1 Plattformökonomie und Beschäftigungsindustrie

Berufliche soziale Netzwerke wie LinkedIn und XING haben bei Erwerbstätigen im gehobenen Qualifikationssegment große Verbreitung gefunden. LinkedIn gibt weltweit „mehr als 722 Mio. Mitglieder“ an, darunter 15 Mio. in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz).Footnote 1 XING ist mit etwa 18 Mio. Mitgliedern im deutschsprachigen Raum noch etwas populärer. Bekannt sind sie als Plattformen zur beruflich motivierten Vernetzung. Weniger Beachtung findet hingegen, dass ihre Geschäftsmodelle in wesentlichen Teilen auf Dienstleistungen zur Personalrekrutierung für Arbeitgeber und Headhunter beruhen, indem sie die Daten der NutzerFootnote 2 gezielt für die Personalsuche verfügbar machen (siehe Abschn. 2.1). Eingebettet sind beide Plattformen in Konzernstrukturen: LinkedIn, 2002 in den USA gegründet, wurde 2016 von Microsoft übernommen; XING, 2003 in Deutschland gegründet, firmiert seit 2019 als New Work SE mit der Hubert Burda Media als Hauptaktionär und eingebunden in ein Netzwerk mit anderen Plattformen wie der Stellenbörse Honeypot oder dem Arbeitgeberbewertungsportal kununu.

LinkedIn und XING sind hervorstechende Beispiele für Internetplattformen, die seit Mitte der 1990er-Jahre zur Unterstützung der Vermittlung von Arbeitskraft gegründet wurden und Arbeitsmarktprozesse in zunehmendem Maße bestimmen. Besonders weit verbreitet sind Online-Stellenbörsen wie Monster oder Stepstone, über die inzwischen das Geschäft mit Stellenanzeigen vorwiegend abgewickelt wird (Abschn. 2.1). Diese Stellenbörsen bilden wiederum ergiebige Datenquellen für global agierende Stellensuchmaschinen wie Indeed und Google for Jobs. Ein komplementäres Informationsangebot liefern Plattformen wie Glassdoor oder kununu, auf denen Mitarbeiter ihre Arbeitgeber bewerten. Selbstständig Erwerbstätige können sich dagegen Aufträge über Freelancer- oder Crowdworking-Plattformen vermitteln lassen, etwa Upwork oder twago. Im weiteren Sinne als Vermittlungsdienste von Arbeitskraft können auch Plattformen für Fahr- und Lieferdienste verstanden werden, zu deren bekanntesten Uber und Lieferando zählen. Bei dieser Auflistung fällt auf, dass sich am Arbeitsmarkt ganz unterschiedliche Typen von Plattformen etabliert haben und eine Marktdominanz, wie sie die führenden Internetkonzerne Google/Alphabet, Amazon, Facebook/Meta, Apple oder Microsoft ausüben (Dolata 2015; Staab 2019), in diesem Bereich nicht zu erkennen ist.

Vielleicht ist ihre geringere Konzentrationstendenz der Grund dafür, dass diese Arbeitsmarktplattformen in der öffentlichen Diskussion und in der wissenschaftlichen Forschung zur Plattformökonomie weit weniger Beachtung finden als die genannten Internetkonzerne. Erforscht wurden primär Crowdworking-Plattformen sowie Fahr- und Lieferdienste, die bedeutsame Entwicklungen repräsentieren, aber in der Reichweite ihres Angebots beschränkt bleiben – in der Regel auf selbstständigen Erwerb in spezifischen Aufgabenbereichen. Unübersichtlicher sind die Veränderungen im Bereich der Suche nach festangestellten Mitarbeitern. Denn parallel zu den genannten Plattformen hat sich ein großes Spektrum von digitalen Technologien zur Unterstützung der Personalrekrutierung entwickelt (Abschn. 2.3). Unzählige Start-ups konkurrieren global mit Chatbots, Online-Tests, Video-Interview-Tools und vielen anderen Auswahl- und Bewertungsverfahren, von denen sich die meisten noch im Experimentierstadium befinden. Genutzt werden sie vor allem von auf die Personalvermittlung spezialisierten Headhunting-Firmen, denen sie neue Verfahrensoptionen und Marktsegmente eröffnen. Und schließlich wird das Angebot digitalisierter Dienstleistungen am Arbeitsmarkt auch für global agierende Zeitarbeitsunternehmen wie Randstad und Adecco relevant, die damit ihr Portfolio diversifizieren (Abschn. 2.2).

Im Folgenden wird auf Basis explorativer Internetrecherchen zu verschiedenen Plattformmodellen und im Abgleich mit dem sozialwissenschaftlichen Forschungsstand versucht, die Spezifik ihrer Ausprägungen im Bereich des Arbeitsmarktes, insbesondere der Personalrekrutierung, herauszuarbeiten. Der Beitrag identifiziert damit erstmals die gesamte Branche der Beschäftigungsindustrie als Feld der Digitalisierung von Arbeit. Um neben der eben skizzierten Vielfalt der Plattformen auch der Beteiligung weiterer privatwirtschaftlicher Akteure gerecht zu werden, erfolgt zunächst ein Überblick relevanter Vermittlungsdienste und Technologieangebote (Abschn. 2). Zur Interpretation ihrer wechselseitigen Beziehungen wird auf Analysekonzepte aus der Plattformforschung zurückgegriffen: Plattformen werden als digitale Infrastrukturen verstanden, die mit ihren Vermittlungsleistungen intermediäre Funktionen innerhalb vielschichtiger Ökosystem- und Feldkontexte erfüllen (Abschn. 3). Auf dieser Grundlage ist es das Ziel der Analyse, die Plattformen im Feld der Beschäftigungsindustrie zu verorten und mit anderen Akteuren ins Verhältnis zu setzen, mit denen sie, so die These im 4. Abschn., in komplexe Akteurs- und Netzwerkkonstellationen eingebunden sind. Plattformen bilden einerseits wesentliche Bausteine der Digitalisierung des Arbeitsmarkts, stehen andererseits aber in wechselseitigen Abhängigkeitsbeziehungen.

Diese Interpretation wirft grundlegende Fragen hinsichtlich der vorherrschenden Narrative vom disruptiven Wandel durch digitale Geschäftsmodelle und von die Plattformökonomie beherrschenden Internetkonzernen auf. Sie verweist auf eine Vielfalt von Plattformökonomien, die in spezifischen Feldern differente Entwicklungsformen annehmen (Abschn. 5). Eine solche Deutung stellt weder die prinzipielle Wirkmächtigkeit und das Kontrollpotenzial digitaler Technologie infrage noch relativiert sie die globalen Machtpositionen, welche Internetkonzerne mit ihrer privatwirtschaftlichen digitalen Infrastruktur erringen konnten. Jedoch hinterfragt sie, ob sich diese für die Frühphase der Plattformökonomie charakteristische Entwicklung fortsetzen und in ähnlicher Weise in anderen Bereichen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft durchsetzen wird. Bildet die eher sukzessiv voranschreitende Digitalisierung des Arbeitsmarkts einen Sonderfall oder verweist sie auf die auch im Falle einer expandierenden Plattformökonomie normalen Schwierigkeiten der Durchsetzung innovativer Technologien? Und welche Folgerungen lassen sich daraus für die sozialwissenschaftliche Digitalisierungsforschung ziehen (Abschn. 6)?

2 Arbeitsmarktplattformen innerhalb der Beschäftigungsindustrie – ein Überblick

Ein Überblick über die am Arbeitsmarkt aktiven Plattformen erfordert, wie in der Einleitung angedeutet, die Berücksichtigung nicht nur unterschiedlicher Plattformkonzepte (Abschn. 2.1), sondern auch ihrer Einbettung in Branchenstrukturen der globalen Beschäftigungsindustrie (Abschn. 2.2) und ihrer Verknüpfungen mit technologischen Innovationen zur Personalrekrutierung (Abschn. 2.3). Zu einzelnen Plattformkonzepten gibt es vertiefte Forschung, auf die hier nur punktuell verwiesen wird (siehe mit etwas konkreteren Angaben Pongratz 2021). Hingegen lässt der Forschungsstand sehr zu wünschen übrig, wenn es um den Zusammenhang verschiedener Plattformlösungen und um ihre Einbettung in das Feld der Beschäftigungsindustrie geht. Als Grundlage für die Interpretation der Gesamtentwicklung wird zwischen digitalen und etablierten Akteuren unterschieden (Abb. 1): Erstere haben das Feld mit einem digitalen Geschäftsmodell erst seit etwa der Jahrtausendwende betreten, letztere hatten die Branche in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts begründet.

Abb. 1
figure 1

Akteursgruppen im Feld der digitalisierten Beschäftigungsindustrie (Personalrekrutierung als Analysefokus)

2.1 Vielfalt der Plattformen

Vorrangige Bedeutung als digitale Akteure haben Internetplattformen am Arbeitsmarkt. Sie lassen sich grundsätzlich danach unterscheiden, ob sie auf die indirekte Unterstützung der Personalrekrutierung mit dem Ziel der Festanstellung oder auf die direkte Auftragsvermittlung (meist für selbstständig Erwerbstätige) ausgerichtet sind. Die früheste und in der Praxis bedeutsamste Entwicklung stellt die Gründung von Internetstellenbörsen seit Mitte der 1990er-Jahre dar; in Deutschland bekannte Beispiele globaler Jobbörsen sind Monster und Stepstone. Wie jüngste Befragungen zeigen, haben sie inzwischen die Stellenanzeigen in Printmedien als vorherrschenden Suchkanal weitgehend abgelöst (Weitzel et al. 2020), auch wenn ihre Effizienz kontrovers diskutiert wird (Kuhn und Mansour 2014). Konkurrenz bekommen haben sie durch Stellensuchmaschinen wie Indeed oder den seit 2019 auch in Deutschland verfügbaren Dienst Google for Jobs, die neben den Stellenbörsen noch weitere Quellen auswerten (z. B. die Karriereseiten der Unternehmen). Ergänzende Orientierungs- und Entscheidungshilfen für Jobsuchende bieten Plattformen wie Glassdoor oder kununu, die Einblicke in die Bewertungen der Arbeitgeber durch ihre Belegschaften geben. Ihre Geschäftsmodelle schließen kostenpflichtige Unternehmensprofile mit ein, die der Imagepflege als attraktiver Arbeitgeber dienen und mit Stellenangeboten verknüpft werden können.

Karrierenetzwerke wie LinkedIn oder XING sind offen für die Vernetzung sowohl von Stellen- als auch von Auftragssuchenden; eine der größten Gruppen in XING stellt beispielsweise der „Freiberufler Projektmarkt“ mit über 165.000 Mitgliedern dar. Doch sind ihre Geschäftsmodelle primär auf die Personalrekrutierung ausgerichtet. So umfasst der Geschäftsbereich LinkedIn Talent Solutions ein breites recruiting-unterstützendes Angebot und verspricht mit dem LinkedIn Recruiter „wertvolle(n) Einblicke(n) aus der LinkedIn Community“ als „weltweit größten Kandidatenpool“;Footnote 3 das XING E‑Recruiting wiederum empfiehlt sich mit dem „Know-how des führenden Karrierenetzwerks im deutschsprachigen Raum für Ihre erfolgreiche Mitarbeitersuche“.Footnote 4 Auch hier belegt die internationale Forschung kaum eindeutige Effekte (Jeske und Shultz 2016), liefert aber interessante Befunde zu den Praktiken der Selbstinszenierung in Nutzerprofilen (Zide et al. 2014). Ihre Relevanz für die Personalrekrutierung bestätigen Befragungsergebnisse, wonach die Karrierenetzwerke bei deutschsprachigen Interessenten an Jobangeboten zum zweitwichtigsten Suchkanal nach den Jobbörsen geworden sind (Weitzel et al. 2020, S. 5).

Plattformen zur Vermittlung konkreter Arbeitsaufträge (meist für Selbstständige) sind entweder der Gig Economy oder dem Crowdworking zuzuordnen (vgl. Schmidt 2016; Codagnone et al. 2016; Pongratz und Bormann 2017): Bei Gigwork werden die Leistungen „offline“ vor Ort erbracht (z. B. Reinigungs- und Fahrdienste), bei Crowdworking in digitaler Form „online“ übermittelt (z. B. Texterstellung, Designaufträge). Beeindruckend sind die Umsätze, die „offline“ inzwischen mit Gigwork erzielt werden, allerdings zum großen Teil über das Geschäftsmodell der Fahrdienste: Uber allein hat im Jahr 2019 Aufträge im Wert von etwa 65 Mrd. USD vermittelt.Footnote 5 Upwork als weltweit größte Crowdworking-Plattform für Freelancer weist demgegenüber für 2019 ein Online-Auftragsvolumen von „nur“ rund 2 Mrd. USD aus.Footnote 6 Gigwork ist im Hinblick auf die Abhängigkeit in der Auftragsausführung von den Regularien der Plattform höchst umstritten (Ivanova et al. 2018; Heiland und Brinkmann 2020). Crowdworking wird zumindest in Deutschland vorwiegend als Nebenverdienst genutzt und ermöglicht nur selten einen selbstständigen Haupterwerb (Leimeister et al. 2016; Pongratz und Bormann 2017).

Es handelt sich also um sehr unterschiedliche Informationsangebote und Vermittlungsdienste, welche von Plattformen auf dem Arbeitsmarkt bereitgestellt werden. Bei Prozessen der Personalrekrutierung, die im Mittelpunkt der weiteren Analyse stehen, ergänzen sich die Informationen zu Stellenangeboten und zu Stellensuchenden teils, teils stehen sie aber auch in Konkurrenz zueinander. Ihre Relevanz für die Branche der Beschäftigungsindustrie ist auch für die etablierten Akteure unübersehbar, die im Begriff stehen, ihr Leistungsspektrum zu diversifizieren und für digitale Dienste zu öffnen.

2.2 Diversifizierung der Beschäftigungsindustrie

Während Plattformunternehmen als digitale Akteure ihre Marktposition noch suchen, sind Firmen für Zeitarbeit und Personalberatung (Headhunting) in dem Geschäftsfeld, das sie nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen haben, fest etablierte Akteure (siehe Abb. 1). Geprägt ist die Branche, die sich selbst als „employment industry“ versteht, bislang von den großen globalen Zeitarbeitsfirmen. Unabhängig von der Digitalisierungsdynamik erweitern sie seit Längerem ihre Geschäftsmodelle systematisch über die Zeitarbeit hinaus zu einem breiten Angebot von Personaldienstleistungen, das neben dem Management der Zeitarbeit in den Kundenunternehmen (MSP; Managed Service Provider) auch Interimsmanagement, Outplacement und Personalrekrutierung (RPO; Recruitment Process Outsourcing) umfasst. Diese Diversifizierungsstrategie hängt damit zusammen, dass Zeitarbeit besonders konjunkturabhängig ist und in jüngster Zeit vor allem in Europa an Wachstumsgrenzen gestoßen ist. Nach mehreren Wachstumsschüben zwischen 2009 und 2017 stagnierten beispielsweise die globalen Umsätze der Marktführer Randstad und Adecco in den Jahren 2018 und 2019.Footnote 7

Die Diversifizierung der Geschäftsfelder lässt sich exemplarisch an den Akquisitionen ablesen, die Randstad zusätzlich zum Kauf von Zeitarbeitsfirmen in den vergangenen 20 Jahren getätigt hat: unter anderem Securior (2001, Personalvermittlung), Martin Ward Anderson (2005, Personalvermittlung), Management Angels (2008, Interimsmanagement), Expectra (2009, Personalvermittlung), RiseSmart (2015, Outplacement), Gulp (2016, Freelancer-Agentur), twago (2016, Crowdworking-Plattform), Monster (2016, Internetstellenbörse), BMC (2016, Personalvermittlung). Die zunehmende Relevanz von Plattformen für diese Unternehmensstrategie zeigt das Beispiel der japanischen Zeitarbeitsfirma Recruit Holdings, die sich als drittgrößtes Unternehmen der Branche mit Indeed als Stellensuchmaschine (2012) und Glassdoor als Arbeitgeberbewertungsportal (2018) die in ihrem Segment global führenden Plattformen einverleibt hat. Bezeichnenderweise werden sie als eigenständiger Geschäftsbereich „HR Technology“ mit dem stärksten Wachstumspotenzial im Unternehmen geführt (Recruit Holdings 2019). Bei den Branchenführern besteht damit bereits eine enge Verschränkung mit dem Plattformsegment.

Headhunting-Firmen hatten sich mit der Vermittlung von Führungskräften zunächst auf ein kleines, aber lukratives Geschäftsfeld konzentriert. Als Folge des Fachkräftemangels in einzelnen Berufen (z. B. IT-Fachkräfte, Gesundheitsberufe) und neuer digitaler Arbeitsmarktzugänge eröffnen sich ihnen erhebliche Expansionsmöglichkeiten. In Deutschland wird diese Ausweitung begünstigt durch die 1994 erfolgte Aufhebung des Vermittlungsmonopols der Bundesagentur für Arbeit und deren aktive Kooperation mit privaten Personaldienstleistern in Form von Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheinen im Zuge der sogenannten Hartz-Reformen 10 Jahre später (Knuth 2018). Vor diesem Hintergrund ist die Personalberatung wiederum für größere Zeitarbeitsfirmen zu einem zunehmend attraktiven Geschäftsfeld geworden.Footnote 8

Internetplattformen dienen Zeitarbeitsfirmen und Headhuntern als Unterstützung zur Erweiterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, zur Verbesserung der Datengrundlagen und zur Optimierung von Matching-Prozessen. Die Akquisitionen großer Zeitarbeitsfirmen lassen die wachsende Relevanz dieses Segments innerhalb der Branche erkennen. Für die Entwicklung des Verhältnisses der Plattformen als digitalen Akteuren zu den etablierten Intermediären der Beschäftigungsindustrie stellt die Innovationsdynamik digitaler Rekrutierungstechnologien eine maßgebliche Kontextbedingung dar.

2.3 Talent Acquisition Technology

Weltweit entwickeln Start-up-Unternehmen in großer Zahl unterstützende Tools für alle Phasen der Rekrutierung. Das Beratungsunternehmen Talent Tech Labs (2021) identifiziert in einer aktuellen Übersicht insgesamt 41 Bereiche von Talent Acquisition Technology. Sie reichen von Programmen zur CV-Erstellung über Tools zum Employer Branding bis hin zu Matching-Systemen und automatisierten Analyseverfahren.Footnote 9 Besonders vielfältig sind die Softwarelösungen zum Bewerbermanagement: Chatbots, Video-Interview-Tools oder Online-Testverfahren finden in größeren Unternehmen bereits regelmäßig Verwendung (vgl. aus Praxisperspektive Verhoeven 2020). Integrative Applicant Tracking Systems (ATS) werden deshalb auch von global führenden Anbietern von Unternehmenssoftware, wie SAP und Oracle, in ihre ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning) eingebunden. Fast alle diese Technologien operieren mit Algorithmen.

Ein zentrales Problem in der Anwendung stellt die Verknüpfung verschiedener technologischer Verfahren dar. Verbindungen zwischen Plattformen und Tools zum Bewerbermanagement erfolgen vorwiegend indirekt über ihre Nutzung im Recruiting von Arbeitgebern und Headhuntern: Beispielsweise können Stellenanzeigen für Jobbörsen über Job Post Optimization zielgruppengerecht aufbereitet werden, in Karrierenetzwerken gefundene Lebensläufe lassen sich mit Resume-Parsing-Software auswerten und Online-Profile mit automatisierten Background Checks überprüfen. Noch befinden sich die meisten Technologien im Erprobungs- und Experimentierstadium, und es lässt sich noch kaum absehen, welche Lösungen sich durchsetzen. Vorreiter der Techniknutzung sind in dieser Phase professionelle Headhunter. Der mit ihren Vermittlungsprovisionen einhergehende Erfolgsdruck veranlasst sie dazu, sowohl Zugang zum Datenangebot der Plattformen zu suchen, als auch sich intensiv mit innovativer Rekrutierungstechnologie zu befassen. Für die Geschäftsmodelle von LinkedIn oder XING stellen Headhunter daher eine zentrale Zielgruppe dar. Als Expertengruppe für die Nutzung digitaler Rekrutierungsinstrumente wächst ihre Bedeutung innerhalb der Beschäftigungsindustrie.

Das Interesse der Branche an technologischen Innovationen belegen exemplarisch die Investitionen des Randstad Innovation Fund in ein gutes Dutzend von Start-up-Unternehmen.Footnote 10 Für dieses Interesse ist es nicht unerheblich, dass digitale Rekrutierungsverfahren, ähnlich wie die Plattformen, eine Fülle von Daten in neuer Qualität generieren. Sie beschränken sich nicht wie in herkömmlichen Bewerbungsverfahren auf Lebenslauf und Zeugnisse, sondern erfassen auch Kommunikationsverhalten, Persönlichkeitsprofile oder Netzwerkmerkmale von Kandidaten, zu deren Ermittlung bislang aufwendige Assessmentcenter erforderlich waren. Inwieweit sich solche Daten in großen Talentpools zur dauerhaften Nutzung zusammenführen lassen, ist noch schwer abzusehen.

Es ist eine für die Entwicklung der Branche entscheidende Kernfrage, ob eine mit den Internetkonzernen vergleichbare Konzentrierung von Prozessdaten am Arbeitsmarkt gelingt und wer die Kontrolle darüber gewinnt. Digitale und etablierte Akteure, Plattformen ebenso wie große Zeitarbeitsfirmen und Personalberatungen, befassen sich mit dieser Herausforderung; sie stehen dabei in Konkurrenz zueinander und sind gleichzeitig auf Kooperation angewiesen. Die folgende Analyse zielt auf die aus dieser Konstellation resultierenden Entwicklungsoptionen und potenziellen Machtkonstellationen. Den Rahmen dafür bilden theoretische Annahmen zur Plattformökonomie und zur Rolle von Intermediären am Arbeitsmarkt, die es zunächst kurz vorzustellen gilt.

3 Infrastruktur, Intermediarität, Ökosystem – Theorieperspektiven

Die Beschreibung des Feldes digitaler Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ergibt das facettenreiche Bild unterschiedlicher Akteursgruppen (siehe Abb. 1), deren wechselseitige Beziehungen nicht immer so offen liegen wie bei Akquisitionen – und generell noch wenig erforscht sind. Zu ihrer Interpretation werden Theoriekonzepte aus zwei Forschungsrichtungen miteinander verknüpft: Analysen zum Typus des Plattformunternehmens und Studien von vermittelnden Instanzen am Arbeitsmarkt. Theoretische Bezugspunkte zu Internetplattformen bilden Annahmen zur digitalen Infrastruktur (Abschn. 3.1) und zum unternehmerischen Ökosystem (Abschn. 3.3). Da für diese Analysemodelle vorwiegend große Internetkonzerne Pate standen, bleibt ihre Übertragbarkeit genauer zu prüfen. Eine konzeptionelle Brücke bildet die Kategorie der Intermediarität, die in der Arbeitsmarktforschung zu „labour market intermediaries“ (LMIs) eingeführt ist und sich in neueren wirtschaftssoziologischen Studien weiter ausgearbeitet findet (Abschn. 3.2).

3.1 Plattformen als digitale Infrastrukturen

Die Plattformen auf dem Arbeitsmarkt zählen zum Typus der Transaktionsplattformen, die Gelegenheiten zum Austausch zwischen marktrelevanten Gruppen schaffen und deren Transaktionskosten reduzieren (zum Unterschied zu Innovationsplattformen siehe Cusumano et al. 2019). Je nach Leistung und Geschäftsmodell unterscheiden sich ihre Komponenten und Regelsysteme erheblich (Gawer 2020). Generell lassen sie sich mit Dolata (2018) verstehen als „datenbasierte und algorithmisch strukturierende soziotechnische Infrastrukturen“ (Dolata 2018, S. 6), über die „große Teile des privaten und öffentlichen Austauschs im Netz privatwirtschaftlich organisiert, kuratiert und kommodifiziert“ (Dolata 2018, S. 5) werden. Die erforderliche Hardware schließt neben den eigenen Datenverarbeitungskapazitäten immer auch schon den privaten Besitz von internetfähigen Endgeräten (Smartphones, Laptops etc.) bei den Nutzern und den öffentlichen Zugang zum Datennetz ein. Webseiten bilden die öffentlich zugänglichen Portale, die über Angebote informieren, Austausch unterstützen und den Betreibern erlauben, sämtliche Nutzungsaktivitäten zu registrieren, die Daten zu speichern und auszuwerten. Zugrunde liegen eine Software, die den Datenfluss organisiert (einschließlich algorithmischer Verfahren), und ein Regelsystem, das festlegt, welche Operationen von welcher Nutzergruppe getätigt werden können und welche Folgen sie im System haben. Diese Basisstruktur wird je nach Geschäftsmodell durch weitere Bausteine ergänzt, etwa durch Kommunikations- und Logistiksysteme.

Weithin akzeptiert ist die Annahme, dass der Austausch nach dem Prinzip zweiseitiger Märkte (Rochet und Tirole 2003) mit ihren charakteristischen Netzwerkeffekten erfolgt: Je aktiver die eine Nutzerseite ist, umso attraktiver wird die Plattform sowohl für weitere Nutzer dieser Seite als auch für die andere Seite: „Der ökonomische Erfolg etwa von Google und Facebook als Werbe- und Marketingunternehmen resultiert aus der großen Zahl ihrer Nutzer, durch die ihre Plattformen für Werbetreibende besonders interessant werden“ (Dolata 2018, S. 7). Die Plattformen treten als „organisierende und regulierende Intermediäre“ (Dolata 2018, S. 10) auf, die beide Seiten an sich zu binden versuchen, indem sie vielfältige Anreize zum Austausch setzen. Erfolgsfaktoren der Plattformen sind der unkomplizierte Zugang und die Verfügbarkeit kostenloser Leistungen, weil sie den Einstieg erleichtern und Bindungswirkungen zeitigen. Zu beachten bleibt bei der Annahme zweiseitiger Märkte, dass es beim Austausch oft nicht um Güter und Dienste geht (wie bei Amazon), sondern um Informationen unterschiedlichster Art, etwa bei Facebook oder Google um Kommunikationsbedürfnisse einerseits und Werbebotschaften andererseits. Insofern gilt die pauschale Annahme, dass es sich bei Internetplattformen um Marktplätze oder Märkte handelt (Staab 2019), nur eingeschränkt (etwa hinsichtlich von Mechanismen der Preisbildung; vgl. den „multi-markets approach“ von Franck und Peitz 2019).

Unter den Plattformen auf dem Arbeitsmarkt organisieren nur Gigwork- und Crowdworking-Plattformen einen Markttausch und führen das Leistungsangebot selbstständig Erwerbstätiger direkt mit entsprechender Nachfrage auf Auftraggeberseite zusammen. Die anderen Plattformen zielen zwar ebenfalls auf Transaktionen auf dem Arbeitsmarkt ab, aber sie stellen dafür lediglich Informationen über Angebot und Nachfrage von Arbeitskraft bereit. Auch die trilaterale Konzeption von Internetplattformen als dritter Instanz zwischen zwei an Austausch interessierten Nutzerkreisen ist für die Prozesse am Arbeitsmarkt zu erweitern: Wie oben angeführt (Abschn. 2.3), können professionelle Headhunter als intermediäre Nutzergruppe hinzutreten, die für die eigene Vermittlungsleistung auf die Dienste der Plattformen zurückgreift. Hier zeichnet sich ein Zweckbündnis zweier intermediärer Instanzen ab, mit dem ein etablierter Intermediär das Informationsangebot des digitalen Intermediärs vermittels Rekrutierungstechnologie erst in seiner vollen Qualität zur Geltung bringt (vgl. Ozalp et al. 2018). Diese exemplarisch veranschaulichte Beziehungskonstellation erfordert ein differenzierteres Verständnis intermediärer Funktionen, als es in der Forschung zur Plattformökonomie üblich ist.

3.2 Funktionen von Labour Market Intermediaries (LMIs)

Vertiefte Betrachtungen der Kategorie der Intermediarität erlauben zwei Ansätze, die bisher nur lose miteinander in Verbindung stehen: die verschiedenen Typen von LMIs in der Arbeitsmarktforschung (Autor 2009; Bonet et al. 2013) und die generelle Analyse des Markteinflusses von Intermediären in der wirtschaftssoziologischen Konventionentheorie (Bessy und Chauvin 2013). Beide Richtungen gehen aus von der Kritik an der Annahme der neoklassischen Ökonomie, dass Anbietende und Nachfragende auch am Arbeitsmarkt über ausreichend Informationen verfügen, um eine optimale Allokation von Arbeitskraft zu erzielen. Beide verweisen demgegenüber auf typische Einschränkungen der Informationsmöglichkeiten, etwa die hohen Suchkosten oder die Informationsasymmetrie zwischen Stellensuchenden und Arbeitgebern (vgl. Williamson 1985). Die generelle Funktion der Intermediäre sehen sie in der Behebung derartiger Abstimmungsprobleme durch erleichterten Zugang zu Informationen und Ausgleich der Wissensdifferenzen. Von dieser recht ähnlichen Ausgangsposition aus werden verschiedenartige Differenzierungen vorgeschlagen.

Im weiten Begriffsverständnis von Autor (2009) sind Labor Market Intermediaries (LMIs) „entities or institutions that interpose themselves between workers and firms to facilitate, inform, or regulate how workers are matched to firms, how work is accomplished, and how conflicts are resolved“ (Autor 2009, S. 1). Das schließt Privatunternehmen ebenso ein wie die öffentliche Arbeitsverwaltung und die Kollektivvertretung der Gewerkschaften. Stellenbörsen und Zeitarbeitsfirmen werden als primäre Funktionen Informationsbereitstellung und Reduzierung von Suchkosten zugewiesen (Autor 2009, S. 3; vgl. auch Nakamura et al. 2009). Bonet et al. (2013) unterscheiden drei Typen privatwirtschaftlicher Intermediäre, „Information Providers, Matchmakers, and Administrators“ (Bonet et al. 2013, S. 342), mit verschiedenen Funktionen: Stellenbörsen verstehen sie primär als Informationsangebote, Zeitarbeitsfirmen als administrative Dienste der Bereitstellung von Personal, wohingegen sie Personalvermittlungen die Matching-Funktion zuweisen. In der Expansion privater Intermediäre erkennen sie einen Paradigmenwandel (Bonet et al. 2013, S. 383) zur Steigerung der Flexibilität von Angebot und Nachfrage.

Die französische Konventionentheorie richtet den Blick auf den Beitrag von Intermediären zur sozialen Konstruktion von Märkten („construction, maintenance, or expansion“, Bessy und Chauvin 2013, S. 84). Ihr Analysefokus liegt auf der Funktion der Wertbestimmung („valuation“) von Gütern und Diensten, indem Intermediäre kognitive Schemata zu ihrer Bewertung bereitstellen und Regeln und Konventionen für den Tausch definieren. Über die bloße Behebung von Informationsdefiziten hinaus verweisen sie auf die Entwicklung und Durchsetzung von Kriterien und Kategorien, die sich in Qualitätskonventionen abbilden (Diaz-Bone 2015). Arbeitsmärkte stellen dafür ein wichtiges Untersuchungsfeld dar, mit der Definition von Kompetenzen in Stellenanzeigen als frühem empirischem Analysefokus (Bessy und Eymard-Duvernay 1997; Bessy 2017). Nach ihrem Beitrag zum „valuation frame“ unterscheiden Bessy und Chauvin (2013, S. 96) vier Typen von Intermediären: „distributors“ regeln Verteilungsaufgaben (etwa als Handelsunternehmen), „matchmakers“ stiften Beziehungen (z. B. Künstleragenturen), „consultants“ machen spezialisierte Wertordnungen zugänglich (mit Modeberatung als Beispiel) und „evaluators“ nehmen „rankings or ratings“ (Bessy und Chauvin 2013, S. 101) vor. Diese Charakterisierungen lassen sich als Grundfunktionen verstehen, die sich im Leistungsangebot eines Intermediärs miteinander verbinden können.

3.3 Plattformen im Kontext: Ökosysteme und Felder

Bei intermediären Organisationen liegt es nahe, ihr Umfeld in die Analyse miteinzubeziehen; in der Forschung zu Plattformen wird das insbesondere mit Konzepten von Plattformwettbewerb (Rietveld und Schilling 2021) und Plattformökosystemen (Jacobides et al. 2018; Kapoor 2018; Hein et al. 2020) versucht. Die Übernahme der Kategorie des Ökosystems aus der Biologie zielt auf neue Formen der wechselseitigen Abhängigkeit von Unternehmen ab, die sich mit Konzepten von Unternehmensnetzwerken oder Allianzen nicht hinreichend abbilden lässt: „An ecosystem is a set of actors with varying degrees of multilateral, nongeneric complementarities that are not fully hierarchically controlled“ (Jacobides et al. 2018, S. 2264). Plattformen stehen demnach im Zentrum eines Systems von „complementors“ mit ihren ergänzenden, aber eigenständigen Angeboten (Hein et al. 2020). Kennzeichnend für Plattformökosysteme ist das Prinzip der Modularität mit mannigfachen Komplementärbeziehungen, technisch ermöglicht durch digitale Schnittstellen. Ob der Begriff des Ökosystems auf diese Weise übertragbar ist, mag dahingestellt bleiben; festzuhalten ist das Charakteristikum der Gleichzeitigkeit von Wettbewerb und Kooperation im Umfeld der Plattformen.

Jenseits der Plattformökonomie werden unterschiedliche Ökosystemkonstellationen beobachtet: Hannah und Eisenhardt (2018) identifizieren in vergleichenden Fallstudien in der Solarindustrie eine „bottleneck strategy“, mit der Unternehmen durch die Kontrolle jener Komponente ins Zentrum des Ökosystems rücken, „that most constrains the growth or performance of the ecosystem due to poor quality, poor performance, or short supply“ (Hannah und Eisenhardt 2018, S. 3172). Unternehmen stünden demnach vor drei Leitfragen ihrer Ökosystemstrategie: „(a) how many and which components to enter, (b) with which complementors to align, and (c) how to balance cooperation and competition“ (Hannah und Eisenhardt 2018, S. 3187). Übertragen auf Plattformen bedeutet das, in die Analyse des Geschäftsmodells neben der Ausrichtung auf die beiden „Seiten des Marktes“ auch die strategische Verortung im Ökosystem systematisch zu berücksichtigen. Im Anschluss an Hannah und Eisenhardt bleibt zwar nach komplementären Beziehungen zu suchen, es ist aber nicht von vorneherein davon auszugehen, dass Plattformen deren Zentrum bilden.

Erweiterte Analyseperspektiven eröffnet die wirtschaftssoziologische Feldtheorie (Fligstein und McAdam 2012), die Kirchner und Schüssler (2020) als Analyserahmen für Plattformen der Sharing Economy (Uber, Airbnb u. a.) vorschlagen: „Moving beyond a narrow focus on single organizations, a field perspective introduces a relational view on organizations that perceive each other as relevant“ (Kirchner und Schüssler 2020, S. 8). Die Sharing Economy lässt sich damit als ein neuartiges Feld verstehen, dessen Entwicklung digitale wie etablierte Akteure, privatwirtschaftliche wie öffentliche Organisationen prägen. Die Analyse erfordert die Identifizierung der relevanten Akteure und die nähere Bestimmung ihrer Beziehungen, insbesondere der Machtrelationen, um so die für das Feld charakteristischen „intermediation structures of the marketplace“ (Kirchner und Schüssler 2020, S. 14) zu ermitteln.Footnote 11 Mit Feldern als offenen strategischen Handlungsräumen greift die machtanalytische Perspektive über das Ökosystem als engerem Umfeld der Plattformen hinaus. Den Rahmen für die vorliegende Analyse bildet das Feld der Beschäftigungsindustrie, in welchem sich Plattformen mit unterschiedlichen intermediären Beiträgen zur Personalrekrutierung positionieren.

4 Ausprägungen der Plattformökonomie am Arbeitsmarkt

Bisher wurde gezeigt: Am Arbeitsmarkt schaffen verschiedene Plattformtypen eine digitalisierte Infrastruktur zur Unterstützung von Vermittlungsprozessen des Angebots von und der Nachfrage nach Arbeitskraft; ihr Leistungsangebot ist aber im Zusammenhang mit etablierten intermediären Akteuren innerhalb der Beschäftigungsindustrie zu sehen (Abschn. 2). Auf Basis des skizzierten Theorierahmens (Abschn. 3) lassen sich nunmehr drei Thesen zur Ausprägung der Plattformökonomie am Arbeitsmarkt formulieren. Erstens ist eine Ausdifferenzierung intermediärer Funktionen und Akteure festzustellen, im Zuge derer Plattformen wichtige Bereiche abdecken, ohne die Infrastruktur bislang zu dominieren (Abschn. 4.1). Diese Vielgestaltigkeit von Elementen der digitalen Infrastruktur erfordert zweitens neuartige Kooperationen und Allianzen zwischen den Akteuren, die über den Ökosystemansatz hinausweisen (Abschn. 4.2). Die Entwicklungsdynamik resultiert folglich, so die dritte Annahme, weniger aus der technologischen Innovationskraft und schnellen Markteroberung durch einzelne Plattformen als aus konkurrierenden Strategien der Positionierung in einem machtpolitisch volatilen Feld (Abschn. 4.3).

4.1 Differenzierungsprozesse intermediärer Dienste

Eine der Grundannahmen zur Plattformökonomie lautet, dass Transaktionsplattformen in sozialen oder ökonomischen Austauschprozessen mit innovativen Geschäftsmodellen spezialisierte Kernfunktionen übernehmen (Cusumano et al. 2019). Über deren einfache und kostengünstige Zugänglichkeit erschließen sie rasch breite Nutzerkreise, um anschließend das Leistungsspektrum mit kostenpflichtigen Diensten gewinnträchtig zu erweitern und so die Prozesskontrolle abzusichern und auszubauen. Auf dem Arbeitsmarkt haben derartige Bestrebungen bisher eher zu einer Ausdifferenzierung des Plattformangebots als zu seiner Konzentration geführt.

So wird die Kernfunktion des Matching von Angebot und Nachfrage nur von einem Teil der Plattformen unmittelbar übernommen. Im Zentrum steht diese Leistung bei Gigwork-Plattformen, die klar definierte Aufträge für Selbstständige vermitteln: Fahrdienste wie Uber und Lyft etwa folgen einem einfachen Aufgabenprofil, „bringe Person X zum Zeitpunkt t von A nach B“, das mit Navigationsdaten vollständig digital abbildbar ist (ähnlich bei Essenslieferdiensten). Die deutlich komplexeren Aufgaben des Crowdworking (z. B. Designentwicklung, Texterstellung) werden hingegen meist nicht von der Plattform direkt vermittelt: Freelancer-Plattformen wie Upwork oder twago erfüllen primär Distributionsfunktionen mit Informationen zum verfügbaren Angebot und mit Evaluierungsdiensten zu vorausgegangenen Nutzeraktivitäten; Aufträge müssen auf dieser Basis individuell ausgehandelt werden. Da die Kommunikation zwischen Auftraggeber- und Freelancerseite oft zu Missverständnissen führt (Pongratz 2019), bieten einige dieser Plattformen inzwischen Matching-Dienste als kostenpflichtige Zusatzleistung an. Die vorläufige Hypothese kann lauten: Je konkreter sich Arbeitsaufgaben spezifizieren und standardisieren lassen, umso eher übernehmen Plattformen das Matching.

Besonders anspruchsvoll wird diese Aufgabe, wenn es nicht um einzelne Aufträge für Selbstständige, sondern um dauerhaft zu besetzende, qualifizierte Positionen in Betrieben geht. Die verschiedenen Plattformtypen (siehe Abschn. 2.1) übernehmen im Rekrutierungsprozess unterschiedliche intermediäre Funktionen. So tragen Plattformen zur Stellenvermittlung primär mit Informationen über Angebot und Nachfrage zur Distribution der Ware Arbeitskraft bei. Die Stellenbörsen haben im Grunde genommen nicht einmal ein neues Geschäftsfeld entdeckt, sondern den Stellenmarkt der Printmedien lediglich ins Internet verlagert. Daraus resultierende Verluste im Anzeigengeschäft haben wiederum Medienkonzerne (in Deutschland etwa Springer und Burda) dazu bewegt, in Stellenbörsen zu investieren. Innovativen Charakter hat eher das Tracking von Jobofferten durch Stellensuchmaschinen; Google for Jobs versucht sogar, eine global gültige Konvention zur Strukturierung von Stellenausschreibungen durchzusetzen, um die Leistungsfähigkeit der eigenen Suchmaschine zu steigern (Hoppner et al. 2018). Aber selbst diese globale Bündelung des Angebots konnte bisher die Stellenbörsen nicht verdrängen, von denen viele regional oder fachlich spezialisiert agieren.

Die begrenzte Reichweite der Plattformen zur Arbeitgeberbewertung wiederum hängt mit einer Besonderheit des Arbeitsmarkts zusammen: Diese Informationen sind nur relevant, sofern und solange jemand aktiv auf Stellensuche ist, weshalb ihre regelmäßige Nutzung eher selten ist. Demgegenüber erfüllen Karrierenetzwerke ihre Informationsfunktion beständig für Erwerbstätige, die nach fachlichem Austausch und beruflicher Vernetzung streben. Da sie auf kontinuierliche aktive Betätigung ausgelegt sind, generieren sie Daten zum Kommunikations- und Beziehungsverhalten, die als Grundlage zur Evaluierung der Leistungspotenziale der Nutzer und für kostenpflichtige Angebote für Recruiter dienen. In der Personalrekrutierung, so lässt sich bilanzieren, tragen Plattformen als „distributors“, „consultants“ und „evaluators“ (Bessy und Chauvin 2013) zur Digitalisierung des Arbeitsmarkts bei, aber kaum als „matchmakers“.

Die Matching-Funktion bleibt trotz der Vielzahl digitaler Dienste weitgehend den „traditionellen“ Rekrutierungsexperten in Unternehmen und professionellen Personalvermittlungen überlassen. Die Plattformen übernehmen entweder ergänzende Aufgaben mit der Vermittlung von Freelancern oder machen unterstützende Angebote mit Informations- und Evaluierungsleistungen. Das Karrierenetzwerk LinkedIn zeigt zwar mit über 700 Mio. Online-Profilen weltweit, dass dabei umfangreiche Datenbestände aufgebaut werden können. Zur Realisierung ihres Nutzenpotenzials ist aber die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Feld erforderlich, denen die Daten Verbesserungen ihrer eigenen Vermittlungsdienste ermöglichen. Auf dem Arbeitsmarkt bestätigt sich die Annahme von Kirchner und Matiaske (2020) von der Plattformökonomie als „vielschichtiges Phänomen, das durch unterschiedliche, partiell aufeinander aufbauende und untereinander verzahnte Plattformtypen charakterisiert ist“ (Kirchner und Matiaske 2020, S. 106).

4.2 Strategien zur Koordinierung digitaler Leistungsangebote

Die digitale Infrastruktur, welche die Plattformen bislang bereitstellen, bildet somit Vermittlungsprozesse am Arbeitsmarkt keineswegs vollständig ab. Komplementäre Komponenten werden von Start-up-Unternehmen entwickelt, die nicht als Plattformen organisiert sind: Talent Acquisition Technology umfasst, wie oben gezeigt (Abschn. 2.3), ein höchst heterogenes Spektrum voneinander unabhängiger Einzellösungen zu allen Phasen des Rekrutierungsprozesses. Eine technische Integrationslösung versuchen Applicant Tracking Systems (ATS) mit Schnittstellen zum Datenaustausch zwischen den diversen digitalen Instrumentarien. Doch zur Frage, wie aus der Vielzahl technologischer Bausteine eine integrierte Infrastruktur für die Personalrekrutierung erwachsen kann, fehlt es an Forschung und an hinreichend dokumentierten Fallbeispielen aus der Anwendungspraxis.

Beobachten lassen sich indes diverse Strategien digitaler wie etablierter Akteure im Feld zur Koordinierung des digitalen Leistungsangebots. Die grundsätzliche Problematik verdeutlichen drei exemplarische Lösungsansätze mit globaler Reichweite: die auf das Ökosystem fokussierte Strategie von LinkedIn, die auf Zukäufe sich stützende Konzernstrategie von Randstad und der Netzwerkansatz des Unternehmensverbundes Velocity Network Foundation. Die Strategien von LinkedIn und Randstad wurden im Verlauf der Darstellung bereits mehrfach angeführt und können deshalb hinsichtlich ihres Koordinierungsansatzes kurz bilanziert werden. LinkedIn (ähnlich XING für den deutschsprachigen Raum) schafft auf die für viele Plattformen typische Weise ein Ökosystem und stellt Auswertungen von Nutzerdaten unterschiedlichen Kundengruppen zur Weiterentwicklung ihrer Rekrutierungsverfahren zur Verfügung – neben den großen Arbeitgebern vor allem professionalisierten Personalvermittlungen, die aufgrund ihrer Spezialisierung als „Anwendungspioniere“ gelten können. Randstad hat dagegen als Zeitarbeitskonzern durch Akquisitionen sein Dienstleistungsangebot diversifiziert, kann dadurch digitale Technologien intensiver nutzen und entsprechendes Wissen im eigenen Haus verfügbar machen. Der Randstad Innovation Fund investiert allerdings bereits im Rahmen eines Netzwerks von Start-ups in technologische Innovationen.

Die Velocity Network Foundation startete erst Anfang 2020 offiziell und befindet sich noch im Aufbau ihres Dienstleistungsangebots, verfolgt aber einen besonders ambitionierten Innovationsansatz, technologisch wie organisatorisch, für ein gemeinsames Grundproblem der Branche: Wie lassen sich Bildungsangaben und Arbeitsnachweise international zuverlässig beglaubigen? Die technologische Lösung bildet eine Netzwerkarchitektur auf Basis von Blockchain-Technologie zur digitalen Verifizierung der Angaben von Bewerbern („verified career records“, Velocity 2020, S. 20 f.). Die organisatorische Innovation besteht in der Gründung einer Non-Profit-Organisation durch eine Gruppe von ursprünglich 16 Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Interessen am Arbeitsmarktgeschehen (Velocity 2020, S. 18).Footnote 12 Velocity strebt ein „internet of careers“ als weltweit verfügbare Infrastrukturkomponente an, die allen Mitgliedern auf Grundlage des Prinzips der Gegenseitigkeit offensteht.

Unabhängig davon, inwieweit sich dieses Modell in der Praxis bewähren wird, verdeutlicht der Plan, wie groß der Handlungsdruck innerhalb des Felds ist – aber eben auch wie weit der Koordinierungs- und Gestaltungsanspruch reicht. Bemerkenswert ist allein schon die offenbar weithin geteilte Einsicht, dass die Zertifizierung und Validierung von Qualifikationen gemeinsame Grundprobleme unterschiedlicher Akteursgruppen darstellen, deren Lösung koordinierte Anstrengungen erfordert. Dabei wird nicht auf eine Marktlösung gesetzt, wie sie beispielsweise das Start-up-Unternehmen Appii ebenfalls mit Blockchain-Technologie anbietet. Vielmehr hat sich eine die Grenzen der Branche überschreitende, neuartige Unternehmensallianz zur Suche nach einer Non-Profit-Lösung mit einem „open source framework“ (Velocity 2020, S. 17) zusammengefunden. Während die LinkedIn-Strategie auf das Ökosystem rekurriert, nimmt die Konzernstrategie von Randstad bereits das ganze Feld der Beschäftigungsindustrie in den Blick. Das Beispiel der Velocity Network Foundation schließlich verweist auf noch wesentlich weiter ausgreifende Ansprüche zum Aufbau einer digitalen Infrastruktur für Bildungs- und Qualifizierungsnachweise auf dem globalen Arbeitsmarkt.

4.3 Positionierungen der Plattformen im Feld der Beschäftigungsindustrie

Plattformen nehmen in den genannten Strategien unterschiedliche Positionen ein. Während LinkedIn das Zentrum eines sich entwickelnden digitalen Dienstleistungsangebots zu besetzen versucht, werden die Akquisitionsobjekte von Randstad zu Bausteinen eines diversifizierten Leistungsspektrums und mutmaßlich zum Lern- oder Testfall für umfassendere Digitalisierungsbestrebungen. Eher als gleichberechtigte Partner erscheinen sie in einer Unternehmensallianz wie der Velocity Network Foundation mit Fokus auf die gemeinsame Lösung eines Infrastrukturproblems, das für die digitalisierte Kooperation innerhalb der Branche von grundlegender Bedeutung ist. Derartige Variationen der Positionen machen es erforderlich, die Analyseperspektive zur Digitalisierung des Arbeitsmarkts auf das gesamte Feld der Beschäftigungsindustrie auszuweiten. Der Ökosystemansatz greift in jenen Fällen zu kurz, in denen Plattformen nicht zum zentralen Bezugspunkt eines Netzes digitaler Geschäftsmodelle werden.

Mit einem feldtheoretischen Zugang rückt die Frage in den Mittelpunkt, welche Machtpositionen die Akteure im Verhältnis zueinander einnehmen und welche Konfliktpunkte oder Kooperationspotenziale daraus resultieren (Abschn. 3.3). Für eine detaillierte Analyse hierzu fehlt aktuell die empirische Grundlage. Es ist zudem davon auszugehen, dass sich die Positionen im Feld erst allmählich klären, beständig wandeln und noch kaum klare Strukturen erkennen lassen. Als für die weitere Entwicklung besonders relevant zeichnen sich in einer vorläufigen Interpretation die Machtpotenziale von Plattformen, Headhunting-Firmen und Zeitarbeitskonzernen ab. Die wesentliche Ressource der Plattformen sind auch am Arbeitsmarkt die Daten, die ihnen über die Angaben und die Aktivitäten („Verhaltensspuren“) ihrer Nutzer zur Verfügung stehen. In dieser Hinsicht haben die Karrierenetzwerke ausgesprochene Vorteile, weil sie am ehesten über Daten aktiven Kommunikations- und Vernetzungsverhaltens verfügen. Eine herausgehobene Position im Ökosystem dieser Plattformen nehmen wiederum die Headhunting-Firmen aufgrund ihres Expertenwissens zur Matching-Funktion ein. Zwischen Karrierenetzwerken und professioneller Personalvermittlung zeichnet sich ein produktives Kooperationsverhältnis ab, weil letztere das Anwendungsspektrum von Rekrutierungstechnologien ausweiten und die Plattformdaten besonders effektiv nutzen.

Schwieriger einzuordnen sind die Zeitarbeitskonzerne, weil sie in unterschiedlichen Rollen aktiv werden. Die bisherige Argumentation hat vor allem auf ihre Investitionen in Plattformen, Rekrutierungstechnologien und „traditionelle“ Personaldienstleistungen Bezug genommen. Als Arbeitgeber der Zeitarbeitnehmer sind sie aber auch selbst regelmäßig auf Personalsuche und stellen somit maßgebliche Anwender und Nutznießer von digitalen Vermittlungsdiensten dar. Und grundsätzlich befinden sie sich mit dem Angebot von Zeitarbeit als Alternative zur Festanstellung wie zur Freelancer-Beschäftigung in direkter Konkurrenz zu den anderen Vermittlungsdiensten im Feld. Damit eröffnen sich ihnen reichlich Kooperations- und Wettbewerbsoptionen. Als Machtressource sind dafür weniger die Personaldaten relevant, weil sie als Arbeitgeber bei deren Auswertung teils an beträchtliche gesetzliche Einschränkungen gebunden sind, in Deutschland etwa mit dem Betriebsverfassungsgesetz. Aber Zeitarbeitsfirmen haben seit den 1960er-Jahren auf den Arbeitsmärkten der großen Industrienationen mit viel Energie institutionelle Bedingungen zu ihren Gunsten beeinflusst und sind in der Folge erheblich expandiert (Peck und Theodore 2007; Coe et al. 2007). Neben dem wirtschaftlichen Erfolg und der Investitionskraft einer Branche, deren globaler Umsatz vom eigenen Verband mit 457 Mrd. € im Jahr 2017 (WEC 2019) angegeben wird, ist vor allem dieser über Jahrzehnte aufgebaute politische Einfluss ein wesentlicher Machtfaktor. Im Bemühen um politische Wirksamkeit haben sich die großen Unternehmen früh global organisiert und in der World Employment Confederation (WEC, bis 2016: CIETT) zusammengeschlossen, die sich nunmehr auch für das Feld digitalisierter Dienstleistungen am Arbeitsmarkt für zuständig erklärt.

Die wirtschaftliche und politische Stärke der Zeitarbeitsfirmen innerhalb einer gut organisierten Verbandsstruktur, das Expertenwissen der professionellen Personalberatungen und die Datenbestände der Plattformen bilden zentrale Machtressourcen im Feld. Die weitere Entwicklung der Beschäftigungsindustrie dürfte wesentlich davon abhängen, inwieweit und in welchen Konstellationen es gelingt, diese Potenziale wirkungsvoll zu verbinden. Noch ist viel Bewegung im Feld, die Beziehungen zwischen digitalen und etablierten Akteuren sind wenig gefestigt und es zeichnet sich kein stabiles Machtgefüge ab. Die Entwicklungsdynamik der Rekrutierungstechnologien verstärkt aufgrund ihrer Vielfalt und mangelnden Anwendungsreife momentan diese machtpolitische Volatilität. Es bleibt daher abzuwarten, mit welchen der konkurrierenden Strategien und Ressourcen es am ehesten gelingt, unterschiedliche Datenbestände zu integrieren und für Matching-Funktionen nutzbar zu machen. Trotz dieser Ungewissheiten ist der globale Arbeitsmarkt angesichts der Differenzierungen der Plattformmodelle längst zu einem relevanten Schauplatz der Plattformökonomie geworden.

5 Sonderweg der Digitalisierung des Arbeitsmarktes?

Bei aller innovativen Vielfalt breiten sich die digitalen Dienste am Arbeitsmarkt eher zögerlich aus und stehen in der Praxis der Umsetzung vor erheblichen Schwierigkeiten. Die Digitalisierung der Vermittlungsprozesse folgt nicht der in der Öffentlichkeit dominanten Erzählung vom disruptiven Wandel durch rasant expandierende Plattformmodelle. In der hier vorgeschlagenen Interpretation fallen eher die markanten Unterschiede der Positionierungen von Plattformen am Arbeitsmarkt im Vergleich zu den disruptiven Geschäftsmodellen der Internetkonzerne ins Auge. Zwar sind führende Internetkonzerne auch in diesem Feld aktiv, mit Google for Jobs, Amazon Mechanical Turk, Facebook Jobs oder LinkedIn (als Microsoft-Tochter), aber nur in einzelnen Segmenten und ohne marktbeherrschende Position. Internetplattformen und Technologie-Start-ups bleiben mit ihren Teillösungen eingebunden in Akteurskonstellationen ohne dominantes Zentrum. Statt technologischer Umbrüche ist eher ein „digitaler Inkrementalismus“ (Kirchner und Matiaske 2019) zu beobachten, im Zuge dessen unterschiedlichste Verfahrensweisen entwickelt, getestet und erst in der praktischen Erprobung schrittweise zur Anwendungsreife gebracht werden. Angesichts der spezifischen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt liegt es nahe, von einem Sonderweg der Digitalisierung auszugehen (Abschn. 5.1). Im Vergleich mit der Diagnose der Privatisierung, Kuratierung und Kommodifizierung durch Plattformen von Dolata (2018, 2019) zeigen sich jedoch bemerkenswerte Parallelen (Abschn. 5.2).

5.1 Besondere Bedingungen für Digitalisierungsstrategien auf dem Markt für Arbeit

Auf den für die Entwicklung von Technologie und Marktangebot zur Verfügung stehenden Zeitraum lässt sich die mäßige Wachstumsdynamik von Plattformen auf dem Arbeitsmarkt kaum zurückführen. Mitte bis Ende der 1990er-Jahre, als Amazon (1994) und Google (1998) gegründet wurden, starteten auch die ersten Online-Stellenbörsen, beispielsweise Stepstone (1996) oder Monster (1999). Und die beruflichen sozialen Netzwerke LinkedIn (2002) und XING (2003) gab es schon, bevor Facebook 2004 seine Online-Pforten öffnete und rasch ein Vielfaches an Nutzern auf seiner Plattform vereinte. Als digitale Intermediäre können die Plattformen damit eher als Vorreiter denn als Nachzügler gelten.

Zur Erklärung der unterschiedlichen Durchsetzungsfähigkeit des digitalen Dienstleistungsangebots ist daher auf die aus der Arbeitsmarktforschung bekannten Besonderheiten dieses Marktes zu verweisen. Bereits in Verbindung mit dem Theorieansatz der Konventionenökonomie (Abschn. 3.2) wurden die spezifischen Informations- und Suchkosten angeführt, die Anlass zu Abweichungen vom Marktmodell der neoklassischen Ökonomie geben. Hohe Informations- und Suchkosten bilden einen Anreiz für digitale Intermediäre, mit Plattformmodellen die Markttransparenz zu verbessern. Dem steht, wie soziologische Analysen belegen (z. B. Köhler und Krause 2014), die ausgesprochene Komplexität der Austauschbeziehungen und ihrer sozioökonomischen Einbettung gegenüber, die aus Segmentierungen nationaler und fachspezifischer Arbeitsmärkte und aus den institutionellen Strukturen ihrer politischen Regulierung resultiert.

Vor diesem Hintergrund ist eher davon auszugehen, dass die relative Beständigkeit sowohl der Vielfalt der Plattformmodelle als auch der Vielzahl von Plattformunternehmen mit den komplexen Informationsanforderungen der Vermittlung von Arbeitskraft zusammenhängt, auf Angebots- wie auf Nachfrageseite. Auf der Angebotsseite gründet die Qualität von Arbeitskraft nicht nur in fachlichen Kompetenzen, sondern auch in persönlichen Fähigkeiten des Kommunikations- und Sozialverhaltens sowie in der Motivationsbereitschaft. Mit der Regulierung von allgemeiner und beruflicher Bildung lässt sich zwar der Erwerb von Qualifikationen normieren und über Zertifikate kommunizieren, aber ihre Anwendung und Weiterentwicklung bleiben schwer zu dokumentieren. Auf der Nachfrageseite scheinen sich die Anforderungen einer Stelle einfacher beschreiben und per Stellenanzeige mitteilen zu lassen; doch spielen vor allem bei anspruchsvolleren Aufgaben Erwartungen an Erfahrungswissen und Entscheidungsfähigkeiten eine wesentliche Rolle, die sich ohne persönlichen Austausch schwer klären lassen. Es verwundert deshalb nicht, dass die Plattformen selten das Matching von Angebot und Nachfrage als Leistung anbieten und sich auf spezifische Informationsbedarfe konzentrieren.

Analysen zu Crowdworking-Plattformen zeigen, dass der wechselseitige Klärungsbedarf nicht nur bei der Rekrutierung von Personal hoch ist, sondern auch bei der Vermittlung kleinerer selbstständiger Aufträge (Pongratz 2019). Die Rating- und Rankingverfahren der Plattformen erleichtern zwar die Vorauswahl, lösen aber vor allem bei komplexeren Aufgaben nicht die Aushandlungsprobleme in der Auftragsklärung. Abstimmungsschwierigkeiten bei Auswahlentscheidungen zum Angebot von Arbeitskraft resultieren zudem aus institutionellen Anforderungen (Regulierungen des Arbeitsmarktes oder des selbstständigen Erwerbs) und aus kulturellen Differenzen (z. B. bezüglich Praktiken der Selbstdarstellung und der Interessenartikulation). Solchen Faktoren werden regional und fachlich spezialisierte Plattformen eher gerecht, wie sie sich im Bereich der Stellenbörsen in großer Zahl erhalten haben.

Führende Internetkonzerne sind in der Folge im Feld der Beschäftigungsindustrie entweder als Imitatoren (Google for Jobs, Facebook Jobs) oder als Investoren (Microsoft/LinkedIn) aktiv. Weder prägen sie dort die technologische oder die wirtschaftliche Dynamik, noch konnte sich ein zu ihrem Kerngeschäft vergleichbares Erfolgsmodell durchsetzen. Uber hat das Potenzial dazu für das spezifische Marktsegment der Fahrdienste, wird aber sowohl von der Konkurrenz (Lyft u. a.) als auch durch nationale Gesetzgebungen (z. B. in Deutschland) gebremst. LinkedIn sieht sich mit fachlichen (höher Qualifizierte als primäre Nutzergruppen) und kulturellen Begrenzungen (z. B. XING als Marktführer im deutschen Sprachraum) konfrontiert. Die Digitalisierung des Arbeitsmarktes folgt damit weder der optimistischen Variante des Narrativs einer innovativen Erneuerung der Ökonomie (z. B. Sundararajan 2017) noch ihrer auf Datenkontrolle und Monopolmacht der Internetkonzerne abstellenden gesellschaftskritischen Fassung (z. B. Srnicek 2016; van Djick et al. 2018). Die Plattformlandschaft, so das vorläufige Fazit, spiegelt primär die Komplexität der Prozesse und Strukturen von Arbeitsmärkten wider.

5.2 Übereinstimmungen mit Entwicklungen der Plattformökonomie

Zieht man zum Vergleich allerdings die sozioökonomischen Merkmale der Privatisierung, Kuratierung und Kommodifizierung heran, mit denen Dolata (2018, S. 11 f.) den generellen Wandel durch Plattformen kennzeichnet (vgl. Abschn. 4.1), so zeigen sich besonders hinsichtlich der Privatisierung bemerkenswerte Übereinstimmungen. Auch wenn noch kein Internetkonzern und keine disruptive Technologie das Vermittlungsgeschehen am Arbeitsmarkt grundlegend transformiert hat, finden sich doch ähnliche Entwicklungstendenzen wie in weiten Teilen der Plattformökonomie. Von Privatisierung kann insofern gesprochen werden, als sich im Zuge der Etablierung des digitalen Dienstleistungsangebots am Arbeitsmarkt die Anzahl und das Spektrum von Privatunternehmen in diesem Feld stark ausgeweitet haben (siehe Abb. 1). Zwar handelt es sich dabei nicht um Privatisierungen im Sinne der Umwandlung staatlicher Dienstleistungen: Die Bundesagentur für Arbeit etwa hat für ihre Vermittlungsaufgaben eigene Online-Angebote geschaffen. Aber die Gewichte zwischen öffentlicher und privater Vermittlung haben sich stark zugunsten der wesentlich umfangreicheren Informationsangebote der privatwirtschaftlichen Dienstleister verschoben.

Hinsichtlich Kuratierung und Kommodifizierung sind die Parallelen weniger ausgeprägt. Auch die Plattformen am Arbeitsmarkt kuratieren die Aktivitäten ihrer Nutzer, indem sie über die Nutzungsbedingungen der Webseiten Regeln setzen, inhaltliche Formate vorgeben, Informationspfade anlegen – und damit neue Konventionen für die Information auf dem Arbeitsmarkt schaffen (vgl. Abschn. 3.2). Aufgrund ihrer Spezialisierungen sind die handlungsstrukturierenden Wirkungen der einzelnen Plattformen jedoch begrenzt: bei den reinen Informationsdiensten (Stellenbörsen, Arbeitgeberbewertung) mehr als bei den Austausch- und Vernetzungsangeboten (Crowdworking, Karrierenetzwerke). Die Kommodifizierung als „ökonomische Inwertsetzung der Nutzeraktivitäten“ (Dolata 2018, S. 12) beruht in der Plattformökonomie primär auf der Abschöpfung von Daten. Diesbezüglich unterscheiden sich die Plattformen stark. Karrierenetzwerke bauen darauf ihre Geschäftsmodelle auf, Stellenbörsen drohen in dieser Hinsicht unfreiwillig zu Zulieferern der Stellensuchmaschinen zu werden, Arbeitgeberbewertungsplattformen wiederum sind noch auf der Suche nach lukrativen Lösungen.

Plattformen haben am Arbeitsmarkt keinen disruptiven Wandel ausgelöst, erfordern aber, wie sich analog zu Dolata (2018, S. 9) interpretieren lässt, „Neujustierungen“ innerhalb der Beschäftigungsindustrie, mit denen „die dort etablierten Akteure unter massiven Anpassungsdruck geraten“. Neben den Plattformen sind es vor allem die Innovationen der Talent Acquisition Technology, mit denen der gesamte Prozess der Personalrekrutierung auf den Prüfstand gestellt und nach Digitalisierungspotenzialen durchleuchtet wird. Diese Aufgliederung ermöglicht es, die einzelnen Schritte genaueren Analysen zu unterziehen und dort nach Optimierungspotenzial zu suchen. Leitbilder einer digital optimierten „Candidate Journey“ (Verhoeven 2020, S. 51 ff.) sind im Rekrutierungsdiskurs seit Längerem etabliert, an der dafür erforderlichen Integration unterschiedlicher Softwarebausteine und Plattformdienste wird noch gearbeitet. Internetkonzerne (v. a. Microsoft und Google) haben ebenso wie global führende Zeitarbeitsfirmen (v. a. Randstad und Recruit Holdings) in dieser Richtung viel Kapital investiert (siehe Abschn. 2). Digitalisierungskompetenz auf der einen und Markt- und Institutionenkenntnisse auf der anderen Seite bilden den „Nährboden“ für diese Investitionen, reichen aber bislang für einen Durchbruch am Markt nicht aus. Es bleibt ein Anreiz für weitere Entwicklungsschritte, mit wirkungsvollen Kombinationen der Ressourcen noch marktbeherrschende Lösungen zu finden.

6 Forschungsperspektiven: Multiple Entwicklungspfade der Plattformökonomie

Mit der Feststellung von Unterschieden wie von Ähnlichkeiten zu anderen Feldern der Plattformökonomie bleibt die Frage nach einem Sonderweg der Digitalisierung des Arbeitsmarktes offen. Stellt man in Rechnung, dass schon seit Längerem keine Plattform mehr in die Dimensionen der global führenden Internetkonzerne vorstoßen konnte (vgl. Dolata 2018, S. 9) und dass die Digitalisierung in vielen Wirtschaftsbereichen langsamer voranschreitet als erwartet (siehe Pfeiffer und Huchler 2018 zum Leitbild Industrie 4.0 im produzierenden Gewerbe), ließe sich die Fragestellung auch umkehren: Ist die sukzessive Etablierung von Plattformen nicht eher der Normalfall und die stürmische Felderoberung der Internetkonzerne folgte Sonderwegen, die unerschlossene Bedarfslandschaften in der Frühphase der Digitalisierung ermöglichten? Dann wären auch Plattformlösungen auf inkrementelle Fortschritte im sozioökonomischen Wettbewerb verwiesen, mit denen sich Innovationen erst in ihrer Erprobung und Weiterentwicklung im Anwendungskontext durchsetzen. Microsoft und Apple, beide gegründet in den 1970er-Jahren und somit bald 50 Jahre alt, sind im Auf und Ab ihrer Firmengeschichten schon länger in der im Kapitalismus unumgänglichen Normalität der etappenweisen Erneuerung eines einstmals disruptiven Geschäftsmodells angekommen.

Auf dem Arbeitsmarkt liegen die Hemmnisse für eine schnelle Durchsetzung und Verbreitung von Plattformmodellen und Rekrutierungstechnologien nicht in größeren Widerständen aufseiten der Anwender und Nutzer begründet. Manche Personalabteilung mag sich von der schwer überschaubaren Menge an Softwareangeboten überfordert fühlen und andere verlassen sich in der Personalsuche vielleicht weiterhin vornehmlich auf ihre langjährige Erfahrung. Aber in erster Linie fehlen bisher Nachweise, dass Aufwand und Ertrag digitaler Lösungen die dafür nötigen Investitionen und Reorganisationen rechtfertigen. Erwerbstätige wiederum nutzen Plattformen vor allem deshalb nur punktuell, weil sie nicht regelmäßig auf der Suche nach Arbeit sind – bauen so aber auch wenig Bindung an und Vertrauen in die digitale Infrastruktur auf. Erfolge und Probleme digitaler Lösungen im Rekrutierungsalltag sind bislang nur sporadisch untersucht und dokumentiert (siehe Abschn. 2). Anwendungsorientierte Studien könnten wichtige Beiträge leisten, um die Eignung von Plattformmodellen für den Arbeitsmarkt zu prüfen und Technologieangebote auf die Besonderheiten der Vermittlung von Arbeitskraft abzustimmen. Dazu wäre allerdings eine erhebliche Ausweitung der auf die Praxis konkreter digitaler Dienstleistungen fokussierten Forschung erforderlich.

Die Aufmerksamkeit der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Plattformökonomie konzentriert sich bislang auf Bereiche wie Internetkonzerne, Sharing Economy oder Crowdworking, die öffentlich kontrovers diskutiert werden, und auf ihre gesellschaftsanalytische Interpretation (vgl. Srnicek 2016; van Dijck et al. 2018; Staab 2019). Die hier vorgenommene Analyse zur Beschäftigungsindustrie führt demgegenüber zum abschließenden Plädoyer für eine Neuausrichtung der Plattformforschung. Generell ist weit mehr vergleichende – und zunehmend historisch vergleichende – Forschung nötig, die verschiedene soziotechnische Entwicklungsfelder zueinander ins Verhältnis setzt und dabei gerade auch die differenten Merkmale als für die Digitalisierung relevante Faktoren in Betracht zieht. Internetkonzerne, Sharing Economy oder Crowdworking bilden dafür sehr wohl maßgebliche Vergleichsfälle, doch sollten ihre Kennzeichen nicht von vorneherein als Analyseraster gesetzt sein und so den Vergleichsrahmen unnötig einengen.

Die sozialwissenschaftliche Analyse der Bedeutung von Plattformen für den Digitalisierungsprozess erfordert neue Schwerpunktsetzungen. Erstens sind neben den Plattformen und ihren Nutzergruppen die „etablierten Kräfte“ gleichermaßen als maßgebliche Einflussfaktoren auf digitale Geschäftsmodelle in den Blick zu nehmen (vgl. Ozalp et al. 2018). Am Arbeitsmarkt sind das neben den Entwicklern von Rekrutierungstechnologien vor allem „traditionelle“ Intermediäre wie Personalberatungen und Zeitarbeitsfirmen. Deren feldspezifisches Wissen, ihre Vernetzung im Markt und nicht zuletzt ihr Finanzkapital könnten für die Durchsetzung digitaler Lösungsansätze letztlich entscheidend sein. Plattformen fordern in der Regel etablierte Akteure heraus und veranlassen sie zu Anpassungs- und Integrationsstrategien im Wettbewerb – mit offenem Ausgang.

Diese Erweiterung des Blicks lässt es zweitens geraten erscheinen, ergänzend zum Ökosystem als unmittelbarem „Lebensraum“ einer Plattform das gesamte Feld zu betrachten, in welches ein digitaler Intermediär eingreift. Oder umgekehrt formuliert: Analysen sollten ausgehen von der Bestimmung des relevanten Feldes, innerhalb dessen sich dann die Plattform und ihr Ökosystem verorten lassen. Die soziologische Feldtheorie erweitert den Blick auf den institutionellen Kontext des Handelns der Marktakteure und auf die in diesem Rahmen sich ausbildenden Machtbeziehungen. Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt bedeutet das die – im vorliegenden Text noch vernachlässigte – systematische Berücksichtigung der Institutionensysteme der öffentlichen Arbeitsverwaltung und der industriellen Beziehungen.

In dieser Perspektive könnte es sich, wie hier im Falle des Arbeitsmarktes, erweisen, dass die Plattformunternehmen eine zwar wichtige, aber nicht notwendig die dominante und entwicklungsbestimmende Akteursgruppe darstellen. Eine wichtige Ergänzung stellt deshalb drittens das Konzept der Intermediarität dar, gerade weil es nicht auf digitalisierte Leistungen beschränkt ist, sondern die ganze Vielfalt sozioökonomischer Vermittlungsdienste erschließt. Im Vergleich der intermediären Funktionen digitaler und etablierter Akteure werden rivalisierende Optionen zur Konstruktion von Vermittlungsleistungen und ihrer Rahmenbedingungen sichtbar. Spezialisierungen auf und Kombinationen von intermediären Funktionen bedingen variierende Konstellationen von Konkurrenz und Kooperation im Feld.

Von einer Plattformökonomie zu sprechen, bleibt insofern gerechtfertigt, als sich Plattformen als wesentliche Bausteine der Digitalisierung voraussichtlich weiterhin verbreiten und dauerhaft etablieren werden. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie andere Felder in ähnlicher Weise dominieren, wie das den führenden Internetkonzernen an der Wende zum 21. Jahrhundert gelungen ist. Gerade eine Forschung, die nach den gesellschaftlichen Folgen der Plattformökonomie und den Möglichkeiten ihrer politischen Regulierung fragt, sollte die Gesamtheit relevanter Akteure, die im jeweiligen Feld auf die Entwicklung und Nutzung der digitalen Infrastruktur einwirken, im Blick behalten – und die Unterschiedlichkeit ihrer Interessen und Ressourcen.