Zusammenfassung
Psychiatrische Notfälle machen über 10 % der im Rettungsdienst versorgten Patienten aus. Die Versorgung dieser Notfälle im präklinischen Setting stellt den Notarzt und das Rettungsteam vor besondere Herausforderungen und führt oft zu Verunsicherung, insbesondere bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung oder fehlender Kooperation des Patienten. Die diagnostische Einordnung und Behandlungsplanung basiert präklinisch auf dem Erkennen bestimmter Konstellationen psychischer Symptome. Das vertrauensvolle und wertschätzende ärztliche Gespräch spielt eine wichtige Rolle und reicht oft aus, um eine Abwendung akuter Gefahr und die Bereitschaft zur fachpsychiatrischen Vorstellung zu erreichen. In die Anamnese müssen eigene Beobachtungen und die Fremdanamnese einbezogen werden. Wird eine Medikation benötigt, sind Benzodiazepine die Medikamente der Wahl. Es kann notwendig werden, die Polizei hinzuzuziehen und freiheitsentziehende Maßnahmen anzuwenden.
Abstract
Psychiatric emergencies account for more than 10 % of all preclinical emergency situations. Dealing with these emergencies is a challenge to both emergency physicians and the paramedic team. They often give rise to uncertainty, especially when professionals are confronted with self-threats, threats to others or lack of cooperation on the part of the patient. Diagnostic classification and treatment strategy are based on recognition of specific combinations of mental symptoms. Showing esteem and conveying confidence are of great importance during consultation and can often be sufficient for achieving treatment aims, such as hazard avoidance or voluntary consultation with a psychiatrist. The medical history must often be completed by third party interview and own observations. If drug administration is needed, benzodiazepines are the medication of choice. Involving the police and applying custodial measures can become necessary for hazard avoidance.
Notes
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Aufl.
Literatur
Schönfeldt-Lecuona C, Dirks B, Wolf RC et al (2008) Psychiatrische Notfälle im Notfall- und Rettungswesen: Grundlagen der Diagnostik und Therapie. Notf Rettungsmedizin 11:525–530. doi:10.1007/s10049-008-1073-1
Schönfeldt-Lecuona C, Dirks B, Wolf RC et al (2008) Psychiatrische Notfälle im Notfall- und Rettungswesen: Häufige Symptomkonstellationen und deren Behandlung. Notf Rettungsmedizin 11:531–536. doi:10.1007/s10049-008-1074-0
Pajonk F-G, Schmitt P, Biedler A et al (2008) Psychiatric emergencies in prehospital emergency medical systems: a prospective comparison of two urban settings. Gen Hosp Psychiatry 30:360–366. doi:10.1016/j.genhosppsych.2008.03.005
Luiz T, Huber T, Schieth B, Madler C (2000) Einsatzrealität eines städtischen Notarztdienstes: Medizinisches Spektrum und lokale Einsatzverteilung. Anästhesiol Intensiv 41:765–773
Pajonk FG, Bartels HH, Biberthaler P et al (2001) Der psychiatrische Notfall im Rettungsdienst Häufigkeit, Versorgung und Beurteilung durch Notärzte und Rettungsdienstpersonal. Nervenarzt 72:685–692. doi:10.1007/s001150170047
Lieb K (2003) Acute treatment of psychiatric excitation. What to do when the patient is out of control?. MMW Fortschr Med 145:49–51
Dubin WR (1989) The role of fantasies, countertransference, and psychological defenses in patient violence. Hosp Community Psychiatry 40:1280–1283
Piechniczek-Buczek J (2006) Psychiatric emergencies in the elderly population. Emerg Med Clin North Am 24:467–490, viii. doi:10.1016/j.emc.2006.01.008
Bernal M, Haro JM, Bernert S et al (2007) Risk factors for suicidality in Europe: results from the ESEMED study. J Affect Disord 101:27–34. doi:10.1016/j.jad.2006.09.018
Pajonk FG (2001) Der aggressive Patient im Rettungsdienst und seine Herausforderungen. Notf Rettungsmedizin 4:206–216. doi:10.1007/s100490170074
Wolf A, Müller MJ, Pajonk F-GB (2013) Psychopharmaka im Notarztdienst. Notf Rettungsmedizin 16:397–407 doi:10.1007/s10049-013-1699-5
Tonn P, Reuter S, Treder B, Dahmen N (2004) Die präklinische Behandlung von akut erregten, deliranten oder psychotischen Patienten durch den Notarzt. Notf Rettungsmedizin 7:484–492. doi:10.1007/s10049-004-0689-z
Benkert O, Hippius H (2015) Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. Springer, Berlin
Pfizer Deutschland GmbH. Fachinformation Tavor pro injectione. http://online.rote-liste.de
Kwentus J, Riesenberg RA, Marandi M et al (2012) Rapid acute treatment of agitation in patients with bipolar I disorder: a multicenter, randomized, placebo-controlled clinical trial with inhaled loxapine. Bipolar Disord 14:31–40. doi:10.1111/j.1399-5618.2011.00975.x
Wolf A, Müller MJ, Pajonk F-GB (2013) Psychopharmakotherapie im Notarztdienst. Notf Rettungsmedizin 16:477–491. doi:10.1007/s10049-013-1701-2
Björkman S, Rigemar G, Idvall J (1997) Pharmacokinetics of midazolam given as an intranasal spray to adult surgical patients. Br J Anaesth 79:575–580
Huf G, Coutinho ESF, Adams CE (2009) [Haloperidol plus promethazine for agitated patients – a systematic review]. Rev Bras Psiquiatr 31:265–270
Bassenge P, Palandt O (2015) Bürgerliches Gesetzbuch: mit Nebengesetzen; insbesondere mit Einführungsgesetz (Auszug) einschließlich Rom I-, Rom II- und Rom III-Verordnungen sowie Haager Unterhaltsprotokoll und EU-Erbrechtsverordnung, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (Auszug), Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, BGB-Informationspflichten-Verordnung, Unterlassungsklagengesetz, Produkthaftungsgesetz, Erbbaurechtsgesetz, Wohnungseigentumsgesetz, Versorgungsausgleichsgesetz, Lebenspartnerschaftsgesetz, Gewaltschutzgesetz. Beck, München
Kostorz P (2011) Die ärztliche Behandlung einwilligungsunfähiger Patienten im Licht des neuen Patientenverfügungsrechts nach §§ 1901a und 1901b BGB. Das Gesundheitswesen 73:13–19. doi:10.1055/s-0030-1255077
Fogel D, Steinert T (2012) Aggressive und gewalttätige Patienten – Fixierung. Lege Artis 2:28–33. doi:10.1055/s-0032-1302472
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
M. Pook, W. Trägner, M. Gahr, B.J. Connemann und C. Schönfeldt-Lecuona geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
Appendices
CME-Fragebogen
Psychiatrische Notfälle treten auch im Rettungsdienst auf. Welche der Aussagen trifft zu?
Sie sind die häufigste Einsatzursache.
Sie treten deutlich seltener als traumatologische Nofälle auf.
Sie machen über 10 % aller Notfalleinsätze aus.
Sie kommen insgesamt selten vor.
Ihre Häufigkeit geht seit Jahren kontinuierlich zurück.
Welche der folgenden Aussagen zur Versorgung psychiatrischer Notfälle im Rettungsdienst trifft zu?
Der Patient ist fast immer krankheitseinsichtig.
Patienten verhalten sich aufgrund des hohen Leidensdrucks durchweg kooperativ.
Eine Fremdanamnese ist zur Einschätzung der Situation nicht hilfreich.
Neben dem Patientengespräch sind nur sehr wenige diagnostische Möglichkeiten verfügbar.
Die Identifikation einer geeigneten Zielklinik ist beim psychiatrischen Notfall einfach.
Welche Aussage trifft nicht zu? Typische Syndrome in der psychiatrischen Akutsituation sind …
schwerwiegende Zwangshandlungen.
psychomotorischer Erregungszustand.
Suizidalität.
delirante Syndrome und Verwirrtheitszustände.
katatone Syndrome.
Welche Aussage trifft zu? Die diagnostische Einordnung der Symptomatik in der psychiatrischen Akutsituation …
sollte immer nach ICD-10 erfolgen.
muss von einem Psychiater durchgeführt werden.
spielt für die richtige Behandlung keine Rolle.
gelingt häufig nur auf Syndromebene.
ermöglicht eine suffiziente Behandlung der zugrunde liegenden Störung bereits im notfallmedizinischen Setting.
Welche Aussage trifft zu? Das Gespräch mit dem Patienten in der psychiatrischen Notfallsituation …
sollte sich von Anfang an mit Wahninhalten auseinandersetzen.
sollte eher kurz gehalten werden.
kann bereits therapeutisch wirksam sein.
wird selten abgelehnt.
ist in der Regel unergiebig.
Welche Aussage zur körperlichen Untersuchung bei einem psychiatrischen Notfall trifft nicht zu? Sie …
ist meist verzichtbar.
wird nicht selten vom Patienten abgelehnt.
kann bereits therapeutisch wirksam sein.
dient u. a. der Auswahl der richtigen Zielklinik.
kann helfen, organische Ursachen der psychischen Symptome zu erkennen.
Welche Aussage trifft nicht zu? Ziele bei der Behandlung psychiatrischer Notfälle im präklinischen Setting können sein …
die Abwendung von akuter Eigen- oder Fremdgefährdung.
eine Ermöglichung fachpsychiatrischer Diagnostik.
die Etablierung einer antipsychotischen Dauermedikation.
eine Deeskalation der Situation bzw. Beruhigung des Patienten.
eine Abwendung vitaler Gefährdung.
Welche Aussage zu erwünschten und unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Benzodiazepinen und deren Nebenwirkungen trifft zu?
Zu schnelle i.v.-Applikation kann zu Atemdepression führen.
Die Gabe aller Benzodiazepine muss aufgrund ihrer kurzen Halbwertszeit im Verlauf wiederholt werden.
Atypische Neuroleptika haben gegenüber Benzodiazepinen einen schnelleren Wirkungseintritt.
Extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen bei Applikation von Benzodiazepinen können mit Biperiden behandelt werden.
Aufgrund des hohen First-pass-Effekts in der Leber sollten Benzodiazepine nur i.v. verabreicht werden.
Welche Aussage zu freiheitsentziehenden Maßnahmen im präklinischen Setting trifft zu?
Sie werden vom Gesetzgeber als schwerwiegender angesehen als eine Zwangsbehandlung.
Sie müssen bei Vorliegen akuter Eigen- oder Fremdgefährdung zur Abwendung einer akuten und erheblichen Gefahr angewendet werden.
Bei Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) ist ihre Anwendung auch durch Mitglieder des Rettungsteams oder jede andere Person straffrei gestellt.
In jedem Bundesland kann ein Notarzt freiheitsentziehende Maßnahmen im präklinischen Setting anordnen und durchführen.
Patientenverfügungen haben bezüglich freiheitsentziehender Maßnahmen grundsätzlich keine Relevanz.
Bei welcher der folgenden Situationen ist es angemessen, notfalls auch gegen den Willen des Patienten zu handeln?
Bei einem Patienten mit dissozialer Persönlichkeitsstörung, der die Ordnungsbehörde verbal akut und erheblich beleidigt.
Bei einem akut wahnhaften Patienten, der andere Personen als für ihn gefährlich verkennt und in diesem Zusammenhang bereits eine Passantin tätlich angegriffen hat.
Bei dem Patienten mit einer sexuell übertragbaren Krankheit, der aus Rache beabsichtigt, eine andere Person damit zu infizieren.
Bei einem aktuell einwilligungsfähigen Patienten mit schwergradiger Alkoholabhängigkeit, bei dem zeitnah schwere körperliche Folgen zu befürchten sind, der aber die Behandlung ablehnt.
Bei einem Patienten mit ausgeprägter Amnesie, der auf die ständige Fürsorge seiner Familie angewiesen ist, wobei die Familie eine sofortige Einweisung des Patienten fordert, da sie in Urlaub fahren möchte.
Lösungen
1C, 2D, 3A, 4D, 5E, 6A, 7C, 8E, 9E, 10B
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Pook, M., Trägner, W., Gahr, M. et al. Psychiatrische Notfälle im Notfall- und Rettungswesen. Notfall Rettungsmed 18, 233–248 (2015). https://doi.org/10.1007/s10049-015-0012-1
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s10049-015-0012-1
Schlüsselwörter
- Alkoholbezogene Störungen
- Psychomotorischer Erregungszustand
- Psychiatrische Störungen
- Verhandeln
- Konfliktlösung