Die vorliegende Studie ist die erste systematische Untersuchung zur ärztlichen Arbeitsbelastung in der Rechtsmedizin unter Nutzung des Modells der beruflichen Gratifikationskrisen. Die erhobenen Daten belegen nicht nur eine hohe Arbeitszufriedenheit und eine hohe psychosoziale Arbeitsbelastung, sondern auch von Assistenz*ärztinnen wahrgenommene Defizite in den Strukturen der institutsinternen Weiterbildung und der Forschung. Hier besteht Handlungsbedarf. Gleichzeitig ergibt sich daraus ein großes Potenzial für die Weiterentwicklung des Fachs Rechtsmedizin.

Einleitung

Arbeitszufriedenheit und berufliche Belastung von ÄrztenFootnote 1 sind immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Ärzte werden häufig mit herausfordernden Arbeitsbedingungen konfrontiert. Große Arbeitslast, Zeitdruck, geringe eigene Entscheidungs- und Handlungskontrolle, schlechtes Arbeitsklima, starre hierarchische Strukturen und eine unbefriedigende Entlohnung tragen zu der allgemein als „psychosoziale Arbeitsbelastung“ bezeichneten Belastung durch den Beruf bei [1, 41]. Je mehr der ärztliche Handlungsspielraum eingegrenzt wird, desto geringer ist auch die Arbeitszufriedenheit [18]. Umgekehrt haben ein geringerer Leistungsdruck und ein sicheres Einkommen mit der Möglichkeit zusätzlicher finanzieller Anreize in Kombination mit einer guten kollegialen Zusammenarbeit und einer hohen Arbeitsautonomie eine positive Auswirkung auf die Arbeitszufriedenheit [18].

Eine Möglichkeit zur Untersuchung der psychosozialen Arbeitsbelastung bietet das Modell der beruflichen Gratifikationskrisen („effort-reward imbalance [ERI] model“) von Siegrist [39, 43]. Dabei wird angenommen, dass die berufliche Verausgabung (engl.: „effort“) als Teil eines gesellschaftlichen Vertrags verstanden wird. Im Gegenzug erhält man eine Belohnung (engl.: „reward“) in Form von Gehalt, Anerkennung oder Arbeitsplatzsicherheit (soziale Reziprozität) [39, 42]. Liegt ein Ungleichgewicht zwischen Verausgabung und Belohnung zugunsten der Verausgabung vor, spricht man von einer Gratifikationskrise. Zahlreiche Studien konnten Auswirkungen einer hohen psychosozialen Arbeitsbelastung auf die psychische und physische Gesundheit [8, 28, 29, 40] sowie auf die generelle Lebenszufriedenheit von Medizinern aufzeigen [37]. Die empfundene Arbeitslast und die Arbeitszufriedenheit konnten außerdem mit der Intention, den Beruf zu verlassen oder zu wechseln, in Zusammenhang gebracht werden [45]. Ergänzt wird das Modell durch das Verhaltensmuster der intrinsischen Verausgabungsneigung (engl.: „over-commitment“), das die gesundheitlichen Auswirkungen der Gratifikationskrise zusätzlich verstärken kann [42].

Das Fach Rechtsmedizin geht mit besonderen Aufgaben und Herausforderungen einher. Der Berufsalltag unterscheidet sich wesentlich von anderen medizinischen Fachrichtungen. Auch wenn die Rechtsmedizin über die Ambulanzen der Institute „klinischer“ geworden ist, so ist die klassische Arzt-Patient-Beziehung praktisch nicht vorhanden. Dennoch geht die Tätigkeit als Rechtsmediziner häufig mit einer hohen emotionalen Last einher. Der Kontakt mit Opfern körperlicher/sexualisierter Gewalt oder Folter, Tatverdächtigen und Angehörigen von Verstorbenen verlangt nicht nur individuelle Kommunikationsstrategien und eine Mischung aus Empathie und distanzierter Professionalität, sondern auch eine relevante psychische Belastbarkeit. Auch die Tätigkeit als Sachverständiger vor Gericht stellt hohe Anforderungen an Rechtsmediziner. In Universitätsinstituten ist die Vielfalt an Aufgaben in den Bereichen Forschung, Lehre und Dienstleistung herausfordernd [31], da sehr unterschiedliche Anforderungen gleichermaßen bedient werden müssen.

Unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) gibt es derzeit 55 rechtsmedizinische Institute (inkl. aller Zweigstellen und Privatinstitute) [16]; der Großteil ist in Deutschland angesiedelt (41 Institute), gefolgt von der Schweiz (8 Institute), Österreich (5 Institute) und Luxemburg (1 Institut). Etwa 360 Fachärzte für Rechtsmedizin arbeiten laut den aktuellen Ärztestatistiken in diesen 4 Ländern [11, 22, 30, 35]. Wenngleich die Anzahl der Weiterbildungsassistenten (WBA) in offiziellen Statistiken nicht geführt wird, dürfte sich die Gesamtzahl der in der Rechtsmedizin tätigen Ärztinnen und Ärzte schätzungsweise etwa im mittleren dreistelligen Bereich bewegen. Verglichen mit anderen Fachrichtungen ist die Rechtsmedizin also ein sehr überschaubares Fach, und der Arbeitsmarkt ist dementsprechend begrenzt.

Forschung ist ein wichtiger Teil rechtsmedizinischer Tätigkeit an den universitär angesiedelten rechtsmedizinischen Instituten – oder sollte es zumindest theoretisch sein. Allerdings wurde in den letzten Jahren nicht nur im deutschsprachigen Raum über den (nicht ausreichenden) Stellenwert der rechtsmedizinischen Forschung diskutiert [31, 32, 34]. In der Pilotstudie von Gauthier et al. [17] zu Arbeitsbedingungen deutschsprachiger Rechtsmediziner gab lediglich ein Viertel der Befragten an, eine akademische Karriere anzustreben oder bereits erfüllt zu haben. Möglicherweise war dieser geringe Anteil durch die Schwierigkeit bedingt, sowohl Forschung als auch Dienstaufgaben gleichermaßen effektiv zu bewältigen. Es ist bekannt, dass bei einer Überlastung mit Arbeitsaufgaben die Entscheidung, welchen Aufgaben Priorität gegeben wird, oftmals zugunsten der Routine und zulasten der Wissenschaft und der Lehre ausgeht [3]. Ohne fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse kann aber auch die Dienstleistung nicht mit der erforderlichen hohen Qualität und evidenzbasiert erbracht werden [31].

Nicht nur in der Rechtsmedizin ist die Zeit der Weiterbildung maßgeblich entscheidend für die Entwicklung des eigenen Selbstverständnisses als (Fach‑)Arzt [41]. Diese Entwicklung wird von äußeren (kulturellen und systemischen) Einflüssen geprägt und geht mit speziellen Belastungsfaktoren einher. Die Weiterbildungsphase ist gekennzeichnet von einer Flut an neuen Anforderungen, der noch ungewohnten Übernahme von Verantwortung und einer möglichst raschen Aneignung des umfangreichen theoretischen und praktischen Fachwissens. Für viele WBA ist sie eine Zeit voll Stress und Überforderung [7, 38].

Deutschsprachige Rechtsmediziner wurden bisher erst einmal zu ihren Arbeitsbedingungen und ihrer Berufszufriedenheit befragt [17]. Die psychosoziale Arbeitsbelastung in dieser Berufsgruppe wurde noch nicht systematisch untersucht. Ausgehend von den oben genannten Überlegungen ergaben sich folgende Fragestellungen, die anhand einer Umfrage unter rechtsmedizinisch tätigen Fach- und Assistenzärzten im deutschsprachigen Raum bearbeitet wurden:

  • Wie hoch ist die subjektive Arbeitsbelastung bei Ärzten in der Rechtsmedizin, liegen Gratifikationskrisen vor? Unterscheidet sich die psychosoziale Arbeitsbelastung von anderen Fachrichtungen? Wenn ja, welche Gründe könnte das haben?

  • Wie hoch ist die Arbeitszufriedenheit von Rechtsmedizinern? Welche möglichen Einflussfaktoren gibt es?

  • Wie hoch ist die Zufriedenheit der WBA mit den Weiterbildungsbedingungen? Gibt es Veränderungs- oder Optimierungsbedarf?

  • Wie sind die Forschungs- und Karriereambitionen der Rechtsmediziner? Sind sie zufrieden mit ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit? Gibt es Veränderungs- oder Optimierungsbedarf?

Methoden

Umfrage

Es wurde ein Online-Fragebogen konzipiert, der Fragen zu demografischen Basisdaten, beruflichen Spezifikationen und den Themenkomplexen Arbeitsbelastung, Arbeitszufriedenheit, Forschung und Karriere, Weiterbildung, Beruf vs. Privatleben und Generationenwandel enthielt. (Anm.: Die Ergebnisse des Generationenteils werden gesondert publiziert.) Die Gesamtzahl der zu beantwortenden Fragen variierte je nach Teilnehmer zwischen mind. 24 und max. 53 Fragen, da nach manchen Entscheidungsfragen weitere ergänzende Fragen gestellt wurden und sich manchen Alternativfragen je nach gewählter Alternative unterschiedliche Fragen anschlossen. Alle angezeigten Fragen (ausgenommen fakultativer Freitextfragen) mussten beantwortet werden, um die jeweils nächste Seite zu erreichen.

Der ERI-Fragebogen [39, 43] in der Langfassung wurde in den Fragebogen integriert und allen Teilnehmern angezeigt. Die Beantwortung des Fragebogens erfolgte auf einer 4‑Punkte-Likert-Skala (stimme gar nicht zu – stimme nicht zu – stimme zu – stimme voll zu). Ein Item (Frage nach der körperlichen Anstrengung des Berufs) wurde aus der Auswertung exkludiert, sodass 5 Items zur Verausgabung (Effort, E), 10 Items zur Belohnung (Reward, R) und 6 Items zur Verausgabungsneigung (Over-Commitment, OC) ausgewertet wurden. Aus den Skalenwerten Verausgabung und Belohnung wurde ein Quotient gebildet, um das Ausmaß der beruflichen Gratifikationskrise zu quantifizieren. Ein ER-Quotient > 1 deutet auf das Vorhandensein einer Gratifikationskrise hin.

Weitere Fragen wurden eigens für die Umfrage verfasst, teilweise in Anlehnung an eine Umfrage unter ophthalmologischen Assistenzärzten von Hos et al. [21] und eine Dissertation zum Thema Die wissenschaftliche Karriere in der Medizin – gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede? von Hanika [20].

Der Fragebogen wurde im September 2019 per E‑Mail an 436 rechtsmedizinisch tätige Ärztinnen und Ärzte verschickt, deren E‑Mail-Adressen über das Mitgliederverzeichnis der DGRM oder über die Institutswebseiten zugänglich waren. Die Teilnehmer wurden 2‑mal an die Teilnahme erinnert. Eine mehrfache Teilnahme wurde mittels individuellen, anonymisierten Referenzlinks ausgeschlossen. Voraussetzung für die Teilnahme war die Zustimmung zur Verarbeitung der anonymisierten Daten und eine aktuelle oder max. 5 Jahre zurückliegende rechtsmedizinisch-ärztliche Tätigkeit. Es lag ein positives Votum der Ethikkommission der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für die Durchführung der Studie vor.

Statistik

Neben der deskriptiven Datenanalyse erfolgte bei ausgewählten Fragen der Vergleich von 2 Gruppen mittels Mann-Whitney-U(MWU)-Test und von mehr Gruppen mittels Kruskal-Wallis-Test mit Dunn-Bonferroni- oder MWU-Test als Post-hoc-Tests. Erwartete und beobachtete Häufigkeiten wurden anhand von Kreuztabellen verglichen und mittels χ2-Tests auf Signifikanz geprüft. Es erfolgte eine Korrektur für multiples Testen nach Bonferroni, ausgehend vom Signifikanzniveau α = 0,05. Die Kennzahlen der Effektstärke wurden wie folgt berechnet: Für MWU- und Kruskal-Wallis-Tests: r (Effektgröße für Medianunterschiede): < 0,3 schwacher, 0,3–0,5 mittlerer und > 0,5 starker Effekt. Für χ2-Test: φ/Cramér’s V (χ2-basiertes Zusammenhangsmaß): < 0,3 schwacher, 0,3–0,5 mittlerer und > 0,5 starker Effekt (nach Cohen 1988) [13]. Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS® Statistics Version 25 (IBM, Armonk, New York, USA).

Ergebnisse

199 Fragebogen wurden ausgefüllt – 18 teilweise und 181 vollständig. Unvollständige Fragebogen wurden als Abbrüche der Studienteilnahme gewertet, sodass Daten von 181 Teilnehmern zur Auswertung zur Verfügung standen. Das entspricht einer Rücklaufquote von 41,5 %.

Basisdaten

58,0 % der Teilnehmer waren weiblich, 41,4 % männlich (ein/eine Teilnehmer/‑in machte keine Angabe). In der Gruppe der WBA war der Unterschied deutlicher und statistisch signifikant (77,6 % weiblich vs. 22,4 % männlich; p < 0,001, φ = 0,30). Beinahe die Hälfte der Teilnehmer (48,6 %) ist zwischen 1981 und 1995 geboren, 36,5 % sind zwischen 1965 und 1980 geboren.

Der überwiegende Anteil der Befragten arbeitete in Deutschland (84,0 %). 63,0 % der Befragten hatten einen Facharzttitel, im Durchschnitt seit 12,0 ± 9,4 Jahren (MW ± SD, Min. 0, Max. 36 Jahre). 46,5 % der Fachärzte hatten eine Führungs- oder Leitungsposition inne. (Anm.: Teilnehmer wurden nach ihrer beruflichen Position gefragt. Die Antworten „Institutsleitung“, „stellvertretende Institutsleitung“ oder „Abteilungsleitung“ wurden als Leitungspositionen gewertet.) Diese Positionen waren überwiegend männlich besetzt (75,5 % männlich vs. 24,5 % weiblich; p < 0,001, φ = −0,44). Die meisten WBA befanden sich im 4. Jahr der WB (32,8 %).

Die Mehrheit aller Teilnehmer war an einer Universität angestellt. Die höchsten bisher erreichten akademischen Titel der Befragten waren in 50,8 % die Promotion, in 16,0 % eine Professur und in 9,4 % die Habilitation. Träger eines Professorentitels waren überwiegend männlich (p < 0,001, Cramer-V = 0,32).

Die wöchentliche Arbeitszeit der Befragten betrug 46,3 ± 9,2 h (MW ± SD, Min. 3 h, Max. 80 h). Frauen arbeiteten im Schnitt weniger Stunden pro Woche als Männer (p = 0,005, r = 0,21). Ärzte in Leitungspositionen arbeiteten mehr als jene ohne Leitungsfunktion (p = 0,005, r = 0,21). Kein Unterschied in der Arbeitszeit zeigte sich zwischen Assistenz- und Fachärzten.

Die detaillierte demografische Zusammensetzung der Studienpopulation ist Tab. 1 zu entnehmen.

Tab. 1 Basisdaten der Studienpopulation (alle Teilnehmer; n = 181)

Karriere

Betrachtet man – unabhängig vom Weiterbildungsstatus – die Ärzte, die zum Umfragezeitpunkt keine Leitungsposition innehatten (n = 128), wurden von diesen v. a. Oberarztstellen angestrebt (27,3 %). Eine Institutsleitungs- oder stellv. Institutsleitungsposition wurde nur von 9,4 % bzw. 6,3 % der Befragten ohne Leitungsfunktion gewünscht.

Bei gesonderter Betrachtung von Fachärzten und WBA ergab sich Folgendes:

Fachärzte

Institutsleiter, stellvertretende Institutsleiter und Abteilungsleiter waren überwiegend männlich; in der Gruppe der stellv. Institutsleiter war der Unterschied statistisch signifikant (23,3 % der Männer vs. 3,8 % der Frauen; p = 0,003). 86,8 % der Fachärzte waren mit ihrem bisher erreichten Karrierestatus zumindest teilweise zufrieden. Frauen waren zwar tendenziell etwas weniger zufrieden mit ihrer bisherigen Karriere, der Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant (79,2 % der Frauen vs. 93,3 % der Männer; p = 0,13). 37,2 % aller Fachärzte strebten noch weitere akademische oder dienstliche Karriereziele an (47,2 % der Frauen vs. 28,3 % der Männer, p = 0,02). 53,5 % der Fachärzte waren habilitiert oder strebten eine Habilitation an; 33,3 % hatten eine Professur inne oder strebten eine solche an (Mehrfachnennungen waren möglich). 2 Fachärztinnen und 7 Fachärzte (von insgesamt 114) gaben an, Interesse an einer zukünftigen Institutsleitungsposition zu haben. Die meistgenannten Hindernisse, weshalb angestrebte Karriereziele (noch) nicht erreicht wurden, ließen sich in 7 Kategorien zusammenfassen (Abb. 1). Vor allem der Zeitmangel durch hohe Arbeitslast an Routine- und sonstigen Tätigkeiten, hinderliche oder fehlende Strukturen und mangelnde Förderung sowie persönliche Gründe (Familie/Privatleben) oder Eigenschaften (z. B. mangelnde Motivation) wurden genannt.

Abb. 1
figure 1

Hindernisgründe der Fachärzte für das Nichterreichen der eigenen Karriereziele (Fachärzte; n = 44). Qualitative Auswertung der fakultativen Freitextantworten. Mehrfachantworten waren möglich. AG Arbeitsgruppen

Weiterbildungsassistenten

Die Mehrheit der promovierten WBA strebte eine Habilitation an. Fast alle nichtpromovierten WBA strebten eine Promotion an. Details sind Tab. 2 zu entnehmen. Die angestrebten beruflichen Karriereziele der WBA sind Tab. 3 zu entnehmen. 61,2 % der WBA gaben an, dass zumindest teilweise Unklarheiten in Bezug auf den Weg zu den jeweiligen Karrierezielen bestehen. Von 17 Assistenzärzten (14 aus Deutschland, 3 aus der Schweiz) wurden ergänzende Angaben zu den bestehenden Unklarheiten gemacht. Diese ließen sich in 7 Kategorien zusammenfassen (Abb. 2).

Tab. 2 Erreichte und angestrebte akademische Karriereziele (Weiterbildungsassistenten; n = 67)
Tab. 3 Höchstes berufliches Karriereziel (Weiterbildungsassistenten; n = 67)
Abb. 2
figure 2

Unklarheiten der Weiterbildungsassistenten in Bezug auf den Karriereweg (Weiterbildungsassistenten; n = 17). Qualitative Auswertung der fakultativen Freitextantworten. Mehrfachantworten waren möglich. WissZeitVG Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Forschung

54,1 % der Befragten gaben an, aktiv zu forschen (43,3 % der Assistenzärzte vs. 60,5 % der Fachärzte; p = 0,025). 97,1 % der forschenden Fachärzte und 62,1 % der forschenden Assistenzärzte haben bereits Publikationen als Erstautoren veröffentlicht (p < 0,001, φ = −0,47). 72,5 % der forschenden Fachärzte und 17,2 % der forschenden Assistenzärzte haben bereits Drittmittel eingeworben oder planen dies in nächster Zeit zu tun (p < 0,001, φ = −0,51). Etwas über die Hälfte der forschenden Ärzte ist Teil einer internen, interdisziplinären Arbeitsgruppe (AG; 28,6 %) oder einer externen, interdisziplinären AG (25,5 %). 34,5 % der Assistenzärzte und 7,2 % der Fachärzte forschten alleine, d. h. ohne AG (p < 0,001). Keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Forschung waren für das Merkmal Geschlecht zu verzeichnen.

Die durchschnittliche wöchentliche Forschungszeit der aktiv forschenden WBA (n = 28, fehlend = 1) betrug 4,5 ± 4,1 h (MW ± SD, Min. 0 h, Max. 20 h). 20,7 % gaben an, nur aus eigener Motivation zu forschen; 17,2 % forschten, weil es von ihnen verlangt wurde, und für die Mehrheit (62,1 %) trafen beide Motivationsfaktoren zu unterschiedlichen Teilen zu. 62,1 % der forschenden WBA gaben an, bestimmte wissenschaftliche Anforderungen erfüllen zu müssen (z. B. eine bestimmte Anzahl an Publikationen oder Kongressbeiträgen pro Jahr), was zwei Drittel (66,7 %) zumindest teilweise auch gelang. Dennoch empfanden 88,9 % der WBA diese Vorgaben zumindest teilweise als hinderlich oder störend. 69,0 % fühlten sich bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit durch Vorgesetzte/das Kollegium unterstützt, und 58,6 % gaben an, derartige Unterstützung aktiv einfordern zu müssen.

Für 24,1 % war eine Freistellung von der Routine für Forschungstätigkeiten möglich. 75,9 % der forschenden WBA würden das Ausmaß ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit gerne erhöhen, und mehr als die Hälfte derer, die zum Zeitpunkt der Umfrage nicht wissenschaftlich tätig waren (n = 38), würden es gerne sein (52,6 %).

Für fast alle WBA bestand die Möglichkeit, an Tagungen/Kongressen teilzunehmen (98,5 %). 63,6 % würden gerne an mehr Kongressen teilnehmen, und alle Befragten, die dies nicht konnten/durften, würden es ebenfalls gerne tun.

Arbeits- und Weiterbildungszufriedenheit

38,7 % aller Teilnehmer waren „sehr zufrieden“, und 50,3 % waren „eher zufrieden“ mit ihrer rechtsmedizinischen Routinetätigkeit (Obduktionen, klinisch-forensische Untersuchungen, Gutachten etc.). Mit ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit waren hingegen nur 9,9 % „sehr zufrieden“ und 28,7 % „eher zufrieden“. Die detaillierten Ergebnisse sind Tab. 4 zu entnehmen. Fachärzte waren tendenziell zufriedener als Assistenzärzte (Routine: p = 0,026 bzw. Wissenschaft: p = 0,013) und Ärzte mit Leitungsfunktion zufriedener als jene ohne (Routine: p = 0,068 bzw. Wissenschaft: p = 0,017), die Unterschiede waren jedoch nicht statistisch signifikant. Hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Die wöchentliche Arbeitszeit hatte keinen Einfluss auf das Ausmaß der Zufriedenheit mit der Routine- oder Forschungstätigkeit.

Tab. 4 Fragen und Antwortverhalten zu Arbeitsbedingungen, Arbeitseinstellung und Kündigungsintention (alle Teilnehmer; n = 181)

Fast alle Befragten waren der Meinung, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Ärzte in Leitungspositionen zeigten hier eine größere Zustimmung (p < 0,001, Cramer-V = 0,31). Mehr als vier Fünftel der Befragten waren außerdem der Ansicht, autonom arbeiten zu können. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer waren mit der prozentualen Verteilung ihrer beruflichen Aufgaben (Routinetätigkeit, Forschung, Lehre) zufrieden (Tab. 4). 20,4 % stimmten der Frage nach ernsthaften Gedanken an eine Kündigung „sehr“ zu, und 14,4 % stimmten „eher“ zu. Der überwiegende Anteil stimmte jedoch „gar nicht“ zu (Tab. 4). In Bezug auf die Einschätzung, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen bzw. autonom arbeiten zu können, auf die Zufriedenheit mit der prozentualen Verteilung der Arbeitsaufgaben und auf die Frage nach einer Kündigungsintention zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Assistenz- und Fachärzten sowie zwischen Frauen und Männern.

Die detaillierten Ergebnisse zur Zufriedenheit der WBA sind Tab. 5 zu entnehmen. Etwas mehr als die Hälfte (53,7 %) war „sehr zufrieden“ oder „eher zufrieden“ mit der Weiterbildung an ihrem Arbeitsplatz. Schweizer Assistenzärzte waren tendenziell zufriedener (auf einen statistischen Vergleich wurde aufgrund der kleinen Gruppengröße verzichtet). Mit der Weiterbildungsordnung (WBO) der jeweiligen Länder war der Großteil zufrieden. Beinahe drei Viertel der WBA waren auch mit dem Fort- und Weiterbildungsangebot der Fachgesellschaft zufrieden, und etwa zwei Drittel waren mit den Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten mit anderen Assistenzärzten zufrieden; hier waren Schweizer Teilnehmer tendenziell etwas weniger zufrieden.

Tab. 5 Fragen und Antwortverhalten zur Zufriedenheit mit den Weiterbildungsbedingungen (Weiterbildungsassistenten; n = 67)

Die WBA wurden nach ihren Verbesserungsvorschlägen und Wünschen für die Weiterbildung gefragt. 49 Teilnehmer (45 aus Deutschland, 4 aus der Schweiz) machten hierzu Angaben. Die Antworten ließen sich inhaltlich in 6 Kategorien einordnen (Tab. 6). Als Unterstützung für die Weiterbildung und den eigenen Karriereweg wünschten sich außerdem 41,8 % einen Mentor (z. B. Oberarzt) aus dem eigenen Institut und je 14,9 % einen Mentor aus einem anderen Institut oder den eigenen Chef als Mentor (Mehrfachnennungen waren möglich). Umgekehrt gaben 62,3 % aller Fachärzte an, selbst als Mentor für WBA aus dem eigenen Institut tätig zu sein, und 4,4 % gaben an, als Mentor für WBA aus einem anderen Institut zu fungieren. 82,6 % der Institutsleiter sahen sich als Mentor für WBA aus dem eigenen Institut.

Tab. 6 Verbesserungs- und Veränderungswünsche zum Thema Facharztweiterbildung (Weiterbildungsassistenten; D: n = 45, CH: n = 4)

Arbeitsbelastung und Gratifikationskrisen

Der ER-Quotient aller Befragten betrug 1,24 ± 0,48 (MW ± SD; Min. 0,54, Max. 3,64). In 59,7 % der Fälle lagen ein ER-Quotient > 1 und somit eine Gratifikationskrise vor (57,0 % der Fachärzte, 64,2 % der WBA). Ärzte in Leitungspositionen zeigten einen tendenziell niedrigeren ER-Quotient, wenngleich der Zusammenhang nicht statistisch signifikant war (p = 0,047). Die Höhe des ER-Quotienten unterschied sich nicht in den Merkmalsausprägungen Geschlecht, Altersgruppe und Weiterbildungsstatus (Facharzt vs. Assistenzarzt), Details: Tab. 7.

Tab. 7 Psychosoziale Arbeitsbelastung der Studienteilnehmer, gemessen anhand der „Effort-reward“- und „Over-commitment“-Fragebogen, in Bezug auf Geschlecht, Weiterbildungsstatus und Leitungsposition

Ein niedrigerer ER-Quotient war mit einer höheren Zufriedenheit mit der Routinetätigkeit assoziiert (p < 0,001, Details und Post-hoc-Tests: Abb. 3). Gleiches galt für die Zufriedenheit mit der Forschungstätigkeit (p < 0,001), die Möglichkeiten des autonomen Arbeitens (p < 0,001) und die Einschätzung, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen (p < 0,001). Ein höherer ER-Quotient war mit einer stärkeren Kündigungsintention assoziiert (p < 0,001; Details und Post-hoc-Tests: Abb. 4). Bei den Assistenzärzten war der ER-Quotient signifikant mit der Zufriedenheit mit den Weiterbildungsbedingungen im eigenen Institut assoziiert (p < 0,001, Details und Post-hoc-Tests: Abb. 5). Keinen Einfluss auf den ER-Quotienten hatte der Weiterbildungsfortschritt (≤3. Jahr vs. ≥ 4. Jahr).

Abb. 3
figure 3

Höhe des „Effort/reward“(ER)-Quotienten in Bezug auf die Zufriedenheit mit der Routinetätigkeit (alle Teilnehmer; n = 180). Ein ER-Quotient > 1 deutet auf das Vorhandensein einer Gratifikationskrise hin. Die Gruppe „gar nicht zufrieden“ mit der Routinetätigkeit wurde wegen n < 5 von der Analyse ausgeschlossen. Kruskal-Wallis-Test mit MWU als Post-hoc-Tests: eher zufrieden vs. sehr zufrieden: p < 0,001, r = 0,42; weniger zufrieden vs. sehr zufrieden: p < 0,001, r = 0,54; weniger zufrieden vs. eher zufrieden: p = 0,011, r = 0,24

Abb. 4
figure 4

Höhe des „Effort/reward“(ER)-Quotienten in Bezug auf die Kündigungsintention (alle Teilnehmer; n = 181). Kruskal-Wallis-Test mit Dunn-Bonferroni als Post-hoc-Tests: trifft gar nicht zu vs. trifft weniger zu: p < 0,001, r = 0,38; trifft gar nicht zu vs. trifft eher zu: p < 0,001, r = 0,40; trifft gar nicht zu vs. trifft sehr zu: p < 0,001, r = 0,71; trifft weniger zu vs. trifft sehr zu: p = 0,035, r = 0,33

Abb. 5
figure 5

Höhe des „Effort/reward“(ER)-Quotienten in Bezug auf die Zufriedenheit mit der Weiterbildung (Weiterbildungsassistenten; n = 67). Kruskal-Wallis-Test mit Dunn-Bonferroni als Post-hoc-Tests: sehr zufrieden vs. gar nicht zufrieden: p < 0,001, r = 1,06; eher zufrieden vs. weniger zufrieden: p = 0,040, r = 0,38; eher zufrieden vs. gar nicht zufrieden: p < 0,001, r = 0,78; weniger zufrieden vs. gar nicht zufrieden: p = 0,048, r = 0,48

Für weitere Vergleiche wurden 3 gleich große Gruppen des ER-Quotienten (niedrig, mittel, hoch) gebildet. Die Cut-off-Werte der Tertile lagen bei 0,97 und 1,29. Eine längere wöchentliche Arbeitszeit war mit höheren ER-Gruppen assoziiert, wobei sich in den Post-hoc-Tests lediglich zwischen den Gruppen „ER-Quotient niedrig“ und „ER-Quotient hoch“ ein signifikanter Unterschied zeigte (p = 0,001, r = 0,33).

Im Folgenden wird auf die einzelnen Skalen des ERI-Fragebogens eingegangen:

Verausgabung (Effort)

Teilnehmer in Leitungspositionen zeigten höhere Verausgabungswerte (p = 0,005, r = 0,21). Niedrigere Verausgabungswerte waren tendenziell mit einer größeren Zufriedenheit mit der Routinetätigkeit assoziiert (p = 0,026), dieselbe Tendenz zeigte sich bei der Zufriedenheit mit der wissenschaftlichen Tätigkeit (p = 0,036). Keinen Zusammenhang mit der Verausgabung zeigten die Merkmale Geschlecht, Weiterbildungsstatus und Altersgruppe.

Belohnung (Reward)

Bei Assistenzärzten waren signifikant niedrigere Belohnungswerte zu verzeichnen als bei Fachärzten (p = 0,007, r = 0,20). Teilnehmer in Leitungspositionen zeigten höhere Belohnungswerte als jene ohne Leitungsfunktion (p < 0,001, r = 0,43), und entsprechend zeigten auch die Geburtsjahrgänge vor 1965 höhere Belohnungswerte als die Jahrgänge 1981–1995 (p = 0,002, r = 0,32). Höhere Belohnungswerte waren mit einer höheren Zufriedenheit mit der Routinetätigkeit (p < 0,001) und der Zufriedenheit mit der wissenschaftlichen Tätigkeit (p = 0,003) assoziiert. Frauen wiesen im Vergleich zu Männern tendenziell niedrigere Belohnungswerte auf; der Unterschied war statistisch nicht signifikant (p = 0,030).

Verausgabungsneigung (Over-commitment)

Der durchschnittliche Wert der Verausgabungsneigung betrug 14,74 ± 3,83 (MW ± SD, Min. 7, Max. 24). Eine hohe Verausgabungsneigung war signifikant mit höheren ER-Quotient-Gruppen assoziiert (p < 0,001). Niedrigere Werte auf der Skala Verausgabungsneigung waren mit einer höheren Zufriedenheit mit der Routinetätigkeit assoziiert (p < 0,001). Die Verausgabungsneigung war signifikant mit der Kündigungsintention assoziiert (p < 0,001). Eine höhere Zustimmung zur Möglichkeit des autonomen Arbeitens und die Einschätzung, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, waren mit einem niedrigeren OC-Wert assoziiert (p < 0,001 bzw. p = 0,001). Keine signifikanten Unterschiede zeigten sich für die Merkmale Geschlecht, Weiterbildungsstatus, Altersgruppe, Leitungsposition und Zufriedenheit mit der wissenschaftlichen Tätigkeit.

Beruf und Privatleben

40,9 % der befragten Ärzte gaben an, dass Aspekte ihres Berufslebens bzw. ihrer Karriereentscheidungen Priorität über ihr Privat- oder Familienleben haben oder hatten (z. B. Kinderplanung, Fernbeziehung, Trennung, Umzug usw.), während bei 18,2 % der Ärzte Prioritäten im Privatleben Auswirkungen auf das Berufsleben (z. B. längere Weiterbildungszeit, Verzicht auf Karriere oder Wunschstelle, Teilzeitverträge usw.) haben bzw. hatten. 25,4 % konnten sowohl private als auch berufliche Prioritäten benennen. Hervorzuheben ist, dass beinahe die Hälfte aller Befragten einen Wohnort‑/Standortwechsel für den Beruf bzw. die Karriere in Kauf nimmt bzw. nahm; es waren deutlich mehr Männer bereit, für den Beruf ihren Standort zu wechseln (60,0 % der Männer vs. 38,1 % der Frauen; p = 0,004, φ = 0,22). Bei mehr als einem Drittel der Ärzte (38,3 %) führten oder führen berufliche Entscheidungen zu einer Anpassung der Kinderplanung (später/weniger/keine Kinder), wobei dies auf signifikant mehr Frauen zutraf (50,5 % der Frauen vs. 21,3 % der Männer; p < 0,001, φ = −0,30). Frauen entschieden sich tendenziell eher für ein Arbeiten in Teilzeit, der Unterschied war jedoch nicht signifikant (15,2 % der Frauen vs. 5,3 % der Männer; p = 0,037). Die beruflichen und privaten Prioritäten unterschieden sich nicht statistisch signifikant zwischen Fach- und Assistenzärzten.

Diskussion

Wenngleich die tatsächliche Gesamtzahl der rechtsmedizinisch tätigen Ärzte mangels offizieller Statistiken nicht bekannt ist, ist die Rücklaufquote von 41,5 % als zufriedenstellend einzuschätzen und dürfte zumindest näherungsweise eine Aussage über die Grundpopulation deutschsprachiger Rechtsmediziner zulassen.

Hohe psychosoziale Arbeitsbelastung

Die psychosoziale Arbeitsbelastung der befragten Rechtsmediziner war hoch. Der durchschnittliche ER-Quotient von 1,24 liegt deutlich über dem der Allgemeinbevölkerung. Wege et al. [47] stellten in einer repräsentativen Stichprobe deutscher Angestellter einen mittleren ER-Quotient von 0,61 bei Männern und 0,59 bei Frauen fest. Anders ist die Situation bei Ärzten; hier zeigten inzwischen zahlreiche Studien des letzten Jahrzehnts an Kollegen verschiedener Fachrichtungen zwar breit gestreute, aber ebenfalls jeweils deutlich höhere Werte. Der mittlere ER-Quotient betrug beispielsweise bei Ärzten chirurgischer Disziplinen 0,87 [45], bei Internisten 1,26 [4] und bei Assistenzärzten der Urologie 1,37 [2]. Im Vergleich zu den festgestellten ER-Quotienten der rechtsmedizinischen WBA von im Mittel 1,28 (Tab. 7) zeigten Assistenzärzte anderer Disziplinen höhere Werte. Eine Befragung junger Ärzte aus 6 klinischen Fachrichtungen ergab einen mittleren ER-Quotienten von 1,8 [26] und eine unter internistischen Assistenzärzten einen mittleren ER-Quotienten von 1,9 [36]. In der vorliegenden Erhebung lag bei ca. 60 % der Teilnehmer eine Gratifikationskrise (definiert durch einen ER-Quotient > 1) vor. Die diesbezügliche Prävalenz schwankt deutlich zwischen den verschiedenen Studien; zum Vergleich lag bei 25 % der Chirurgen und Gynäkologen [45] sowie bei 72 % der Internisten [4] eine Gratifikationskrise vor. Allerdings werden Vergleiche zwischen den Fachrichtungen durch die verschiedenen zur Anwendung gekommenen Versionen des ERI-Fragebogens mit unterschiedlicher Item-Anzahl und unterschiedlichem Antwortformat (4- bzw. 5‑Punkte-Likert-Skalen) erschwert.

Aufgrund der unterschiedlichen Organisationsstrukturen und Aufgaben ist eine Übertragbarkeit von internationalen Studien auf den deutschsprachigen Raum und von der Arztrolle im Allgemeinen auf die spezielle Rolle des Rechtsmediziners ebenfalls nur bedingt möglich. Dennoch können Parallelen zwischen den Fachrichtungen gezogen werden. Während in klinischen Fächern die enge Arzt-Patient-Beziehung mit möglicherweise schwierigen Krankheitsverläufen, Komplikationen oder Todesfällen psychisch belastend auf Ärzte wirken können, sind Rechtsmediziner ständig mit dem Thema Gewalt konfrontiert. Als emotional belastend wurden von forensischen Medizinern v. a. Untersuchungen sexuell missbrauchter Frauen und Kinder oder körperlich misshandelter Kinder [24] sowie plötzliche oder traumatische Todesfälle von Kindern und Konfrontationen mit aggressiven Inhaftierten [44] angesehen. Die Auseinandersetzung mit solchen als „critical events“ bezeichneten Fällen bzw. Ereignissen kann laut den genannten Studien zu Symptomen klinischer Depression und posttraumatischer Belastungsreaktionen führen [24, 44]. Ähnlich wie in den klinischen Fächern sind Rechtsmediziner ebenfalls mit steigenden Fallzahlen und zunehmenden administrativen Tätigkeiten konfrontiert. Hinzu kommen der Zeitdruck bei besonders kritischen Fällen und die hohe Verantwortung, die durch die Tragweite der potenziellen juristischen Konsequenzen mit der Fallbearbeitung einhergeht. Unvorhergesehene Aufgaben mit hoher Dringlichkeit während der Nacht- und Rufbereitschaftsdienste haben ebenfalls Stresspotenzial. Einen weiteren Belastungsfaktor für jüngere Rechtsmediziner kann ihre Stellensituation darstellen. Knapp 15 % der Studienteilnehmer waren zumindest z. T. über einen drittmittelfinanzierten bzw. projektgebundenen Vertrag angestellt.

Signifikante Unterschiede der angegebenen Arbeitsbelastung zwischen Assistenz- und Fachärzten konnten durch die vorliegende Umfrage nicht festgestellt werden. Fachärzte zeigten im Vergleich zu Assistenzärzten jedoch höhere Werte auf der Belohnungsskala, was durch höhere Einkommen, eine oft größere Arbeitsplatzsicherheit durch Entfristung und größere Handlungs- und Gestaltungsspielräume erklärt werden kann. Der fehlende Unterschied in Bezug auf die Verausgabung und die psychosoziale Arbeitsbelastung könnte evtl. an den grundsätzlich ähnlichen Arbeitsaufgaben der (fortgeschrittenen) Assistenzärzte und der nichtleitenden Fachärzte liegen.

In der vorliegenden Studie zeigte sich bei Ärzten mit Leitungsfunktion eine insgesamt niedrigere psychosoziale Arbeitsbelastung (gemessen am ER-Quotient) als bei Ärzten ohne Leitungsfunktion, obwohl signifikant höhere Werte in den Subskalen Belohnung und Verausgabung zu verzeichnen waren. Das spricht dafür, dass trotz zunehmender Verausgabung (Arbeitslast, Verantwortung) durch den Aufstieg auf der Karriereleiter die Belohnungsfaktoren noch stärker zunehmen. Das steht im Einklang mit anderen Studien, die im Krankenhaus eine Abnahme der Häufigkeit von Gratifikationskrisen mit höheren beruflichen Positionen feststellten [4, 45]; genannte Gründe waren dort v. a. höhere Belohnungsfaktoren in Form von Gehalt und Wertschätzung [45].

35 % der befragten Ärzte haben bereits ernsthaft über eine Kündigung nachgedacht (Tab. 4). Eine höhere psychosoziale Arbeitsbelastung war mit einer stärkeren Zustimmung zur Frage nach den Gedanken an eine Kündigung assoziiert. Ein Zusammenhang zwischen hoher Arbeitsbelastung oder Burn-out und einer Kündigungsintention in Berufen des Medizinsektors konnte bereits in anderen Studien nachgewiesen werden [14, 19, 46]. Auch hier erlauben die unterschiedlichen Studiendesigns und Fragenformate nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit.

Viele Rechtsmediziner schätzten ihre eigene Tätigkeit als sinnvoll ein. Einen Sinn in der eigenen Arbeit zu sehen, zeichnet Ärzte grundsätzlich aus [20]. Zwar liegt dieser Sinn im rechtsmedizinischen Kontext nicht in der Heilung oder Linderung von Krankheiten, aber durch die Beteiligung an der Aufklärung von Straftaten dennoch in der Leistung eines sozial und gesellschaftlich wichtigen Beitrags. Ein Großteil der Befragten gab zudem an, die Möglichkeit zu haben, autonom arbeiten zu können. Beide genannten Aspekte waren signifikant mit einer niedrigeren psychosozialen Arbeitsbelastung assoziiert. Die selbstständige Bearbeitung eigener Fälle – im Idealfall unter Anleitung und Kontrolle durch erfahrenere Kollegen – ist integraler Bestandteil der rechtsmedizinischen Weiterbildung. Durch diese selbstständige Beschäftigung mit den Arbeitsaufgaben gibt es in der rechtsmedizinischen Routine viele Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und zur individuellen Gestaltung des Arbeitsalltags, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch. Die professionelle Autonomie, also eine Flexibilität in der Organisation der eigenen Arbeitsaufgaben, ist ein wesentlicher Faktor, der die Arbeitsbelastung senken und die Arbeitszufriedenheit steigern kann [41]. Die von klinisch tätigen WBA häufig beklagte Diskrepanz zwischen hoher Arbeitslast und mangelndem Handlungsspielraum bzw. mangelnder Entscheidungskontrolle [5] dürfte daher in der Rechtsmedizin weniger stark ausgeprägt sein.

Die Verausgabungsneigung der Teilnehmer, d. h. die intrinsische Komponente des ERI-Modells, war ebenfalls hoch und erwartungsgemäß positiv mit dem ER-Quotienten assoziiert. Ein mittlerer Wert von 14,7 auf der Over-Commitment-Skala ist vergleichbar mit anderen medizinischen Fachrichtungen; beispielsweise erreichten chirurgisch tätige Ärzte einen mittleren OC-Wert von 15,7 [45]. Geschlechtsunterschiede, wie in anderen Studien gezeigt [36], konnten in der vorliegenden Befragung in Bezug auf die Verausgabungsneigung nicht festgestellt werden. Auch auf den Weiterbildungs- oder Karrierestatus der Teilnehmer bezogen fanden sich keine Unterschiede. Allerdings zeigte sich, dass die Verausgabungsneigung – erwartungsgemäß – negativ mit der Arbeitszufriedenheit und positiv mit einer Kündigungsintention assoziiert war.

Hohe Arbeitszufriedenheit

Die Arbeitszufriedenheit der teilnehmenden Rechtsmediziner war insgesamt sehr hoch. 89 % der Befragten waren eher oder sehr zufrieden mit ihrer Routinetätigkeit. Dies steht im Einklang mit den wenigen bisher durchgeführten Studien zur Arbeitszufriedenheit forensischer Mediziner im deutschsprachigen [17] und im internationalen Raum [23, 33]. Ein konkreter Vergleich mit dem Grad der Zufriedenheit der Rechtsmediziner aus anderen Studien oder ein Longitudinalvergleich mit den Ergebnissen der Umfrage von Gauthier et al. [17] ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns nicht möglich. Die Berufszufriedenheit bei Ärzten ist jedoch bekanntermaßen generell sehr gut. In einer großen Umfrage von Bauer et al. [5] unter deutschen Krankenhausärzten unterschiedlicher Fachrichtungen gaben 55,8 % der Befragten an, sehr zufrieden mit ihrem Beruf zu sein. Die Zunahme der Berufszufriedenheit mit Abschluss der Weiterbildung und dem Erreichen höherer beruflicher Positionen konnte ebenfalls in anderen Studien gezeigt werden [6]. Tendenzielle Unterschiede zwischen Fach- und Assistenzärzten (mit etwas höherer Zufriedenheit bei den Fachärzten) waren durch die vorliegende Umfrage auch in der Rechtsmedizin festzustellen. Ein signifikanter Geschlechtsunterschied zeigte sich jedoch nicht. Der vermeintliche Widerspruch zwischen einer ausgeprägten Gratifikationskrise und einer hohen Berufszufriedenheit fand sich auch in anderen Erhebungen unter Ärzten [4, 36]. Ein möglicher Grund könnte gerade bei Rechtsmedizinern eine ausgeprägte Identifikation mit dem eigenen Beruf sein. Auch die oben genannten Faktoren des autonomen Arbeitens und der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns dürften einen wesentlichen Anteil daran haben, dass ein hohes Arbeitspensum in Kauf genommen wird.

Weiterbildung: viele Veränderungswünsche

Nur 13 % der WBA sind sehr zufrieden mit den Weiterbildungsbedingungen in ihren Instituten. Knapp die Hälfte der teilnehmenden WBA war hingegen wenig bis gar nicht zufrieden damit. Die Schweizer Teilnehmer waren tendenziell etwas zufriedener. Gründe für eine Unzufriedenheit lagen nach Angaben der Befragten u. a. in einer fehlenden Weiterbildungsstruktur (Tab. 6). Die (Un‑)Zufriedenheit mit der Weiterbildung war signifikant mit der Höhe der psychosozialen Arbeitsbelastung assoziiert, unabhängig vom Weiterbildungsfortschritt. Hingegen war die Zufriedenheit mit der WBO recht hoch. Einige der von den Assistenzärzten angesprochenen Änderungswünsche, z. B. die Möglichkeit zur Rotation in andere Fremdfächer oder ein Fokus auf klinische Rechtsmedizin, fanden bereits Eingang in die (Muster‑)Weiterbildungsordnung 2018 der Bundesärztekammer, die in vielen Bundesländern 2020 in Kraft getreten ist [12].

Verunsicherung durch Befristung von Arbeitsverträgen

Geäußerte Unsicherheiten bezogen sich auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) [10] und Entfristungsmöglichkeiten sowie die generelle Stellenproblematik. Rechtsmedizinische Institute sind bekanntermaßen überwiegend universitär angesiedelt. Das bedeutet folglich, dass beinahe alle rechtsmedizinischen WBA nach WissZeitVG angestellt sind. Das befristete Beschäftigungsverhältnis mit der Anforderung des wissenschaftlichen Arbeitens, die geringe Anzahl rechtsmedizinischer Institute und gleichzeitig die Vorgabe der WBO, eine Mindestdauer von je 6 Monaten in den Fächern Psychiatrie und Pathologie zu absolvieren, führen dazu, dass eine Flexibilität eingefordert und eine längerfristige Lebensplanung in diesen Jahren schwierig ist. Sowohl Ärztinnen als auch Ärzte haben heute aber ein hohes Bedürfnis danach, Planungssicherheit zu haben [25] – insbesondere (aber nicht nur), wenn es um das Thema Familiengründung geht. Dem Wunsch nach Planbarkeit steht häufig ein Mangel an Informationen gegenüber. Oftmals fehlt zu Beginn der Weiterbildung das grundsätzliche Wissen über die Inhalte und Anrechnungsregeln des WissZeitVG und sich daraus ergebende Erfordernisse [27], sodass nicht selten wertvolle (Forschungs‑)Zeit verloren geht, bis beispielsweise die Promotion in Angriff genommen wird. Auch der weitere Karriereweg im Fach ist häufig unklar, wie auch die Bedingungen, die an eine mögliche Entfristung geknüpft sind. Die Verunsicherung durch diese Situation kann dadurch adressiert werden, dass die Weiterbildungszeit, einschließlich der wissenschaftlichen Weiterentwicklung, von Beginn an konkret geplant wird, was eine gemeinsame Aufgabe für Weiterzubildende und Weiterbildende darstellt.

Forschung: geringe Zufriedenheit, hohe Motivation

48 % der WBA und 54 % der Fachärzte gaben an, eine Habilitation bereits erreicht zu haben oder noch anzustreben und somit eine akademische Laufbahn eingeschlagen zu haben oder dies zu planen. In der Umfrage von Gauthier et al. [17] aus dem Jahr 2011 gab hingegen nur ein Viertel der Befragten an, eine akademische Karriere anzustreben oder bereits erfüllt zu haben. Möglicherweise spielt also der Blick auf die akademische Karriere heute eine größere Rolle als vor 10 Jahren. Gut die Hälfte der Teilnehmer der vorliegenden Studie gab an, zum Umfragezeitpunkt aktiv wissenschaftlich tätig zu sein, wobei der Anteil der forschenden WBA signifikant niedriger war als der der Fachärzte. Die Zufriedenheit mit der eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit fiel insgesamt jedoch eher gering aus; nur etwas mehr als ein Drittel der Rechtsmediziner war sehr oder eher zufrieden mit der eigenen Forschungstätigkeit. Allerdings dürfte das nicht an grundsätzlich mangelnder intrinsischer Motivation liegen. Nur ein kleiner Teil der WBA forschte allein deshalb, weil es verlangt wurde. Ein Großteil der befragten Assistenzärzte gab außerdem an, das eigene wissenschaftliche Engagement steigern zu wollen. Als konkreter Grund für die Unzufriedenheit mit der eigenen Forschungstätigkeit wie auch für das Nichterreichen akademischer Karriereziele wurde von den Befragten die Schwierigkeit benannt, neben den (zunehmenden) Routineaufgaben noch Zeit für Forschung zu finden. Auch fehlende Ressourcen, ein Mangel an geeigneten Arbeitsgruppen im eigenen Institut, mangelnde Unterstützung oder Förderung durch die Vorgesetzten oder auch das Themenfeld „Work-Life-Balance“ wurden als Probleme angesprochen (Abb. 1 und 2). Es ist vielfach beschrieben, dass die jungen Ärztegenerationen die Balance zwischen Berufs- und Privatleben unterschiedlich definieren [9]; junge Ärzte sind oft nicht mehr in demselben Maße wie ihre Vorgängergenerationen bereit, private Zeit in Forschung zu investieren – zumal im Rahmen einer (nach WissZeitVG befristeten) universitären Anstellung die wissenschaftliche Arbeit explizit Teil der Arbeitsanforderungen ist. Der Belohnungsfaktor ist in der Forschung – jedenfalls kurzfristig – weitaus geringer ausgeprägt als bei Routinetätigkeiten. Forschung braucht Zeit und oft auch Frustrationstoleranz; Erfolgserlebnisse, z. B. durch eigene Publikationen oder Anerkennung vonseiten des Fachkollegiums, sind nicht garantiert. Der Zeit- und Energieaufwand, um beispielsweise ein Gutachten abzuschließen, ist dagegen überschaubar und der Erfolg schneller zu erkennen.

Aus all dem ergibt sich die Frage, wie die offenbar grundsätzlich vorhandene Forschungsmotivation auch junger Rechtsmediziner genutzt werden kann. Aus den erhobenen Daten ergibt sich, dass die junge Ärztegeneration klare Strukturen wünscht und braucht, um sich wissenschaftlich optimal entfalten zu können: (1.) zeitliche Strukturen für Forschung: Definition von „Forschungszeiten“, die z. B. auch in Dienstplänen abgebildet und verlässlich sind, sowie (2.) inhaltliche und organisatorische Strukturen, die eine Heranführung junger Ärzte an Forschung ermöglichen: strukturierte Fortbildung auch für Forschung, Integration in Arbeitsgruppen, Mentoring, Plattformen für Vernetzung und Austausch (auch zwischen den verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen). Wenn solche Strukturen innerhalb der Institute entwickelt bzw. gepflegt werden sollen, dann sind dazu eine klare Kommunikation zwischen jungen und leitenden Ärzten zu den Zielen und gegenseitigen Erwartungen sowie eine verlässliche Vereinbarung von Bedingungen unerlässlich. Die DGRM kann über ihre neue Akademie für wissenschaftliches Arbeiten und akademische Karriere [15] die strukturierte Entwicklung wissenschaftlicher Kompetenz unterstützen.

Leitungspositionen: von wenigen WBA angestrebt

Der Wunsch des rechtsmedizinischen Nachwuchses nach einer Karriere mit dem Ziel einer Führungsposition ist gering ausgeprägt. Nur jeweils 9 % der befragten Assistenzärzte gaben als höchstes Karriereziel eine Institutsleitungs- oder Leitungsstellvertreterposition an. Dies mag daran liegen, dass der Weg zur Erreichung der Karriereziele für viele (noch) unklar ist (s. oben).

Es ist zudem zu vermuten, dass viele WBA nur ein unscharfes Bild von „Leitungsposition“ und den damit verknüpften Aufgaben haben. Transparenz bei Entscheidungsprozessen der Vorgesetzten und eine offene Kommunikation im Team sowie die Übernahme von „mentorships“ von Institutsdirektoren und anderen Leitungspersonen könnten diese Unklarheiten reduzieren. Aufgrund der geringen Anzahl rechtsmedizinischer Institute müssen Leitungsinteressierte eine große Flexibilität mitbringen und möglicherweise ihren Lebensmittelpunkt für die Karriere an weit entfernte Orte verlagern. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass ein Standortwechsel für den Beruf von deutlich mehr Männern in Kauf genommen wird bzw. wurde. Während Frauen zwar insgesamt in größerer Anzahl nach einer Verbesserung ihres Karrierestatus strebten, waren beispielsweise nur 2 der teilnehmenden Fachärztinnen explizit an einer Institutsleitung interessiert. Rechtsmedizinerinnen waren zwar in großer Zahl (51 %) bereit, ihre Kinderplanung den Karriereambitionen unterzuordnen, nahmen aber auch tendenziell eher alternative Arbeitszeitmodelle in Anspruch als männliche Kollegen.

Diese Daten weisen darauf hin, dass die Motivation junger Ärzte, eine Leitungsposition anzustreben, gesteigert werden kann, wenn Entwicklungsmöglichkeiten im Fach von Beginn der Weiterbildung an transparent gemacht werden. Es sollte unbedingt vermieden werden, dass das Karriereziel „Leitungsfunktion“ verworfen wird, weil Hürden gesehen werden, die für unüberwindbar gehalten werden, aber tatsächlich entweder nicht existent oder leicht zu meistern sind. Mentoring (junger Arzt/leitender Arzt) bietet die Chance, die Option „Leitungsfunktion“ auch unter sehr persönlichen Aspekten auszuloten.

Limitationen

Zum einen liegt eine Limitation durch das Fragebogendesign vor. Während es sich beim ERI-Modell um einen gut validierten Fragebogen handelt, wurden die restlichen Fragen eigens für diese Studie erstellt und bisher nicht validiert. Zum anderen muss eine gewisse Stichprobenverzerrung in Betracht gezogen werden. Es ist sowohl denkbar, dass Unzufriedene eher geneigt waren, die Umfrage auszufüllen, als auch, dass besonders Rechtsmediziner mit sehr hoher Identifikation mit dem eigenen Berufsbild und dem Fach motivierter waren, eine derartige Umfrage zu beantworten. Die Umfrageergebnisse können nur den Status quo der Situation in den rechtsmedizinischen Instituten abbilden. Die vorliegende Umfrage war außerdem lediglich an Ärzte in der Rechtsmedizin gerichtet und kann daher nur die Arbeitsbedingungen eines kleinen Teils der Beschäftigten in rechtsmedizinischen Instituten abbilden. Eine ähnliche Erhebung für die Kollegen der naturwissenschaftlichen Disziplinen ist daher noch geplant.

Schlussfolgerungen

In der vorliegenden Arbeit wurde das Modell der beruflichen Gratifikationskrisen zum ersten Mal an der Berufsgruppe der Rechtsmediziner angewandt. Es konnte gezeigt werden, dass Rechtsmediziner einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind, deren Ausmaß vergleichbar mit diversen klinischen Fachrichtungen ist. Die Belastungsfaktoren unterscheiden sich von jenen der klinisch tätigen Ärzte, wenngleich sich Parallelen ziehen lassen. Eine insgesamt hohe Arbeitszufriedenheit lässt eine tiefgehende Identifikation mit dem Rollenbild des Rechtsmediziners vermuten und ist mit dem Glauben an die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit verknüpft. Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass Rechtsmediziner unzufrieden mit ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit sind, obwohl die Forschungsmotivation – zumindest beim rechtsmedizinischen Nachwuchs – sehr hoch ist. Die junge Ärztegeneration benötigt offenbar klare Strukturen, um sich wissenschaftlich optimal entfalten zu können – sowohl klare zeitliche Strukturen mit definierten Freiräumen für Forschung als auch organisatorische/inhaltliche Strukturen, wie die Zuordnung zu Arbeitsgruppen, Mentoring, strukturierte Fortbildungsmöglichkeiten (auch für Forschung) und Vernetzungsmöglichkeiten. Die derzeit geringe Motivation junger Ärzte, eine Leitungsposition anzustreben, dürfte gesteigert werden können, wenn Entwicklungsmöglichkeiten im Fach von Beginn der Weiterbildung an transparent gemacht werden. Im offenen Dialog zwischen jungen und erfahrenen bzw. leitenden Ärzten liegen große Chancen für die Weiterentwicklung des Faches Rechtsmedizin.