1 Einleitung

In einer immer stärker vernetzten Welt bietet das Internet umfassende Möglichkeiten der politischen Kommunikation. Der Reuters Digital News Report (RDNS) dokumentiert für das Jahr 2022 erstmalig, dass das Internet Hauptinformationsquelle für die politische Information ist (vgl. Hölig et al. 2022, S. 5). Von den vielseitigen Möglichkeiten der politischen Kommunikation im Netz wollen wir auf den in der Literatur unter dem Begriff der Anschlusskommunikation zusammengefassten (vgl. Sommer 2010, S. 22–23) kommunikativen Austausch über politische Themen den Fokus legen. Die Möglichkeit, politische Ansichten und Meinungen in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke zu veröffentlichen, diese mit anderen Nutzern zu diskutieren oder Forderungen im direkten Kontakt mit Politikern über soziale Netzwerke zu artikulieren, birgt ein hohes Demokratisierungspotenzial (vgl. Jarren 2021), dessen Einlösung in der Wissenschaft kontrovers diskutiert wird (vgl. Gerhards und Schäfer 2007, S. 211–212; Emmer und Wolling 2019, S. 36).

Aus Perspektive verschiedener Öffentlichkeitstheorien wird die Anschlusskommunikation im Netz als Erweiterung der Möglichkeiten einer wünschenswerten Beteiligung und Inklusion möglichst vieler Bürger am politischen Diskurs betrachtet (vgl. Gerhards und Schäfer 2007, S. 211; Emmer und Wolling 2019, S. 37). Anschlusskommunikation könne zu einer Revitalisierung und Stärkung repräsentativer Demokratie beitragen, den Diskurs zwischen politischen Meinungslagern und über die Grenzen der persönlichen Kommunikationsnetzwerke hinweg fördern (Wojcieszak und Mutz 2009, S. 40) und so dem Kriterium der „Unabgeschlossenheit von Öffentlichkeit“ (Habermas 1990, S. 98) gerecht werden. Verschiedene empirische Studien (vgl. u. a. Mutz 2006, S. 84–87; Wojcieszak und Mutz 2009, S. 50) belegen, dass dieses Potenzial auch eingelöst werden kann. Andererseits finden sich aber auch Zweifel. Besonders in der Diskussion um entstehende „Echokammern“ (Sunstein 2004, S. 57) und der damit einhergehenden Befürchtung, dass Menschen im Internet nur noch mit meinungskonformen Inhalten konfrontiert werden (vgl. Stark et al. 2021, S. 303), werden diese laut. Anschlusskommunikation im Netz integriere nicht, sondern vertiefe existierende gesellschaftliche Gräben (vgl. Genner 2022, S. 30). Diese Befürchtungen werden auch von auf der Mikroebene angelegten Studien untermauert, die verdeutlichen, dass die Möglichkeiten der Anschlusskommunikation nicht von allen Nutzern gleich, sondern insbesondere von einer für die Bevölkerung nicht repräsentativen Gruppe genutzt werden (vgl. Hölig et al. 2022, S. 54; Ziegele et al. 2017, S. 324; Marzinkowski et al. 2019, S. 247; Ziegele 2016, S. 179–181).

Inwieweit verschiedene gesellschaftliche Gruppen über die Möglichkeiten der Anschlusskommunikation miteinander in kommunikativen Austausch treten, lässt sich mit Individualdatenstudien jedoch nur bedingt beantworten, da diese zwar Prädiktoren zur Erklärung der Nutzung herausarbeiten, jedoch keine Aussagen über die durch gleichzeitig ablaufende Stratifikations- und Segmentierungsprozesse der Gesellschaft (vgl. Bennett und Iyengar 2008, S. 717) entstehenden gesellschaftlichen Teilgruppen treffen können. Hierfür bedarf es eines Ansatzes auf der Meso-Ebene, der basierend auf einem Vorschlag zur Beschreibung der Heterogenität der Bürgerschaft die Nutzung der Möglichkeiten der Anschlusskommunikation in verschiedenen Segmenten untersucht. Mit den von Weiß (2009) vorgeschlagenen politisch-kommunikativen Milieus liegt ein Vorschlag für die Beschreibung gesellschaftlicher Heterogenität vor. Als solche werden Gruppen von Personen bezeichnet, deren politische Wertorientierungen und politischen Einstellungen, Sozialisationserfahrungen und Partizipationsmuster, aber auch deren Informationsrepertoires und politische Kommunikationspraktiken systematisch miteinander verzahnt sind (Mahrt und Begenat 2013, S. 34–35; Kösters und Jandura 2018b, S. 132). Der Beitrag setzt sich zum Ziel, die Teilhabe an Online-Anschlusskommunikation entlang der Differenzierung politisch-kommunikativer Milieus zu untersuchen. Mit der milieutheoretischen Herangehensweise wird einerseits ein Desiderat auf dem Gebiet der Anschlusskommunikation bearbeitet und andererseits werden die Befunde zur vertiefenden Charakterisierung der Kommunikationspraktiken in politischen-kommunikativen Milieus herangezogen. Der Beitrag verfolgt die Forschungsfrage:

Welche Unterschiede können zwischen verschiedenen Milieus hinsichtlich ihrer Beteiligung an Möglichkeiten der Anschlusskommunikation identifiziert werden?

Die Frage wird über folgende Argumentationslinie beantwortet: Nach der Definition des Begriffs Anschlusskommunikation erfolgt ein nach Nutzungsmodalitäten gegliederter Überblick über den Forschungsstand. Die Erläuterung der mit diesem Konzept verbundenen Limitationen sowie des Potenzials der Milieuperspektive bilden die Überleitung zu den politisch-kommunikativen Milieus und deren Kommunikationspraktiken. Als Synthese des Forschungstandes erfolgt die Bildung von Hypothesen. Im empirischen Teil werden Methode und Operationalisierung sowie die Ergebnisse präsentiert, die abschließend diskutiert und eingeordnet werden.

2 Forschungsüberblick zur Anschlusskommunikation

Das Internet offeriert vielfältige Optionen zur Anschlusskommunikation. Die Möglichkeiten erstrecken sich von der reinen Rezeption über den kommunikativen Austausch bis hin zum aktiven und produktiven Umgang mit Informationen. Aufgrund der Vielzahl und des unterschiedlichen Charakters dieser Kommunikationsmöglichkeiten werden diese – auch da sie häufig miteinander einhergehen oder sich gegenseitig bedingen – teilweise unterschiedlich klassifiziert (vgl. Kümpel 2019, S. 13). Eine in der Forschung häufig angewandte Differenzierung ist die zwischen aktiver und passiver Nutzung (vgl. Ellison et al. 2020, S. 402–403; Dvir-Gvirsman 2022, S. 1793). Ellison et al. (2020, S. 403) verstehen alle für andere Nutzer sichtbaren digitalen Aktivitäten (Liken, Teilen oder Kommentieren) als aktive Nutzungsformen, während die reine Betrachtung bzw. Rezeption politischer Artikel oder Kommentare als passive Formen politischer Anschlusskommunikation eingeteilt werden. Kritiker argumentieren, dass eine dichotome Unterscheidung den komplexen Dynamiken rund um die Nutzungsmodalitäten nicht gerecht werde. Newman et al. (2016, S. 101) gehen daher über diese Dichotomie hinaus und differenzieren zwischen proaktiven, reaktiven und passiven Formen. Proaktive Formen umfassen „produzierende“ Nutzungsmöglichkeiten (Kommentieren, Verfassen eines Nachrichtenblogs, Posten von Videos & Bildern). Digitale Aktivitäten, mittels derer vorhandene Nachrichten verbreitet oder bewertet werden, werden von den Autoren dagegen als reaktive Nutzungsformen charakterisiert („Gefällt-mir“-Button, Teilnahme an Umfragen, Teilen von Beiträgen) (vgl. Newman et al. 2016, S. 100–101). Passive Nutzungsformen stellen laut Newman et al. (2016, S. 100) hingegen das persönliche oder online-basierte interpersonale Gespräch über Nachrichteninhalte dar.

2.1 Determinanten der Anschlusskommunikation

Nun interessiert, welche Variablen den Einsatz verschiedener Formen der Anschlusskommunikation determinieren. Die Darstellung erfolgt für die abhängige Variable getrennt nach aktiver und passiver Nutzung und für die unabhängigen Variablen nach den Dimensionen (1) soziale Position und Soziodemographie, (2) Einstellung und Verhalten und (3) Mediennutzung und -bewertung.

Für die aktive Anschlusskommunikation ging man hinsichtlich der Sozialen Position der Nutzenden der Frage nach, ob sich Befunde aus der Digital-Divide-Forschung (vgl. Marr und Zillien 2019, S. 300–301; Hoffmann et al. 2019, S. 86) übertragen lassen und diese ebenfalls eine Domäne der Höhergebildeten ist. Die Forschung kommt hier zu uneinheitlichen Ergebnissen. Die formale Bildung erweist sich bei Bakker (2013, S. 33) als ein signifikanter und förderlicher Prädiktor. Marzinkowski et al. (vgl. 2019, S. 261) zeigen den gegenteiligen Effekt. Schließlich finden Ziegele et al. (2013, S. 91) keinen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau und aktiven Formen. Auch bei anderen zur Beschreibung der sozialen Position verwendeten Variablen (Beziehungsstatus, berufliche Tätigkeit) fand sich kein Zusammenhang (vgl. Ziegele et al. 2013, S. 91). Beim Alter finden sich erneut widersprüchliche Befunde. Einerseits ist eine höhere Kommentierbereitschaft Jüngerer dokumentiert (Bakker 2013, S. 33; Friemel und Dötsch 2015, S. 161), andererseits wird darauf hingewiesen, dass aktive Nutzung mit steigendem Alter zunimmt (vgl. Ziegele et al. 2013, S. 91; Marzinkowski et al. 2019, S. 261). Bei der Analyse politischer Einstellungsvariablen wird zwischen Variablen differenziert, die einerseits die Nähe zur politischen Sphäre und andererseits die politische Verortung beschreiben. Es wird übereinstimmend festgestellt, dass ein hohes politisches Engagement und politisches Interesse (vgl. Springer und Kümpel 2018, S. 250; Marzinkowski et al. 2019, S. 261; Larsson 2011, S. 1190) sowie eine hohe politische Selbstwirksamkeit zu aktiver Anschlusskommunikation führt (vgl. Park 2019, S. 47–48; Marzinkowski et al. 2019, S. 261; Oser et al. 2022, S. 616). Oser et al. (2022, S. 607) halten als Ergebnis ihrer Meta-Analyse fest: „The findings provide the most comprehensive evidence to date that online participation is as highly associated with political efficacy as offline participation […]“. Im Hinblick auf die politische (Selbst‑)Verortung wird deutlich, dass sich an den äußeren Polen der Links-Rechts-Skala verortende Nutzende die Möglichkeiten der aktiven Anschlusskommunikation häufiger verwenden (vgl. Kalogeropoulos et al. 2017, S. 8). Dieser Befund wird durch die Studien von Hirndorf (2020, S. 27) und Friemel und Dötsch (2015, S. 161–162) gestützt. Erstere fanden heraus, dass Anhänger der Linkspartei und der AfD häufiger von aktiven Formen Gebrauch machen, und Letztere, dass sich aktiv Kommentierende weiter rechts verorten als passive Kommentarleser. Als dritter Block der Determinanten aktiver Formen der Anschlusskommunikation können Variablen zur Mediennutzung und -bewertung zusammengefasst werden (Ziegele 2016, S. 192). Hier lässt sich zwischen der Intensität der politischen Kommunikation online und dem Vertrauen in Medieninhalte differenzieren. Es zeigt sich, dass die Intensität der politischen Mediennutzung online mit der Intensität der Anschlusskommunikation positiv korreliert (vgl. Bakker 2013, S. 33; Kalogeropoulos et al. 2017, S. 1; Shah et al. 2007, S. 691; Ziegele et al. 2013, S. 90–91). Zugleich sind die aktiven Formen auch eine Möglichkeit, Kritik am Journalismus zu formulieren (vgl. Springer und Kümpel 2018, S. 253; Springer 2014, S. 49). Basierend auf Daten des RDNS wird demonstriert, dass ein geringes Medienvertrauen mit der Nutzung aktiver Formen der Anschlusskommunikation einhergeht (siehe auch Schindler et al. 2018, S. 297).

Die Studien zur Nutzung der passiven Formen der Anschlusskommunikation werden ebenfalls nach den drei Analysedimensionen – beginnend mit der (1) Sozialen Position und Soziodemographie –präsentiert. Hier besteht auch der Zusammenhang zwischen einer höheren Bildung und einer intensiveren Nutzung (Hölig und Wunderlich 2022, S. 36; Prandner 2022, S. 96). Ebenso als bestätigt gilt, dass in den jüngeren Altersgruppen die passive Anschlusskommunikation intensiver genutzt wird (vgl. Hölig und Wunderlich 2022, S. 36; Prandner 2022, S. 96). Gil de Zúñiga et al. (2017, S. 112–113) betonen, dass die „News Finds Me“-Wahrnehmung im Zusammenhang mit der zu den passiven Formen zählenden Nutzung sozialer Medien bei Jüngeren, Frauen und Befragten mit geringem Einkommen besonders ausgeprägt ist (vgl. auch Lindell und Mikkelsen Båge 2023, S. 1983). Bezüglich der (2) politischen Einstellungen und der politischen (Selbst)-Verortung wird deutlich, dass das politische Interesse auch mit den Formen der passiven Anschlusskommunikation positiv korreliert (vgl. Hölig und Hasebrink 2019, S. 65). Insbesondere gilt dies für öffentlich-rechtliche Medien und Qualitätsnachrichten (vgl. Lindell und Mikkelsen Båge 2023, S. 1983). Eine klare Positionierung im politischen Spektrum geht zudem mit einem intensiveren Gebrauch passiver Nutzungsoptionen einher (vgl. Prandner 2022, S. 96; Hagen et al. 2017, S. 6). Besonders an den politischen Rändern, insbesondere dem rechten Bereich, ist eine höhere Affinität zu passiven Kommunikationsformen zu verzeichnen (vgl. Hölig und Wunderlich 2022, S. 36; Esser et al. 2016; Schweiger 2017, S. 49; Brettschneider et al. 2021). Bezüglich der (3) Mediennutzung und -bewertung finden sich bei den Determinanten der passiven Anschlusskommunikation uneindeutige Befunde. Die Ergebnisse einer Studie von Larsson (2011, S. 1191) deuten darauf hin, dass LurkerFootnote 1 Nachrichteninhalte intensiv und regelmäßig verfolgen. Auf der anderen Seite gehen Studien zur „News Finds Me“-Haltung davon aus, dass das Nachrichtengeschehen eher mit geringer Intensität verfolgt wird (vgl. Gil de Zúñiga et al. 2017, S. 118). Jackob et al. (2019, S. 216) fassen zusammen, „dass Menschen, die den Medien grundsätzlich misstrauen, sie weniger nutzen, um sich über das politische Weltgeschehen zu informieren“. Eine solche Medienskepsis zeigt sich vor allem bei Bürgern, die „[…] häufig alternative Nachrichtenquellen im Social Web konsumieren (Blogs/Diskussionsforen, sogenannte ‚alternative‘ Nachrichten) und regelmäßig Nutzerkommentare auf den Seiten der etablierten Medien lesen“ (Jackob et al. 2019, S. 216). Kalogeropoulos et al. (2019, S. 3683) zeigen hingegen, dass die Nutzung sozialer Medien im Allgemeinen mit einem höheren Medienvertrauen einhergeht. Stellen soziale Medien jedoch die Hauptnachrichtenquelle dar, kehre sich dieser Zusammenhang um.

2.2 Würdigung

Von einem öffentlichkeitstheoretischen Standpunkt betrachtet, bietet Anschlusskommunikation das Potenzial, die Teilhabe möglichst vieler Bürger am öffentlichen Diskurs zu stärken und damit einen pluralen Kommunikationsraum zu schaffen. Als Essenz der empirischen Befunde lässt sich extrahieren, dass nur ein bestimmter, für die Gesellschaft nicht repräsentativer Teil der Onliner von diesen aktiven und passiven Möglichkeiten Gebrauch macht (vgl. Ziegele et al. 2017, S. 324). Wenngleich die Meinungsäußerungen im Internet die öffentliche Meinung somit oftmals nicht widerspiegeln, erreichen Nutzerkommentare eine beträchtliche Anzahl an Lesern, darunter Multiplikatoren wie Journalisten und Politiker, die diese in ihre Arbeit einbeziehen (vgl. Nuernbergk 2018, S. 115; Jungherr 2017, S. 292). Die Sichtung des Forschungsstands verdeutlicht ebenfalls, dass Studien zumeist, entsprechend dem allgemeinen Trend in der Kommunikationswissenschaft (vgl. Schweiger 2018, S. 1), analytisch auf der Mikro-Ebene verbleiben. Damit steht eine Perspektive im Vordergrund, die umfangreiches Wissen über individuelle Eigenschaften und Einstellungen der Nutzer sowie deren Beteiligungsmotive und andere Randbedingungen bereitstellt. Auf der Mikroebene bleiben aber Zusammenhänge und Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen, welche durch gemeinsame Erfahrungen, Sozialisationsprozesse oder Einstellungen ausgebildet werden, außer Acht (vgl. Weiß 2013, S. 206). Es bleibt weitgehend unsichtbar, wie lebensweltliche Kontexte und damit das Zusammenspiel sozialer, politischer und kultureller Umstände die Anschlusskommunikation prägen (vgl. Weiß 2013, S. 207). So ist denkbar, dass über individuelle Einstellungen und Eigenschaften hinaus auch das auf einer Meso-Ebene zu suchende Zusammenwirken dieser verschiedenen Einflussfaktoren die Beteiligung an der Anschlusskommunikation mitbestimmt. An dieser Stelle rückt die Milieuforschung mit ihrer Meso-Perspektive in den Blick.

3 Politisch-kommunikative Milieus in Deutschland

Die Milieuforschung entstand in Deutschland in den 1980er-Jahren als Erweiterung von differenzsoziologischen Ansätzen wie Klassen- und Schichtmodellen, die über die vertikale Differenzierung der Gesellschaft beschreibende Faktoren (z. B. habitusrelevante Variablen wie Alter, Bildung, Einkommen, Beruf) die Gesellschaft in verschiedene Gruppen unterteilten (vgl. Hradil 1985). Die von aktuellen Klassenmodellen ebenfalls praktizierte Erweiterung der Milieuperspektive (vgl. Reckwitz 2017) besteht darin, dass diese aus dem Zusammenspiel von die vertikale und die horizontale (z. B. Werthaltungen, Einstellungen) Differenzierung der Gesellschaft beschreibenden Faktoren gebildet werden (vgl. Hradil 2006, S. 5). In der (angewandten) Forschung haben sich mit den SINUS-Milieus (vgl. Barth et al. 2018), den politischen Milieus (vgl. Neugebauer 2007) und den politisch-kommunikativen Milieus (vgl. Weiß 2013) unterschiedliche Milieutypologien etabliert, wobei der Ansatz von Weiß die die Kommunikationswissenschaft interessierenden Kommunikationspraktiken stark betont. Bei den politisch-kommunikativen Milieus handelt sich um Gruppen von Gleichgesinnten, die aufgrund ihrer ähnlichen politischen Weltanschauung und ihrer ähnlichen Nähe zur politischen Sphäre die gesellschaftlichen Verhältnisse und die politische Welt durch den gleichen Rahmen wahrnehmen und Entwicklungen ähnlich interpretieren (vgl. Deterding 2013). Die Einnahme der Milieuperspektive trägt der Forderung von Bennett und Iyengar (2008, S. 725) Rechnung, dass die Kommunikationswissenschaft stärker die Ausdifferenzierung der Bürgerschaft in ihren Analysen in den Blick nehmen soll. Die Autoren beschreiben eine gleichzeitig ablaufende zunehmende Stratifikation der politisch-kommunikativen Teilhabe und eine zunehmende Segmentierung und Heterogenisierung der politischen Weltanschauungen, die sie mit dem Begriff der stratamentation beschreiben (vgl. Bennett und Iyengar 2008, S. 717).

Die für die politisch-kommunikativen Milieus konstitutiven Variablen bilden auf der stratifizierenden Ebene die Nähe bzw. Distanz zur Politik und auf der segmentierenden Ebene die auf der sozioökonomisch und politisch-kulturellen Konfliktachse zu verortende Weltanschauungen der Bürger. Clusteranalysen konnten in verschiedenen Studien für Deutschland jeweils zwölf distinkte Milieus identifizieren (vgl. Weiß et al. 2019, S. 310).

Auf der stratifikatorischen Ebene differenziert sich die Bürgerschaft anhand unterschiedlicher Kombinationen der politischen Selbstwirksamkeit und des Responsivitätsvertrauens. Kennzeichnend für die Gruppe der Aktiven Staatsbürgerschaft ist eine jeweils sehr hohe Ausprägung beider „political efficacy“-Dimensionen, während in der Gruppe der Teilnahmslos-Distanzierten beide Dimensionen die niedrigste Zustimmung finden. Die Gruppe der Loyal-passiven Mitte ist gekennzeichnet durch eine eher überdurchschnittliche politische Selbstwirksamkeit und ein hohes Responsivitätsvertrauen, bei der Skeptischen Mitte sind beide Dimensionen durchschnittlich ausgeprägt und die Entfremdeten Demokratiekritiker verfügen über eine sehr hohe politische Selbstwirksamkeit, aber ein sehr niedriges Responsivitätsvertrauen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Milieutableau politisch-kommunikative Milieus (vgl. Weiß et al. 2019, S. 311)

Auf der segmentären Ebene finden sich alle logisch möglichen Kombinationen der Ausprägungen der über die zwei zentralen Konfliktachsen des politischen Systems (vgl. Decker 2018, S. 24) gemessenen Weltanschauungen. Eine liberale und solidarische Weltanschauung kombiniert dabei eine gesellschaftspolitisch libertäre und partizipative Orientierung mit einer sozialstaatlich-egalitären Orientierung, eine liberale und marktliberale Weltanschauung eine gesellschaftspolitisch libertäre und partizipative Orientierung mit einer marktliberalen, auf den individuellen Nutzen ausgerichtete Orientierung. Diese beiden Kombinationen mit der sozioökonomischen Konfliktachse finden sich auch für den autoritären Pol der politisch-kulturellen Konfliktdimension, wo eine autoritäre, auf die Durchsetzung von Recht und Ordnung ausgerichtete Orientierung mit einer sozialstaatlich-egalitären Orientierung bzw. einer marktliberalen, auf den individuellen Nutzen ausgerichteten Weltanschauung verknüpft wird (vgl. Kösters et al. 2019, S. 110).

Aus dem so entstehenden Milieutableau werden die Folgen der stratamentation (vgl. Bennett und Iyangar 2008, S. 171) deutlich. So differenziert sich die Gruppe der Aktiven Staatsbürgerschaft, die dieselbe Nähe zur politische Sphäre aufweist, mit den Kritisch-Engagierten, den Marktorientiert-Involvierten und den Engagierten Konservativen in drei weltanschaulich getrennte Gruppen. Andererseits differenziert sich die weltanschaulich homogene Gruppe der Autoritätsorientierten und Marktliberalen mit den Engagierten Konservativen, den Gemäßigt Markt-Autoritären, den Konkurrenzorientiert Rechten und den Autoritätsorientiert wenig Interessierten in vier unterschiedliche Gruppen aus.

Die Milieu-Perspektive ermöglicht nun eine nähere Charakterisierung der politischen Einstellungen, der sozialen Position und der politischen Kommunikationspraxis verschiedener gesellschaftlicher Teilgruppen. Dies soll im Folgenden exemplarisch an drei, an unterschiedlichen Positionen des Tableaus befindlichen Milieus kurz dargestellt werden. Die ausgewählten Milieus repräsentieren zugleich drei typische Formen der Integration gesellschaftlicher Teilgruppen in die Öffentlichkeit: (1) integrierte Milieus, (2) Milieus mit Abschottungstendenzen und (3) vom öffentlichen Diskurs abgekoppelte Milieus (vgl. Kösters und Jandura 2018a). Zudem wird am Ende der Beschreibung der einzelnen Milieus je eine Hypothese zur Nutzung der Möglichkeiten der Anschlusskommunikation abgeleitet.

Das Milieu der Kritisch-Engagierten ist richtungspolitisch im linken Spektrum zu verorten, was sich u. a. in hohen Affinitäten gegenüber den GAL-Parteien (SPD, Grüne, Linke) sowie in einer hohen Priorisierung der Themen Verteilungsgerechtigkeit und Umwelt‑/Klimapolitik deutlich wird (vgl. Kösters und Jandura 2018b, S. 160). Hinsichtlich der sozialen Position finden sich in dem Milieu überwiegend höhere formale Bildungsabschlüsse und eine hohe Erwerbstätigkeitsquote. Männer und die Bevölkerung in den alten Bundesländern sind überrepräsentiert. Ressourcenausstattung und sozialer Status führen zum Selbstbewusstsein zur Teilnahme am Prozess der Meinungsbildung einerseits befähigt und andererseits auch befugt zu sein (vgl. Weiß et al. 2019, S. 317). Das hohe Interesse an und das große Vertrauen in die Politik hat eine sehr aktive Kommunikationspraxis zur Folge, die sich in einem sehr breitem und mit Qualitätsmedien gesättigten Medienrepertoire und in einer intensiven interpersonalen Kommunikation über Politik niederschlägt. Diese in diesem Milieu gemeinsam auftretenden Charakteristika wurden auch als jeweils unabhängige Determinanten der Nutzung der aktiven Formen der Anschlusskommunikation im Forschungsstand herausgearbeitet. Daher ist zu erwarten, dass das Milieu der Kritisch-Engagierten diese Formen intensiver nutzt als die anderen Milieus:

H1:

Kritisch-Engagierte nutzen intensiver die Formen der aktiven Anschlusskommunikation als Autoritätsorientiert wenig Interessierte und Konkurrenzorientiert Rechte.

Mit seiner autoritären sowie marktliberalen Haltung ist das Milieu der Konkurrenzorientiert Rechten sowohl bei der Selbstverortung als auch bei der wertebezogenen Verortung weit im rechten Bereich des politischen Spektrums platziert, was u. a. durch seine Nähe zu den TAN-Parteien (CDU, FDP, AfD) und vor allem durch die hohe Präferenz für die rechtspopulistischen Parteien zum Ausdruck kommt. Das politische Involvement und politische Selbstbewusstsein des Milieus ist hoch, insgesamt weist es aber eine grundsätzliche Skepsis gegenüber politischen Eliten auf, ist mit der Politik unzufrieden und kann als demokratiekritisch bis -feindlich eingeordnet werden. Hinsichtlich der sozialen Position handelt es sich um ein Milieu, bei dem die ältere Bevölkerungsgruppe überwiegt und das häufig über niedrige oder mittlere Bildungsabschlüsse und den höchsten Arbeiteranteil verfügt. Von der sozialen Position aus betrachtet entspricht das Milieu somit dem Wählerpotential äußerst rechter Parteien (vgl. Kitschelt 1994, S. 25). Trotz der wahrgenommenen mangelnden Repräsentation ihrer Anliegen in den Medien schotten sich die Konkurrenzorientiert Rechten in ihrer Kommunikationspraxis von der öffentlichen Kommunikation nicht gänzlich ab (vgl. Weiß et al. 2019, S. 318). Neben alternativen Medien, wie z. B. Facebook-Gruppen oder Tageszeitungen an den Rändern des politischen Spektrums (vgl. Kösters und Jandura 2018a, S. 119), nehmen private Fernsehnachrichten und die BILD-Zeitung einen hohen Stellenwert im Medienrepertoire ein. Die Konkurrenzorientiert Rechten sind dabei überdurchschnittlich stark an politischen Informationen interessiert und setzen sich überdurchschnittlich intensiv damit auseinander. Zudem sprechen die dem Milieu Zugehörigen häufig mit anderen über Politik, verbleiben dabei jedoch in sehr homogene Kommunikationsnetzwerke eingebettet (vgl. Kösters und Jandura 2018a, S. 117). Auch in dieser Milieubeschreibung finden sich Variablen (z. B. hohe politische Selbstwirksamkeit, richtungspolitische Verortung, Eliten- und Medienkritik) wieder, die als jeweils unabhängige Determinanten für die Nutzung reaktiver Formen der Anschlusskommunikation herausgearbeitet wurden. Daher lässt sich folgende Hypothese formulieren:

H2:

Konkurrenzorientiert Rechte nutzen signifikant häufiger die reaktiven als die proaktiven Formen der Anschlusskommunikation.

Das Milieu der Autoritätsorientiert wenig Interessierten ist das Gegenstück zu den Kritisch-Engagierten. Die große Distanz zur politischen Sphäre äußert sich in einem geringen Interesse gegenüber der Politik und einer elitenskeptischen Haltung ebenso wie in einem hohen Populismuspotential und einer sehr begrenzten politischen Partizipation. Das Ausstattungsniveau dieses Milieus ist sehr gering. Aufgrund des niedrigen Einkommens- und Bildungsniveaus und einer hohen Nichterwerbstätigkeitsquote befindet es sich in einer prekären sozialen Lage. Diese Lage schlägt sich nicht nur in den politischen Einstellungen („weitgehende Absage an eine aktive Wahrnehmung der Staatsbürgerrolle“, (Weiß et al. 2019, S. 316), sondern auch in der politischen Kommunikationspraxis nieder. Die Angehörigen des Milieus kommen sowohl online als auch offline sehr wenig und wenn, dann eher beiläufig und oberflächlich, mit politischen Informationen in Kontakt (vgl. Weiß et al. 2019, S. 316). Wenn überhaupt, scheinen sich Angehörige des Milieus über das soziale Netzwerk Facebook oder private TV-Nachrichten zu informieren (vgl. Kösters und Jandura 2018b, S. 160). Auch die Diskurspraxis ist von Zurückhaltung und einem seltenen interpersonalen Austausch über politische Themen geprägt (vgl. Kösters und Jandura 2018b, S. 153). Auch bei diesem Milieu treten Faktoren, die als unabhängige Determinanten für eine geringe Anschlusskommunikation identifiziert wurden, verdichtet und in Interaktion auf (geringe politische Selbstwirksamkeit, geringes politisches Interesse, geringes Responsivitätsvertrauen). Daher lässt sich für die Praxis der Anschlusskommunikation dieses Milieus folgende Hypothese ableiten:

H3:

Autoritätsorientiert wenig Interessierte haben die höchste Nichtnutzerquote bei der Anschlusskommunikation und präferieren im Falle der Nutzung der Möglichkeiten eher passive Formen.

4 Methode und Operationalisierung

Die Datenbasis zur Beantwortung der Forschungsfrage und der Hypothesen bildet eine für 16-69-jährige Onliner in Deutschland repräsentative Onlinebefragung. Die Befragung wurde im Juli 2020 durch Respondi quotiert nach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Bildung, Berufstätigkeit und Ortsgröße durchgeführt. Nach der Bereinigung der Daten verblieben in der Halbstichprobe 1626 auswertbare Fälle, die Informationen zur Anschlusskommunikation und zur Milieuzugehörigkeit enthielten. Die Anschlusskommunikation wurde über die im RDNS (vgl. Hölig und Hasebrink 2020, S. 57) verwendete Frage „Auf welche der folgenden Arten teilen Sie in einer durchschnittlichen Woche die Berichterstattung in den Nachrichten- und Informationsquellen oder nehmen aktiv an der Berichterstattung teil, falls überhaupt? Bitte wählen Sie alle zutreffenden Antworten aus.“ erfasst. Für insgesamt zehn Items konnten die Teilnehmenden ankreuzen, ob sie diese nutzen. Für die Datenanalyse wurden die Items in vier Gruppen von sich hinsichtlich ihres Aktivitäts- bzw. Partizipationsgrades unterscheidende Anschlusskommunikationsaktivitäten verdichtet (vgl. Newman et al. 2016, S. 100) (Tab. 1). Für die Studie ist diese Differenzierung essenziell, da die verschiedenen Formen der Anschlusskommunikation auch Unterschiede hinsichtlich ihrer Effektivität, z. B. in Bezug auf die Sichtbarkeit in der öffentlichen Debatte sowie letztlich dem (vermuteten) Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess, implizieren (vgl. Legrand et al. 2019, S. 69). Neben den proaktiven Formen wurde zwischen weiteren Formen der Anschlusskommunikation differenziert. Die reaktiven, als standardisierte Möglichkeiten der Meinungsäußerung definierte Formen (vgl. Newman et al. 2016, S. 100) spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die Sichtbarkeit von Themen und Meinungen, sie sind jedoch auf die Verbreitung bereits vorhandener Inhalte beschränkt (vgl. Ziegele 2016, S. 35) und die Nutzer produzieren selbst keinen Content. Hiervon zu unterscheiden ist das in dieser Studie erfasste und als passive Nutzung bezeichnete interpersonale Gespräch, welches zwar eine Form von Anschlusskommunikation darstellt, im Gegensatz zur öffentlichen Online-Anschlusskommunikation, bei der Inhalte und Meinungen öffentlich ausgetauscht werden, aber in einem privaten, nicht-öffentlichen Raum stattfindet und in seiner Reichweite sowie möglichen Wirkung auf den Gesprächspartner beschränkt bleibt (vgl. Nuernbergk 2013, S. 209). Darüber hinaus wurde eine vierte Gruppe der Nichtnutzer der Möglichkeiten der Anschlusskommunikation gebildet. Für jede der aufgezählten Formen wurde wieder eine dichotomisierte Variable gebildet, deren Ausprägungen pro Milieu ausgezählt und verglichen wurden.

Tab. 1 Möglichkeiten von Anschlusskommunikation differenziert nach Aktivitätsgrad

Die Bildung der politisch-kommunikativen Milieus erfolgte in Anlehnung an das Vorgehen von Kösters und Jandura (2018b). Die Nähe und Distanz zur politischen Sphäre (stratifikatorische Dimension) wurde über die Kurzskala zur Political Efficacy (vgl. Beierlein et al. 2014) gemessen. Sowohl für die internal (MW: 4,21, SD: 1,39) als auch für die external political efficacy (MW: 6,08, SD: 1,42) konnten zufriedenstellende Reliabilitätswerte von alpha = 0,78 bzw. alpha = 0,83 erzielt werden. Die segmentäre Dimension wird über die Positionierung der Befragten auf zwei die deutsche politische Kultur prägenden Konfliktlinien erfasst: der sozioökonomischen Konfliktlinie, die zwischen marktliberalen und sozialstaatlichen Positionen unterscheidet, und der politisch-kulturellen Konfliktlinie, die zwischen einer libertären bzw. partizipativen und einer autoritären, auf die Durchsetzung von Recht und Ordnung angelegten Orientierung differenziert. Zwischen je drei konfligierenden Wertepositionen auf jeder Konfliktlinie mussten sich die Befragten positionieren. Die Positionierungen auf den zwei Konfliktlinien werden durch je einen Mittelwertindex abgebildet, der die Anzahl der Zustimmungen zu je drei marktliberalen (MW: 1,27, SD: 0,99) bzw. liberalen Positionen (MW: 1,7, SD: 0,85) enthält. Als Ergebnis einer hierarchischen Clusteranalyse (Anwendung der Gütekriterien nach Cleff (2015, S. 201–204) (1) sprunghafter Anstieg der Heterogenität, (2) Quotienten der F‑Werte der jeweiligen Cluster sind > 1 und (3) eine Diskriminanzanalyse ordnet zu 91,4 % richtig zu.) konnten zwölf mit den Vorgängerstudien übereinstimmende Milieus identifiziert werden, die sich hinsichtlich der typologisierenden Variablen auf der horizontalen und der vertikalen Dimension voneinander unterscheiden. Das Milieu der Autoritätsorientiert wenig Interessierten ist mit einem Anteil von 8 % (n = 235 Befragte), das der Konkurrenzorientiert Rechten mit 7 % (n = 207 Befragte) und das der Kritisch-Engagierten mit 6 % (n = 176 Befragte) im Datensatz vertreten. Um die meisten abgefragten Möglichkeiten der Anschlusskommunikation auch wahrnehmen zu können, muss man sich online über Politik informieren. Die im Fragebogen enthaltene Frage „Und nutzen Sie auch Informationsangebote im Internet?“ bejahten 83 % der Befragten, wobei es signifikante Unterschiede bei den einzelnen Milieus gab. Mit einem Anteil von 94 % Onlinenutzern sind die Kritisch-Engagierten am onlineaffinsten, gefolgt von den Konkurrenzorientiert Rechten mit 84 % und den Autoritätsorientiert wenig Interessierten mit nur einem Anteil von 74 % (χ2 = 79,607, p = < 0,001, Cramers V = 0,169) (Tab. 2). Um zu vermeiden, dass die Ergebnisunterschiede zwischen den Milieus auf eine unterschiedlich intensive Onlinenutzung zurückzuführen sind, wird die Auswertung zur Nutzung der Möglichkeiten der Anschlusskommunikation nur für die Onliner der jeweiligen Milieus durchgeführt.hin.

Tab. 2 Formen der Anschlusskommunikation nach Milieus

5 Ergebnisse

Die erste Hypothese nimmt an, dass die Kritisch-Engagierten intensiver die proaktiven Formen der Anschlusskommunikation nutzen als die Autoritätsorientiert wenig Interessierten und die Konkurrenzorientiert Rechten. Der Fokus auf die mit einem höheren kognitiven und zeitlichen Aufwand verbundenen und somit als höherschwellig zu charakterisierenden proaktiven Formen wurde gewählt, da es diese ermöglichen, aktiv gestaltend in öffentliche Diskurse einzutreten und eigene Meinungen und Positionen zu artikulieren und diesen damit potenziell größere Sichtbarkeit zu verschaffen (vgl. Newman et al. 2016, S. 100). Zum Testen der Hypothese wurden die vier verschiedenen Formen proaktiver Anschlusskommunikation zu einem dichotomen Index zusammengefasst, dessen Ausprägungen „0“ – keine der vier Möglichkeiten genutzt – und „1“ – mindestens eine der vier Möglichkeiten genutzt – sind. Die Ergebnisse der Auszählung bestätigen die Hypothese. Mit einem Anteil von 26 % aller Milieuangehöriger nutzen die Kritisch Engagierten die proaktiven Formen der Anschlusskommunikation signifikant häufiger (χ2 = 46,78, p = < 0,001) als die Konkurrenzorientiert Rechten, die sich mit einem Anteil von 17 % beim Mittelwert der Gesamtstichprobe bewegen, und die Autoritätsorientiert wenig Interessierten, deren Wert von 7 % weit unter dem Mittelwert liegt (Tab. 2). Ein Cramers V von 0,189 weist eine geringe bis mittlere Effektstärke aus.

Die zweite Hypothese postuliert, dass die Konkurrenzorientiert Rechten signifikant häufiger die reaktiven als die proaktiven Formen der Anschlusskommunikation nutzen. Die Auszählung zeigt, dass die Hypothese verworfen werden muss. Mit einem Anteil von 43 % der Milieuangehörigen, die diese wahrnehmen, sind die Möglichkeiten der reaktiven Nutzung nur die zweitwichtigste Form der Anschlusskommunikation. Die als Offlinegespräch definierte passive Nutzung hat innerhalb dieses, wie auch innerhalb der anderen beiden Vergleichsmilieus, den höchsten Stellenwert. Vergleicht man die reaktive Nutzung zwischen den Milieus hat auch hier das Milieu der Kritisch Engagierten (54 %) den höchsten Anteil, gefolgt von den Konkurrenzorientiert Rechten (43 %) und den Autoritätsorientiert wenig Interessierten. Der Cramers V-Wert von 0,150 weist hier auf einen eher geringen Zusammenhang hin.

Die dritte Hypothese richtet den Blick auf das Milieu der Autoritätsorientiert wenig Interessierten. Es wird angenommen, dass in diesem Milieu die höchste Nichtnutzerquote bei den verschiedenen Formen der Anschlusskommunikation vorhanden ist und im Falle der Nutzung der Möglichkeiten eher eine passive Form der Anschlusskommunikation gewählt wird. Nach der Auszählung der verschieden Variablen der Formen der Anschlusskommunikation kann diese Hypothese bestätigt werden. Jeder zweite dem Milieu Zugehörige nutzt keine der möglichen Formen der Anschlusskommunikation. Im Vergleich zu den Konkurrenzorientiert Rechten (25 %) und den Kritisch-Engagierten (9 %) ist das mit Abstand der höchste Wert (χ2 = 51,67, p = < 0,001, Cramers V = 0,198). Schaut man auf die drei Möglichkeiten der Nutzung dominiert die passive Form mit einem Anteil von 40 %, gefolgt von der reaktiven Nutzung (20 %) und der proaktiven Nutzung (7 %).

6 Diskussion

Von einem öffentlichkeitstheoretischen Standpunkt betrachtet, könnte die Anschlusskommunikation online einen Kommunikationsraum ermöglichen, der die Pluralität der Gesellschaft und ihre vielfältigen Stimmen und Meinungen widerspiegelt. Die bisherige Forschung zeigte allerdings, dass dieser Raum nur von einer nicht bevölkerungsrepräsentativen Gruppe genutzt wurde (Ziegele et al. 2017: 324). Erstes Ziel des Beitrages war es, die häufig auf der analytischen Mikroperspektive verbleibenden Studien um eine Mesoperspektive zu erweitern. Die Verbindung zwischen beiden Perspektiven bilden die in Regressionsanalysen ermittelten Determinanten auf den Dimensionen der Sozialen Position, der politischen Einstellungen sowie Mediennutzung und -bewertung, die bei Mikrostudien als voneinander unabhängige Prädiktoren identifiziert und im Falle der politisch-kommunikativen Milieus als systematisch miteinander verzahnte Variablen angelegt werden. Aus der Mikroperspektive zur Anschlusskommunikation lässt sich konstatieren, dass auch in dieser Studie niedrigschwellige Formen häufiger genutzt werden als Möglichkeiten mit einem höheren Partizipations- oder Aktivitätsgrad (vgl. Marzinkowski et al. 2019, S. 258–259). Die interpersonale Kommunikation (passive Anschlusskommunikation) ist mit 55 % die verbreitetste Nutzungsform, gefolgt von reaktiven (33 %) und proaktiven Formen (14 %). 33 % nehmen überhaupt nicht am öffentlichen Diskurs mittels Anschlusskommunikation teil. Der Milieuvergleich zeigt, dass im Milieu der Kritisch-Engagierten, in dem die für die Anschlusskommunikation förderlichen Variablen eines hohen politischen Interesses und einer hohen „political efficacy“, einer sozialstaatlichen und partizipativen Orientierung, eines gehobenen Ausstattungsniveaus und einer intensiven Mediennutzung gemeinsam vorkommen, alle Möglichkeiten der Anschlusskommunikation am häufigsten genutzt werden. Die Angehörigen dieses Milieus nehmen zu einem erheblichen Teil aktiv am öffentlichen Diskurs teil und können dadurch eigene Meinungen und Interessen im angesprochenen Kommunikationsraum sichtbar machen. Den Gegenpol zu diesem Milieu bilden die Autoritätsorientiert wenig Interessierten. Dieses Milieu repräsentiert alle die Anschlusskommunikation hemmenden Faktoren eines geringen politischen Interesses und einer geringen „political efficacy“, einer rudimentären Mediennutzung und eines fehlenden medialen Repräsentationsgefühls sowie eines geringen Ausstattungsniveaus an kulturellem und ökonomischem Kapital. In diesem Milieu gibt es den geringsten Anteil an Onlineinformationsnutzern sowie den geringsten Anteil proaktiver (7 %) und reaktiver (25 %) Teilhabe. Da sich auch nur 41 % des Milieus interpersonal über Medieninhalte unterhalten, bleibt die Sichtbarkeit der spezifischen Perspektiven dieses Milieus beschränkt. Die fehlende Anschlusskommunikation verstärkt so die Ausgeschlossenheit dieses Milieus vom öffentlichen Diskurs, da auch mögliche Multiplikatoren nicht auf milieuspezifische Problemsichten im Netz stoßen. Die Konkurrenzorientiert Rechten repräsentieren ein Milieu, in dem verschiedene Prädiktoren einer proaktiven Anschlusskommunikation im Widerspruch stehen. Einerseits sprechen eine hohe politische Selbstwirksamkeit und eine Wertorientierung am rechten Rand der Gesellschaft für eine verstärkte Zuwendung, andererseits sind ein mittleres Ausstattungsniveau und niedrige bzw. mittlere Bildungsabschlüsse keine Determinanten hierfür. Diese Widersprüchlichkeit manifestiert sich in den Ergebnissen, in denen das Milieu eine Mittelposition einnimmt. So liegt der Anteil reaktiver Nutzer bei 43 % und der Anteil proaktiver Nutzer bei 17 %. 59 % des Milieus nutzen passive Möglichkeiten der Anschlusskommunikation, wohingegen ein Viertel der Onliner des Milieus (26 %) keinerlei Formen nutzt. Es lässt sich vermuten, dass dieses Milieu proaktive Formen der Anschlusskommunikation zur Kritik an den medialen und politischen Eliten nutzt (vgl. Springer und Kümpel 2018, S. 233).

Das zweite Ziel war es, die empirischen Befunde zur Anschlusskommunikation in die bisherige Beschreibung der Kommunikationspraxis politisch-kommunikativer Milieus zu integrieren. Für die Milieuperspektive, in der bislang die Anschlusskommunikation online nicht untersucht wurde, ergeben sich folgende Schlüsse: Die intensive Beteiligung der Kritisch-Engagierten kann im Kontext der sonstigen Kommunikationspraxis des Milieus interpretiert werden. Da die Mediennutzung sehr intensiv und das Engagement in der interpersonalen Kommunikation in diesem Milieu sehr hoch ist (vgl. Weiß et al. 2019, S. 313), überrascht es nicht, dass die Kritisch-Engagierten ihre Redebereitschaft auch ins Netz übertragen. Das Milieu – ausgestattet mit dem nötigen politischen Selbstbewusstsein – äußert seine Positionen nachhaltig öffentlich sichtbar und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch von anderen Nutzern wahrgenommen werden. In der Konsequenz könnte die aktive Beteiligung und Präsenz der Kritisch-Engagierten im Netz dazu führen, dass ihre politischen Positionen und Themendeutungen in der öffentlichen Wahrnehmung überrepräsentiert werden, da die Anschlusskommunikation eine wichtige Quelle für die Wahrnehmung des Meinungsklimas darstellt und vermehrt von anderen Nutzern zur Koorientierung genutzt (vgl. Lee und Jang 2010, S. 840; Schweiger 2017, S. 118; Stark et al. 2021, S. 308) und von Politikern und Journalisten als Recherchequelle für die öffentliche Meinung verwendet wird (vgl. Nuernbergk 2018, S. 115; Jungherr 2017, S. 292). Die Ergebnisse zur Anschlusskommunikation der Autoritätsorientiert wenig Interessierten passen in das Gesamtbild eines Milieus, das sich weitgehend von der politischen Sphäre und öffentlichen Kommunikation abschottet. Das Milieu nutzt Medien zur politischen Information nur sehr selten und tauscht sich nur wenig über politische Themen aus. Es ist daher nicht überraschend, dass auch ein geringes Engagement des Milieus in der Online-Anschlusskommunikation vorliegt. Für die Konkurrenzorientiert Rechten bestätigen die Befunde einer hohen passiven Nutzung der Anschlusskommunikation den hohen Stellenwert der interpersonalen Kommunikation in homogenen Netzwerken und Informationsumgebungen. Nicht der Diskurs und die Debatte über neue Argumente, sondern die permanente Affirmation bestehender Positionen sind kennzeichnend für die Kommunikationspraxis dieses Milieus. Daher wäre eine Analyse der Orte der reaktiven Anschlusskommunikation lohnenswert.

Dieser Ausblick auf die weitere Forschung ist auch die Überleitung zu den Limitationen der Studie. Wie für alle Onlinebefragungen gilt auch für die vorliegende Studie, dass die Stichprobenbildung mit einem Abdeckungsfehler behaftet ist. Aussagen über Personen älter als 69 Jahre sowie über Offliner können nicht getroffen werden. Zudem ist zu bedenken, dass auf Quotenstichproben basierende Onlinebefragungen im größeren Maß politisch interessierte Befragte und Befragte an den Rändern des politischen Spektrums anziehen. Bei der Erfassung der Anschlusskommunikation ist auf ein mögliches „overreporting“ bei Selbstauskünften (vgl. Prior 2009, S. 130) ebenso hinzuweisen wie auf eine differenziertere Erhebung der proaktiven Formen der Anschlusskommunikation nach Social Media, E‑Mail oder anderen Verbreitungsmöglichkeiten. Letztendlich kann die Analyse der Nutzung der Möglichkeiten gerade proaktiver Formen der Anschlusskommunikation die Frage nicht beantworten, ob dadurch ein gemeinsamer oder verschiedene fragmentierte Kommunikationsräume entstehen und so die Forderung nach einer Unabgeschlossenheit der Öffentlichkeit (vgl. Ingold 2017, S. 491) eingelöst oder gerade nicht eingelöst wird. Weiterer Forschungsbedarf aus konzeptioneller Perspektive besteht zudem bei der Frage, inwieweit sich die Determinanten der Nutzung von proaktiven Formen der Anschlusskommunikation zwischen verschiedenen politisch-kommunikativen Milieus unterscheiden. Für diese differenzierteren Überlegungen bedarf es Befragungen mit einem größeren Stichprobenumfang. Ebenso sind politisch-kommunikative Milieus nur eine Möglichkeit soziale Gruppen auf der Mesoebene zu konzeptualisieren. Die Inklusion anderer Ansätze, wie beispielsweise die den ethnisch-kulturellen Hintergrund der Befragten aufgreifenden Migrationsmilieus (vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. 2018) oder auch die für die Kommunikationswissenschaft relevanten neuen Klassenkonzepte (Reckwitz 2017, Polkowski und Jandura 2023) würden die Forschung erweitern.

Trotz dieser Limitationen bereichert der Beitrag die Forschung zur Anschlusskommunikation in verschiedener Art und Weise. Die deutlichen Unterschiede zwischen der Nutzung der Formen der Anschlusskommunikation belegen, dass politische Einstellungen, soziale Position und Kommunikationspraktiken eng miteinander verzahnt sind und die Studien auf Mikroebene stärker Interaktionseffekte bei den Determinanten untersuchen sollten. Die Befunde zeigen aber auch, dass durch Anschlusskommunikation entstandene Kommunikationsräume ein Zerrbild gesellschaftlicher Meinungsverteilungen und Positionen liefern, welche als alleinige Informations- und Recherchequelle für das gesellschaftliche Meinungsklima ungeeignet sind. Quellen wie die Sozialberichterstattung sowie eine qualitativ hochwertige Demoskopie sind hierfür besser geeignet.