Die gestörte Gemeinschaft Machtprozesse und Konfliktpotentiale in einer ostdeutschen Gemeinde

Zusammenfassung

Im Unterschied zu den Entwicklungspfaden westlicher Industriegesellschaf­ten, in denen Markt, Nation und Demokratie sich in der Regel historisch nacheinander herausbildeten, stehen die ost- und mitteleuropäischen Gesell­schaften nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus vor dem Pro­blem, alle Strukturvorgaben der Modernisierung gleichzeitig realisieren zu müssen: den Übergang zur kapitalistischen Wirtschaftsverfassung mit dem Aufbau demokratischer Institutionen zu vermitteln und die Schaffung einer privilegierten Klasse von Produktionsmittelbesitzern von der mehrheitlichen Zustimmung derjenigen abhängig zu machen, die davon zunächst nicht profitieren werden. In dieser Konstellation eines „politischen Kapitalismus“ (vgl. Weber 1980: 95f), der das Projekt reformwilliger Eliten darstellt, scheinen sich Markt und Demokratie wechselseitig zu blockieren:

„Marktwirtschaft kommt nur unter vordemokratischen Bedingungen in Schwung. Um sie zu frdern, müssen demokratische Rechte zurückgedrängt werden. Erst eine entwickelte Marktwirtschaft erzeugt die sozialstrukturellen Bedingungen für stabile Demokratie und ermöglicht soziale KompromiBbildung. Aber: Die Einführung der Marktwirtschaft in postsozialistischen Gesellschaften ist ein ‚politisches‘ Projekt, das nur auf der Basis starker demokratischer Legitimation Erfolgsaussichten hat. Und weder Demokratie noch Marktwirtschaft werden unter Umständen als wünschenswerte Perspektiven von der Mehrheit der Bevölkerung gewollt.“ (Offe 1991a: 286)