Ein kontinuierlicher Ausbau der Praxisphasen zählt zu den Entwicklungstrends universitärer Lehrerbildung, der sich in der verbreiteten Etablierung eines Praxissemesters (PS) konkretisiert (König und Rothland 2018; Rheinländer und Scholl 2020; Rothland und Boecker 2015; Rothland und Schaper 2018; Weyland und Wittmann 2015). Ob allerdings das PS den bislang etablierten, kürzeren Praxisphasen entsprechend der Programmatik überlegen ist, ist – abhängig von den Zielen und den damit korrespondierenden Erfolgsindikatoren – zumindest auf der Basis empirischer Studien weitgehend ungeklärt. Die Zielsetzungen des PS erscheinen in den bisherigen Konzeptionen überdies insgesamt durchaus heterogen. In der Perspektive auf die Entwicklung professioneller Handlungskompetenz und eines professionellen, berufsbezogenen Selbstkonzepts findet sich indes eine verbreitet geteilte Intention. So sollen die Absolventinnen und Absolventen eines PS nicht allein die Grundlagen einer professionellen Handlungskompetenz erwerben, sondern beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder auch in Brandenburg dazu befähigt werden, „ein eigenes professionelles Selbstkonzept zu entwickeln“ (MBJS 2013, S. 5; MSW 2010, S. 4).

Die Forschung zu Praxisphasen in der Lehrerbildung konzentriert sich bislang vornehmlich auf die Nutzung und Wirkungen innerhalb einer Praxisphase (für Ausnahmen vgl. die Forschungsüberblicke bei König und Rothland 2018; Rothland und Boecker 2015; Ulrich et al. 2020). Es mangelt an längsschnittlichen Untersuchungen, die unterschiedliche Formate schulpraktischer Lerngelegenheiten vergleichend in den Blick nehmen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, Studierende eines vierwöchigen Orientierungspraktikums (OP) und Studierende des Praxissemesters (PS), die sich in unterschiedlichen Phasen ihres Studiums befinden, hinsichtlich der Veränderung ihrer mentalen Repräsentationen der beruflichen Fähigkeiten zu vergleichen. Im Fokus steht mit dem berufsbezogenen Selbstkonzept angehender Lehrkräfte dabei einerseits eine zentrale Zieldimension des PS und andererseits grundlegende Anforderungsdimensionen des Lehrerberufs (Fach, Erziehung, Diagnostik, Innovation, Medien und Beratung) (Retelsdorf et al. 2014), die auch bereits im OP von Relevanz sind und deren Veränderungen innerhalb von Personen betrachtet werden.

1 Das berufsbezogene Selbstkonzept angehender Lehrkräfte

Das Interesse an selbstbezogene Kognitionen als Forschungsgegenstand hat bereits eine lange Tradition (vgl. z. B. Mummendey 2006). Es werden dabei verschiede Konstrukte unterschieden, wie z. B. Selbstaufmerksamkeit, Selbstwirksamkeit, Selbstkonzept und diverse weitere. Als Selbstkonzept(e) werden mentale Repräsentationen über die eigene Person bezeichnet (vgl. Filipp und Mayer 2005; Möller und Trautwein 2020; Moschner und Dickhäuser 2018) bzw. nach Mummendey (2006, S. 38) „die Gesamtheit […] der Einstellungen zur eigenen Person“. Die Basis dieser Einstellungen bildet die Annahme, dass der Mensch seine Erfahrungen in konzeptuellen Systemen organisiert (Epstein 1979), denen eine wichtige Regulationsfunktion für das individuelle Verhalten zugeschrieben wird (Markus und Nurius 1986; Markus und Sentis 1982). Die Entwicklung des Selbstkonzeptes umfasst in den Lebensphasen der Kindheit, der Jugend und des Erwachsenenalters unterschiedliche Aspekte. So wird davon ausgegangen, dass nach der Kindheit, in der eine zunehmende Differenzierung über Subjekt-Objekt-Beziehungen erfolgt, in der Jugend schulische und erste berufliche Einstellungen zu sich selbst bedeutsamer werden. Im Erwachsenenalter steht dann das Zusammenspiel von beruflichen Erfahrungen und Selbstkonzept im Vordergrund, wobei empirische Befunde darauf hindeuten, dass berufliche Erfahrungen das Selbstkonzept einer Person beeinflussen, dass es aber auch einen Einfluss des Selbstkonzeptes auf die eigenen Fähigkeiten gibt. Empirisch abgesichert ist die Tendenz hin zu intern konsistenten Selbstkonzeptualisierungen (Mummendey 2006, S. 102).

Von einem die ganze Person beschreibenden Selbstkonzept sind bereichs- oder domänenspezifische Selbstkonzepte zu unterscheiden, zu denen auch das berufsbezogene Selbstkonzept zählt (vgl. Scheller und Filipp 1995). Es kann als Gesamtheit der kognitiven Repräsentationen eigener Fähigkeiten im Lebensbereich der Erwerbstätigkeit angesehen werden (Super 1961). Bezogen auf den Lehrerberuf werden selbstbezogene Kognitionen wie Kontroll- und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sowie das berufsbezogene Selbstkonzept unter die Kompetenzfacette Motivation im heuristischen Modell der Entwicklung professioneller Handlungskompetenz von Lehrkräften gefasst (Baumert und Kunter 2011; Retelsdorf et al. 2014). Das Selbstkonzept ist motivational relevant, da Einschätzungen der eigenen Fähigkeiten das Erleben und Verhalten in Leistungssituationen beeinflussen und daher als bedeutsam für die Vorhersage von Leistung und beruflichem Erfolg gelten (Marsh und Martin 2011). Wie hoch Erfolgserwartungen sind oder ob Misserfolg antizipiert wird und wie Leistungsergebnisse interpretiert werden, hängt u. a. vom Selbstkonzept ab (vgl. Dickhäuser et al. 2002).

Die Operationalisierung selbstbezogener Kognitionen erfolgt im Rahmen der Forschung zum Lehrerberuf und zur Lehrerbildung generell bisher unterschiedlich: Als selbstbezogene Kognition wird verbreitet die auf Bandura (1997) zurückgehende Selbstwirksamkeit (perceived self-efficacy) erfasst (vgl. Schwarzer und Warner 2014; Zee und Koomen 2016). Die Abgrenzung zum Selbstkonzept ist teils unscharf (vgl. zur Unterscheidung von Selbstwirksamkeit und schulischem Selbstkonzept Bong und Clark 1999; Bong und Skaalvik 2003; Skaalvik und Bong 2003): Beide Konstrukte fokussieren auf den kognitiv-evaluativen Aspekt („Ich kann …“) der Selbsteinschätzung von Fähigkeiten (vgl. Bong und Clark 1999), wobei sich die Selbstwirksamkeit auf die selbstwahrgenommenen Kompetenzen bezogen auf eine zu bewältigende Aufgabe konzentrieren und im Sinne Banduras üblicherweise das Vertrauen einer Person erfassen, eine (herausfordernde) Aufgabe erfolgreich bewältigen zu können. Affektive („Ich mag …“) und vergleichsbasierte evaluative („Ich bin besser/schlechter als …“) Aspekte werden im Rahmen einer breiteren Operationalisierung des schulischen Selbstkonzepts zudem erfasst, sodass dem Selbstkonzept im Vergleich zur Selbstwirksamkeit ein größerer „Konstruktumfang“ attestiert wird (Köller und Möller 2018; Möller und Trautwein 2020).

Sowohl die Selbstwirksamkeit als auch das berufsbezogene Selbstkonzept werden in der aktuellen Forschung domänenspezifisch operationalisiert (vgl. z. B. Retelsdorf et al. 2014; Schüle et al. 2017). Selbstwirksamkeitserwartungen als selbstbezogene Kognition werden vielfach insbesondere in der deutschsprachigen Forschung zum Lehrerberuf eindimensional und global erhoben (die Lehrerselbstwirksamkeit; vgl. Schwarzer und Schmitz 1999). Darüber hinaus werden international auch verschiedene Dimensionen der Lehrerselbstwirksamkeit unterschieden (z. B. Avanzi et al. 2013; Soodak und Podell 1996; Tschannen-Moran und Woolfolk Hoy 2007).

Das berufsbezogene Selbstkonzept von (angehenden) Lehrkräften ist ein mehrdimensionales Konstrukt, das anschlussfähig an die Standards für den bildungswissenschaftlichen Teil der Lehrerbildung (KMK 2019) und die dort formulierten Berufsanforderungen von Lehrkräften ist (KMK 2000). Mit der Fokussierung auf die genannten Anforderungs- und Aufgabenbereiche des Lehrerberufs wird also über berufsspezifische Anforderungsdimensionen der Domänenspezifität von Selbstkonzepten (vgl. Möller et al. 2011) und der Ausdifferenzierung von Aufgaben- bzw. Anforderungsbereichen Rechnung getragen. Zwar unterscheiden Lehramtsstudierende auch innerhalb der Beurteilung ihrer Selbstwirksamkeit Anforderungsbereiche; ihre Einschätzung scheint sich aber dennoch anforderungsübergreifend zu entfalten (Schüle et al. 2017). Das Selbstkonzept bezieht sich zudem vor allem auf die gegenwärtige (oder retrospektiv beurteilte) Leistung, während die Lehrerselbstwirksamkeit vor allem prospektiv die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Situationen aufgrund eigener Kompetenzen bewältigen zu können, in den Blick nimmt (vgl. Bandura 1997; Bong und Skaalvik 2003).

Bezogen auf die Lehrerbildung stellt die Erforschung des berufsbezogenen Selbstkonzepts weitgehend ein Forschungsdesiderat dar. Mit der von Retelsdorf et al. (2014) entwickelten Skala zur Erfassung des berufsbezogenen Selbstkonzepts angehender Lehrkräfte (ERBSE-L) steht mittlerweile ein Erhebungsinstrument zur Verfügung, das sechs Bereiche beruflicher Anforderungen von Lehrkräften unterscheidet: Fach, Erziehung, Diagnostik, Innovation, Medien und Beratung. Es orientiert sich damit inhaltlich an den KMK-Standards der Lehrerbildung (2019) und ist anschlussfähig an die Anforderungen des Lehrerberufs (KMK 2000; Rothland 2013).

Nur wenige empirische Befunde zum berufsbezogenen Selbstkonzept und dessen Veränderung liegen bezogen auf die Lehrerbildung vor. Rothland und Straub (2018) zeigen anhand einer Untersuchung von n = 342 Lehramtsstudierenden im Rahmen des Projektes Learning to Practice (LtP), dass sich deren berufsbezogenes Selbstkonzept vor und nach dem Praxissemester nahezu kaum verändert (max. Skalenunterschied von 0,33 (0,15 < d > 0,35)). Die empirischen Befunde zeigen zudem auf allen sechs Dimensionen hohe Ausgangswerte der Studierenden: Die jeweiligen Mittelwerte der Stichprobe lagen alle über M = 2,91 auf einer 4‑stufigen Skala. Eingesetzt wurde das ERBSE-L-Instrumentarium.

Dieser Befund bestätigt die Ergebnisse von Kauper (2018), die ebenfalls das ERBSE-L-Instrument einsetzte. Untersucht wurden in ihrer Studie, die auf Daten des Panels zum Lehramtsstudium (PaLea) (vgl. Kauper et al. 2012) beruht, lediglich die zwei Subskalen Fach und Erziehung. Kauper (2018) analysiert die Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts in den beiden genannten Dimensionen auch im Zusammenhang mit Lerngelegenheiten in einem Hospitationspraktikum. Zunächst konnten generell hohe Ausgangswerte auf Seiten der Lehramtsstudierenden identifiziert werden. Darüber hinaus fallen die identifizierten Mittelwertunterschiede im Verlauf des Praktikums gering aus (Fach: −0,14 und Erziehung: 0,03). Bei Studierenden, die ein Praktikum absolvierten, war das Selbstkonzept Fach signifikant niedriger und das Selbstkonzept Erziehung signifikant höher als bei Studierenden, die kein Praktikum und somit keine schulpraktischen Lerngelegenheiten nutzen konnten. Die Erfassung der Lerngelegenheiten in der Studie von Kauper (2018) orientieren sich an den intendierten Zielen des Praktikums: Erfahrungen im schulischen Kontext, Theorie-Praxis-Transfer und Berufswahlreflexion. Die befragten Studierenden schätzen hinsichtlich dieser Ziele ihre Entwicklung im Praktikum ein. Ausgeführte Tätigkeiten aus dem Aufgabenbereich von Lehrkräften, die auch als Lerngelegenheiten gesehen werden können, wurden nicht erhoben.

Im Zuge der Analyse der individuellen Veränderungen der Studierenden im PS (Rothland und Straub 2018) zeigt sich, dass die identifizierten Mittelwertunterschiede keineswegs einer homogenen Veränderung der Lehramtsstudierenden entsprechen: Je nach Selbstkonzept-Dimension kam es bei 30–40 % der PS-Studierenden zu keiner Änderung, bei 20–25 % sogar zu einer Abnahme auf einer oder mehreren Dimensionen. Zusammenfassend lässt sich zur Veränderung des beruflichen Selbstkonzepts festhalten, dass sich die wenigen Befunde noch als inkonsistent erweisen. Als relevant für Ausprägung und Veränderung oder Konstanz könnte sich der Zeitpunkt der Selbstkonzepteinschätzung im Verlauf des Studiums erweisen.

Als Prädiktor für Veränderungen untersuchten Rothland und Straub (2018) bisher den Einfluss sozialer Unterstützung durch Lehrkräfte oder Peers in schulischen Praxisphasen im PS. Lediglich vereinzelte Einflüsse wurden zwischen den Dimensionen des berufsbezogenen Selbstkonzepts und Formen sozialer Unterstützung gefunden (etwa ein Einfluss emotionaler Unterstützung durch studentische Peers auf die Dimension Fach). Inwieweit aber ausgeführte Tätigkeiten aus dem Aufgabenbereich von Lehrkräften, die auch als Lerngelegenheiten angesehen werden können (beispielsweise die Planung und Durchführung eigenen Unterrichts oder die Reflexion von pädagogischen Situationen), Einfluss auf das berufsbezogene Selbstkonzept haben, ist eine bislang offene Frage.

2 Praxisphasen als schulpraktische Lerngelegenheiten

2.1 Schulpraktische Lerngelegenheiten in der Lehrerbildung

Die Forschung zur Lehrerbildung befasst sich in zunehmendem Maße mit der Nutzung schulpraktischer Lerngelegenheiten (opportunities to learn (OTL), vgl. Tatto et al. 2012). Im Modell der Entwicklung professioneller Handlungskompetenz von Lehrkräften (Kunter et al. 2011) wird davon ausgegangen, dass professionelle Kompetenz in expliziten und impliziten Lernprozessen erworben und ausgebaut wird (vgl. Sternberg und Grigorenko 2003) und insbesondere die expliziten Lerngelegenheiten bedeutsam für Veränderungsprozesse sind, in denen in konkreten Berufssituationen gehandelt und über diese reflektiert wird. Schulpraktischen Lerngelegenheiten (vgl. König et al. 2016; Putnam und Borko 2000) eröffnen u. a. die Möglichkeit, „theoretische“ Konzepte zu erproben (Clift und Brady 2005), teaching skills anzuwenden (Wilson et al. 2001) und berufliche Erfahrungen zu gewinnen (Filipp 1979).

Die empirische Lehrerbildungsforschung richtet ihren Blick auf formale Aspekte (wie die Form der Begleitung und Unterstützung) und auf die Lehr-Lern-Arrangements, die den Studierenden angeboten werden (vgl. Hascher 2012). Ein Ziel, das in verschiedenen Studien verfolgt wird, ist die Lerngelegenheiten in standardisierter Form zu erheben (vgl. König et al. 2014), um Aussagen über deren Wirksamkeit und so auch hinsichtlich der Effektivität von Curricula gewinnen zu können (vgl. Doll et al. 2018; König et al. 2018; König und Klemenz 2015). Im Rahmen des Projekts Entwicklung von berufsspezifischer Motivation und pädagogischem Wissen in der Lehrerausbildung (EMW) wurden Lerngelegenheiten standardisiert erfasst und die individuelle Nutzung durch die Studierenden analysiert (König et al. 2016). Festgestellt wurde, dass sich die Inanspruchnahme von schulpraktischen Lerngelegenheiten individuell stark unterscheidet. Diejenigen, die vielfältige und insgesamt mehr Lerngelegenheiten erleben, zeigen u. a. eine teilweise stärkere Zunahmen des pädagogischen Wissens im Praktikum (König und Klemenz 2015). Ob und wenn ja, in welchem Maße die Nutzung schulpraktischer Lerngelegenheiten Einfluss auf die unterschiedlichen Dimensionen des berufsbezogenen Selbstkonzepts hat, ist bisher ungeklärt. Darüber hinaus stellt die empirische Erfassung der Veränderung berufsbezogener Selbstkonzepte in unterschiedlichen Praxisphasen im Vergleich ein Forschungsdesiderat dar.

2.2 Orientierungspraktikum und Praxissemester

Die Einbindung von Praxisphasen ist international grundlegend für die Lehrerbildung (vgl. Arnold et al. 2014; Gröschner et al. 2015). Im Rahmen der Reform der Lehrerbildung im Jahre 2009 wurde in Nordrhein-Westfalen der Umfang der Praxisphasen ausgeweitet. Wie in der Mehrzahl der Bundesländer (vgl. Weyland und Wittmann 2015) wurde ein PS im Master-Lehramtsstudium implementiert (MSW 2009a, § 12). Darüber hinaus sind unabhängig von der Art des Lehramts in der ersten Phase der Lehrerbildung zwei weitere, jeweils vierwöchige Praktika im Bachelor-Lehramtsstudium in NRW vorgesehen: das OP (ab Wintersemester 2016/17 Eignungs- und Orientierungspraktikum EOP) und das Berufsfeldpraktikum (BFP). Da die Anzahl und Ausgestaltung der Praxisphasen an den einzelnen Hochschulstandorten im deutschsprachigen Raum unterschiedlich ist (vgl. Gröschner et al. 2015), wird im Folgenden auf die strukturellen Aspekte und die Begleitung des OP und des PS in NRW eingegangen, auf die sich die vorliegende Studie bezieht.

Das OP stellt zum Zeitpunkt der Untersuchung das erste durch die Hochschule verantwortete Praktikum im Bachelor-Lehramtsstudium dar. Es sieht vier Wochen mit mind. 80 h Anwesenheit an der Praktikumsschule vor. Die Vorbereitung auf das OP erfolgt im Rahmen einer universitären Lehrveranstaltung, zumeist ergänzt um eine Nachbereitung der Praxisphase. Letztere variiert jedoch in Abhängigkeit vom Hochschulstandort, des studierten Lehramts und der jeweiligen Hochschullehrenden. Vorgesehen ist (vgl. im Folgenden MSW 2009b), dass die Praktikantinnen und Praktikanten die Komplexität des schulischen Handlungsfelds erkunden und dabei eine professions- und systemorientierte Perspektive einnehmen. Zudem sollen sie u. a. dazu befähigt werden, „Aufbau und Ausgestaltung von Studium und eigener professioneller Entwicklung reflektiert mitzugestalten“ (MSW 2009b, S. 6). Empfohlen werden zudem eigene Unterrichtsversuche.

Mit dem PS in NRW wird das Ziel verfolgt, „Theorie und Praxis professionsorientiert miteinander zu verbinden und die Studierenden auf die Praxisanforderungen der Schule und des Vorbereitungsdienstes wissenschafts- und berufsfeldbezogen vorzubereiten“ (MSW 2010, S. 4). Nach § 8 der Lehramtszugangsverordnung (LZV) sollen Studierende infolge des PS „ein eigenes professionelles Selbstkonzept entwickeln“ (MSW 2010, S. 4). Das PS wird in der Regel im zweiten oder dritten Semester des Master-Lehramtsstudiums absolviert. Die PS-Studierenden verbringen ca. fünf Monate an der Praktikumsschule. Darüber hinaus erfolgt eine Begleitung durch die Universitäten, von denen das PS verantwortet wird. Als weitere Akteure sind die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) beteiligt, die in der vorlesungsfreien Zeit die Begleitung der Studierenden übernehmen und ein Bilanz- und Perspektivgespräch (vgl. Zorn 2020) mit den Studierenden gegen Ende des Praxissemesters führen. In insgesamt 390 Zeitstunden (250 h in der Schule und dem ZfsL) weisen die Studierenden 50 bis 70 Unterrichtseinheiten unter Begleitung nach (vgl. MSW 2010, 2016). In der Praxisphase haben die Studierenden zudem die Aufgabe, dem Ansatz Forschenden Lernens folgend „ein bis drei Studienprojekte“ (MSW 2016, S. 2) zu einer leitenden fachlichen, fachdidaktischen oder bildungswissenschaftlichen Fragestellung durchzuführen. Über diese unterschiedlichen Zugänge soll eine breite Erfahrungsbildung – breiter als im OP im Bachelor-Lehramtsstudium – bei den PS-Studierenden ermöglicht werden, die zur Veränderung ihres professionellen Selbstkonzepts beiträgt (vgl. Mertens und Gräsel 2018).

3 Fragestellungen

Derzeit ist noch weitgehend offen, ob und wie sich das berufsbezogene Selbstkonzept, das explizit im PS ausgebildet werden soll, das aber auch dem Ziel der reflektierten professionellen Entwicklung (MSW 2009b) folgend im OP adressiert wird, bei Lehramtsstudierenden verändert (vgl. Ulrich et al. 2020). Ziel des vorliegenden Beitrags ist daher die Überprüfung einer solchen Veränderung im Verlauf zweier unterschiedlicher Praxisphasen, dem OP und dem PS.

Wir nehmen an, dass PS-Studierende vor Beginn der Praxisphase ein höheres berufsbezogenes Selbstkonzept berichten als Studierende im OP (Hypothese 1a), da sie bereits eine Praxisphase absolviert haben und so über mehr vorberufliche Erfahrungen verfügen. Für beide Studierendengruppen wird erwartet, dass sich deren berufsbezogenes Selbstkonzept entlang aller Dimensionen während der jeweiligen Praxisphase erhöht (Hypothese 1b). Jedoch sollte der Zuwachs im Verlauf des PS größer ausfallen als im OP (Hypothese 1c). Im Rahmen der Inanspruchnahme von schulpraktischen Lerngelegenheiten werden individuell vorberufliche Erfahrungen gemacht, in denen ein Vergleich mit wichtigen anderen Personen und ein Abgleich mit den eigenen Idealvorstellungen möglich ist. Mit der zeitlichen Länge und der darüber zu erwartenden umfangreicheren Nutzung von Lerngelegenheiten begründen wir den stärkeren Zuwachs im Verlauf des PS.

Zudem wird analysiert, wie hoch der Anteil an Studierenden ausfällt, die während der jeweiligen Praxisphase eine Zunahme, Abnahme oder keine Veränderung ihrer berufsbezogenen Selbstkonzepte aufweisen. Dabei ist zu erwarten, dass Studierenden im OP häufiger keine Veränderung (Hypothese 2a) und auch häufiger eine Abnahme (Hypothese 2b) im Vergleich zu Studierenden im PS berichten. Grund dafür wäre zum einen, dass Studierende im OP über weniger Praxiserfahrungen verfügen und daher ihre Selbsteinschätzungen eher auf unreflektierteren und daher unrealistischeren Bewertungen ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten basieren, die im Zuge des OP hin zu einer realistischeren Einschätzung relativiert werden können. Zum anderen bietet ihnen das OP mit einem deutlich geringeren Umfang im Vergleich zum PS weniger Lerngelegenheiten, die als Quelle einer Zunahme der berufsbezogenen Selbstkonzepte angesehen werden.

Inwiefern die Nutzung der schulpraktischen Lerngelegenheiten tatsächlich die intraindividuellen Veränderungen der Dimensionen des berufsbezogenen Selbstkonzepts beeinflusst, wird anschließend überprüft. Angenommen wird mit Verweis auf unterschiedliche Quellen des Selbstkonzepts (vgl. Filipp 1979), dass die Nutzung schulpraktischer Lerngelegenheiten einen Einfluss auf die Veränderung des berufsbezogenen Selbstkonzepts hat und als Prädiktor dient (Hypothese 3). Insbesondere das Planen und Durchführen von pädagogischen Handlungssituationen kann im Zusammenhang mit der Entwicklung fachlicher und erzieherischer Fähigkeiten der Studierenden gesehen werden und sollte daher eine Zunahme der Selbstkonzepte Fach und Erziehung bedingen. Für die weiteren Selbstkonzeptdimensionen sollte der Einfluss der genannten Lerngelegenheiten aufgrund der geringeren Relevanz vergleichsweise schwächer ausfallen. Darüber hinaus wird überprüft, welcher Einfluss dem Ausgangsniveau des jeweiligen Selbstkonzepts für deren individuelle Entwicklung im OP und PS zukommt. Dieser Ansatz gründet auf Befunden zur Struktur von Selbstkonzepten (Marsh und Yeung, 1998; vgl. auch Mummendey 2006). Selbstkonzeptfacetten wurden in einem zweiten Messzeitpunkt jeweils durch die Facette im ersten Messzeitpunkt vorhergesagt, was für eine horizontale Selbstkonzeptstruktur spricht.

4 Methode

Für die Analysen werden die Daten des Projekts Reflexion der Berufswahl in der Lehrerbildung. Empirische Befunde zur Überprüfung der intendierten Wirkung des Orientierungspraktikums (Kreische 2017) sowie die des Forschungsprojekts Das Praxissemester in der Lehrerbildung: Nutzung und Wirkung (PriL) verwendet. Das Projekt zum OP wurde im Jahr 2015 durchgeführt und erreichte insgesamt n = 660 Studierende. Im Rahmen der PriL-Studie, die 2015 bis 2017 durchgeführt wurde, wurden drei Kohorten PS-Studierender (n = 607) befragt. Während die Befragten der PriL-Studie ausschließlich an der Universität Siegen studierten, wurden im Rahmen des Projekts zum OP darüber hinaus Studierende der Universität Dortmund einbezogen. Beide Untersuchungen sind als quantitative Längsschnittstudien angelegt, in denen die Studierenden mittels eines standardisierten Fragebogens zu mindestens zwei Messzeitpunkten unmittelbar vor und nach der jeweiligen Praxisphase befragt wurden. Die Erhebungen wurden in der Regel im Rahmen der Vorbereitungs- und Begleitseminare an der Universität in Form einer paper-and-pencil-Befragung durchgeführt. Da der zweite Befragungszeitpunkt im Verlauf der letzten Wochen bzw. direkt in den Wochen nach der Praxisphase erfolgte, können die unmittelbaren Erfahrungen der Studierenden erfasst und zeitliche Überlagerungen mit anderen Einflussfaktoren reduziert werden. In beiden Forschungsvorhaben kamen identische Instrumente zum Einsatz, die sich bereits in vorherigen Forschungszusammenhängen bewährt haben (EMW-Studie; Klemenz et al. 2014).

4.1 Stichprobe

Für die folgenden multivariaten Analysen werden 450 Studierende im OP und 572 im PS berücksichtigt. In beiden Gruppen stellen weibliche Studierende mit über 70 % den größten Anteil dar. Der Anteil der Dortmunder Studierenden beträgt knapp 21 %. Die Stichprobe enthält Personen aller angebotenen Lehramtsstudiengänge beider Standorte, wobei die Gruppe der Gymnasial- und Gesamtschullehramtsstudierenden mit 34 % bei der Gruppe der OP-Studierenden am größten ausfällt. Bei den PS-Studierenden stellt mit ca. 31 % die größte Gruppe die Studierenden des Haupt‑, Real- und Gesamtschullehramts dar. Gemäß dem Studienablauf findet das OP zu Beginn des Bachelorstudiums im zweiten oder dritten Semester statt. Das PS wird von der Mehrheit der Studierenden nach dem zweiten Semester des Masters absolviert. Dementsprechend sind Studierende im PS mit durchschnittlich 25 Jahren knapp drei Jahre älter als die Studierenden im OP.

4.2 Instrumente

Berufsbezogenes Selbstkonzept

Um die professionelle Entwicklung der Studierenden im OP und PS abzubilden, werden die Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts anhand der Skalen des ERBSE‑L Instrumentariums (Retelsdorf et al. 2014) vor und nach der jeweiligen Praxisphase erfasst. Konkret werden verschiedene Anforderungs- und Aufgabenbereiche des Lehrerberufs berücksichtigt: Fach, Erziehung, Diagnostik, Innovation, Medien und Beratung. Anhand des vierstufigen Antwortformats (1 = trifft überhaupt nicht zu, 2 = trifft eher nicht zu, 3 = trifft eher zu und 4 = trifft völlig zu) schätzen die Studierenden ihre selbstgezogenen Kognitionen jeweils anhand von drei bis vier Items ein (Tab. 1).

Tab. 1 Beschreibung der Dimensionen des berufsbezogenen Selbstkonzepts (ERBSE-L)

Lernprozessbezogene Tätigkeiten

Diese werden mittels des Inventars von König et al. (2014) erhoben, das insgesamt 74 Items umfasst, die sich zu fünf Skalen zusammenfassen lassen: Komplexität über forschungsmethodische Zugänge erkunden, pädagogische Handlungssituationen planen, pädagogische Handlungssituationen durchführen, Theorien auf Situationen beziehen, mit Situationen analytisch-reflexiv umgehen. Anhand eines dichotomen Antwortformats (ja/nein) wurden die Studierenden zum zweiten Messzeitpunkt gebeten, anzugeben, welche Tätigkeiten sie im Rahmen ihrer jeweiligen Praxisphase durchgeführt haben. Erst zu diesem Zeitpunkt ist eine Bilanzierung der durchgeführten Tätigkeiten möglich. Die jeweiligen Skalen wurden gebildet, indem die Items aufsummiert und durch die Anzahl der Items geteilt wurden. Die Antwortkategorie reicht von 0 % (keine der Tätigkeiten ausgeführt) bis 100 % (alle genannten Tätigkeiten ausgeführt). Für die Berechnung der Reliabilitäten der lernprozessbezogenen Tätigkeiten wurde der Kuder-Richardson Koeffizient verwendet, da dieser für dichotome Variablen geeignet ist (Tab. 2).

Tab. 2 Beschreibung der Dimensionen der lernprozessbezogenen Tätigkeiten

4.3 Analyseverfahren

In einem ersten Analyseschritt werden anhand von Latent-Change-Modellen (Geiser 2010; Newsom 2015) die Mittelwerte der berufsbezogenen Selbstkonzepte zum ersten Messzeitpunkt sowie die interindividuellen Veränderungen dieser über die Zeit geschätzt. Bei dem Verfahren handelt es sich im Allgemeinen um ein Strukturgleichungsmodell mit Veränderungsmessung. Das jeweilige berufsbezogene Selbstkonzept zu Messzeitpunkt 1 und 2 wird dabei als latenter State-Faktor und die Veränderung direkt in Form einer latenten Differenzvariable modelliert (Abb. 1). Dieses Vorgehen bietet den Vorteil, dass eine messfehlerbereinigte Schätzung sowie Aussagen über interindividuelle Veränderungen möglich sind, so dass diese Modelle auch als True-Change-Modelle bezeichnet werden (Steyer et al. 1997). Darüber hinaus kann die latente Differenzvariable zugleich als endogene Variable verwendet werden. Dies erfolgt in einem zweiten Analyseschritt, wobei die individuelle Veränderung der berufsbezogenen Selbstkonzepte im PS und OP unter Berücksichtigung der lernprozessbezogenen Tätigkeiten erklärt werden sollen. Aufgrund der unzureichenden Reliabilitäten wurden die Skalen „Komplexität über forschungsmethodische Zugänge erkunden“ und „Mit Situationen kritisch-reflexiv umgehen“ ausgeschlossen. Die Berechnung der Modelle erfolgte unter Verwendung von Mplus, fehlende Werte wurden anhand des Full Information Maximum Likelihood Verfahrens (FIML, Schätzer: Standard maximum likelihood estimator (ML)) geschätzt. Insgesamt liegen uns von 484 Studierenden vollständige Datensätze über beide Messzeitpunkte vor. Dies bedeutet, bei 538 Studierenden liegen fehlende Angaben vor, wobei davon 199 nicht am ersten Messzeitpunkt und 323 nicht am zweiten Messzeitpunkt teilgenommen haben. Einzelne Item-Nonresponse weisen die restlichen Studierenden auf. Die Modellgüte wird anhand der Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA), dem Comparative Fit Index (CFI) und der x2-Statistik beurteilt. Für ein gutes Modell sollten der RMSEA-Wert kleiner ausfallen als 0,05, der CFI-Wert über 0,95 liegen und ein signifikanter x2-Wert vorliegen, der zur Ablehnung der Nullhypothese führt (vgl. Geiser 2010, S. 60). Neben einer angemessenen Modellgüte gilt weiterhin das Vorliegen von Messinvarianz der Selbstkonzeptskalen über die Zeit als eine zentrale Voraussetzung für die Berechnung der Latent-Change-Modelle, um sicherzustellen, dass sich die psychometrischen Eigenschaften der wiederholt erhobenen Messinstrumente nicht verändert haben und über die zwei Messzeitpunkte hinweg vergleichbar sind. Um den Grad an Messinvarianz zu ermitteln, wurden verschiedenen Modelle mit unterschiedlichen Gleichheitsrestriktionen geschätzt und anschließend verglichen (Widaman und Reise 1997). Bei den berichteten Modellen gehen wir von starker Messinvarianz aus. Um dieser gerecht zu werden, erfolgt die Gleichsetzung der unstandardisierten Ladungen der manifesten Variablen und der Intercepts. Anhand dieses Vorgehens ist die Voraussetzung für valide Mittelwertvergleiche über die Zeit sichergestellt.

Abb. 1
figure 1

Latent-Change-Modell (vereinfachte Abbildung, nicht dargestellt: Messfehlervariablen, zeitlich invariante Faktorladungsparameter)

5 Ergebnisse

5.1 Inter- und intraindividuelle Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts

Die Ergebnisse bezogen auf den Vergleich des Ausgangsniveaus und der intraindividuellen Veränderungen der berufsbezogenen Selbstkonzepte im OP und im PS sind in der Tab. 3 abgebildet. Für beide Studierendengruppen können hohe Ausgangswerte bereits vor der jeweiligen Praxisphase festgestellt werden. Diese reichen auf einer vierstufigen Skala von ca. M = 2,6 bis M = 3,6 bei Studierenden des OP und von M = 3,1 bis M = 3,8 bei Studierenden des PS. Das erzieherische Selbstkonzept schätzen beiden Gruppen vor der Praxisphase am höchsten ein, während das fachliche Selbstkonzept von ihnen am geringsten eingeschätzt wird.

Tab. 3 Ergebnisse der Latent-Change-Modelle: Mittelwerte und interindividuelle Veränderung der berufsbezogenen Selbstkonzepts von Studierenden im OP und PS

Innerhalb beider Gruppen können lediglich sehr geringe intraindividuelle Veränderungen der berufsbezogenen Selbstkonzepte während der Praxisphasen identifiziert werden. Diese betragen durchschnittlich ca. 0,1 Skalenpunkte. Für Studierende des OP sind die stärksten intraindividuellen Veränderungen im Bereich des fachlichen Selbstkonzepts und für die Studierenden des PS im Bereich Innovation feststellbar. Die geringsten Veränderungen zeigen sich hinsichtlich des erzieherischen Selbstkonzepts bei Studierenden im OP und bei Studierenden im PS hinsichtlich des Selbstkonzepts Beratung. Insgesamt kann die Güte der berichteten Modelle als akzeptabel bis gut beurteilt werden.

Darüber hinaus wurde anhand der Berechnungen von Gesamtmodellen (Latent-Change-Modelle mit Berücksichtigung der Gruppenzugehörigkeit, nicht dargestellt) getestet, inwieweit Unterschiede zwischen Studierenden des OP und PS bestehen. Es zeigt sich, dass die Studierenden im PS über ein signifikant höheres Selbstkonzept Fach, Erziehung und Medien vor der Praxisphase (t1) verfügen als die OP-Studierenden. Weiterhin fällt sowohl die Entwicklung als auch das Niveau des erzieherischen Selbstkonzepts nach der Praxisphase (t2) bei PS-Studierende signifikant größer aus. Für die weiteren Selbstkonzeptdimensionen konnten keine signifikanten Gruppenunterschiede festgestellt werden.

In einem nächsten Schritt wird betrachtet, wie groß der Anteil der Studierenden ausfällt, die während der Praxisphase eine Abnahme, keine Veränderung oder eine Zunahme der jeweiligen Selbstkonzeptdimension aufweisen (Abb. 2). Als eine Veränderung werden Zunahmen von 0,5 bzw. Abnahmen −0,5 zwischen den beiden Messzeitpunkten betrachtet. Dies entspricht in etwa einer Standardabweichung. Es zeigt sich sowohl im OP als auch im PS, dass der Anteil der Personen, die keine Veränderung aufweisen, entlang aller Dimensionen dominiert. Im OP liegt der Anteil zwischen 71–91 % und im PS zwischen 76–89 % je nach betrachteter Selbstkonzeptdimension.

Abb. 2
figure 2

Intraindividuelle Veränderung des berufsbezogenen Selbstkonzepts getrennt für Studierende des OP und PS (in %)

Zunahmen machen im OP 6–20 % und im PS 8–22 % aus. Der Anteil an Studierenden, die eine Abnahme der berufsbezogen Selbstkonzepte berichten, fallen mit 2–10 % im OP und 3–13 % im PS geringer aus.

5.2 Lernprozessbezogene Tätigkeiten

Um die intraindividuellen Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts unter Berücksichtigung der Nutzung lernprozessbezogener Tätigkeiten zu erklären, erfolgt zunächst deren deskriptive Beschreibung anhand von Boxplots (Abb. 3). Erwartungskonform haben die Befragten im PS insgesamt eine größere Anzahl lernprozessbezogener Tätigkeiten durchgeführt. Deutliche Unterschiede zwischen beiden Gruppen zeigen sich indes lediglich in der Planung und Durchführung pädagogischer Handlungssituationen. Der Median bei pädagogischen Handlungssituationen planen beträgt bei den Studierenden des OP 41,7 % und bei denen des Praxissemesters 75,0 %. Für die Durchführung von pädagogischen Handlungssituationen fällt der Unterschied mit 58,1 % bei den Befragten des OP und denen des PS mit 76,3 % nicht ganz so stark aus.

Abb. 3
figure 3

Unterschiede hinsichtlich der Nutzung der lernprozessbezogenen Tätigkeiten im OP und PS

Unter Berücksichtigung der lernprozessbezogenen Tätigkeiten werden an dieser Stelle die intraindividuellen Veränderungen des Selbstkonzepts getrennt für beide Studierendengruppen berichtet. Dies erfolgt anhand der Berechnung von Latent-Change-Modellen (Tab. 4 und 5), die im vorliegenden Fall durchweg einen guten Modellfit aufweisen. Die abhängigen Variablen stellen die individuellen Veränderungen der sechs verschiedenen Dimensionen des Selbstkonzepts dar. Insgesamt fällt auf, dass die lernprozessbezogenen Tätigkeiten keinen geeigneten Prädiktor darstellen, um die individuellen Unterschiede zu erklärenFootnote 1. Es zeigen sich lediglich vereinzelt geringe (Coeff. max.: 0,005) und gleichzeitig schwach signifikante Effekte. Demnach gilt sowohl für das OP als auch für das PS, dass die individuellen Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts nicht durch die Nutzung der schulpraktischen Lerngelegenheiten erklärt werden können. Anders formuliert: Unabhängig davon, welche lernprozessbezogenen Tätigkeiten die Studierenden während ihrer Praxisphase nachgehen, die Veränderung des Selbstkonzepts bleibt davon unberührt. Entscheidend ist vielmehr das Ausgangsniveau des berufsbezogenen Selbstkonzepts vor Beginn der Praxisphase. Es zeigt sich entlang nahezu aller Selbstkonzeptdimensionen sowie für beide Studierendengruppen: Das Ausgangsniveau steht in einem negativen Zusammenhang mit der Veränderung des Selbstkonzepts.

Tab. 4 Latent-Change-Modelle, AV: Individuelle Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts von Studierenden im OP
Tab. 5 Latent-Change-Modelle, AV: Individuelle Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts von Studierenden im PS

6 Diskussion

Ziel der vorliegenden Studie war es, insbesondere die intraindividuellen Veränderung des berufsbezogenen Selbstkonzepts im Kontext zweier unterschiedlich langer Praxisphasen bei Lehramtsstudierenden zu analysieren. Zunächst war von Interesse, wie sich die unterschiedlichen Dimensionen des berufsbezogenen Selbstkonzepts (Fach, Erziehung, Diagnostik, Innovation, Medien, Beratung) im Zuge einer vierwöchigen (OP) und einer fünfmonatigen Praxisphase (PS) innerhalb des Lehramtsstudiums verändern. Anschließend wurde untersucht, inwiefern die lernprozessbezogenen Tätigkeiten als Einflussfaktor für die Veränderung des berufsbezogenen Selbstkonzepts gelten können.

Die Ergebnisse (Tab. 3) zeigen zunächst, dass die Studierenden im PS und im OP ein zum Teil identisches Ausgangsniveau ihrer berufsbezogenen Selbstkonzepte zu Beginn der Praxisphase aufweisen, wobei – wie im Rahmen von Hypothese 1a angenommen – Studierende des PS ein höheres berufsbezogenes Selbstkonzept Fach, Erziehung und Medien als die Studierenden des OP angeben. Insbesondere das fachliche Selbstkonzept der PS-Studierenden fällt im Vergleich zu den Studierenden des OP deutlich höher aus.

In beiden Praxisphasen ergeben sich auf allen Dimensionen des Selbstkonzepts im intraindividuellen Vergleich signifikante positive Veränderungen, was Hypothese 1b bestätigt. Zu betonen ist, dass die gefundenen Veränderungen, die sich lediglich in der Höhe von max. 0,12 Skalenpunkten auf einer 4‑stufigen Skala zeigen, als klein einzuordnen sind. Des Weiteren ist anzumerken, dass das für die Studierenden beider Praxisphasen ermittelte Ausgangsniveau auf allen Dimensionen des berufsbezogenen Selbstkonzepts mit einem Wert von mindestens M = 2,62 (vorrangig >3,0) bereits als hoch angesehen werden kann und daher auch Deckeneffekte nicht auszuschließen sind.

Die sich zeigenden geringfügigen Veränderungen stimmen mit bisherigen Befunden zur Veränderung des berufsbezogenen Selbstkonzepts überein (Kauper 2018; Rothland und Straub 2018). Während Kauper (2018) sowohl für Studierende im Hospitationspraktikum als auch für eine Kontrollgruppe ohne Praktikum eine Abnahme des fachbezogenen Selbstkonzeptes über die Zeit identifiziert, kann dieses Ergebnis im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht repliziert werden. Diese divergierenden Befunde gilt es in weiteren Studien zu überprüfen. Übereinstimmend kann jedoch eine Zunahme des erzieherischen Selbstkonzepts festgestellt werden. Dieser Befund könnte dahingehend gedeutet werden, dass die Studierenden die Praxisphasen vor allem dazu nutzen, Erfahrungen in ihren Umgang mit den Schülerinnen und Schülern generell sowie bezogen auf ihre Fähigkeit, die Schülerinnen und Schüler zu motivieren, zu sammeln.

Eine generell höhere Zunahme der Selbstkonzeptdimensionen bei den PS-Studierenden, wie mit Hypothese 1c angenommen, wurde lediglich für das Selbstkonzept Erziehung identifiziert. Es zeigt sich, dass Studierende des OP entlang der vier Dimensionen Fach, Diagnostik, Medien und Beratung höhere Zunahmen berichten, wobei die Unterschiede zwischen beiden Studierendengruppen nicht signifikant sind. Mit Blick auf das Forschungsdesign bleibt indes zu bedenken, dass die beiden Praktika zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Studium verortet sind (Beginn Bachelor- vs. Mitte des Master-Lehramtsstudiums). Die Voraussetzungen der Studierenden sind somit verschieden, was die Identifikation und Vergleichbarkeit der Praktikumseffekte beeinträchtigen kann. Diese Einschränkung ist in der vorliegenden Untersuchung nicht auszuräumen.

Darüber hinaus wird im Rahmen der Prüfung von Hypothese 2a deutlich, dass die Mehrheit der Studierenden keine substanzielle Veränderung der berufsbezogenen Selbstkonzepte verzeichnet. Je nach betrachteter Dimension können Anteile von 71–91 % im OP und 76–89 % im PS ausgemacht werden, bei denen sich das berufsbezogene Selbstkonzept entgegen der Intention und Programmatik nicht verändert. Die Hypothese 2a, im Rahmen der erwartet wurde, dass im Vergleich Studierende im OP häufiger keine intraindividuelle Veränderung berichten, kann tendenziell bestätigt werden.

Zudem fällt der Anteil an Personen, die eine Abnahme berichtet, bei den Studierenden im OP geringfügig niedriger als bei den PS-Studierenden aus, was im Rahmen von Hypothese 2b geprüft wurde. Denkbar ist, dass das OP im Vergleich zum PS den Studierenden weniger Anlässe für einen Abgleich der selbsteingeschätzten Fähigkeiten mit der nun erfahrenen praktischen Tätigkeit als angehende Lehrkraft erlaubt. Die Anforderungen im PS sind vor dem Hintergrund seiner Anlage und Dauer vergleichsweise höher; schwierige und nicht oder nur unzureichend zu bewältigende Situationen sind daher wahrscheinlicher, was den höheren Anteil von abnehmenden berufsbezogenen Selbstkonzepten im Vergleich zum OP erklärt. Dabei ist anzumerken, dass ein verringertes Selbstkonzept entlang der jeweiligen Praxisphase nicht gleichzusetzen ist mit einer nachteiligen Entwicklung der Studierenden. Vielmehr kann eine Abnahme des berufsbezogenen Selbstkonzepts als Ausdruck einer Relativierung der vorab hohen Ausgangswerte im Sinne einer möglicherweise realistischeren Einschätzung des eigenen Potentials angesehen werden (s. unten; vgl. Rothland 2018). Für diese Argumentation spricht auch der Befund, dass die höheren Selbstkonzepte vor der Praxisphase mit einer Abnahme des Selbstkonzepts einhergehen.

Um der Frage nach erklärenden Variablen für die intraindividuellen Veränderungen des berufsbezogenen Selbstkonzepts nachzugehen, wurden die lernprozessbezogenen Tätigkeiten erfasst. PS-Studierende führen erwartungskonform mehr lernprozessbezogene Tätigkeiten aus als Studierenden im OP. Deutliche Unterschiede zeigen sich vor allem in der Planung und Durchführung pädagogischer Handlungssituationen. Dieses Ergebnis lässt sich durch die unterschiedlichen Konzeptionen der beiden Praktikumsformen und die damit einhergehende längere Verweildauer im schulischen Handlungsfeld erklären, durch die sich potenziell mehr Gelegenheiten für die Studierenden ergeben, selbst tätig zu werden. Im Hinblick auf die prädiktive Funktion der lernprozessbezogenen Tätigkeiten sind die Ergebnisse nicht erwartungsgemäß, sodass Hypothese 3 zu verwerfen ist: Die unterschiedlichen Aspekte (pädagogische Handlungssituationen planen, pädagogische Handlungssituationen durchführen, Theorien auf Situationen beziehen) können nicht die intraindividuellen Selbstkonzeptveränderungen erklären. Dieser Befund könnte auf das Messinstrument zurückgehen: Mit den OTL-Skalen wird insbesondere die Vielfalt und die Häufigkeit der Lerngelegenheiten erfasst, nicht aber deren Qualität. Denkbar ist, dass sich nur Lerngelegenheiten, die mit einem hohen Qualitätsniveau ausgeführt wurden, auf das berufsbezogene Selbstkonzept auswirken, indem diese als besondere berufliche Erfahrungen mental repräsentiert werden. Gegen diese Argumentation sprechen allerdings die Ergebnisse der Studie von Seifert und Schaper (2018), die die Dimensionen „pädagogische Handlungssituationen planen“ und „pädagogische Handlungssituationen durchführen“ als bedeutsame Prädiktoren für veränderte Selbstwirksamkeitswartungen im PS (erfasst als globale zukünftige Fähigkeitseinschätzungen) identifizieren. Denkbar ist, dass Lerngelegenheiten im Praktikum eher prospektiv Auswirkungen auf die Einschätzung zukünftiger Fähigkeiten haben, und weniger die Einschätzung der gegenwärtigen Fähigkeiten im Sinne des berufsbezogenen Selbstkonzepts beeinflussen.

Im Rahmen der vorliegenden Studie konnte lediglich das Ausgangsniveau des berufsbezogenen Selbstkonzepts als starker Prädiktor vor allem im PS nachgewiesen werden. Je höher der Ausgangswert ist, desto geringer fällt die intraindividuelle Veränderung des jeweiligen berufsbezogenen Selbstkonzepts aus.

Die genannten Befunde werfen unterschiedliche Fragen auf: Sind die Ergebnisse als Ausdruck einer partiellen Unabhängigkeit des berufsbezogenen Selbstkonzepts von konkreten berufsbezogenen Erfahrungen im Praktikum zu sehen? Wird möglicherweise bei der Erhebung der berufsbezogenen Selbstkonzeptdimensionen auf eine ideale Form des Selbstkonzepts (Greif 2008) seitens der Befragten zurückgegriffen, das dann weitgehend losgelöst etwa von beruflichen Erfahrungen als kognitive Selbstrepräsentation bestehen bleibt? Welche weiteren Variablen neben dem individuellen Ausgangsniveau erklären dann die unterschiedlichen Veränderungen? Rothland und Straub (2018) konnten bereits zeigen, dass auch die soziale Unterstützung durch schulische Mentorinnen und Mentoren oder durch Kommilitoninnen und Kommilitonen nur einen geringen Beitrag zur Klärung der zwischen den Studierenden gefundenen Unterschiede in Veränderungsverläufen des berufsbezogenen Selbstkonzepts leisten. Denkbar wäre, dass beispielsweise persönliche Voraussetzungen, wie z. B. stabile Persönlichkeitsmerkmale, zur Aufklärung der Varianz beitragen. Diese wurden in der vorliegenden Studie nicht erhoben.

Begrenzt werden die Ergebnisse vor allem dadurch, dass kein Kontrollgruppendesign je Praktikumsart- und gruppe realisiert werden konnte. Auch die ausschließlich dichotome Erfassung der schulischen Lerngelegenheiten stellt eine weitere Einschränkung dar. Hier liegen Anlässe für weitere Forschungen: Möglicherweise könnte eine Ausdifferenzierung des lernprozessbezogenen Erhebungsinstruments im Sinne der Dimensionen des berufsbezogenen Selbstkonzepts sowie die genauere Erfassung der Häufigkeiten und der Qualität der ausgeübten Tätigkeiten zu weiteren Erklärungen führen, z. B. in dem Sinne, dass nur qualitativ besonders hochwertige Erfolgserfahrungen einen Effekt auf das berufsbezogene Selbstkonzept haben. Denkbar ist allerdings auch, dass die identifizierten Veränderungen Ausdruck von allgemeinen Entwicklungseffekten oder diese auf andere universitäre Studienanteile zurückzuführen sind. Durch das Fehlen einer Kontrollgruppe mit Studierenden, die die jeweilige Praxisphase nicht absolviert haben, ist die Aussagekraft der Befunde eingeschränkt.

Abschließend lässt sich festhalten, dass im Rahmen des vorliegenden Beitrags erstmals die individuelle Veränderung der berufsbezogenen Selbstkonzepte von Studierenden zweier unterschiedlich langer Praxisphasen, dem PS und dem OP, gegenübergestellt wurde. Dabei zeigt sich, dass die selbstbezogenen Kognitionen der Lehramtsstudierenden bezogen auf zentrale Anforderungsbereiche des Lehrerberufs bereits in der ersten Phase der Lehrerbildung ohne umfangreiche Erfahrungen und Erprobungen in der Berufspraxis eher einheitlich hoch ausfallen und sich im Verlaufe der Praxisphasen noch, wenn auch geringfügig, weiter steigern. Dies kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass hier womöglich eher ideale (was will, sollte, müsste ich als angehende Lehrperson können) denn reale Selbsteinschätzungen (was kann ich tatsächlich schon) auf Seiten der Studierenden ausgedrückt werden (vgl. Greif 2008; Meyer und Kiel 2014). Eine dauerhafte und aktive Einnahme der Rolle als Lehrkraft (wenn auch im geschützten Rahmen) sowie mehr Zeit für die Reflexion der Tätigkeiten, Erfahrungen und Fähigkeiten insbesondere im PS kann im Ergebnis, so eine hier ableitbare weiterführende These, individuell zur Relativierung vorheriger Selbstüberschätzungen und zu einem realistischeren Selbstkonzept beitragen (Rothland 2018).

Als Stärke des vorliegenden Beitrags gilt insbesondere die differentielle Analysestrategie, die es erlaubt „tatsächliche“ Veränderungen innerhalb von Personen in den Blick zu nehmen. Dies sollte im Rahmen zukünftiger Forschungsbemühungen, die die Entwicklung Studierender in Praxisphasen in den Fokus stellen, als Standard gelten. Darüber hinaus sollten weitere Forschungsbemühungen unter Nutzung qualitativer Zugänge unternommen werden, konkrete Anlässe der Veränderung von Selbstbildern in Praxisphasen zu identifizieren. Der hohe Anspruch hinsichtlich der Entwicklung eines professionelles Selbstkonzepts insbesondere im Praxissemester (MBJS 2013, S. 5; MSW 2010, S. 4;) kann mit der gebotenen Vorsicht hinterfragt werden.