1 Einleitung

Seit Längerem sind Stimmenverluste der sogenannten Volksparteien CDU/CSU und der SPD bei Bundestagswahlen zu beobachten (Niedermayer 2020, S. 9). Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 nahmen die Zweitstimmenanteile der bisherigen Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD weiterhin ab – eine Entwicklung, die sich unter anderem auf Wählerwanderungen zur AfD zurückführen lässt (Brenke und Kritikos 2020). Zwar lagen die Anteile der 2017 zur AfD Abgewanderten an allen CDU/CSU-Wähler*innen des Jahres 2013 bei rund sieben Prozent, bei den SPD-Wähler*innen sogar nur bei etwa vier Prozent (Brenke und Kritikos 2020, S. 302). Trotzdem manifestiert sich im elektoralen Durchbruch der AfD ein tiefgreifender Wandel des Parteiensystems der Bundesrepublik, der die beiden ehemaligen sogenannten Volks- und Koalitionsparteien zunehmend unter Veränderungsdruck setzt, da die AfD trotz – oder sogar wegen ihres migrations- und integrationsablehnenden, in Teilen rechtsextremen Schwenks der vergangenen Jahre – für einen gewissen Teil des Elektorats eine wählbare Option darstellt (Bieber et al. 2018).Footnote 1 So fordert die AfD die etablierten Parteien CDU/CSU und SPD in zentralen Politikfeldern heraus, so etwa in der Migrations- und Integrationspolitik sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik (Dilling 2018).Footnote 2

Worin liegen die individuellen und sozialstrukturellen Ursachen für diese Wanderungen von den sogenannten Volksparteien zur AfD? Und warum ist eine Analyse von Wanderungen bei der Bundestagswahl 2017 von Relevanz, da doch jüngst bei der Bundestagswahl 2021 die AfD ihren Status als Bundestagsfraktion verteidigen konnte und vor allem die CDU/CSU weiter an Boden verlor?

Vielfach wird vermutet, die AfD fungiere infolge ihres programmatischen Schwenks zu stärker nationalistischen, migrationsskeptischen Positionen seit der sogenannten Flüchtlingskrise des Jahres 2015 als ein Auffangbecken für die von den damaligen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD enttäuschten Wähler*innen (Dilling 2018; Häusler 2016). So konnten einige Studien zu Wahlpräferenzen und Parteiidentifikationen aufzeigen, dass rechtspopulistische Challengerparteien, wie beispielsweise die AfD, für jene Erwerbstätige interessant sind, die ihre Statuslage als kulturell oder aber wirtschaftlich bedroht wahrnehmen (Dörre 2008; Flecker und Kirschenhofer 2007). Die AfD ziehe folglich jene potenziellen Wählerschaften an, die migrations- und integrationskritische Einstellungen aufweisen, wohingegen subjektive Status- und Erwerbsunsicherheiten in Zeiten globalisierter, flexibilisierter Arbeitsmärkte die steigende Attraktivität der AfD kaum erklären können (Köppl-Turyna und Grunewald 2017; Lengfeld 2017, 2018; Lengfeld und Dilger 2018).

Mögliche einstellungsbasierte und sozioökonomische Erklärungsfaktoren von Wahlpräferenzen für und Bindungen an die AfD wurden inzwischen vielfach untersucht (Klein et al. 2018; Kroh und Fetz 2016; Lengfeld 2018; Lux 2018; Niedermayer und Hofrichter 2016; Schmitt-Beck et al. 2017; Tutic und von Hermanni 2018). Allerdings wurden deren Auswirkungen bislang kaum systematisch und auf Basis größerer Datengrundlagen auf die Wahrscheinlichkeiten einer Wanderung von etablierten Regierungsparteien auf Bundesebene – hier vor allem die CDU/CSU und die SPD – zur AfD als Vertreterin einer rechtspopulistischen Challengerpartei in der Bundesrepublik Deutschland untersucht (Krause et al. 2022; Ruhose 2020). Insbesondere ist im Anschluss an frühere Untersuchungen zu den sogenannten Modernisierungsverlierern und zum Einfluss kultureller Bedrohungswahrnehmungen die Frage von Interesse, wie sich Veränderungen von Einstellungen zum Zuzug von Migrant*innen nach Deutschland und der wahrgenommenen wirtschaftlichen Lage auf Wählerwanderungen von den Koalitionsparteien zur AfD auswirken. Abgesehen von explorativen Studien auf Basis kleinerer (Online‑)Samples (Görtz 2020; Wurthmann et al. 2020) liegen hierzu bislang keine Befunde auf Basis größerer Bevölkerungsumfragen vor.

Anknüpfend an diese früheren Befunde sowie eigene konzeptionelle Überlegungen zu den Auswirkungen sozioökonomischer und kultureller Rahmenbedingungen der Wanderungen zur AfD schließen wir im vorliegenden Beitrag diese Forschungslücke. Im Zentrum steht die Frage, warum Wähler*innen der CDU/CSU bzw. der SPD zwischen den Bundestagswahlen 2013 und 2017 zur Challengerpartei AfD wechseln.Footnote 3 Angesichts des bislang eher spärlichen Forschungsstands zu Wählerwanderungen von etablierten Parteien zur AfD bei Bundestagswahlen halten wir eine eher explorative Vorgehensweise statt der Ausformulierung und empirischen Testung eines umfassenden theoretischen Modells für zielführend. Zunächst stellen wir im weiteren Verlauf des Beitrags den Problemkontext und Forschungsstand genauer dar und fügen diese zu einem konzeptionellen Rahmen zusammen, wobei wir uns v. a. auf cleavage-theoretische und ungleichheitssoziologische Annahmen stützen (Kraemer 2009; Lengfeld 2017; Lipset und Rokkan 1967). Für die empirischen Analysen ziehen wir Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2013 und 2017 heran (Goebel et al. 2019). Diese Daten eignen sich aufgrund ihres Paneldesigns im Vergleich zu Querschnittsstudien deutlich besser für Wanderungsstudien, wenngleich einige Restriktionen zu berücksichtigen sind. Im Anschluss an entsprechende methodische Erläuterungen führen wir die Analysen mittels logistischer Regressionen für zwei Messzeitpunkte durch (Best und Wolf 2010; Schoen 2014). Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie sich Personen, die bei der Bundestagswahl 2017 von der CDU/CSU bzw. SPD zur AfD wanderten, von jenen unterschieden, die 2017 erneut die CDU/CSU bzw. SPD wählten. Zur Erklärung ziehen wir sowohl längsschnittliche Informationen über individuelle Einstellungs- und Einkommensveränderungen im Laufe der untersuchten Legislaturperiode als auch zeitkonstante sozialstrukturelle Merkmale zurate, die in die logistischen Regressionen auf Basis von zwei Untersuchungswellen einfließen (Allison 2009). Abschließend diskutieren wir die Befunde sowie methodischen Limitationen und ordnen diese in Erklärungsansätze von Wählerwanderungen zur AfD ein.

2 Problemkontext und empirische Ausgangslage

Die bereits seit Längerem sich abzeichnenden Veränderungen der Parteienlandschaft und Wählerstruktur der Bundesrepublik setzten sich bei der Bundestagswahl 2017 fort (Dietz und Roßteutscher 2019). Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 verlor die CDU/CSU 7,4 Prozentpunkte ihrer Zweitstimmenanteile und landete bei insgesamt 33,0 %, während die SPD 5,2 Prozentpunkte einbüßte und ein historisch niedriges Zweitstimmenresultat von 20,5 % einfuhr. Deutliche Gewinner waren vor allem die AfD und FDP. Letztere kehrte mit einem Gewinn von 5,9 Prozentpunkten und insgesamt 10,7 % der Zweitstimmen in den Bundestag zurück, während die AfD gegenüber der vorherigen Bundestagswahl mit insgesamt 12,6 % einen Anstieg von 7,9 Prozentpunkten der Zweitstimmenanteile erzielen und damit erstmals in den Deutschen Bundestag einziehen konnte (Der Bundeswahlleiter 2017; Dietz und Roßteutscher 2019, S. 124–125).

Trotz häufig stabiler Bindungen der Wähler*innen zu den Koalitionsparteien (Brenke und Kritikos 2020, S. 302–303) wanderten rund sieben Prozent der Wähler*innen, die bei der Bundestagswahl 2013 die CDU/CSU gewählt hatten, im Jahr 2017 zur AfD ab. Von der SPD wanderten rund vier Prozent zwischen 2013 und 2017 zur AfD ab (Brenke und Kritikos 2020, S. 302).Footnote 4 Als ausschlaggebend für den steigenden Zuspruch der AfD wird ihr Wandel von einer euroskeptischen Single-Issue-Partei hin zu einer rechtspopulistischen, in Teilen auch rechtsextremen, migrations- und integrationsablehnenden Partei diskutiert (Bergmann et al. 2017; Blumenberg und Blumenberg 2017; Kroh und Fetz 2016; Niedermayer und Hofrichter 2016).Footnote 5 Damit nimmt die AfD eine singuläre Stellung im Spektrum der parlamentarisch etablierten Parteien in der Bundesrepublik ein (Lewandowsky et al. 2016). Es wird davon ausgegangen, dass die AfD in ihrer Rolle als rechtspopulistische Partei auf die Zuwanderung von Wähler*innen der etablierten Bundestagsparteien, insbesondere der lange Zeit auf Bundesebene koalierenden CDU/CSU und SPD, angewiesen ist bzw. auf deren Wähler*innen programmatisch abzielt (Brenke und Kritikos 2020). So stellt sich die AfD spätestens seit dem Herbst 2015, als europaweite Migrationsbewegungen die öffentliche Berichterstattung dominierten, als Verfechterin der Aufrechterhaltung nationaler Grenzen und der Abwehr äußerer kultureller und ökonomischer Einflüsse dar, die durch Migrant*innen in die Bundesrepublik hineingetragen würden (Ruhose 2020). Mit diesen programmatischen, integrations- und migrationsablehnenden Zuspitzungen zielte sie auf die konservativen Wählerkreise der CDU/CSU ab und näherte sich im Zuge ihrer parteiprogrammatischen Änderungen der FDP hinsichtlich marktliberaler Interessen an (Niedermayer und Hofrichter 2016, S. 206). Mittels einer rechtpopulistische, sehr traditionelle Familienleitbilder und nationalkonservative Sozial- und Wirtschaftspolitik betonenden Programmatik zielt die AfD zudem auf Wählergruppen ab, die ihre Arbeitssituation und soziale Statusposition womöglich als bedroht wahrnehmen und die sich traditionell eher dem sozialdemokratischen und linken Milieu zuordnen lassen (Dörre et al. 2018; Mays et al. 2020). Eine Untersuchung der sozialstrukturellen und einstellungsbezogenen Ursachen der Wählerwanderungen von den Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD zur AfD in dieser von migrations- und integrationspolitischen Debatten gekennzeichneten Legislaturperiode 2013 bis 2017 sind für eine empirische Erklärung des Aufstiegs und der eventuellen langfristigen Etablierung der AfD von hoher Relevanz.

Im Vergleich zu den weiteren im Bundestag vertretenen Parteien weist die AfD einige sozialstrukturelle Spezifika auf, die es im weiteren Untersuchungsverlauf zu berücksichtigen gilt. So etablierte sich die AfD schneller in den ost- als in den westdeutschen Bundesländern, wenngleich die Partei inzwischen in allen Landtagen der Bundesrepublik vertreten ist (Suhr 2019). Jedoch zeigen sich Unterschiede bei regionaler Betrachtung. Während die Partei in Ostdeutschland größere Stimmenanteile in Regionen mit höherem Durchschnittsalter und mit hoher Konzentration von Handwerksbetrieben erzielen konnte, wies die AfD in Westdeutschland größere Stimmenanteile in Regionen mit unterdurchschnittlichem Haushaltseinkommen und einer größeren Beschäftigtenkonzentration im Industriesektor auf (Franz et al. 2018). Studien auf Basis von SOEP- und Allbus-Daten im Kontext der Bundestagswahl 2017 weisen ebenfalls höhere AfD-Wahlpräferenzen bei Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen als bei allen anderen Wahlberechtigten nach (Bergmann et al. 2018; Cohen 2021). Hingegen sind auf Basis von Daten der German Longitudinal Election Study (GLES) der Jahre 2016 und 2017 kaum nennenswerte Einkommensunterschiede zu erkennen (Bergmann et al. 2018). Neuere Studien zeigen, dass in der AfD-Wählerschaft bei der Bundestagswahl 2017 überproportional viele Arbeiter*innen im Vergleich zu allen Wahlberechtigten vertreten waren (Bergmann et al. 2017; Dörre 2019). Ähnliches zeigt eine Untersuchung von Brenke und Kritikos (2017) auf Basis von SOEP-Daten. In einer qualitativen Studie erklärt Dörre (2019) die Präferenzen für die AfD mit einer wahrgenommenen Abwertung der Arbeiterklasse in Zeiten ökonomischer und sozialer Statusunsicherheit (Dörre 2008, S. 174). Zur Kompensation dieser Verunsicherungen diene der Arbeiterklasse ein ausschließender Nationalismus gegenüber Fremdgruppen, wie z. B. Migrant*innen, der durch die Rhetorik der AfD aufgeladen wird (Dörre 2008, S. 174, 2019). Ferner konnte Cohen (2021) auf Basis von SOEP- und GLES-Daten für die Bundestagswahl 2017 zeigen, dass Arbeitslose eine höhere Wahrscheinlichkeit aufwiesen, die AfD zu wählen als die CDU/CSU, die SPD, die Grünen oder die FDP (Cohen 2021, S. 210–211).

Empirisch fundierte Erklärungen der Wanderungsbewegungen von der CDU/CSU und der SPD zur AfD sind bislang überschaubar. Allgemein wird vermutet, dass traditionelle Cleavages, wie etwa jene zwischen Zentrum und Peripherie oder zwischen Staat und Kapital, mit der Zeit weniger bedeutend für die Wahlentscheidung wurden, sodass in jüngerer Zeit ein neuer Kosmopolitismus-Nationalismus-Cleavage Wahlentscheidungen zugunsten rechtspopulistischer Parteien begünstigt (Bornschier 2011; Hartmann et al. 2021, S. 3). Diese klassischerweise makrosoziologischen Annahmen bedürfen jedoch individuenbezogener Untersuchungen und Erklärungen (Pappi und Shikano 2007). So zeigen explorative Befunde, dass Abwanderungen von den Volksparteien CDU/CSU und SPD des Jahres 2013 hin zur AfD bei der Bundestagswahl 2017 in Zusammenhang stehen mit individuellen Einstellungsmerkmalen. Demnach konnte Görtz mittels GLES-Daten zeigen, dass stärker migrationsskeptische Haltungen bei Wähler*innen der SPD im Jahr 2013 zu einer höheren Wahrscheinlichkeit einer Wanderung zur AfD bei der Bundestagswahl 2017 führten (Görtz 2020). Wurthmann et al. konnten mittels Daten des Online-Wahlempfehlungstools ParteieNavi diesen Zusammenhang für Wähler*innen der CDU/CSU bestätigen. Eine weitere Studie von Thurner et al. (2021) schätzte mittels einer kombinierten Verwendung von Individualdaten der GLES-Studie und Aggregatdaten auf Wahlkreisebene unter anderem die Wanderungen von den in der Legislaturperiode 2013 bis 2017 im Bundestag vertretenen Parteien zur AfD im Jahr 2017. Diese Untersuchung lieferte wichtige Befunde über die Schätzgüte dieser neuartigen hybriden Wanderungsmodelle im Kontext von Bundestagswahlen, untersuchte jedoch nicht näher die Auswirkungen einstellungsbezogener und sozioökonomischer Kovariate auf Wanderungen zur AfD.

Des Weiteren wird in der Wahlforschung diskutiert, inwieweit die Wanderung zu rechtspopulistischen Parteien bzw. Kandidat*innen eher durch ökonomische oder kulturelle Einstellungen von Wähler*innen begünstigt werden. Studien zu den Ursachen von Wählerwanderungen bei der US-Präsidentschaftswahl 2016, bei der Donald Trump als Anti-Establishment-Kandidat der Republikanischen Partei auftrat, ergaben hierzu gegenläufige Ergebnisse. Während einige Studien subjektive ökonomische Unsicherheitswahrnehmungen als relevante Erklärungsfaktoren für eine Wanderung von der Demokratischen zur Republikanischen Partei ansahen, traf dies bei anderen nicht zu, die stattdessen antimigrantische Einstellungen als erklärungsrelevant ausmachten (Ferguson et al. 2020; Milner 2021; Reny et al. 2019).

Insgesamt ist die Studienlage zu den einstellungsbezogenen und sozioökonomischen Ursachen von Wanderungen zur AfD als sehr überschaubar einzustufen. Insbesondere die Auswirkungen der Veränderungen der sozialstrukturellen Rahmenbedingungen und einstellungsbezogenen Ursachen dieser Wanderungen sind bislang unterbelichtet geblieben. Für die Legislaturperiode 2013 bis 2017, in die der für den Bedeutungsgewinn der AfD so relevante Migrationsherbst 2015 fiel, stellt sich also die Frage, wie sich diese Wanderungsbewegungen von den Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD zur AfD ursächlich erklären lassen. Zwar wären auch Analysen der Abwanderungen von den weiteren Bundestagsparteien von Interesse. Um die Argumentation stringent und im Rahmen des hier Möglichen zu halten, fokussieren wir auf die Erklärung von Wanderungen von Wähler*innen der CDU/CSU und der SPD im Jahr 2013 zur AfD im Jahr 2017, da Letztere insbesondere in jener Zeit sowohl die Migrations- und Asylpolitik, die Koalitionsparteien als auch deren Personal („Merkel muss weg!“) als wichtigste Angriffsflächen ansah (Ruhose 2020). Aus methodischer Sicht sprechen für diese Vorgehensweise die recht geringen Fallzahlen von Abwandernden der damaligen Oppositionsparteien zur AfD (vgl. auch die späteren Ausführungen zur Datengrundlage).Footnote 6

3 Konzeptioneller Rahmen

Angesichts der für die Bundesrepublik überschaubaren Studienlage formulieren wir nachfolgend einige Forschungsannahmen, deren empirische Überprüfung zukünftige differenzierte theoretische Modellierungen und Analysen von Wanderungen zur AfD informieren sollen. Dazu bietet sich zunächst ein genauerer Blick auf Befunde zu den Ursachen von Wahlpräferenzen und Identifikationen mit der AfD an. Diese thematisieren zwar nicht explizit Ursachen für Wählerwanderungen, geben für den konzeptionellen Rahmen dieser Studie jedoch wichtige Anregungen. Für die Zeit zwischen 2001 und 2013 konnten etwa Spoon und Klüver (2019) mittels Daten der Comparative Study of Electoral Systems darlegen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Wanderung von einer Mainstream- zu einer Challengerpartei steigt, wenn die wahrgenommene ideologische Distanz der Wählenden zur Erstgenannten steigt und zur Letztgenannten sinkt. Als Erklärungsmechanismus wird die seit Downs diskutierte These abnehmender inhaltlicher Parteiendifferentiale zwischen Koalitionsparteien zugrunde gelegt (Downs 1968 [1957]). In Zeiten langandauernder großer Koalitionen nähern sich Koalitionsparteien hinsichtlich ihrer Parteiprogrammatiken einander an, um möglichst viele Wähler*innen in der Mitte des Parteienspektrums anzusprechen (Spoon und Klüver 2019). Von diesen ideologischen Annäherungen profitiert der kleinere Partner, in diesem Falle die SPD, in der Wählergunst zumeist weniger als der größere, da Letzterer politische Erfolge in der Öffentlichkeit sichtbarer für sich verbuchen kann (Spoon und Klüver 2019, S. 1030). Diese inhaltlichen Annäherungen begünstigen die programmatische Profilierung von Challengerparteien an den Rändern des Parteienspektrums (Spoon/Klüver, 2019, S. 1035), so auch der AfD (Arzheimer 2015).

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen untersuchen mehrere Studien mögliche Zusammenhänge zwischen einer Identifikation mit der AfD und sozioökonomischen und kulturellen Einstellungen. Demnach stellen migrationsskeptische Haltungen Prädiktoren für eine starke Bindung an die AfD dar, während subjektive Einkommens- oder Erwerbsunsicherheiten im Sinne der Modernisierungsverliererthese kaum nennenswerte Auswirkungen haben (Lengfeld 2017, 2018; Lengfeld und Dilger 2018). Wurden Wahlpräferenzen statt Parteiidentifikationen als abhängige Variablen verwendet, so konnte dieser Befund auf Basis des European Social Survey bestätigt werden (Köppl-Turyna und Grunewald 2017). Trend- und Längsschnittstudien auf Basis von Allbus- und GLES-Daten konnten hingegen zeigen, dass sozioökonomisch schlechter gestellte Personen eher dazu neigen, die AfD zu wählen, als bessergestellte (Tutic und von Hermanni 2018). Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass sich migrationsskeptische Haltungen stärker in niedrigeren als in mittleren und höheren Statusgruppen auf eine Identifikation mit der AfD auswirken (Klein et al. 2018; Lux 2018).

Cleavage-theoretische Ansätze stellen heraus, dass die AfD mit ihrer nationalistischen, migrations- und integrationsablehnenden Programmatik eine in den letzten rund 30 Jahren neu aufklaffende soziale Konfliktlinie besetzen, die in den Programmatiken der CDU/CSU und SPD kaum noch eine Entsprechung findet (Dilling 2018). Die AfD stelle demnach für jene Wähler*innen eine Wahlalternative dar, die sich mit ihrer wachsenden Migrationsskepsis sowie ihren steigenden wirtschaftlichen Sorgen durch die beiden ehemaligen Koalitionsparteien nicht mehr angemessen vertreten fühlten (Bornschier und Kriesi 2013; Cohen 2021). Für unsere empirischen Untersuchungen ist demnach anzunehmen, dass bei wachsender Migrationsskepsis von CDU/CSU- und SPD-Wähler*innen die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwahl zur AfD im Zeitverlauf steigt. Ferner sollte im Anschluss an die sogenannte Modernisierungsverliererthese (Lengfeld 2017) eine Wanderung zur AfD wahrscheinlicher werden, wenn sich die sozioökonomischen Sorgen zwischen den Wahlen verstärken und wenn sich das Einkommen verringert.

Unsere Annahmen für die nachfolgenden empirischen Analysen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Eine Wanderung von Wähler*innen der Regierungsparteien des Jahres 2013 zur AfD bei der Bundestagswahl 2017 ist umso wahrscheinlicher, (1.) je eher sich ihre kulturellen Bedrohungsgefühle in dieser Zeit verstärken im Vergleich zu jenen, die 2017 bei ihrer ursprünglichen Partei verbleiben, (2.) je eher sich ihre subjektiven Einschätzungen der sozioökonomischen Lage eintrüben im Vergleich zu den bei der Ursprungspartei Verbleibenden und (3.) je eher sich ihre Einkommens- und Erwerbslagen im Vergleich zu den bei CDU/CSU bzw. SPD Verbleibenden verschlechtern. Es werden Kontrollvariablen berücksichtigt, die sich in bisherigen Wahl- und Parteiidentifikationsstudien als erklärungsrelevant erwiesen haben. So konnten Untersuchungen im Kontext des sozialpsychologischen Modells der Parteibindung darlegen (Campbell et al. 1964), dass der Wechsel von Parteipräferenzen unwahrscheinlicher wird, wenn sich Wähler*innen stark mit ihrer präferierten Partei identifizieren (Johnston 2006). Eine Identifikation mit den Koalitionsparteien im Jahr 2013 sollte die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels zur AfD im Jahr 2017 verringern. Ferner wird angesichts einer größeren Zustimmung zur AfD in Ost- als in Westdeutschland die Wohnregion von Wähler*innen der Koalitionsparteien im Jahr 2013 kontrolliert. Zudem werden der höchste Bildungsabschluss, das Geschlecht und das Alter kontrolliert, die mit einer Präferenz zugunsten der AfD in Zusammenhang stehen (Bergmann et al. 2018; Niedermayer und Hofrichter 2016).

4 Daten und Methode

Für die nachfolgenden Analysen sind besonders die Unterschiede zwischen den Wechsler*innen von der CDU/CSU bzw. SPD zur AfD und jenen, die 2017 bei ihrer 2013 gewählten Partei verbleiben, relevant, wobei längsschnittliche Informationen über zeitveränderliche und -konstante Kovariate berücksichtigt werden. Dazu stützen sich die Auswertungen auf die Wellen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 2013, 2014, 2017 und 2018. Darin wurden jeweils Retrospektivfragen zum Wahlverhalten bei den im jeweiligen Vorjahr stattgefundenen Bundestagswahlen erhoben (Goebel et al. 2019). Die Daten über das Wahlverhalten des Jahres 2013 beruhten demnach auf einer Recallfrage in der SOEP-Welle des Jahres 2014, für das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2017 auf der Recallfrage der SOEP-Welle 2018. Angaben zu den zeitkonstanten unabhängigen und Kontrollvariablen (s. nachfolgende Ausführungen für Details) wurden der SOEP-Welle 2013 entnommen. Messungen von Einstellungsänderungen und Veränderungen des Einkommens wurden unter Verwendung der SOEP-Wellen 2013 und 2017 vorgenommen. Somit wird ein in der politikwissenschaftlichen Wählerwanderungsforschung gut erprobtes Zwei-Wellen-Wanderungsmodell umgesetzt (Spoon und Klüver 2019).Footnote 7

Es wurden zwei Analysesamples gebildet, auf deren Basis die jeweiligen abhängigen Variablen konstruiert wurden: eines bestehend aus 3435 Personen, die im Jahr 2013 die CDU/CSU wählten und die im Jahr 2017 entweder der CDU/CSU oder der AfD ihre Stimme gaben, und ein zweites Sample, das aus 2411 SPD-Wähler*innen des Jahres 2013 bestand, die im Jahr 2017 entweder weiterhin die SPD wählten oder aber zur AfD wechselten. Dabei gaben 154 der CDU/CSU-Wähler*innen des Jahres 2013 an, bei der Bundestagswahl 2017 zur AfD gewechselt zu sein. Von den SPD-Wähler*innen wanderten 2017 85 zur AFD. Unter Verwendung dieser abhängigen Variablen wurden zwei je zwei Analysezeitpunkte umfassende statistische Wählerwanderungsmodelle für die Wählerschaften der in der Legislaturperiode 2013 bis 2017 regierenden Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD erstellt. Die abhängigen Variablen der beiden statistischen Modelle wurden so kodiert, dass der Wert 1 jeweils einen Wechsel zur AfD bei der Bundestagswahl 2017 anzeigte, während der Wert 0 ein Verbleiben bei der CDU/CSU bzw. der SPD von der Bundestagswahl 2013 zur Wahl 2017 misst. Wie in Studien zu Wählerwanderungen üblich, werden diese mittels logistischer Längsschnittregressionen untersucht (Reny et al. 2019; Spoon und Klüver 2019).

Die Angaben für die hier interessierenden unabhängigen und Kontrollvariablen wurden den beiden Analysesamples aus den SOEP-Wellen des Jahres 2013 und – für die Modellierung von Veränderungsmessungen – des Jahres 2017 zugespielt. Für die Messung von kulturellen Bedrohungsgefühlen wurde die in mehreren Studien bereits verwendete Variable Sorge um den Zuzug von Migrant*innen, für die Messung subjektiver Einschätzungen der sozioökonomischen Lage die Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage verwendet (Lengfeld 2017). Diese werden im SOEP mittels dreistufiger, ordinal skalierter Items gemessen, die hier wie folgt kodiert werden: 0 = keine Sorgen, 1 = geringe Sorgen, 2 = viele Sorgen. Diese Messungen waren zeitkonstant und wurden auf Basis der Angaben des Jahres 2013 den beiden Analysesamples zugespielt.Footnote 8

Um die hier interessierende Frage nach den Folgen von Änderungen der Einstellungen gegenüber dem Zuzug von Migrant*innen und der eigenen wirtschaftlichen Lage beantworten zu können, wurden Informationen über die Veränderung entsprechender migrationsspezifischer und ökonomischer Sorgen zwischen den beiden Messzeitpunkten berücksichtigt. Dazu wurden für die Variablen zur Messung der Sorgen um Zuwanderung nach Deutschland und die Sorge um die eigene Wirtschaftslage Differenzscores gebildet, die auf Subtraktionen der Werte der ursprünglichen, ordinal skalierten Items aus dem Jahr 2017 und jenen des Jahres 2013 beruhten (Allison 2009, S. 49–51).Footnote 9 Aufgrund der niedrigen Anzahl von Personen, deren Sorgen um Zuwanderung sich im Zeitverlauf verringert haben (vgl. Tabelle A1 im Online-Anhang), wurden die Kategorien für die Differenzscores in beiden Samples dichotomisiert. Diese nehmen den Wert 1 an, wenn sich die Sorgen vom ersten (2013) zum zweiten Messzeitpunkt (2017) erhöhten (also von keine zu einige oder viele Sorgen oder aber von einige zu viele Sorgen). Der Wert 0 zeigt an, dass die Sorgen zu beiden Messzeitpunkten gleich blieben bzw. sich verringerten. Es wurden ausschließlich Personen aufgenommen, die im gesamten Verlauf der untersuchten Legislaturperiode erwerbstätig waren.

Die Messung der Einkommensvariable erfolgte zum einen als zeitkonstante Erhebung des bedarfsgewichteten Nettoerwerbseinkommens in tausend Euro auf Basis der Angaben des Jahres 2013. Ausgehend von dieser Einkommensabfrage wurden zum anderen Differenzscores gebildet, indem die personenspezifischen Einkommenswerte des Jahres 2013 von jenen des Jahres 2017 subtrahiert wurden. Differenzscores mit negativem Vorzeichen zeigen also eine Verringerung des Einkommens im Jahr 2017 im Vergleich zum Jahr 2013 an, ein positives Vorzeichen gibt Hinweise auf einen Anstieg und ein Wert von null bzw. nahe null zeigt ein gleich ausgeprägtes Einkommen zu beiden Messzeitpunkten an. Auch hier wurden Veränderungen des Einkommens in Jahren, die zwischen den beiden Messzeitpunkten liegen, nicht berücksichtigt.

Des Weiteren wurden mehrere zeitkonstante Kontrollvariablen berücksichtigt, um die Auswirkungen von Einstellungs- und Einkommensveränderungen auf Wanderungen von den Koalitionsparteien zur AfD auf Robustheit zu überprüfen. Strukturelle Interpretationen (zeitkonstanter) Kontrollvariablen werden angesichts möglicher vermittelnder Mechanismen (Cinelli et al. 2022) mit Vorsicht unterbreitet (vgl. dazu die empirischen Resultate). Eine im Jahr 2013 vorhandene Parteiidentifikation mit der CDU/CSU bzw. der SPD wird abgefragt mittels einer dichotomen Variablen (0 = Parteiidentifikation vorhanden, 1 = nicht vorhanden) gemessen. Des Weiteren fließen der Erwerbsstatus (0 = erwerbstätig, 1 = erwerbslos), der Bildungsstand (0 = Abitur oder Fachhochschulreife, 1 = andere), der Wohnort (0 = Westdeutschland, 1 = Ostdeutschland), das Geschlecht (0 = männlich, 1 = weiblich) und das Alter (in Jahren) in die Analysen ein. Die Altersmessungen wurden in den jeweiligen Modellen mittelwertzentriert.

Für die Hypothesentests werden logistische Regressionen für zwei Erhebungswellen durchgeführt, in denen der Längsschnittcharakter der Daten durch die zeitvariante Modellierung der abhängigen Variable sowie durch die Bildung von Differenzscores für die interessierenden unabhängigen Variablen berücksichtigt werden (Markus 1979, S. 33–44). Für jedes Subsample werden jeweils vier Modelle berechnet: Die ersten drei berücksichtigen jeweils die Koeffizienten für die hier zentralen Konstrukte der subjektiven Sorge um Zuwanderung und der eigenen wirtschaftlichen Lage sowie das Nettoäquivalenzeinkommen. In das jeweils vierte Modell fließen die Koeffizienten für die Kontrollvariablen ein. Zudem werden einige Robustheitsanalysen berichtet (vgl. ausführlich den Online-Anhang und die dortigen Tabellen A2 und A3). Um sowohl eine sparsame theoretische als auch statistische Modellierung zu ermöglichen, beruhen die zugrunde liegenden Samples auf Personen, die zwischen 2013 und 2017 entweder von der CDU/CSU bzw. SPD zur AfD wechselten oder bei der jeweiligen Partei verblieben. Dieses Vorgehen orientiert sich an jüngsten Beiträgen zur politikwissenschaftlichen Wählerwanderungsforschung (Wurthmann et al. 2020).

Es werden durchschnittliche marginale Effekte berichtet, die Koeffizientenvergleiche zwischen schrittweise aufgebauten Analysenmodellen eines Samples erlauben (Best und Wolf 2010, S. 840). Diese geben die Auswirkung der jeweiligen unabhängigen Variable auf die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Abwanderung von der CDU/CSU bzw. der SPD zur AfD zwischen 2013 und 2017 wieder (Best und Wolf 2010, S. 839). Die Koeffizienten werden in Faktorenschreibweise dargestellt, sodass bei dichotomen und ordinalen unabhängigen Variablen durchschnittliche marginale Effekte für jede Ausprägung im Vergleich zu einer Referenzkategorie vorliegen. Der durchschnittliche marginale Effekt (AME) gibt den durchschnittlichen Einfluss einer Kovariate auf die Wahrscheinlichkeit für eine Wechselwahl zur AfD an. Dies ist insofern von Vorteil, als dass sich dieser trotz der Nichtlinearität bei logistischen Regressionen intuitiver interpretieren lässt als Odd Ratios (Urban und Mayerl 2018, S. 405–406). AME geben an, wie sich die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für einen Wechsel zur AfD in Prozentpunkten ändert, wenn die unabhängige Variable um eine Einheit ansteigt. Zusätzlich lassen sich AME in sequenziellen Modellen vergleichen (Urban und Mayerl 2018, S. 409–410).Footnote 10 Alle Analysen wurden mit dem Programmpaket Stata 17 SE durchgeführt.Footnote 11

Zwecks Beurteilung der Schätzgüte der jeweiligen Modelle werden die Likelihood-basierten Informationskriterien AIC (Akaike Information Criterion) und BIC (Bayesian Information Criterion) verwendet (Best und Wolf 2010, S. 843–844). Während das AIC einen Strafterm für die Anzahl der je Modell verwendeten unabhängigen Variablen beinhaltet, berücksichtigt das BIC die Fallzahl (Best und Wolf 2010, S. 843). Für beide Indizes gilt: Je geringer dessen Wert ausfällt, desto besser die Anpassung des jeweiligen Modells an die Daten. Methodische Einschränkungen werden am Ende der Studie diskutiert.

5 Empirische Befunde

Zunächst werden die deskriptiven Statistiken für die beiden Samples dargestellt (Tab. 1) – einmal jenes der CDU/CSU-Wähler*innen des Jahres 2013 und einmal der SPD-Wähler*innen. Von den 3435 CDU-Wähler*innen bei der Bundestagswahl 2013 wanderten 154 (4,8 %) bei der Bundestagswahl 2017 zur AfD ab. Die übrigen 3271 Personen wählten auch 2017 die CDU/CSU. Von den 2411 Wähler*innen der SPD wanderten bei der Bundestagswahl 2017 85 (3,5 %) zur AfD ab.

Tab. 1 Deskriptive Statistiken für Wähler*innen der CDU/CSU bzw. SPD 2013

Sowohl die Wähler*innen der CDU/CSU als auch der SPD machten sich im Jahr 2013 eher geringe Sorgen um die Zuwanderung von Migrant*innen. So gaben bei der CDU/CSU 46 % an, sich geringe Sorgen zu machen, bei der SPD nur rund 43 %. Der Anteil der Wähler*innen, die sich keine Sorgen um Zuzug von Migrant*innen machten, war bei der SPD mit 39,4 % deutlich höher als bei Wähler*innen der CDU/CSU (32, 4 %). Mit 21,6 % bei Wähler*innen der CDU/CSU und 18,6 % der SPD-Wähler*innen fällt der Anteil an Menschen mit vielen Sorgen um Zuwanderung im Jahr 2013 bei beiden Parteien am niedrigsten aus. In der Betrachtung der Veränderung von der Sorge um Zuwanderung zwischen 2013 und 2017 geben mehr als die Hälfte (56,5 % bzw. 57,3 %) der Wähler*innen beider Parteien keine Veränderung oder eine verringerte Sorge um Zuzug an. Rund 43,5 % der CDU/CSU-Wähler*innen geben hingegen an, dass ihre Sorge zwischen 2013 und 2017 gestiegen sei. Bei Wähler*innen der SPD fällt der Anteil mit 42,7 % etwas geringer aus.

In der Betrachtung der Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage zeigen sich bei beiden Parteien ähnliche Verteilungen. So geben Wähler*innen von CDU/CSU sowie SPD im Jahr 2013 im Großteil eher geringe Sorgen um die eigene wirtschaftliche Lage an. Der Anteil der CDU/CSU-Wähler*innen mit geringeren Sorgen ist etwas niedriger (45,3 %) als der der Wähler*innen der SPD (48,4 %). Hingegen geben etwas mehr SPD-Wähler*innen an, sich große Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage zu machen (11,9 %), als Wähler*innen der CDU/CSU (10,2 %). Lediglich 14,8 % bei der CDU und 14,3 % bei der SPD geben an, dass die Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage gestiegen sei.

Im Mittel hatten im Jahr 2013 Wähler*innen der CDU/CSU mit rund 25.300 € durchschnittlich ein etwas höheres Nettoäquivalenzeinkommen als Wähler*innen der SPD mit 23.000 €. Mit einer Differenz zwischen 2013 und 2017 von 1880 € bei den Wähler*innen der CDU/CSU bzw. 2200 € bei den Wähler*innen der SPD ist das Einkommen der SPD-Wähler*innen zwischen den Jahren etwas leichter angestiegen als bei der CDU/CSU. Allerdings sind in beiden Fällen die Standardabweichungen relativ hoch, was auf den großen Anteil an Rentner*innen und anderen Gruppen mit vergleichsweise geringerem Äquivalenzeinkommen bei beiden Parteien in der Stichprobe zurückzuführen sein kann.Footnote 12 Auch die Verteilung des Erwerbsstatus deutet darauf hin. So sind bei beiden Parteien nur knapp mehr als die Hälfte der Befragten erwerbstätig (CSU/CSU 55,1 %; SPD 55,3 %). Mit jeweils 44,9 % der Wähler*innen der CDU/CSU und 44,7 % der Wähler*innen der SPD ist der Anteil der Erwerbslosen in dieser Stichprobe relativ hoch.

Etwas mehr als die Hälfte der CDU/CSU-Wähler*innen gaben eine Identifikation mit der CDU/CSU im Jahr 2013 an (55,5 %). Bei Wähler*innen der SPD sind es nur rund 53,9 %. Mit nur 30, 7 % bei Wähler*innen der CDU/CSU und 29,3 % bei Wähler*innen der SPD im Jahr 2013, die ein Abitur oder eine Fachhochschulreife haben, ist dieser Anteil deutlich geringer als in der Grundgesamtheit. Einen Grund dafür könnte das hohe Alter der Befragten in der Stichprobe darstellen.Footnote 13 Der Altersdurchschnitt der Wähler*innen beider Parteien lag 2013 bei jeweils rund 56 Jahren. Dies passt in das generelle Bild, wonach CDU/CSU- und SPD-Wähler*innen im Vergleich zu anderen Parteiklientelen ein recht hohes Durchschnittsalter aufweisen (Brenke und Kritikos 2017).

Nachfolgend werden die Annahmen zu den Auswirkungen von Einstellungsänderungen und Veränderungen des Einkommens auf Wanderungen von der CDU/CSU und SPD zur AfD untersucht (Tab. 2 und 3). Die drei zentralen erklärenden Konstrukte – Sorge um Zuwanderung von Migrant*innen, Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage und Nettoäquivalenzeinkommen – werden jeweils separat analysiert (siehe Modelle 1 bis 3), um mögliche Post-Treatment-Bias zu vermeiden, da Auswirkungen des Einkommens auf Wählerwanderungen durch die ökonomischen Sorgen vermittelt werden (Cinelli et al. 2022). Im vierten Modellblock werden die Kontrollvariablen aufgenommen, sodass die hier aufgefundenen Zusammenhänge auf Robustheit überprüft werden können. Strukturelle Interpretationen von Zusammenhängen zwischen Wählerwanderungen und einzelnen Kontrollvariablen werden zurückhaltend formuliert, da auch hier von vermittelnden Mechanismen ausgegangen werden kann (Cinelli et al. 2022).

Tab. 2 Wanderung von der CDU/CSU zur AfD bei der Bundestagswahl 2017
Tab. 3 Wanderung von der SPD zur AfD bei der Bundestagswahl 2017

Für die CDU/CSU-Wähler*innen des Jahres 2013 (Tab. 2) zeigt sich im ersten Modell ein signifikanter AME der Sorgen um die Zuwanderungen von Migrant*innen nach Deutschland. Demnach stieg die Wahrscheinlichkeit einer Wanderung zur AfD durchschnittlich um rund 16,8 Prozentpunkte bei CDU/CSU-Wähler*innen, die sich 2013 große Sorgen um die Zuwanderung von Migrant*innen machten (p < 0,001), im Vergleich zu jenen, die sich keine Sorgen machten. Für CDU/CSU-Wähler*innen, die sich 2013 geringe Sorgen machten, lag der durchschnittliche Anstieg noch bei 1,7 Prozentpunkten (p < 0,01). Ferner zeigte sich ein hochsignifikant positiver Zusammenhang mit der Veränderung von Sorgen um Zuwanderung. So lag die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Wanderung zur AfD durchschnittlich um 7,3 Prozentpunkte höher bei CDU/CSU-Wählerinnen, deren Zuwanderungssorgen zwischen den beiden Messzeitpunkten gestiegen sind, als bei jenen, deren Sorgen sich verringerten bzw. gleich blieben (p < 0,001). Die Befunde waren robust, wenn im vierten Modell die Kontrollvariablen berücksichtigt wurden.

Im zweiten Modell zeigen sich sehr gering erhöhte Wahrscheinlichkeiten einer Wanderung von der CDU/CSU zur AfD bei Personen mit geringen oder vielen Sorgen um die eigene wirtschaftliche Lage im Vergleich zu jenen, die sich in diesem Bereich keine Sorgen machten (p < 0,01 bzw. p < 0,10). Hier fallen die AME jedoch deutlich niedriger aus als im ersten Modell. Zudem ergibt sich im dritten Modell ein geringer positiver Zusammenhang mit dem Nettoäquivalenzeinkommen: Steigt dieses um 1000 €, so sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Wanderung von CDU/CSU-Wähler*innen des Jahres 2013 zur AfD im Jahr 2017 um durchschnittlich 0,1 Prozentpunkte (p < 0,01). Unter Berücksichtigung der weiteren unabhängigen sowie Kontrollvariablen bleibt letztgenannter Zusammenhang stabil, während hingegen der Zusammenhang zwischen der Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage und Wanderung zur AfD nicht mehr signifikant ist. Das Nettoäquivalenzeinkommen und die subjektive Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage korrelieren negativ miteinander (Koef. = −0,146, p < 0,001, nicht abgebildet in Tabelle). Dies legt einen oben bereits angesprochenen Mediationszusammenhang nahe. Die Differenz des Nettoäquivalenzeinkommens zwischen den beiden Messzeitpunkten hing nicht signifikant mit der Wanderungswahrscheinlichkeit zusammen.

Bei den Kontrollvariablen im vierten Modell zeigten sich (hoch-)signifikante Effekte für Bildungsstand, Ostdeutschland, Geschlecht, Alter und Erwerbsstatus. Insbesondere die erhöhten Wanderungswahrscheinlichkeiten für geringer Qualifizierte und Erwerbstätige weisen auf vermittelnde Mechanismen hin, die, ebenso wie Einkommen, in zukünftigen Mediationsanalysen genauer untersucht werden sollten.

Die Resultate der logistischen Regression für die Wanderung der SPD-Wähler*innen zur AfD zeigen im ersten Modell (Tab. 3) in Referenz zu „keine Sorgen“ einen signifikant positiven AME der Sorge um Zuwanderung auf die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwahl zur AfD. Für die Kategorie „viele Sorgen“ steigt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Wanderung von SPD zu AfD deutlich um 18 Prozentpunkte gegenüber der Referenzgruppe (p < 0,001), für die Kategorie geringe Sorgen steigt sie um 2,9 Prozentpunkte (p < 0,001). Dieser positive, signifikante Zusammenhang ist ebenfalls unter Hinzunahme der Kontrollvariablen im vierten Modell zu erkennen, wenn auch etwas schwächer für die Kategorie viele Sorgen (AME = 0,142, p < 0,001). In der Betrachtung der Veränderung der Sorge um Zuwanderung im Zeitverlauf werden auch hier die Zusammenhänge signifikant positiv. Entsprechend steigt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Wanderung von SPD-Wähler*innen zur AfD um 7,5 Prozentpunkte, bei denen die Sorge um Zuzug ansteigt, im Vergleich zu jenen, bei denen diese Sorge gleich bleibt oder geringer wird (p < 0,001).

Auch die Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage weist im zweiten Modell einen leicht positiven, signifikanten AME für die Wanderung von der SPD zur AfD auf, jedoch fallen diese Zusammenhänge deutlich geringer aus als im Modell für die Zuwanderungssorge. Bei SPD-Wähler*innen mit geringen Sorgen im Jahr 2013 steigt die durchschnittliche Wanderungswahrscheinlichkeit um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zu jenen ohne diese Sorge (p < 0,001), bei SPD-Wähler*innen mit vielen Sorgen um die eigene wirtschaftliche Lage steigt sie um 5,6 Prozentpunkte (p < 0,001). Diese signifikanten Zusammenhänge verschwinden allerdings im vierten Modell. Im dritten und vierten Modell stand das Nettoäquivalenzeinkommen in keinem signifikanten Einfluss mit der Wanderung zur AfD (AME = −0,000, p = 0,263 bzw. p = 0,975 für die Veränderungsmessung).

Bei den Kontrollvariablen im vierten Modell zeigten sich signifikante Effekte für Parteiidentifikation, Bildungsabschluss, Wohnort, Geschlecht und Alter. Da auch hier ein signifikant negativer Zusammenhang zwischen Einkommen und subjektiver Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage besteht (Koef. = −0,228, p < 0,001, nicht in Tabelle), sollten in Zukunft entsprechende Mediationsanalysen durchgeführt werden.

Mit Blick auf die Modellanpassungsmaße (AIC und BIC) ergeben sich im CDU/CSU-Sample (Tab. 2) und SPD-Sample (Tab. 3) ähnliche Sachverhalte. Das komplexe vierte Untersuchungsmodell weist in beiden Samples die beste Anpassung im Vergleich zu den anderen Modellen auf; im Vergleich zum ersten Modell, in dem die Sorge um Zuwanderung als unabhängige Variable Eingang fand, sinkt der AIC jeweils um rund 30 Punkte. Im vierten Modell zeigt sich im Vergleich zum jeweils ersten ein leichter Anstieg beim BIC, der zusätzlich zur Anzahl der Koeffizienten die Fallzahl berücksichtigt. Zukünftige Modelle sollten theoretisch fundierte Kontrollvariablen berücksichtigen, dies bestenfalls jedoch auf Basis größerer Fallzahlen sowie theoriegeleiteter Annahmen über Mediationszusammenhänge sowie intraindividuelle Veränderungsprozesse zwischen zwei Wahlterminen.

Zuletzt wurden Robustheitsanalysen zwecks empirischer Fundierung der Interpretationen durchgeführt. In einer ersten Robustheitsanalyse (vgl. ausführlich den Online-Anhang und die dortige Tabelle A2) wurde ein multinomiales Regressionsmodell berechnet, in das als zusätzliche Analysekategorie die Gruppe derjenigen Personen aufgenommen wurde, die im Jahr 2013 eine der weiteren damaligen Bundestagsparteien (FDP, Grüne, Die Linke) gewählt hatten und von denen im Jahr 2017 Wähler*innen zur AfD wanderten. Es zeigten sich keine nennenswerten Unterschiede in den Zusammenhängen der einstellungs- und einkommensbezogenen Veränderungsmessungen auf die durchschnittliche Wanderungswahrscheinlichkeit von der CDU/CSU bzw. der SPD zur AfD.

In einer zweiten Robustheitsanalyse (vgl. Tabelle A3 im Online-Anhang) wurden mittels zwei binärlogistischer Regressionsmodelle Wanderungen in beiderlei Richtungen zwischen den Bundestagswahlen 2013 und 2017 untersucht. Dies knüpft an jüngere Ansätze in der Wanderungsforschung an, die auf Nettowanderungen zwischen zwei bzw. mehreren Parteien fokussieren (Abou-Chadi et al. 2022; Krause et al. 2022). Auch hier erwiesen sich die Zusammenhänge aus den Hauptmodellen für die Sorge um Zuwanderung auf die Wählerwanderung als robust.

6 Diskussion und Fazit

In diesem Aufsatz wurden verschiedene Erklärungsfaktoren für die Wähler*innen-Wanderung von den Koalitionsparteien CDU/CSU bzw. SPD zur AfD zwischen den Bundestagswahlen 2013 und 2017 untersucht. Dazu wurden unter Berücksichtigung von Längsschnittinformationen über Einstellungs- und Einkommensveränderungen in logistischen Zwei-Perioden-Modellen Wander*innen zur AfD mit jenen Wähler*innen verglichen, die 2017 bei der 2013 gewählten Partei verblieben. Als zentrales Ergebnis ist festzuhalten, dass bei Wähler*innen beider Parteien die Sorge um Zuwanderung in signifikant positivem Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit einer Wechselwahl zur AfD steht. Entsprechend sind vor allem kulturell bedingte Bedrohungsgefühle für die Erklärung der Wechselwahl relevant, ökonomische Unsicherheitswahrnehmungen spielen weniger eine Rolle. Die Lengfeld’sche Modernisierungsverliererthese (Lengfeld 2017) konnte in ihrer Allgemeinheit nicht bestätigt werden. Für die Wähler*innen der CDU/CSU zeigte sich lediglich hinsichtlich des Nettoäquivalenzeinkommens ein negativer Zusammenhang mit der Wanderungswahrscheinlichkeit. Hingegen hatten erwerbslose CDU/CSU-Wähler*innen des Jahres 2013 eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit, zur AfD zu wandern. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass die Wählerschaft der CDU/CSU (ebenso wie die der SPD) im Mittel recht alt ist und viele der Erwerbslosen in die Kategorie der Pensionierten fallen. Darauf weist auch der negative, signifikante Alterszusammenhang hin, wenngleich hierzu mediierende Mechanismen – etwa über die Parteiidentifikation (s. unten) – nicht auszuschließen sind.

Inwiefern sich die AfD infolge der aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als rechtmäßig einstuft, sowie angesichts ihrer rechtsextremen Tendenzen als parlamentarische Kraft in der Bundesrepublik weiter etablieren kann, ist eine offene Frage (Adamski 2021). Auch die Auswirkungen der globalen und weltpolitischen Rahmenbedingungen – so etwa der Verlauf der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine im Frühjahr 2022 – auf Wanderungsbewegungen von den etablierten Bundestagsparteien zur AfD sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Zukünftige Forschungen zu den akteursbezogenen Ursachen von Wählerwanderungen zur AfD (und auch zu anderen Parteien) sollten sowohl die hier diskutierten einstellungsbezogenen und sozioökonomischen Erklärungsfaktoren sowie deren Veränderung im Zeitverlauf von Legislaturperioden im Blick behalten, denn sie ergänzen und vertiefen unter Rückbezug auf akteursbezogene Erklärungen jene einschlägigen Ansätze, die sich etwa mit der parlamentarischen Etablierung (Heinze 2020) oder den programmatischen und ideologischen Entwicklungen der AfD befassen (Lewandowsky et al. 2016; Ruhose 2020; Schwarzbözl und Fatke 2016). Folglich dürften Erklärungen relevant sein, die stärker als die hier genannten auf Issue- und Kandidatenorientierungen im Zuge von Wahlentscheidungen abstellen (Giebler und Melcher 2019), die hier aber nicht umfassend berücksichtigt werden konnten.

Im Zuge dieser Studie sind einige methodische Limitationen aufgetreten, die es abschließend kritisch zu reflektieren gilt. So wurden im Rahmen der Untersuchung Retrospektivfragen für die Ermittlung des Wahlverhaltens in den Untersuchungsjahren 2013 und 2017 verwendet. Diese Retrospektiverhebungen sind jedoch fehleranfällig aufgrund von Erinnerungsfehlern oder sozial erwünschten Aussagen bezüglich des eigenen Wahlverhaltens (Schoen 2009, 2014, S. 495–496). Zumindest was Erinnerungsfehler angeht, dürfte die recht kurze Zeitspanne zwischen den Messzeitpunkten und dem Zeitpunkt der vorherigen Bundestagswahl dazu beitragen, dass sich mögliche Verzerrungen der Koeffizienten in vertretbaren Grenzen halten (Schoen 2014, S. 496). Zur Vermeidung von Erinnerungsfehlern böten sich prospektive Sonntagsfragen an (Schneider-Haase 2009). Doch auch Antworten auf diese Fragen korrelieren keinesfalls perfekt mit dem tatsächlichen Wahlverhalten, sodass mit diesem Vorgehen eher Wahlintentionen statt faktisches Wahlverhalten untersucht würden (Ajzen und Fishbein 1980, S. 197–200). Ferner ist nicht auszuschließen, dass sowohl bei der Abfrage von Wahlabsichten als auch von zurückliegendem Wahlverhalten mit Blick auf rechtspopulistische Parteien soziale Erwünschtheit die Ergebnisse verzerrt (Gschwend et al. 2018). Diese Aspekte sollten in zukünftigen Studien mittels Datengrundlagen genauer in den Blick genommen werden, die sich auf stärker politikwissenschaftlich fundierte Daten, so etwa die German Longitudinal Election Study (Schmitt-Beck et al. 2010), stützen.

Des Weiteren wurde das Längsschnittpotential der zugrunde liegenden Daten für die Messung von Veränderungen von Einstellungs- und Einkommensinformationen nicht vollends ausgeschöpft. So blieben Angaben über die Sorgen um Zuwanderung und die eigene wirtschaftliche Lage aus den zwischen den beiden interessierenden Messzeitpunkten 2013 und 2017 liegenden Wellen unberücksichtigt. Dieses Vorgehen lässt sich pragmatisch dadurch begründen, dass es mit der vorliegenden Studie überhaupt erstmals möglich war, die Auswirkungen von Einstellungs- und Einkommensveränderungen zwischen zwei Bundestagswahlen auf eine Wanderung von den Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD zur AfD zu untersuchen. Aus diesem Vorgehen können jedoch verzerrte Schätzungen der Wanderungswahrscheinlichkeiten resultieren, da die Heterogenität und zwischenzeitlichen Veränderungen dieser Merkmale im Laufe der Legislaturperiode 2013 bis 2017 unberücksichtigt bleiben (Preißinger und Schoen 2016). Für differenziertere Erklärungen eines möglichen Einflusses von zeitveränderlichen Einstellungsmerkmalen auf Wechselwahlen wäre es sinnvoll, diese in zukünftigen Forschungen etwa im Rahmen von Panelregressionen mit mehr als zwei Wellen zu berücksichtigen. Dazu müsste jedoch auch die Veränderung der Parteipräferenzen zwischen den interessierenden Wahlereignissen gemessen werden, um diese Erklärungslücke zu schließen. Ferner sollten die Untersuchungen zukünftig für weitere Legislaturperioden repliziert werden. Mithilfe der hier verwendeten Daten des SOEP war dies zum Zeitpunkt der Durchführung der Untersuchungen (noch) nicht möglich.

Für die Verwendung der SOEP-Daten in dieser Studie sprach – neben dem Vorhandensein vielfältiger einstellungsbezogener und sozioökonomischer Inventare – eine im Vergleich zu anderen Studien (Görtz 2020; Wurthmann et al. 2020) hohe Fallzahl von Wähler*innen der Koalitionsparteien des Jahres 2013, die im Jahr 2017 zur AfD wechselten (CDU/CSU: 154 Personen, SPD: 85 Personen). Diese Fallzahlen sind jedoch immer noch zu gering, um differenziertere Messungen der Veränderungen subjektiver Sorgen um Zuzug und die eigene wirtschaftliche Lage als in der hier vorliegenden dichotomisierten Form durchzuführen. Erschwerend kam hinzu, dass die verwendeten Einstellungsinstrumente lediglich ordinale Messungen auf Basis von drei Ausprägungen (keine, geringe, viele Sorgen) erlaubten. Zwecks Replikationen der erzielten Befunde sollten zukünftig möglichst metrisch skalierte Inventare auf Basis größerer Fallzahlen – vor allem in den Subgruppen der Wechselwähler*innen – verwendet werden. Wünschenswert wäre auch, Wanderungen von den weiteren Bundestagsparteien zur AfD systematisch und theoriegeleitet zu berücksichtigen, was hier zumindest kursorisch im Rahmen von Robustheitsanalysen erfolgte (vgl. Tabelle A2 im Online-Anhang).

Des Weiteren ist von differenzierten Mechanismen zwischen einigen der hier untersuchten unabhängigen bzw. Kontrollvariablen und der Wahrscheinlichkeit einer Wanderung zur AfD auszugehen. Die vorliegende Studie konnte hierzu konzeptionelle Vorschläge unterbreiten, so etwa zur möglichen Mediation des Zusammenhangs zwischen Einkommen und Wanderung zur AfD über die subjektive Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage oder aber eine Mediation von Erwerbsstatuseffekten über das Einkommen. Ferner liegt es nahe, dass der negative, aber nicht signifikante Zusammenhang einer bestehenden Parteiidentifikation mit der Wahrscheinlichkeit einer Wanderung von der CDU/CSU bzw. der SPD zur AfD durch ein höheres Alter vermittelt wird. Auch wären Interaktionen, so etwa aus dem Wohnort (Ost- vs. Westdeutschland) bzw. dem Geschlecht, der Sorge um Zuzug und der Wanderungswahrscheinlichkeit, plausibel. Diese Sachverhalte sollten in zukünftigen Studien theoretisch modelliert und empirisch untersucht werden.