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Empirische Messung digitalisierter Demokratien: Erkenntnistheoretische Herausforderungen und eine wissenschaftstheoretische Antwort

Measuring Democratic Quality in a Digitalized World: Epistemological Challenges and a Scientific-Theoretical Response

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Zusammenfassung

Digitalisierungsprozesse transformieren alle Bereiche der Gesellschaft. Wir argumentieren, dass eine valide Messung demokratischer Performanz auf Basis etablierter (unter „analogen“ Rahmenbedingungen entwickelter) demokratietheoretischer Frameworks nicht möglich ist. Für eine Anpassung etablierter Messinstrumenten ist daher eine demokratietheoretische Reflexion dieses Transformationsprozesses erforderlich. Die Entwicklung einer Digitalisierung umfassend berücksichtigenden Demokratietheorie birgt jedoch grundsätzliche erkenntnistheoretische Herausforderungen. Diese erläutern wir unter Rückgriff auf die Prämissen des Kritischen Rationalismus. Im abschließenden Kapitel schlagen wir wissenschaftstheoretisch fundierte Strategien für die Entwicklung einer „digitalisierungsädquaten“ Demokratietheorie und -messung vor.

Abstract

Processes of digitalization transform all realms of contemporary democratic societies. Our paper explores the consequences of this societal transformation for empirical research on democratic quality. We claim that it is impossible to offer a valid measurement of democratic quality within established conceptual frameworks. What must be addressed to provide the basis for empirical research of digitalized democracies’ quality is the development of adequate theoretical frameworks. For this purpose, researchers have to overcome fundamental epistemic challenges. We outline these challenges from critical rationalism’s perspective and suggest guidelines to develop a democratic theory and a measurement of democratic quality in the age of digitalization.

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Notes

  1. Wir verwenden in diesem Artikel einen weiten Begriff der „Digitalisierung“, der eine gesamtgesellschaftliche Transformation bezeichnet (Abschn. 2.2), vgl. auch Stalder (2016).

  2. Berücksichtigung in Form expliziter Ergänzungen von Indikatoren finden digitale Medien auch im Varieties of Democracy-Projekt. Hier wird z. B. der Grad der von staatlichen Institutionen im Internet ausgeübten Zensur durch Experteneinschätzungen evaluiert (Indikator: internet censorship effort; v2mecenefi) (Coppedge et al. 2018, S. 179–180).

  3. Analog beschreibt Nate Silver (2012) für den Fall der „Informationsrevolution“, der Einführung des Buchdrucks, dass dieser nicht nur Adaptionsprozesse auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger (z. B. im Hinblick auf ihre Informationsverarbeitungskapazität), sondern auch Anpassungsprozesse der institutionellen Strukturen erforderlich machte. Was genau das „Neue und Andersartige“ der Digitalisierung im Vergleich zu durch andere Medien und Technologien dominierten Epochen ist, ist schon allein deshalb schwer konzeptualisierbar, da „wir uns in einem noch laufenden Umbruchprozess befinden“ (Reckwitz 2017, S. 226).

  4. Bunge radikalisiert diese Position, indem er betont, dass jegliche (ernstzunehmende) wissenschaftliche Praxis eine „realistische Position“ wie bspw. diejenige Poppers voraussetzt (Bunge 1993, S. 232).

  5. Vgl. Albert (1968); Bunge (1993); Carrier (2006); Marshall (2007); Popper (1935).

  6. Wir verzichten hier auf eine explizite Diskussion unterschiedlicher demokratietheoretischer Methodiken und ihrer Prämissen zum Verhältnis von normativen Prinzipien und (demokratischer) Realität (Erman und Möller 2015).

  7. Ziel des folgenden Abschnittes ist die Schärfung des Problembewusstseins auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene. Wir legen jedoch keine alternativen Operationalisierungen vor.

  8. Aus der Perspektive abweichender demokratietheoretischer Konzeptionen würden die unten genauer erläuterten Phänomene in anderer Gewichtung Berücksichtigung finden: So würde beispielsweise eine deliberative Demokratiekonzeption der Beeinflussung politischer Meinungsbildungsprozesse in der Tendenz mehr, institutionellen Kontrollmechanismen in der Tendenz weniger Bedeutung zuschreiben als eine liberale Konzeption.

  9. Welche Affordanzen in welchem Fall geschaffen werden, hängt nicht nur vom Design des Algorithmus ab, sondern auch vom jeweiligen digitalen Fußabdruck der Person, auf den der Algorithmus zugreifen kann, und davon, wie sich andere Personen verhalten haben, die der Algorithmus als Referenz verwendet (vgl. Bucher 2018, S. 154).

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  15. Wir wollen hier nochmals betonen, dass die Outputs dieser Algorithmen nicht allein durch ihren Code bestimmt sind, sondern in großem Maße auch von den Datensätzen, auf die sie zugreifen.

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  17. Der Ausdruck „blinde Flecken“ wird hier nicht im Sinne Luhmanns gebraucht. Vielmehr meinen wir damit das, was aufgrund der Theorieabhängigkeit der Beobachtung (s. Kap. 3) nicht im Aufmerksamkeitshorizont der Forscherin und des Forschers liegt bzw. systematisch konzeptualisiert und erklärt werden kann.

  18. Eine derartige Diskrepanz zwischen Demokratietheorien und den Phänomenen, die sie begrifflich fassen und erklären sollen, hat auch Konsequenzen für die Prognosefähigkeit von Theorien. Dies wird unter Bezugnahme auf analoge Konzepte der Risikoforschung deutlich (Boeckelmann und Mildner 2011; Pravica 2017; Taleb 2011).

  19. Hierauf bezieht sich Poppers Unterscheidung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang.

  20. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei Digitalisierung im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Transformation um einen „noch laufenden Umbruchprozess“ handelt (Reckwitz 2017, S. 226).

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Wir danken Jennifer Franke und Friederike Uhl für die sprachliche Korrektur des Manuskripts sowie Christoph Heß für Vorrecherchen.

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Fleuß, D., Schaal, G.S. & Helbig, K. Empirische Messung digitalisierter Demokratien: Erkenntnistheoretische Herausforderungen und eine wissenschaftstheoretische Antwort. Polit Vierteljahresschr 60, 461–486 (2019). https://doi.org/10.1007/s11615-019-00186-6

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