es gibt somit kein vom Programm festgelegtes Ende der Intervention.

Zielgrößen

Insomnie-Schweregrad-Index (ISI).

Der Schweregrad der Insomnie wurde mit dem Insomnie-Schweregrad-Index [1, 4] im Modul Einführung, Abschluss und Nachsorge (optional) gemessen. Der ISI umfasst sieben Items, anhand welcher der Schweregrad von Schwierigkeiten beim Einschlafen, der Aufrechterhaltung des Schlafs und dem morgendlichen Erwachen bewertet wird. Er misst die Zufriedenheit mit dem aktuellen Schlafmuster, die Beeinträchtigung der täglichen Funktionsfähigkeit, die Wahrnehmbarkeit der Beeinträchtigung und den Grad der Belastung oder Besorgnis, die mit dem Schlafproblem verbunden ist. Jedes Item wird auf einer Skala von null bis vier bewertet. Der Gesamtwert reicht von null bis 28, wobei ein höherer Wert auf eine schwerere Insomnie hinweist und in die Kategorien unterschwellige Insomnie (8–14), mittelgradige Insomnie (15–21), schwere Insomnie (≥ 22) unterteilt werden kann [19]. Während die Reduktion des ISI-Wertes um > 7 als klinisch relevante Veränderung interpretiert wird, wird ein ISI-Wert < 8 nach Intervention als Remission definiert [1]. Der ISI wurde auch für die webbasierte Durchführung validiert [36].

Schlaftagebuch.

Das Schlaftagebuch ist eine integrierte Funktion von somnio und besteht aus einem Morgen- und einem Abendprotokoll. Im Morgenprotokoll werden die Schlafparameter der vergangenen Nacht abgefragt, d. h. Einschlafzeit (Engl. „sleep onset latency“; SOL = [„Einschlafzeit“ – „Zubettgehzeit“]), Wachzeit nach dem Einschlafen (Engl. „wake time after sleep onset“; WASO = [„Wachzeit während der Schlafdauer“] + [„Aufstehzeit“ – „Aufwachzeit“]), Gesamtschlafdauer (Engl. „total sleep time“; TST = [„Aufwachzeit“ – „Einschlafzeit“ – „Wachzeit während der Schlafdauer“]), Zeit im Bett (Engl. „time in bed“; TIB = [„Aufstehzeit“ – „Zubettgehzeit“]) und Schlafeffizienz (Engl. „sleep efficiency“; SE = [TST/TIB * 100]). Wenn Nutzer:innen angeben, gar nicht geschlafen zu haben, so wird die TST auf 0 min gesetzt und SOL wie WASO als fehlende Werte eingetragen. Darüber hinaus wird die allgemeine Schlafqualität anhand einer visuellen Analogskala bewertet, die von 0 (schlecht) bis 100 (gut) reicht. Alternativ zum Selbstbericht, kann auch ein kommerzieller Aktivitätstracker (Fitbit, Garmin, Polar, Withings oder Apple) mit der Anwendung verbunden werden. Die Anbindung eines Aktivitätstrackers ermöglicht das automatische Ausfüllen des Morgenprotokolls, ausgenommen der Schlafqualität. Bei Garmin und Polar müssen die Werte „Wann bist du ins Bett?“ und „Wann bist du aufgestanden?“ manuell nachgetragen werden; bei Apple der Wert „Wie lange war dein Schlaf unterbrochen?“.

Das Abendprotokoll beinhaltet drei visuelle Analogskalen (0–100) zur Stimmung (schlecht-gut), Leistungsfähigkeit (gering-hoch) und Energie (wenig-viel), welche für die Zeit seit der letzten Schlafphase bewertet werden. Zusätzlich können Angaben zum Alkohol- und Koffeinkonsum (jeweils vier Auswahlmöglichkeiten: kein, wenig, mittel, viel) gemacht werden. Im Gegensatz zum Morgenprotokoll sind keine Angaben im Abendprotokoll notwendig, um im Interventionsprogramm fortzuschreiten.

Analyse

Da die vorliegenden Daten nicht zur Beantwortung präspezifizierter Hypothesen erhoben wurden und die Stichprobe groß und überpowert ist, sind inferenzstatistische Untersuchungen nicht angemessen und würden keine klinisch bedeutsamen Therapieeffekte widerspiegeln. Wir fokussieren uns daher ausschließlich auf deskriptive Statistiken und Effektgrößen (Cohen’s d für gepaarte Stichproben [9]), sowie den Prozentsatz der Responder- und Remissionsraten, um Schlussfolgerungen über die klinische Wirksamkeit zu ermöglichen. Die deskriptiven Statistiken werden als unbereinigte Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) für kontinuierliche Ergebnisse und als Häufigkeiten für binäre Ergebnisse dargestellt. Die Veränderung des ISI-Wertes wird zwischen dem ISI-Wert im Modul Einführung und dem zuletzt angegebenen ISI-Wert im Modul Abschluss oder Nachsorge berechnet. Für weiterführende Einsichten wird die Analyse zusätzlich für die häufig auftretenden Einflussfaktoren Geschlecht (weiblich, männlich), Alter (< 65 Jahre, > 65 Jahre), und Insomnieschwere zu Beginn (ISI = 8–14; ISI = 15–21, ISI ≥ 22) dargestellt.

Für die Auswertung der kontinuierlich erhobenen Schlaftagebuchdaten werden die Daten in fünf Cluster eingeteilt, von welchen jedes nur ein Zielmodul enthält (siehe Tab. 1), und darüber gemittelt. Um eine Veränderung des Schlafverhaltens zu untersuchen, wird Cluster 1 (Anfang der Anwendung) mit Cluster 5 (Ende der Anwendung) verglichen. Für das Morgenprotokoll werden die Daten von Nutzer:innen, welche einen Tracker mit der Anwendung verbunden haben, separat von solchen untersucht, welche das Schlaftagebuch ausschließlich durch eigene Angaben ausgefüllt haben. Vor Ermittlung der deskriptiven Statistik werden alle Schlafvariablen zuvor automatisiert geprüft und bereinigt. Hierfür wurde für jede Variable ein Wertebereich festgelegt, welcher die Wahrscheinlichkeit für Falschangaben einschränkt. Für die folgenden Variablen wurde ein Wertebereich festgelegt: SOL, WASO und TST: Min = 0 min, Max = TIB; SE: 0–100 %, und TIB: Min = 0 min, Max = 720 min. Alle Analysen wurden mit der Statistiksoftware RStudio (v2023.03; R Core Team 2021) durchgeführt.

Ergebnisse

Stichprobe

Von den N = 5000 zufällig ausgewählten Nutzer:innen gab die Mehrheit – N = 3528 (70,6 %) – an, weiblich zu sein, N = 1453 (29,1 %) gaben an, männlich zu sein, und N = 19, ordneten sich keinem Geschlecht zu (0,3 %). Die Verteilung der Nutzer:innen über die Altersgruppen (in 10er-Schritten von 18–89) ist in Tab. 2 zusammengefasst. Die am häufigsten vertretene Altersgruppe war die der 50–59-Jährigen (38,6 %). Anhand der Baseline-Werte in den nachfolgenden Tab. 3 und 4 wird deutlich, dass bei den ausgewählten Nutzer:innen im Schnitt eine stark ausgeprägte Insomnie vorlag. So lag der durchschnittliche ISI-Wert zu Beginn der Anwendung über 18, die durchschnittliche selbstberichtete Einschlafdauer über 60 min und die durchschnittliche Wachzeit über 120 min.

Tab. 2 Altersverteilung der Nutzer:innen
Tab. 3 Übersicht der Behandlungsergebnisse für Insomnieschwere
Tab. 4 Übersicht der Behandlungsergebnisse für die extrahierten Schlafvariablen

Insgesamt nutzten N = 546 (10,9 %) die Anbindung eines Trackers für die Generierung der Schlaftagebucheinträge. Von diesen verwendeten N = 346 (63,4 %) eine Fitbit-, N = 97 (17,8 %) eine Garmin-, N = 78 (14,3 %) eine Withings-, N = 24 (4,4 %) eine Polar-Uhr und eine Person (0,2 %) eine Apple-Watch. Die überwiegende Mehrheit füllte das Schlaftagebuch per Selbsteinschätzung aus (89,1 %).

Behandlungseffekte

Im Schnitt brauchten Nutzer:innen 46 ± 28 Tage, um das Abschlussmodul von somnio zu erreichen, in dieser Zeit wurden an durchschnittlich 43 ± 24 Tagen Einträge erstellt.

Insomnieschwere.

Die Auswertung des ISI zu Beginn und Ende der Anwendung ergab eine durchschnittliche Verbesserung der Insomnieschwere um −8,49 ± 5,39 Punkte (d = 1,58; siehe Abb. 1), mit vergleichbaren Veränderungswerten zwischen Männern und Frauen sowie zwischen über und unter 65-Jährigen (siehe Tab. 3).

Abb. 1
figure 1

Insomnieschwere zu Beginn und zum Abschluss der Anwendung somnio. Das Balkendiagramm zeigt die Insomnieschwere anhand des Insomnie-Schweregrad-Indexes (ISI) zu Beginn (orange, im Modul Einführung) und zum Abschluss (blau, zuletzt angegebener ISI-Wert im Modul Abschluss oder Nachsorge) des digitalen KVT-I-Programms somnio. Die Balken repräsentieren den Mittelwert zum jeweiligen Zeitpunkt und die Antennen die entsprechenden Standardabweichungen

In Bezug auf die Insomnieschwere zu Beginn der Anwendung zeigten sich deskriptiv die größten Verbesserungen (10,78 ± 6,27 Punkte) für Nutzer:innen mit einer mittelgradigen bis schweren Insomnie (ds = 1,72–1,75; siehe Tab. 3). Zum Ende der Nutzung von somnio erreichten insgesamt 37,8 % das Kriterium der Remission (ISI < 8) und 57,0 % das der klinisch relevanten Verbesserung (ISI-Verbesserung > 8).

Schlaf.

Nach Bereinigung der Daten wurden von insgesamt 418.419 Einträgen 4078 (< 1 %) für die deskriptive Analyse ausgeschlossen. Durch den Ausschluss dieser Daten und der Nächte, an welchen gar nicht geschlafen wurde (SOL und WASO = na), variiert die Anzahl der einbezogenen Stichprobengröße pro Variable (siehe Tab. 4). Für subjektive Einträge zeigte sich zwischen Cluster 1 und 5 eine mittelgroße bis große Verbesserung für SOL (d = 0,78), WASO (d = 0,96), und SE (d = 1,07). Die Verbesserung der SE spiegelt sich auch in der Verlängerung der TST (+26 min) bei gleichzeitiger Verkürzung der TIB (−60 min) wider. Die Verbesserungen des Schlafs zeigten sich ebenfalls in der höheren Bewertung der Schlafqualität über alle Nutzer:innen (+11; N = 4864). Für objektive Einträge zeigten sich ähnliche, jedoch leicht verminderte Veränderungen (siehe Tab. 4 und Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Schlaf über den Verlauf von somnio. Die Abbildungen zeigen die Veränderungen des Schlafs anhand von subjektiven (orange) und objektiven (blau) Tagebucheinträgen und anhand der Variablen Schlaflatenz (SOL, a), Wachzeit nach Schlafbeginn (WASO, b), Schlafeffizienz (SE, c) und Schlafdauer (TST, d). Die Daten wurden über die Cluster 1–5 gemittelt, welche zeitlich nacheinander folgend auftreten und somit den Verlauf über die Zeit der Anwendung somnio darstellen (siehe Tab. 1 für Details). Die Mittelwerte pro Custer sind durch Kreise (subjektive Daten) und Quadrate (objektive Daten) dargestellt. Die Antennen stellen die Standardabweichung zur besseren Übersicht nur in eine Richtung dar

Tagesbefinden.

Auswertungen des Abendprotokolls von N = 4621 Nutzer:innen weisen auf eine Verbesserung in den Bereichen Stimmung, Leistungsfähigkeit und Energie hin. Im Vergleich zum Beginn der Anwendung stieg die Bewertung der Stimmung zum Ende der Anwendung von 5,65 ± 1,73 auf 6,15 ± 1,98 (∆ =0,50 ± 1,44; d = 0,35), die Bewertung der Leistungsfähigkeit von 5,11 ± 1,69 auf 5,83 ± 2,01 (∆ = 0,71 ± 1,45; d = 0,49), und die der Energie von 4,88 ± 1,68 auf 5,68 ± 2,01 Punkte (∆ = 0,81 ± 1,49; d = 0,54).

Substanzeinnahme.

Im Vergleich zu den vorherigen Ergebnissen weisen die Effektgrößen der Veränderungen des Koffein- und Alkoholkonsums auf keine Veränderung hin. So zeigte sich bei N = 4621 Nutzer:innen (92 %), welche konsistent auch das Abendprotokoll ausfüllten, weder eine nennenswerte Reduzierung der Einnahme von Alkohol (∆ = −0,01 ± 0,30 Punkte, d = 0,02), noch für die Einnahme von Koffein (∆ = −0,04 ± 0,36 Punkte, d = 0,12). Zu beiden Zeitpunkten gaben Nutzer:innen an, keinen bis wenig Alkohol getrunken zu haben (Prä = 0,31 ± 0,42; Post = 0,31 ± 0,38) und bewerteten den durchschnittlichen Koffeinkonsum als „wenig“ (Prä = 1,05 ± 0,62; Post = 1,01 ± 0,58).

Diskussion

Das Ziel dieser Arbeit war es zu untersuchen, ob und wie sich eine verschreibungsfähige digitale KVT‑I in der Regelversorgung auf vorliegende Insomniesymptome und den Schlaf auswirkt. Die einzelnen Auswertungen ergaben mit klinischen Studien vergleichbare Behandlungseffekte (Innergruppeneffekte; d = 1,58 vs. d = 1,59 [17]). Im Vergleich zur Zulassungsstudie, welche die Wirksamkeit von somnio im Rahmen einer kontrollierten Studie (RCT) untersuchte, erreichten weniger Nutzer:innen eine Remission (37,8 % vs. 56 % [17]), jedoch erzielte die deutliche Mehrheit eine klinisch relevante Veränderung (57 %). Eine geringere Remissionsrate bei vergleichbaren Behandlungseffekten lässt sich durch die stärker ausgeprägte Insomnieschwere zu Beginn der Behandlung erklären, diese lag in der vorliegenden Stichprobe mit einem durchschnittlichen Wert von 18,48 Punkten auf dem ISI vergleichsweise hoch (siehe Zulassungsstudie: ISI = 14,36 [17]). Vergleicht man die Remissions- und Responseraten mit anderen, praxisnahen Stichproben, bei welchen die Insomnie typischerweise stärker ausgeprägt vorliegt (siehe z. B. [24, 27, 37]), so liegen die Remissions- und Responseraten im zu erwartenden Bereich der KVT‑I (34–41 % bzw. 46–64 % [24, 27, 37]).

Auch die Ausgangswerte der Schlaftagebücher zeigen die ausgeprägte Insomnie-Symptomatik zu Beginn der Anwendung mit einer subjektiven Einschlafzeit von über einer Stunde und einer durchschnittlichen Wachzeit von über zwei Stunden. Damit liegt auch die wahrgenommene Schlafdauer mit weniger als 5,5 h unter den Empfehlungen für gesunden Schlaf [12] und verstärkt den unbedingten Behandlungsbedarf dieser Population. Dies zeigt sich auch, leicht abgeschwächt, in den Daten der Aktivitätstracker (siehe Abb. 2). Da es sich hierbei um verschiedene Personen handelt, lassen sich leider keine Schlüsse darüber ziehen, ob die Wachzeit während des Schlafs beim Selbstbericht überschätzt oder von kommerziellen Trackern unterschätzt wird. Für beide Annahmen gibt es Hinweise in der Literatur [7, 15]. Mit Anwendung von somnio verbesserte sich die Schlafkontiunität erheblich (z. B. WASO: −54 min). Vergleicht man die Veränderungen mit den von der Task Force der American Academy for Sleep Medicine (AASM) festgelegten Schwellenwerten für klinisch bedeutsame Verbesserung [6], so werden diese konsistent überschritten (Schwellenwerte: SOL = −20 min; WASO = −20 min; SE = +10 %). Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Schwellenwerte für Zwischengruppenvergleiche festgelegt wurden und daher nicht 1:1 übertragbar sind. Dennoch bietet der Vergleich eine Annäherung für das Mindestmaß an Verbesserungen, welche von Klinikern und Patient:innen als klinisch bedeutsam angesehen werden [6]. Dass die Verbesserungen des Schlafs für die Patient:innen bedeutsam sein könnte, zeigte sich auch in den positiven Veränderungen des Tagesbefindens (Stimmung, Leistungsfähigkeit und wahrgenommene Energie) [16], welche durch mittlere Effektgrößen im zu erwartenden Bereich liegen und die bisherigen Ergebnisse der über den Schlaf hinausgehenden Therapieeffekte der KVT‑I bestätigen [2].

Ein weiterer, erwähnenswerter Aspekt, welcher nicht zu den Zielen dieser Analyse gehörte, ist die Betrachtung der Hinweise auf die vorliegende Schlafhygiene. So fällt beispielsweise auf, dass die Zeit im Bett zu Beginn der Anwendung mit ca. 8,5 h lang erscheint; zum einen im Vergleich zur wahrgenommenen Schlafdauer (5,5 h) und zum anderen im Vergleich zu Studien, welche zeigen, dass sich die Zeit im Bett zwischen Personen mit und ohne Insomnie nicht unterscheidet (Insomnie = 7,3–7,8 h; Kontrollgruppe = 7,4–8,0 h [14]). Zum Ende der Intervention dagegen war die Zeit im Bett um fast eine Stunde reduziert und damit im vergleichbaren Bereich von Personen ohne Schlafprobleme [14]. Dies könnte ein direktes Indiz dafür sein, dass die empfohlenen Verhaltenskomponenten Stimuluskontrolle und Schlafrestriktionstherapie von den Nutzer:innen umgesetzt wurden. Im Gegensatz zur anfänglich inadäquat erscheinenden Zeit im Bett zeigte sich dagegen weder ein erhöhter Koffein- noch Alkoholkonsum. Tatsächlich wird schlechte Schlafhygiene nur bei einer sehr kleinen Minderheit (6,2 %) als Auslöser einer Insomnie vermutet und die Datenlage bei Vergleichen zwischen Personen mit gutem und schlechtem Schlaf zeigt keine konsistenten Ergebnisse, die auf einen Unterschied in der Umsetzung von guter Schlafhygiene deuten [33].

Obwohl Anwendungsbeobachtungen und Daten aus der Versorgungsrealität den Vorteil haben, dass sie große, praxisnahe Stichproben ermöglichen und daher generalisierbar sind, sollten sie vor dem Hintergrund mehrerer Einschränkungen betrachtet werden. Eine große Limitation ist, dass die vorliegende Analyse einer „Completer-Analyse“ entspricht und daher keine Rückschlüsse auf die Nutzung der Anwendung anhand von Drop-out Raten geschlossen werden können. Die hier dargestellte Wirksamkeit der Anwendung entspricht folglich ausschließlich der Anwendung bei gleichzeitigem Abschluss und nicht den Effekten der Behandlungsintention, welche üblicherweise in klinischen Studien angestrebt wird. Des Weiteren kann angesichts der geringen Menge demografischer Informationen die Heterogenität der Stichprobe nur sehr begrenzt bestimmt werden. Die Heterogenität ist zusätzlich dadurch eingeschränkt, dass die Nutzung von somnio verschreibungsfähig ist und daher zusätzlich zum Vorliegen einer Diagnose auch von der behandelnden Fachperson [35] und dem Aufsuchen von professioneller Hilfe durch die Patient:innen abhängig ist. Da es sich jedoch um eine Stichprobe aus der Versorgungsrealität handelt, ist es wahrscheinlich, dass diese Stichprobe eine größere Vielfalt an Merkmalen und Komorbiditäten aufweist als die an RCTs beteiligten Personen. Eine weitere Limitation ist, dass aus den Daten nicht ersichtlich ist, ob und welche anderen Interventionen parallel zum Programm genutzt wurden, sodass Behandlungseffekte durch das Fehlen einer Kontrolle nicht auf die alleinige Nutzung des Programms zurückgeführt werden können. Digitale KVT‑I wurde bisher meist unabhängig von der Einnahme von Schlafmitteln untersucht. Dies ist eine entscheidende Lücke in der Literatur, insbesondere weil digitale KVT‑I das Potenzial hat, eine direkte Alternative und Ersatz für Schlafmittel zu werden. In Studien wird den Teilnehmenden oft geraten, die Medikation für Studienzwecke konstant zu halten. Obwohl dies darauf hindeutet, dass digitale KVT‑I und Schlafmedikamente zusammen eingesetzt werden können, bleibt die Frage offen, ob digitale KVT‑I den Menschen dabei hilft, Schlafmittel zu reduzieren und abzusetzen. Ebenfalls bleibt in diesem Zusammenhang offen, ob sich die digitale KVT‑I langfristig kosteneffizient auf das deutsche Gesundheitssystem auswirkt, sowohl im Vergleich zu keiner Therapie als auch im Vergleich zur medikamentösen Therapie.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse dieser Anwendungsbeobachtung zeigen, dass die Wirksamkeit der digitalen KVT‑I in der Versorgungsrealität vergleichbar mit den Ergebnissen von klinischen Studien ist. Die Mehrheit der Nutzer:innen berichtete eine klinisch bedeutsame Reduktion der Insomniesymptome sowie Verbesserungen beim Ein- und Durchschlafen, welche sich auch bei Nutzer:innen zeigten, die ihren Schlaf durch Aktivitätstracker ermittelten. Dies ist eine der größten Untersuchungen eines im Gesundheitssystem integrierten und empirisch validierten digitalen Therapieverfahrens außerhalb einer klinischen Studie. Damit erweitert die vorliegende Analyse nicht nur die Evidenzbasis für digitale Gesundheitsanwendungen, sondern unterstützt auch Ergebnisse, welche zeigen, dass digitale KVT‑I außerhalb der Grenzen von Forschungsstudien wirksam ist und einer breiteren Population von Patient:innen mit Insomnie zugutekommen kann.