1 Einleitung

Beim Spitzensport handelt es sich, wie sportsoziologisch vielfach beschrieben wurde, um einen Sozialbereich, in dem die Aufmerksamkeiten und Anstrengungen der Beteiligten fundamental auf das Erzielen von körperlichen Höchstleistungen und Wettkampferfolgen durch systematisches Training hin ausgerichtet sind bzw. werden müssen. Die Frage nach der Bewältigung von Misserfolg und enttäuschten Erfolgserwartungen ist in diesem sozialen Feld daher besonders virulent, wohnen diese doch jedem Leistungsvergleich als Möglichkeiten inne. Misserfolg und Enttäuschung gehören konstitutiv zum (Berufs‑)Alltag von Spitzensportlern und -trainern;Footnote 1 der Umgang mit ihnen muss konsequent eingeübt, routinisiert und professionalisiert werden. In keinem Fall dürfen Negativerfahrungen zu dauerhaften Motivationsverlusten oder Konflikten führen, denn das würde den Wettkampferfolg und schließlich auch den Verbleib der Betroffenen im kompetitiven Feld gefährden.

Trotz dieser Virulenz sind konkrete Studien zum Umgang mit Misserfolg und Enttäuschung in Trainingsprozessen bislang rar. Der vorliegende Aufsatz setzt an diesem Forschungsdesiderat an und beleuchtet am empirischen Fall des leistungsorientierten Fußballtrainings einen solchen Umgang exemplarisch. Er greift dafür auf praxissoziologische und subjektivierungstheoretische Zugänge sowie Goffmans Cooling-out-Aufsatz (1952) zurück.

Den Ausgangspunkt von Goffmans Aufsatz bildet die Frage, wie das Opfer („the mark“) eines Spielbetrugs nach einer von ihm selbst anerkannten Niederlage von anderen („the cooler[s]“) derart mit dem enttäuschenden Ereignis versöhnt wird, dass es in seinem verletzten Selbstbild nicht die öffentliche Ordnung und den Fortbestand des Spiels gefährdet. Eine friedliche Fortsetzung sozialer Interaktionen im Anschluss an öffentlich bezeugte Niederlagen ist demnach davon abhängig, dass Enttäuschungserfahrungen und Stigmata erfolgreich „ausgekühlt“ werden. Mit dieser Ausgangsbeobachtung liefert Goffmans Theorem einen instruktiven Ansatzpunkt, um Trainingsgeschehnisse im Hinblick auf Dynamiken der „Abkühlung“ von Emotionen, der Enttäuschungsverarbeitung und Konfliktprävention, aber auch der Wiederherstellung von Motivation, Engagement und Anstrengungsbereitschaft (Warming up) zu analysieren. Im Folgenden wird Goffmans Theorem dazu mit den Konzepten der sozialen Praktiken und der Subjektivierung kombiniert. Wie gezeigt wird, offenbart eine solche Analyse eine ganze Reihe von Aspekten von Cooling-out-Prozessen, die Goffman selbst unberücksichtigt gelassen hat.

Konkret rekurriert der vorliegende Artikel auf eine ethnografische Studie, in der das Training zweier Fußballmannschaften des fortgeschrittenen Nachwuchs- und Übergangsbereichs erforscht wurde. Aus dem Gesamtkorpus wird auf Daten zu Trainingsprozessen zurückgegriffen, in denen Spieler und Trainerstab die Mannschafts- und Individualleistungen in vergangenen Spielen rückblickend analysieren, um Gründe für enttäuschende Verläufe und Ausgänge zu identifizieren, passende Interventionen zu eruieren und so zukünftige Erfolge sicherzustellen. Die Spiel- und Leistungsanalysen vollziehen sich in unterschiedlichen Kontexten und Konstellationen. Allen ist jedoch gemein, dass bestimmte technische Artefakte mitwirken, die die Rückwendungen der Teilnehmer grundlegend vermitteln: Videoaufzeichnungen. Der Artikel eruiert, wie Aufzeichnungen in Fällen, in denen Trainer und/oder Spieler den Verlauf und Ausgang eines Spiels sowie spielerische Leistungen während des Spiels selbst als enttäuschend erlebt haben, als Medien der Objektivierung dieser Eindrücke mobilisiert werden, und fragt nach ihren genuinen Beiträgen zu deren Verarbeitung. Mit der Konzentration auf Videos wird dabei ein neuer, über Goffman hinausgehender Akzent gesetzt, in dessen Ausführungen Analyse- und Objektivierungstechnologien keine Berücksichtigung finden.Footnote 2

In theoretischer Hinsicht werden diese Spiel- und Leistungsanalysen im Sinne der neueren Praxissoziologie (z.B. Reckwitz 2003; Schatzki 2002; Schmidt 2012) als soziale Praktiken perspektiviert, in denen sich Trainer und Spieler zu kompetenten und einander als professionell anerkennenden Teilnehmern des Feldes Nachwuchsleistungsfußball subjektivieren. Der dabei angewandte Subjektivierungsbegriff (Foucault 1985; auch Alkemeyer 2013; Reckwitz 2007) fokussiert die Interaktionen, in denen sich die Teilnehmer auf die Feldanforderungen einstellen und auf die Erbringung starker Leistungen sowie einen spezifischen Umgang mit Misserfolg und Enttäuschung verpflichten. Darüber hinaus geraten die in diesen Interaktionen angebahnten und dauernd aktualisierten Selbst‑, Welt- und Machtverhältnisse in den Blick.

Wie die empirische Untersuchung zeigen wird, werden in den Analysepraktiken keineswegs nur vergangene Spielereignisse verarbeitet, die eine für alle Beteiligten gleichermaßen eindeutige Qualität besitzen. Vielmehr wird der Wert bestimmter Spielereignisse im Sinne von Erfolg oder Misserfolg bzw. von guter oder schwacher Leistung in deren Verlauf erst festgelegt und vereindeutigt. Enttäuschungen sowie die jeweilige Verantwortung für Misserfolg werden zwischen den Teilnehmern kontrovers verhandelt und zugerechnet. Mit Goffman gesprochen kommt es dabei auch zu einem „marking“: Einzelne Spieler werden vor oder abseits des Teampublikums qua „Videobeweis“ mit ihren Fehlern konfrontiert und herausgefordert, die damit latent einhergehende Infragestellung ihrer Reputation im Team sowie ihres Selbstbilds professionell zu handhaben. Wie bei Goffman lassen sich auch hier Maßnahmen des Cooling out beobachten, die den „markierten“ Spielern diesen Umgang erleichtern und damit etwaigen Konfliktsituationen vorbeugen.

Die im Folgenden diskutierten Beobachtungen weisen jedoch insofern über Goffmans Ausführungen hinaus, als dieser den Misserfolg als „objective fact[s] of social life“ (Goffman 1952, S. 461) unhinterfragt an den Anfang von Cooling-out-Prozessen stellt und so reifiziert. Die per Video analysierten Spielszenen sind hingegen hochgradig interpretationsbedürftig, sodass eine Deutung als Misserfolg und die daran anschließende Zuschreibung von Verantwortung selbst als eine Folge sozialer Wertzuschreibungen und -abwägungen aufzufassen sind. Zudem verweist der hier beleuchtete Fall auf eine kompetitive Team-Konstellation, in der die bei Goffman eindeutig und fest verteilten Positionen von „mark“ und „cooler“ zwischen den Mitgliedern auf machtvolle und latent konflikthafte Weise zugewiesen, übernommen und mitunter auch abgewiesen werden. Schließlich zeigt der Aufsatz die von Goffman unbeachtete eminente Bedeutung medialer Artefakte für den Ablauf derartiger Positionierungs- und Zuschreibungsprozesse auf: Es wird verdeutlicht, wie die Videoaufzeichnungen selbst diese Prozesse vermitteln und verändern, wie sie Dynamiken des Enttäuschungs‑, Misserfolgs- und Konfliktmanagements prägen und so Einfluss auf die Formierung leistungsstarker Mannschaften sowie die Subjektivierung der Teammitglieder nehmen.

Der Artikel ist wie folgt aufgebaut: Der folgende Abschnitt (2) beschäftigt sich mit Merkmalen des Spitzen- und Teamsports. Zuerst (2.1) wird der Spitzensport als eigener Sozialbereich genauer profiliert und der Beitrag des vorliegenden Aufsatzes zum sportsoziologischen Forschungsstand weitergehend erläutert. In Abschnitt 2.2 werden die spezifische Vollzugslogik und die Strukturmerkmale des Teamsports fokussiert. Es wird ausgeführt, warum insbesondere als enttäuschend erlebte Spielverläufe und -ausgänge nachträglich oft aufwändig im Hinblick auf die Leistungen der Beteiligten analysiert werden. Zugleich wird damit der Fokus auf diese Analysen begründet. Danach werden in Abschnitt 3 die theoretische Analytik sowie das methodische Vorgehen der Datenerhebung und -auswertung dargelegt. Der vierte Abschnitt – und Hauptteil – gibt empirische Einblicke in vier Praktiken der videogestützten Spielanalyse. Es wird illustriert, wie sich die Verarbeitung von Enttäuschung und erlebtem Misserfolg in jeder einzelnen dieser Praktiken sowie transkontextuell über die verschiedenen Praktiken hinweg vollzieht. Im Fazit (5) werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst, bevor ausblickend (6) Perspektiven für Anschlussforschungen sowohl innerhalb als auch jenseits des spitzensportlichen Feldes eröffnet werden.

2 Spitzen- und Teamsport in soziologischer Einstellung

2.1 Leistung und Erfolg im Spitzensport

Beim Spitzensport handelt es sich um einen vielbeachteten Untersuchungsgegenstand der Sportwissenschaft. In sportsoziologischen Arbeiten wird er als hochselektives und -kompetitives soziales System oder Feld beschrieben, in dem alle organisationalen Prozesse und Anstrengungen auf das Erbringen körperlicher Höchstleistungen sowie das Erzielen von Siegen und Wettkampferfolgen im Vergleich mit einer formal gleichgestellten Konkurrenz gerichtet sind. Sport ist hier nicht bloß Hobby, sondern zentraler Lebensinhalt und zum Teil Hauptberuf der Praktizierenden. Der Spitzensport erfordert von den Teilnehmern eine kontinuierliche Trainingsarbeit an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit – bleibt diese aus, droht, da Kaderplätze notorisch knapp sind, die Exklusion.

Systemtheoretische Zugänge beschreiben die Operationen des Spitzensports in einer binären Logik von Leistung/Nicht-Leistung (Stichweh 1990, S. 385 f.) bzw. Sieg/Niederlage (Schimank 1988, S. 3; Cachay und Thiel 2000, S. 134). Die Niederlage respektive der Misserfolg bildet in einer solchen Perspektive das notwendige Gegenstück des Sieges respektive des Erfolgs und ist jedem Leistungsvergleich als Möglichkeit inhärent. Mehr noch: Insofern der Sieg bzw. der Erfolg – zumindest auf die längere Sicht eines Liga- oder Pokalwettbewerbs – stets nur Einem vorbehalten ist, markiert er den Ausnahme-, die Niederlage bzw. der Misserfolg aber den Normalfall des Leistungsvergleichs (Bette 1999; Dresen 2014). Vor diesem Hintergrund besteht eine zentrale Anforderung an die Teilnehmer darin, ihre Motivation und ihren unbedingten Willen zur Leistungssteigerung auch dann sicher- und wiederherzustellen, wenn ihre Erfolgserwartungen enttäuscht wurden. Diese Fähigkeit gilt es ebenso systematisch zu trainieren wie die Optimierung körperlicher Leistungen selbst.

In gesellschaftsdiagnostischer Perspektive wird häufig argumentiert, dass der Spitzensport gerade aus dieser Konzentration auf die genannten Binärunterscheidungen seine enorme gesellschaftliche Popularität beziehe. In einer unübersichtlich gewordenen (post-)modernen Welt ermögliche er aufgrund seiner eindeutigen Signatur im Gegensatz zu anderen Sozialbereichen ein direktes, eindeutiges Feststellen von Siegern und Verlierern (von Krockow 1974). Der Spitzensport gelte dabei als eine der letzten „meritokratischen Enklaven“ (Bette 2019, S. 113) der Gesellschaft: Während anderswo Leistung und Erfolg immer häufiger auseinanderträten (Neckel 2014), seien hier doch – so zumindest das Versprechen – diejenigen siegreich, die durch eigene Anstrengung die beste Leistung erbrächten. Der Spitzensport steht in dieser Sicht für ein Gerechtigkeitsideal und exponiert sich selbst als ein Sozialbereich, in dem Erfolg nicht auf zufällig erworbenen Vorteilen, sondern allein auf ehrlicher Arbeit und Eigenleistung beruht (Bette 2019; Bröckling 2014; Müller 2009, S. 198 ff.).

Die genannten soziologischen Arbeiten, die diese Sicht auf den Spitzensport geprägt haben, bieten wichtige Ansatzpunkte, um zu verstehen, mit welchen Herausforderungen Sportler und Trainer alltäglich konfrontiert sind, und bilden für den vorliegenden Beitrag in dieser Hinsicht einen zentralen Bezugspunkt. Jedoch findet man dort nur wenige Hinweise zu der Frage, wie genau die Teilnehmer die genannte Herausforderung des Umgangs mit Niederlagen praktisch bewältigen – wie sie also enttäuschte Erfolgserwartungen bearbeiten und lernen, angesichts erlebter Misserfolge nicht zu resignieren, sondern sich immer wieder von Neuem für neue Anstrengungen und Leistungssteigerungen zu motivieren.

Wie eingangs erwähnt, bearbeitet der vorliegende Artikel dieses Forschungsdesiderat durch eine Rekonstruktion und Analyse konkreter Trainingspraktiken.Footnote 3 Von der empirischen Praxis der Teilnehmer ausgehend wird zugleich der Zusammenhang von Leistung/Nicht-Leistung und Erfolg/Misserfolg problematisiert. Dabei wird sich zeigen, dass die Leitunterscheidungen von Leistung/Nicht-Leistung sowie Erfolg/Misserfolg für die Teilnehmer gerade nicht als unhinterfragte Orientierungspunkte fungieren, die ihre Interaktionen im Sinne feststehender binärer Kategorien organisieren. Stattdessen muss ausgeleuchtet werden, wie genau Leistung und Nicht-Leistung sowie Erfolg und Misserfolg relativ unabhängig von dem „faktischen“ Ergebnis eines Siegs oder einer Niederlage verhandelt und zuallererst zugeschrieben werden. In diesem Punkt schließt der Beitrag an verschiedene, wiederum vorrangig systemtheoretisch argumentierende Studien über die Zurechnung von Leistung und Erfolg im Spitzensport an (Cachay und Fritsch 1983; Müller 2009), ergänzt diese jedoch durch einen Fokus auf die mit diesen Zuschreibungsprozessen verwobenen Dynamiken des Enttäuschungs- und Konfliktmanagements sowie auf deren subjektivierende Effekte im Kontext der Nutzung von Analyse- und Objektivierungstechnologien.

2.2 Strukturmerkmale des Teamsports

Die im Folgenden untersuchte Empirie rekurriert auf leistungsorientiertes Training von Fußballmannschaften und damit auf einen besonderen Bereich des Spitzensports. Im Hinblick auf die Verarbeitung von Enttäuschung und Misserfolg sind insofern auch die spezifische Vollzugslogik des Spiels und einige Strukturmerkmale von Sportspielmannschaften in Rechnung zu stellen, die sich etwa vom Individual-, aber auch vom kooperativen und antagonistischen Partnersport unterscheiden (Cachay und Fritsch 1983).

Sportspiele wie der Fußball realisieren sich in arbeitsteiligen „Figurationen“, in denen die Teilnehmer in vielfältigen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen stehen (Elias und Dunning 2003, S. 338 ff.). Jeder Spieler ist durch die Mitspieler beeinflusst und wirkt wiederum seinerseits auf diese zurück. Der Erfolg einer spielerischen Aktion liegt nie allein in den Händen ihres Urhebers, sondern entscheidet sich darüber, wie Mitspieler auf sie reagieren. Eine passgenaue Flanke in den Strafraum kann erfolglos im Sande verlaufen, wenn sie Mitspieler überrascht oder der Abnehmer sie nicht mit einem Torschuss verwerten kann. Der Verlauf und Ausgang eines Spiels oder einer Spielsituation entzieht sich der umfassenden Kontrolle einzelner Spieler und ist nicht eindeutig und allein auf deren individuelle Leistungen zuzurechnen. Begründet ist die Irreduzibilität von Spielerfolg auf individuelle Leistung zudem nicht zuletzt durch die Beteiligung einer gegnerischen Mannschaft, die selbst dann, wenn die (Inter‑)Aktionen der Spieler eines Teams ausgezeichnet koordiniert sind, durch ein geschicktes Eingreifen in entscheidenden Momenten einen unter dem Leistungsaspekt gerechtfertigten Ausgang ins Gegenteil verkehren kann. Die Mannschaftssportspiele kennen aufgrund ihrer spezifischen Vollzugslogik unverdiente Ausgänge viel häufiger als andere Sportarten. Immer wieder kommt es zu unverdienten Spielergebnissen, die in den Augen der Beteiligten nicht den erbrachten individuellen und/oder kollektiven Leistungen entsprechen und daher nicht eindeutig als Erfolg oder Misserfolg qualifiziert werden können.

Für die in das Spiel eingebundenen Teilnehmer sind die komplexen Verflechtungsdynamiken während seines Vollzugs selbst nur bedingt zu durchschauen. Sie agieren im Spiel auf der Basis ihres praktischen Sinns in „begriffsloser Kohäsion“ (Bourdieu und Wacquant 2006, S. 42), d.h. einem unmittelbaren und vorprädikativen, „affektiven“ Selbst- und Weltbezug (von Scheve und Berg 2017, S. 42). Der Handlungsdruck des Spiels verunmöglicht ihnen ein reflexives Heraustreten aus dem Geschehen über weite Strecken. Für die auf diese Weise „total“ engagierten Teilnehmer stellt sich das Spiel somit nicht als kohärente Figuration dar. Vielmehr nimmt jeder Teilnehmer eine singuläre Position ein, auf der sich in jedem Moment des Spiels akut besondere Herausforderungen stellen. Die Perspektiven der Teilnehmer auf das Spiel und seine Verläufe unterscheiden sich mitunter erheblich.

Auch nach Ende eines Spiels haben sowohl Spieler als auch Trainer nicht selten nur einen ungefähren Eindruck von der Verdientheit oder Unverdientheit des Spielausgangs und der Qualität der spielerischen Leistungen. Misserfolg wirkt auf häufig zunächst eher diffuse Art enttäuschend. Spiele werden deshalb in ihrem Nachgang von den Teilnehmern systematisch reflektiert, um subjektive Eindrücke aus dem Spiel zur Disposition zu stellen. Für diese Analysen wird oft auf Videoaufzeichnungen zurückgegriffen, an denen die Teilnehmer ihre spontanen Enttäuschungen über das vergangene Geschehen objektivieren und in der Folge genauer ergründen. Spielverläufe und -ausgänge werden rückblickend auf ihr Zustandekommen durch die Beiträge der einzelnen Spieler hin detailgenau studiert und zugerechnet. Dabei wird „festgestellt“, welche Aktionen als dem Mannschaftserfolg zu- oder abträglich und somit als gute oder schlechte Leistungen zu qualifizieren sind. Im gleichen Zuge werden Interventionen avisiert, um die identifizierten Schwächen zu tilgen.

Gerade im Vergleich zum Einzelsport ist bei derartigen Analysen und Zurechnungen in Sportmannschaften des Spitzenbereichs von einer latenten Spannung und Konflikthaftigkeit auszugehen (Elias und Dunning 2003). Denn zum einen multipliziert sich durch die vergleichsweise vielen Teilnehmer die mögliche Zahl differierender Perspektiven, zum anderen gibt es eine teaminterne Binnenöffentlichkeit, die sowohl durch offizielle Hierarchien als auch durch informelle Machtverhältnisse differenziert ist. Aufgrund ihrer institutionellen Macht- und Verantwortungsposition sind insbesondere die Trainer, aber auch die Spieler angehalten, die damit gegebenen Konfliktrisiken kommunikativ auszutarieren. Von Letzteren wird erwartet, zwischen sachlich gerechtfertigten und ungerechtfertigten Zuschreibungen ihrer Trainer und/oder Mannschaftskollegen zu differenzieren. Gerechtfertigte Kritik an Leistungen und Beiträgen zu unerwünschten Spielverläufen gilt es anzunehmen und zielgerichtet in entsprechende Trainingsanstrengungen zu übersetzen. Zugleich müssen ungerechtfertigte Zuschreibungen zurückgewiesen und gegebenenfalls an andere Teammitglieder verwiesen werden.

Diese Notwendigkeit hängt mit einer weiteren Struktureigentümlichkeit des leistungsorientierten Mannschaftssports zusammen: Die Spieler stehen einerseits in einem Kooperationsverhältnis und müssen arbeitsteilig als Team funktionieren, um gemeinsam Erfolge gegen die externe Konkurrenz zu erzielen. Zugleich stehen sie aber auch in interner Konkurrenz zueinander und streiten um knappe Kaderplätze,Footnote 4 den Verbleib im Feld und die besondere Gunst von Trainern als zentralen Entscheidungsträgern im Selektionsprozess. Trainer wiederum sind mit der Herausforderung konfrontiert, von ihnen identifizierte Leistungsschwächen einzelner Spieler trotz des eigenen Erfolgsdrucks, den sie vereinsintern vor allem von Funktionären, aber auch öffentlich durch Fans und Journalisten vermittelt bekommen, möglichst sachlich anzusprechen und gezielt durch passende Trainingsinterventionen anzugehen. Ihre Zuschreibungen haben sie gegebenenfalls auch gegen Widerstände durchzusetzen, wollen sie ihre institutionell verbürgte Deutungshoheit nicht verlieren. Dabei müssen sie nicht nur die emotional-motivationale Verfasstheit der Spieler in Rechnung stellen, sondern auch die für die Erzielung von Wettkampferfolgen wichtige „Binnenintegration“ der Mannschaft im Blick halten (Cachay und Fritsch 1983). Vor diesem Hintergrund gilt es, sowohl die Äußerung von Kritik gut abzuwägen als auch etwaige Konflikte zwischen Spielern erfolgreich zu moderieren.

3 Theorie und Methode

3.1 Theoretischer Zugang: Subjektivierung und Cooling out in Analysepraktiken

Unter Bezugnahme auf praxissoziologische Arbeiten werden Spielanalysen im Folgenden als soziale Praktiken perspektiviert, die zusammen mit weiteren Trainingspraktiken, aber auch Praktiken des Organisierens das Feld Nachwuchsleistungsfußball konstituieren. Das Feld wird dabei als ein „Plenum“ (Schatzki 2016, S. 32) aus verschiedenen Praktiken operationalisiert, die in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht miteinander zusammenhängen und zentral auf die Praxis des Spielens und Wettkämpfens bezogen sind. Bei diesen Praktiken handelt es sich um historisch gewachsene, wiedererkennbare Aktivitätenmuster, die durch spezifische Anforderungen und Erwartungen organisiert und auf bestimmte Ziele und Zwecke gerichtet sind (Schatzki 2002, S. 59 ff.). Trainingspraktiken beispielsweise zielen ausdrücklich darauf, ihre Teilnehmer körperlich, aber auch emotional und kognitiv für den Wettkampf bereit und im Feld des Spitzensports „mitspielfähig“ zu machen (Brümmer 2015). Das zentrale praxissoziologische Axiom lautet dabei, dass Praktiken nur in ihrem Vollzug existieren (Alkemeyer et al. 2015). Sie sind stets in konkrete Situationen eingebettet, in denen und über die hinweg sie sich reproduzieren und transformieren (Reckwitz 2003, S. 294 ff.). Praktiken werden in den Interaktionen ihrer Teilnehmer ausgeformt und gewinnen in deren wechselseitigen Bezugnahmen und „Adressierungen“ (Reh und Ricken 2012) ihre spezifische Gestalt. Sie realisieren sich dabei nicht immer auf völlig identische Weise, sind aber aufgrund charakteristischer Merkmale zu identifizieren. Spielanalysen praxissoziologisch zu untersuchen impliziert daher eine besondere Aufmerksamkeit für Typizität und Regelmäßigkeit der Interaktionen und Situationen, in denen sich diese Analysen konkret vollziehen.

Um zu erfassen, wie genau Spieler und Trainer sich selbst und einander in Praktiken der Spielanalyse als mitspielfähige und professionelle Teilnehmer des Feldes hervorbringen, bieten sich ergänzend dazu subjektivierungstheoretische Überlegungen an, wie sie von Foucault entwickelt und unter anderem von Reckwitz (2007) und Alkemeyer (2013) in die praxissoziologischen Diskussionen eingebracht wurden. Das Konzept der Subjektivierung nämlich lenkt den Blick darauf, dass sich der Erwerb von Mitspielfähigkeit in Praktiken und Feldern in einem Spannungsfeld von Selbst- und Fremdführungen realisiert (Foucault 1985). Teilnehmer subjektivieren sich einerseits selbsttätig in Praktiken, bringen also ihr Denken, Handeln und Wahrnehmen, ihre Vorhaben, Absichten und Emotionen, ihre Selbst- und Weltverhältnisse „gewußt und gewollt“ (Foucault 1986, S. 18) in eine Form, die den Anforderungen und Erwartungen, Zielen und Zwecken des Feldes entspricht. Andererseits rufen die verschiedenen Teilnehmer einer Praktik sich einander kontinuierlich gegenseitig dazu auf, diesen Anforderungen zu entsprechen, indem sie Aktionen, die ihnen zuwiderlaufen, etwa durch Belehrungen und Anweisungen oder im Falle grober und langfristiger Abweichungen auch durch Ausschlüsse sanktionieren (Schmidt 2012, S. 215). In ihren wechselseitigen Bezugnahmen und Adressierungen machen sie die Anforderungen und aneinander gerichteten Erwartungen explizit, reproduzieren und transformieren sie oder stellen sie voreinander zur Disposition.

Das Konzept der Subjektivierung betont damit die Gleichzeitigkeit von Unterwerfung und Agency, die jedem Einpassungsprozess in eine Praktik und jedem Inklusionsprozess in ein Feld eingeschrieben ist. Nicht zuletzt ermöglicht dies die Thematisierung von Macht: Subjektivierungstheoretische Arbeiten rücken die Machtverhältnisse in den Fokus, die in Praktiken Geltung erlangen und ihren geregelten Vollzug nicht nur tragen, sondern auch unterbrechen oder stören können (Reckwitz 2007). Vor diesem Hintergrund geht es im Folgenden darum, wie sich die Trainingsteilnehmer in ihren alltäglichen Interaktionen, die durch ein qua Institution auf Dauer gestelltes, relationales Positionen- und Machtgefüge „präfiguriert“ sind (Schatzki 2002, S. 44),Footnote 5 als Über- und Unterlegene adressieren und dabei Wirkungsdynamiken und Subjektivierungseffekte in Gang setzen, die sie häufig selbst nicht völlig durchschauen.

Im Anschluss daran verspricht Goffmans Theorem des Cooling out eine insbesondere für den Fall des spitzen- und teamsportlichen Trainings vielversprechende analytische Fokussierung und Ergänzung. Grundlegend lenkt Goffmans Aufsatz die Aufmerksamkeit auf Weisen der „Abkühlung“ von Emotionen sowie der Konfliktprävention im Fall von Enttäuschung und Misserfolg. Das Theorem hält aber zugleich auch dazu an, sich für die Wiederherstellung von „Engagement“ (Goffman 1971, S. 44), Motivation und Anstrengungsbereitschaft im Sinne eines komplementären Warming upFootnote 6 zu interessieren – und damit die für den vorliegenden Fall besonders relevanten Momente von Subjektivierungs- und Professionalisierungsprozessen in den Fokus zu rücken. Darüber hinaus legt es Goffmans Aufsatz nahe, die in den Analysepraktiken sich vollziehenden Interaktionen und Adressierungen dezidiert im Hinblick auf die Konzepte von „cooler“ und „mark“ zu reflektieren, die Goffman mit Blick auf die Anforderungen des sozialen Reputationsmanagements, die sich aus dem Misserfolg ergeben, rollensoziologisch entfaltet. Eine praxis- und subjektivierungstheoretische Perspektive macht es indes plausibel, hier von „Positionen“ anstelle von „Rollen“ zu sprechen.

Ebenso wie der Anlass für Cooling-out-Prozesse, also der Misserfolg und die darauf folgende Enttäuschung, in Goffmans Beispielen unumstritten feststehen und damit „faktischen“ Charakter haben, sind die Positionen von „mark“ und „cooler“ in seiner Darstellung eindeutig verteilt. Demgegenüber legen subjektivierungstheoretische Erwägungen nahe, diese Festschreibungen analytisch aufzuweichen und zu prozessualisieren. Damit rückt die Frage in den Fokus, wie sich Spieler und Trainer bei der Verarbeitung von Enttäuschung und Misserfolg, also gleichsam im simultanen Prozess des Cooling out, Warming up und „marking“ gegenseitig als „cooler“, „warmer“ und „mark“ adressieren. Wie und unter welchen Voraussetzungen, so gilt es zu untersuchen, nehmen sie diese Positionen an oder weisen sie sie zurück? Wie artikulieren sich in diesem Positionierungsgeschehen sowohl die institutionalisierten als auch die informellen Machtverhältnisse? Und wie subjektivieren sich die Teilnehmer dabei nicht nur, sondern wie verhandeln sie zugleich die Kriterien einer kompetenten und professionellen Mitspielfähigkeit?

Mit Blick auf die Mitwirkung von Videoaufzeichnungen an Trainingspraktiken und Subjektivierungsprozessen bieten sich wiederum praxissoziologische Zugänge an – schließlich erheben diese den Anspruch, sich von anderen soziologischen Theorien insbesondere auch dadurch abzuheben, dass sie die Bedeutung von nicht-menschlichen Entitäten wie Dingen, Artefakte und Technologien für soziale Prozesse systematisch berücksichtigen. In praxissoziologischer Perspektive bildet das Arrangement dieser Entitäten den materiellen Kontext, innerhalb dessen sich die Praktiken entfalten und durch den sie manifest geprägt werden. Das Auftauchen neuer Dinge, Artefakte und Technologien kann so Veränderungen etablierter Praktiken in Gang setzen und das Verschwinden alter sowie die Entstehung ganz neuer Praktiken forcieren (Schatzki 2019).

In praxissoziologischer Perspektive sind dabei bestimmte „Gebrauchssuggestionen“ (Hirschauer 2016, S. 52), Nutzungspotenziale oder Anreizstrukturen in jedes Entitätsarrangement eingeschrieben, die die menschlichen Teilnehmer in Abhängigkeit von ihrer Disponiertheit spezifisch adressieren, affizieren und in ihren Wahrnehmungen, Aufmerksamkeiten sowie Aktivitäten anleiten (Schmidt 2012, S. 63). Die Entitäten können die menschlichen Teilnehmer demzufolge nicht nur in ein spezifisches und gegebenenfalls neues Verhältnis zu sich selbst, sondern auch zueinander setzen – und in diesen Hinsichten subjektivierende Wirkungen entfalten. Praxissoziologisch werden Dinge, Artefakte und Technologien somit nicht als passive Mittel, sondern als aktive Vermittler – und in diesem Sinne als Medien (Latour 2006) – von Praktiken und den damit verbundenen Interaktionen und Subjektivierungsprozessen betrachtet. Diese Entitäten leisten demnach einen genuin eigenständigen Beitrag zur Genese von Praktiken und Subjekten. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies auch, dass die Videoaufzeichnungen von den Teilnehmern nicht nur instrumentell gebraucht werden, um bereits verfertigte Zuschreibungen, Bewertungen und Kritik von Leistungen oder Spielereignissen und -ausgängen, Vorhaben und Auffassungen – etwa von Professionalität – um- oder gegen andere durchzusetzen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Aufzeichnungen diese Auffassungen, Bewertungs- und Zuschreibungsprozesse ihrerseits grundlegend mitstrukturieren.

Auf der Basis dieser theoretischen Überlegungen können nun differenzierte Leitfragen formuliert werden, die im empirischen Teil adressiert werden: Aufgrund welcher Dispositionen und zugeschriebenen Qualitäten spielen Videoaufzeichnungen eine so zentrale Rolle im Trainingsalltag von Fußballmannschaften? In welchen Trainingskontexten kommen sie überhaupt zum Einsatz – und wie genau im jeweiligen Fall? Welche neuen Praktiken ermöglichen sie und auf welche gegebenenfalls neue Art und Weise setzen sie die Teilnehmer zu sich selbst und zueinander ins Verhältnis? Wie wirken sie im Kontext des leistungsorientierten Enttäuschungs- und Misserfolgsmanagements an der Subjektivierung professioneller Teilnehmer mit, und wie tragen sie zugleich zur Formierung und Durchsetzung bestimmter Auffassungen kompetenter Mitspielfähigkeit bei? Schließlich: Welchen genuinen Beitrag leisten Videos zu Prozessen des Cooling out, des Warming up und des „marking“? Und wie vermitteln sie damit zusammenhängend Macht‑, Konflikt- und Positionierungsverhältnisse im kompetitiven Feld und im Team?

3.2 Methodik: Ethnografie des Fußballtrainings

Den folgenden Ausführungen liegen Daten einer ethnografischen Studie zugrunde, die im Leistungszentrum eines Vereins der Ersten Bundesliga durchgeführt wurde. Für die Studie wurden Trainings- und Organisationsprozesse in zwei männlichen Nachwuchsmannschaften am Übergang zum Profibereich in ihren natürlichen Habitaten erforscht. Das methodische Primat lag auf videogestützten teilnehmenden Beobachtungen. Das originäre Ziel der Studie war es, die Implikationen des Gebrauchs von Technologien zur Spiel- und Leistungsanalyse – darunter vorrangig Videoaufzeichnungen – für das Training, die Teamorganisation sowie die Subjektivierung der Teilnehmer zu eruieren. Zum Zeitpunkt der Erhebung spielten Fragen nach Enttäuschung und erlebtem Misserfolg noch keine zentrale Rolle, das erhobene Material wurde also für den Zweck des Aufsatzes einer Reinterpretation im Lichte von Goffmans Cooling-out-Theorem unterzogen. In Ergänzung der Beobachtungen wurden ethnografische Gespräche und qualitative Interviews mit neun Spielern, beiden Cheftrainern sowie den Direktoren des Leistungszentrums geführt.

Der Feldaufenthalt erstreckte sich mit zum Teil mehrwöchigen Unterbrechungen zur Datenauswertung und aufgrund von Wettbewerbspausen über insgesamt 18 Monate, wobei meist einmal, in intensiveren Phasen mehrmals pro Woche beobachtend an Trainingseinheiten teilgenommen wurde. Diese lange Dauer ermöglichte es, Muster in Abläufen zu erkennen und so für das Feld typische Praktiken zu identifizieren. Sie erwies sich zudem als notwendig, weil manche der Teilnehmer, die einer lokalen Öffentlichkeit bekannt sind und im Fokus der Massenmedien stehen, nur langsam Vertrauen in die Ethnografin entwickelten und Einblicke gewährten.

Der Einsatz der Videokamera lag vor allem in der Komplexität des Forschungsfeldes und der hierdurch bedingten Überforderung der Aufzeichnungskapazitäten der einzelnen Ethnografin begründet. In die Spielanalysen waren oft mehr als 20 Teilnehmer involviert; zudem galt es nicht nur die Geschehnisse im Hier und Jetzt der Erhebungssituation, sondern auch die vom Video (re-)präsent gemachten Spielereignisse zu erfassen, auf die sich die Teilnehmer immer auch bezogen. Unerwartet erwies sich die Kamera aber auch als Türöffnerin, da sie Beobachtungen in Kontexten ermöglichte, die die Kopräsenz der Ethnografin ausschlossen. Während der Kameraeinsatz bei sogenannten Einzelgesprächen nicht erlaubt wurde, wenn diese besonders brisant waren und im finalen Ausschluss eines Spielers aus dem Kader kulminierten, durften die aus Teilnehmerperspektive kritischen Interaktionen aufgenommen werden. Offenbar befürchteten die Entscheidungsträger, dass die körperliche Anwesenheit einer menschlichen Beobachterin im letzteren Fall die Situation signifikant und für alle Involvierten erschwerend beeinflussen könnte, wohingegen der Kamera kein solcher Einfluss zugeschrieben wurde.

Andere Kontexte der Spielanalyse blieben über die gesamte Dauer des Feldaufenthalts für teilnehmende Beobachtungen unzugänglich. Da die Analysen mitunter im privaten Umfeld stattfanden, beruhen die entsprechenden Ausführungen auf Informationen, die in Gesprächen und Interviews gewonnen wurden. Gespräche und Interviews mit Trainern und Spielern dienten daneben der Erhebung von Informationen zu Geschehnissen, deren Hintergründe sich der Ethnografin in der Beobachtungssituation selbst nicht vollständig erschlossen. Interviews mit leitenden Funktionären halfen beim Verstehen institutioneller Abläufe und Entscheidungswege, etwa bezüglich der Auswahl von Trainern und Spielern für Kader oder auch deren Exklusion. In erster Linie aber wurden Gespräche und Interviews geführt, um die subjektivierenden Effekte der beobachteten Analysepraktiken und ihre Implikationen für die Formierung der Emotionen, Selbstbilder und Weltverhältnisse sowie des Engagements der Teilnehmer für den fußballerischen Wettkampf zu erfassen.

Die Interviews boten den Teilnehmern Raum, um ihre jeweiligen Perspektiven auf die Wirkungen von Videoanalysen auf ihre Mitspielfähigkeit darzulegen, und der Ethnografin zugleich Anlass, ihre eigenen Beobachtungen hieran zu bemessen. Zwar lieferten auch Beobachtungen Aufschlüsse über diese Subjektivierungseffekte, insofern sie teilweise über die im Training sich abspielenden Interaktionen und wechselseitigen Adressierungen der Teilnehmer rekonstruiert werden konnten. Bestimmte Überzeugungen, Emotionen, Enttäuschungen und Zuschreibungen wurden jedoch von Teilnehmern im Training mitunter verborgen und mussten deshalb auf anderem Weg zugänglich gemacht werden. Die Gründe für diese Beschränkungen der Beobachtbarkeit sind wiederum in der spezifischen Strukturlogik des Spitzen- und Teamsports zu finden. So besteht unter Spielern die Angst, unprofessionell und nicht kritikfähig zu wirken, vor den Teamkollegen, die zugleich ihre Konkurrenten sind, ins Hintertreffen zu geraten und von Trainern aussortiert zu werden. Dazu kommt die Furcht, mit bestimmten Äußerungen den Ärger und das Unverständnis der Mitspieler auf sich zu ziehen und so die soziale Integration des Teams zu gefährden. Und auch für Trainer gilt, dass sie mit Blick auf den Mannschaftszusammenhalt eine harsche Kritik an den Leistungen einzelner Spieler und deren „marking“ in Trainingszusammenhängen, an denen das Mannschaftskollektiv teilhat, mitunter unterlassen und sie stattdessen in „intimeren“ Kontexten artikulieren, zu denen nicht immer uneingeschränkter Zugang bestand.

Die Beobachtungen wurden zunächst in detailgenaue Beschreibungen überführt. Dabei wurden auch solche Interaktions- und Wirkungszusammenhänge sowie Subjektivierungseffekte zur Sprache zu bringen versucht, die aufgrund ihrer Selbstverständlichkeit oder Implizitheit von den Teilnehmern weder im Trainingsalltag noch in den Interviews ausdrücklich thematisiert wurden (Breidenstein et al. 2013, v.a. S. 35 f.). Im nächsten Schritt wurden die Beschreibungen auf Regelmäßigkeiten hin durchgesehen und nach den der Grounded Theory entlehnten Methoden des offenen und axialen Kodierens analysiert (ebd., S. 124 ff.). Die Analyse erfolgte in einer Haltung „theoretischer Sensibilität“ (Glaser und Strauss 1998, S. 54), wobei die im vorangehenden Abschnitt erläuterten Theoreme als „sensitizing concepts“ dienten. In der Analyse wurden die Beobachtungen auf induktiv und deduktiv entwickelte Begriffe gebracht und so zugleich systematisiert. Analog wurde mit den sprachlichen Daten verfahren: Die informellen Gespräche wurden in Erinnerungsprotokollen niedergeschrieben, die qualitativen Interviews wörtlich transkribiert. Dann wurden die Protokolle und Transkripte auf wiederkehrende Argumentationsfiguren und Begründungszusammenhänge hin durchgesehen und ebenfalls qua Kodierung und Kategorisierung ausgewertet.

4 Empirischer Teil: Zum Umgang mit Enttäuschung und erlebtem Misserfolg in Praktiken der videovermittelten Spielanalyse

4.1 Videogestützte Spiel- und Leistungsanalysen im Fußballtraining

Spiel- und Leistungsanalysen sind seit jeher zentraler Bestandteil spitzensportlichen Trainings. Im Fußball spielen seit ca. 20 Jahren Videoaufzeichnungen für solche Analysen eine zentrale Rolle. Schon im Jugendbereich werden Wettbewerbsspiele von externen Dienstleistern videotechnisch festgehalten und die Aufnahmen den Vereinen zur Verfügung gestellt. Inhaltlich zeichnet die Aufnahmen aus, dass sie das Spiel in totaler Brennweite festhalten und es als 22 Spieler überspannendes Interdependenzgeflecht in den Blick bringen. Die Aufzeichnungen stellen eine Überblicksperspektive bereit, die sowohl Spielern als auch Trainern während ihrer „totalen“ Involvierung in das Spiel unmöglich ist und sich daher grundlegend von ihren im Spielverlauf vorherrschenden Perspektiven unterscheidet (Tuma 2017, S. 177 ff.). Die Videoaufzeichnungen ermöglichen es, einzelne (Inter‑)Aktionen des Spiels aus dem Blickwinkel der übergreifenden Figuration zu beobachten und im Rückblick neu zu beurteilen. Auch die entsprechende Abspiel- und Bearbeitungstechnik erschließt weitere Möglichkeiten, um die das Spiel konstituierenden Leistungen von einem veränderten Standpunkt aus in Ruhe zu reflektieren. Spielsituationen können stillgestellt, herangezoomt, verlangsamt oder wiederholt und so genauestens etwa im Hinblick auf die Konsequenzen einzelner Aktionen für größere Spielzusammenhänge und -verläufe oder Möglichkeiten anderer – und potenziell erfolgreicherer – Spielzüge analysiert werden.

In medialer Hinsicht können die Videos als „immutable mobiles“ (Latour 1986) betrachtet werden: Sie lassen sich, ohne dass sich hierdurch der in ihnen konservierte Inhalt änderte, beliebig vervielfältigen und überall dorthin zum Wiedergeben verbreiten, wo entsprechende Endgeräte verfügbar sind. Da auch die Endgeräte mobil geworden sind, entgrenzen die Aufnahmen die Auseinandersetzung mit dem Spiel raum-zeitlich und erschließen Möglichkeiten der Spielanalyse auch für neue Personenkreise über Trainerstäbe hinaus. Zwar haben Trainer einen privilegierten Zugang zu den Videos, aber auch die Spieler können sie prinzipiell zu ihrem eigenen Gebrauch anfordern, nutzen diese Möglichkeit jedoch deutlich seltener. Trainer werden durch die Verfügbarkeit der Aufzeichnungen zu einer Beschäftigung mit dem Spiel in einem Ausmaß befähigt und angehalten, das ohne sie unvorstellbar wäre. Die Proliferation der Technik fällt so nicht zufällig mit der seit ca. zwei Jahrzehnten zu beobachtenden Herausbildung einer neuen Spielphilosophie, des in sportwissenschaftlichen Diskursen sogenannten „Konzept“- oder „Trainer-Fußballs“, zusammen. Sie ermöglicht es Trainern nicht nur, vergangene Spiele in immer mehr Facetten auszuleuchten, sondern Spiele auch planerisch vorwegzunehmen. Spielverläufe werden detailliert durchchoreografiert, immer elaboriertere Spielsysteme und mannschaftstaktische Vorgaben werden festgelegt, an denen sich die Spieler zu orientieren haben und anhand derer ihre Leistung bewertet wird (Brümmer 2019).

Die große Bedeutung, die Videoaufzeichnungen für Spielanalysen zukommt, gründet in den besonderen Qualitäten, die ihnen im Feld zugeschrieben werden. Wie immer wieder im Trainingsalltag beobachtet werden konnte, aber auch explizite Aussagen in verschiedenen Interviews belegen, herrscht unter Spielern und Trainern ein wenn nicht absoluter, so doch starker Glaube an die Wahrhaftigkeit und Objektivität des Kamerablicks vor (Tuma 2017, S. 60 ff.). Ein Trainer beschreibt den Wert der Aufzeichnungen für die Subjektivierung von Spielern folgendermaßen:

Auf dem Platz kannst du [gemeint sind Spieler, K. B.] dir schnell auch mal n Alibi suchen und dann dem und dem was in die Schuhe schieben. […] am Video kriegst du die Wahrheit und du kriegst es selber zu sehen […]. Am Ende, da wo sie hinkommen sollen [in der Bundesliga, K. B.], gibt’s nur noch Wahrheit. […] das ist ja auch nicht immer schön, aber ich muss sie dahinführen, dass sie auch irgendwann damit umgehen können. […] Im Spiel, da können Eindrücke echt täuschen. Mich auch, aber auch die Spieler. […] Aber wenn ich das nachher dann eben sehe, die Wahrheit, positiv wie vielleicht auch teilweise negativ, dann relativiert sich das natürlich auch. Und das ist entsprechend extremst wichtig für eine realistische Selbsteinschätzung. (Trainer 1)

Wie hier prägnant zum Ausdruck kommt, gelten die Aufnahmen im Feld als neutrale Zeugen, die das Spielgeschehen so re-präsentieren, wie es sich wirklich ereignet hat. Im Unterschied zu den subjektiven Perspektiven der im Spiel engagierten Spieler und Trainer ermöglichen sie, so die allgemeine Auffassung, eine nüchterne Außenperspektive auf spielerische Leistungen und damit zugleich die nachträgliche Objektivierung, Korrektur und Anpassung spontaner (Selbst‑)Einschätzungen und Wahrnehmungen.

Empirisch zeigte sich, dass die Spielaufzeichnungen an unterschiedlichen Orten, zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen personellen Konstellationen zum Einsatz kommen. Die folgenden Abschnitte zoomen in vier verschiedene Praktiken der videovermittelten Spielanalyse hinein und beleuchten die Geschehnisse im Horizont der dargelegten Forschungsfragen.

4.2 Videoanalysen durch Trainer: Zur „Vernüchterung“ von Spontandiagnosen und Neubewertung spielerischer Leistungen

Trainer verfolgen jedes Spiel ihrer Mannschaft im Stadion und nehmen schon beim Zusehen erste Leistungsbewertungen und Zuschreibungen vor,Footnote 7 die sie als Kritik auf den Platz rufen, in Halbzeitansprachen explizit oder in Auswechslungen implizit zu erkennen geben. Bevor sie den Spielern allerdings ein ausführliches Feedback geben, wenden sie sich zunächst reflexiv auf diese Eindrücke zurück und stellen sie vor sich selbst zur Disposition. Eine solche Selbstprüfung erfolgt vor allem im Anschluss an „faktische“ Niederlagen sowie an nicht verlorene Spiele, deren Ausgang sie spontan als unverdient erlebt und trotz des Ergebnisses nicht als verlässlichen Erfolg qualifiziert haben. So wollen sie verhindern, unzutreffende Zuschreibungen und Vorwürfe an die Spieler zu perpetuieren, sie ungerechtfertigt zu kritisieren und so möglicherweise zu verärgern oder zu demotivieren. Vermittelt über Videoaufnahmen analysieren die Trainer unerwünschte Verläufe systematisch, justieren ihre während des Spiels gewonnenen Eindrücke und „kühlen“ so ihre Emotionen herunter:

Also im Spiel bin ich zu emotional. […] Ich bin in meinen eigenen Emotionen gefangen. Da guck ich meist nur auf den Ball und mehr nicht. […] Videos helfen. […] Wenn wir samstags spielen und sonntags uns treffen, hab ich das Spiel dreimal gesehen. […] Beim ersten Mal schreib ich mir nur Stichpunkte auf. Das sind fünf, sechs Stichpunkte vielleicht. Und dann guck ich’s mir nochmal an und dann wird’s genauer und ich ruhiger, und meistens streich ich dann drei weg, weil die hab ich halt nur, weil ich gerade sauer war, dahingeschrieben. Beim dritten Mal geh ich dann ans Schneiden. […] Naja, der erste Durchgang […] das ist emotionales Gucken. Da guck ich fast so n bisschen wie so n Fan und ärger mich darüber. […] Beim zweiten versuch ich Grobraster zu erkennen und wiederkehrende Muster […]. Und beim dritten Mal geht’s dann darum: Okay, dieses Element des Spiels hat nicht funktioniert. […] Und dann analysiere ich’s nochmal anhand dieser kleinen Raster. Ich gucke dann auf immer mehr Details, wie Situationen entstehen. Das ist dann wirklich teilweise zeitaufwändig. Das geht dann halt runter bis auf den einzelnen Spieler. (Trainer 2)

Der Trainer schreibt sich in dieser Aussage selbst zu, während des Spiels so sehr in die Praxis engagiert und in seinen „Emotionen gefangen“ zu sein, dass er sich „wie so n Fan“, also auf unprofessionelle Weise, über bestimmte Spieler und spielerische (Inter‑)Aktionen ärgere. Er suggeriert dabei, dass er diese in seiner affektiven Gebundenheit an das Spiel mitunter subjektiv verzerrt bewerte, sodass es zu einer „überhitzten“ Kritik an Spielern und deren Leistungen kommen könne. Die Videos hielten ihn dazu an, sich sukzessive analytisch von seinen Spontandiagnosen zu distanzieren und diese qua Objektivierung zu prüfen und zu korrigieren. Videosichtungen bergen für die Trainer also ein Cooling-out-Potenzial, da sie ihnen durch Ermöglichung eines nüchternen, professionalisierten Blicks auf das vergangene Geschehen und die erlebte Enttäuschung die Regulation ihres Affekthaushalts erlauben.

Während den Trainern aufgrund ihrer spezifischen Positioniertheit am Spielfeldrand und der hierdurch eröffneten „Froschperspektive“ während des Spiels in erster Linie Leistungen einzelner Spieler in den Blick treten („Da guck ich meist nur auf den Ball“, Trainer 2), wird es ihnen vermittelt über die totale Perspektive des Videos möglich, deren Verflechtung und wechselseitige Bedingtheit zu verstehen. Indem die Aufnahmen Figurationen ins Bild setzen, bieten sie den Trainern die Gelegenheit festzustellen, welche Spieler mit welchen Aktionen zum Ausgang und Verlauf einer erfolgreichen oder erfolglosen Spielsituation beigetragen haben. In der Sichtung identifizieren sie nach und nach wiederkehrende Spielmuster, differenzieren einmalig misslungene Aktionen, die z.B. durch eine zuvor unerkannte „Zwangslage“ in einem komplexen Verflechtungszusammenhang forciert wurden, von systematischen Schwächen und unterscheiden individuelle Fehlleistungen von überindividuellen Abstimmungsproblemen. Danach überlegen sie sich Interventionen, die an einzelne Spieler, Spielerverbünde oder sie selbst adressiert sind und mit denen sie die Hoffnung verbinden, Leistungen zukünftig zu steigern und den Mannschaftserfolg sicherzustellen.

Die Folie, die die Analysearbeit der Trainer grundlegend strukturiert, ist das von ihnen avisierte Spielsystem, d.h. die den Spielern im Vorfeld des Spiels verordnete taktische „Marschroute“. Vor diesem Hintergrund kann es dazu kommen, dass spielerische (Inter‑)Aktionen, die aus der Perspektive ihres Ergebnisses als Misserfolg erscheinen – etwa weil sie zu einem Gegentor führten oder eine Torchance vergaben – und während des Spiels Ärger auf Seiten der Trainer ausgelöst hatten, von ihnen entschuldigt werden. Vermittelt über das Video treffen Trainer neue Entscheidungen über die Zurechnung von Verantwortung und Schuld: Sofern es für sie erkennbar wird, dass sich diese (Inter‑)Aktionen an ihren Vorgaben orientiert haben, werden diese als erfolglose, aber dennoch löbliche Leistungen umgedeutet und von der spontanen Kritik entlastet. Immer wieder kommt es aber auch zu andersgelagerten Umdeutungen und „markings“, bei denen Trainer eine Bewertungsordnung in Anschlag bringen, die bei Spielern aufgrund ihrer Kontraintuitivität zu erheblicher Irritation führen kann, sobald sie in anderen Praktiken mit ihr konfrontiert werden:

Trainer 2 zeigt der Interviewerin eine Videosequenz: Man sieht das am Video ganz deutlich. […] Hier, bei diesem Tor, da glaub ich einfach nicht daran, dass sie’s aufeinander abgestimmt haben, […] da fällt der Ball dem halt einfach vor die Füße aus welchen Gründen auch immer. Das kann ich [gemeint ist der Spieler, K. B.] nie wieder genauso machen. […] Klar, das ist ein schönes Tor. Sagen ihm auch alle. Ja, und was denkt der Spieler? „Boah Trainer, warum spiel ich sonst nicht?“ Mit solchen Fragen muss ich mich auch mit Kollegen beschäftigen: „Warum spielt der denn nicht öfter, der trifft doch.“ Ja, aber der macht nicht das, was wir wollen. Darüber kann ich mich aufregen. Den kann ich nicht gebrauchen. […] Unsere Angriffsmuster basieren alle darauf, dass ich sie reproduzieren kann. […] Hier bei diesem Tor, das ist eine Situation, bei der es ganz klare Vorgaben gibt. […] Jeder weiß, was zu tun ist. Aber XX [Name des Spielers, K. B.] macht was ganz anderes. […] XX spielt rein instinktiv. Was der da macht, ist Zufall und ich hasse Zufall. […] der eigentliche Sinn dessen, warum wir spielen, [ist] ja erfüllt. Wir haben gewonnen. Aber ich bin unzufrieden, weil wir nicht so gewonnen haben, wie ich es wollte. (Trainer 2)

Trainer 2 ruft hier eine Bewertungsordnung auf, gemäß derer nicht nur der Spielausgang, sondern die Reproduzierbarkeit spielerischer (Inter‑)Aktionen zentrales Erfolgs- und Leistungskriterium ist. Im Horizont dieser Ordnung werden alle Aktionen, die sich erkennbar nicht am kollektiv verbindlichen Spielsystem orientiert haben, als Indikatoren eines mangelnden Spielverständnisses und Eigensinns des betreffenden Spielers gedeutet und – da sie für Mitspieler nicht antizierbar seien – als zu tilgendes Defizit interpretiert. Das im Zitat angesprochene Tor, das aus der Perspektive des Spielergebnisses als erfolgreich zu klassifizieren ist, wird in der Videoanalyse als zufälliges und unverdientes Resultat einer schwachen Leistung neu bewertet. Vermittelt über die Technik kann also eine während des Spiels selbst noch als wünschenswert wahrgenommene Aktion als nicht systemkonform augenfällig werden und auf Seiten der Trainer zu Verärgerung und Enttäuschung führen. Dieselbe Technik eröffnet Trainern in solchen Momenten allerdings zugleich die Möglichkeit, sofort auf diese Enttäuschung zu reagieren: In der betreffenden, vom Bild re-präsent gemachten Situation wird dann nach anderen Spiel- und Interventionsmöglichkeiten gesucht, um Erfolg auf systemkonforme und damit langfristig verlässliche Weise zu erzielen.

Mitunter sehen sich Trainer in der Rückwendung auf ein Spiel auch dazu veranlasst, die Realisierbarkeit ihrer eigenen Erwartungen zu hinterfragen, deren Beitrag zu spielerischen Misserfolgen zu prüfen und spontane Spielerkritik zu revidieren. Die Aufzeichnungen fungieren für sie in solchen Fällen als Medien der Selbstkritik (bzw. des „self-marking“), die ihnen zuallererst die Möglichkeit eröffnen, spontane Fehldiagnosen und Zuschreibungen an die betreffenden Spieler einzusehen und anschließend entschuldigend vor ihnen einzuräumen. Kommen Trainer in der Videosichtung etwa zu der Erkenntnis, dass sich in den Leistungen mehrerer Spieler wiederkehrende Defizite zeigen, so hält sie dies dazu an, das verordnete Spielsystem selbst zur Disposition zu stellen und die eigenen, an die Spieler gerichteten Erwartungen als unpassend, überzogen o.ä. zu kritisieren. Diagnostizierte Schwächen und Gründe für Misserfolge münden dann nicht in an einzelne Spieler gerichtete Forderungen zur Leistungssteigerung. Stattdessen wird versucht, die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Wettbewerbserfolge durch eine grundlegende Neuordnung des Spiels zu erhöhen, für die sich die Trainer selbst in die Pflicht nehmen.

Die Videoanalysen der Trainer sind also nie ausschließlich rückwärtsgerichtet. Sie zielen nicht nur auf die Justierung und „Vernüchterung“ spontaner Bewertungen in einem vergangenen Spiel, sondern adressieren auch die Zukunft. Hierin entfalten sie ein Potenzial, das als Warming up interpretiert werden kann: Dank der Verfügbarkeit mobiler Spielaufzeichnungen müssen Trainer Misserfolge oder als schwach eingestufte Leistungen sowie die hiermit einhergehenden Enttäuschungen nicht passiv erdulden und sich mit ihnen versöhnen. Vielmehr können sie unmittelbar nach Ende eines Spiels Handlungsmacht reklamieren und die Suche nach Antwortstrategien, mit denen sie die Hoffnung auf zukünftigen Erfolg verbinden, unverzüglich angehen. Die Analyse nährt und konkretisiert so neue Erfolgsaspirationen.

Die Suche nach Antwortstrategien wird dabei durch die Videotechnik nicht nur ermöglicht, sondern geradezu forciert. Als Teilnehmer in einem komplexen Feld agieren Trainer nicht völlig autonom, sondern sind in vielfältige Machtverhältnisse verstrickt. Niederlagen, schwache Leistungen der Spieler oder zufällige Erfolge gefährden ihre Existenz im Feld, da sie als Indikatoren auch ihrer Leistung gelesen werden. Trainer stehen nicht nur vor ihrer Mannschaft, sondern auch vor Vereinsfunktionären unter permanentem Legitimationsdruck und in besonderer Verantwortung für den Teamerfolg. Für sie gilt es im Falle von Misserfolg und Leistungsschwächen der Spieler zu demonstrieren, dass sie passende Interventionen zur Hand haben, um diese gezielt zu bearbeiten und für den systematischen Erfolg keine Mühen scheuen. Insofern die Videoaufzeichnungen für die Diagnose von Gründen für Misserfolge sowie die Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten neue Gelegenheiten bereitstellen, befeuert ihre von Ort und Zeit unabhängige Verfügbarkeit auf Seiten der Funktionäre und Spieler die Erwartung, dass Trainer diese auch ausschöpfen. Der Videoanalyse-Eifer der Trainer („Wenn wir samstags spielen, habe ich das Spiel bis Sonntag dreimal gesehen“, Trainer 2) wiederum gibt ihr Wissen um diese Erwartung zu erkennen und markiert eine Strategie, um von für ihre Subjektivierung relevanten Dritten als engagiert und professionell anerkannt zu werden.

4.3 Videoanalysen durch Spieler: Zur selbstbestimmten Definition von Vorhaben zur Leistungssteigerung

Es sind nicht nur Trainer, die sich im Anschluss an ein Spiel vermittelt über die Videoaufzeichnungen auf dieses zurückwenden. Auch einige Spieler fordern die Aufnahmen an, um sich abseits der eigentlichen Trainingskontexte mit ihren Leistungen auseinanderzusetzen. Dies tun sie vor allem dann, wenn sie sich selbst im Spiel als schwach erlebt haben oder während des Spiels bereits vom Trainer kritisiert worden waren. Spieler sehen in der videovermittelten Analyse dann eine Maßnahme zur Verarbeitung ihres individuellen Misserfolgs, die für sie zugleich eine Professionalisierungs- und Subjektivierungstechnik konstituiert. Statt sich über die eigenen Schwächen zu ärgern oder über die Mitschuld am Misserfolg des Teams zu resignieren, rekurrieren sie auf die Aufzeichnungen, um die Bedingungen und Effekte ihrer Spielweisen besser zu verstehen und erfolgversprechendere Spielalternativen auszuloten, die erst durch die Überblicksperspektive des Videos erkennbar werden. Ebenso wie den Trainern erschließen die Analysen den Spielern die Möglichkeit, Enttäuschungen über Leistungsschwächen und Kritik nicht passiv hinnehmen zu müssen, sondern sie aktiv bearbeiten, zukünftig vermeiden und so ihren Platz im Kader sicherstellen zu können. Neben einer „Abkühlung“ von Enttäuschung erfolgt in den Analysen ein Warming up, mit dem sich Spieler selbst zu Leistungssteigerungen aufrufen und diese imaginieren:

Ich hol mir die Spiele auf Video und guck dann extrem auf mich nur. Gar nicht irgendwie nur, wenn man ein gutes Spiel gemacht hat, sondern ich nutze es dann vor allem, wenn wir verloren haben, oder auch wenn wir gewonnen haben und ich aber selber das Gefühl hatte: Oh, heute war’s nix. […] Das hilft mir schon sehr, dass man dann aus der Totalen dann genau auf sich achten kann. […] Gar nicht, wo der Ball ist, […], sondern wirklich, wenn der Ball auf der linken Seite ist, was hab ich gemacht? […] Hab ich meiner Mannschaft geholfen, oder hab ich mich einfach vorne ausgeruht? […] Manchmal erkennt man dann halt, dass man vielleicht nur fünf Meter laufen müsste […] und hätte damit vielleicht eine Torchance für den Gegner vereitelt. […] Das sind dann Dinge, wo ich versuche, in den Trainingseinheiten extrem drauf zu achten. Das bringt einen schon ganz schön voran, wenn man sich selber sehen kann und seine Fehler noch genauer analysieren kann. (Spieler 1)

Spieler schreiben den Aufnahmen zu, dass sie ihnen aufgrund ihrer totalen Einstellung einen neuen Zugang zum Spiel und ihren eigenen Leistungen eröffnen und sie zur Objektivierung ihrer in der Spielpraxis vollzogenen Aktionen sowie zur Überprüfung ihrer unmittelbaren Eindrücke und (Selbst‑)Einschätzungen befähigen. Die Videos stellten ihnen die Möglichkeit bereit, sich selbst als Teil größerer Spielfigurationen zu sehen, die wechselseitige Abhängigkeit ihrer eigenen Aktionen und der ihrer Mitspieler zu erkennen und so eine Art professionellen Trainer-Blick einzuüben und auf sich selbst anzuwenden. Dabei veranlasst sie die Videoanalyse mitunter auch dazu, im Eifer des spielerischen Gefechts an Mitspieler adressierte Anklagen für erfolglose Interaktionen zu kassieren und sich selbst für diese stärker in die Pflicht zu nehmen:

Im Spiel nimmt man viel anders wahr. Mit Emotionen, und es geht schnell, und am Video sieht man das Bild vor sich und wo alle Leute stehen. […] Und das hilft schon mal sehr. Weil im Spiel ist es schnell vorbei, und dann hast du gar nicht so schnell im Blick, wo der Spieler ist und der Spieler. Wenn du halt auf Pause drücken kannst ganz einfach oder zurückspulen kannst, […] sieht man den Zusammenhang viel genauer. […] Und dadurch sieht man’s halt anders als vielleicht mit Emotionen und Adrenalin, was weiß ich alles auf dem Feld. Man brüllt sich an und danach [nach der Videosichtung, K. B.] sagt man: „Okay, war doch mein Fehler. Seh ich ein.“ (Spieler 2)

Der Videoanalyse kommt, insofern sie Spieler zur Relativierung von an Mitspieler gerichtete vorschnelle und „überhitzte“ Zuschreibungen und zur Anerkennung des eigenen Beitrags zu erfolglosen Aktionen bringt, eine Cooling-out-Funktion zu, die für die Sozialintegration des Teams zentral erscheint. Die Aufzeichnungen eröffnen Spielern neue Möglichkeiten, ein Verständnis für die spezifische Positioniertheit ihrer Mitspieler im Spiel und die sie jeweils herausfordernden Verflechtungszwänge zu entwickeln und vor diesem Hintergrund auch ein spontanes „marking“ zurückzunehmen und sich hierfür zu entschuldigen. Die Videoanalyse birgt so Potenzial für die Sicherstellung des Mannschaftszusammenhalts sowie die Einhegung von Konflikten über dem Teamerfolg zu- und abträgliche individuelle Beiträge, die in der Spielpraxis Geltung erlangt hatten und bei Nicht-Ausräumung den langfristigen Wettbewerbserfolg gefährden könnten.

Die Haltung der Trainer zu den selbstorganisierten Videoanalysen der Spieler ist dennoch ambivalent. Einerseits erwarten sie von ihnen, auf Kritik, Enttäuschung und Leistungsschwächen nicht mit Resignation, sondern mit Trainingseifer und einer „realistischen“ Adaptation ihres Selbstbildes zu reagieren, und halten die Videoaufzeichnungen diesbezüglich für wichtige Medien ihrer Subjektivierung (s.o., Zitat von Trainer 1). Andererseits geben die Trainer zu bedenken, dass die Aufzeichnungen es den Spielern zwar prinzipiell ermöglichen, Spiele wie ein Trainer lesen zu lernen, dies ihnen aber meist nicht gelänge. Es sei nicht zu kontrollieren, an welchen Maßstäben Spieler ihre Leistungen bewerten. Spieler könnten sich Ziele setzen oder in Aktionen bestärken, die dem Spielsystem widersprächen und dem Mannschaftserfolg abträglich seien. In der Tat machen sich viele Spieler diese Zuschreibung zu eigen und verzichten aus Angst, etwas falsch zu machen, auf die selbstorganisierten Analysen, obwohl diese ihnen eine Souveränität gegenüber der Kritik ihrer Trainer erschließen könnten.

Daneben werden solche Analysen mitunter auch durch institutionelle Lenkungen eingehegt. Im betreffenden Verein wurde zum Zeitpunkt der Forschung geplant, Spielern nur noch von Trainern vorausgewählte und bereits gedeutete Videosequenzen bereitzustellen. Dies kann nicht nur als Versuch der Funktionäre gedeutet werden, Fehlinterpretationen der Spieler zu vermeiden, sondern auch als Hinweis auf eine Sorge, dass die uneingeschränkte Verfügbarkeit der Aufzeichnungen den Spielern eine größere Expertise ermöglichen und dies wiederum die Autorität der Trainer unterlaufen könnte. Mit dem Vorhaben wurde darauf hingewirkt, die Zuständigkeit für die Zuschreibung von Erfolg und Misserfolg und somit ein entsprechendes „marking“ im Verantwortungsbereich des Trainers als institutionell bemächtigter Person zu halten, die etwaige Deutungskonflikte zwischen Teammitgliedern und deren selbstorganisierten Analysen moderieren und entscheiden kann.

4.4 Videoanalysen im Mannschaftsverbund: Zur machtvollen Etablierung einer geteilten Bewertungsordnung

Einige Tage nach einem Spiel kommt das gesamte Team zu einer Videoanalyse zusammen. In dieser Praktik treten sich nun diverse Perspektiven auf ein vergangenes Spiel gegenüber, die es aufeinander zu beziehen gilt: die spontanen Eindrücke aus dem Spiel sowie die objektivierten Deutungen der Trainer und derjenigen Spieler, die sich bereits selbstorganisiert mit dem Spiel auseinandergesetzt haben. Vorbereitend haben der Trainer und sein Stab die aus ihrer Sicht besonders relevanten Szenen der Gesamtaufnahme ausgewählt, die nun besprochen werden.

Inhalt und Form der Analysen variieren in Abhängigkeit vom aktuellen Erfolgsstand sowie von der emotionalen Verfasstheit der Mannschaft. Insbesondere bei als unglücklich wahrgenommenen Niederlagen oder ganzen Niederlageserien artikulieren Trainer nur selten scharfe Kritik. Stattdessen rücken sie Spielsituationen in den Fokus, die es ihnen erlauben, die Unverdientheit des Misserfolgs plausibel und das Können und Leistungspotenzial der Spieler evident zu machen. Die Trainer mobilisieren die ausgewählten Videosequenzen somit für die Bearbeitung des irritierten „Glauben[s] [der Spieler] ans Spiel“ (Bourdieu 1987, S. 122). Vermittelt über die Aufnahmen wird versucht, die Enttäuschung der Spieler und ihre negativen Emotionen zu reduzieren, ihre verletzten Selbstbilder zu reparieren und sie für die weitere Investition ihrer Kräfte zu motivieren. Besonders für Letzteres, die Wiederengagierung und das Warming up der Spieler, übernehmen die Aufnahmen eine fundamentale Funktion, wird ihnen doch ein erheblich größerer Glaube entgegengebracht als den mündlichen Bestärkungen durch die Trainer. In diesem Glauben realisiert sich eine spezifische Disposition der Aufzeichnungen, die im Rekurs auf Burris Studie über die Praxis medizinischer Bilder (Burri 2008, S. 349) als „visual persuasiveness“ gefasst werden kann:

Ich hatte nen Trainer, der hat […] selbst nach nem verlorenen Spiel nur gute Szenen gezeigt […] und gesagt: „Männer, wir haben 2:0 verloren, aber guckt euch’s an. Ihr habt super gespielt. Das einzige, was fehlt, ist das Tor.“ Und das ist auch ne Art und Weise, ne Mannschaft dann wieder in die Spur zu bekommen. […] Als Trainer kannst du ja nicht öffentlich sagen: „Ja, wir haben ein überragendes Spiel gemacht. Wir haben 2:0 verloren, aber wir haben überragend gespielt.“ Aber intern kannst du sowas schon zeigen, wenn du das halt auf Video hast. Das hat natürlich ne ganz andere Wirkung auf ne Mannschaft, als wenn du dich nur hinstellst und sagst: „Ja, wir haben aber n gutes Spiel gemacht.“ (Spieler 1)

Im Fall, dass Trainer die Leistungen der Spieler nach ihren Analysen als schwach einstufen, nehmen die Mannschaftssitzungen eine andere Gestalt an. Adressiert werden dann vor allem solche Szenen eines vergangenen Spiels, in denen etwas aus ihrer Perspektive nicht erwartungsgemäß – sprich: vorgabengetreu – gelungen ist und die sie deshalb als Misserfolg bewerten. Zunächst erläutern die Trainer ihre Deutungen und führen den Spielern vermittelt über das Video die negativen Konsequenzen eigensinniger Aktionen und fehlkoordinierter Spielzüge für die übergreifende Figuration vor Augen. Anhand des visuellen Materials erläutern sie den Spielern ihre Bewertungsordnung guter und schlechter Leistungen und fordern sie zugleich auf, diese Ordnung auf sich selbst anzuwenden. Zudem werden aber auch die an der Situation beteiligten Spieler angehalten, ihre durch das Video re-präsent gemachten Aktionen aus ihrer jeweiligen Perspektive zu erläutern und die sich hierin aktualisierenden Selbst- und Weltverhältnisse zu objektivieren. Trainer mobilisieren die Videosequenzen als Mediatoren, über die die verschiedenen und mitunter disparaten Perspektiven der Teilnehmer miteinander ins Gespräch gebracht, konsolidiert und in ein geteiltes Verständnis der Gründe für den unerwünschten Verlauf und Ausgang der Spielsituation überführt werden. Dabei lenken sie selbst diesen Austausch maßgeblich und reklamieren die Definitionsmacht über erfolgreiche und misslungene Aktionen. Statt sie als legitime Reaktionen der Spieler auf die sich im Spiel situativ stellenden Anforderungen anzuerkennen, tendieren sie dazu, alle Spielzüge und -entscheidungen aus der Perspektive des Spielsystems zu bewerten. Damit setzen sie ihre institutionelle Zuständigkeit für das „marking“ und die Zuschreibung von Leistung und Misserfolg gegenüber Spielern machtvoll durch.

Für die Spieler forciert die Bereitstellung einer objektivierten und rationalisierten Erklärung für Misserfolge durch Trainer den Prozess des Cooling out nach der „Hitze“ des Spiels: Sie werden dazu aufgerufen, auf analytische Distanz zu ihrem eigenen Tun und dem ihrer Mitspieler zu gehen und Streitigkeiten über Ursachen für enttäuschende Spielverläufe, die sich während des Spiels Bahn gebrochen hatten, neu zu beurteilen und auszuräumen. Hierbei können dem Selbstbild kritisierter Spieler Verletzungen zugefügt werden, etwa wenn sie dazu gebracht werden sollen, Aktionen und Entscheidungen, die sie selbst ganz anders bewerten, als schlechte Leistungen zu klassifizieren. Diese Prozesse vollziehen sich in einem binnenöffentlichen Raum der Sicht- und Beobachtbarkeit, in dem die Trainer die Videoaufzeichnungen als Beweistechnologie und Machtressource mobilisieren, um ihre partikularen Vorstellungen eines guten oder schwachen Spiels sowie guter oder schwacher Leistungen gegenüber den Spielern durchzusetzen. Der Umstand, dass die Kritik an ausgewählten Spielern vor dem Publikum der übrigen Teammitglieder vorgetragen wird, bedingt, dass sie kollektiv wirkt: Alle Spieler werden dazu angehalten, sich selbst als potenzielle „marks“ zu begreifen und sich konsequent an die Systemvorgaben zu halten, um eine ähnliche öffentliche Ausstellung in Zukunft zu vermeiden.

Bei der Rekonstruktion vergangener Spielverläufe kommt es nur selten dazu, dass Spieler den von Trainern präsentierten Zuschreibungen widersprechen. Wenn doch Einwände vorgebracht werden, verweisen Spieler meist vorab darauf, dass sie die Aufnahme bereits gesichtet und Kritik erwartet hätten. Sie performieren also ein Verständnis für die Vorgaben der Trainer sowie eine herausgehobene Motivation, sich auch abseits der eigentlichen Trainingszeit mit den eigenen Leistungen zu beschäftigen. Zugleich reklamieren sie Souveränität: Statt sich den von Trainern evident gemachten Zuschreibungen zu unterwerfen, fechten die Spieler sie informiert an und weisen die Bewertung einer Aktion als Fehlleistung sowie damit auch die ihnen zugewiesene Position des „mark“ zurück – und mitunter an andere Spieler weiter. Sie berufen sich in ihren Einwänden auf blinde Flecken der Aufnahmen und unterlaufen so situativ und praktisch den verbreiteten Glauben an deren Allwissenheit und Repräsentativität (Burri 2008, S. 165 ff.). So insistieren sie etwa, dass das Video verbale Absprachen, Details einzelner Spielsituationen oder auch die Atmosphäre während des Spiels, die ihre Aktionen beeinflusst hätten und bei Bewertungen mit zu berücksichtigen seien, allenfalls rudimentär einfangen. Oder sie halten dem Trainer entgegen, dass eine Aktion, die aus der Perspektive des Spielsystems als unpassend und im Rückblick erfolglos erscheinen mag, im eigentlichen Moment des Spiels für den spezifisch positionierten Spieler die beste Option war. Mittels der qua Video bildlich reaktualisierten Spielsituation bringen sie ihre Trainer damit manchmal zur Entschuldigung und zur Rücknahme einer Zuschreibung, wie der Auszug aus einem Beobachtungsprotokoll zeigt:

Das Video zeigt eine gegnerische Balleroberung. Der Trainer beklagt, dass niemand den betreffenden Gegenspieler „attackiert“ habe. Dann wendet er sich Spieler XX zu und sagt, dass er zuständig gewesen wäre. Dieser entgegnet, dass er sich die Szene schon zu Hause angesehen habe und verstehe, warum dieser Eindruck entstehen könne. Allerdings habe er im Spiel mit Spieler XY vereinbart, dass dieser sich um den Gegner kümmern würde. Nickend räumt der Trainer ein, dass Ballverluste oft „auf die Kappe“ mehrerer Spieler gehen. Im Spiel müsste deshalb besser kommuniziert werden. (Beobachtungsprotokoll)

Spieler 3 kommentiert diese Situationen wie folgt:

Manchmal kritisiert der Trainer einen beim Videotraining, wo man selber eigentlich denkt so: „Was redet der da jetzt?“ Manchmal trau ich mich dann auch, was zu sagen. […] Für den Trainer wär vielleicht der Pass nach rechts außen besser gewesen, weil’s vielleicht für die Mannschaft besser wäre oder sowas. Und für einen persönlich spielt man den Ball aber links raus, weil er vielleicht für einen persönlich besser ist […]. Und das kann ja gerade auch so n Tag gewesen sein, wo man die Variante sicher genommen hat. Und das weiß der Trainer dann halt nicht. (Spieler 3)

Zumindest auf der „Vorderbühne“ (Goffman 1983, S. 100) des Trainings bleibt die von Trainern vorgebrachte Kritik an den Spielern allerdings in den meisten Fällen unwidersprochen. Die Spieler fürchten, dass Widerständigkeit Konflikte schüren, dem Trainer Anlass zu Zweifeln an ihrer Kritikfähigkeit und Professionalität geben und ihre Exklusion zur Folge haben könnte. So halten sie Eindrücke aus dem Spiel und Ergebnisse ihrer selbstorganisierten Analysen oft zurück. Mit ihrem Schweigen spielen sie dem Trainer die Wirksamkeit von Cooling-out-Versuchen mithin nur vor und bestätigen zugleich seine Selbstpositionierung als machtvoller „marker“ und „cooler“. Auf den „Hinterbühnen“ (ebd., S. 104) des Trainings zeigt sich jedoch, dass das Schweigen der Spieler keineswegs bedeutet, dass sie von den Analysen des Trainers überzeugt wurden. Vielmehr lassen sie die erzielten „Einigungen“ mitunter mit unausgesprochenen Irritationen und inneren Konflikten zurück. Die betreffenden Spieler bitten dann Teamkollegen um Klärung und suchen nach einer dritten Perspektive ihrer „peers“, um ihr irritiertes Selbstbild zu bearbeiten (Goffman 1952, S. 457).

Im Anschluss an die retrospektive Analyse der Spielsituationen und die Diagnose von Leistungsschwächen und Gründen für einen Misserfolg loten Trainer und Team gemeinsam mögliche Spielalternativen und Verbesserungsmöglichkeiten aus. Deutungshoheit beansprucht auch jetzt vorrangig der Trainer, indem er den Spielern grafisch vorbearbeitete Videostills vorführt, auf denen diese Möglichkeiten schon visualisiert sind. Erneut ruft er aber auch Spieler dazu auf, Vorschläge für erfolgversprechendere Spieloptionen zu machen, wobei als Qualitätsmaßstab wiederum das vorgegebene Spielsystem fungiert. In dieser Übung werden Spieler auf zukünftige Spiele vorbereitet und teamförmig eingestellt. Auch dies konstituiert eine Maßnahme des Warming up: Vermittelt über die Videostills, die die Realisierbarkeit der Vorschläge anschaulich machen, wird versucht, im Anschluss an die Kritik die Zuversicht der Spieler wiederherzustellen und den Glauben daran zu kultivieren, dass sich der Mannschaftserfolg einstellen wird, wenn sich alle Spieler an die Trainervorgaben halten und alle Kräfte in die Erbringung entsprechender Leistungen investieren.

4.5 Einzelgespräche: Zum professionellen Bekenntnis zu Leistungsschwächen und Scheitern

Trainer sehen in den Mannschaftssitzungen davon ab, sehr ausführlich auf die Leistungsschwächen einzelner Spieler einzugehen, sie durch allzu explizites „marking“ vor ihren Teamkollegen auszustellen, sie damit für den Misserfolg der Mannschaft zu responsibilisieren und so möglicherweise die soziale Integration des Teams zu gefährden. Umfangreiches individuelles Feedback erfolgt stattdessen im „intimeren“ Kontext der sogenannten Einzelgespräche, die circa viermal pro Saison stattfinden und Spieler auch über ihre Zukunftsperspektiven im Verein in Kenntnis setzen. In den Einzelgesprächen äußern die Trainer ihre Kritik an den jeweiligen Spielern direkt unter vier Augen. Videoaufzeichnungen fungieren dabei als Überzeugungshilfen und wichtige Instanzen der Beglaubigung ihrer Bewertungen (Burri 2008, S. 238 ff.). Dies gilt insbesondere dann, wenn Leistungen adressiert werden, die von Trainern insofern als schwach und enttäuschend eingestuft werden, als sie „eigensinnig“ vom verordneten System abweichen, von den betreffenden Spielern selbst aufgrund ihres Effekts aber als Erfolg erlebt werden. Im Wissen darum, dass ihre Bewertungen in solchen Fällen gängigen Zuschreibungen widersprechen, suchen die Trainer in Vorbereitung der Einzelgespräche in Videos nach Spuren, um die Zufälligkeit und mangelnde Systematizität des Agierens des Spielers zu „belegen“. Anhand von Sequenzen aus verschiedenen Spielaufnahmen, die in ihrem Nebeneinander die Typizität eines beklagten Problems ins Bild setzen, machen sie ihre Deutungen evident und halten die Spieler dazu an, ihre Selbsteinschätzungen daran anzupassen. In diesem machtvollen Akt, der die „visual persuasiveness“ und affektive Überzeugungskraft der Bilder mobilisiert, werden die Spieler zur „Einsicht“ ihrer bis dahin noch nicht erkannten Schwächen gedrängt und gleichsam in die Position des „mark“ gezwungen.

Wenn man kritisiert wird, hat’s ja meistens nen Hintergrund. Find ich sogar mit Video noch besser. Weil dann hat man ja nen Beleg irgendwie. […] zum Beispiel bei der Einzelkritik. Wenn er [der Trainer, K. B.] dann mal was sagt oder so und man hat vielleicht ne andere Meinung, dann steht das ja so im Raum. […] Aber wenn man das mit dem Video hat, dann hat man halt irgendwie nen Beweis und schenkt dem dann auch mehr Glauben. […] Wenn ich manchmal dann in der Einzelkritik sitze […] und man bekommt dann was anderes gesagt als das, was man persönlich empfindet […], dann ist halt schwer nachzuvollziehen so. Aber wenn man dann so drei, vier Situationen hingeballert bekommt, wo es wirklich schlecht war, dann kann man ja schlecht […] sich ne andere Meinung bilden. (Spieler 3)

Diese disziplinierende Konfrontation der Spieler mit ihren schwachen Leistungen wird nun nicht nur von den Trainern, sondern, wie in dem Zitat zum Ausdruck kommt, auch von den Spielern selbst als legitime Subjektivierungspraxis und Prüfstein ihrer Professionalisierung angesehen. Wie schon gesagt, kann sie ihrem Selbstbild durchaus eine massive Beschädigung zufügen. Gleichzeitig bietet sie aber auch insofern eine Perspektive zum Cooling out, als die Spieler zu einer objektivierenden Haltung ihrer Leistung gegenüber angehalten werden, die „Rahmung“ (Goffman 1980) der Situation es ihnen jedoch verbietet, sich der Beschädigung emotional hinzugeben. Stattdessen dominiert die Erwartung, dass sie die bildlich „bewiesene“ Kritik nüchtern anerkennen. Widerspruch oder emotionales Aufbegehren gegen die begründete Trainerkritik werden hingegen der gängigen Argumentationsfigur zufolge als Ausweis mangelnder Professionalität gedeutet. Profi werden kann demzufolge nur derjenige, der sich seine eigenen Leistungen nicht „schönredet“, auch unbequeme Wahrheiten erträgt und mit entsprechenden Trainingsanstrengungen reagiert (s.o., Zitat von Trainer 1). Im Anschluss an die Kritik erklären die Trainer den Spielern noch, wie sie zukünftig in vergleichbaren Spielsituationen agieren sollen. Dazu zeigen sie ihnen Strategien auf, wie sie Kritik vermeiden und ihren Ansprüchen besser genügen können.

Im Fall von Spielern, die trotz wiederholter Kritik keine Bereitschaft zu erkennen gegeben haben, den Forderungen der Trainer zu folgen, und somit den Mannschaftserfolg aus Trainersicht weiter gefährden, wird die Frequenz der Einzelgespräche erhöht. Zudem werden auch Vereinsfunktionäre involviert. Die Gespräche nehmen nun deutliche Züge einer kaum zu bestehenden Prüfung an, mit der der Ausschluss der Spieler aus dem Team vorbereitet wird. Die Spieler werden mit einer Reihe aufgezeichneter Spielsituationen konfrontiert und aufgefordert, ihre eigenen Leistungen zu bewerten sowie Optionen erfolgreicheren Agierens zu benennen. Sie analysieren dabei nicht in einen offenen Möglichkeitshorizont hinein, sondern müssen sehr konkrete Erwartungen treffen. Die spezifische Situiertheit des Einzelgesprächs, in dem sich der betreffende Spieler für seine qua Video belegten Schwächen und Eigensinnigkeiten vor diversen Entscheidungsträgern verantworten muss, dient der Aufführung seines finalen Scheiterns an den Anforderungen des Feldes. Die Anordnung zwingt ihn dazu, sein Scheitern vor sich selbst und den anwesenden Zeugen in einer Art performativen Bekenntnisses einzugestehen. Zugleich wird die von Goffman problematisierte Wahrscheinlichkeit einer Eskalation durch die Rahmung der Situation gering gehalten. Daneben legitimiert die Aufführung die Ausschlussentscheidung der Trainer vor den anwesenden Funktionären, welche über die Professionalität ihrer Urteile befinden und über ihren Verbleib im Feld entscheiden.

5 Fazit

Der vorliegende Artikel hat Goffmans Cooling-out-Theorem zunächst praxissoziologisch und subjektivierungstheoretisch eingebettet und anschließend als Beobachtungs- und Beschreibungsinstrumentarium genutzt, um den Umgang mit Enttäuschung und erlebtem Misserfolg im Nachwuchsleistungsfußball exemplarisch zu analysieren. Mit dem empirischen Beispiel wurde ein kompetitives soziales Feld in den Blick genommen, das konstitutiv auf die Erbringung körperlicher Höchstleistungen und auf das Erzielen von Wettkampferfolgen im Team gerichtet ist. In diesem Feld existieren konkrete Erwartungen an einen professionellen Umgang mit Enttäuschung, Misserfolg und Leistungsschwächen, an denen sich sowohl Trainer als auch Spieler bei laufender Exklusionsgefahr orientieren müssen und die sie in ihren Praktiken reproduzieren. Eine elementare Erwartung unter anderen besteht darin, dass sich die Teilnehmer nicht einfach mit unerwünschten Spielausgängen versöhnen oder angesichts von Misserfolgen resignieren, sondern deren Zustandekommen detailliert ergründen und zurückliegende spielerische Leistungen nüchtern analysieren, um diagnostizierte Schwächen gezielt zu bearbeiten und im weiteren Fortgang des Wettbewerbs zu vermeiden. Spielaufzeichnungen fungieren als wichtige Medien zur Realisierung dieser Erwartung – und damit der Subjektivierung der einzelnen Teilnehmer sowie der Formierung eines leistungsstarken Teams.

Wie gezeigt sehen die Teilnehmer den zentralen Wert solcher Aufzeichnungen darin, dass sie ihnen qua neutraler Überblicksperspektive ein angemesseneres Verständnis des „tatsächlichen“ Spielgeschehens und der „wirklichen“ Leistungen eröffnen als ihre spontanen, subjektiven und nicht selten affektiv aufgeladenen Eindrücke während des Spiels. Sie erkennen in der Videoanalyse verschiedene Potenziale zur Verarbeitung von Enttäuschung, die mit Goffman als Cooling out und über Goffman hinaus als Warming up interpretiert wurden. Die Trainer mobilisieren die Videoaufzeichnungen als eine Art „Kontrastmittel“, um ihre während des Spiels hochkochenden Emotionen „abzukühlen“ und sich zugleich zu befähigen, unerwünschte Spielverläufe und -ausgänge nicht passiv zu erleiden, sondern sich umgehend der Feststellung von Gründen und Interventionsbedarfen zu widmen. Videoanalysen ermöglichen es ihnen, sich im Nachgang ihrer Enttäuschung als erneut handlungsmächtig zu erleben. Zugleich halten die Videos die Trainer an, ihre während des Spiels getroffenen Spontandiagnosen zu differenzieren. Sie bieten ihnen neue Möglichkeiten, „überhitzte“ Kritik an Spielern zurückzunehmen und sich für diese zu entschuldigen. Schließlich befähigen die Analysen sie zur nüchternen Überlegung von Strategien, mit denen der Mannschaftserfolg zukünftig sichergestellt werden soll. Die Videoanalysen nähren somit zugleich neue Erfolgsaspirationen.

Auch Spieler äußern, wie gezeigt, dass ihnen die videovermittelte Rückwendung auf ein Spiel dabei hilft, ein professionalisiertes Verständnis ihrer eigenen spielerischen Leistungen zu entwickeln. Mittels Videoanalyse halten sie sich selbst dazu an, ihr vergangenes Tun und ihre subjektiven Eindrücke ins Verhältnis zu setzen zur im retrospektiven Überblick erkennbaren „objektiven“ Gesamtfiguration und eigene, dem Mannschaftserfolg abträgliche Entscheidungen und Aktionen zu identifizieren. Im Sinne eines Warming up eruieren sie zudem bessere Alternativen und definieren autonom Trainingsvorhaben, um die diagnostizierten Schwächen zukünftig zu vermeiden. So erleben sie sich in der selbstorganisierten Videoanalyse im Nachgang ihrer Enttäuschung wieder als handlungsfähig und imaginieren sich als gute bzw. bessere Fußballer. Zugleich gewinnen sie durch diese Analysen potenzielle Souveränität gegenüber möglicher Kritik und etwaigen „marking“-Versuchen ihrer Trainer und/oder Mitspieler. Sie ermächtigen sich somit dazu, diese Kritik zurück- und sich selbst als reflexionsfähig, leistungsstark und engagiert auszuweisen.

In Spieler-Spieler- sowie Spieler-Trainer-Interaktionen fungieren die Aufzeichnungen oft als Mediatoren. Da sie eine dritte, unbeteiligte Perspektive auf ein vergangenes Spielgeschehen verfügbar machen, kommen sie in erster Linie zum Einsatz, um die Teilnehmer mit ihren verschiedenen Eindrücken und Enttäuschungen miteinander ins Gespräch zu bringen und so den Teamerfolg gefährdende Konflikte zu schlichten – etwa hinsichtlich der Gründe für den unerwünschten Ausgang von Spielen und entsprechende Schuldzuweisungen. Daneben halten die Aufzeichnungen den Trainern die Möglichkeit bereit, den Spielern ihre Kritik an Leistungsschwächen anschaulich sowie entsprechende Optimierungsbedarfe am Bildnachweis nachvollziehbar zu machen und sie nicht unverständig und handlungsunfähig zurückzulassen. In Fällen schwerwiegender Enttäuschungen erweisen sich die Aufzeichnungen in Trainingsinteraktionen als wichtige Medien der Bearbeitung eines beschädigten Glaubens der Teilnehmer ans Spiel. Vermittelt über die Aufzeichnungen und ihre „visual persuasiveness“ überzeugen die Trainer ihre Spieler von ihrem eigentlichen Leistungspotenzial und motivieren sie dazu, trotz Misserfolg konsequent weiter an dessen Entfaltung zu arbeiten.

Über diese Cooling-out- und Warming-up-Potenziale hinaus hat der Artikel Momente der Verarbeitung von Enttäuschung und Misserfolg aufgezeigt, die bei Goffman keine Berücksichtigung finden, es jedoch ermöglichen, seine Ausführungen differenzierend zu ergänzen. So wird im Unterschied zu seinen Beispielen bei den beobachteten Videoanalysen wie gesehen nicht auf vergangene Spielereignisse mit einer feststehenden und für alle Teilnehmer eindeutigen Qualität reagiert. Vielmehr wird das jeweilige Ereignis in den Praktiken und transkontextuell über sie hinweg spezifisch ausgelegt, zugeschrieben und (neu) bewertet – etwa als unverdienter Erfolg oder verdiente Niederlage. Der vorliegende Artikel hat die Kategorien Erfolg und Misserfolg sowie Leistung und Nicht-Leistung somit als Gegenstände umstrittener sozialer Wertzuschreibungen und -abwägungen, folglich als kontingente Konstruktionen in den Blick gerückt (vgl. hierzu auch Krüger und Reinhart 2016 sowie mit Blick auf sportliches „Talent“ Janetzko 2021). Es wurde illustriert, dass in den unterschiedlichen Analysepraktiken verschiedene Perspektiven und Bewertungsordnungen aufeinandertreffen, die sich widersprechen können und aneinander vermittelt werden müssen. Zudem hat die Betrachtung der Praktiken deutlich gemacht, dass diese Vermittlungsprozesse durch institutionalisierte Machtverhältnisse des Feldes vorstrukturiert sind und sich die Teilnehmer in ihrem Verlauf selbst und wechselseitig als „mark“ und „cooler“ positionieren. Dabei wurden auch Fälle deutlich, in denen diese Positionszuweisung – manchmal offen, häufig aber nur auf Hinterbühnen – abgewehrt wird.

Obwohl die Verfügbarkeit von Videoaufzeichnungen als prinzipiell allen Teilnehmern gleichermaßen zur Verfügung stehende Objektivierungsinstanzen den Spielern neue Möglichkeiten zur Gewinnung von Souveränität und Handlungsmacht gegenüber den Zuschreibungen von Trainern bereitstellt, werden diese von ihnen nur selten konsequent ergriffen. Die Praktiken laufen so auf die Unterwerfung der vielfältigen Perspektiven der Mannschaftsmitglieder unter eine „überlegene“ Bewertungsordnung hinaus, deren zentraler Maßstab die Systemkonformität aller spielerischen (Inter‑)Aktionen ist. Für die Instituierung und Durchsetzung dieser Ordnung durch die Trainer spielen wiederum die Videoaufzeichnungen eine unabdingbare Rolle. Die an die Spieler gerichtete Erwartung, diese Ordnung auch im Falle gegenteiliger Wahrnehmungen auf sich selbst anzuwenden und sich aus ihrer Perspektive selbst zu kritisieren, firmiert im Feld unter dem Narrativ der Professionalisierung und wird meist stillschweigend akzeptiert.

Die beleuchteten Praktiken sind auf das für den Spitzensport charakteristische Ziel der Sicher- und Wiederherstellung von Wettkampferfolgen gerichtet und wurden hier vor allem im Hinblick auf die Potenziale, die ihnen diesbezüglich zugeschrieben werden, in den Blick genommen. Allerdings hat die ethnografische Forschung auch ergeben, dass die Effekte der Spielanalysen keineswegs eindeutig sind. Entgegen der verbreiteten Überzeugung der Teilnehmer verbürgt die Durchsetzung einer einheitlichen Bewertungsordnung qua Videoanalyse nicht zwangsläufig verbesserte Leistungen und ein erfolgreicheres Zusammenspiel der Mannschaft. Vielmehr kann die Abwertung ihrer subjektiven Perspektiven und ihres intuitiven Spielverständnisses Spieler mit massiven Irritationen zurücklassen, die sie aus Angst vor ihrem Ausschluss oft nicht offen artikulieren. Auf längere Sicht kann dies dazu führen, dass sie sich emotional und kognitiv von den Trainervorgaben „abkoppeln“ und auf Kosten einer – in den Einzelgesprächen vollzogenen – Exklusion nur noch „ihre eigene Sache machen“. Mit Goffman (1952, S. 459) wären diese Fälle der Nicht-Auflösung von Deutungswidersprüchen und intrapersonalen Konflikten als ein „turning sour“ zu fassen. Auch auf dem Platz zeigen sich die unter Umständen abträglichen Effekte von Analysepraktiken für die Umsetzung der avisierten Spielordnung immer wieder eindringlich: Die Erwartung, dass sich Spieler stets den komplexen Vorgaben und Zuschreibungen der Trainer zu unterwerfen haben, verunsichert sie in ihren praktischen Gewissheiten mitunter so sehr, dass ihr Zusammenspiel schlechter gelingt als vor der Intervention. Aber selbst in diesen Momenten äußern Spieler höchst selten explizit Kritik. Vielmehr werden die den Problemen zugrundeliegenden Dominanzverhältnisse als unantastbare Bestandteile des Subjektivierungsprofils sowohl von Trainern als auch von Spielern auf Kosten des Teamerfolgs normalisiert und de-thematisiert.

6 Ausblick

In der Einleitung des Aufsatzes wurde der Anspruch formuliert, mit der vorliegenden Untersuchung u.a. einen Beitrag zum sportsoziologischen Forschungsstand zu leisten. Angesichts der Besonderheiten des Falls und des Umstandes, dass die Studie ausschließlich Fußballteams berücksichtigt, sind im Hinblick auf verbindliche Aussagen über die Generalisierbarkeit der Ergebnisse für den Spitzensport im Allgemeinen weitere Forschungen auch in anderen Sportarten angezeigt. So wäre zu analysieren, in welchen Hinsichten sich Maßnahmen des Cooling out, Warming up und „marking“ und entsprechende Positionierungs- und Subjektivierungsdynamiken jeweils ähneln und unterscheiden, welche Rolle dabei Videotechnik und andere Objektivierungsmedien jeweils spielen und inwiefern sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüglich der Partizipationsmöglichkeiten von Sportlern an konflikthaften Deutungs- und Zuschreibungsprozessen ausmachen lassen (vgl. zu diesem letzten Aspekt Bahlke et al. 2015).

Im Hinblick auf weitere Anschlussforschungen hat der Artikel einen theoretisch-methodischen Zugang und Forschungsfragen präsentiert, die auch für die Untersuchung des Umgangs mit Enttäuschung und Misserfolg in anderen Zusammenhängen der wettbewerbsorientierten Teamarbeit jenseits des Spitzensports fruchtbar zu machen wären. Über teilnehmende Beobachtungen entsprechender Praktiken und ergänzende Interviews könnte auch in anderen Feldern und Organisationen erforscht werden, wie das Verhältnis von Individual- und überindividueller Teamleistung einerseits sowie Leistung und Erfolg andererseits adressiert wird. Es könnte auf analoge Weise herausgearbeitet werden, welche Bewertungsordnungen von Leistung und Erfolg dabei aufeinandertreffen, wie diese aneinander vermittelt werden, welche inter- und intrapersonalen Konflikte dies provoziert, wie im Lichte dieser Konflikte der Zusammenhalt des Teams sicher- sowie ein Glaube an die gemeinsame Sache wieder hergestellt werden sowie welche institutionellen und informellen Machtverhältnisse in diesen Prozessen Geltung erlangen. Schließlich wäre nach Querverbindungen zu neueren Ansätzen der Bewertungssoziologie zu fragen, in denen ebenso untersucht wird, wie sich Bewertungspraktiken durch die Proliferation neuer Aufzeichnungstechniken und Objektivierungsverfahren im Zuge gegenwärtiger Digitalisierungs- und Technisierungsprozesse nicht nur gesellschaftlich ausbreiten, sondern auch qualitativ verändern.