1 Einleitung

Die Coronapandemie und die sich aus ihr ergebende vielgestaltige Krise heutiger Gesellschaften hat ein grelles Schlaglicht auf die Potenziale digitaler Technologie zur gesellschaftlichen Selbstorganisation geworfen. Von Videokonferenzen über Tracing-Apps bis zur Modellierung gesamtgesellschaftlichen Verhaltens: Die nahezu vollständige Umstellung des gesellschaftlichen Austauschs auf digital vermittelte Formate stellt in vielerlei Hinsicht eine Zäsur dar. Während aus politikwissenschaftlicher Perspektive der Fokus bisher vorwiegend auf den oft als invasiv wahrgenommenen neuen Steuerungstechniken lag, etwa diversen Warn- und Quarantäne-Apps, hat es auch in Hinblick auf Formen demokratischer Politik Veränderungen gegeben.

Hierfür stehen paradigmatisch die in vielen Ländern schon früh in der Krise durchgeführten Hackathons: Bei diesen kommen für einen kurzen Zeitraum (meist ein Wochenende) Interessierte zusammen, um gemeinsam Lösungsvorschläge für im Vorfeld ausgerufene Herausforderungen zu formulieren oder sogar exemplarisch zu realisieren. Civic Hackathons sind die bürger*innenschaftliche Variante dieses Formats und widmen sich gezielt der Bearbeitung gesellschaftlicher oder politischer Probleme. In der Coronapandemie wurden in zahlreichen Ländern Hackathons ausgerichtet, um schnell und inklusiv auf die vielgestaltigen Herausforderungen der Pandemie, deren Bekämpfung und deren soziale Folgen zu reagieren.

Der deutsche Ableger dieser Hackathons, #WirVsVirus, ist bis heute der größte, zumal vollständig virtuell durchgeführte Civic Hackathon weltweit. Insgesamt waren vom 20. bis 22.03.2020 über 28.000 Teilnehmer*innen aktiv beteiligt und erarbeiteten mehr als 1500 Projektvorschläge. Der Bundesregierung gilt das Format als voller Erfolg. Der Hackathon wurde durch eine Grußbotschaft von Angela Merkel und ein Treffen der Initiator*innen mit dem Bundespräsidenten geadelt, unmittelbare Folgeprojekte – etwa ein schulspezifischer Hackathon #wirfürschule – schlossen sich an und mit #UpdateDeutschland ist im März 2021 bereits das weiterentwickelte Format gestartet.

Dieser Artikel zeigt, dass es in der detaillierten Auseinandersetzung mit dem Fall #WirVsVirus möglich ist, allgemeine Tendenzen, Möglichkeiten und Grenzen des Formwandels der Demokratie zu diskutieren. Unter dieser Bezeichnung wurde in den vergangenen Jahren Forschung zusammengefasst, die explizit die Veränderungen der institutionellen und handlungspraktischen Realität der Demokratie untersucht und dabei sowohl auf Phänomene, etwa neue Protestkulturen, als auch Formate, wie etwa Plattformparteien, schaut. Civic Hackathons sind Ausdruck einer zivilgesellschaftlichen Kultur, die durch die Handlungsmöglichkeiten und Imaginäre der Digitalisierung geprägt ist. Sie stellen eine neuartige und tendenziell weitreichende Form dar, das Verhältnis von politischer Administration und Öffentlichkeit zu (re)konfigurieren.

Im Folgenden wird eine repräsentationstheoretische Interpretation des Formats Civic Hackathon vorgelegt, die über die das Engagement bewundernde mediale Berichterstattung hinausgeht und gezielt nach der politischen Dimension und Institutionalisierbarkeit des Formats fragt: Wie werden gesellschaftliche Problembeschreibungen und Handlungsoptionen in und durch Civic Hackathons hervorgebracht, anerkannt oder verworfen?

Die Analyse zeigt, dass in Bezug auf das Erheben von Repräsentationsansprüchen („claim-making“) es in erster Linie die den Hackathon organisierenden Civic-Tech-Initiativen sind, die erfolgreich Repräsentationsansprüche durchsetzen. Allgemeine gesellschaftliche Forderungen werden im Prozess zwar erzeugt, jedoch durch die organisatorische Ausgestaltung und technologische Infrastruktur sowohl (vor-)geformt als auch systematisch begrenzt. In ähnlicher Weise befördert mit Blick auf das Anerkennen oder Ablehnen vorgetragener Repräsentationsansprüche („claim-taking“) der Fokus auf Umsetzbarkeit eine tendenziell expertokratische Entscheidungsstruktur – mit Folgen für die Diversität der anerkannten Forderungen.

Zunächst wird hierfür der Forschungsstand und bisherige Perspektiven auf Hackathons aufgearbeitet. Da in diesen Arbeiten Hackathons fast ausschließlich als Beteiligungsformate interpretiert werden, wird im nächsten Schritt die Alternative einer repräsentationstheoretischen Analyse erörtert und begründet. Hieran schließt sich die empirische Untersuchung von #WirVsVirus an: In dieser werden zunächst Methode und Datenlage vorgestellt, bevor der Hackathon in seinen zentralen Phasen beschrieben und im Rückgriff auf das theoretische Vokabular diskutiert. Abschließend werden die Ergebnisse der Betrachtung im größeren Kontext diskutiert und Ideen formuliert, wie Civic Hackathons ihrem demokratischen Anspruch besser gerecht werden können.

2 Civic Hackathons in der sozialwissenschaftlichen Forschung

Hackathons haben ihren Ursprung in der Open-Source-Bewegung der späten 1990er-Jahre, in der letzten Dekade haben sie aber nochmal stark an Popularität gewonnen. Ihr grundsätzliches Prinzip lässt sich auf die Formel bringen: „putting problems into code“ (Ermoshina 2018, S. 80). In ihnen sollen in einem kurzen Zeitfenster kollaborativ technologische Lösungen für vorab definierte Probleme entwickelt werden (Briscoe und Mulligan 2014).Footnote 1 Ihr allgemeiner Aufbau sieht dabei nach einer thematischen Einführung eine Phase der internen Vorstellung von Projektideen vor, die zugleich den Ausgangspunkt der Teambildung darstellt. An diese schließt sich die Hauptphase der Erarbeitung technologischer Prototypen an, die zum Abschluss öffentlich präsentiert und ggf. durch eine Publikums- und/oder Expert*innenjury prämiert werden.

Civic Hackathons spezifizieren dieses Format, indem sie eine explizite Fokussierung auf gesellschaftliche Probleme vorschreiben (Lodato und DiSalvo 2016). Sie können sowohl aus der Zivilgesellschaft selbst organisiert als auch durch staatliche Akteur*innen initiiert werden.Footnote 2 Civic Hackathons werden einerseits als Möglichkeit gesehen, eine angenommene Trägheit der öffentlichen Verwaltung aufzubrechen (Schrock 2019), andererseits von Akteur*innen propagiert, die digitale Technologien sozialkritisch zu wenden beabsichtigen (Ermoshina 2018, S. 88). Sie stellen zudem auch Brutstätten für Start-ups dar, die Civic Tech als Option sehen, durch (offene) soziale Innovationen Gemeinwohlorientierung mit Monetarisierungen zu verbinden (Chesbrough und Di Minin 2014). Für staatliche Akteur*innen verspricht das Format einen doppelten Nutzen: Zum einen signalisiert es die Bereitschaft zu transparentem und partizipativem Regieren; zum anderen kann die Entwicklung neuer Technologien die Arbeit der Regierung selbst erleichtern und verbessern (Johnson und Robinson 2014).

Angesichts der wachsenden Popularität des Formates ist es nicht verwunderlich, dass sich in jüngerer Zeit sozialwissenschaftliche Forschung zunehmend mit Civic Tech und Hackathons auseinandergesetzt hat (Dickel 2019; Baack et al. 2020), wobei politikwissenschaftliche Befassungen im engeren Sinne nach wie vor selten sind (Robinson und Johnson 2016; Rückert 2020). Ein Ansatz ist hierbei, Hackathons als eine unmittelbare Form der Beteiligung von Bürger*innen und Form von Open Governance zu deuten (Levitas 2013; Meijer et al. 2019). Der Hackathon, seine offene und selbstselektive Beteiligungsstruktur sowie der problemlösungsorientierte Handlungsmodus werden als Alternative zu bürokratisch-administrativen Verfahren diskutiert und als Mittel gesehen, das technologische Wissen der Zivilgesellschaft zu nutzen und Politik zugleich besser und inklusiver zu machen. Zwar werden auch Probleme thematisiert, diese beziehen sich aber hauptsächlich auf die Schwierigkeit nachhaltiger Institutionalisierung der aus dem Hackathon hervorgehenden Projekte (Yuan und Gasco-Hernandez 2019).Footnote 3

Dieser optimistischen Sicht steht eine Forschungsperspektive entgegen, die das partizipatorisch-inklusive Versprechen von Hackathons als Variante eines technologischen Solutionismus dekonstruiert. Hackathons seien keineswegs inklusiv, sondern im Gegenteil höchst voraussetzungsvoll, da sie zeitliche, organisationale und technologische Kompetenzen und Ressourcen seitens der Teilnehmenden erfordern.Footnote 4 Das Verfahren reduziere komplexe Problemlagen auf kleinteilige, pragmatische Probleme und lasse wenig Raum für eine breitere Reflexion von Problemursachen (Lodato und DiSalvo 2016, S. 545). Oft bestimme erst die Lösung, was eigentlich das Problem gewesen sei (Dickel 2019, S. 104). Noch weiter geht die Kritik, dass Hackathons eine entpolitisierende Wirkung hätten, da sie in ihrer praxisbezogenen Anlage vermittelten, dass institutionalisierte Politik nicht experimentierfreudig genug sei (Ermoshina 2018). Die Teilnehmer*innen würden durch das Format in die Rolle einer „entrepreneurial citizenship“ gedrängt, in der sie sich zwar politisch engagiert fühlen, aber weder Solidarität noch kritische Bewusstseinsbildung verwirklichten (Irani 2015, S. 801; Gómez-Cruz und Thornam 2016).

Partizipatorische Lobpreisung wie solutionistische Kritik teilen, dass sie den Hackathon im Kern als Beteiligungsinstrument und nur als solches deuten. Offenheit und Wirksamkeit gelten als Maßstab, um über dessen normative Eignung zu urteilen. Dieser Maßstab wird in der Analyse nun durch eine repräsentationstheoretische Perspektive erweitert, da diese der Vielschichtigkeit der im und rund um den Hackathon stattfindenden politischen Handlungen besser gerecht wird.

3 Die repräsentationstheoretische Alternative

Repräsentation wurde in der Demokratietheorie traditionell so verstanden, dass das Volk als demokratisches Subjekt im Parlament durch die gewählten Repräsentant*innen abgebildet und vertreten wird. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich Praxis und Theorie der Repräsentation aber stark entwickelt: So wird politische Repräsentation heute umfassender, nämlich als politische Praxiskonstellation der Moderne gefasst. Repräsentation strukturiert konstitutiv jedwedes politisches Handeln in der modernen Demokratie. Diese in der Literatur als „representative turn“Footnote 5 apostrophierte Lesart, wird auch im Folgenden die Untersuchung anleiten. In ihr wird das Volk nicht als politisches Kollektivsubjekt vorausgesetzt, sondern der Fokus wird handlungstheoretisch auf die Wechselverhältnisse zwischen Bürger*innen und Repräsentant*innen gelegt. Es wird erforscht, wie in diesen performativ das demokratische Subjekt überhaupt erst politisch erzeugt und sinnhaft konfiguriert wird (Disch et al. 2019; vgl. Martinez Mateo 2018).

Als repräsentativ strukturiertes Interaktionsverhältnis zeichnet sich Demokratie dann dadurch aus, dass die Kontingenz der Ordnung, die Pluralität gesellschaftlicher Ordnungsentwürfe sowie die damit einhergehende Konfliktivität in ihr sichtbar gemacht, gleichsam aber auch ein Modus der Vermittlung offeriert wird (Lefort 1990). Zivilgesellschaftliche und politische Öffentlichkeiten dienen der strukturierten Bearbeitung und Erfahrbarmachung vielfältiger politischer Ordnungsentwürfe: Indem sich Bürger*innen Meinungen bilden, Urteile fällen und diese in Entscheidungen übersetzen, wird die Pluralität der Interessen und Vorstellungen in öffentlichen Diskussionen verhandelt, in Assoziationen und Parteien gebündelt und dann etwa im Parlament als Entscheidung des Demos konfiguriert und präsentiert – was sodann wieder den politischen Prozess für die Bevölkerung anschaulich und verständlich macht. Öffentliche Urteilsbildung und repräsentatives Entscheiden sind somit unterschiedliche, aber aufeinander bezogene Modi demokratischen Handelns (Urbinati 2006), komplementiert durch den konfigurativen und Legitimität stiftenden Modus symbolischer Repräsentation (Diehl 2015). Entsprechend ist es nicht allein das Volk als politisches Subjekt, welches durch iterative Repräsentationsvorgänge anwesend gemacht wird, sondern es sind die Kontingenz der gesellschaftlichen Ordnung und die Möglichkeit, diese auch politisch alternativ zu realisieren, die Demokratie ausmachen.

Diese normative Perspektive wird in den Ansätzen des „representative turn“ theoretisch wie empirisch weiterentwickelt (Näsström 2011; Wolkenstein und Wratil 2020). Zwei Aspekte sind dabei zentral: die nicht zuletzt symbolisch vermittelte Performativität des Repräsentationsprozesses einerseits, die handlungstheoretische Aufwertung zivilgesellschaftlicher Interaktionsbeziehungen andererseits. Der „representative turn“ bietet damit zugleich eine Schnittstelle zur Untersuchung des demokratischen Formwandels (Thaa und Volk 2018). Diese Wendung bezeichnet, dass demokratische Politik heute durch eine Vielzahl nichtparlamentarischer Organisationsweisen flankiert und auch kompliziert wird – das Spektrum reicht von transnationalen Governance-Strukturen bis hin zu kooperativen oder plebiszitären Verfahren. Politische Repräsentation wird dadurch nicht obsolet, verändert aber ihre Form und Funktionsmodi (vgl. Keane 2018; Rosanvallon 2008). Repräsentation wird nicht länger nur als rechtlich formalisierte und institutionalisierte Beziehung gedacht, sondern durchzieht als Strukturmerkmal politischer Auseinandersetzung alle gesellschaftlichen Bereiche, in denen politische Forderungen sich formieren und artikulieren: Parteien, soziale Bewegungen, Vereine usw. Repräsentation ist insofern auch kein Hindernis, sondern vielmehr die zentrale Bedingung politischen Handelns (Thaa 2008).

Michael Saward kommt der Verdienst zu, die vorgestellten theoretischen Überlegungen in das empirisch operationalisierbare Konzept des „representative claim“ überführt zu haben. Mittels einer abstrakten Formel werden Repräsentationsvorgänge als Vorbringen und Anerkennen von repräsentativen Ansprüchen (Claims) gefasst: „A maker of representations (M) puts forward a subject (S) which stands for an object (O) which is related to a referent (R) and is offered to an audience (A)“ (Saward 2006, S. 302). Mittels dieser abstrahierten Sicht lässt sich für unterschiedliche Kontexte analysieren, wie über repräsentativ strukturierte Interaktion in politischen Auseinandersetzungen gesellschaftliche Identitäten produziert werden, Ordnungsentwürfe konstituiert und Legitimität symbolisch verhandelt wird.

Indem hier das Vorbringen von Repräsentationsansprüchen („claim-making“) wie auch die Urteilsbildung über und die Anerkennung von Ansprüchen („claim-taking“) als zwei konstituierende Aspekte miteinander verbunden sind, werden Bürger*innen und Repräsentant*innen in ein gemeinsames politisches Interaktionsverhältnis gebracht und somit auch eine demokratietheoretische Bewertung ermöglicht: Denn gerade der Modus reflektierter Urteilsbildung, in dem die Claims verhandelt werden, inkludiert die Bürger*innen in den Prozess politischen Handelns. Er stellt somit ein zentrales Kriterium dar, um aus normativ-demokratietheoretischer Sicht die Legitimität des Prozesses zu bewerten (Urbinati 2006).

Wenn politische Repräsentationen als performative und reflektierte Interaktionsbeziehung verstanden und in verschiedenen gesellschaftlichen Arenen und Kontexten auch durch Instanzen wie soziale Bewegungen, Gewerkschaften oder Medienpersönlichkeiten ausgeübt werden kann, dann ist klar, wieso sich auch Civic Hackathons als repräsentative Verfahren deuten lassen: In diesen werden partikulare Problemdiagnosen und Handlungsvorschläge mittels eines strukturierten Prozesses der Auseinandersetzung als gemeinschaftliche und allgemeine Beschreibungen hervorgebracht, validiert und autorisiert. Die repräsentationstheoretische Perspektive unterscheidet sich dabei von der einfachen Beteiligungsperspektive, da sie den demokratietheoretischen Wert nicht einfach in der gemeinwohlorientierten Entscheidungsbeteiligung sieht. Vielmehr erlaubt sie, die Bedingungen der Hervorbringung von politischen Ansprüchen auf Gemeinwohlorientierung, die symbolische Komponente und die Bedeutung von vermittelnden Institutionen zu dechiffrieren. Eine repräsentationstheoretische Analyse untersucht die Öffnungs- und Schließbewegungen, die dynamisch in einem (teil-)institutionalisierten Prozess entstehen, und offeriert normativ ein Vokabular, was den demokratischen Wert des Erhebens, Kanalisierens und Konfigurierens von Ansprüchen umfasst.Footnote 6

Bevor dies im Folgenden für das Beispiel von Civic Hackathons bzw. konkret dem #WirVsVirus-Hackathon demonstriert wird, sei noch auf eine bisherige Schwachstelle der Schriften zum „representative turn“ hingewiesen, die die vorliegende Untersuchung zumindest partiell adressiert: deren einseitiger Fokus auf diskursiv vorgetragene Ansprüche und damit einhergehend die Unterschätzung der formativen Wirkung medialer Kontexte und materialer Ausdrücke. „The idea that language is the central vehicle of politics […] is so deeply ingrained in our preconceptions of the political that it is almost impossible to imagine a public, particularly a democratic one, not constituted primarily by acts of discursive deliberation“ (Marres und Lezaun 2011, S. 492). Die Untersuchung von Civic Hackathons und dem weiteren Kontext einer technologisch orientierten und operierenden Zivilgesellschaft macht es notwendig zu reflektieren, dass die technologischen Infrastrukturen für die Hervorbringung repräsentativer Ansprüche von Bedeutung sind. Auch ein „argument by technology“ (Kelty 2005) ist möglich, welches sowohl in der Herstellung technologischer Prototypen wie in deren materieller Präsentation im öffentlichen Raum artikuliert wird. Die Repräsentationsansprüche, die im Rahmen des Hackathons verhandelt werden, müssen daher auch als „enacted through work in and on material objects“ (Marres und Lezaun 2011, S. 496) verstanden werden. Eine politische Praxis, welche die Arbeit am Objekt in den Mittelpunkt stellt, geht mit einer Dezentrierung sprachlicher Akte als Schlüssel zum Bereich der Politik einher.

4 #WirVsVirus: Analyse und Diskussion

Dies führt nun zu der empirischen Analyse des #WirVsVirus-Hackathon zu, in der untersucht wird, wie durch das Format des Hackathons das Vorbringen, die Evaluierung und die Anerkennung oder Ablehnung repräsentativer Claims strukturiert wird.

4.1 Methode und Datengrundlage

Die Untersuchung von #WirVsVirus erfolgte durch ein explorativ-qualitatives Vorgehen und ein Forschungsdesign mit einem gestuften Sampling. In einem ersten Schritt und zur Sondierung des Feldes wurde eine Analyse des umfangreichen öffentlichen Dokumenten- und Videomaterials durchgeführt. Von besonderer Wichtigkeit war dabei das dynamische Handbuch, welches den Teilnehmer*innen zur Verfügung gestellt wurde (#WirVsVirus 2020a).

Auf der Basis der Dokumentenanalyse wurde im zweiten Schritt einen teilstrukturierten Interviewleitfaden entwickelt und mittels eines noch sehr offen geführten „Helikopterinterviews“ getestet und verfeinert. Der Interviewleitfaden umfasste Fragen nach der das Format tragenden Akteurskonstellation, nach dem Prozess des Hervorbringens, Anerkennens bzw. Ablehnens von Repräsentationsansprüchen, nach der Rolle digitaler Medien und der Institutionalisierung des Formats. Anschließend wurden insgesamt sieben Gesprächspartner*innen ausgewählt, die in unterschiedlicher Funktion den Hackathon prägend mitgestaltet haben: zwei Verantwortliche der organisierenden Civic-Tech-Initiativen (Prototype Fund/ProjectTogether), zwei Verantwortliche für den Hackathon im Bundeskanzleramt (Doppelinterview), eine Jurorin sowie zwei Beteiligte an Projekten des Hackathons (Ich bin kein Virus/Corona vor Ort).Footnote 7 Neben diesen Expert*inneninterviews stand eine von 1022 Personen ausgefüllte Teilnehmer*innenumfrage zur Verfügung, die seitens der organisierenden Civic-Tech-Initiativen nach dem Hackathon unter den Teilnehmer*innen und Mentor*innen durchgeführt wurde.Footnote 8

4.2 #WirVsVirus: Darstellung und Verlauf

Der #WirVsVirus-Hackathon lässt sich konzeptionell in vier Phasen einteilen: die Phase der Initiierung (1), die Phase der Problembestimmung (2), die Phase der Lösungsfindung (3) und die sich an den eigentlichen Hackathon anschließende Phase der Verstetigung (4).

4.2.1 Initiierung

Seinen Ausgangspunkt hatte der #WirVsVirus-Hackathon in einer am 15.03.2020 stattfindenden Twitter-Konversation. In dieser fanden sich mehrere Vertreter*innen der später den Hackathon offiziell initiierenden acht Organisationen aus dem deutschsprachigen Civic-Tech-Umfeld zusammen; auch die Bundesregierung war bereits in Person von Kirsten Rulf, Leiterin des Referats für Grundsatzfragen der Digitalpolitik im Bundeskanzleramt, vertreten. Kontext der Konversation war die erfolgreiche Durchführung des Online-Hackathons „Hack the Crisis“ in Estland (13. bis 15.03.) – und diskutiert wurde, ein solches Format auch in Deutschland umzusetzen. Die Organisator*innen gingen davon aus, dass es „einen Willen in der Bevölkerung [gebe], sich aktiv einzubringen“, dass es aber hierfür „ein neues Format für gesellschaftliche Beteiligung brauche, das der Zivilgesellschaft erlaubt, koordiniert und effektiv zur Lösung von Herausforderungen beizutragen“ und ihr „kreative[s] Potenzial“ zu bündeln (#WirVsVirus 2020b, eigene Hervorhebung). #WirVsVirus sollte Zivilgesellschaft und Politik zusammenbringen und politisches Handeln ungeachtet der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen ermöglichen. Aufseiten der Politik – was in dieser Phase in erster Linie das Bundeskanzleramt meint – war bereits in dieser initialen Phase formuliert, dass Nachhaltigkeit, im Sinne einer über das Event hinausgehenden Umsetzbarkeit „echter“ Lösungen, Conditio sine qua non für das eigene Einbringen war (Interview Bundeskanzleramt). Bereits drei Tage nach der ersten Konversation waren sowohl der Name, #WirVsVirus, als auch der Legitimität verbürgende Untertitel des Hackathons – „Der Hackathon der Bundesregierung“ – beschlossen und öffentlich kommuniziert.

4.2.2 Problembestimmung

Am Donnerstag, dem 18.03., erging der Aufruf zur Beteiligung an dem für das darauffolgende Wochenende organisierten Hackathon. In diesem wurde dazu aufgefordert, Problemstellungen einzusenden, die es als Herausforderungen („challenges“) in der Coronakrise zu meistern gelte. Der Adressat*innenkreis war mit der Bezeichnung „Problemlöser:innen“ offen, aber deutlich handlungsorientiert gehalten, teilnehmen konnte, wer „Lust und Zeit und […] Internetzugang“ hatte (#WirVsVirus 2020c). Neben Bürger*innen wurden auch Akteur*innen der öffentlichen Hand explizit angesprochen.

Ungeachtet des knappen Zeitrahmens wurden mehr als 2000 Einreichungen generiert, darunter 200 Problemstellungen von Bundesministerien (#WirVsVirus 2020a). Diese wurden durch die Organisator*innen nach Faktoren wie Wirkung, Umsetzbarkeit und Qualität beurteilt. 809 Einreichungen wurden für das weitere Verfahren berücksichtigt und in insgesamt 48 thematische Herausforderungen unterteilt. Das Spektrum reichte von Infektionsschutz und Kontaktnachverfolgung bis zur Bekämpfung sozialer Folgen der Pandemie wie Isolation und Einsamkeit (eine Vorstellung und Diskussion exemplarischer, aus dem Hackathon resultierender Projekte findet sich bei: Gegenhuber et al. 2021b).

Bürger*innen, die sich zur Teilnahme am Hackathon registriert hatten, erhielten eine Übersicht über die 48 Herausforderungen und einen Zugang zu Slack, der für die Durchführung des Hackathons zentralen Kommunikationsplattform. Teilnehmende konnten sich dort selbst den zu den Herausforderungen angelegten Kanälen zuordnen und in Teams zusammenfinden. Unterstützt wurde dieser Prozess der Teambildung von Mentor*innen, die Orientierung und technologische Hilfestellungen boten.Footnote 9

4.2.3 Lösungsfindung

Die Hauptphase des Hackathons bestand in der Erarbeitung, Vorstellung und Bewertung der Prototypen. Die Teams waren angehalten bis Sonntagnacht an ihren Prototypen zu arbeiten, um diese dann in Form eines zweiminütigen Videos vorzustellen. Insgesamt gingen rund 1500 Vorschläge via Devpost und Youtube ein, die in der nachfolgenden Woche gesichtet wurden.

Zunächst war von den Organisator*innen hierbei ein öffentliches Publikumsvoting vorgesehen, welches jedoch nach Bedenken einiger Hackathon-Teilnehmer*innen zurückgenommen wurde. Diese hatten angemerkt, dass aufgrund der medialen Bekanntheit einzelner Teilnehmer*innen ein solches Voting verzerrt sein würde. Stattdessen wurde ein Begutachtungsverfahren etabliert, bei dem zunächst ca. 700 durch die Organisator*innen angefragte Personen (Mentor*innen, Expert*innen und Mitarbeiter*innen aus Bundesministerien) aufgefordert waren, im Zehnaugenprinzip eine Bewertung der Prototypen vorzunehmen. Die Kriterien hierfür waren „gesellschaftlicher Mehrwert“, „Innovationsgrad“, „Skalierbarkeit“, „Fortschritt“ und „Verständlichkeit“. Dieses Verfahren erbrachte 197 favorisierte Lösungen, die dann wiederum in fünf thematische Gruppen unterteilt (medizinische Versorgung/Diagnose und Verbreitung/Verwaltung, Information und Daten/Wirtschaft, Arbeit und Bildung/Fürsorge) einer 48-köpfigen Jury vorgelegt wurden. Die Jury fungierte dabei nicht als interaktives Gremium, sondern die Jurymitglieder waren je für sich aufgefordert, Erfolg versprechende Lösungen zu identifizieren und an die Organisator*innen zurück zu kommunizieren (Interview mit Jurorin). Auf dieser Basis wurden insgesamt 20 „von der Jury ausgezeichnete Projekte“ gekürt.

4.2.4 Verstetigung

Die Umsetzungsphase des Hackathons reichte von der Auszeichnung der Siegerprojekte bis zur offiziellen Abschlussveranstaltung am 01.10.2020. Für diese wurden durch die koordinierenden Instanzen im Bundeskanzleramt und der digitalen Zivilgesellschaft zahlreiche Förderpartner*innen organisiert. Das Programm bestand aus drei Förderlinien: dem Solution-Enabler-Programm, welches insgesamt 130 Initiativen, die zu 80 % im Rahmen des Hackathons entstanden waren, ideell, personell und teilweise auch finanziell unterstützte, welches aber – außer für die Siegerprojekte – eine erneute Bewerbung erforderte, einem zusätzlichen Solution-Builder-Programm, das für zehn dieser Projekte eine Art „Überholspur“ einrichtete, und einem Matching Fonds, der sich aus einer Crowdfunding-Kampagne samt prozentualem Zuschuss zusammensetzte. Bis Ende Juni wurde darüber hinaus das Communitymanagement auf Slack fortgeführt, welches der moderierten Diskussion und Expert*innensuche diente und somit auch nicht geförderten Projekten Möglichkeiten zur Weiterarbeit bot. Neben der Arbeit an der Umsetzung einzelner Projekte ist diese abschließende Phase durch die Versuche einer Verstetigung des Formats geprägt, die auch symbolisch legitimiert wurden. So suchten die höchsten gewählten Repräsentant*innen der Bundesrepublik – Bundespräsident und Bundeskanzlerin – jeweils aktiv das Gespräch und unterstrichen in öffentlichen Botschaften und Treffen nicht nur die Bedeutung des konkreten Hackathons, sondern auch des digitalen zivilgesellschaftlichen Engagements allgemein.

4.3 #WirVsVirus: Repräsentationstheoretische Analyse und Kritik

Aufbauend auf dieser Beschreibung des Verlaufs des Hackathons, wird nun eine Analyse der Strukturen und Dynamiken von #WirVsVirus aus der Perspektive der Repräsentationstheorie unternommen. Hierfür werden zunächst in allen vier Phasen die jeweils zentralen Repräsentationsvorgänge bestimmt, um anschließend genauer darauf einzugehen, was für Strukturierungsmechanismen greifen. In jeder der vier Phasen lassen sich die Repräsentationsvorgänge dabei in das „claim-making“ und das „claim-taking“ differenzieren.

4.3.1 Repräsentationsvorgänge in den vier Phasen

In der Initiierungsphase traten die Civic-Tech-Initiativen als „claim maker“ auf, während die etablierte Politik in Form der Bundesregierung die zentrale Audience war, die über das „claim-taking“ zu befinden hatte. Wie in den Interviews immer wieder betont wurde, waren der enge Kontakt und die vorhandenen Netzwerke zwischen Civic-Tech-Szene und staatlicher Politik hier entscheidend, um die Durchführung des Hackathons, zumal als „Hackathon der Bundesregierung“, zu realisieren. Die initiierenden Civic-Tech-Akteure sahen ihre Aufgabe im „trust-brokering“, in der Vermittlung zwischen Zivilgesellschaft und Politik. Sie konnten „auf bestimmte Leute zugehen, auf die so eine Initiative aus der Zivilgesellschaft normalerweise nicht zugehen kann“ (Interview ProjectTogether). Aufgrund des Vertrauens in die Akteur*innen war das Bundeskanzleramt bereit, den Prozess auf der politischen Seite voranzutreiben und insbesondere die Bundesministerien zu einer Mitarbeit anzuhalten: „Es war eine glückliche Zusammenfügung von Leuten, die wir kannten und von denen wir wussten, dass sie sehr, sehr verlässlich sind, von Leuten die ein gutes Netzwerk haben – und wir konnten dazu die Schirmherrschaft beisteuern“ (Interview Bundeskanzleramt).

In der anschließenden Phase der Problembestimmung verändert sich die Repräsentationsstruktur: Das „claim-making“ war offen gestaltet und erfolgte direkt aus der Gesellschaft heraus; die Anerkennung der Problembeschreibungen – das „claim-taking“ – ebenso wie die Entscheidung über deren Darstellung lag bei den Organisator*innen. Die Zusammenstellung der Herausforderung in 48 Clustern konfiguriert die Pandemie als Problemkomplex, mit welchem sich die Krisengemeinschaft konfrontiert sieht und zu dessen gemeinsamer Bearbeitung sie aktiviert wird (Berg et al. 2020).

In der Phase der Lösungsfindung des Hackathons strukturieren sich die Claims entlang der Prototypen bzw. der Videos, die die Projekte vorstellen. Die Teilnehmer*innen des Hackathons drücken ihre Problemsicht und die Vorschläge, wie auf die Herausforderungen der Krise reagiert werden kann, auf diese materiell-visuelle Weise unmittelbar aus und behaupten zugleich Durchführbarkeit und Leistungsfähigkeit ihrer Vorschläge. Die Audience ist in dieser Phase eine doppelte: zum einen die breite Öffentlichkeit, die dem Hackathon niedrigschwellig und in seiner ganzen Breite folgen kann, zum anderen aber die Expert*innenöffentlichkeit der Entscheidungsträger*innen, welche – nach dem Verwerfen des Publikumsvotings – im Modus des Rankings über die Anerkennungswürdigkeit der Lösungsvorschläge entscheidet. Während die Konstitution der Claims – die Erarbeitung der Prototypen – durch eine interaktive und kreative Dynamik geprägt ist, ist die Entscheidung über die Anerkennungswürdigkeit der Claims durch einen rational-hierarchischen Modus charakterisiert, der auf sachliche Kriterien und Expert*innenwissen rekurriert. Die Expert*innen-Jury ist dabei auch im eigenen Selbstverständnis als Filter aktiv, der Kontext und Aufhängung des Verfahrens mitdenkt: „Es gibt halt heiklere Fragestellungen oder heiklere Lösungsansätze als andere und für so einen breitenwirksamen Hackathon, wo das Kanzleramt involviert ist, versucht man jetzt vielleicht nicht die kontroversesten Dinge ins Scheinwerferlicht zu heben“ (Interview Jurorin).

In der abschließenden Phase der Verstetigung erfolgt das „claim-making“ wieder durch die organisierenden Civic-Tech-Akteur*innen. Diese nehmen die erfolgreiche Durchführung des Hackathons zum Anlass, um ihren in der Initiierungsphase erhobenen Anspruch auf die Organisationsfähigkeit breiter öffentlicher Beteiligung zu verstärken. Insbesondere die Organisation ProjectTogether wird dabei zur Scharnierstelle, wie folgendes Interviewzitat prägnant zeigt: „Also es war von vornherein klar, dass wir der Meinung sind, es sollte nicht nur ein Hackathon sein, sondern es sollte mehr sein. Wir haben auch von Anfang an überlegt, was nach dem Hackathon passieren sollte. Das heißt, wir haben während des Hackathons unser Konzept für das Umsetzungsprogramm danach – den Solution Enabler – geschrieben“ (Interview ProjectTogether). Über den Knoten ProjectTogether werden die Umsetzungsprozesse koordiniert, weitere Aktivitäten wie der diesjährige Nachfolge-Hackathon #UpdateDeutschland angestoßen und die kommunikativen Formate wie die Abschlussveranstaltungen organisiert.Footnote 10 Hierin lässt sich eine staatliche Anerkennung einer neuen Konstellation zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation sehen, die den veränderten Gestaltungsbedarf einer digitalisierten Gesellschaft akzeptiert und daher erweiterte Möglichkeiten der Organisation und Einflussnahme einräumt. Diese bestehen nicht nur in der Übertragung organisationaler Verantwortung, sondern auch in der Möglichkeit inhaltlicher Schwerpunktsetzung: etwa dem Fokus auf das Prinzip „Public Money – Public Code“, also eine Bevorzugung von Open-Source-Projekten, was ein zentrales Anliegen der Mehrzahl von Civic-Tech-Akteur*innen ist (Interview Prototype Fund).

Dies macht es erforderlich, zu reflektieren, wie Repräsentationsvorgänge strukturiert werden: Was erzeugt Grenzen von Inklusivität und Artikulationsfähigkeit erzeugt, wie werden Anschlussmöglichkeiten geprägt? Die auf den ersten Blick uneingeschränkt erfolgreiche demokratische Mobilisierung nach der bei #WirVsVirus alle, „die coden können, und die, die gar nicht wissen, was das eigentlich bedeutet“, zusammengekommen sind, um „ein positiver Teil der Zivilgesellschaft“ zu werden (Bär 2020), ist nun zumindest zu qualifizieren.Footnote 11 Hierbei bietet es sich an, die Strukturierungswirkung entlang von drei Dimensionen zu beleuchten: der technischen Mediation, dem Verfahrensmodus und der Verteilung der Handlungsmacht der Akteur*innen.

4.3.2 Technische Mediation

Digitale Technologie war die Bedingung der Möglichkeit von #WirVsVirus ebenso wie der in ihm entwickelten Prototypen. Technische Infrastrukturen sind dabei aber nie einfach neutrale Mittler, sondern bilden den Möglichkeitsraum von Kommunikation und Koordination (Berg und Staemmler 2020; Hubig 2013).Footnote 12

Wie sie wirken, lässt sich an zwei Beispielen illustrieren: Zunächst ist da die für den Hackathon gewählte Kommunikationsplattform Slack. Ein Arbeitsraum auf Slack ist wesentlich über eine Gliederung in Kanäle strukturiert, Nutzer*innen tauschen sich innerhalb der Channels aus, in denen sie Mitglied sind. Während die Organisator*innen die Vereinfachungswirkung betonen, die darin besteht, dass die Teilnehmer*innen sich selbst Teams und Themen zuordnen, wird ein Austausch über die Channels hinweg weitgehend minimiert (Interview Ich bin kein Virus/Interview Corona vor Ort). Anders als bei einem physisch stattfindenden Hackathon gab es kaum zufälliges Begegnen und kein Schielen auf andere Problembeschreibungen und Ideen. Übergreifende Kanäle gab es nur für die Beantwortung von Fragen, allgemeine Organisation und Ankündigungen bzw. für spezifische Gruppen wie Mentor*innen. So kam eine Auseinandersetzung mit allgemeinen Aspekten der gesellschaftlichen Herausforderungen der Pandemie nicht in Gang und war auch gar nicht vorgesehen. Die größere Gemeinschaftsbildung erfolgte nur durch die rahmenden Events wie die Präsentation der Projekte auf Youtube oder das große Abschlussevent, welche aber jeweils hauptsächlich unidirektional funktionierten und Zugehörigkeitsgefühl durch Dank und Adressierung erzeugten, nicht durch kommunikative Auseinandersetzung.

Zweitens zeigt sich in der Präsentation der Lösungen selbst, wie Technik strukturierend wirkt. Der Prototyp wie das hochzuladende Video lassen sich als materialisiertes Argument lesen, als „argument-by-technology“ (Kelty 2005, S. 187). Durch sie wird – basierend auf der Problemwahrnehmung der Teilnehmer*innen – die Vorstellung einer realisierbaren Lösung repräsentiert (vgl. Dickel 2019, S. 104). Der prototypische Claim verfügt damit zumindest im Prinzip über ein differenziertes Argumentationsrepertoire, dass auf unterschiedlichen Ebenen wahrgenommen wird und zur Auseinandersetzung einlädt. Zugleich formt und beschränkt seine Materialität und Technizität das, was überzeugend argumentiert werden kann. Im Zusammenspiel mit dem kurzen Zeithorizont und der Logik der Präsentabilität ergibt sich daraus ein Fokus auf kleine Stellschrauben mit (angeblich) großer Wirkung.

4.3.3 Verfahrensmodus

Der Modus, in dem der Hackathon durchgeführt wurde, ist die zweite Dimension, durch die die Repräsentationsvorgänge nachhaltig strukturiert werden. Während die praktische Organisation hauptsächlich in den Händen der organisierenden Civic-Tech-Initiativen lag, ist der Einfluss des Bundeskanzleramts nicht zuletzt darin zu sehen, dass der Hackathon auf Erfolg im Sinne von Umsetzbarkeit und der Entwicklung von Leuchtturmprojekten hin ausgerichtet wurde: „Wir waren immer sehr darauf erpicht, diese Erfolgsbeispiele zu finden und dann auch sehr viel gezielter Projekte zu fördern, die großes Potenzial haben. Also dann nicht mehr in die Masse zu gehen, sondern durch das Umsetzungsprogramm sich auf die zu fokussieren, bei denen wir auch sagen: Ja, das könnte einen guten Abschluss finden“ (Interview Bundeskanzleramt).

Während innerhalb der Civic-Tech-Szene häufig betont wird, dass der Wert von Hackathons nicht vorrangig in den Projekten selbst zu sehen ist, sondern in Netzwerken und dem durch die spielerisch-experimentelle Methode ermöglichten Austausch über Ideen (Code for Germany 2020), liegt der Fokus in der Politik auf der Legitimation qua erfolgreicher und innovativer Projekte. Insgesamt hat sich im Fall #WirVsVirus somit eine kompetitiv-lösungsorientierte Struktur durchgesetzt, die auf Vergleichbarkeit abzielt und einen Zeit- und Wettbewerbsdruck entfaltet: „Wir haben dann irgendwann alles unter dem kompetitiven Aspekt verfasst, weil wir gesagt haben, wenn sich eine Jury das anguckt und Haken machen möchte, nehmen wir eins zu eins die Struktur, die da vorgegeben ist und schreiben jeweils dazu was hin“ (Interview Corona vor Ort).

Wie schon durch die technische Mediation wurden insofern auch durch den Verfahrensmodus Reflexionsschleifen sowie der Austausch zwischen und oberhalb von Projekten erschwert. Wie bei anderen Hackathons wird dies als „feature, not a bug“ zu verstehen gesucht und argumentiert, dass die „manufactured urgency“ als Treiber kreativer Entfaltung wirkt (Irani 2015, S. 818). „Get shit done“, wie es in einem in den FAQs referenzierten Hinweisdokument zum Hackathon heißt, ist aber als Imperativ zumindest in Bezug auf das demokratietheoretische Potenzial des Verfahrens kritisch zu sehen. Denn so werden Erfahrungsasymmetrien und epistemische Ungleichgewichte wieder eingeführt, die vormals durch Inklusionsmechanismen wie das Mentor*innen-Programm zu verringern gesucht wurden.

Eine zweite strukturelle Besonderheit aus repräsentationstheoretischer Perspektive ist, dass im Format des Hackathons Problem- und Lösungsbestimmung prozedural getrennt sind. Während normalerweise in der Politik Repräsentationsansprüche, ob sie nun Themen oder Wählerschaften betreffen, in ihrer Artikulation bereits mit Lösungsvorschlägen verknüpft sind („Ich möchte Wahlkreis X mit seiner hohen Arbeitslosigkeit [Problembeschreibung] vertreten, denn durch meinen Plan zur Tourismusförderung können wir Arbeitsplätze generieren [Lösungsbeschreibung]“), wird dies bei #WirVsVirus zunächst separiert. Herausforderungen können auch ohne Lösungsvorschlag eingereicht werden, bevor sich dann im Zuge der Teambildung lösungsfokussierte Teams auf Basis der Herausforderungen konstituieren. Diese Aufsplittung korrespondiert mit der kompetitiv-lösungsorientierten Vorstellung von Politik, die das Format transportiert: Es wird eine objektive Erfassbarkeit der Probleme angenommen, für deren optimale Lösung die soziale Erfahrung, aus der die Problembeschreibung resultiert, nur eine untergeordnete Rolle spielt.

4.3.4 Verteilung von Handlungsmacht

Schaut man nun drittens darauf, wie die Ressourcen und die Positionierung von Akteur*innen Möglichkeiten der Strukturierung erzeugt, so wird zunächst deutlich, dass „claim-making“ und „claim-taking“ unterschiedlich zu bewerten sind. In Bezug auf das „claim-making“ ist der Hackathon durch eine verhältnismäßige Offenheit gekennzeichnet: Sowohl die Einreichung von Problembeschreibung als auch die Teilnahme an der Entwicklung von Lösungen stehen allen interessierten Bürger*innen offen und sind bewusst niedrigschwellig gehalten. In Bezug auf das „claim-taking“ ist das Format hingegen wenig dialogisch orientiert und im Ergebnis stark asymmetrisch. Hier sind die Organisator*innen aus Zivilgesellschaft und Politik deutlich bevorteilt, da sie die Problembeschreibungen konfigurieren, über Kriterien, Auswahlmechanismen und Jurymitglieder entscheiden und letztlich auch die gesellschaftliche Problemwahrnehmung über ihre Kommunikationsstrategie steuern.

Die handlungs- und symboltheoretische Ebene der Repräsentation treten im Prozess deutlich auseinander: So werden die Projekte als solche zwar einer diffusen, aber potenziell unbegrenzten Öffentlichkeit unmittelbar und transparent zugänglich gemacht, die Entscheidung über ihre Anerkennungswürdigkeit trifft jedoch eine Audience aus Expert*innen. Die Bürger*innenschaft verbleibt somit in der Rolle einer symbolisch beschworenen Legitimationsinstanz, für die zwar gesprochen wird, jedoch nicht mit ihr oder durch sie.Footnote 13

Wie problematisch dies ist, lässt sich am Umgang der Organisator*innen mit der Kritik des Projekts Ich bin kein Virus illustrieren: Dessen Team hatte sich mit dem Vorschlag für eine Plattform zur Sichtbarmachungen und zum Austausch über coronaspezifische Rassismuserfahrungen am Hackathon beteiligt, wurde allerdings bereits nach der ersten Auswahlstufe nicht mehr berücksichtigt. Die Vertreter*innen des Projekts bemängelten daraufhin die Bewertungspraktiken, da weder die herangezogenen Kriterien noch die Besetzung der Gremien ausreichend Diversität abbilden und eine hinreichende Berücksichtigung gesellschaftlicher Probleme erlauben würden (Interview Ich bin kein Virus; Stuetz und Kure-Wu 2020). Die internen Wege, diese Kritik vorzubringen und eine Thematisierung zu erreichen, erzeugten aber keine Resonanz. Erst als das Projekt für die Kritik an der #WirVsVirus-Organisation den reichweitenstarken Twitter-Account des Peng!-Kollektivs nutzte, kam ein Austausch über die mangelhafte Sensibilität für Themen der Diversität und des Rassismus in Gang. Dieser resultierte in einer Erklärung der organisierenden Initiativen in Zukunft auf eine diversitätssensiblere Besetzung der Gremien zu achten (#WirVsVirus 2020d) und wurde auch im vorläufigen Abschlussbericht als eine Handlungsempfehlung für kommende Formate festgehalten (#WirVsVirus 2021). Ein Modus der Vermittlung agonaler Positionen und der Möglichkeit von Kritik steht aber weiterhin aus.

5 Where to go from here? Einige Schlussfolgerungen

We believe this can be a blueprint for how governments could address pressing challenges bottom up and collaboratively with civil society (#WirVsVirus 2020a, S. 11).

Der #WirVsVirus-Hackathon lässt sich in vielerlei Hinsicht selbst als Prototyp interpretieren: Er stellt einen Versuch dar, über die experimentelle Kombination bestehender Ideen und neuartiger Kollaborationen verschiedener Akteur*innen die Möglichkeit und Zweckdienlichkeit einer Einbeziehung der Bürger*innen in politische Prozesse zu demonstrieren, auch unter der Bedingung eines großen Zeitdrucks. Als Prototyp – zumal als solcher, der von den organisierenden Instanzen als erfolgreiches Experiment bewertet wird – generiert der #WirVsVirus-Hackathon selbst neue Pfadabhängigkeiten, indem er als Modell für die künftige Gestaltung der Interaktionen von Bürger*innen und Politik herangezogen wird.

Werden digitale Technologien als Medium demokratischer Selbstregierung verstanden, in denen und durch die gesellschaftliches Zusammenleben sich neu und anders konfiguriert, dann ist die politische Ausgestaltung der Formate und Prozesse selbst von demokratietheoretischem Interesse. Die Analyse hat daher den Versuch unternommen, den impliziten Beteiligungs- und Gemeinwohlanspruch von Hackathons als Format zivilgesellschaftlicher Beteiligung zu rekonstruieren und ernst zu nehmen. Mit den Mitteln des „representative turn“ wurden die performativen und handlungstheoretischen Logiken des Hackathons explizit gemacht und die demokratische Eignung in Bezug auf die Hervorbringung von Vorschlägen zur gesellschaftlichen Gestaltung diskutiert. Dieser normative Anspruch ist zwar nicht der einzige Maßstab, an dem der Hackathon zu messen ist – das wären etwa auch sein Output, also die Qualität der durch ihn vorgebrachten Projekte –, aber ein wichtiger. „Claim-making“ und „claim-taking“ wurden nach Phasen und Akteur*innen differenziert, um strukturierende Faktoren in den Repräsentationsvorgängen zu identifizieren und somit einen begründeten Maßstab zu haben, um zu bewerten, inwiefern es gelingt, die im Hackathon erhobenen Repräsentationsansprüche in ein Kontingenz und Pluralität bewahrendes Verfahren zu überführen.

Dies erlaubte es, Leistungen wie Schwachstellen des #WirVsVirus Hackathons herauszuarbeiten: Als Ganzer stellt der Hackathon ein erfolgreiches „claim-making“ der Civic-Tech-Initiativen an den administrativen Staat dar. Im Zuge dessen wurde beansprucht, eine breite und diverse Konstellation aktiver Bürger*innen mobilisieren zu können und einen Prozess anzubieten, der konkrete und anschlussfähige Projekte hervorbringt. Die hohe symbolische Aufladung – #WirVsVirus als Hackathon der Bundesregierung – verstärkte den repräsentativen Gestus. In der Folge sind ein Anwachsen und Festigen der Verbindungen zwischen der Politik und den Initiativen zu beobachten. Die technologisch orientierte Zivilgesellschaft und der für sie spezifische Modus Operandi des Hackathon sind so näher an die institutionalisierte Politik gerückt. Mit Bezug auf die Diskussion um den Formwandel der Demokratie lässt sich eine Rekonfiguration der Beziehung zwischen politisch-administrativen Akteur*innen und Bürger*innen beobachten, bezüglich derer in den kommenden Jahren zu prüfen sein wird, ob und wie sie sich institutionell verfestigt.

Die demokratietheoretische Bewertung fällt hier aber nicht einfach positiv aus, da ein Beteiligungsangebot nicht automatisch eine Demokratisierung bedeutet. Diesbezüglich wäre es vielmehr erstrebenswert, dass Formate wie der Civic Hackathon ihren zivilgesellschaftlich-politischen Charakter beibehalten, das heißt im Kern darauf setzen, gesellschaftliches Gestalten im pluralistischen Modus reflektierter Urteilsbildung zu ermöglichen. Dass dies nicht unbedingt der Fall ist, sondern sich unter dem Deckmantel zivilgesellschaftlicher Beteiligung auch Bestrebungen einer betriebswirtschaftlichen Öffnung der Administration durch privatwirtschaftliche Initiativen finden, ist in der Diskussion um das Schlagwort Open-Social-Innovation bereits angeklungen.Footnote 14 Es wird zudem entscheidend sein, welche Rolle und Erwartungen die Politik an das Format hat und wie sie es durch diese strukturiert: Solange der Wettbewerbsaspekt mit dem Fokus auf schneller Umsetzbarkeit und in sich abgeschlossene Projekte dominant ist, wird der von diesem Typ Verfahren ausgehende Veränderungseffekt eine solutionistische Schlagseite behalten – wie sie ja auch schon die Beteiligungsliteratur artikuliert.

Die repräsentationstheoretische Betrachtung geht über diese Kritik aber sogar noch hinaus, da sie zeigen kann, dass der Hackathon zwar eine offene, selbstselektive Struktur des „claim-making“ bietet, die technische Mediation, die Verfahrensweisen und die Verteilung von Handlungsmacht aber charakteristische Schwächen befördern. Diese sollten nicht einfach unter Verweis auf den hohen Zeitdruck oder den bezeugten guten Willen vernachlässigt werden. Dagegen müsste das Instrument Civic Hackathon gezielt in seinen reflexiven Elementen gestärkt werden, um zu verhindern, dass Auslesedruck und Auswahlmechanismen dem demokratischen Potenzial des Formats zuwiderlaufen:

In Bezug auf das „claim-making“ sollte der Fokus nicht allein auf einer möglichst breiten Aktivierung der Bürger*innen liegen, sondern stärker auf den Austausch zwischen den Projekten und die Möglichkeit gelegt werden, Probleme auch oberhalb der Projekte und in der gebotenen Ausführlichkeit zu erörtern. Das besondere Merkmal des Hackathons, durch bewusst gesetzte Begrenzungen eine intensive und problemlösungsorientierte Aktivität zu begünstigen, muss darüber nicht verloren gehen. Eine solche auch auf Problembewusstsein fokussierende Wirkung könnte etwa dadurch erzeugt werden, dass die Formulierung der Herausforderungen stärker interaktiv oder iterativ gestaltet wird oder etwa die Umsetzung des Hackathons weniger ausschließlich auf „Sieger“-Projekte abzielt. So könnten Angebote gemacht werden, Lösungen neu und anders zu formulieren, um so mehr Irritationspotenzial hervorzubringen.

Noch mehr Bedarf besteht mit Blick auf das „claim-taking“: Die von den Organisator*innen am Ende realisierte mehrstufige Jurystruktur ist aus demokratietheoretischer Sicht einseitig und zudem zu monologisch strukturiert, eine Schwäche, die auch den Organisator*innen bewusst ist und von allen Interviewpartner*innen thematisiert wurde. Eine diversere Jury zu bestellen, wie es konkret gefordert, versprochen und auch schon in Blick auf das Solution-Enabler-Programm umgesetzt wurde, ist nur ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt. Das erwogene öffentliche Abstimmungsverfahren wäre kein per se demokratischer Ersatz, es könnte aber etwa als eine Vorstufe zum Juryverfahren dienen und so mehr Aufmerksamkeit für die Claims erzeugen. Deutlich weitergehend und aus Sicht der Demokratietheorie vielversprechender wäre es, das Auswahlgremium nicht nach einer expertokratischen Logik zu besetzen, sondern zumindest ergänzend auf eine Art Bürger*innenrat zu setzen, der die Vielfalt der allgemeinen Öffentlichkeit und des weiten Publikums reflektiert, das Publikum aktiv einbindet und das Instrument Hackathon klarer im Feld demokratischer Innovation positioniert.Footnote 15 Neben solchen Fortentwicklungen des Selektionsvorgangs ist zudem auf eine Stärkung interner Kontestationsmechanismen zu setzen, was gerade auch deren Formalisierung einschließt.

Insgesamt hat das Format Hackathon in Blick auf den Formwandel der Demokratie also durchaus Potenzial. Dieses zu realisieren wird aber erfordern, den Hackathon – oder allgemeiner das Feld der Open-Social-Innovation – nicht von der Logik der betriebswirtschaftlichen Prozessverbesserung her zu denken, sondern es stärker als Plattform für die politische Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens zu sehen. #WirVsVirus hat hier eine Entwicklung in Gang gesetzt. Wie immer im Kontext der Demokratie wird es aber mehr noch auf die Iteration als auf das Prototyping ankommen.