Zusammenfassung
Parlamente und das Repräsentationsprinzip – beides wichtige Grundlagen repräsentativer Demokratien – gelten in politikwissenschaftlichen Debatten häufig als krisenanfällig. Auch aktuelle Entwicklungen wie die Tendenz zu „postfaktischer“ und populistischer Politik deuten auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Abgeordneten hin. Für die politische Bildung stellt sich in diesem Kontext die Frage, inwiefern das Parlament und das Repräsentationsprinzip Schülern vor dem Hintergrund postfaktischer und populistischer Politik krisenhaft erscheinen. Diese Frage soll im Beitrag mit Daten aus einem Forschungsprojekt zum Erleben und Verarbeiten von Parlamentsbesuchen beantwortet werden. Am Beispiel eines Falls kann dabei gezeigt werden, wie eine Gruppe Lernender entgegen „postfaktischer“ und populistischer Krisendiagnosen der parlamentarischen Repräsentation ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringt. Gleichfalls verdeutlicht der Fall aber auch, wie sich Lernende gegenüber der Institution Parlament distanzieren.
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Notes
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Auch die aufschlussreiche aber bereits ältere Studie von Werner Patzelt, in der der Autor ein Spannungsverhältnis zwischen den Vorstellungen der Bürger und den Funktionsprinzipien eines parlamentarischen Regierungssystems diagnostiziert, erfasst erst Personen ab 16 Jahren und basiert auf demoskopischen Daten (Patzelt 1998, S. 727, 751).
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Der Gesprächsimpuls der Diskussion in der Gruppe „Abgeordneter“ lautet: „Das Gerät läuft jez und nimmt auf (.) ähm genau dann eigentlich meine Frage äh: ihr habt ja jetzt letzte Woche den Landtag besucht (.) habt dort en Vortrag gehört habt mit Abgeordneten gesprochen habt mit Mitarbeitern gesprochen (.) habt auch Mittag gegessen mich interessiert eigentlich wie ihr das wahrgenommen habt also im Prinzip wie war das für euch ähm wie habt ihr diese Landtagsexkursion erlebt (.) erzählt doch einfach mal“.
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Für die Anonymisierung der Gruppen wurden verschiedene parlamentarische Begriffe verwendet.
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Die Transkription ist an den Richtlinien von Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014, S. 168–170) orientiert: reden/Betonung; (.)/kurze Pause;└/Beginn einer Überlappung; @am Ende@/lachend gesprochene Äußerung; @(.)@/kurzes Lachen; @ @(2)@/längeres Lachen, Anzahl der Sekunden in Klammern; (is wichtig die Frage)/schwer verständliche Äußerung; ()/unverständliche Äußerung; vo-/abgebrochenes Wort; =/Wortverschleifung; wa:hnsinnig/Wortdehnung;/schwach sinkende Intonation.
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Gesprächsimpuls der Gruppe „Abgeordneter“ siehe Fußnote 2.
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Moritz, B. (2019). Krise der parlamentarischen Repräsentation im Kontext „postfaktischer“ und populistischer Politik? Eine empirische Annäherung aus der Perspektive einer Schülergruppe am Lernort Landtag. In: Deichmann, C., May, M. (eds) Orientierungen politischer Bildung im "postfaktischen Zeitalter". Politische Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23851-3_11
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