1 Einleitung

Der Beitrag analysiert den Einsatz von Visualisierungen als methodisches Gestaltungsprinzip der Zusammenarbeit in Organisationen und macht eine Verschiebung bei deren Verwendung sichtbar: Visualisierungen werden gegenwärtig eingesetzt, um ko-kreative Prozesse zu unterstützen und zu systematisieren. Die aktuelle Konjunktur von Verfahren der Sichtbarmachung organisationaler Prozesse formiert deshalb nicht nur einen erneuten Visual Turn der Managementlehre, sondern verkehrt deren Ausgangspunkt in ein logisches Gegenteil: Der Einsatz von Visualisierungen wandelt sich von einem steuerungsaffinen Modus struktureller Ordnungsvorgaben zu einem methodischen Prinzip, das ergebnisoffene Aushandlungsprozesse zum Mittel der organisationalen Zukunft macht. Dem Beitrag liegt ein Theorieverständnis von Organisation als soziale Form der Ermöglichung arbeitsteiliger Prozesse zugrunde, um die Wirkung von Strukturbildungsprozessen und den damit verbunden Blindflecken ebenso wie die Bedingungen subjektiver Beteiligungsleistungen oder sozialer Dynamiken zu reflektieren. Methodisch orientiert sich das Vorgehen am Prinzip der funktionalen Analyse, indem gefragt wird, für welche organisationseigenen Probleme ausgewählte Methoden als Lösungsversuch fungieren.

Bereits zu Beginn der Managementlehre werden Visualisierungen als organisationales Gestaltungsprinzip eingesetzt. Ihr Einsatz zielt aber vor allem darauf, Handlungsvorgaben an die Mitarbeitenden zu adressieren (2). Dagegen werden Visualisierungen in den letzten Jahren zunehmend als methodisches Mittel partizipativer Organisationsentwicklung genutzt. Etabliert haben sich dazu unterschiedliche Ansätze, die Canvas – d. h. Leinwände – nutzen, um etwa methodische Schritte der Innovationsentwicklung, die (Neu‑)Ausrichtung von Geschäftsmodellen oder etablierte Praxen des Miteinanders in Organisationen anschaulich und auf diese Weise zum Gegenstand gemeinsamer Bearbeitung zu machen. Um diese Funktionen im Einsatz von Visualisierungen zu illustrieren, werden im Beitrag verschiedene methodische Ansätze vorgestellt und organisationstheoretisch eingeordnet: So sollen im Design Thinking Visualisierungen die Internalisierung organisationaler Umwelten ermöglichen (3), realisieren sie im Business Modelling anspruchsweise die Demokratisierung von Unternehmertum (4) oder sollen sie in der Arbeit mit dem Operating System Canvas die ko-kreative Aushandlung von Leitlinien gemeinsamer Zusammenarbeit unterstützen (5). Ein abschließender Ausblick bezieht die diskutierten Methoden auf das zugrundeliegende Theoriedesign, identifiziert weiterführende Forschungsfragen und verweist auf die Notwendigkeit einer semiotisch informierten Organisationstheorie, um die Funktion und Wirkung von Bildern analytisch abzubilden (6).

2 Visualisierung als organisationales Gestaltungsprinzip

Das Interface ist zum Spiegel gesellschaftlicher Möglichkeiten avanciert. In der digitalen Moderne ist die Strukturierung subjektiver Handlungs- und Entscheidungsoptionen mehr denn je mit den Anwendungsoberflächen bunter Displays verknüpft (Airoldi 2021). Die zeitgenössische Prominenz von Abbildungsverfahren und die mediale Präsentation des Selbst resultieren aber nicht nur aus einer durch Social Media vermittelten Dauerpräsenz von Apps und Games, sondern hängen auch damit zusammen, dass Organisationen seit jeher Visualisierungen nutzen, um die eigenen Abläufe zu veranschaulichen und zu gestalten (Wendt 2020, S. 127 ff.). Als soziale Form der Ermöglichung arbeitsteiliger Prozesse koordinieren Organisationen eine Vielzahl unterschiedlicher, aber gleichzeitig stattfindender Abläufe, die auf ein übergreifendes Ziel ausgerichtet sind. Im Kontext der fortschreitenden Digitalisierung geht es in Organisationen nicht zuletzt darum, die Leistungsfähigkeit digitaler Strukturbildung anschaulich zu machen und damit das, was durch Algorithmen be- und errechnet wird. Die Eingabemöglichkeiten von Softwarelösungen fungieren als programmierte Antwort auf die Frage, welche Ablaufschritte im arbeitsteiligen Gefüge der Organisation vor- und festgeschrieben sind (Kette und Tacke 2021; Kette 2021; Wendt 2021; Manhart und Wendt 2021). Dies gilt nicht nur für betriebliche Standardsoftware, sondern auch für digitale Fallmanagement- oder Dokumentationssysteme, digitale Lehr-Lern-Arrangements, Anwendungen wie Chat- und Videokonferenzsysteme oder Datenbanken aller Art. Was möglich und zu tun ist, ergibt sich mehr und mehr aus den dynamischen Vorgaben struktureller Interfaces, indem die Tabellen, Listen und Aktenberge der Vergangenheit durch Softwarelösungen ersetzt werden.

Bilder der Organisation – als sichtbare Abbildung oder sinnbildliche Übertragung – sind ein klassischer Gegenstand der Organisationsforschung (Morgan 1986; Pätzold 2015). Dementsprechend haben auch methodische Verfahren der Sichtbarmachung organisationaler Prozesse im Management eine lange Tradition. Die Geschichte der Managementlehre ist insofern eine Mediengeschichte der Organisation, als bereits zu Beginn Visualisierungen als Mittel genutzt werden, um strukturelle Verhaltenserwartungen und Handlungsimperative über visuelle Vorgaben anzuleiten (Wendt 2022a). So nutzen etwa Frank und Lillian Gilbreth schon im Scientific Management Visualisierungen als methodisches Prinzip der Gestaltung und Verbesserung von Arbeitsabläufen. Nicht bloß im metaphorischen Sinne erzeugen die Gilbreths Bilder der Organisation: Um die jedem Arbeitsschritt zugrundeliegende Bewegung sichtbar zu machen, „wird an die Hand des Arbeitenden eine kleine elektrische Birne mit einem Unterbrecher angebracht, der in Bruchteilen von Sekunden arbeitet“ (Gilbreth 1921, S. 39). Die dadurch entstehende Lichtbahn wird gefilmt und um die für die jeweilige Bewegungssequenz notwendige Zeit ergänzt. In der gilbrethschen Praxis der Visualisierung spiegelt sich der kontroll- und steuerungsaffine Auftakt der Managementlehre (Witte 1925), indem die Funktion der präzisen Vorgabe von Handlungsoptionen methodisch-systematisch realisiert wird. Die abgebildete Lichtlinie integriert „Zeit- und Geschwindigkeitslichtpunkte“ (Gilbreth 1984, S. 21) und macht so „Best-Formen“ (Pentzlin 1963, S. 204) der Arbeitsausführung sichtbar. In der Abbildung wird dem Anspruch nach die beste Möglichkeit einer jeden Bewegung ersichtlich, mit dem Ergebnis, dass die „Reduktion eines lebendigen Vorgangs auf einen Datenschatten“ (Mehrtens 2003, S. 45) das vermeintlich objektive Vor- und Festschreiben methodisch optimierter Richtigkeitsbedingungen systematisiert. Die verbreitete Kritik an der entfremdenden Wirkung wissenschaftlicher Betriebsführung und den damit verbundenen Machtasymmetrien (Hebeisen 1999; Böhle 2010) droht dabei zu überlagern, dass sich das methodische Vorgehen der Gilbreths nicht auf die Ausdifferenzierung direktiver Handlungsvorgaben beschränkt. Denn um die Motivation von Mitarbeitenden zu steigern, werden diese in partizipativ angelegten „Laboratorien zur Erforschung von Arbeitsbewegungen“ (Gilbreth 1963, S. 218) einbezogen und arbeiten gemeinsam an der organisations- wie selbstbezogenen Sichtbarmachung von Bewegungen und der damit verbundenen Optimierung von Arbeitsabläufen. Die Grenzen direktiver Planung werden entsprechend früh registriert und durch den Einbezug von Mitarbeitenden nicht erst im Rahmen der Human Relations Bewegung zum Gegenstand der managerialen Bearbeitung.

Methodisch setzt der Anspruch, das organisationale Ablaufgeschehen objektiv abzubilden, auf einen „Bildüberlegenheitseffekt“ (Köhnen und Plontke 2018, S. 72). Dieser besteht darin, Orientierung auf den ersten Blick hin zu bieten (Manhart 2023, S. 352). Bilder der Organisation – so die Annahme – sparen die mühevolle Aushandlung von Konsens genauso ein, wie sie subjektive Abweichungsmöglichkeiten durch die Vorgabe richtiger Bewegungsschritte eliminieren. Dass die Visualisierungspraxis im frühen Management aber weniger eine störungsfreie Rationalität der Organisation durch die Formatierung von Handlungsoptionen gewährleistet, als vielmehr ein Marketinginstrument der aufstrebenden Consultingbranche darstellt, indem die dazu notwendigen Apparaturen aufwendig inszeniert werden, verweist darauf, dass der Visual Turn im frühen Management und die Sichtbarmachung von Arbeitsvollzügen nicht zwingend gleichbedeutend mit Objektivierung und Optimierung sind (Hoof 23,24,a, b). Die Annahme, dass „(stilisierte) Bilder und Graphiken die vermeintlich unmittelbare Repräsentation der Wirklichkeit erzeugen und so eine kaum hinterfragte Evidenz“ (Duttweiler 2018, S. 266) vermitteln, verliert ihre Gültigkeit allerdings bis heute nicht. Bilder wirken anders als Sprache (Böhm 2008), indem sie „unmittelbar evident erscheinen“ (Duttweiler 2016, S. 233), und zwar unabhängig davon, ob Strukturen der Zusammenarbeit in einem Organigramm oder datenförmige Zusammenhänge in graphischen Verlaufskurven abgebildet werden.

Nicht nur im Kontext der Omnipräsenz digitaler Devices und ihrer Displays spielt sich die vermeintlich unhintergehbare Evidenz bildlicher Darstellung dauerhaft ein. Auch für die Verlaufsgeschichte des Managements entfaltet die Überzeugungskraft des Sichtbaren weiterhin ihre Wirkung. Entgegen der Kritik an Ansätzen des Scientific Management und ihrer rationalitätskritischen Demaskierung – etwa in der Relativierung der handlungsprägenden Wirkung der gilbrethschen Lichtlinien und Bewegungsmodelle – zeigt sich ein strukturaffiner Steuerungsanspruch bildlicher Handlungsvorgaben beispielsweise in den Ablaufdiagrammen des Lean Managements oder den digitalen Kanban Boards aus dem zeitgenössischen Spektrum agiler Arbeitsweisen. Doch auch diese Ansätze sind Gegenstand der Kritik. Zu oft verkehrt sich die Ausgangsintention managerialer Steuerung ins Gegenteil, wenn etwa durch Verschlankung und die damit induzierte Tilgung von Überschusskapazitäten (Womack et al. 1990) auch der für Wandlungs- und Innovationsfähigkeit notwendige organizational slack (Cyert und March 1995, S. 182 f.) geopfert wird oder der Abstimmungsbedarf in agilen Organisationen durch den Rückbau von Strukturen mehr Umständlich- als Beweglichkeit bedeutet (Kühl 2023). Vor dem Hintergrund, dass die „Null-Puffer-Zielsetzung“ (Jürgens 1992, S. 268) verschlankter Organisationsabläufe im Lean Management genauso wie der Glaubenssatz der Agilität längst unter Plausibilitätsdruck geraten ist, realisieren Visualisierungen in Organisationen inzwischen eine Reihe weiterer Funktionen, die über das Adressieren direktiver Handlungsvorgaben hinausgehen.

Nimmt man die Häufigkeit und Verbreitung von Visualisierungs- und Abbildungsverfahren der letzten Jahre in den Blick (Bell et al. 2014; Nolte 2022), zeigt sich ein erneuter Visual Turn im Management. Die Verbreitung von Visualisierungen beschränkt sich jedoch nicht auf deren Dauerpräsenz auf Bildschirmen, Flipcharts oder Pinboards, in Charts oder Grafiken, ihrer Verwendung als Organigramm, als Visual Facilitation in der Begleitung von Gruppenprozessen oder als visuelle Stütze in Präsentationen. Denn Visualisierungen werden zunehmend auch als methodisches Mittel partizipativer Organisationsentwicklung genutzt, um den Grenzen organisationaler Planbarkeit zu begegnen. Etabliert haben sich in den letzten Jahren dazu unterschiedliche methodische Ansätze, die verbindet, dass sie Canvas – d. h. Leinwände – nutzen, um ko-kreative Prozesse in Organisationen zu ermöglichen und unterstützen. Der Einsatz von Visualisierungen in Prozessen der Innovationsentwicklung, der Entwicklung und (Neu‑)Ausrichtung von Geschäftsmodellen oder im Rahmen partizipativer Organisationsentwicklung schließt dabei in mindestens zweierlei Hinsicht an den Beginn der Managementlehre an: Bereits in den Laborsettings der Gilbreths geht es, einerseits, auch darum, Mitarbeitende einzubeziehen und Visualisierungen in ko-kreativen Settings der Zusammenarbeit zu entwickeln, um diese als Mittel der Organisationsentwicklung zu nutzen. Zum anderen realisiert das Prinzip der Abbildung durch die Prägnanz des Sichtbaren eine komplexitätsreduzierende Wirkung, und zwar in der Hinsicht, dass eine „beschränkte Anzahl graphischer Entscheidungsobjekte“ (Hoof 2015, S. 42) die zur Verfügung stehenden Alternativen systematisiert. Gerade weil die Produktivität von Interaktionen in ergebnisoffenen Workshops regelmäßig überschätzt wird (Kühl und Nolte 2023), kommt Visualisierungen eine strukturierende Funktion zu, in der Aufbereitung von Möglichkeiten ein gewisses Maß an Verbindlichkeit zu erzeugen. Und zwar in der Hinsicht, dass Ausgesprochenes nicht im Sinne flüchtiger Ereignisse augenblicklich vergangen ist, sondern sichtbar bleibt. Die Sichtbarmachung gewährleistet die Zeitstabilität von Informationen, um Verlauf und Ergebnis von Interaktionen abzusichern und die Flüchtigkeit des Augenblicks einzufangen. Organisationsprozesse werden auf Leinwänden abgebildet und so dem Anspruch nach als Gegenstand gemeinsamer Aushandlung verfüg- und veränderbar.

3 Die Internalisierung gesellschaftlicher Umwelten im Design Thinking

Die Nutzung einer Vielzahl unterschiedlicher Leinwand-Tools und der damit einhergehende Funktionswandel vom Mittel direktiver Steuerung zur Ermöglichung und Unterstützung von ko-kreativen Prozessen der Zusammenarbeit zeigt sich etwa im methodischen Vorgehen des Design Thinking. Als „systematische Innovationsmethode“ (Plattner et al. 2009, S. 103) wird im Design Thinking die Entwicklung innovativer und bedarfsgerechter Lösungen durch eine ergebnisoffene und bedarfsorientierte Problemraumerkundung angezielt. Die ursprünglich im Kontext der Produktentwicklung entwickelte, inzwischen aber weit verbreitete Methode beansprucht die Ermöglichung „of finding human needs and creating new solutions using the tools and mindsets of design practitioners“ (Kelley und Kelley 2013, S. 24f.). Für die Erfindung, Entwicklung und Gestaltung neuer Produkte wurden bestimmte Tätigkeitsfolgen identifiziert, die von der Problemerfassung bis hin zur Gestaltung von Lösungen reichen (Lawson 2006). Auf eine explorative, ergebnisoffene und zielgruppenzentrierte Identifikation und Analyse eines Bedarfs – etwa mithilfe von Interviews oder Beobachtungen – folgen dessen Zuspitzung und eine daran anschließende Ideengenerierung. Aus der Summe entwickelter Ideen wird dann eine Idee ausgewählt, die als Prototyp veranschaulicht und mit der jeweiligen Bedarfsgruppe getestet wird. Der Prozess wird als „system of overlapping spaces“ (Brown und Wyatt 2010, S. 33) oder als Wechsel zwischen drei bis sieben iterativ zu durchlaufenden „Design Thinking stages“ (Vianna et al. 2011, S. 18) beschrieben, wobei jeder Arbeitsphase Ergebnisoffenheit zugesprochen wird. Beansprucht wird mit diesem methodischen Vorgehen, die Personengebundenheit von Design-Prozessen zu relativieren und den damit verbundenen kreativen Schöpfungsmythos (Bröckling 2010) zu demokratisieren, indem der zugrundeliegende Prozess schrittweise abgebildet und somit erlern- und übertragbar wird.

Das Prinzip der Visualisierung spielt im Design Thinking insofern eine zentrale Rolle, als „[D]enken und [E]ntwickeln [i]n Bildern“ (Plattner et al. 2009, S. 129) in verschiedenen Arbeitsphasen methodisch kultiviert wird. Dafür steht im Design Thinking gleich eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Leinwände zur Verfügung.Footnote 1 Die Empathiekarte zielt als „Werkzeug zur empathischen Zielgruppenanalyse“ (Lewrick et al. 2020, S. 93) beispielsweise darauf, Beobachtungen der Lebens- und Gefühlswelt der Zielgruppe „einfacher zusammen[zu]fassen und unerwartete Einblicke fest[zu]halten“ (ebd.). Hierzu werden die Ergebnisse aus Bedarfsinterviews oder Beobachtungen mithilfe von Haftnotizen den auf der Leinwand vorgegebenen Feldern Aufgaben, Hören, Sehen, Denken und Fühlen, Sagen und Tun sowie Lust- und Frustfaktoren zugeordnet (siehe Abb. 1).

Abb. 1
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Empathiekarte im Design Thinking Prozess. Quelle: Eigenes Bildmaterial

Die Empathiekarte soll so das alltägliche Erleben, die Wahrnehmungen und Emotionen der Bedarfsgruppe sichtbar machen, um auf diese Weise ein unvoreingenommenes Einfühlen in deren Bewältigungsherausforderungen zu ermöglichen. Auch User Profile Canvas (Lewrick et al. 2020, S. 97 ff.), Context Map (ebd., S. 133 ff.) oder Storyboard Canvas (van Aerssen und Buchholz 2018, S. 749) stellen methodische Anwendungen einer gemeinsamen Leinwandarbeit dar. Die verschiedenen Tools sind darin gleich, dass die Arbeit mit Haftnotizen eine kollektive Aushandlung der jeweiligen Ergebnisse vorsieht und durch die Differenz verschiedener Perspektiven ein Mehrwert (Wendt et al. 2022) entstehen soll.

Im Sinne der Ko-Kreation werden im Design Thinking vorgegebene Handlungsschritte durch die Dynamik sozialer Interaktion zu ergebnisoffenen Arbeitsphasen, deren jeweiliges Ergebnis dann wiederum in das methodisch vermittelte Ablaufgeschehen eingepasst wird. Sichtbarmachung heißt hier Ergebnissicherung, und zwar in der Hinsicht, dass Ergebnisoffenheit immer wieder eingehegt wird. Ko-Kreation und Partizipation adressieren entsprechend „kein diffuses, keinerlei Vorgaben […] akzeptierendes (Mit‑)Machen“ (Manhart und Wendt 2020, S. 390), sondern bleiben an den Verwendungszusammenhang in Organisationen gebunden (Wendt und Manhart 2022a). Diese für methodisch-systematische Vorgehensweisen typische Dialektik von Beweglichkeit und Unbeweglichkeit (Wendt 2022b, S. 136) wird unter Stichworten wie Solutionism Trap oder Human Post-It Celebration als Simplifizierung der Problem- bzw. Lösungsdarstellung kritisiert (Kieboom 2014, S. 21 ff.) – mit dem Ergebnis, dass Design Thinking das Potenzial eines Allheilmittels abgesprochen wird (Müller-Seitz und Weiss 2021). Diese Kritik kann allerdings insofern nicht überraschen, als sie einerseits als Organisationskritik verstanden werden kann, andererseits Methoden aber grundsätzlich keinem Automatismus in der Etablierung von Gelingensbedingungen entsprechen. Aus organisationstheoretischer Perspektive ist deshalb vor allem interessant, welche Funktion durch die Konjunktur von Leinwänden und der dadurch induzierten Visualisierung und Systematisierung ko-kreativer Prozesse jeweils realisiert werden soll.

Neben der angezielten Demokratisierung von Kreativität und dem damit verbundenen methodisch lancierten Deus ex Machina-Effekt bezieht sich dies auf das Problem organisationaler Umweltindifferenz und den Versuch, Wahrnehmungen und Emotionen von Bedarfsgruppen empirisch zu erschließen. Vor dem Hintergrund, dass Routinisierung und Verfahrensförmigkeit als strukturelle Planungen konstitutiver Teil der eigenen Systembildung sind (Luhmann 1984, S. 268 f.) und in Organisationen regelmäßig den Effekt erzeugen, dass diese zu Pfadabhängigkeiten (Arthur 1994) tendieren und für Umweltentwicklungen nicht ausreichend sensibel sind, entspringt die Vielzahl von Leinwänden im Design Thinking der Reflexion planerischer Grenzen. Im Blick auf die organisationale Unverfügbarkeit subjektiver Kreativität (Manhart et al. 2020) gilt dies nicht nur für die methodisch angezielte Demokratisierung kreativer Prozesse, sondern auch dafür, dass Organisationen regelmäßig über kein allzu ausgeprägtes Umweltsensorium verfügen (Wendt 2023b). Dies gilt für die psychischen Gefühls- und Empfindungs(um)welten ihrer Mitarbeitenden (Fuchs 2004; Loew 2021) wie für gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Das Umweltsensorium der Organisation ist Teil ihrer eigenen Ordnung und Umwelt eine Projektionsleistung der Organisation, die aus der Ausdifferenzierung von Strukturen resultiert. In der Abbildung von Wahrnehmungen, der Gefühlswelt und den Bewältigungsherausforderungen der Bedarfsgruppe werden im Design Thinking Parameter der gesellschaftlichen Umwelt internalisiert und damit veränderliche Faktoren in die Entwicklung neuer Lösungen integriert, die Organisationen in den Routinen ihres Ablaufgeschehens nicht selbstverständlich zur Verfügung stehen. Dass Organisationen selbst weder wahrnehmen noch sich unsicher sein können (Wendt und Schröer 2023), bedeutet auch, dass Organisation ein Prinzip begrenzter Möglichkeiten ist, um schnell und angemessen auf Umweltanforderungen zu reagieren. Umweltdynamik kommt nur im Rahmen organisationaler Stellen und Zuständigkeiten in den Blick, was wiederum heißt, dass mit Strukturbildung immer blinde Flecke einhergehen. Die Integration exogener Faktoren entspricht analytisch der Wiedereinführung der Unterscheidung von System und Umwelt ins System, durch die interne Umwelten entstehen (Luhmann 1988, S. 93 f.; Wendt 2023b, S. 57 ff.). Ko-kreative Prozesse und ihre Visualisierung sollen deshalb die Reflexion planerischer Blindflecken ermöglichen, um der Negativdynamik der Selbstverständlichkeit (Ortmann 2021, S. 177) im Alltag der Organisation produktiv zu begegnen und als Katalysator interner Umwelten das dazu notwendige Irritationspotenzial vorzuhalten.

4 Die Demokratisierung von Unternehmertum im Business Modelling

Neben der methodischen Erzeugung interner Umwelten werden in Organisationen auch Personen adressiert, um von deren Abweichungs- und Kreativitätspotenzial als Mittel der Dynamisierung zu profitieren (Manhart et al. 2020). Zu Beginn der Management- und Führungstheorie werden Fähigkeiten kreativer Ideenfindung, das Aushalten von Unwägbarkeiten oder die Überwindung von Widerständen vor allem in Verkörperungen von Unternehmertum als Kontrast zur routinebasierten Stabilität der Organisation projiziert (Schumpeter 1928; Gutenberg 1929; Baecker 1999; Wendt 2023c, S. 189 ff.). Die gegenwärtige Konjunktur und Verbreitung von Leinwänden und deren Verwendung im Kontext unternehmerischen Lernens stellt dazu einen Gegenentwurf dar. Persönlichkeitseigenschaften und die für Organisationen damit verbundene Dysfunktionalität der Abhängigkeit von Einzelpersonen treten zugunsten methodischer Verfahren in den Hintergrund. Illustriert werden kann dies an der Arbeit mit dem Business Model Canvas (Osterwalder und Pigneur 2010).

Der Business Model Canvas dient dem flexiblen und gemeinsamen Arbeiten in Teams, um zentrale Aspekte der folgenden neun Bausteine eines Geschäftsmodells (ebd., S. 16 ff.) sichtbar zu machen und zu bearbeiten: Zunächst werden Kundensegmente identifiziert, an die sich das Wertangebot eines Unternehmens richtet. Anschließend definiert das Wertangebot den Nutzen für die Kundensegmente; die Kundenbeziehung beschreibt den Modus der Interaktion zwischen Organisation und Kunden; Kanäle klären, wie das Wertangebote zu den Kundensegmenten kommt und wie sie darauf aufmerksam werden. Anschließend werden mögliche Einnahmequellen für das Wertangebot erarbeitet. Für die Realisierung des Wertangebots sind Schlüsselaktivitäten, Schlüsselressourcen und Schlüsselpartner nötig. Anschließend werden Kosten(-kategorien) identifiziert, die bei der Realisierung des Wertangebots entstehen. Durch die Abbildung der neun Felder (siehe Abb. 2) ermöglicht die Leinwand nicht nur eine schnelle und einfache Visualisierung, sondern auch die Flexibilität, Ideen auszuprobieren und gemeinsam zu diskutieren. Mithilfe von Haftnotizen können zentrale Aspekte auf der Leinwand notiert, reflektiert und verändert werden. Der methodische Anspruch besteht demzufolge darin, die Entwicklung, Analyse und Veränderung von Geschäftsmodellen als Prozess der Ko-Kreation durch die Abbildung der einzelnen Bestandteile zu strukturieren.Footnote 2

Abb. 2
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Business Model Canvas im Kontext der Geschäftsmodellentwicklung. Quelle: Eigenes Bildmaterial

Der Prozess der Geschäftsmodellentwicklung beginnt in der Regel mit einer kurzen Verständigung über die neun Bausteine, zu der Leitfragen und Beispiele eingesetzt werden. Im Sinne der Annahme, dass Geschichten Menschen mehr bewegen als Logik (ebd., S. 173; Fahrenwald 2013), soll die Arbeit an der Leinwand einen gemeinsamen Aushandlungsprozess systematisieren, bei dem die Felder den Verlauf ergebnisoffener Diskussionen strukturieren (Osterwalder und Pigneur 2010, S. 15). Die Visualisierung verhindert ein mögliches Abschweifen, indem die Aufmerksamkeit immer wieder auf die eingebrachten Aspekte gelenkt und die Kommunikation auf diese Weise geordnet wird. Im Fortschreiten des Prozesses wird der aktuelle Stand unterschiedlichen Expert:innen als Feedback-Geber:innen präsentiert, um Rückmeldungen einzuholen, die zur Weiterentwicklung des Geschäftsmodells genutzt werden können. In Gründungsberatungen, Innovationslaboren oder ähnlichen Formaten geben etwa Vertreter:innen von Banken oder Investment-Fonds, kaufmännische Vorstände von Sozialeinrichtungen oder Stiftungen ebenso Feedback wie Vertreter:innen von Bund, Ländern und Kommunen oder Sozialversicherungen im Fall von Vorhaben, die (auch) auf eine öffentliche Finanzierung setzen. Damit realisiert die Arbeit mit dem Business Model Canvas den Anspruch von Open Innovation (Chesbrough 2003; Schröer 2021), den organisationalen Erwerb von Innovationsfähigkeit (Ortmann 2016; Lackas und Freis 2023; Schröer 2023) zu unterstützen, indem Potenziale der gesellschaftlichen Umwelt für die Entwicklung von Geschäftsmodellen fruchtbar gemacht werden.

Soziale Dynamik soll so nicht nur die Unabhängigkeit von den kreativen Fähigkeiten Einzelner gewährleisten, sondern auch die Negativeffekte organisationaler Struktur- und Grenzbildung durch deren stärkere Durchlässigkeit überwinden. Die Ausdifferenzierung von Organisationsstrukturen geht nicht nur mit Blindflecken und Pfadabhängigkeiten einher, sondern führt auch zur „oft beobachteten Kristallisation altwerdender Organisationen und zu der verbreiteten Einsicht, daß es besser ist, neu zu gründen als zu reformieren“ (Luhmann 1992, S. 174). Nicht zuletzt die Fähigkeit, neue Gelegenheiten zu erzeugen (Sarasvathy et al. 2010), macht die Sozialfigur des Entrepreneurs daher für Organisationen so attraktiv (Wendt und Schröer 2023, S. 162). In der gemeinsamen Er- und Bearbeitung von Geschäftsmodellen werden strategische Planung als Top-down-Prozess sowie die heroisierende Überhöhung von Unternehmer:innen jedoch verzichtbar, indem durch die Arbeit an Leinwänden eine Demokratisierungsfunktion beansprucht wird.

Im Einsatz von Visualisierungen zeigt sich deshalb auch für das Feld der Geschäftsmodellentwicklung eine methodisch-systematische Verabschiedung direktiver Steuerungsprinzipien und damit eine Gegenbewegung zum Auftakt von Management- und Führungstheorie. War zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Demokratisierung der Unternehmerfunktion im Verlust supererogatorischen Potenzials noch Ausdruck einer Verfallsgeschichte (Schumpeter 1928, S. 486), wird die Vorstellung einer ohne Rücksicht auf Verluste Widerstände brechenden Persönlichkeit inzwischen als „ziemlich krudes Menschenbild“ (Herzog 2019, S. 37) desavouiert. Die gemeinsame Arbeit am Business Model Canvas trägt deshalb auch dem Umstand Rechnung, dass den frühen Projektionen von Unternehmertum „personalistische Verkürzungen“ (Deutschmann 2008, S. 111) eingeschrieben sind. Das Potenzial kollektiver Handlungsmuster wird darin ebenso unterschätzt wie der Einfluss sozialer Zusammenhänge auf einzelne Akteure (ebd., S. 103 f.). Das „individuelle Gepräge“ (Gutenberg 1929, S. 26) der Unternehmung ist empirisch regelmäßig das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen, sodass „Innovation auf den Leistungen vieler […] beruht“ (Herzog 2019, S. 41). Im Kontext unternehmerischen Lernens und dem Versuch der Vermittlung der dazu notwendigen readiness (Arpiainen und Kurczewska 2017, S. 152) fungiert methodisch geleitete Zusammenarbeit deshalb als funktionales Äquivalent für heroisch überhöhte Subjektkonstruktionen. Die Systematisierung der Geschäftsmodellentwicklung und der Versuch, diese durch die leinwandgestützte Arbeit an Bausteinen in Aktivitätsabfolgen aufzuspalten, beansprucht die Ablösung des Unternehmergeists von Einzelpersonen, um diesen – analog zum Umgang mit Kreativität im Design Thinking – für Teamkonstellationen erlern- und übertragbar zu machen.

5 Die Neugestaltung organisationaler Zusammenarbeit mit dem Operating System Canvas

Der Einsatz von Visualisierungen im Rahmen zeitgenössischer Organisationsentwicklung beschränkt sich nicht darauf, Kreativität und Unternehmertum durch die Identifizierung von Aktivitätsabfolgen übertrag- und erlernbar oder das Rauschen der organisationalen Umwelt informationsrelevant und damit zum Gegenstand gemeinsamer Bearbeitung zu machen. Der vermutlich weitreichendste Anspruch, der mit dem Einsatz von Leinwänden und der Arbeit mit Haftnotizen verbunden ist, besteht darin, die Zukunft der Zusammenarbeit selbst zum Gegenstand gemeinsamer Aushandlung zu machen und damit Management als Modus ko-kreativer Praxis zu konzipieren (Wendt 2023a). So sollen in der Arbeit mit dem Operating System Canvas (Dignan 2019) entscheidbare wie unentscheidbare Struktur- und Erwartungszusammenhänge der Organisation anschaulich und auf diese Weise disponibel werden.

Damit eine Leinwand zum Mittel der organisationalen Zukunft wird, sieht der Operating System Canvas insgesamt zwölf Dimensionen vor, die jede Organisation standortunabhängig auszeichnen und die jeweils mit einer Leitfrage zur Stimulation einer gemeinsamen Diskussion hinterlegt sind: Purpose, Authorität, Struktur, Strategie, Ressourcen, Innovation, Workflow, Meetings, Information, Mitgliedschaft, Kompetenzentwicklung und Vergütung (siehe Abb. 3). Dieser Systematik liegt die Idee zugrunde, dass jede Organisation im Zusammenspiel von Entscheidbarkeit und Unentscheidbarkeit bestimmte (Struktur‑)Muster der Zusammenarbeit ausbildet, die zum Gegenstand der Organisationsentwicklung werden können. Im Blick auf Autorität kann beispielsweise ver- und ausgehandelt werden, wie Entscheidungen getroffen werden und wie Entscheidungsbefugnisse im Sinne der Machtkonzentration verteilt sind (ebd., S. 65 ff.). Mitgliedschaft thematisiert hingegen die Art und Weise, wie soziale Beziehungen verstanden und gepflegt werden, und nimmt deshalb neben Strukturparametern, die prinzipiell entscheidbar sind, auch kollektive Orientierungen und Praktiken im Sinne der Organisationskultur (Mensching 2008) in den Blick, die sich der Entscheidbarkeit entziehen (Dignan 2019, S. 138 ff.). In Themenformaten und Workshops werden entlang dieser Dimensionen Spannungen und Lichtblicke der Zusammenarbeit identifiziert, um positive wie negative Aspekte herauszuarbeiten und die vorherrschenden Muster des organisationalen Alltags systematisch zu hinterfragen. Wie in der Anwendung der anderen Leinwände, können die einzelnen Felder mit Haftnotizen versehen werden, um wahrnehmungs- und handlungsprägende Muster im organisationalen Alltag abzubilden und diese in die gemeinsame Diskussion einzubringen. Was dann sichtbar gemacht ist, kann dem methodischen Anspruch nach nicht einfach übergangen werden. Gerade weil bekannt ist, dass schwach strukturierte und ergebnisoffene Situationen den Ausdruck von Persönlichkeitsunterschieden ermöglichen (Mischel 1977, S. 347) und somit bestimmte Persönlichkeitsprofile beim Durchsetzen ihrer Interessen bevorteilen, soll Visualisierung die Verbindlichkeit gewährleisten, dass die eingebrachten Punkte zum Gegenstand der gemeinsamen Aushandlung werden. Die Dimensionen des Operating System Canvas fungieren so als Ausgangspunkt, die gegenwärtigen Bedingungen mit zukünftigen Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu kontrastieren.

Abb. 3
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Operating System Canvas im Prozess der Organisationsentwicklung. Quelle: Eigenes Bildmaterial

Auch wenn die Metaphorik des Betriebssystems der Organisation ein technizistisches Grundverständnis von Organisation suggeriert, wird ein organisches Miteinander als Zielsetzung betont: „If teams are truly free to try new things and adopt what works, innovation can become organic“ (ebd., S. 107). Die Dimensionen des Canvas werden demzufolge als miteinander verknüpfte und sich überlappende Bereiche verstanden, die nicht strikt voneinander getrennt und wechselseitig exklusiv sind, wie der erste Blick womöglich suggeriert. Der erste Blick ist aber für das ko-kreative Ablaufgeschehen insofern relevant, als die Leinwand visuelle Ankerpunkte bietet und deshalb den Versuch darstellt, die mit der Wirkung von Bildern verbundene Integration von Präzision und Vagheit (Manhart 2023, S. 352) methodisch nutzbar zu machen. Denn durch die Sichtbarmachung von subjektiven wie kollektiven Lichtblicken und Spannungen wird ein Informationswert markiert, dessen Präzision als Basis für ein zugleich kommunikatives und damit dynamisches, inhärent vages Aushandlungsgeschehen fungiert. Gerade weil „Talk“ in Organisationen nicht gleichbedeutend mit „Action“ ist (Brunsson 1989), braucht es, einerseits, ein Mindestmaß an Verbindlichkeit, während diese, andererseits, als Ergebnis kollektiver Abstimmungs- und Sinnbildungsprozesse entstehen soll. Mit der Verwendung des Operating System Canvas ist der Anspruch verknüpft, die Struktur der Organisation auf Leinwänden sichtbar und dadurch veränderbar zu machen, dass sie zum Gegenstand gemeinsamer Aushandlung wird. Damit wandelt sich der Einsatz von Visualisierungen in der Verlaufsgeschichte der Organisationsentwicklung von einem steuerungsaffinen Modus struktureller Handlungsvorgaben zu einem methodischen Prinzip, das ko-kreative Aushandlungsprozesse zum Mittel der organisationalen Zukunft macht.

6 Abschluss: Bilder organisationaler Zukunft

In aktuellen Ansätzen der Managementlehre wird durch die Arbeit vor und an Leinwänden die Realisierung verschiedener Funktionen beansprucht. Im Design Thinking sollen relevante Umweltinformationen verfügbar werden, die schrittweise Abbildung der Kernbestandteile von Geschäftsmodellen zielt auf die Demokratisierung von Unternehmertum und in der Arbeit mit dem Operating System Canvas wird Management schließlich als Modus ko-kreativer Praxis entworfen. Damit ist nicht gesagt, dass die skizzierten Methoden zwingend erfolgreich sind. Vielmehr verweist die Konjunktur von Ansätzen der Ko-Kreation auf einen zentralen Punkt bei der Gestaltung der Zusammenarbeit in Organisationen: Als soziale Form der Ermöglichung arbeitsteiliger Prozesse sind Organisationen weder Gemeinschaften noch bestehen sie aus Gruppen (Wendt und Manhart 2022b, S. 478). Die Koordination unterschiedlicher Handlungsvollzüge realisiert immer auch einen funktionalen Zusammenhang. Mit der Ausdifferenzierung handlungsleitender Strukturen werden aber nicht nur arbeitsteilige Prozesse ermöglicht, sondern sind auch planerische Grenzen verbunden. Diese beziehen sich nicht ausschließlich auf strukturbedingte Blindflecken, Pfadabhängigkeiten oder die Abhängigkeit von personengebunden Potenzialen und Fähigkeiten, sondern auch darauf, dass Organisationen nicht zwangsläufig eine soziale Integrationskraft entfalten. Die gemeinsame Arbeit vor und an Leinwänden ist eine Reaktion darauf, dass Organisationen auf etwas angewiesen sind, das sie selbst nicht herstellen können. Die diskutierten ko-kreativen Verfahren und die damit verbundene Verwendung von Leinwänden werden als funktionales Äquivalent zu Prozessen organisationaler Strukturbildung eingesetzt, verbunden mit der Hoffnung, dass sie die Bedingungen der eigenen Unwahrscheinlichkeit erfolgreich bearbeiten. Der mit den unterschiedlichen Methoden der Visualisierung verbundene Anspruch der gemeinsamen Erarbeitung organisationaler Zukünfte produziert daher empirischen Forschungsbedarf. Dies gilt in der Analyse der empirischen Triftigkeit der mit Ko-Kreation verbundenen Zielsetzungen etwa hinsichtlich des Zusammenhangs von Visualisierung und sozialer Integration, in ihrer Bedeutung für das Entscheidungsverhalten in Organisationen, für die Umweltsensibilität der Organisation, aber auch für die sozialen Effekte der zunehmenden Nutzung von (Daten‑)Visualisierung auf Displays und Interfaces. Das Ziel der Veränderbarkeit von Organisationsprozessen durch Sichtbarmachung wirft im Kontext von organisationalem Lernen, Transformation und Innovation zudem die Frage auf, wie Forschungsergebnisse für und in der Praxis produktiv gewendet werden können, damit Ko-Kreation nicht lediglich einer normativen Reformulierung von Zusammenarbeit entspricht.

In Organisationen verbinden sich nicht alle Punkte wie beim Malen nach Zahlen, sondern werden entscheidbare wie unentscheidbare Erwartungszusammenhänge integriert. Das methodengestützte Erzeugen von organisationalen Zukunftsbildern entspricht der Praxis des Chiaroscuro, für die als Hell-Dunkel-Malerei das Spiel mit Kontrasten typisch ist: Noch jede Methode verspricht in der Lösung organisationaler Probleme und der Realisierung von spezifischen Funktionen auf der konzeptuellen Ebene mehr Licht als Schatten zu sein. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich methodische Vorgehensweisen immer empirisch bewähren müssen, verweist die dem Beitrag zugrundeliegende Frage nach den Problemen hinter Lösungen deshalb noch auf einen weiteren Punkt: die Notwendigkeit einer semiotisch informierten Organisationstheorie, die Bilder und Sprache als eigene Wirkprinzipien und Formen der Anschlussbildung zueinander differenzieren kann. Denn ein Bild drückt grundsätzlich etwas anderes aus als tausend Worte.