Ellenbogengelenkluxationsfrakturen zählen zu den komplexen Verletzungen des Ellenbogengelenks. Die Behandlung richtet sich nach dem Verletzungsmuster dessen unterschiedlicher Stabilisatoren. Ziel der Therapie sind ein stabiles Ellenbogengelenk und die Durchführung einer funktionellen Nachbehandlung, um Folgeschäden zu vermeiden.

Verletzungstypen

Die Ellenbogengelenkluxation ist nach der Schultergelenkluxation die zweithäufigste Luxation eines großen Gelenks. Man unterscheidet zwischen

  • einer einfachen Luxation ohne knöcherne Begleitfrakturen und

  • den komplexen Luxationen mit knöchernen Begleitverletzungen des Processus coronoideus, des Radiusköpfchens oder des Olekranons.

Eine exakte Klassifikation von Ellenbogenluxationsfrakturen existiert nicht, sondern diese werden normalerweise nach der Luxationsrichtung eingeteilt, wobei die hintere Luxation mit 80 % am häufigsten ist.

Typischerweise entstehen einfache Luxationen beim Sturz auf den ausgestreckten Arm, wobei vorwiegend jüngere Patienten betroffen sind. Ist das Ellenbogengelenk nach der Reposition in allen Bewegungsebenen stabil, erfolgt eine kurzzeitige Ruhigstellung mit frühzeitigen Bewegungsübungen [9]. Eine Langzeitstudie von Josefsson et al. [3] zeigte 24 Jahre nach einfacher Luxation bei über 50 % der Patienten keinerlei Folgebeschwerden.

Luxationsfrakturen des Ellenbogens betreffen hingegen eher ältere Patienten und sind deutlich schwieriger zu therapieren. Es handelt sich um eine Kombination aus knöchernen und kapsuloligamentären Verletzungen, die zu chronischen Instabilitäten, Schmerzen oder auch frühzeitiger Arthrose führen können. In solchen Fällen sind eine genaue Diagnostik und anschließend eine adäquate Therapie notwendig.

Stabilisatoren des Ellenbogens

Das Ellenbogengelenk setzt sich aus 3 Gelenken zwischen Humerus, Ulna und Radius zusammen (Articulationes humeroulnaris, humeroradialis, radioulnaris). Deren Zusammenspiel gewährleistet eine hohe Stabilität, aber auch ein hohes Maß an Bewegungsfreiheit in Extension, Flexion, Pronation und Supination. Die Stabilität wird durch knöcherne, ligamentäre und muskuläre Stabilisatoren erreicht [10]. Die knöcherne Führung des Humeroulnargelenks stabilisiert das Ellenbogengelenk in a.-p. und Varus-Valgus-Richtung, wobei das Olekranon eine anteriore Dislokation der Ulna gegenüber dem distalen Humerus und der Processus coronoideus eine posteriore Dislokation verhindern [11]. Das Radiusköpfchen überträgt im Humeroradialgelenk in Streckung des Ellenbogens etwa 60 % der eingeleiteten Kraft auf den Humerus. In Beugung wird die Kraft gleichmäßig über Ulna und Radius an den Humerus übertragen [11].

Die Gelenkkapsel mit den radialen und medialen Seitenbandkomplexen zählt zu den wichtigen ligamentären Stabilisatoren des Ellenbogengelenks. Der radiale Seitenbandkomplex inseriert am distalen Humerus in einem gemeinsamen Isometriezentrum und besteht aus dem radialen (RCL) und dem lateralen ulnaren Kollateralband (LUCL). Das mediale ulnare Kollateralband (MUCL) setzt sich aus einem anterioren und einem posterioren Bündel zusammen, wobei Ersteres als Hauptstabilisator fungiert und bis zu 90 % der medialen Stabilität gewährleistet.

Zu den muskulären Stabilisatoren des Ellenbogengelenks, die über ihre Zugkräfte stabilisierend wirken, zählen der M. brachialis, der M. biceps und der M. triceps [7].

Ellenbogenluxation

Pathomechanismus

Die häufigste Ursache der Ellenbogenluxation ist ein Sturz auf die ausgestreckte Hand. Der Unterarm steht dabei meist in Pronationsstellung. Daraus resultiert ein Hyperextensionsmechanismus, wobei die Kraft axial eingeleitet wird und es zu einer dorsalen oder dorsoradialen Luxation kommt, welche mit etwa 80 % die häufigste ist. Eine unphysiologische hohe Krafteinleitung auf das gebeugte Ellenbogengelenk kann je nach Kraftrichtung auch zu einer ventralen, radialen oder ulnaren Luxation führen, ist jedoch im Vergleich zur dorsalen Luxation weniger häufig.

Von O′Driscoll et al. [12] wurde der posterolaterale Rotationsmechanismus postuliert. Beim Sturz auf die supinierte Hand mit gleichzeitigem Valgusstress erfolgt die axiale Krafteinleitung überwiegend in die laterale Säule, und es kommt zu einer stufenweisen Schädigung mit Ruptur des lateralen ulnaren Seitenbandkomplexes, der ventralen Kapsel und des medialen ulnaren Seitenbandkomplexes.

Da es, wie oben angeführt, keine einheitliche Klassifikation für die Ellenbogengelenkluxationsfrakturen gibt, erfolgt die Einteilung anhand der Luxationsrichtung mit Beschreibung der Begleitverletzungen.

Diagnostik

Bei Patienten mit einer Ellenbogengelenkluxationsfraktur liegt eine akute Verletzung mit Schmerzen und Weichteilschwellung, ggf. mit einer Fehlstellung, sowie einer schmerzhaften Einschränkung der Beweglichkeit vor, was eine zügige Diagnostik mit anschließender Behandlung erfordert.

Bei der Anamneseerhebung sollte der genaue Unfallmechanismus erfragt werden. Es folgen eine klinische Untersuchung mit Inspektion der Schwellung und der Weichteile sowie Überprüfung der Durchblutung und eine Erhebung des neurologischen Status. Die benachbarten Gelenke (Hand- und Schultergelenk) werden ebenfalls untersucht, um Begleitverletzungen auszuschließen. Bevor Repositionsmanöver durchgeführt werden, sollte eine radiologische Befundung des Ellenbogengelenks in 2 Ebenen vorgenommen werden.

Ist das Ausmaß der knöchernen Begleitverletzungen auf den konventionellen Röntgenbildern nicht ausreichend zu beurteilen, sollte zusätzlich eine Computertomographie (CT) durchgeführt werden. Eine MRT-Untersuchung (MRT: Magnetresonanztomographie) ist im akuten Stadium meist nicht notwendig, kann jedoch im weiteren Verlauf wichtige Hinweise auf komplexe Verletzungen der Kapsel-Band-Strukturen geben.

Therapie

Die Initialbehandlung besteht bei allen Ellenbogenluxationen in der schnellstmöglichen Reposition des Gelenks. Anschließend sollte noch in Analgosedierung die Stabilität unter dem Bildwandler gründlich geprüft werden [6]. Obligat ist zudem die radiologische Kontrolle der korrekten Reposition mittels konventioneller Kontrollaufnahmen des Ellenbogengelenks in 2 Ebenen.

Die weitere Therapie der Ellenbogengelenkluxationsfraktur hängt von den Begleitverletzungen ab (Abb. 1). Bei einer isolierten Ellenbogenluxation ohne knöcherne Begleitverletzungen, die sich nach der Reposition als stabil erweist, ist eine konservative Therapie mit kurzer Ruhigstellung in einer Gipsschiene mit frühfunktioneller Beübung möglich.

Abb. 1
figure 1

Operativer Behandlungsalgorithmus nach Ellenbogengelenkluxationsfrakturen; bei nach initialer Reposition weiterhin instabilem Ellenbogen: Anlage einer Gipsschiene, weiterführende Diagnostik und je nach Verletzungsmuster ausgerichtete weitere operative Therapie

Begleitverletzungen

Radiusköpfchenfrakturen

Häufigkeit und Klassifikation

Radiusköpfchenfrakturen zählen zu den häufigsten Begleitverletzungen nach Ellenbogengelenkluxationen. In deren Rahmen ist ihre Behandlung von besonderer Bedeutung, da über das Radiusköpfchen eine Abstützung gegen das Capitulum humeri erfolgt und dies bei begleitenden Bandverletzungen für die Stabilität des Gelenks besonders wichtig ist.

Radiusköpfchenfrakturen werden nach der 1954 von Mason [8] beschriebenen Klassifikation eingeteilt: Die undislozierte Fraktur wird als Typ Mason I bezeichnet, Frakturen mit mehr als 2 mm Fragmentdislokation werden als Typ Mason II klassifiziert, und größere Fragmentdislokationen oder Trümmerfrakturen werden dem Typ Mason III zugeordnet. Diese Klassifikation wurde 1962 von Johnston [2] um den Typ Mason IV erweitert, der eine Radiusköpfchenfraktur im Rahmen einer Ellenbogengelenkluxation beschreibt.

Therapie

Radiusköpfchenfrakturen vom Typ Mason I werden meist konservativ behandelt. Das Vorgehen bei den Typen Mason II–IV hängt von den weiteren Verletzungen des Ellenbogengelenks ab. Ziel der Behandlung ist das Erreichen eines stabilen Gelenks.

Einfache Radiusköpfchenfrakturen vom Typ Mason II sollten möglichst operativ versorgt werden (Abb. 2), bei komplexeren Verletzungen, bei denen eine Rekonstruktion nicht mehr möglich ist, sollte eine Radiusköpfchenprothese implantiert werden (Abb. 3). Eine Radiusköpfchenresektion kann bei begleitenden Kapsel- Band-Verletzungen (MUCL, Processus coronoideus) zu einer erheblichen Instabilität oder sogar Luxation führen, weshalb eine genaue Identifikation der Begleitverletzungen notwendig ist. Durch einen endoprothetischen Ersatz des nicht rekonstruierbaren Radiuskopfs wird eine Rekonstruktion des radialen Pfeilers erreicht, und die Stabilität des Ellenbogengelenks ist somit wiederhergestellt [5, 13].

Abb. 2
figure 2

56-jährige Patientin mit Ellenbogengelenkluxationsfraktur mit Radiusköpfchenfraktur Typ Mason IV und Fraktur des Processus coronoideus Typ I nach Regan u. Morrey (a–d). Nach Reposition Anlage einer Gipsschiene und anschließend operative Therapie mit Schraubenosteosynthese des Radiuskopfs, transossärer Refixation der ventralen Kapsel und Refixation des radialen Seitenbands, 3 Monate postoperativ zeigte sich eine verheilte Radiusköpfchenfraktur mit guter Stellung des Ellenbogengelenks (g,h)

Abb. 3
figure 3

27-jähriger Patient mit Ellenbogengelenkluxation und Radiusköpfchentrümmerfraktur. Reposition (a,c), offene Rekonstruktion der radialen und ulnaren Seitenbänder. Rekonstruktion der Radiusköpfchentrümmerfraktur war nicht möglich (b), Implantation einer Radiusköpfchenprothese (d,e)

Fraktur des Processus coronoideus

Klassifikation

Frakturen des Processus coronoideus werden nach Regan u. Morrey [14] entsprechend der Größe des knöchernen Fragments klassifiziert. Typ-I-Frakturen betreffen die Spitze des Processus coronoideus, bei Typ-II-Frakturen ist das Fragment kleiner und bei Typ-III-Frakturen größer als 50 % des Processus coronoideus.

Bisher wurde die Rekonstruktion des radialen Pfeilers (Radiusköpfchen) als ein wichtiger Stabilisator des Ellenbogengelenks angesehen, es zeigt sich jedoch zunehmend die Bedeutung des Processus coronoideus [17]. Eine Erweiterung der Einteilung nach Regan u. Morrey beschreibt zusätzlich eine anteromediale Schrägfraktur, wobei der Ansatz des medialen Seitenbands mitbetroffen ist und so eine erhebliche Instabilität resultieren kann [15].

Therapie

Handelt es sich um stabile Typ-I-Verletzungen des Processus coronoideus und ist eine Instabilität des Ellenbogengelenks ausgeschlossen, erfolgt meist eine konservative Therapie. Zeigt sich aufgrund der Begleitverletzungen eine Instabilität, sollte die ventrale Kapsel refixiert werden. Kleine Fragmente des Processus coronoideus können evtl. im Gelenk stören und sollten offen oder arthroskopisch entfernt werden (Abb. 4).

Betrifft die Verletzung des Processus coronoideus größere Knochenfragmente (Typ-II- oder Typ-III-Verletzungen) mit daraus resultierender Instabilität, sollte eine Rekonstruktion des Processus coronoideus mittels Schrauben und Platten durchgeführt werden [4].

Abb. 4
figure 4

64-jähriger Patient mit Ellenbogengelenkluxation, Radiusköpfchenfraktur und Fraktur des Processus coronoideus (a,b). Nach Reposition erfolgte die Anlage eines Bewegungsfixateurs (c,d). Röntgenontrolle 3 Monate postoperativ nach Abnahme des Bewegungsfixateurs (e,f). Klinische Kontrolle nach 3 Monaten mit akzeptabler Funktion (g,h)

Olekranonfrakturen

Sie sind im Rahmen von Ellenbogengelenkluxationsfrakturen eher selten. Sie kommen meist als Folge eines direkten Sturzes auf den 90 ° gebeugten Arm vor. Aufgrund der geringen Weichteildeckung über dem Olekranon wird die einwirkende Kraft direkt auf den Knochen übertragen.

Die Behandlung erfolgt meist operativ. Einfache Frakturen werden über eine Zuggurtungsosteosynthese mittels zweier Kirschner-Drähte stabilisiert. Mehrfragmentäre Frakturen können über eine Plattenosteosynthese mittels winkelstabiler Schrauben versorgt werden. Beide Operationen werden über einen dorsalen Zugang in Bauchlage durchgeführt.

Kapsel-Band-Verletzungen

Die radialen und ulnaren Seitenbänder zählen zu den wichtigsten ligamentären Stabilisatoren des Ellenbogengelenks. Bei Ellenbogengelenkluxationen kommt es fast immer zu einer Schädigung des Bandapparats.

Es konnte gezeigt werden, dass bei einfachen Luxationen ohne knöcherne Begleitverletzungen, die nach der Reposition stabil sind, eine operative Therapie im Sinne einer Bandnaht keinen Vorteil gegenüber der rein konservativen Therapie bietet [9]. Kommt es jedoch neben den ligamentären Verletzungen auch zu knöchernen Begleitverletzungen, ist eine Bandrekonstruktion wichtig, um eine ausreichende Stabilität für das Ellenbogengelenk zu erhalten. Diese Rekonstruktion erfolgt entweder durch eine transossäre Naht oder durch das Einbringen von Fadenankern [1]. Bei komplexen Ellenbogengelenkluxationsfrakturen, die nach der Rekonstruktion der Bänder und der knöchernen Verletzungen weiterhin instabil sind, ist die Anlage eines Bewegungsfixateurs indiziert, um eine ausreichende Stabilität für die Nachbehandlung zu erreichen ([16], Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

43-jähriger Patient mit Ellenbogengelenkluxation und Abscherverletzung des distalen Humerus und ligamentärer Instabilität (a,b). Nach Reposition erfolgte die offene Rekonstruktion der radialen und ulnaren Seitenbänder sowie die Anlage eines Bewegungsfixateurs (c,d). Kontrolle 3 Monate postoperativ mit fast freiem Bewegungsausmaß (e,f) und guter klinischer Funktion (g,h)

Fazit für die Praxis

  • Die initiale Therapie besteht bei allen Ellenbogenluxationsfrakturen in der schnellstmöglichen Reposition des Gelenks.

  • Nach Reposition des Ellenbogengelenks sollte direkt eine klinische Prüfung der Stabilität durchgeführt werden.

    • Bei stabilem Gelenk erfolgt eine kurzfristige Ruhigstellung mit anschließender funktioneller Nachbehandlung.

    • Ein nach der Reposition instabiles Ellenbogengelenk wird in einer 100 °-Gipsschiene ruhiggestellt und mittels weiterer Bildgebung, d. h. CT und ggf. MRT, untersucht.

  • Die sich anschließende Rekonstruktion der knöchernen und ligamentären Verletzungen erfolgt in Abhängigkeit vom Verletzungsmuster (Abb. 1).

  • Ist das Ellenbogengelenk auch nach der Rekonstruktion noch instabil, wird zusätzlich ein Bewegungsfixateur angelegt.

  • Die Stabilität des Ellenbogengelenks ist das primäre Ziel der Therapie, um eine frühfunktionelle Nachbehandlung durchzuführen und auf diese Weise Spätkomplikationen wie persistierende Instabilität, Bewegungseinschränkungen, Schmerzen oder Arthrose zu vermeiden.