Die präklinische Notfallthorakotomie nach Trauma wird weiterhin kontrovers diskutiert. Die Prognose von Patienten mit traumatischen, intrathorakalen Verletzungen und Thorakotomie variiert je nach Unfallmechanismus, Verletzungsmuster, Behandlungszeitpunkt und Behandlungstechnik stark. In den Leitlinien wird die Überlebensrate nach Notfallthorakotomie für alle Patienten mit ca. 15 %, für Patienten mit einer penetrierenden Thoraxverletzung mit ca. 35 % beziffert. Demgegenüber wird bei Notfallthorakotomien nach stumpfem Trauma von schlechten Überlebensraten von 2 % berichtet.

Der vorliegende Fallbericht und Literaturüberblick fokussiert sich auf die präklinische und frühe innerklinische Versorgung eines schwer verletzten Patienten mit Perikardtamponade und präklinischer Thorakotomie. Er orientiert sich hierzu an den Empfehlungen der „case report guidelines“ [8] und den Empfehlungen zur Erstellung systematischer Literatur-Reviews [14]. Die grafischen Darstellungen und inhaltliche Aufarbeitung orientieren sich an entsprechenden anschaulichen Falldarstellungen von Kulla et al. [12]. Alle Zeitangaben/Zeitpunkte (ZP) beziehen sich auf den mutmaßlichen Unfallzeitpunkt. Sie entstammen unterschiedlichen Protokollen, Leitstellenrechnern und persönlichen Aufzeichnungen und sind teilweise mit Unschärfe assoziiert. Soweit nicht anders vermerkt, erfolgt die Angabe in Minuten. Der detaillierte Verlauf findet sich in Tab. 1.

Anamnese

Im Dezember 2015 verunfallte der Fahrer eines Kleinwagens ohne Fremdeinwirkung mit hoher Geschwindigkeit auf einer entlegenen Landstraße (ZP 0). Durch den Zusammenstoß mit einem Alleebaum wurde das Fahrzeug vollkommen zerstört und der Patient im Fahrzeug eingeklemmt. Beim Eintreffen der ersten Rettungskräfte (ZP +15) am Unfallort wurde der Patient bewusstlos (GCS 3) in dem Pkw-Wrack vorgefunden.

Befund

Der Zugang zum Patienten (23 Jahre, ca. 185 cm, ca. 80 kg, ASA I) war bei Eintreffen der ersten Rettungsdienstkräfte (ZP +15) nur eingeschränkt möglich, da sich der Kopf des Patienten im Fußraum des Fahrzeugs befand und der Rumpf des Patienten unter dem Motorblock und weiteren Wrackteilen des Pkw begraben war. Beide unteren Extremitäten waren offensichtlich offen mehretagenfrakturiert (Abb. 1). Nachdem eine erste Rettungsöffnung geschaffen war, zeigte sich der Patient mit intakter Atmung (Frequenz 30/min), einem schwach-tastbarem, tachykardem Karotispuls und weiten Pupillen ohne Lichtreaktion bei weiterhin einem GCS 3 (ZP +35). Im ersten Schritt erfolgte die sofortige O2-Gabe via Maske (15 l O2/min Flow). Die Einlage eines Guedel-Tubus oder gar eine Intubation/Beatmung konnte bei sehr unzureichendem Patientenzugang nicht durchgeführt werden. Es erfolgte zeitgleich zur O2-Gabe die Anlage eines großlumigen Zugangs (14 G). Hierüber wurden dem Patienten 25 mg Ketamin S verabreicht sowie eine gewärmte, kolloidale Infusion (Hydroxyethylstärke, HES 130/0,4) und 1000 mg Tranexamsäure.

Abb. 1
figure 1

Fahrzeugwrack unmittelbar nach technischer Sofortrettung des Patienten. Das Dach wurde hier bereits abgetrennt und der Motorblock mit einer hydraulischen Stütze angehoben

Nach erfolgreicher Befreiung des Patienten (ZP +55) zeigten sich folgende Werte: RR 80/45 mm Hg, HF 155/min, SpO2 85 %, AF 35/min, GCS 3, Pupillen weiter beidseits weit und ohne Lichtreaktion. Es erfolgte der Anschluss eines vorbereiteten Noradrenalinperfusors mit einer Dosierung von zunächst 1 mg/h. Bei starken Blutungen aus den unteren Extremitäten erfolgten zudem beidseits die Anlagen von Tourniquets im Bereich der Oberschenkel.

Die „rapid sequence induction“ (RSI) erfolgte nun (ZP +60) mittels 300 mg Ketamin, 5 mg Midazolam und 80 mg Succinylcholin. Nach erfolgreicher First-Pass-Intubation (8,0 ID mm) konnten zunächst ein maximales etCO2 von 25 mm Hg und ein SpO2-Anstieg auf 92 % gemessen werden. Hämodynamisch zeigte sich der Patient allerdings auch nach RSI gleichbleibend schlecht (RR 90/50 mm Hg, HF 145/min). In der erneuten Auskultation wurden rechts ein vesikuläres Atemgeräusch und links ein weitestgehend aufgehobenes Atemgeräusch festgestellt. Auffallend zeigte sich inspektorisch und palpatorisch bei dem schlanken Patienten ein ausgeprägter Herzspitzenstoß.

Bei anhaltender Schocksymptomatik erfolgte zunächst die beidseitige Nadeldekompression (ZP +65). Anschließend erfolgte links die ergänzende Anlage einer Thoraxdrainage (28 CH) in Bülau-Position nach ventral-apikal. Ein „Zischen“ oder die Entleerung relevanter Blutmengen konnte dabei nicht beobachtet werden. Die hämodynamische Instabilität persistierte (ZP +70).

In der durchgeführten Reevaluation (ZP +75) zeigte sich die Atemwegssicherung weiter ohne Auffälligkeiten. Hinsichtlich der Beatmung zeigten sich nun regelgerechte Atemgeräusche beidseits und kein Hinweis auf einen vermehrten Atemwegswiderstand. Neben fortbestehender Sinustachykardie mit Frequenzen zwischen 130/min und 160/min fielen nun ein nicht mehr messbarer Blutdruck und ein auf 20 mm Hg abfallender etCO2-Wert auf. Des Weiteren zeigten sich unter der Zervikalstütze deutlich gestaute Halsvenen; der initial sichtbare Herzspitzenstoß war nicht mehr sichtbar. Bei elektrophysiologisch im EKG abgebildeter Sinustachykardie musste zu diesem Zeitpunkt von einer pulslosen elektrischen Aktivität (PEA) ausgegangen werden.

Ohne weitere Verzögerung wurde die Entscheidung zur anterolateralen linksseitigen Notfallthorakotomie (Abb. 2) bei V. a. Herzbeuteltamponade gestellt (ZP +80).

Abb. 2
figure 2

Rumpf des Patienten vor Entlassung. Rote Linien präklinische Zugangswege der Thoraxdrainage und Notfallthorakotomie

Die Eröffnung des Thorax dauerte weniger als 2 min (ZP +82). Zur Schnittführung wurde im 4. ICR die Punktionsstelle der Thoraxdrainage als Hautschnitt bis zum Sternum ventral und nach lateral-dorsal erweitert. Das Aufhalten des linksseitigen Thorax durch einen Helfer gelang auch aufgrund der Rippenserienfraktur und einhergehenden Instabilität erstaunlich gut. Es zeigte sich bereits direkt nach Eröffnung ein prallgefüllter, jedoch unverletzter Herzbeutel mit lediglich bradykarder und ausgesprochen adynamischer Pumpbewegung des Herzens (ZP +83).

Es folgte nunmehr die Perikarderöffnung im Bereich der Herzspitze. Mittels Pinzette wurde hierzu das Perikard apexnah „zeltförmig“ angehoben und mittels Schere eine Drainageinzision geschaffen. Zunächst wurde dieser Schritt aber offensichtlich nicht ausreichend großzügig durchgeführt, sodass sich zunächst noch kein Blut oder Koagel aus dem Hämatoperikard entleerten. Bei anhaltender Pumpfunktionseinschränkung wurde nun umgehend eine offene Herzmassage (<30 s) durchgeführt, dabei entleerte sich nunmehr plötzlich reichlich teilweise koaguliertes Blut (ZP +84). Ohne weitere Maßnahmen stellte sich anschließend sofort ein kräftiger Herzschlag („return of spontaneous circulation“, ROSC) mit einer HF von 140/min und einem nun umgehend messbaren Blutdruck von 130/60 mm Hg ein (ZP +85). Auf weitere interventionelle Maßnahmen am Perikard wurde vor dem Hintergrund der suffizienten Kreislaufrekompensation zu diesem Zeitpunkt verzichtet.

In der durchgeführten abschließenden Reevaluation zeigten sich kompensierte bzw. adäquat adressierte A‑ bis E‑Probleme ohne weiteren sofortigen Interventionsbedarf. Nach Abdeckung des weiterhin offenen Thorax mittels Pflasterverband wurde mit dem sofortigen luftgebundenen Transport in das nächstgelegene (ca. 50 km), überregionale Traumazentrum (ÜTZ) begonnen (ZP +100). Der detaillierte Verlauf der Versorgung findet sich in Abb. 3.

Abb. 3
figure 3

Rekonstruktion des Verlaufs von Vitalwerten, invasiven Maßnahmen sowie applizierten Medikamenten und Volumenersatz mittels Blut und Blutprodukten

Verlauf

Bei Eintreffen im Schockraum des ÜTZ (ZP +125) zeigte der Patient folgende Befunde im „primary survey“ (Tab. 1):

  • A: gesicherter Atemweg, HWS mittels Stifneck suffizient immobilisiert;

  • B: vesikuläre AG beidseits, Thorax rechts instabil, links anterolateral eröffnet, Thoraxdrainage links einliegend. AF 14, SpO2 99 %, etCO2 35 mm Hg;

  • C: Bauch weich, Beckengurt suffizient korrekt anliegend, Tourniquets im Bereich beider Oberschenkel effektiv anliegend; HF 123/min RR 120/65;

  • D: GCS 3, Pupillen beidseits weit und ohne Lichtreaktion;

  • E: Körpertemperatur 34 Grad, Begleitverletzungen: Tab. 1;

  • „adjuncts“: eFAST geringe Mengen freier Flüssigkeit in Douglas-Raum und „Morrison pouch“, Perikard: V. a. neuerliche Perikardtamponade;

  • Point-of-care-Diagnostik: Hb 4,8 g/dl, BE-6 mmol/l, Lactat 4,5 mmol/l, pH 7,25, Quick-Wert: 37 %.

Im Schockraum erfolgte die sofortige Aktivierung des klinikeigenen Schockboxalgorithmus (ZP +130).

Tab. 1 Arbeitsdiagnosen

Mit Rücksicht auf den vorübergehend kompensierten Zustand des Patienten erfolgte die Entscheidung zur Durchführung einer CT-Traumaspirale vor den anstehenden Notoperationen. Im Rahmen der Schockraumdiagnostik und CT-Traumaspirale zeigten sich die in Tab. 1 dargestellten Verletzungen. Während der laufenden CT-Diagnostik kam es zu einem neuerlichen Kreislaufeinbruch (ZP +150). Es erfolgte deshalb die sofortige Zuverlegung in den OP. Mit Beginn der Operation (ZP +165) kam es schließlich erneut zum Kreislaufstillstand.

Es wurde ERC-Leitlinien-kongruent durch das interdisziplinäre Team aus Unfall- und Thoraxchirurgie sowie Anästhesie die Entscheidung zum sofortigen Beheben einer potenziell reversiblen Ursache – in diesem Fall die vermutete neuerliche Perikardtamponade – gefällt. Es erfolgte eine longitudinale Sternotomie. Die präklinisch geschaffene Eröffnung des Perikards zeigte sich durch ein großes Koagel verlegt und der Herzbeutel retamponiert. Nach nun vollständiger Eröffnung des Perikards zeigte sich als pathoanatomische Ursache eine kleine, venöse herzbasisnahe Blutung am Übergang von Vena interventricularis anterior und V. cardiaca magna, die durchstochen und übernäht werden konnte. Nach neuerlicher, offener Herzmassage kam es zunächst zu einem Kammerflimmern (ZP +170), welches nach 2‑maliger, elektrischer, interner Defibrillation und Gabe von 300 mg Amiodaron in einen Sinusrhythmus und einhergehenden, erneuten ROSC konvertiert werden konnte (ZP +175). Bei rekompensierten Kreislaufverhältnissen erfolgte schließlich der Verschluss des Thorax (ZP +200).

Ergänzend zu der operativen Versorgung im Bereich des Thorax erfolgten zeitgleich als Damage-control-Strategie die Anlagen mehrerer Fixateure externe. Wie in Abb. 3 dargestellt, erfolgten parallel das Transfusionsmanagement mittels Point-of-care-BGA nach dem klinikinternen Massentransfusionsprotokoll sowie das Gerinnungsmanagement nach Point-of-care-Thrombelastographie (ROTEM). Postoperativ (ZP +300) wurde der Patient auf die Intensivstation verlegt.

Nach 13 Beatmungstagen, 27 Tagen Intensivstation und 29 Operationen konnte der Patient 59 Tage nach Trauma aus der akut stationären Behandlung entlassen werden. Im Rahmen des akutstationären Aufenthalts traten mutmaßlich als Folge der Verletzung und präklinischen Notfallthorakotomie noch mehrfach Herzrhythmusstörungen auf, die teilweise selbstlimitierend waren, aber auch 2‑mal elektrisch kardiovertiert werden mussten. Weitere Komplikationen, insbesondere Infektionen von Lungen, Mediastinum und Herz, wurden nicht beobachtet.

Knapp 2 Jahre nach Trauma befindet sich der Patient ohne neurologische oder kardiologische Einschränkungen in einer beruflichen Umschulungsmaßnahme. Seit der Entlassung aus der akutstationären Behandlung waren keine weiteren Interventionen am Herzen erforderlich. Die regelmäßigen kardiologischen Verlaufskontrollen ergaben bis heute eine altersentsprechende Normalfunktion ohne Einschränkungen oder neuerliche Herzrhythmusstörungen.

Diskussion

Präklinische Notfallthorakotomien werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Die Prognose von Patienten mit traumatischen intrathorakalen Verletzungen und präklinischer Thorakotomie variiert je nach Unfallmechanismus, Verletzungsmuster, Behandlungszeitpunkt und Behandlungstechnik stark [4, 17, 29].

Das Team der London Air Ambulance konnte eindrücklich den Bedarf und die Vorteile der präklinischen Notfallthorakotomie zeigen [7]. Für Deutschland wurden entsprechende Anhaltspunkte eines möglichen Bedarfs durch die rechtsmedizinische Arbeit der Kollegen Buschmann et al. aus Berlin herausgearbeitet. Sie konnten zeigen, dass allein in Berlin innerhalb eines Jahres 4 Patienten mit einer traumatischen Perikardtamponade möglicherweise durch eine präklinische Notfallthorakotomie hätten gerettet werden können. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland entspreche dies bei allen statistischen Ungenauigkeiten und regionalen Unterschieden mehr als 80 potenziell geretteten Menschenleben pro Jahr [6, 9]. In einer Folgeuntersuchung konnten Ondruschka et al. zusammen mit selbigen Autoren für die Jahre 2011–2017 in den Städten Leipzig und Chemnitz im Verhältnis zur Einwohnerzahl sogar eine noch höhere Inzidenz von traumatischen Perikardtamponaden und infolge traumatischen Kreislaufstillständen mit konsekutiver Indikation einer prähospitalen Notfallthorakotomien aufzeigen [20]. Bemerkenswert ist dabei, dass seitens der Autoren als Indikation für eine Notfallthorakotomie ausschließlich Perikardtamponaden in Erwägung gezogen wurden. Andere Ursachen (ausgedehnte intrathorakale Verletzungen oder massive intraabdominelle bzw. Beckenblutungen) für traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstand, die im Rahmen einer Damage-control-Eskalationsstrategie durchaus auch durch eine Notfallthorakotomie (inklusive z. B. intrathorakaler Aortenkompression oder Hilus-Twist) adressiert werden könnten, wurden nicht berücksichtigt. In beiden Arbeiten weisen die Autoren zurecht darauf hin, dass trotz entsprechender Empfehlung in den Leitlinien die Durchführung einer prähospitalen Notfallthorakotomie noch nicht flächendeckend in Deutschland etabliert ist und noch keine Standardtherapie darstellt. Auch angesichts von Defiziten bei der Umsetzung anderer, weniger invasiver notfallmedizinischer Maßnahmen (z. B. Anlage einer Thoraxdrainage, Blutstillungsmaßnahmen) mit teils höherer Inzidenz resümieren die Autoren, dass die flächendeckende Implementierung zunächst hinter anderen Schulungen/Maßnahmen zurückgestellt werden sollte [6, 9].

In der dargestellten Kasuistik wird über einen schwerstverletzten Patienten berichtet, der präklinisch nach stumpfem Trauma einen beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet. Wie von Kulla et al. [12] berichtet, führen derartige präklinische Szenarien bisher insbesondere bei vermutetem schwerem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) häufig zum frühzeitigen Abbruch oder zum Unterlassen weiterer therapeutischer Maßnahmen. In Ermangelung präklinischer Behandlungsmöglichkeiten des SHT während der Reanimation und aufgrund des Umstands, dass SHT und Verbluten die führenden Todesursachen nach stumpfen Unfallmechanismen darstellen, kommt vor dem Hintergrund des hervorragenden Outcome im vorliegenden und in vergleichbaren Fällen der neuerlichen kritischen Bewertung bisheriger präklinischer Behandlungsstrategien eine gewachsene Bedeutung zu [2, 3, 19, 28].

Notfallmedizinische Maßnahmen nach Trauma

Im Zentrum der präklinischen Erstversorgung polytraumatisierter Patienten stehen entlang des ABCDE-Konzepts die von der Sektion Notfallmedizin, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung (NIS) der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie im „trauma care bundle“ erarbeiteten Maßnahmen [18]. Dazu zählen insbesondere: Sicherstellen eines freien Atemwegs, klinische Untersuchung des Thorax und Sicherstellung der Atemfunktion, Blutungskontrolle und Anlage geeigneter Gefäßzugänge, Erfassung von Bewusstseinslage, Motorik und Sensibilität, Ruhigstellung der Wirbelsäule und verletzter Extremitäten sowie die Versorgung von Wunden und Sicherstellung des Wärmeerhalts.

Ergänzend zu diesen Maßnahmen fordert die Leitlinie zur Reanimation des European Resuscitation Council (ERC) von 2015 im Fall eines traumatischen Kreislaufstillstands die sofortige Therapie aller reversiblen Ursachen. Gemäß Leitlinie sollte die Durchführung der üblichen Herzdruckmassage die Beseitigung reversibler Ursachen nicht verzögern (Abb. 4; [29]). Zu den reversiblen Ursachen des Traumas zählen:

  1. 1.

    Hypoxie,

  2. 2.

    Spannungspneumothorax,

  3. 3.

    Perikardtamponade,

  4. 4.

    Hypovolämie.

Abb. 4
figure 4

European Resuscitation Council Guidelines2015 – Algorithmus für die Reanimation bei traumatischen Kreislaufstillständen. (Aus Truhlář et al. [29], Copyright European Resuscitation Council – http://www.erc.edu/ – 2018_NGL_010

Obwohl die Behandlung von Hypoxie und Spannungspneumothorax in der Präklinik in Deutschland flächendeckend Gegenstand der notfallmedizinischen Aus- und Weiterbildung ist, gibt es immer wieder Berichte klinischer und rechtsmedizinischer Auswertungen zu vermeidbaren Todesfällen nach Trauma aufgrund unzureichend durchgeführter oder unterlassener Maßnahmen wie einer adäquaten Atemwegssicherung oder der Anlage von Thoraxdrainagen bzw. Thorakostomien [10]. Auch die spezifische Behandlung der Hypovolämie beim schwerstverletzten Patienten u. a. im Sinne der permissiven Hypotonie dürfte u. a. aufgrund mangelnder Bedeutung in der Ausbildung und eingeschränkten Therapieoptionen in der Präklinik nur teilweise umgesetzt sein [6]. Ein gravierendes Defizit bei der Implementierung der empfohlenen Maßnahmen der ERC-Reanimationsleitlinie in Deutschland findet sich in Bezug auf die Therapie der Herzbeuteltamponade. Hier fehlt es bisher v. a. an Edukation und Equipment, um die zeitkritische Maßnahme einer Notfallthorakotomie in <10 min nach traumatischem Kreislaufstillstand, bei gegebener Indikation, anlog zum Algorithmus in Abb. 4 durchführen zu können [9, 30, 31]. Bemerkenswerterweise wird im Unterschied zur dargestellten englischsprachigen Originalversion des ERC-Algorithmus in der deutschen Übersetzung der Leitlinie an selbiger Stelle nur von „Perikardpunktion/-drainage“ gesprochen, obwohl im Text der Leitlinie ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass eine Perikardpunktion weniger aussichtsreich als eine Notfallthorakotomie ist [13, 29, 30]. Hinsichtlich der präklinischen Entlastung einer Perikardtamponade als potenziell reversibler Ursache eines traumatischen Kreislaufstillstands besteht, wie zuletzt bereits in weiteren Fallberichten festgestellt, dringender Handlungsbedarf in Deutschland [21, 22, 24].

Positive Erkenntnisse

Für den präklinischen Teil der Versorgung war die Schulung des beteiligten Personals von entscheidender Bedeutung. Der vorliegende Fall und vergleichbare Fälle haben gezeigt, dass präklinische Notfallthorakotomien auch unter den spezifischen Bedingungen der präklinischen Notfallmedizin im deutschsprachigen Raum erfolgreich durchführbar sind [21, 25]. Puchwein et al. und Konig et al. haben gezeigt, dass notfallmedizinische Teams zur Durchführung von Notfallthorakotomien auch dann geschult werden können, wenn diese nicht über eine umfangreiche chirurgische Ausbildung verfügen [11, 22]. Deutsche Kursformate wie der PERT-Kurs in Düsseldorf, der MAXIN-Kurs in Berlin, der INTECH Advanced in Heidelberg oder der DSTC-Kurs in Homburg könnten dabei helfen, notfallchirurgische Skills praxisnah zu vermitteln und auch auf interdisziplinär besetzten Notarztrettungsmitteln in der Präklinik in Deutschland zu etablieren. Bei der Etablierung derartiger notfallmedizinischer Interventionen ist die Bedeutung von teambezogenen „crew resource management (CRM) trainings“ hervorzuheben. Rall et al. konnten hier die enorme Bedeutung insbesondere vor dem Hintergrund ansteigender Komplexität und Invasivität der Aufgaben für die Notfallmedizin zeigen [23].

Nicht nur vor dem Hintergrund der hohen Invasivität neuer, in den Leitlinien empfohlener, notfallmedizinischer Maßnahmen wie der Notfallthorakotomie kommt dem präklinischen Einsatz von Erythrozyten- und Plasmakonzentraten eine gewachsene Bedeutung zu [32]. In den Niederlanden und England sowie einigen skandinavischen Ländern ist die präklinische Transfusion von Blutprodukten, insbesondere in Verbindung mit dem Einsatz von Luftrettung, längst etablierter Teil der präklinischen Traumaversorgung [16]. Im deutschsprachigen Raum arbeiten zurzeit erste Luftrettungszentren an einer Adaptation entsprechender präklinischer Transfusionskonzepte. So werden am Standort des an der vorliegenden Kasuistik beteiligten Luftrettungszentrums, u. a. vor dem Hintergrund der hier geschilderten Erkenntnisse, zukünftig jeweils zwei 0, Rh-negative-Erythrozytenkonzentrate sowie gefriergetrocknete Lyoplasmen und Fibrinogen in der Präklinik mitgeführt. Alle 24 h werden die Erythrozytenkonzentrate ausgetauscht, um der allgemeinen Verwendung im beteiligten Klinikum dann weiter zur Verfügung zu stehen.

Auch für die Frühphase des innerklinischen Managements im ÜTZ erwies sich eine intensive Vorbereitung (80 min von Voralarmierung bis Eintreffen), insbesondere beim Zusammenziehen notwendigen Personals und Equipments, als „spielentscheidend“. Ohne die notwendige Infrastruktur wie z. B. das Vorhalten von fertig gepackten Transfusionseinheiten (EK, PK, Fibrinogen, PPSB, TXA) in der Schockbox des Schockraums oder vorbereitete „ready to use sets“ für Thoraxdrainagen und zentrale Zugänge wäre nach Ansicht aller Beteiligen kein erneuter ROSC in der Klinik möglich gewesen.

Analog zu dem von Kulla et al. geschilderten Fall [12] kam besonders den standardisierten Arbeitsabläufen der Luftrettung-Crew und dem übernehmenden Team im ÜTZ eine wesentliche Bedeutung zu. Die ATLS©/ETC bzw. PHTLS© als gemeinsame Sprache des gesamten Teams, die Ausbildung in Damage control surgery (DCS) sowie die gemeinsame tägliche Routinearbeit ermöglichten ein zielstrebiges Vorgehen ohne Kommunikationsschwierigkeiten [1, 15].

„Lessons learned“

Während der gesamten Phase der Versorgung traten – zumindest retrospektiv betrachtet – diskussionswürdige Ereignisse auf. So ist beispielweise zu konstatieren, dass trotz des temporären Therapieerfolgs der präklinischen Thorakotomie, in Ermangelung einer bereits vollständigen Perikarderöffnung, die Gefahr einer neuerlichen Perikardtamponade wie im vorliegenden Fall gegeben war und in zukünftig ähnlich gelagerten Fällen immer eine vollständige Perikarderöffnung erfolgen sollte. Kulla und Kleber et al. berichten in mehreren Kasuistiken und einer Übersichtsarbeit von bis zu 73 % vermeidbaren Fehlern, die bei 15 % der Patienten zum Tod geführt hätten [5, 10, 12]. Auch wenn der Ausgang des vorliegenden Falls ermutigend auf alle beteiligten Akteure gewirkt hat, wurde es zum Anlass genommen, um im Rahmen des regionalen Traumanetzwerks, der ÜTZ-internen QM-Konferenzen und den prä- und innerklinischen notfallmedizinischen Fortbildungen kritisch auf erforderliche Verbesserungen einzugehen. In der Tab. 2 sind die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst.

Tab. 2 Diskutierte kritische Ereignisse („critical events“) während der initialen Versorgungsphase in PK, SR und OP sowie die daraus gewonnenen Erkenntnisse

Fazit für die Praxis

In Übereinstimmung mit der AWMF-S3-Litlinie zur Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung und der ERC Guidelines von 2015 zur Durchführung der Reanimation bei Patienten mit traumatischem Herz-Kreislauf-Stillstand sowie in Übereinstimmung mit neueren Untersuchungen zum Outcome solcherlei Reanimationsszenarien zeigt auch der vorliegende Fall, dass bei beobachtetem Herz-Kreislauf-Stillstand eine Reanimation auch nach stumpfem Trauma grundsätzlich indiziert ist und selbst in extremis mit gutem Ergebnis ausgehen kann.

Für eine erfolgreiche Reanimation bei beobachtetem Kreislaufstillstand nach Trauma gilt:

  1. 1.

    sofortiger Beginn einer effektiven Reanimation nach ERC-Algorithmus (Abb. 4);

  2. 2.

    Ziel der Reanimation ist die sofortige Therapie aller reversibler Ursachen. Die Therapie der reversiblen Ursachen ist dabei sogar prioritär vor der kontinuierlichen Thoraxkompression;

  3. 3.

    zur Therapie der reversiblen Ursachen zählen auch invasive Maßnahmen wie Blutungskontrolle, Thorakostomien oder auch Notfallthorakotomie;

  4. 4.

    die präklinische Notfallthorakotomie ist bei beobachtetem Herz-Kreislauf-Stillstand, der <10 min bei stumpfen und <15 min bei penetrierenden Verletzungen aufgetreten ist, indiziert und mit gutem Ergebnis am besten als Clamshell-Thorakotomie durchführbar;

  5. 5.

    die Durchführung einer (präklinischen) Notfallthorakotomie erfordert gutes Training (z. B. https://www.notfallmedizinkurs.de/notfallthorakotomie/, http://maxin.berlin/, INTECH Advanced Universität Heidelberg oder www.dstc-kurs.de;), das richtige Equipment (stabile Schere, Pinzette, Nadelhalter, Skalpell ggf. Thoraxsperrer, ggf. Gigli-Säge), eine enge Abstimmung und Vorbereitung von präklinischer/klinischer Polytraumaversorgung (Simulationstrainings) und ein ausführliches Debriefing aller Beteiligten (u. a. CRM) sowie auch entsprechendes medizinisches Qualitätsmanagement (Qualitätszirkel der TraumaNetzwerk DGU®).