1 Einleitung

Die Literatur zu Populismuseinstellungen auf der Ebene der Bevölkerung ist während der 2010er-Jahre immens gewachsen. Vielfach lag das Interesse auf der Frage, wie stark Populismus unter den Bürger:innen verbreitet ist und welche Bürger:innen populistischer sind als andere (Akkerman et al. 2014; Bernhard und Hänggli 2018; Boscán et al. 2018; Elchardus und Spruyt 2016; Spruyt et al. 2016; Tsatsanis et al. 2018; Van Hauwaert et al. 2019; Vehrkamp und Merkel 2018). Diese Forschung zeigt für verschiedene europäische Länder, dass populistische Einstellungen weit verbreitet sind. Eine Studie zu Populismus in Deutschland stuft immerhin rund ein Drittel der Bevölkerung als populistisch ein (Vehrkamp und Merkel 2018

Eine populistische Einstellung lässt sich dabei auch klar in Verbindung mit der Wahl populistischer Parteien bringen (Geurkink et al. 2020; Gründl und Aichholzer 2020; Loew und Faas 2019; Pesthy et al. 2021; Spierings und Zaslove 2017; Steiner und Landwehr 2018; Van Hauwaert und Van Kessel 2018). Dieser Zusammenhang mag zwar offensichtlich erscheinen, besonders interessant wird er aber vor allem dadurch, dass eine populistische Einstellung eine Art Syndrom darstellt, welches sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt (Geurkink et al. 2020), die wiederum im Einzelnen mit der Wahl populistischer Parteien verknüpft oder aber nicht verknüpft sein mögen. Zu diesen gehören insbesondere Volkszentriertheit, die Idee eines wahren und einheitlichen Volkswillens und Elitenmisstrauens, üblicherweise verbunden mit einer moralisch aufgeladenen Unterscheidung zwischen dem „guten“ Volk und korrupten Eliten (Mudde 2004). Indem bestehende Messungen von Populismuseinstellungen jedoch solche unterschiedlichen Bestandteile in einem Konstrukt vereinen, erschweren sie es, diese voneinander zu isolieren und im Hinblick auf ihre Konsequenzen zu untersuchen.

Der vorliegende Aufsatz schließt mit einer Analyse von Umfragedaten aus Deutschland an die Literatur zu Populismuseinstellung an und trägt neue Einsichten zu dieser bei, indem er statt auf eine umfassende populistische Einstellung enger auf eine populistische Demokratiekonzeption fokussiert. Gemeint ist damit eine bestimmte Vorstellung davon, welche Form demokratische Politik annehmen sollte. Insgesamt leistet die Analyse mit dieser Stoßrichtung zwei Beiträge. Erstens verknüpft sie die Literatur zu Populismuseinstellungen mit der Literatur zu demokratischen Prozesspräferenzen, um die Untersuchung von Populismus auf der Bevölkerungsseite in eine breitere Forschungsperspektive einzubetten. Populismus auf der Ebene der Bürger:innen ist bislang nicht explizit unter dem Blickwinkel von Demokratiekonzeptionen betrachtet worden, obwohl Populismus und die häufig behandelte Populismuseinstellung sehr deutlich eine bestimmte Vorstellung von Demokratie zum Ausdruck bringen (siehe hierzu etwa Müller 2016; Rovira Kaltwasser und Van Hauwaert 2020). Jener Blickwinkel erlaubt es auch, eine populistische Prozesspräferenz analytisch von Elitenmisstrauen als einem Aspekt von politischer Unterstützung (Easton 1975) zu trennen. Zweitens betrachtet die Analyse als weitere Prozesspräferenz neben dem Populismus den weiter unten näher beschriebenen majoritären Relativismus. Dieser beinhaltet wie der Populismus die Erwartung, dass Politik möglichst unmittelbar die Interessen der Bürger:innen umsetzen solle. Er beruht jedoch nicht auf der Idee eines wahren und einheitlichen Volkswillens, sondern beinhaltet ein relativistisches Verständnis von politischen Positionen und Interessen. Zudem lassen sich sowohl Populismus als auch majoritärer Relativismus von der Wertschätzung von Pluralismus abgrenzen.

Ziel der Analyse ist es, zu ergründen, inwieweit eine populistische und majoritär-relativistische Prozesspräferenz miteinander verwandt und doch voneinander unterscheidbar sind. Das ist insofern bedeutsam, weil es einen differenzierteren Blick auf die politische Kultur erlaubt. Zudem liefert die Analyse Evidenz dafür, dass jene Prozesspräferenzen mit Unterstützung für unterschiedliche Entscheidungsträger:innen einhergeht und dass die Wahl populistischer Parteien nicht nur durch ein populistisches, sondern sogar mehr noch durch ein majoritär-relativistisches Demokratieverständnis begünstigt werden mag. Beide liegen in der Bevölkerung vor und sind bei Individuen in unterschiedlichem Maß ausgeprägt. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen insgesamt, dass es wichtig ist, Populismus auf der Ebene der Bürger:innen nicht isoliert zu betrachten, weil diese nicht einfach nur Sympathien mit Populismus haben, sondern dabei in variablem Ausmaß gleichzeitig auch andere Demokratiekonzeptionen befürworten können, die ebenfalls bedeutsam für politisches Verhalten und politische Einstellungen sind. Außerdem relativieren die weiter unten präsentierten Ergebnisse die Bedeutung eines populistischen Demokratieverständnisses als Determinante der Wahl der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD). Insgesamt leistet der Aufsatz damit einen wichtigen Beitrag, der einen blinden Fleck in der Debatte über Populismus als Bestandteil der politischen Kultur erhellt. Er qualifiziert dabei auch die Eignung der bislang weit verbreiteten Variante der Messung einer populistischen Einstellung.

Der Aufsatz ist wie folgt gegliedert. Der nachfolgende zweite Abschnitt stellt zunächst die theoretischen Überlegungen vor und geht darauf ein, wie die Konstruktvalidität einer populistischen und majoritär-relativistischen Demokratieauffassung festgestellt werden soll. Nach der Beschreibung der Datengrundlage und Messinstrumente im dritten Abschnitt folgen die empirischen Befunde in Abschnitt vier. Abschnitt fünf fasst die Ergebnisse zusammen und diskutiert deren Implikationen.

2 Theoretische Annahmen und Erwartungen

2.1 Populismus vs. majoritärer Relativismus

In der empirischen Populismusforschung ist eine Definition verbreitet, die Populismus als eine bestimmte Weltsicht begreift. Danach gilt Populismus als „(thin-centered) ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic groups, ‚the pure people‘ versus the ‚corrupt elite,‘ and which argues that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people“ (Mudde 2004, S. 543). Diese Definition ist nicht nur bei der Analyse populistischer politischer Akteure gängig, sondern bildet auch den Kern der Populismusforschung auf der politischen Nachfrageseite, d. h. in der Bevölkerung.

Während im Hinblick auf den Populismusbegriff weitestgehend Konsens in der Literatur besteht, existiert jedoch eine Reihe von unterschiedlichen Messkonzepten. Einen Referenzpunkt bilden die sechs von Akkerman et al. verwendeten Items (2014). Daneben existieren weitere, davon abweichende Konzeptualisierungen und Messinstrumente (Elchardus und Spruyt 2016; Hameleers et al. 2017; Hieda et al. 2021; Marcos-Marne et al. 2020; Mohrenberg et al. 2021; Oliver und Rahn 2016; Roccato et al. 2019; Rovira Kaltwasser und Van Hauwaert 2020; Schulz et al. 2020). Sie unterscheiden sich im Hinblick darauf, welche Attribute von Populismus sie formulieren und welche sowie wie viele Indikatoren sie heranziehen. Gleichzeitig ist ihnen zumindest gemein, dass sie neben einem Volkszentrismus auch eine Abneigung gegenüber den herrschenden Eliten als Teil einer Populismuseinstellung messen.

Das bedeutet jedoch, dass eine solche Populismuseinstellung auch Elemente einschließt, die für sich genommen nicht spezifisch für Populismus sind (Wuttke et al. 2020). Es gibt nicht nur eine Überlappung zwischen Populismus und dem Wunsch nach direkter Demokratie (Jacobs et al. 2018; Mohrenberg et al. 2021), auch ist Elitenmisstrauen ein wichtiges eigenständiges Konstrukt der politischen Einstellungsforschung, das sich aber ebenso als Teil anderer Konzepte wiederfindet. Wie bei der Populismuseinstellung gehört Unmut über die herrschende politische Klasse zur Messung des Wunsches nach einer Stealth Democracy (Fernández-Martínez und Font 2018; Hibbing et al. 2021; Lavezzolo und Ramiro 2018; Webb 2013), eine Demokratieform, in der unabhängige Expert:innen im Interesse der Bürger:innen und ohne merkliche politische Konflikte Entscheidungen treffen. So findet sich das Item „elected officials should stop talking and take action“ sowohl für die Messung der Befürwortung von Stealth Democracy als auch für die Messung einer populistischen Einstellung.

Im Folgenden soll ein anderer Ansatz gewählt werden, der solche Überlappungen vermeidet, indem er auf einen bestimmten Aspekt einer populistischen Einstellung fokussiert: Konkret soll Populismus unter dem Blickwinkel demokratischer Prozesspräferenzen betrachtet werden. Eine umfangreiche Literatur zu Demokratiekonzeptionen und Prozesspräferenzen hat gezeigt, dass die Bürger:innen unterschiedliche Dinge meinen, wenn sie sagen, dass sie Demokratie unterstützen. Dies kann etwa die liberale Demokratie, aber auch eine direkte Demokratie, eine über wirtschaftliche Outputs definierte Demokratiekonzeption oder die bereits erwähnte Stealth Democracy sein (als einige Beispiele von vielen: Bengtsson und Mattila 2009; Dalton et al. 2001, 2008; Fernández-Martínez und Font 2018; Font et al. 2015; Gherghina und Geissel 2017; Kriesi et al. 2016). Eine populistische Demokratiekonzeption ist aus der Warte der demokratischen Prozesspräferenzen bislang nicht betrachtet worden. Dabei lässt sich aus einigen Beschreibungen von Populismus sehr deutlich herauslesen, dass dieser auch Ausdruck eines bestimmten Verständnisses davon ist, wie der demokratische Prozess beschaffen sein sollte und wie die Idee der Volksherrschaft zu realisieren ist (Müller 2016; Rovira Kaltwasser und Van Hauwaert 2020).

Die Analyse auf diesen Aspekt zu verengen, also auf die Auffassung davon, welche Form demokratische Politik annehmen sollte, hat mindestens zwei Vorteile: erstens an die Literatur zu Demokratiekonzeptionen und demokratischen Prozesspräferenzen direkter anknüpfen zu können und zweitens die betrachteten Konstrukte analytisch von politischer Unterstützung (Easton 1975), etwa in der Form von Elitenkritik, zu trennen. Ihr Stellenwert als Prädiktoren, beispielsweise der Wahl populistischer Parteien, lässt sich so klarer in der Analyse auseinanderhalten. Der Fokus liegt damit rein auf der Form der Politik und des politischen Prozesses, den die Bürger:innen realisiert sehen wollen. Dieses prozedurale Verständnis sieht davon ab, welche konkreten Inhalte sich in dieser Politik verwirklichen, und trennt Elitenmisstrauen oder verwandte Dispositionen von der Prozesspräferenz selbst.

Ausgehend von der oben zitierten gängigen Populismusdefinition kann man ein populistisches Demokratieverständnis als eines verstehen, nach dem Politik darauf abzielt, einen vermeintlichen wahren und einheitlichen Volkswillen zu identifizieren und diesen so unmittelbar und unverfälscht wie möglich durchzusetzen. Was diesen Volkswillen inhaltlich ausmacht und eine exklusive Identität eines „Wir“ gegenüber politischen Eliten und gegebenenfalls anderen Gruppen begründet, hängt davon ab, mit welcher politischen Ideologie der Populismus als „thin ideology“ (Mudde 2004) aufgeladen wird. Diese Ideologien mögen, in dem Maß, in dem sie Formen von Extremismus darstellen, bereits einen antipluralistischen Gestus aufweisen, wie die Forschung zu Extremismus bereits seit Längerem lehrt (Arzheimer 2020). Doch auch unabhängig vom konkreten ideologischen Inhalt untergräbt die populistische Vorstellung von demokratischer Politik – intendiert oder nicht – demokratischen Pluralismus. Denn für die Auseinandersetzung mit den Sichtweisen anderer vor dem Hintergrund einer unvermeidlichen Vielfalt von Meinungen und Sichtweisen bleibt bei der Annahme eines einzig wahren und unmittelbar zu realisierenden Volkswillens wenig Raum (Abts und Rummens 2007; Canovan 2004; Caramani 2017; Müller 2016; Urbinati 2014). Man kann Populismus daher mit Urbinati (2014) auch als eine Entstellung der liberalen Demokratie begreifen, insofern er zwar der Idee der Volksherrschaft verhaftet ist, diese aber so durchzusetzen wünscht, dass damit eine anhaltende, pluralistische und offene demokratische Willensbildung verhindert wird.

Ein solches Demokratieverständnis mag, jenseits von politischer Unzufriedenheit, populistische Parteien attraktiv für manche Bürger:innen machen. Allerdings muss ein antipluralistischer Gestus, der auf Unmittelbarkeit bei der Verwirklichung der Interessen der Bürger:innen beharrt und so populistische Parteien attraktiv erscheinen lässt, nicht zwangsläufig in der Form einer populistischen Prozesspräferenz vorliegen. Genau wie der Rekurs auf einen vermeintlich wahren Volkswillen Pluralismus zu untergraben droht, gilt dies auch für eine relativistische Sicht auf politische Positionen und Interessen (Novak 1997). Relativismus läuft darauf hinaus, dass keine Position beanspruchen kann, besser zu sein oder mehr Gewicht zu haben als andere. Demokratie setzt zumindest ein gewisses Maß an Relativismus in dem Sinn voraus, dass der Anspruch absoluter Wahrheiten eine freiheitliche Ordnung untergräbt (Kelsen 1920). Wenn bei einem emphatischen Relativismus jedoch alle Positionen gleichermaßen gültig sind, auch völlig unabhängig davon, ob sie das Ergebnis eines öffentlichen Diskurses sind oder nicht, dann wird – wie beim Populismus – jeder pluralistische Austausch zwischen verschiedenen Sichtweisen gegenstandslos. Während Pluralismus bedeutet, andere Sichtweisen in ihrer Geltung anzuerkennen, ist beim Relativismus Austausch und Verständigung hinfällig – es gilt stattdessen „anything goes“ (Hirschman 1989; Ish-Shalom 2016).

Verbindet sich ein solcher Relativismus mit dem Wunsch nach Unmittelbarkeit, der auch den Populismus kennzeichnet, so kann man von einem majoritären Relativismus sprechen. Bei diesem bemisst sich die Güte demokratischer Politik daran, wie sehr und wie direkt er den Präferenzen der Bürger:innen gerecht wird (Tsesis 2021). Politik soll sich nach diesem utilitaristischen Kalkül (siehe hierzu Pasquino 2018) den Ansprüchen der Gesellschaft stets anpassen und den Bürger:innen soweit wie möglich das geben, was diese zu einem gegebenen Zeitpunkt wollen. Dabei zählt nur das, was die Bürger:innen für richtig halten oder schlicht fühlen. In diesem Sinn überträgt der majoritäre Relativismus eine Art Konsum-Mentalität in die Politik und stellt, wie der Populismus, ein reduktionistisches, wenn nicht naives Politikverständnis dar, welches die Komplexität demokratischer Politik verkennt und insofern zu unrealistischen Erwartungen führt (siehe hierzu auch Flinders 2012, S. 82–84).

Ein solcher majoritärer Relativismus ist mit anderen in der Literatur behandelten Demokratievorstellungen verwandt, unterscheidet sich jedoch auch in einer wichtigen Hinsicht. So betrachten erstens einige Studien ein majoritäres Demokratieverständnis (Heyne 2019; Ferrín und Hernández 2021), messen dieses jedoch als Zustimmung, dass Machtkonzentration gegenüber Machtteilung und Konsens besser für die Demokratie ist. Zweitens finden Landwehr und Steiner (2017) bei ihrer Messung von Demokratievorstellungen mehrere Einstellungsdimensionen in ihren Daten, von denen sie eine post-hoc als populistischen Majoritarismus bezeichnen. Diese Dimension trägt Populismus im Namen, ohne jedoch die Idee eines wahren Volkswillens, der in der verbreiteten Messung einer Populismuseinstellung enthalten ist, durch die verwendeten Indikatoren abzudecken. Hingegen liegt bei jener Einstellung der Akzent darauf, ob Mehrheiten auch Minderheitenrechte aushebeln sollen.

Der für die Analyse weiter unten zu messende majoritäre Relativismus soll demgegenüber zum einen ausdrücklich einen epistemischen Relativismus beinhalten und damit der populistischen Idee eines wahren Volkswillens entgegengesetzt sein, dabei aber zum anderen, wie der Populismus, durch Unmittelbarkeit gekennzeichnet sein. Populismus und majoritärer Relativismus, verstanden als demokratische Prozesspräferenzen, sind nach den vorangehenden theoretischen Überlegungen einerseits miteinander verwandt (im Hinblick auf den Stellenwert von Unmittelbarkeit bei der Umsetzung von Interessen in der Bevölkerung), andererseits aber auch qualitativ voneinander verschieden (im Hinblick auf eine epistemische Dimension). Wenn diese Annahmen zutreffen, dann müsste es erstens möglich sein, beide Konstrukte als separierbare Einstellungen unter den Bürger:innen aufzufinden, also zu messen. Zweitens müssten die beiden Konstrukte zum einen gleichartige, aber zum anderen auch unterschiedliche Konsequenzen für bestimmte andere Einstellungen und Verhaltensweisen haben. Entsprechende Zusammenhänge im Einklang mit theoretischen Erwartungen wären Indizien dafür, dass tatsächlich Populismus und majoritärer Relativismus als verwandte, aber unterscheidbare Konstrukte gemessen werden. Wie dieser Anspruch der Konstruktvalidität in der Analyse zu prüfen ist, beschreibt der nachfolgende Abschnitt.

2.2 Erwartungen im Hinblick auf Konstruktvalidität

Konstruktvalidität bezeichnet den Umstand, dass ein gemessenes Konstrukt in theoretisch zu erwartenden Zusammenhängen mit anderen Konstrukten steht (Krebs und Menold 2019). Ausgangspunkt für eine entsprechende Validierung von Populismus und majoritärem Relativismus als verwandte, aber doch distinkte Konstrukte ist die Annahme, dass diese Konsequenzen dafür haben, welche Akteure die Bürger:innen in der politischen Entscheidungsverantwortung akzeptieren oder sehen wollen. Wie nachfolgend argumentiert werden soll, eignen sich vor diesem Hintergrund erstens die Unterstützung populistischer Parteien und zweitens die Akzeptanz der Nutzung künstlicher Intelligenz bei politischen Entscheidungen als Kriterien dazu, die Konstruktvalidität festzustellen: Denn im ersten Fall sind gleichgerichtete Zusammenhänge mit Populismus und majoritärem Relativismus zu erwarten, während wir im zweiten Fall unterschiedliche Zusammenhänge erwarten können.

Im Hinblick auf die Unterstützung einer populistischen Partei gilt nach den theoretischen Überlegungen im vorangehenden Abschnitt, dass sowohl Populismus als auch majoritärer Relativismus mit der Unterstützung solcher Parteien zusammenhängen dürften. Populistische Parteien, die vorgeben, den wahren Volkswillen zu kennen und durchsetzen zu wollen, dürften umso attraktiver für eine Person sein, je mehr sie eine populistische Demokratiekonzeption befürwortet. Aber auch eine höhere Zustimmung zu einer majoritär-relativistischen Demokratiekonzeption dürfte, ceteris paribus, populistische Parteien für eine Person attraktiver machen, insofern solche Parteien mit ihren Versprechen die Hoffnung nähren, den Bürger:innen unmittelbarer und in höherem Maß das zu geben, was diese wollen. Kurzum: Bei beiden dürfte das Versprechen populistischer Parteien Resonanz finden, mehr Responsivität und Unmittelbarkeit bei der Durchsetzung der Sichtweisen und Interessen der Bürger:innen zu realisieren. Bei einer populistischen Demokratieauffassung ist dies an die Vorstellung eines wahren Volkswillens gebunden, während es für den majoritären Relativismus unbedeutend ist, wie die Interessen der Bürger:innen realisiert werden.

Als zweites Kriterium zur Feststellung der Konstruktvalidität dient in der Analyse die Akzeptanz des Einsatzes künstlicher Intelligenz (KI), um Entscheidungen zu treffen, die ansonsten Politiker:innen treffen würden. Die politikwissenschaftliche Forschung zur Wahrnehmung von KI in politischen oder staatlichen Kontexten ist noch jungen Datums, aber wächst rapide (Albarrán Lozano et al. 2021; Aoki 2020; Chatterjee et al. 2021; Ingrams et al. 2021; Miller und Keiser 2021; Starke und Lünich 2020; Schiff et al. 2021). Sie gewinnt besondere Relevanz vor dem Hintergrund jüngerer Entwicklungen und Bestrebungen, KI in Staat und Verwaltung einzusetzen. Nicht nur in der öffentlichen Verwaltung übernimmt oder unterstützt KI Entscheidungsprozesse (Engstrom et al. 2020; Loi und Spielkamp 2021), auch auf höheren Entscheidungsebenen, etwa in Ministerien, werden KI-basierte Anwendungen zur Unterstützung von Policy-Entscheidungen bereits erprobt oder genutzt (Kolkman 2020). So wie KI bei Managementaufgaben in Unternehmen Einsatz findet (Mayer-Schoenberger und Ramge 2019), könne die Technologie einigen Autor:innen zufolge auch im politischen Bereich zu effizienterem und effektiverem Policy-Making führen (Chen und Hsieh 2014; Höchtl et al. 2016; König und Wenzelburger 2021). Dass an den Einsatz von KI im politischen Bereich mitunter hohe Erwartungen geknüpft sein mögen, ist auch dem – nach heutigem Stand – kuriosen Fall abzusehen, dass in einem Stadtteil von Tokyo ein Roboter ernsthaft bei der Wahl zur Bürgermeister:in antrat (Cole 2018).

Trotz dieser beschriebenen Entwicklungen mag man die Befürwortung oder auch nur Akzeptanz von KI auf hohen politischen Entscheidungsebenen als abwegig bewerten. Doch gerade deshalb, weil es sich um eine mehr oder minder extreme Einstellung handelt, eignet sie sich dazu, die Konstruktvalidität von Populismus und majoritärem Relativismus zu ergründen. KI-Systeme verarbeiten grundsätzlich Informationen, um auf der Grundlage gelernter Entscheidungsmodelle optimale Outputs oder Entscheidungen unter vorgegebenen Zielen zu produzieren. Bei dieser optimierenden Steuerung handelt es sich um eine Form des instrumentellen, technischen Problemlösens. Davon scheint die Bevölkerung zumindest ein generelles Verständnis zu haben. Nach bisherigen Befunden haben die Bürger:innen zwar nur ein oberflächliches Wissen von KI, doch sie verbinden damit einigermaßen differenziert sowohl Risiken als auch mögliche Nutzen und vor allem sehen sie KI höchstens dort als geeignet, wo technische Aufgaben zu lösen sind und wenig menschliches Urteilsvermögen gefragt ist (Araujo et al. 2018; Grzymek und Puntschuh 2019). Im Einklang mit diesem generellen Befund zeigen Starke und Lünich (2020), dass die Bürger:innen eine geringe Akzeptanz für KI auf hohen politischen Entscheidungsebenen zeigen. Wenn eine Person es also akzeptabel findet, KI politischen Entscheidungen zugrunde zu legen, dann ist davon auszugehen, dass sie Politik in erster Linie – reduktionistisch – als Frage des technischen Problemlösens begreift und sich von KI dabei bessere Lösungen erhofft. Morozov (2014) hat eine solche Haltung, die technologische Lösungen für soziale und politische Probleme sucht, als Solutionismus bezeichnet und in verschiedenen Kontexten beobachtet. Auch beobachten einige Autor:innen, dass mit dieser Mentalität ein Bild von Politik einhergeht, nach dem die Demokratie überholt ist durch technologische Lösungen, welche den Menschen vermeintlich besser geben können, was diese wollen (Nemitz 2018; Weber und Prietl 2022).

Daraus ergeben sich unmittelbar Erwartungen im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen der Akzeptanz von KI in der Politik einerseits und Populismus und majoritärem Relativismus andererseits. Die optimierende Funktionsweise von KI für politische Entscheidungen zu nutzen, kann zwar bedeuten, Entscheidungen für und im Interesse der Bürger:innen zu treffen. Doch mit dem Anspruch, einen wahren und einheitlichen Volkswillen umzusetzen, ist jenes optimierende Problemlösen kaum kompatibel. Die Volkszentriertheit eines populistischen Demokratieverständnisses dürfte demnach nicht mit dem beschriebenen Einsatz einer von den Bürger:innen entrückten KI vereinbar sein. Insofern ist ein negativer Zusammenhang dieses Konstrukts mit der Akzeptanz von KI zu erwarten. Anders verhält es sich beim majoritären Relativismus. Dieser klammert sich nicht an die Idee eines wahren und einheitlichen Volkswillens, sondern erwartet von der Politik schlicht, dass diese möglichst gut und direkt den beliebigen Ansprüchen der Bürger:innen gerecht wird. Für den majoritären Relativismus ist also nicht eine bestimmte Position oder Sichtweise in der Politik zu verfolgen – „anything goes“ –, und dürfte daher grundsätzlich jede Antwort auf empfundene Responsivitätsdefizite infrage kommen. Daher passt der in ihm verkörperte Utilitarismus zu der reduktionistischen Idee, Technologie für bessere Entscheidungen in der Politik einzusetzen. In diesem Sinn ist der majoritäre Relativismus zumindest kompatibel mit dem Wunsch, KI auf hohen politischen Entscheidungsebenen zu nutzen. Bei ihm dürfte also, anders als beim populistischen Demokratieverständnis, kein negativer Zusammenhang vorliegen.

Während Populismus und majoritärer Relativismus in einem Fall (Unterstützung einer populistischen Partei) gleichgerichtete und im anderen Fall (Akzeptanz von KI in politischen Entscheidungen) unterschiedliche Zusammenhänge zeigen dürften, müsste schließlich die Wertschätzung von Pluralismus in beiden Fällen negative Zusammenhänge zeigen. So dürfte erstens eine hohe Wertschätzung von Pluralismus mit der Unterstützung einer populistischen Partei unvereinbar sein. Ebenso dürfte sie zweitens mit dem optimierenden Problemlösen durch eine KI, die politische Entscheidungen abnimmt, inkompatibel sein – wo eine KI durch Informationsverarbeitung optimale Lösungen findet, hat ein pluralistischer Wettbewerb und Austausch unterschiedlicher Sichtweisen wenig Platz.

3 Daten und Operationalisierung

Die Datengrundlage für die Analyse stammt von einer in Deutschland durch den zertifizierten Panel-Anbieter respondi AG durchgeführten Befragung. Für diese wurden im August des Jahres 2021 1115 Teilnehmer:innen im Alter zwischen 18 und 74 Jahren aus einem Online-Panel über für die Bevölkerung repräsentative Quoten nach Alter, Geschlecht und Region gezogen (siehe Anhang A1 für die Zusammensetzung der Stichprobe). Die Verteilung der Antworten bei der Frage, die der ersten abhängigen Variablen, Unterstützung einer populistischen Partei, zugrunde liegt, spricht für die Belastbarkeit der Daten. Der Fragebogen enthielt die gängige „Sonntagsfrage“ nach der Wahlabsicht, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Die Befragten konnten eine der sieben Parteien im Bundestag zum Zeitpunkt der Befragung (die CDU und CSU wurden als Antwort zusammengefasst), „andere“ oder „würde nicht wählen“ auswählen. Vergleicht man die Antwortanteile mit der Frage nach der Wahlabsicht aus einer in derselben Woche durchgeführten repräsentativen Befragung durch infratest dimap, so ergibt sich eine sehr hohe Übereinstimmung der Anteilswerte (siehe Anhang A2).Footnote 1

Auf der Grundlage der gängigen Einstufung der AfD als rechtspopulistische Partei (Arzheimer 2015; Schmitt-Beck et al. 2017), wird für die Analyse die Frage nach der Wahlabsicht binär codiert, wobei 1 für die beabsichtigte Wahl der AfD und 0 für alle anderen Antworten steht. Neben diesem Kontrast, der auch der Analyse von Steiner und Landwehr (2018, S. 476) zugrunde liegt, soll auch die Linkspartei als populistische Partei berücksichtigt werden. Die Einstufung der Linkspartei ist in der Literatur weniger klar. Einerseits ist sie wiederholt als linkspopulistische Partei benannt worden (siehe etwa Decker und Hartleb 2006; Loew und Faas 2019), andererseits hat sich ihre populistische Orientierung laut Hough and Keith (2019) merklich zugunsten eines stärkeren Pragmatismus abgeschwächt. Auch weist die AfD klar höhere Werte bei der umfassenden vergleichenden Populismusmessung von Meijers and Zaslove (2021, S. 396) auf. Insofern ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach einer populistischen Partei in erster Linie die AfD begünstigen dürfte. Ob die erwarteten Zusammenhänge sowohl für die AfD als auch die Linke gelten, soll mittels einer alternativen abhängigen Variablen geprüft werden, die die AfD und Linkspartei in der Ausprägung „1“ zusammenfasst.

Für die zweite abhängige Variable, die Akzeptanz von KI, die politischen Akteuren Entscheidungen abnimmt, bezieht die Analyse zwei Items ein. Bei diesen sollten die Befragten angeben, ob sie der Nutzung von KI in den betreffenden Bereichen generell zustimmen. Konkret geht es darum, ob „KI oder Roboter anstelle von Politikerinnen und Politikern Entscheidungen treffen“ und „Roboter bei Wahlen wie etwa zum Bürgermeister/zur Bürgermeisterin antreten können“ (Zustimmung auf einer Skala von 1 bis 5). Das zuletzt genannte Item ist dabei an den realen Fall aus Tokyo angelehnt, bei dem ein Roboter als Kandidat:in bei der Wahl zur Bürgermeister:in antrat (Cole 2018). Die beiden Items weisen eine hohe Reliabilität auf (Alpha = 0,85) und werden für die Analyse zu einer Variablen zusammengefasst. Zur besseren Vergleichbarkeit mit der ersten abhängigen Variablen, der Wahlabsicht für die AfD, wird die Variable zur KI-Akzeptanz zudem dichotomisiert: Alle Befragten mit mindestens der mittleren Ausprägung (3 auf einer Skala von 1 bis 5), welche zumindest Akzeptanz für KI bei politischen Entscheidungen ausdrückt, erhalten den Wert 1. Der Anteil der Personen mit dem Wert 1 beläuft sich auf 10 % und ist damit ähnlich hoch wie die Wahlabsicht für die AfD.

Die Variablen für eine populistische und eine majoritär-relativistische Prozesspräferenz sowie für die Wertschätzung von Pluralismus basieren auf jeweils drei Items. Ihre Skalierbarkeit wird unten in der empirischen Analyse näher behandelt. Die Items sind so formuliert, dass sie die weiter oben beschrieben konzeptuellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Prozesspräferenzen widerspiegeln (Die exakten Formulierungen sind weiter unten im Analyseteil in Tab. 1 aufgeführt). Zudem sind sie ausdrücklich – ausgehend von einem prozeduralen Demokratieverständnis – so gemessen, dass sie neben der Befürwortung einer bestimmten Form von Demokratie nicht auch Aspekte politischer Unterstützung, wie etwa Elitenkritik, umfassen.

Tab. 1 Explorative Faktorenanalyse

Stattdessen bezieht die Analyse politische Unterstützung als separates Konstrukt und in drei Ausformungen ein. Erstens enthält der Fragenbogen fünf Items zu Politikverdrossenheit, die aus der German Longitudinal Election Study (GLES) 2017 übernommen wurden (Roßteutscher et al. 2018). Sie drücken Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie politische Akteure die Bürger:innen vertreten, aus (Alpha = 0,80, Spanne von 1 bis 5). Zweitens dienen fünf weitere Items zusammengenommen dazu, Institutionenvertrauen zu messen: Vertrauen in das Parlament, das Rechtssystem, die Regierung, die Parteien und die öffentliche Verwaltung (Alpha = 0,92, Spanne von 1 bis 7). Schließlich enthält die Analyse drittens eine Standardfrage zur Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland (1 bis 7 skaliert).Footnote 2

Als weitere Kontrollvariablen gehen die Links-Rechts-Selbsteinstufung, die wirtschaftspolitische und die immigrationspolitische Präferenz in die Analyse ein. Daneben verwendet die Analyse auch eine Variable, die auf sechs Items zur Messung von Ambiguitätstoleranz basiert. Diese drückt ein Verlangen nach Einfachheit und Sicherheit aus und ist mit der Wahl populistischer Parteien in Verbindung gebracht worden (Gründl und Aichholzer 2020). Sie könnte ebenso ausschlaggebend für die Akzeptanz von KI in politischen Entscheidungsprozessen sein, weil KI-Anwendungen scheinbar klare, optimale Lösungen für Probleme liefern und dabei die für Politik kennzeichnende Ambiguität und Konflikthaftigkeit zu umgehen versprechen. Die Items beruhen auf einer Fragebatterie aus der Austrian National Election Study 2017 (Wagner et al. 2018) und werden zu einer Variable zusammengefasst (Alpha = 0,75, Spanne von 1 bis 5).Footnote 3 Schließlich inkludiert die Analyse auch zwei Items zur politischen Selbstwirksamkeit, die ebenfalls aus der GLES-Befragung stammen (Alpha = 0,65), eine Variable zum politischen Interesse sowie die soziodemografischen Merkmale Bildung (1 = Hochschulreife), Alter und Geschlecht (1 = weiblich, 0 = männlich oder divers). Ein Überblick mit allen unabhängigen Variablen ist in Anhang A5 zu finden.Footnote 4

4 Empirische Analyse

Eine explorative Faktorenanalyse mit Promax-Rotation (Korrelationen zwischen den Faktoren möglich) über die Items für die Prozesspräferenzen liefert drei Faktoren im Einklang mit den Annahmen hinter dem Messkonzept. Das Ladungsmuster in Tab. 1 ist insgesamt sehr deutlich, Überlappungen zwischen den Faktoren treten nicht auf. Demnach lassen sich Populismus und majoritärer Relativismus als Einstellungen gut voneinander separieren, während beide wiederum von Pluralismus klar verschieden sind.

Für die weitere Analyse ist es damit auch gerechtfertigt, die Items entsprechend der Faktorlösung zu drei Variablen zusammenzufassen: als Populismus (Alpha = 0,81), majoritärer Relativismus (Alpha = 0,80) und Pluralismus (Alpha = 0,80). Abb. 1 zeigt die Verteilungen für die drei erzeugten Variablen samt deren Mittelwerten (gestrichelte Linie). Wie in anderen Studien, die eine umfassendere Populismuseinstellung betrachtet haben (für eine Bestandsaufnahme siehe Wuttke et al. 2020), liegt auch eine enger gemessene populistische Demokratievorstellung im Schnitt oberhalb der mittleren Ausprägung der Skala. Allerdings würde der Blick auf Populismus allein übersehen, dass zugleich eine sehr starke Befürwortung von Pluralismus in der Bevölkerung anzutreffen ist und auch der majoritäre Relativismus im Schnitt oberhalb der mittleren Kategorie liegt.

Abb. 1
figure 1

Mittelwerte der demokratischen Prozesspräferenzen

In Anbetracht dieser Verteilungen ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Prozesspräferenzen häufig gemeinsam auftreten. Angesichts der generell sehr hohen Wertschätzung von Pluralismus kann es nur einen geringen Anteil von Personen geben, die eine populistische Demokratieform befürworten, ohne dabei dem Pluralismus Bedeutung beizumessen. Tatsächlich weisen nur 11 % der Befragten bei Populismus einen Wert oberhalb des Mittelwerts und gleichzeitig bei Pluralismus einen Wert unterhalb des Mittelwerts auf. Zieht man zusätzlich das Kriterium hinzu, dass Befragte auch unterhalb des Mittelwerts bei majoritärem Relativismus liegen, schrumpft der Prozentwert der „Populisten“ auf drei Prozent. Beim majoritären Relativismus verhält es sich ähnlich. Der Anteil der Personen, der oberhalb des Mittels dieser Variable liegt sowie unterhalb des Mittelwerts bei Pluralismus, beträgt 16 %. Der Anteil derer, die zudem beim Populismus unterhalb des Mittelwerts liegen, beläuft sich auf acht Prozent.

Die Vorstellung, dass es viele rein majoritär-relativistisch Gesinnte oder mehr noch reine Populisten unter den Bürger:innen gäbe, ist demnach empirisch nicht gedeckt. Das Bild ist wesentlich komplexer. Gleichzeitig handelt es sich hierbei um wichtige Unterscheidungen, denn Personen, die populistisch gesinnt sind und zugleich Pluralismus wenig Wert beimessen, sind ein anderer Typus als solche Personen, die ebenfalls ein populistisches Demokratieverständnis befürworten, aber gleichzeitig die Bedeutung von Pluralismus stark betonen. Insgesamt weisen die Bürger:innen offenbar keine sehr scharf konturierten Prozesspräferenzen auf, sondern eher gemischte, wenn nicht sogar inkonsistente Einstellungen. Auf diesen Umstand hat die Forschung wiederholt mit Blick auf andere Prozesspräferenzen hingewiesen (z. B. Font et al. 2015; Schedler und Sarsfield 2007; Webb 2013). Insofern mag es zwar theoretisch stimmig sein, etwa Majoritarismus, Unmittelbarkeit und Anti-Pluralismus in einer Variablen für eine populistische Demokratiekonzeption zusammenzufassen (siehe hierzu Steiner und Landwehr 2018). Allerdings zeigt sich empirisch in einigen Beiträgen, dass Pluralismus und Formen von Elitarismus als separate Einstellungsdimensionen aufzufinden sind, die teilweise mit Populismus einhergehen können (Akkerman et al. 2014; Spruyt et al. 2021; Ellenbroek et al. 2021; Fernández-Vázquez et al. 2022).

Dass dies ebenso auf die populistische und majoritär-relativistische Prozesspräferenz sowie die Befürwortung von Pluralismus zutrifft, zeigen bereits die bivariaten Korrelationen zwischen diesen drei Variablen. Beachtlich ist zunächst, dass Populismus und majoritärer Relativismus, während sie in der Faktorenanalyse klar separierbar sind, stark untereinander korrelieren (r = 0,60, p < 0,01). Zwischen majoritärem Relativismus und Pluralismus ist die Korrelation hingegen sehr schwach (r = 0,10, p < 0,01), während Pluralismus und Populismus wiederum untereinander einen schwachen bis moderaten Zusammenhang aufweisen (r = 0,34, p < 0,01). Populismus und majoritärer Relativismus weisen außerdem nahezu identische signifikante Assoziationen mit dem Ausmaß politischer Unterstützung in Form von Politikverdrossenheit (positiv), Institutionenvertrauen (negativ) und Demokratiezufriedenheit (negativ) auf, was ihre Verwandtschaft miteinander weiter unterstreicht (siehe Anhang A6).

Um weiter zu ergründen, ob diese Einstellungen die erwarteten Zusammenhänge mit (A) der Wahlabsicht für die AfD und (B) der Akzeptanz des Einsatzes von KI auf hohen politischen Entscheidungsebenen haben, gehen sie im nächsten Schritt gemeinsam in logistische Regressionsmodelle ein. Die Variablen zusammen in die Modelle aufzunehmen, ist deshalb wichtig, weil die entsprechenden Einstellungen gleichzeitig vorliegen und in unterschiedlichem Maß bei den Bürger:innen vorkommen können. Die logistische Regression liefert die partiellen Zusammenhänge, d. h. den statistischen Effekt von beispielsweise Populismus, wenn hinsichtlich des Einflusses von majoritärem Relativismus und Pluralismus kontrolliert wird. Für jede der beiden abhängigen Variablen enthält Tab. 2 ein Modell ohne und ein Modell mit Kontrollvariablen.Footnote 5

Tab. 2 Ergebnisse der logistischen Regressionen

Tatsächlich zeigen die Variablen für Populismus und majoritären Relativismus unterschiedliche Muster von Zusammenhängen mit den beiden abhängigen Variablen. Bemerkenswert ist erstens, dass im Modell 1a die populistische Prozesspräferenz noch einen sehr deutlichen, bei Hinzunahme der Kontrollvariablen jedoch keinen signifikanten Zusammenhang mehr aufweist. Nur der majoritäre Relativismus und Pluralismus sind in Modell 1b weiterhin statistisch signifikant, sie zeigen wie erwartet einen positiven bzw. einen negativen Koeffizienten. Daneben sind vor allem Institutionenvertrauen und die Links-Rechts-Selbsteinstufung wichtige Prädiktoren der AfD-Wahlabsicht.

Zusätzliche Analysen zeigen, dass diese Befunde nur für die AfD als rechtspopulistische Partei gelten (siehe Anhang A8 und A9). Bei der Wahlabsicht für die Linkspartei spielen die Demokratiekonzeptionen keine Rolle, während sich jedoch für Politikverdrossenheit ein klarer positiver Zusammenhang finden lässt. Demgegenüber finden zwar Loew und Faas (2019) in ihrer Analyse einen Zusammenhang zwischen einer populistischen Einstellung und der Wahl der Linkspartei, doch diese umfassendere Populismuseinstellung beinhaltet auch eine Anti-Establishment-Haltung während die Modelle der Autor:innen zwar Demokratiezufriedenheit, aber weder Politikverdrossenheit noch Institutionenvertrauen als Erklärungsfaktoren aufnehmen. Daher liegt es nahe, dass in erster Linie politische Unzufriedenheit und nicht das Demokratieverständnis der Bürger:innen für die Unterstützung der Linkspartei maßgeblich ist.

Weitere Analysen (nicht tabelliert) ergeben, dass der Koeffizient von Populismus dann signifikant ist, wenn die Variablen für politische Unterstützung, primär Institutionenvertrauen, nicht in das Modell 1b aus Tab. 2 aufgenommen werden. Die Analyse unterstreicht damit, dass es sinnvoll ist, demokratische Prozesspräferenzen von Aspekten politischer Unterstützung getrennt zu messen – anders als dies bei vorherrschenden Messungen populistischer Einstellungen, aber auch der sogenannten Stealth Democracy der Fall ist. Die Ergebnisse aus der Regression deuten außerdem darauf hin, dass eine populistische Prozesspräferenz, als eine Facette einer umfassenderen populistischen Einstellung, nicht ausschlaggebend für die Wahl der AfD ist, wenn man zugleich die politische Unterstützung und die Zustimmung zu majoritärem Relativismus berücksichtigt.

In Modell 2a und 2b hingegen weist Populismus einen klaren negativen Koeffizienten auf. Wie erwartet ist der Einsatz von KI-Systemen, die politischen Akteuren Entscheidungen abnehmen, mit dem Wunsch nach der Verwirklichung des wahren und einheitlichen Volkswillens kaum zu vereinbaren. Noch deutlicher ist der negative Zusammenhang bei der Variable Pluralismus. Anscheinend nehmen die Bürger:innen einen pluralistischen Austausch in einer liberalen Demokratie als unvereinbar mit einem optimierenden, instrumentellen Problemlösen auf der Basis von Informationsverarbeitung durch KI-Systeme wahr. Der majoritäre Relativismus ist nicht einfach nur nicht korreliert mit der Befürwortung von KI in der Politik, sondern er weist sogar einen deutlich positiven Zusammenhang damit auf. Diese Haltung passt offenbar zur Akzeptanz einer optimierenden Steuerung durch KI auf der Ebene politischen Entscheidens. KI als Lösung in der Politik findet demnach Resonanz in dem Politikverständnis eines majoritären Relativismus, nach dem demokratische Politik schlicht möglichst gut und unmittelbar den Ansprüchen der Bürger:innen entsprechen soll, wie auch immer dies geschieht.

5 Zusammenfassung

Die vorangehende Analyse liefert neue Einsichten zur Debatte über Populismus in der Gesellschaft, zur Forschung über Populismus auf der Nachfrageseite der Politik und allgemeiner zur Literatur, die sich mit Demokratiekonzeptionen und demokratischen Prozesspräferenzen beschäftigt. Die Analyse hat gezielt einen anderen Ansatz verfolgt als bei der vorherrschenden Messung einer umfassenden Populismuseinstellung und den Blick enger auf ein populistisches Demokratieverständnis gerichtet. Daneben hat die Untersuchung zudem die Befürwortung eines majoritären Relativismus als eine weitere demokratische Prozesspräferenz einbezogen.

Die Befürwortung einer populistischen Form der Demokratie und eines majoritären Relativismus sind als zwei miteinander verwandte und zugleich voneinander unterscheidbare Einstellungen konzeptualisiert und gemessen worden: Beide betonen Unmittelbarkeit bei der Realisierung der Interessen in der Bevölkerung, doch strebt der Populismus nach der Verwirklichung eines vermeintlich wahren und einheitlichen Volkswillens, während der majoritäre Relativismus ausdrücklich nicht an dieser Vorstellung festhält. Die Ergebnisse aus der Analyse ergeben zusammengenommen einige Indizien, die für die Annahme der Affinität und gleichzeitige Verschiedenheit beider Demokratievorstellungen sprechen. Erstens sind sie moderat untereinander sowie zweitens gleichförmig mit Dimensionen politischer Unterstützung korreliert. Zugleich haben sie aber auch drittens teils gleichartige, teils unterschiedliche Konsequenzen dafür, welche politischen Entscheidungsträger:innen die Bürger:innen akzeptieren. Der Populismus hängt positiv mit der Unterstützung der AfD als rechtspopulistischer Partei, aber negativ mit der Zustimmung zur Nutzung von künstlicher Intelligenz auf hoher politischer Entscheidungsebene zusammen. Dies passt zu dem Anspruch des Populismus, Politik müsse den wahren Volkswillen verwirklichen.

Der majoritäre Relativismus weist demgegenüber in beiden Fällen einen positiven Zusammenhang auf, was zu der Idee passt, diesem sei jedes Mittel recht, welches die beliebigen Interessen der Bürger:innen besser zu erfüllen verspricht. Die Analyse liefert damit auch erste Evidenz dafür, dass eine politische Einstellung, konkret ein bestimmtes Demokratieverständnis, mit einer Mentalität des Solutionismus (Morozov 2014) zusammenhängt, welcher in Technologien die Antwort auf politische und soziale Probleme sieht. Was genau am majoritären Relativismus zu dem festgestellten positiven Zusammenhang mit der Befürwortung von KI in der Politik führt, ist allerdings durch weitergehende Forschung näher zu ergründen. Denkbar ist, dass dafür auch allgemeinere Einstellungen zur Politik maßgeblich sein könnten, die mit jenem Demokratieverständnis einhergehen. Nach den Befunden kommen zumindest politisch-ideologische Faktoren, politische Unterstützung sowie verschiedene soziodemografische Merkmale hierbei nicht infrage.

Zweitens legt es die Analyse nahe, bei der Bezeichnung merklicher Teile der Bevölkerung als populistisch zurückhaltend zu sein. Die klare Mehrheit der Bürger:innen, die mit einer populistischen Demokratiekonzeption sympathisiert, zeigt auch eine klare Wertschätzung von Pluralismus. Dasselbe gilt für den majoritären Relativismus. Es scheint somit nur sehr wenige Bürger:innen zu geben, die reine Populist:innen sind, genau wie nur bei wenigen die Zustimmung zum majoritären Relativismus dominant ist. Alles in allem unterstreichen die Befunde damit auch, wie wichtig es ist, Einstellungsdimensionen, wie etwa Populismus, nicht nur für sich und isoliert zu betrachten, sondern stattdessen das kombinierte Vorliegen solcher Dimensionen zu berücksichtigen – was bisher jedoch nur wenige Studien konsequent getan haben (siehe etwa Bengtsson 2012; Bertsou und Caramani 2022; Kriesi et al. 2016; Schedler und Sarsfield 2007). Andernfalls besteht die Gefahr, ein Zerrbild von der politischen Kultur in einem Land zu zeichnen.

Drittens hat die Unterscheidung zwischen den behandelten Prozesspräferenzen auch wichtige Folgen für das Verständnis der Nachfrage nach populistischen Parteien. So erweist sich bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Populismus, majoritärem Relativismus und Pluralismus als Prädiktoren der Unterstützung einer populistischen Partei der Populismus klar als weniger bedeutsam. Dies ist beachtlich, weil eine umfassendere Populismuseinstellung, die auch Elitenmisstrauen bei der Messung einschließt, in der Literatur als starker Prädiktor ausgemacht worden ist (Geurkink et al. 2020; Van Hauwaert und Van Kessel 2018; Vehrkamp und Merkel 2018). Nach der weiter oben berichteten Evidenz bildet aber offenbar ein populistisches Demokratieverständnis, als eine Facette jener umfassenderen Populismuseinstellung, nicht denjenigen Teil, der für die Vorhersagekraft der Populismuseinstellung maßgeblich ist. Stattdessen hat in der Analyse nur der majoritäre Relativismus einen signifikanten Zusammenhang mit der AfD-Wahlabsicht gezeigt, wenn zugleich politische Unterstützung und andere Kontrollvariablen einbezogen worden sind.

Es bleibt weiterer Forschung überlassen, herauszufinden, weshalb eine populistische Prozesspräferenz, die einen vermeintlichen wahren und einheitlichen Volkswillen so unmittelbar wie möglich realisiert sehen möchte, so schwach mit der Unterstützung einer populistischen Partei zusammenhängt. Angesichts der im Mittel hohen Zustimmung zu jener Prozesspräferenz könnte es sein, dass für die Bürger:innen der Wunsch nach Durchsetzung des wahren Volkswillens eher ein Lippenbekenntnis und Ausdruck eines verinnerlichten oberflächlichen Demokratiebegriffs ist. Es ist denkbar, dass viele Menschen den Gemeinwillen als ein mit der Demokratie verbundenes Ideal sehen. Das muss jedoch nicht heißen, dass die Bürger:innen diesen auch als realistisch ansehen und tatsächlich erwarten, einen einheitlichen wahren Volkswillen jemals in der demokratischen Praxis verwirklicht zu sehen.

Es wäre außerdem weiter zu klären, inwieweit eine populistische Demokratievorstellung und der majoritäre Relativismus unterschiedliche Konsequenzen für bestimmte politische Einstellungen und Verhaltensweisen haben. Die Analyse weiter oben hat gezeigt, dass beide divergierende Zusammenhänge mit der Befürwortung des Einsatzes künstlicher Intelligenz auf hohen politischen Entscheidungsebenen aufweisen. Weitere Forschung könnte eruieren, ob ein ähnliches Muster beispielsweise hinsichtlich der Unterstützung wirtschaftlicher Eliten und Expert:innen als politische Entscheider:innen, wie als Bestandteil einer Stealth Democracy gemessen (Hibbing und Theiss-Morse 2002), vorliegt. Weitere Studien könnten außerdem noch stärker dazu beitragen, sowohl den Populismus als auch den majoritären Relativismus auf der Nachfrageseite stärker mit anderen Demokratiekonzeptionen und demokratischen Prozesspräferenzen zu verknüpfen und dadurch stärker in einer breiteren Literatur zu Demokratieeinstellungen zu kontextualisieren. Jüngst ist etwa der Populismus zusammen mit der Technokratie und der Befürwortung der Parteiendemokratie untersucht worden (Bertsou und Caramani 2022; Fernández-Vázquez et al. 2022). Aber wie die Analyse oben gezeigt hat, dürfte es noch weitere abgrenzbare Einstellungen auf der Ebene der Prozesspräferenzen geben.

Schließlich wäre mit einem breiteren Blickwinkel auch ein differenzierteres Bild der politischen Kultur in Deutschland zu zeichnen. Wie Wuttke et al. (2020) überzeugend dargelegt haben, ist die vorherrschende Art und Weise, eine populistische Einstellung zu messen, für sich genommen schon problembehaftet und überschätzt den Anteil der „populistischen“ Bürger:innen erheblich. Berücksichtigt man zudem, dass eine Tendenz zum Populismus mit einer Zustimmung zu anderen, teils auch inkonsistenten Demokratieverständnissen einhergehen oder neben ihnen bestehen kann, wird die Beschreibung der Gesellschaft noch facettenreicher. Die Forschung zu politischer Kultur und Demokratieeinstellungen wird dadurch zwangsläufig komplexer, läuft aber nur so nicht Gefahr, ein zu vereinfachtes Abbild der Gesellschaft zu liefern. Das wäre im Übrigen eine besondere Ironie dort, wo man sich mit dem Phänomen des Populismus beschäftigt.