1 Einleitung zu AP1

Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung verliert seit Jahren kontinuierlich an gesellschaftlicher Akzeptanz (Laine und Vinnari 2017); Schweine- und Geflügelhaltung sind dabei besonders von der öffentlichen Kritik betroffen. Im Vergleich dazu wird die Rinder- und Milchviehhaltung bislang weniger kritisch beurteilt, rückt jedoch durch die Diskussion um Treibhausgasemissionen zunehmend in den Mittelpunkt (Busch et al. 2018, 2019; Schulze et al. 2021; Sonntag et al. 2019a, b; Spiller und Kühl 2022). Die Konflikte und Proteste um eine angemessene landwirtschaftliche Nutztierhaltung und Tierschutz sind eng an die interpretatorische Auslegung der im Tierschutzgesetz unbestimmten Rechtsbegriffe geknüpft (“vernünftiger Grund”), (“verhaltensgerecht”) (von Gall 2019; Luy 2018). Während im Jahr 2006 bereits 78 % der Bevölkerung in Deutschland davon überzeugt waren, dass das Wohlbefinden landwirtschaftlich genutzter Tiere besser geschützt werden müsste (EC 2007a), stieg dieser Anteil im Jahr 2015 auf ca. 80 % (EC 2016). Das heißt, ein Großteil der Befragten hält eine Verbesserung des Tierwohls in der Landwirtschaft für erforderlich (BMEL 2017). Und dies, obwohl die Vorschriften zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in den letzten Jahren verschärft wurden,  z. B.mit dem Verbot der konventionellen Käfighaltung bei Legehennen (BMEL 2015a) und die Ankündigung weiterer gesetzliche Maßnahmen, z. B. dem Ausstieg aus dem Töten männlicher Küken (BMEL 2015a). Daraus ergeben sich zahlreiche Erwartungen und Forderungen der Bevölkerung an veränderte, im Sinne von verbesserten, Tierhaltungsbedingungen. So gewinnen auch ethische Überlegungen zum Umgang mit Nutztieren an Bedeutung.

Die wachsende gesellschaftliche Kritik an der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung hat auch ökonomische Auswirkungen für die Branche: Fleisch und Milch sowie deren Produkte waren zwar im Jahr 2015 die umsatzstärksten Produktgruppen der deutschen Ernährungsindustrie (BVE 2016), doch der Konsum nimmt ab (BMEL 2015b), während der Anteil an vegetarischem Konsum in Deutschland steigt (IfD Allensbach Statista 2023).

Vor diesem Hintergrund wird dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) oft die Rolle eines aktiven “Gatekeepers” zugeschrieben. Der LEH lehnte diese Rolle bisher entschieden ab, wobei inzwischen erste Initiativen beobachtet werden können. Nach Sicht des LEHs werden Fleisch und Wurstwaren nach wie vor als “Kulturgut” betrachtet, allerdings sei die Diskussion über das Tierwohl zu einem festen Bestandteil der gesellschaftlichen Diskussion geworden. Außerdem bedeute diese Diskussion nicht, dass auf eine erhöhte Zahlungsbereitschaft für tierische Produkte geschlossen werden könne. Beim eigentlichen Kauf könne immer wieder beobachtet werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher stark preisgetrieben seien (Enneking et al. 2019; Christoph-Schulz et al. 2018).

Eine Schlüsselrolle in diesem Prozess spielt dabei das Kaufverhalten am sogenannten Point of Sale (PoS), denn dort wird durch den Kauf über die Refinanzierung der in den vorliegenden Marktstufen entstandenen Kosten entschieden. Gleichwohl ist dieser erfolgskritische Aspekt einzelnen Kundinnen und Kunden oft nicht bewusst. Vielmehr beeinflussen situative, emotionale, affektive und unbewusste Faktoren die individuelle Kaufentscheidung am PoS (Christoph-Schulz et al. 2018) – eine Erkenntnis, welche die verhaltensökonomische Konsumforschung unter anderem unter dem Begriff der “konstruierten Präferenzen” diskutiert (Johnson et al. 2005).

Der unmittelbare Entscheidungskontext am PoS ist somit ausschlaggebend für das Kaufverhalten. Damit wird auch ein Grund dafür deutlich, warum die in einer dem Kaufakt vorgelagerten und in einem oft gänzlich anderem Kontext geäußerten Einstellungen häufig nicht dem tatsächlichen Kaufverhalten entsprechen (Aschemann‐Witzel und Niebuhr Aagaard 2014; Frank und Brock 2018). In Befragungen fordern Verbraucherinnen und Verbraucher zwar höhere Standards für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung, aber die entsprechenden Produkte, die am PoS vielleicht teurer sind und nicht adäquat vermarktet werden (Aschemann‐Witzel und Niebuhr Aagaard 2014), bleiben im Regal liegen; vielleicht sind sie aber auch gar nicht verfügbar (Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz e.V. 2019). Zur Auflösung dieser Diskrepanz von Einstellung und Verhalten wird seitens der Politik und der Forschung angeregt, die Bevölkerung besser zu informieren und so nachhaltigere Kaufentscheidungen zu fördern (Frank und Brock 2018). Die implizite Hoffnung scheint darin zu bestehen, durch Information und Aufklärung “zeitstabile” und “verfestigte” Intentionen zu bilden, die auch am PoS noch wirksam sind. Jedoch scheint die Informationsaufnahme der Verbraucherinnen und Verbraucher auch dann noch situativ- und kontextabhängig zu sein – ein Ergebnis, was aus den Forschungsarbeiten des SocialLab I ebenfalls deutlich wurde (Christoph-Schulz et al. 2018).

Vor diesem komplexen Hintergrund war das Ziel des AP1, ein Befragungsinstrument zu den Rahmenbedingungen aufzubauen, die Einfluss auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Kritik und Akzeptanz der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung haben. Basierend auf Ergebnissen von SocialLab I (Christoph-Schulz et al. 2018) ging es um die Etablierung einer langfristig durchzuführenden Längsschnittstudie.

Bisherige Studien der gesellschaftlichen Akzeptanz landwirtschaftlicher Nutzierhaltung stellen Momentaufnahmen zum Zeitpunkt der Befragung dar. Es besteht somit keine Möglichkeit Vergleiche herzustellen oder Entwicklungen über die Zeit zu beobachten. Deshalb war Ziel des AP1, ein modulares Befragungsdesign zu entwickeln und zu validieren, das dem BMEL zukünftig ermöglicht, in regelmäßigen Abständen Erhebungen bei allen Stakeholdern zu verschiedenen Themenbereichen durchzuführen (Table 1).

Table 1 Module im AP1

Um die gesellschaftliche Akzeptanz der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu untersuchen, wurden repräsentative Online-Befragungswellen durchgeführt. Die 1. Befragungswelle wurde zwischen dem 19. Mai und dem 11. Juni 2021, die 2. zwischen dem 23. Februar und dem 11. April 2022, die 3. zwischen dem 17. Juli und dem 8. September 2022 und die 4. und letzte Befragungswelle zwischen dem 22. März und dem 2. Mai 2023 durchgeführt.

In der ersten Befragungswelle wurden Fragen aus allen Modulen in einem Fragebogen abgefragt. Dies stellte sich für die Befragten als belastend heraus, da das Ausfüllen eines Fragebogens durchschnittlich 37 Minuten in Anspruch nahm. Um die befragten Personen zu entlasten, wurde entschieden, dass für jede der drei verbleibenden Befragungswellen die Fragen aus allen Modulen gleichmäßig auf zwei getrennte Fragebögen verteilt werden. So umfassten die zweite, die dritte und die vierte Befragungswelle je zwei Befragungen à 2.000 bzw. 2.004 Befragten (Table 2).

Table 2 Soziodemografie: Beschreibung der Stichproben

2 Ausblick

Künftig generierte Datenreihen basierend auf dem Monitoring sollen einen Überblick über die langfristige Entwicklung der gesellschaftlichen Sichtweisen zu den untersuchten Themenkomplexen Wahrnehmung, Akzeptanz, Zielkonflikte, Social Acceptance Score, ethisch motiviertes Ernährungsverhalten, Informationsbedürfnisse, Labelling, Perspektive der landwirtschaftlichen Betriebe und des Handels geben können. Die Daten ermöglichen die Analyse und Bewertung von betrieblichen, wirtschaftlichen und/oder politischen Entscheidungen im Nachhinein, gegebenenfalls aber auch Voraussagen zu zukünftigen Entwicklungen.