1 Einleitung

Seit den 1990er-Jahren hat die Etablierung von Kooperations- und Netzwerkstrukturen in der Erwachsenen- und Weiterbildung zunehmend an Relevanz gewonnen (vgl. Alke 2021; Dollhausen 2013). Die Verankerung zusätzlicher Fördermöglichkeiten für die Vernetzung von Organisationen in der Weiterbildung in der Novellierung des Weiterbildungsgesetzes in NRW zum 01. Januar 2022 unterstreicht das politische Interesse an Vernetzung und die aktuelle Bedeutsamkeit des Themas. Besonders prominent rückt hier die Vernetzung von Weiterbildungsorganisationen in Verbindung mit der Förderung regionaler Bildungsentwicklung in den Fokus. Zukünftig werden Maßnahmen unterstützt, „mit denen sich Volkshochschulen innerhalb regionaler Bildungslandschaften vernetzen“ (§ 13a Abs. 1 WbG NRW). Förderungsfähig sind kooperativ angelegte Angebote der Alphabetisierung und Grundbildung, nachholender Schulabschlüsse oder allgemeiner Bildungsberatung. Die Novellierung des Weiterbildungsgesetzes trägt somit dem Umstand Rechnung, dass „Netzwerke besonders geeignet [sind], um gesellschaftlich relevante Querschnittsaufgaben zu bewältigen“ (Dollhausen 2013, S. 16).

Welche Bedeutsamkeit Kooperationen und Netzwerke für die Weiterbildungspraxis haben, zeigt sich am Beispiel der Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. So wird im Grundsatzpapier zur nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung die „Verankerung der Alphabetisierung und Grundbildung als Querschnittsthema […] in einem ressortübergreifend abgestimmten Vorgehen“ (AlphaDekade 2016, S. 8) explizit als Ziel formuliert, zu dessen Verwirklichung „alle dafür relevanten gesellschaftlichen Gruppen [aufgerufen werden], ein breites Bündnis zu schließen“ (ebd., S. 2).

Neben ihrer Relevanz für die Weiterbildungspraxis sind Netzwerke und Kooperationen zu einem zentralen Thema in der Weiterbildungsforschung avanciert. Resultierende Konsequenzen, Problemstellungen und Lernanlässe, die sich für Weiterbildungsorganisationen infolge von Kooperationen ergeben, standen bereits im Fokus zahlreicher Forschungsarbeiten (z. B. Alke 2013, 2014; Dollhausen 2013; Feld 2011; Franz 2013; Jenner 2013). Hierauf gründet unter anderem die Annahme, dass „die Interaktion der beteiligten Akteure […] durch die Organisationen und […] jeweiligen Strukturen, Kulturen und Strategien geprägt“ (Alke 2013, S. 50) ist. Weitere Arbeiten betrachten die Implementation und Verstetigung von Netzwerken im Kontext der beruflichen Bildung (Gramlinger und Büchter 2005) sowie regionale Netzwerke im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Inter‑/Nationalität (Schreiber-Barsch 2009). Governance-theoretische Perspektiven zur Handlungskoordination werden in den Untersuchungen jedoch nicht aufgegriffen. In einer umfassenden Studie von Jütte (2002) zu Möglichkeiten und Schwierigkeiten von lokalen Vernetzungen in der Weiterbildung finden diese Erwähnung, werden jedoch „nicht näher diskutiert“ (S. 342). Hier knüpft der vorliegende Beitrag an, indem er unter der Perspektive der Educational Governance Formen der Handlungskoordination zwischen Akteuren der Grundbildung auf der regionalen Ebene identifiziert.

Die Perspektive der Educational Governance wurde aus der Schulforschung adaptiert und hat sich mittlerweile als fruchtbar für die Weiterbildungsforschung erwiesen, um Steuerung in einer Mehrebenenperspektive zu betrachten (Schemmann 2020). In ihrer Dissertation untersucht Knauber (2018) die Grundbildungspolitiken und Governance von Grundbildung in verschiedenen europäischen Staaten. In international-vergleichender Perspektive gerät in den Blick, „welche Akteure mit welchen Handlungsressourcen auf die inhaltliche, prozessuale Dimension von Grundbildungspolitik einwirken“ (S. 86). Die Betrachtung der regionalen Ebene ist nicht Teil der Analyse. Im Fokus einer Begleitforschung zum Programm „Lernen vor Ort“ (Brüsemeister 2016) wurde identifiziert, welche Arenen und sozialen Welten (Politik, Profession, Organisation, Repräsentation) eine kommunale Bildungslandschaft ausmachen. Welche Formen der Handlungskoordination sich innerhalb der kommunalen Bildungslandschaft rekonstruieren lassen, ist auch hier nicht im Fokus der Untersuchung.

Diese Aspekte zum Anlass nehmend wird im vorliegenden Beitrag der Blick auf regionale Netzwerkstrukturen in der Alphabetisierung und Grundbildung gerichtet. Anhand eines Falls sollen unter governance-theoretischer Perspektive neue Erkenntnisse im Hinblick auf die Steuerungsdebatte der Weiterbildung sowie in Bezug auf die Gestaltung von Kooperations- und Netzwerkstrukturen in der Alphabetisierung und Grundbildung geliefert werden. Der Beitrag geht der Frage nach

welche Formen der Handlungskoordination sich zwischen den beteiligten Akteuren innerhalb regionaler Kooperations- und Netzwerkstrukturen der Grundbildung identifizieren lassen.

Im Folgenden wird zunächst die bisherige Forschung zu Kooperationen und Netzwerken in der Weiterbildung sowie zur regionalen Handlungskoordination in der Grundbildung umrissen, bevor zentrale Aspekte der Educational Governance-Perspektive gekennzeichnet werden. Im Anschluss wird auf das methodische Vorgehen der single case-study (Yin 2009) und die Methode der Datenerhebung eingegangen. Es wurden Interviews mit Expertinnen und Experten (Meuser und Nagel 1991) aus dem Feld der Alphabetisierung und Grundbildung geführt, die im Nahhinein mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz 2018) ausgewertet wurden. Sie bieten die Grundlage für die Darstellung der Ergebnisse und die Diskussion, in der die Studie in die Steuerungsdebatte der Weiterbildung eingebettet wird und weitere Forschungsbedarfe aufgezeigt werden.

2 Regionale Handlungskoordination in der Grundbildung

Im Folgenden wird der Forschungsstand zu Kooperationen und Netzwerken in der Weiterbildung sowie zu Untersuchungen aus der Perspektive der Educational Governance in der Grundbildung aufgearbeitet. Mit Blick auf die Weiterbildungsforschung zeigt sich, dass Kooperationen und Netzwerke bereits im Zentrum diverser Forschungsarbeiten standen. Hinsichtlich der Rekonstruktion ihnen immanenter Formen der Handlungskoordination besteht jedoch noch Forschungsbedarf.

Eingang in die Weiterbildungspraxis fanden Kooperationen und Netzwerke infolge politischer Forcierung aufgrund des zugeschriebenen Potenzials zur Lösung von Struktur- und Steuerungsproblemen (vgl. Alke 2021, S. 12). Jütte (2002) merkt jedoch an, dass „die Kosten-Nutzen-Analyse aus Sicht der Bildungsträger zumeist anders [ausfällt] als diejenige aus Sicht der Bildungspolitik“ (S. 333). Denn trotz ihrer positiven Konnotation sind Kooperationen fragil und beinhalten Herausforderungen wie Widerstand oder Konkurrenz. So ist laut Franz (2013) kooperatives Handeln stets „durch organisations-, arbeits- und professionskulturelle Hintergründe der kooperierenden Akteure präformiert“ (S. 72). Gegensätzliche Orientierungen können aufeinandertreffen und die Stetigkeit der Beziehungen herausfordern. Nur wenn „Kooperationshandeln […] zum Teil organisationalen Handelns“ (Alke 2013, S. 63) wird, können die Bindungen auf Dauer gestellt werden. Hieraus können wiederum Lernanlässe für die Organisation und ihre Mitarbeitenden entstehen. Dollhausen (2013) sieht in Kooperationen eine Entwicklungsmöglichkeit für das organisationale „Selbst- und Aufgabenverständnis“ (S. 27). Wichtige Impulse können hierbei von den an der Kooperation beteiligten Mitarbeitenden kommen (Jenner 2013). Aus steuerungstheoretischer Sicht können Kooperationen als Medium der Selbststeuerung fungieren, durch das Organisationen Einzug in andere institutionelle Felder erhalten können (vgl. Alke 2014, S. 79 f.). Alke (2014) unterstreicht ihre Bedeutung für regionale Bildungsnetzwerke sowie Institutionalisierungs- und Strukturentwicklungsprozesse (vgl. S. 80 f.).

In der Förderung von Netzwerken und Kooperationen wurde infolgedessen ein probates Mittel zur Regionalentwicklung gesehen. So wurde die regionale Ebene der Weiterbildung im Kontext des BMBF-Programms „Lernende Regionen“ zum Zielobjekt von Strukturentwicklung (vgl. BMBF 2008). Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Programms finden sich bei Tippelt et al. (2009). Die Fokussierung auf die regionale Ebene gründet auf der Annahme, dass sie „ein großes Potenzial heterogener Akteure mit komplementärem Wissen und gemeinsamen Wertvorstellungen“ (Adrian und Bock 2002, S. 32) beinhaltet. Trotz dieser Popularität differiert der Begriff der Region in Bezug auf die Bereiche, in denen er verwendet wird (z. B. Politik, Anatomie, Erwachsenenbildung) und in Bezug auf den von ihm fokussierten räumlichen Umfang (vgl. Bernhard 2014, S. 83). Die Kriterien der Abgrenzung können hierbei sowohl administrativer als auch funktionaler Natur sein. So kann eine Region beispielsweise über die administrativen Grenzen politischer Einflussbereiche eingegrenzt werden. Darüber hinaus können Regionen sich vor dem Hintergrund von Kooperationen und Netzwerken auch über Beziehungsgeflechte zwischen Akteuren aufspannen. Somit erhält der Begriff der Region durch den Einbezug funktionaler Aspekte eine Erweiterung, während „die Bindung an das Lokale, an Gruppen, an Nachbarschaften weiterhin Gültigkeit [behält]“ (Fürst 2002, S. 23). Analysen derartiger Beziehungsgeflechte unter der Perspektive der Educational Governance wurden bisher kaum vorgenommen. Hier ergeben sich Anschlüsse für die vorliegende Fallstudie.

In der Alphabetisierung und Grundbildung fanden regionale Unterschiede bereits in der leo. – Level-One Studie Beachtung. Hier konnte eine unterschiedliche Aggregation von funktionalem Analphabetismus und fehlerhaftem Schreiben in Abhängigkeit der Größe einer Kommune festgestellt werden (vgl. Grotlüschen et al. 2012, S. 36). Die Kommunen werden hier nach der Anzahl der Einwohnerinnen und Einwohner in vier unterschiedliche Kategorien aufgeteilt, wobei die oberste Kategorie (500.000 und mehr) den prozentual höchsten Anteil an funktionalem Analphabetismus aufweist. Dies wirft Fragen in Bezug auf den regionalspezifischen Umgang mit dem Thema auf. Regionalen Netzwerken immanente Spannungsfelder zwischen Etablierten und Außenseitern wurden bereits im Rahmen einer Untersuchung der Erwachsenenbildungsforschung analysiert (Dörner und Damm 2019). Der Fokus lag hier auf den unterschiedlichen kooperationsbezogenen Orientierungen der beteiligten Akteure, die ihre Netzwerkpraxis beeinflussen. Dörner und Damm (2019) stellten heraus, dass „die Unterschiedlichkeit der Akteure vorerst die Bildung kooperativer Strukturen […] und damit auch die Alphabetisierungsarbeit erschwert“ (S. 160). Welche Formen der Handlungskoordination sich innerhalb der Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren rekonstruieren lassen, war jedoch nicht Teil der Analyse.

Hiermit verbundene Fragen der Steuerung wurden unter governance-theoretischer Perspektive bereits am Beispiel der Alphabetisierung und Grundbildung behandelt. Mittelpunkt der Governance-Perspektive ist die Herstellung sozialer Ordnungen und Leistungen im Bildungssystem, bei der von „einer Vielzahl beteiligter Akteure und Akteurkonstellationen“ (Altrichter 2015, S. 28) ausgegangen wird. Knauber und Ioannidou (2016) rekonstruierten unterschiedliche Governance-Strukturen in der Grundbildung und deren Effektivität unter einer international-vergleichenden Perspektive. Auf nationaler Ebene standen bildungspolitische Ein- und Abgrenzungsinteressen von Akteuren der Grundbildung im Mittelpunkt der Forschung. Eine wichtige Annahme war hierbei, dass die Handlungskoordination im Feld „nicht unabhängig von den Interessen der beteiligten Akteure sowie den Machtverhältnissen zu verstehen“ (Euringer 2016, S. 51) ist. Eine Analyse der regionalen Handlungskoordination unter einer governance-theoretischen Perspektive wurde bisher nur für die arbeitsorientierte Grundbildung vorgenommen (Koller et al. 2021). In Bezug auf die Handlungskoordination konnten hauptsächlich netzwerkliche und gemeinschaftliche Konstellationen rekonstruiert werden. Weitere Anschlussmöglichkeiten ergeben sich jedoch durch die Annahme, dass die vorzufindenden Handlungskoordinationen „in Abhängigkeit zu den strukturellen Bedingungen in den jeweiligen Regionen“ (Koller et al. 2021, S. 58) stehen. Hier knüpft der vorliegende Beitrag mit einer Analyse der regionalen Handlungskoordination in der Alphabetisierung und Grundbildung an. Im Folgenden wird zunächst auf die Perspektive der Educational Governance eingegangen, bevor das methodische Vorgehen der Studie skizziert wird.

3 Die Perspektive der Educational Governance

Die Perspektive der Educational Governance hat ihren Ursprung in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, im Rahmen derer staatszentrierte Ordnungsformen erodierten und alternative Steuerungsformen ermöglicht wurden (vgl. Kussau und Brüsemeister 2007, S. 25). Hieraus resultierte ein erhöhter Bedarf zur Koordination verschiedener Handlungs- und Regierungsformen.

Die Governance-Perspektive fragt nach der Handlungskoordination im Rahmen komplexer Akteurkonstellationen. Die Konstellation stellt somit die Analyseeinheit dar, während die individuellen oder kollektiven Akteure als Erhebungseinheiten gelten, die in ihrem Handeln voneinander abhängig sind. Steuerung wird so zum Management von Interdependenzen in „Anerkennung der Schwierigkeit, zwischen Steuerungssubjekten und -objekten klar zu trennen“ (Altrichter 2015, S. 29).

Als Analyserahmen für die Akteurkonstellation wird von einem Mehrebenensystem ausgegangen. Ausgangspunkt bilden hier zum einen die formalen Ebenen des Bildungssystems, aufgrund derer die Akteure unterschiedliche Verfügungsrechte besitzen. Formale Zuständigkeiten werden im Zuge der Ko-Produktion von Leistungen jedoch häufig überschritten, weswegen grenzüberschreitende Koordination den Regelfall darstellt (vgl. Kussau und Brüsemeister 2007, S. 32 f.). Steuerung wird somit zu einem „Koordinationsprozess in einer komplexen Konstellation von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen und Ressourcen, um diese zur Geltung zu bringen“ (Niedlich und Bormann 2019, S. 497).

Die Akteure richten ihr Handeln außerdem nach Institutionen im Sinne von Regeln, Normen und Werten aus. Diese bieten Sicherheit in Entscheidungsprozessen und im empirischen Rahmen einen „institutionellen Erwartungszusammenhang für die Handlungskoordination“ (Herbrechter und Schemmann 2019, S. 186). Die Akteure müssen dabei in ihrer „jeweiligen institutionellen Bedingtheit und gleichzeitig als TrägerInnen der Reproduktion eben jener institutionellen Settings betrachtet werden“ (Houben 2019, S. 148).

Die Educational Governance unterscheidet zwischen vier Formen der Handlungskoordination: Hierarchie, Netzwerk, Gemeinschaft, Markt. Sie stellen empirische Analysemittel dar und beschreiben „institutionell verdichtete, komplexere Formen der Handlungskoordination […], die auf Beobachtung, Beeinflussung und Verhandlung sowie Verfügungsrechten beruhen“ (Kussau und Brüsemeister 2007, S. 40). Die unterschiedlichen Formen können sich zu Mischformen zusammenfügen und bestehen dementsprechend nicht nur getrennt nebeneinander.

In hierarchischen Handlungskoordinationsformen liegt die Befugnis der Entscheidung bei einer übergeordneten Instanz. Diese bestimmt das Handeln der anderen Akteure mit (vgl. ebd., S. 40).

Im Gegensatz hierzu unterliegen die Akteure in netzwerklichen Handlungskoordinationsformen keinen festen formalen Regeln oder Rangordnungen (vgl. Benz und Dose 2010, S. 262). Die Beständigkeit der Beziehungen beruht auf Vertrauen und kollektive Handlungsfähigkeit basiert auf wechselseitiger Beeinflussung sowie dem Austausch von Informationen und Ressourcen.

Die Handlungskoordination in Gemeinschaften vollzieht sich entlang affektiv geteilter Normen und Werte. Diese historisch gewachsenen Regeln formen starke Bindungen zwischen den beteiligten Akteuren, die bei Missachtung mit sozialer Diskriminierung oder dem Ausschluss aus der Gemeinschaft sanktioniert werden können (vgl. ebd., S. 257 f.).

In der Koordinationsform des Marktes beruhen die Beziehungen der Akteure auf Anonymität und wechselseitiger Beobachtung. Durch das gegenseitige Antizipieren der Handlungen anderer Akteure wird das Kollektiv in eine gleiche Richtung gelenkt (vgl. ebd., S. 258 f.).

Um bereichs- oder regionalspezifische Besonderheiten identifizieren zu können, fokussiert die Analyse der Educational Governance auf Mischformen der Handlungskoordinationen in einem Gesamtzusammenhang, die unter dem Begriff des Governance-Regimes gefasst werden (vgl. Kussau und Brüsemeister 2007, S. 41). Bildungspolitische Maßnahmen haben Einfluss auf die Zusammenhänge der Handlungskoordinationsformen an den betreffenden Bildungsstandorten. Governance-Regime unterstehen dementsprechend einem ständigen Wandel durch bildungspolitische Programme oder Veränderungen im Handeln der beteiligten Akteure (vgl. ebd., S. 42).

Durch die Möglichkeit der Identifikation regionalspezifischer Besonderheiten rückt nun auch die Fruchtbarkeit der Educational Governance Perspektive für eine Analyse der regionalen Handlungskoordination in der Weiterbildung in den Blick. Maßnahmen der Regionalentwicklung „müssen sehr unterschiedliche Akteure, die sehr unterschiedlichen Handlungslogiken folgen, miteinander verbinden“ (Fürst 2010, S. 50). Die Governance Perspektive bietet hierfür einen Analyserahmen, indem sie Handlungskoordinationen innerhalb einer Akteurkonstellation vor dem Hintergrund der einzelnen Orientierungen der beteiligten Akteure identifiziert. Der Erfolg regionaler Governance hängt hierbei sowohl von dem Engagement der einzelnen Akteure als auch von der Einbettung ihrer Beziehungen in bestehende und verlässliche institutionelle Strukturen ab (vgl. ebd., S. 57). Im Folgenden wird zunächst das methodische Vorgehen beschrieben, bevor dieser analytische Blick auf eine Akteurkonstellation im Feld der Alphabetisierung und Grundbildung gerichtet wird.

4 Methodisches Vorgehen

Im folgenden Abschnitt wird das zweischrittige methodische Vorgehen beschrieben, das aus einer Kombination der Methode der single case study (Yin 2009) und der Methode des Expertinnen- und Experteninterviews (Meuser und Nagel 1991) besteht. Es wird zunächst ein Begriff der Region festgelegt, der administrative und funktionale Aspekte kombiniert. Dieses Verständnis ist letztendlich ausschlaggebend für die Fallauswahl im Rahmen der single case study (Yin 2009).

Administrativ orientierungsleitend bei der Auswahl der zu betrachtenden Region ist die oben beschriebene Kategorisierung der Kommunen aus der leo. – Level-One Studie (vgl. Grotlüschen et al. 2012, S. 36). Die hier betrachtete Kommune umfasst 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohner und gehört dementsprechend der obersten Kategorie an. Ausschlaggebend für die Auswahl der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner ist einerseits ihre administrative Verortung innerhalb der Kommune. Darüber hinaus werden im Vorfeld der Erhebung Interviews mit Verantwortlichen einer Koordinierungsstelle und Volkshochschulen aus dem Grundbildungsbereich geführt, um das Feld zu sondieren und der Fallauswahl funktionale Aspekte zugrunde zu legen. Bei der Auswahl der Expertinnen und Experten werden im Erhebungsverlauf ebenfalls funktionale Aspekte mit einbezogen, da die befragten Akteure im Rahmen der Interviews die Bedeutung anderer Akteure für ihr eigenes Handeln kennzeichnen. Diese Aussagen sind ausschlaggebend für die Rekrutierung weiterer Interviewpartnerinnen und -partner. Dieser Schritt ist im Rahmen einer Analyse der Handlungskoordination besonders bedeutsam, um die „zentralen Akteure nicht nur über Plausibilitätsannahmen“ (Schemmann 2014, S. 124) zu bestimmen. Im weiteren Verlauf werden die Fallzusammensetzung und die Methode der Datenerhebung näher umrissen.

Im Rahmen der single case study wurden leitfadengestützte Interviews mit Expertinnen und Experten (n = 6) durchgeführt. Yin (2009) identifiziert vier unterschiedliche Typen von Fallstudien, die sich in ihrem Aufbau unterscheiden (vgl. S. 46). Ein Fall gilt hierbei als integriert, wenn er mehrere Analyseobjekte (hier Volkshochschule, gemeinnütziger Verein, Verein der sozialen Arbeit, politischer Akteur) umfasst. Innerhalb eines integrierten single case study-Designs können Analysen sowohl in Bezug auf den gesamten Fall als auch in Bezug auf die einzelnen Analyseobjekte vorgenommen werden. In der vorliegenden Studie wurden bei drei Analyseobjekten jeweils ein und bei einem Analyseobjekt drei leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Grundlegende Bedingung für die Auswahl der Experten und Expertinnen ist ihre Tätigkeit im beforschten Handlungsfeld (Alphabetisierung und Grundbildung) innerhalb der betrachteten Region. Die befragten Personen gelten innerhalb ihres Handlungsfelds als Funktionsträgerinnen und Funktionsträger, da sie hier in besonderer Verantwortlichkeit stehen und über einen „privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse“ (Meuser und Nagel 1991, S. 443) verfügen. Interviewt wurden Programm- und Projektleitungen, die Geschäftsführung eines Vereins sowie ein Akteur aus der Bildungspolitik. Teil des Interviewleitfadens sind die Tätigkeit der Personen, die organisationalen Strukturen, Finanzierung und die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren.

Das Material wurde mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltanalyse (Kuckartz 2018) ausgewertet. Vor dem Hintergrund der Educational Governance liegt der Fokus der Analyse auf den vorfindbaren Akteurkonstellationen, der Zusammenarbeit und den Formen der Handlungskoordination sowie auf dem pädagogischen Leistungsspektrum. Das hierfür verwendete Kategoriensystem wurde in einem mehrschrittigen Verfahren erstellt. Dieses kombiniert deduktive und induktive Kategorienbildung, um induktiv-analytisch der Besonderheit des Falls begegnen zu können (Kuckartz 2018, S. 100). Zur Überprüfung des Kategoriensystems wurde die Intercoder-Reliabilität berechnet (Krippendorff 2004), die mit 0,65 als zufriedenstellend eingeordnet werden kann.

5 Regionale Handlungskoordination in der Grundbildung

Vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses nach der regionalen Handlungskoordination in der Alphabetisierung und Grundbildung steht nun die Analyse der Ergebnisse der Interviews mit den Expertinnen und Experten im Vordergrund. Zunächst wird die regionale Akteurkonstellation beschrieben, die im Fokus der Analyse stand (5.1). Im Anschluss werden die identifizierten Formen der Handlungskoordination (5.2) und das regionale Governance-Regime (5.3) in den Blick genommen. Es folgt eine Diskussion der Ergebnisse sowie eine Einordnung in die Steuerungsdebatte der Erwachsenenbildung/Weiterbildung.

5.1 Die regionale Akteurstruktur

Eine Systematisierung der Akteurstruktur unter einer Mehrebenenperspektive (Schrader 2011) wurde bereits für das Feld der arbeitsorientierten Grundbildung vorgenommen (vgl. Koller et al. 2021). Richtet man diese Perspektive auf die betrachtete Fallregion, lassen sich Akteure auf allen Ebenen des Weiterbildungssystems identifizieren. Dies sind Akteure der Weiterbildungspolitik, -praxis und -wissenschaft. Diese Diversität spiegelt sich in den Eigenschaften der Akteure wider, die sowohl korporativer und kollektiver, als auch individueller Natur sein können.

Auf der supranationalen Ebene ist der Europäische Sozialfonds (ESF) für die Expertinnen und Experten im Hinblick auf die Finanzierung von Grundbildungsangeboten bedeutsam. Auf der nationalen Ebene der Bildungspolitik werden hier das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Landesministerien und die Kommunen relevant. Mit Blick auf das organisationale Umfeld lässt sich zunächst ein landesweit agierendes Kooperationsbündnis identifizieren. Dieses erfüllt in erster Linie die Funktion, Zusammenkünfte oder Fachtagungen zu organisieren, um den Austausch innerhalb des Felds und Angebote voranzubringen. Neben einer landesweiten Vernetzung differenziert sich dieses in mehrere regionale Gruppen, in denen der Austausch mit Akteuren in unmittelbarer Nähe intensiviert wird.

Da die betrachtete Region eine Metropole ist (> 500.000 Einwohnerinnen und Einwohner), besteht eine besondere Herausforderung in der „Heterogenität auf der Ebene der Stadtbezirke […], Viertel oder Quartiere“ (I1_Pos. 36). Um hier Zugänge zur Zielgruppe zu erhalten, fungieren das Jugend- und Sozialamt, die Agentur für Arbeit sowie die Familien- und Stadtteilzentren im Sinne von Verweisungsstrukturen als Zwischenglied. Darüber hinaus werden Unternehmen im organisationalen Umfeld sichtbar. Einige Angebote und Projekte werden außerdem von der ansässigen Hochschule wissenschaftlich begleitet.

Die an der Realisierung von Angeboten beteiligten Weiterbildungsorganisationen lassen sich nach ihrer Rechtsform und Finanzierungsstruktur unterscheiden. Formal verantwortlich im Sinne des Grundversorgungsauftrags ist die örtliche Volkshochschule (VHS). Daneben existieren gemeinnützige Vereine und Organisationen in konfessioneller Trägerschaft, die Grundbildungsangebote durch Projektmittel finanzieren. Die Finanzierungsstrukturen in diesem Bereich sind zeitlich begrenzt und brüchig. Innerhalb dieses Bereichs ist ein gemeinnütziger Verein besonders relevant für das regionale Leistungsspektrum. Die Beschreibung verdeutlicht die Vielfältigkeit der Akteurkonstellation in der betrachteten Region. Im Folgenden wird diese vor dem Hintergrund der vier Formen der Handlungskoordination analysiert.

5.2 Handlungskoordination in der Alphabetisierung und Grundbildung

Mit Blick auf die vier Formen der Handlungskoordination wird deutlich, dass sich die Akteure der betrachteten Fallregion hauptsächlich in netzwerklichen und gemeinschaftlichen Konstellationen koordinieren. Die Einbindung in netzwerkliche Strukturen und die Pflege gemeinschaftlicher Kontakte sind für die Akteure wichtige Voraussetzungen, um Zugang zu Informationen und Entwicklungen aus dem Feld zu erhalten oder potenzielle Kooperationspartner für zukünftige Angebote zu finden. Auffällig im Aufbau netzwerklicher Kontakte ist insbesondere ein Rückgriff auf marktförmige Strategien, mit denen das Feld erschlossen wird und zukünftige Netzwerkpartner gewonnen werden. Im weiteren Verlauf können sich aus der langjährigen Pflege von Netzwerkarbeit gemeinschaftliche Kontakte ergeben, die sichere Anlaufstellen in dem von Fragilität geprägten Feld der Grundbildung darstellen. Diese Konstellationen werden nachfolgend ausführlicher betrachtet und anhand von Interviewmaterial illustriert.

Die Verankerung in netzwerklichen Strukturen stellt für den Verein das „Grundprinzip“ (I1_Pos. 28) der Arbeit dar. Dies gründet unter anderem in der organisationalen Struktur, da der Verein „nicht über Immobilien und damit auch nicht über eigene Unterrichtsräume“ (I1_Pos. 28) verfügt. Um Grundbildungsangebote durchführen zu können, setzt der Verein dementsprechend auf Kooperationen mit anderen Anbietern, die über Räumlichkeiten verfügen. Hier sieht der Verein „die VHS nicht als zentralen Partner […], weil […] sie oft zu sehr auf eine Komm-Struktur setzen“ (I2_Pos. 22). Der Verein verfolgt hingegen eine Geh-Struktur und möchte „Angebote für Gruppen oder für Personen […] machen, die sich schon irgendwo befinden und schon etabliert sind“ (I2_Pos. 24).

Aufgrund dessen sind die wichtigeren Akteure häufig „kleinere Institutionen, die sich […] in den Sozialräumen“ (I2_Pos. 10) auskennen. Als Bindeglied zwischen dem Verein und den Kooperationspartnern im Sozialraum sind die jeweiligen „Sozialraumkoordinationen“ (I2_Pos. 24) wichtige Anlaufstellen, „weil sie halt Netzwerke bilden und regelmäßige Treffen und da kann man auch total viele Informationen gewinnen“ (I2_Pos. 24). Der Verein sieht hierin eine Plattform für Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung, in deren Rahmen neu eingeworbene Projekte vorgestellt werden können und den potenziellen Kooperationspartnern aufgezeigt werden kann, „welche Möglichkeiten wir haben, auch da zu kooperieren, […] was wir leisten können“ (I4_Pos. 16). Die Möglichkeiten des Vereins bestehen darin, „die Dozentenhonorare zu finanzieren, das Bildungsmanagement zu machen, den Flyer zu drucken etc., curriculare Vorschläge und Vorarbeiten zu machen“ (I1_Pos. 28). Für die Akteure im Sozialraum wird hierdurch der Weg geebnet, um „Angebote zu realisieren, die sie im Idealfalle nichts kosten“ (I1_Pos. 28).

Um Einzug in die Netzwerke auf Stadtteilebene zu bekommen, mussten viele „Klinken geputzt“ (I1_Pos. 34) und Vorarbeit im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung geleistet werden. Erste erfolgreiche Angebote fungierten hier als „Öffnerangebot“ (I2_Pos. 20). Durch die Kontinuität und Verstetigung der Öffentlichkeits- und Sensibilisierungsarbeit konnte der Verein letztendlich einen Wechsel von der externen Besucherrolle hin zu einem festen Netzwerkmitglied auf Stadtteilebene vollziehen. Dies erleichtert die Akquise nach Partnerstrukturen, da nun auch Kooperationsanfragen aus Netzwerkkreisen an den Verein gerichtet werden:

„Es gab dann so einen bestimmten Punkt, an dem wir gemerkt haben, jetzt kommen auch tatsächlich Anfragen rein. Also das hat sich rumgesprochen in den *Ort*-Strukturen […] und dann kamen sozusagen auch die Nachfragen an uns.“ (I1_Pos. 34)

Es lässt sich dementsprechend über die Jahre hinweg ein Verlauf von marktförmiger zu netzwerklicher Handlungskoordination feststellen. Zu Beginn der Alphabetisierungsarbeit musste der Verein zunächst die regionalen Strukturen nach möglichen Kooperationspartnern sondieren, über die Sozialraumkoordinationen den Weg in die Netzwerke auf Stadtteilebene finden und hier Öffentlichkeitsarbeit leisten. Erste erfolgreiche Angebote führten dazu, dass der Verein mittlerweile fest in den regionalen Netzwerkstrukturen verankert ist.

Für die örtliche VHS ist netzwerkliche Handlungskoordination weniger relevant, um Angebote entwickeln zu können. Im Gegensatz zum Verein verfügt sie über eigene Räumlichkeiten und hat ein stabiles Kursangebot, das „seit vielen Jahren besteht und was so weitergeführt wird“ (I6_Pos. 2). Das Angebot steht und fällt somit nicht mit der Beständigkeit von Kooperationsstrukturen. Die Einbindung in Netzwerkstrukturen erfüllt hier vielmehr den Nutzen, Neuigkeiten und Informationen aus dem Feld zu erhalten. Die Fachbereichsleitung der VHS hat hierfür eine „feste Ansprechpartnerin“ (I6_Pos. 14). Diese war bereits für die VHS tätig und arbeitet mittlerweile für den Verein. Die beiden Mitarbeiterinnen bilden somit ein festes Bindeglied im regionalen Netzwerk und „informieren [sich] gegenseitig über Neuigkeiten“ (I6_Pos. 14).

Überregionale und landesweite Vernetzung wird von einem Kooperationsbund betrieben, der „die aktiven im Bereich Alphabetisierung und Grundbildung […] bündeln“ (I2_Pos. 40) möchte, Fortbildungen, Sensibilisierung und Fachtagungen organisiert sowie Öffentlichkeitsarbeit fördert.

Darüber hinaus resultieren gemeinschaftliche Kontakte aus der Arbeit des Kooperationsbundes, der sich in insgesamt fünf kleinere regionale Netzwerke aufteilt, in denen sich über Neuigkeiten aus dem Feld ausgetauscht wird. Die enge Bindung und Zusammengehörigkeit, die mit der Koordinationsform der Gemeinschaft einhergeht, werden von dem Verein jedoch auch kritisch betrachtet:

„Wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, das war sehr schöne Netzwerkarbeit, weil es immer die gleichen acht Akteure waren, die sich untereinander bestätigt haben, wie schlecht die Welt ist und wie wichtig das Thema Alphabetisierung. Man kann das machen, das ist manchmal für das Seelenleben ganz gut, bringt einen nicht wirklich nach vorne.“ (I1_Pos. 38)

Interviewpartner 1 hebt das vorrangige Ziel des Vereins in Verbindung mit einem Engagement in gemeinschaftlichen und netzwerklichen Strukturen hervor: das Knüpfen von Kontakten zur gemeinsamen Angebotsentwicklung. Entstehen aus den Beziehungen keine neuen Angebote, haben sie auch weniger Bedeutung für den Verein. Weiterhin verweist I1 auf einen bedeutsamen Aspekt im Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung im Grundbildungsbereich. Um eine breitere gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu ermöglichen, muss sich Netzwerkarbeit aus den bekannten Strukturen hinausbewegen, um „das Thema Alphabetisierung überall reinzuquetschen, überall auf die Tagesordnung zu bringen“ (I1_Pos. 38). I1 spricht in diesem Zusammenhang von „Guerilla-Taktik“ (I1_Pos. 38), mit der neue Akteure für ein Engagement im Grundbildungsbereich gewonnen werden sollen. Hiermit verbundene marktförmige Strategien, die auf einer Antizipation des Wertesystems potenzieller Kooperationspartner gründen, werden im weiteren Verlauf (S. 9) näher beschrieben.

Enthalten gemeinschaftliche Kontakte jedoch Möglichkeiten zur gemeinsamen Angebotsentwicklung, verkürzen die engen Bindungen Wege und ersparen zusätzlichen Aufwand für Öffentlichkeitsarbeit. Die ersten Gespräche bei der Suche nach Kooperationen für ein neu eingeworbenes Projekt sind dementsprechend immer mit „Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern, die wir schon kennen“ (I2_Pos. 10). Derartige kurzfristige Kontakte ergeben sich auch aus langjährigen Netzwerkbeziehungen. So beschreibt eine Projektleitung des Vereins der sozialen Arbeit, dass die Zusammenarbeit für sie das selbstverständliche Resultat der „Kooperation [war], die es ja auch schon seit Jahren gibt, also jenseits dieses Projektes“ (I3_Pos. 14). Der Verein hat durch die jahrelange Netzwerkarbeit bei einigen Akteuren der Region einen Bekanntheitsgrad erreicht, durch den sich eine erneute Vorstellung der eigenen Arbeit und Ziele erübrigt und die Anfrage für eine Zusammenarbeit zu einem Gespräch ‚zwischen Tür und Angel‘ werden lässt: „sodass dann im Prinzip *der Verein* entsprechend auf [uns] zugegangen ist und hat gesagt ‚Wie sieht’s aus […]? Macht ihr wieder mit […]?‘“ (I3_Pos. 14).

Hierin zeigt sich erstens eine Entwicklung von netzwerklicher zu gemeinschaftlicher Handlungskoordination innerhalb der Region. Aus langjährigen Netzwerkkontakten resultieren enge Bindungen, die für die zukünftige Arbeit verlässliche Anlaufstellen symbolisieren. Diese Beziehungspflege kann zweitens als eine Strategie gelesen werden, mit der der Verein sein Überleben in einem von fragiler Finanzierung geprägten Projektgeschäft sichert. I2 betont diesbezüglich, dass „wir als kleiner Verein nicht so lange ohne Projekt überleben“ (I2_Pos. 16). Enge und verlässliche Kontakte bedeuten Sicherheit und Entlastung im Umgang mit dieser Schwierigkeit.

Gemeinschaftliche Kontakte eröffnen darüber hinaus Möglichkeiten zur Verstetigung von Angeboten über die Projektphase hinaus. I4 berichtet von einem Angebot, das ursprünglich aus einer Zusammenarbeit zwischen der VHS und der Stadtbibliothek entstand und anschließend von der Bibliothek alleine fortgeführt wurde. Nach ihrem Wechsel zum Verein gingen der Bibliothek die Ressourcen aus, weswegen I4 „dann wieder die Zusammenarbeit intensiviert oder neu aufgelegt“ (I4_Pos. 22) hat. Das Angebot besteht nun in Zusammenarbeit zwischen Bibliothek und Verein und wird „seit 2012 immer so angegliedert an Projekte“ (I4_Pos. 22) angeboten. Durch das gemeinschaftliche Engagement der beteiligten Akteure wurde eine Verstetigung des Angebots über zehn Jahre ermöglicht.

Ein ähnliches Beispiel gibt die Fachbereichsleitung der VHS, die von einem Kurs berichtet, der aus einem Angebot des Vereins entstanden ist. Dieser Kurs ist nur Teil des Programms der VHS geworden, „weil der ursprünglich über das Projekt zustande gekommen ist“ (I6_Pos. 25). Die gemeinschaftliche Zusammenarbeit stellt in diesem Fall eine Strategie dar, mit der die Akteure der befristeten Finanzierung im Projektbereich begegnen konnten. Hierfür war letztendlich das Engagement von drei Akteuren nötig (Verein: ursprüngliche Finanzierung; Verein der sozialen Arbeit: Räumlichkeiten, Zugang zur Zielgruppe; VHS: jetzige Finanzierung). Dieses Beispiel zeigt deutlich auf, mit welchem organisatorischen Aufwand und welcher Fragilität die Verstetigung eines einzelnen Kurses verbunden ist.

Marktförmige und hierarchische Konstellationen der Handlungskoordination spielen in der betrachteten Fallregion eine nachgeordnete Rolle. So nimmt der Verein im Vorfeld von Öffentlichkeitsarbeit Antizipationen im Hinblick auf die Werteorientierung des jeweils potenziellen Kooperationspartners vor. Möchte der Verein beispielsweise eine Organisation der sozialen Arbeit für ein Projekt der lebensweltorientierten Grundbildung gewinnen, stehe hier „die Frage nach […] Teilhabe in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten“ (I1_Pos. 42) im Vordergrund. Bewegt sich der Verein im Kontext der arbeitsorientierten Grundbildung, müsse er „in der marktwirtschaftlichen Logik argumentieren“ (I1_Pos. 59). Darüber hinaus meidet der Verein eine Beteiligung an der Regelfinanzierung, um nicht in den „Wettbewerb mit [den] eigenen Netzwerkpartnern gehen“ (I1_pos. 18) zu müssen. Dieses Vermeidungsverhalten ist somit eine Strategie zur Pflege von netzwerklichen Kontakten. Der Verein akzeptiert hiermit gleichsam die Einbindung in die Wettbewerbsstrukturen des Projektbereichs. Innerhalb des Felds der Projektfinanzierung herrsche diesbezüglich eine allgemeine Akzeptanz. Die Akteure „haben alle ihr eigenes Profil ausgearbeitet, mit dem sie unterwegs sind“ (I1_Pos. 69). Die Wettbewerbsstrukturen führen somit dazu, dass die Akteure ihr jeweils eigenes Profil ausarbeiten können und müssen. Gleichermaßen entsteht durch das Wissen über das eigene Profil und das der Konkurrenz ein allgemeiner Konsens über das ‚Eigene‘ und das ‚Nicht-Eigene‘, was den Akteuren eine Ko-Existenz innerhalb der engen und fragilen Förderstrukturen ermöglicht.

Hierarchische Handlungskoordination äußert sich in der Orientierung der Bildungspolitik, die die Vergabe finanzieller Mittel an die Vernetzung von Akteuren knüpft, wenn hieran „ein politisches Interesse“ (I5_Pos. 34) besteht. Darüber hinaus beschreibt die Fachbereichsleitung der Volkshochschule, die ebenfalls für die Integrationskurse mit Alphabetisierung zuständig ist, diese Tätigkeit als eine „sehr strukturierte und abhängige Arbeit“ (I6_Pos. 39). Die Finanzierung der Kurse ist durch die Mittel des BAMF gesichert, weswegen für den Bereich „ein ziemlich großes Team“ (I6_Pos. 39) zuständig ist. Andererseits gehe mit der Finanzierung eine starke Einbindung in administrative Vorgänge einher.

Im Vergleich hierzu ist I6 für den Bereich Grundbildung und Alphabetisierung alleine zuständig und hat hier „komplett freie Hand“ (I6_Pos. 39). Da für sie dieser Bereich jedoch nur eine Aufgabe unter vielen ist, hat sie „gleichzeitig auch viel zu wenig Zeit, um viel mehr Dinge zu initiieren, um mehr Kooperationen zu initiieren und genau, um mich selber auch weiter zu qualifizieren“ (I6_Pos. 39). Sie sehe für ihre Volkshochschule in diesem Bereich noch sehr viel Potenzial. Die gestalterische Freiheit werde jedoch durch knappe Ressourcen in Form von Finanzierung, Personal und Zeit beschnitten (vgl. I6_Pos. 39).

5.3 Das regionale Governance-Regime

Nach der Beschreibung der Akteurstruktur und der Identifikation der bedeutsamen Formen der Handlungskoordination lassen sich zusammenfassende Rückschlüsse auf das Governance-Regime der betrachteten Fallregion ziehen.

Die Strukturen der Metropole ermöglichen es den Akteuren, in manifesten und auf Dauer gestellten netzwerklichen und gemeinschaftlichen Konstellationen zu agieren. Angebote der Grundbildung und Alphabetisierung werden in erster Linie durch die VHS und den Verein vorangetrieben, die im Zentrum der Akteurstruktur stehen. Die VHS sorgt hier vor allem für eine stetige Grundversorgung, ein stabiles Kurs- und Beratungsangebot innerhalb der Region. I6 profitiert hierbei intern davon, dass es „für unsere Amtsleitung […] enorm wichtig [ist], den Bereich aufrechtzuerhalten“ (I6_Pos. 6). Diese hohe Bedeutsamkeit spiegelt sich in dem Engagement von I6 wider, die trotz ihrer knappen Ressourcen viel Zeit für Beratung aufwendet und potenziellen Teilnehmenden die „Möglichkeit [bietet], jederzeit einfach ins Haus zu kommen“ (I6_Pos. 18). Gleichzeitig wird eine Entwicklung des Grundbildungsbereichs über den Status quo hinaus durch fehlende finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen beschnitten.

Die Größe der Metropole und die Heterogenität der Stadtbezirke führen einerseits zu der Herausforderung, der Vielfältigkeit der Region mit einem breiten Angebotsspektrum begegnen zu können. Andererseits spiegelt sich diese Vielfältigkeit in der Diversität der Anbieterstruktur auf Stadtteilebene wider. Dies kann vor allem der in der lebensweltorientierten Grundbildung aktive Verein als Ressource nutzen, um seine netzwerklichen und gemeinschaftlichen Verbindungen zu pflegen und auszubauen. Der Verein wendet hierfür ein breites Repertoire an Strategien der Öffentlichkeitsarbeit an. Dieses reicht von „Abreißzetteln im Supermarkt“ (I2_Pos. 28), über „Plakate im Viertel“ (I2_Pos. 28) bis zu Kursanzeigen auf „Ebay Kleinanzeigen“ (I2_Pos. 28). Die besondere Kompetenz des Vereins besteht darüber hinaus darin, im Rahmen der Projekte Angebote zu entwickeln, die an den jeweiligen Lernort angepasst werden. Hierfür muss der Verein „nicht nur seine eigenen Vorstellungen sozusagen in den Vordergrund stellen, sondern sich auch einlassen auf Bedarfe von dem Lernort“ (I1_Pos. 28).

Des Weiteren versetzt die Pflege der Netzwerkarbeit die Akteure in die Lage, über Neuigkeiten aus dem Feld auf dem Laufenden gehalten zu werden. Darüber hinaus macht sie die Akteure anschlussfähig an die Kooperationspartner auf Stadtteilebene. Der hohe Aufwand für Netzwerkarbeit hat sich überdies dahingehend ausgezahlt, als dass aus den Netzwerkbeziehungen gemeinschaftliche Kontakte entstanden sind, die verlässliche Anlaufstellen für neue Projekte darstellen. Die netzwerklichen und gemeinschaftlichen Konstellationen des Governance-Regimes versetzen die Akteure in die Lage, den fragilen Finanzierungsstrukturen im Projektbereich begegnen und auslaufende Angebote verstetigen zu können, indem sie von anderen Akteuren fortgeführt wurden.

6 Fazit

Unter der Perspektive der Educational Governance analysiert der vorliegende Beitrag, welche Formen der Handlungskoordination sich zwischen Akteuren innerhalb regionaler Kooperations- und Netzwerkstrukturen der Alphabetisierung und Grundbildung identifizieren lassen.

Das Feld zeichnet sich durch eine enorme Heterogenität an beteiligten Akteuren und eine fragile Finanzierungsstruktur aus. Im Rahmen einer single case study konnte der Blick explizit auf die vier Formen der Handlungskoordination innerhalb einer Fallregion gerichtet werden. Die Fallstudie liefert somit neue Erkenntnisse in Bezug auf die Steuerungsdebatte der Weiterbildung und die regionale Ausgestaltung von Kooperations- und Netzwerkstrukturen in der Alphabetisierung und Grundbildung.

Abschließend kann herausgestellt werden, dass sich die Akteure der Fallregion – VHS, Verein, Vereine der sozialen Arbeit – hauptsächlich in festen netzwerklichen und gemeinschaftlichen Konstellationen koordinieren. Das regionale Governance-Regime basiert vordergründig auf diesen engen Bindungen, wodurch die Zuständigkeiten und Kompetenzen der Akteure allseits bekannt sind. Dies steigert insbesondere die Handlungsfähigkeit der Akteure in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit, Angebotsentwicklung und Teilnehmendengewinnung. Aufgrund dieses Beziehungsgeflechts kann ein stabiles und großflächiges Angebot bereitgestellt werden, das der Heterogenität der Region gerecht wird.

Es folgt eine Einordnung der Ergebnisse in Bezug auf ihre Relevanz für die Bildungspraxis, -politik sowie hinsichtlich ihres Mehrwerts für den wissenschaftlichen Diskurs der Erwachsenenbildung.

Praktischer Nutzen ergibt sich unter anderem mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit, mit der der gemeinnützige Verein Aufmerksamkeit auf niedrigschwelliger Ebene innerhalb einer Metropole generiert. Darüber hinaus eröffnen sich Perspektiven in Verbindung mit der gemeinschaftlichen Verstetigung von Projektangeboten. Die Fragilität des Projektbereichs konnte auf diesem Weg umgangen werden.

Hier ergeben sich weiterhin Anschlüsse für die Bildungspolitik. Die Entwicklung von Instrumenten zur Überführung von Projekterkenntnissen und -angeboten in die Regelförderung stellt einen wichtigen Faktor zur Strukturentwicklung dar. Hierdurch könnte die Verstetigung der Angebotsstruktur erleichtert werden. In der betrachteten Fallregion war dies bisher nur durch einen enormen Aufwand der Akteure aus der Bildungspraxis zu ermöglichen. Ob die in der Novellierung des Weiterbildungsgesetzes enthaltene zusätzliche Förderung der Vernetzung von Weiterbildungsanbietern hier Entlastung bieten kann, gilt es zukünftig zu betrachten. Außerdem sollten bei der Entwicklung von derartigen Förderinstrumenten die unterschiedlichen Organisationslogiken der Akteure mitgedacht werden. Dass die Volkshochschule in der betrachteten Region weniger stark in die gemeinsame Angebotsentwicklung eingebunden ist, liegt nicht nur an fehlenden finanziellen Ressourcen, sondern zu einem großen Teil an den unterschiedlichen Herangehensweisen der Organisationen an die Grundbildungsarbeit (Komm- vs. Geh-Struktur). Förderinstrumente müssen hier Anpassungsmöglichkeiten beinhalten.

Mit Blick auf die wissenschaftliche Debatte leistet der Aufsatz durch die Analyse der Handlungskoordination in einem fragilen Feld der Erwachsenenbildung einen Beitrag zur Strukturforschung. Die Perspektive der Educational Governance hat sich erneut als fruchtbar erwiesen, um Formen der Handlungskoordination innerhalb einer Akteurkonstellation zu betrachten. Es wurde darüber hinaus der Mehrwert der Perspektive für die Betrachtung der Handlungskoordination auf der regionalen Ebene der Weiterbildung aufgezeigt, indem Rückschlüsse auf das regionale Governance-Regime gezogen werden konnten. Weitere Forschungsperspektiven ergeben sich beispielweise im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit und den Vergleich von Regionen. Hier könnten Akteurkonstellationen in Regionen verschiedener Größenordnung und Akteurstruktur gegenübergestellt werden. Auch eine Gegenüberstellung von Regionen unterschiedlicher Bundesländer erscheint denkbar, um Vergleiche vor dem Hintergrund verschiedener Strukturbedingungen auf Landesebene ziehen zu können.

Zuletzt liefert der Beitrag neue Erkenntnisse für die Forschung im Feld der Alphabetisierung und Grundbildung. Hier konnten zum ersten Mal Fragen der Steuerung und Handlungskoordination auf der regionalen Ebene jenseits der arbeitsorientierten Grundbildung in den Blick genommen werden.