Arbeitsunfall [legal definiert in § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB (Sozialgesetzbuch) VII]

Für einen Arbeits- bzw. SchulunfallFootnote 1 ist es in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – führte (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursachte (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern beispielsweise für die Gewährung der Rente (Abb. 1, [4]).

Abb. 1
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Prüfschema Arbeitsunfall, UV Unfallversicherung

Genauigkeit bei den Befunden

Recht unspezifische medizinische Befunde wie Syndrom oder Erscheinung sind für die Kausalitätsbetrachtung unbrauchbar, sie erfordert klare Befunde. Bei Knochenbrüchen ist die Anwendung der AO-Klassifikation (AO: Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) etabliert, bei Kindern die angepasste Version mit zusätzlicher Beschreibung, die noch zu selten angewendet wird [2]. Typische Fragestellungen aus dem Bereich der Unfallmedizin, speziell in der Kindertraumatologie, lauten:

Bei Kniebeteiligung:

  • Ist die Patellaluxation anlagebedingt oder traumatisch?

  • Wurde eine Osteochondrosis dissecans des Kniegelenks oder des oberen Sprunggelenks, also eine Knochenläsion unterhalb des Gelenkknorpels mit Abstoßung des betroffenen Knochenareals, diagnostiziert?

  • Ist differenzialdiagnostisch ein M. Osgood-Schlatter, also eine Reizung der Kniescheibensehne mit Ablösung von Knochenstücken am Schienbein bis hin zum Absterben im Sinne einer Nekrose festgestellt?

Oder bei einer anderen Situation, der Apophysenbeteiligung:

  • Ist die Apophyse, also die nur bindegewebige Verbindung von Knochenkernen in der Wachstumsphase, gelöst oder gerissen?

  • Liegen pathologische Frakturen, also krankhafte Brüche ohne traumatische Ursache vor?

  • Sind Knochenveränderungen, wie Knochenzysten mit herabgesetzter Knochenfestigkeit, vorhanden?

Rechtlich wesentliche Verursachung

Die oben gestellten Fragen müssen geklärt werden, weil die gesetzliche Unfallversicherung nach dem Kausalitätsprinzip aufgebaut ist und die Finalität hier rechtlich nicht von Bedeutung ist. Es reicht also nicht aus, dass es im engen zeitlichen Zusammenhang zum angeschuldigten Ereignis schmerzt, sondern es muss genau untersucht werden, ob beispielsweise ein Unfallereignis den festgestellten Gesundheitsschaden rechtlich wesentlich verursachte.

Vollbeweis

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind im Sinne eines Vollbeweises nachzuweisen:

  • die versicherte Tätigkeit,

  • die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls,

  • das Unfallereignis,

  • der Gesundheitserstschaden und

  • die länger andauernden Unfallfolgen.

Der Vollbeweis ist geführt, wenn die beweisbedürftige Tatsache mit Gewissheit nachgewiesen ist. Die Rechtsprechung definiert Gewissheit so, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keine Zweifel hat. Der Richter oder die Entscheider beim Unfallversicherungsträger dürfen und müssen sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung der Gesamtergebnisse des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Tatsache zu begründen.

Beispiel Apophysenschaden

Fall

Bei einem 14-jährigen adipösen Jungen kam es nach mehrmaligem Üben eines Hochsprungs beim Anlauf zu diesem zu einem Apophysenschaden am Knie, genauer am Knochenfortsatz des proximalen Endes der vorderen Schienbeinkante. Ein solcher Fall wurde im Jahre 2010 rechtskräftig in 2. Instanz entschieden und hatte einige kritische Literaturmeinungen zur Folge [3].

Der Apophysenschaden ist ebenso wie eine gedeckte Zusammenhangstrennung der langen (schultergelenknahen) und der ellenbogennahen Bizepssehne, der Achillessehne, der Quardrizepssehne und der Patellasehne ein weitgehend isoliert auftretendes Schadensbild. Begleitschäden/-verletzungen, die allein aufgrund des Schadensbilds eine kausale Zuordnung als unfallbedingt oder unfallfremd erlauben, fehlen. Zwischen Sozialrechtlern und Sozialmedizinern stehen Schadensbilder wie die Apophysenlösung in der Diskussion, d. h. die Abgrenzung der Manifestation von Schadensanlagen gegenüber Unfallfolgen. Problematisch sind insbesondere alle Bereiche, in denen allein anlagebedingte Veränderungen das gleiche Beschwerde-/Schadensbild verursachen können wie unfallbedingte Veränderungen. Während bei Erwachsenen die durch Alterung und Verschleiß entstandenen Texturschädigungen (früher Degenerationen genannt) eine differenzialdiagnostische Rolle spielen, liegt bei Kindern und Jugendlichen eine ganz natürliche und unvermeidbare Schwachstelle zum einen durch die nur bindegewebige Verbindung zweier Knochenkerne in der Wachstumsfuge vor, zum anderen auch durch Hormoneinflüsse bei pubertären, ganz überwiegend männlichen Jugendlichen. Allerdings ist die herabgesetzte Reißfestigkeit einer Gewebestruktur nicht automatisch ein Indiz für die Ablehnung des Kausalzusammenhangs. Nur wenn eine so erhebliche schadensgeneigte Veränderung der geschädigten Gewebestruktur vorbestand, dass es keiner hohen Zugbelastung zur Entstehung eines Strukturschadens bedurfte, liegt die rechtlich wesentliche Bedingung dieses Strukturschadens in der schadensgeneigten Gewebebeschaffenheit. In diesen Fällen wird der medizinische Sachverständige eine Apophysenlösung diagnostizieren.

Aufgabenverteilung

Dem Prüfschema des Arbeitsunfalls (Abb. 1) ist auch die Aufgabenverteilung zu entnehmen. Während folgende Arbeitsunfallmerkmale vom Unfallversicherungsträger zu prüfen sind,

  • versicherte Tätigkeit,

  • Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls,

  • Unfallereignis und

  • Unfallkausalität (besser: Ereigniskausalität),

wird medizinische Expertise bei folgenden Punkten benötigt (Tab. 1):

  • Gesundheitserstschaden,

  • länger andauernde Unfallfolgen sowie

  • der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität.

In wenigen Fällen wird auch seitens der Verwaltung beim Mediziner nachgefragt werden, ob ein Unfallereignis unterstellt werden kann. Diese Frage wird aber im Regelfall nicht notwendig sein, weil dieses Ereignis lediglich eine äußere plötzliche Herbeiführung verlangt. An dieser Prüfstelle soll nur von inneren Ursachen (wie epileptische Anfälle oder Kreislaufkollaps) unterschieden werden.

Für das Vorliegen eines Unfallereignisses sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Als solches gelten auch vom Versicherten selbst herbeigeführte äußere Ereignisse, z. B. ungeplante und unkoordinierte Bewegungen wie Anheben eines Gegenstands oder das Abdrücken vom Sprungbalken. Wenn also das Tatbestandsmerkmal Unfallereignis letztlich auch in Problemfällen unterstellt werden kann, stellt sich die Frage, ob eine Apophysenlösung dennoch nicht als Schulunfall beurteilt werden kann.

Tab. 1 Fragen an die medizinischen Sachverständigen

Merksatz zur Kausalität

Ursachen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung sind nur die Bedingungen (im Sinne einer Conditio sine qua non), die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beitrugen. Alle anderen Bedingungen, die diese Anforderung nicht erfüllen, stellen somit keine Ursache im Rechtssinn dar. Erfüllen mehrere Bedingungen diese Anforderung, ist jede von ihnen Ursache im Rechtssinn. Sozialrechtlich allein relevant ist der 2. Prüfungsschritt, ob das Unfallereignis wesentlich war [1]. Ob eine konkurrierende Ursache es (auch) war, ist unerheblich. Und wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Denn prozentuale Zurechnungen des Anteils einer unfallmäßigen Zuordnung bewährten sich in der Praxis nicht.

Kann also nicht bewiesen werden, dass eine anlagebedingte Schädigung vorbestand bzw. eine Krankheitsanlage bestand, ist das (unterstellte) Unfallereignis als einzig verbliebenes Moment die wesentliche Ursache. Dann ist der Arbeits- bzw. Schulunfall anzuerkennen.

Wertung der Ursachen im Beispielfall

Bei dem Beispiel des oben angeführten 14-jährigen adipösen Jungen, der beim Anlauf zum Hochsprung eine Apophysenlösung am Knie erlitt, ist das Unfallereignis zwar im naturwissenschaftlichen Sinn eine Conditio sine qua non im Sinne der Bedingungstheorie, aber im 2. Schritt, bei wertender Betrachtung, lagen bei dem adipösen pubertären männlichen Jugendlichen so außergewöhnliche Krankheitsanlagen vor, die das Unfallereignis kausal völlig zurückdrängten, sodass dieses keine wesentliche Ursache des Gesundheitserstschadens darstellte, die haftungsbegründende Kausalität also nicht gegeben war. Ein Schulunfall war abzulehnen.

Hinweise für die Praxis

Die vorhergehenden Ausführungen sollten zeigen, wie wichtig das Zusammenspiel von medizinischen und rechtlichen Betrachtungsweisen, die eine mehr deduktiv, die andere mehr induktiv, ist. Die Tatsache, dass ein Schüler sich beim Schulsport eine Schädigung zuzog, reicht nicht für die Feststellung aus, dass er einen Schulunfall im Rechtssinn erlitt. Es handelt sich immer um rechtliche Entscheidungen, um Rechtsanwendungen, die in vielen Fällen nicht ohne medizinischen Sachverstand getroffen werden können.

Doch die Verantwortung liegt nicht allein beim medizinischen Sachverständigen, sondern auch die Sachbearbeitung trägt ihren Teil bei: Die Unfallsachbearbeiter müssen zum Schluss alle Einzelinformationen, Befunde und Gutachten zusammenstellen und einer abschließenden Wertung unterziehen. Fast immer ist innerhalb des Unfallversicherungsträgers ein Rentenausschuss zuständig, der letztlich entscheidet. Diesem gehören keine Mitarbeiter der Unfallversicherungsträger, sondern ehrenamtliche Versicherten- und Arbeitgebervertreter an, und diese meist fachfremden Mitglieder der Selbstverwaltung müssen überzeugt sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Hier schließt sich der Kreis: Kann die Unfallsachbearbeitung die medizinische Expertise nur unzureichend nachvollziehen, wird der Berichterstatter im Rentenausschuss wenig Erfolgsaussicht haben, den Bescheid an die Versicherten in der vorbereiteten Form beschließen zu lassen.

Fazit für die Praxis

  • Von den jährlich über 1 Mio. Unfällen der Allgemeinen Unfallversicherung und den über 1,3 Mio. meldepflichtigen Unfällen der Schülerunfallversicherung sind nur die wenigsten schwierig hinsichtlich der Kausalität zu beurteilen.

  • Sowohl für die Sachbearbeitung bei den Unfallversicherungsträgern als auch für die behandelnden Ärzten und Gutachtern besteht die immerwährende Herausforderung, zweifelhafte Befunde zu erkennen und zu bewerten.