Zusammenfassung
Ein bisher wenig diskutierter Aspekt der Umgestaltung nationaler Arbeitsmarktpolitiken unter dem „Aktivierungsparadigma“ ist die Veränderung der Transaktionsformen zwischen Arbeitsverwaltung und Trägern. Unabhängig davon, ob gleichzeitig auch eine Aufgabenverlagerung von der öffentlichen Arbeitsverwaltung auf Dritte, also eine „Privatisierung“ stattfindet, kommt es aufgrund der Orientierung an Prinzipien des New Public Management zur „Vermarktlichung“: Die Transaktionen zwischen Arbeitsverwaltung und Dritten werden zunehmend über staatlich inszenierte Quasi-Märkte abgewickelt. Die konkrete Ausgestaltung und Struktur dieser Märkte bleibt jedoch bemerkenswert unterschiedlich und zeigt keine Anzeichen von Konvergenz. Die in Dänemark, Großbritannien und Deutschland zu beobachtenden Marktformen lassen sich weniger mit „Wohlfahrtsregimes“ gängiger Typologien in Verbindung bringen, als dass sie von nationalen Traditionen, der Struktur und Verfasstheit der jeweiligen staatlichen Akteure und von nationalen „Spielarten des Liberalismus“ abzuhängen scheinen. Den durch Einführung marktförmiger Transaktionsformen induzierten Preissenkungen bzw. –dämpfungen stehen Transaktionskosten, Qualitätsrisiken und andere nicht intendierte Effekte in einem Ausmaß gegenüber, das die Rechtfertigung der Vermarktlichung durch Effizienzgewinne infrage stellt. Eher scheint es darum zu gehen, staatliche Entscheidungen zu legitimieren bzw. gegen Kritik zu immunisieren: Vermarktlichung ersetzt das Risiko von „Staatsversagen“ durch das Risiko von „Marktversagen“, für das kein Entscheidungsträger Verantwortung trägt. Die Reichweite möglicher Reformvorschläge bleibt beschränkt auf das, was in der jeweiligen nationalen Diskursarena als legitim gelten kann. Vermarktlichung hat die Denkweisen aller beteiligten Akteure verändert, einschließlich derer, die ihre Folgen beklagen. Jedoch öffnet das neue Europäische Vergaberecht den Blick auf zulässige Varianten, die bisher in Deutschland nicht ausgeschöpft sind.
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Notes
- 1.
Das Projekt beruht auf Fallstudien bei Trägern von Arbeitsmarktdienstleistungen, Expertengesprächen mit Akteuren aller Ebenen und Rollen, Dokumentenanalysen, statistischen Auswertungen sowie im dänischen Teil auf einer schriftlichen Umfrage bei den Kommunen.
- 2.
Die ausländischen Partner waren: Ian Greer, während der Laufzeit des Projekts Universität Greenwich, und Flemming Larsen, Universität Aalborg. Als Mitarbeiter/-innen im Projekt beteiligt waren Johannes Kirsch (Uni Duisburg-Essen), Karen Nielsen Breidahl (Universität Aalborg), Graham Symon und Lisa Schulte (Universität Greenwich). Als Gesamtbericht des Projekts siehe Greer et al. 2017. Tatsachenaussagen ohne Quellenangabe in diesem Aufsatz beziehen sich stets auf diese Publikation.
- 3.
Beispiel: Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein für Arbeitslose mit Anspruch auf Arbeitslosengeld nach Arbeitslosigkeit von sechs Wochen innerhalb von drei Monaten – § 45 Abs. 7 SGB III.
- 4.
Neben dem deutschen Hang zum Legalismus dürfte dieses auch darauf zurückzuführen sein, dass wegen der Verfasstheit der deutschen Sozialversicherungen als Körperschaften öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung eine direkte ministerielle Steuerung nur sehr begrenzt möglich ist, weshalb sich die Ministerialbürokratie in zahlreichen Details des Gesetzgebers bedient. Die Hartz-Reformen haben diese Tendenz verstärkt: Der Abbau der Regelungskompetenz der Selbstverwaltung erhöhte die Gesetzgebungsintensität im Rechtskreis des SGB III und die Einbeziehung der Kommunen in die Umsetzung des SGB II hat den gleichen Effekt, da der Bund die Kommunen nicht administrativ, sondern nur durch Gesetz steuern kann.
- 5.
„Die Bundesanstalt … soll dabei [bei der Förderung der beruflichen Bildung – d. V.] mit den Trägern der beruflichen Bildung zusammenarbeiten; deren Rechte bleiben durch die Vorschriften dieses Unterabschnittes unberührt“ (§ 33 Abs. 1 Satz 2 AFG).
- 6.
- 7.
Als extremes Beispiel gilt Australien (vgl. Considine 2005).
- 8.
Die viel beachtete und kontrovers diskutierte Zulassung und später auch Förderung privater Arbeitsvermittlung ist im Gesamtbudget der Ausgaben für aktive Arbeitsförderung völlig marginal geblieben. Hier handelt es sich eher um neoliberale Symbolpolitik sowie die Etablierung einer latenten, als Ansporn wirkenden Konkurrenz für die staatliche Arbeitsverwaltung.
- 9.
Seit 2012 in reichlich verschraubter gesetzlicher Terminologie als „Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein bei einem Träger, der eine ausschließlich erfolgsbezogen vergütete Arbeitsvermittlung in versicherungspflichtige Beschäftigung anbietet“ – § 45 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB III.
- 10.
Die Gesetzesformulierung „wird gezahlt“ entspricht nach Auskunft privater Vermittler nicht der Praxis: Die Zahlungen lassen oft auf sich warten.
- 11.
Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren die Einlösequoten 2004 und 2007 noch erheblich ungünstiger, nämlich unter 10 % der ausgegebenen Gutscheine. Die aktuelle BA-Statistik ist zumindest für den Rechtskreis des SGB III unplausibel, da hier die ausgewiesenen Werte für ausgegebene und eingelöste Gutscheine identisch sind. Danach würden im SGB III alle ausgegebenen Gutscheine nicht nur ihren Weg zum Vermittler finden, sondern auch zum Erfolg führen.
- 12.
Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2015).
- 13.
Die in Deutschland gebräuchlichere Bezeichnung „Großbritannien“ (statt „Vereinigtes Königreich“) ist in diesem Falle korrekt, da die Entwicklung in Nordirland in mancher Hinsicht abweicht (vgl. Wiggan 2015) und hier nicht behandelt wird.
- 14.
Die von 2013 bis 2017 erfolgende Umstellung auf die neue Leistungsart „Universal Credit“ (vgl. Dwyer und Wright 2014), die u. a. Aufstockungszahlungen für Geringverdiener integriert, liegt zeitlich nach unseren Untersuchungen.
- 15.
Faktisch ist es wohl eher so, dass die Mittelschicht im Falle von Arbeitslosigkeit das System überwiegend gar nicht in Anspruch nimmt – der „residuale“ Wohlfahrtsstaat ist nur etwas für die Unterschicht. Das erklärt die im Vergleich zu Dänemark und Deutschland geringe öffentliche Aufmerksamkeit für die Arbeitsmarktpolitik.
- 16.
Vorgeschaltet war eine Pilotphase in fünf Regionen von 1998 bis 2000, die von einer stärker netzwerkartigen Kooperation der Träger sowie Freiwilligkeit und mehr Wahlmöglichkeiten der Teilnehmenden geprägt war (vgl. Wiggan 2007).
- 17.
Subunternehmer der „ersten Ebene“ übernehmen die gesamte Dienstleistung für eine definierte Gruppe von Kunden, während Dienstleister der „zweiten Ebene“ Spezialaufgaben wie die Schuldnerberatung durchführen. Statistisch erfasst ist nur die erste Ebene. Im Januar 2012, zu Beginn des Programms, umfasste sie 387 Verträge (16 % öffentliche, 43 % gemeinnützige und 41 % private Träger). Bei erheblicher Fluktuation kam es bis September 2013 zu einem Schwund um 79 Verträge, wovon die öffentlichen und gemeinnützigen Träger etwas stärker betroffen waren als die privaten, die folglich ihren Anteil erhöhten.
- 18.
In Deutschland kann ein solcher Trägerwechsel nur durch erneute Ausschreibung zustande kommen und das gilt selbst bei identischem Inhalt der Maßnahmen nicht als Betriebsübergang.
- 19.
Soweit in Großbritannien Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose gefördert werden, handelt es sich um ein separates Programm außerhalb des Work Programme – vgl. Rosendahl (2013, S. 88 ff.)
- 20.
Das Vergütungsmodell ist außerordentlich komplex und wurde im Verlauf immer weiter elaboriert. Dadurch ist es vielleicht (sach-) „gerechter“ geworden, aber die tatsächliche Steuerungswirkung nimmt in dem Maße ab, wie die Funktionsweise des Modells im Arbeitsalltag nicht mehr nachvollziehbar und handlungsleitend ist.
- 21.
Der Nationale Rechnungshof stellte z. B. fest, dass 46 % der Teilnehmenden seit mindestens zwei Monaten überhaupt keinen Kontakt zum Träger gehabt hatten (National Audit Office 2014, S. 34).
- 22.
Während dieser Begriff in Deutschland selbst kaum noch eine öffentliche Bedeutung hat, sehen ausländische Beobachter diese Denk– und Politiktradition als sehr lebendig und wirksam u. a. im Umgang mit der Eurokrise – vgl. Lechevalier (2015) – siehe aber auch Ptak (2010) und als Vertreter der Praxis Weidmann (2013).
- 23.
In unserer grafischen Veranschaulichung in Abb. 3 wurde von Gewichtungsfaktoren abstrahiert und davon ausgegangen, dass bei einer durchgängigen Bewertung der Qualität mit „2“ insgesamt 100 Punkte erreicht werden. Dann ist die 85 %-Schwelle unmittelbar ablesbar und die maximal erreichbare Gesamtpunktezahl beträgt 150.
- 24.
Wenn innerhalb des Korridors der Preis den Ausschlag geben würde, müsste der gestrichelte Korridor oberhalb statt unterhalb der Geraden gezogen werden.
- 25.
Vgl. Ferber (2015, S. 142): Von den Methoden, die überhaupt die Qualität berücksichtigen, werden nur die Einfache und die Erweiterte Richtwertmethode als generell nutzbar empfohlen.
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Knuth, M. (2018). Vermarktlichung von Arbeitsmarktdienstleistungen als Legitimationsbeschaffung. In: Dobischat, R., Elias, A., Rosendahl, A. (eds) Das Personal in der Weiterbildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-17076-9_16
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