„Künstliche Intelligenz“ (KI) ist ein Begriff, der zur Zeit große öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Die hohe Dynamik in diesem Bereich erfordert es, nicht nur bei der Klärung der Bedingungen, Wirkungen und Folgen hinsichtlich Gesellschaft und Wirtschaft stehenzubleiben: Es scheint vielmehr ein grundlegenderer Zugang zur Rolle von KI notwendig zu sein. Da in modernen Wissensgesellschaften wissenschaftliche Forschung wesentlicher Treiber gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen ist, ist zu fragen, ob Forschungshandeln und Wissenserzeugung durch künstliche Intelligenz vor einem epochalen Wandel stehen und vor allem wie sich entsprechende Arbeitswelten verändern werden. Wird zum Beispiel der Mensch durch KI zu einer Randerscheinung in der Forschungspraxis oder wird er hier weiterhin zentraler Akteur bleiben?

In dieser Studie analysieren und beurteilen die Autoren mögliche Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelten in Wissenschaft und Forschung, und sie formulieren auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen für eine verantwortungsbewusste Gestaltung von KI in der wissenschaftlichen Forschung. Die Studie ist das Ergebnis intensiver Beratungen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe am Institut für qualifizierende Innovationsforschung und -beratung (IQIB). Die Arbeitsgruppe ist mit Fachleuten aus den Gebieten der Philosophie, Technikfolgenabschätzung, Informatik und Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt KI, sowie aus den Arbeitswissenschaften und Rechtswissenschaften besetzt.

In diesem Einführungskapitel wird die Fragestellung des interdisziplinären Projekts erläutert und durch eine Einordnung in die Gebiete der KI sowie in das wissenschaftliche Arbeiten kontextualisiert. Kap. 2 beschreibt sodann die Grundlagen und Anwendungen von KI. In Kap. 3 wird die Frage behandelt, ob menschliche Forscher/Forscherinnen grundsätzlich durch Systeme künstlicher Intelligenz ersetzbar sind. Kap. 4 erörtert die durch KI herbeigeführte Veränderung des Wissenschafts- und Technikverständnisses. In Kap. 5 werden die Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Beruf unter Heranziehung einer empirischen Studie untersucht. Kap. 6 richtet schließlich den Blick auf die Regulierungsperspektive von durch KI geprägte Forschung. Jedes dieser Kapitel endet mit einem kurzen Zwischenfazit. In Kap. 7 werden interdisziplinäre Schlussfolgerungen und Vorschläge für die Handlungsebene formuliert.

1.1 Fragestellung

Im Zuge der Digitalisierung von Arbeitswelten erreichen KI-Systeme bereits viele Bereiche öffentlich oder privat finanzierter Forschung und Entwicklung mit entsprechenden Konsequenzen für die wissenschaftliche Praxis. Aufgrund der besonderen gesellschaftlichen Rolle öffentlich geförderter Forschung konzentrieren sich die Untersuchungen wissenschaftlicher Arbeitswelten auf diesen Sektor. Dabei werden vornehmlich solche Wissenschaftsdisziplinen in den Blick genommen, deren Geltungsansprüche traditionell auf experimentellen Ansätzen fußen und eine hohe Affinität zu unterstützenden KI-Systemen versprechen. Es sind dies beispielsweise die Natur-, Lebens- und Technikwissenschaften, unter Einschluss der medizinischen Forschung. Diese Fokussierung ist eher praktischer Natur und soll mögliche Folgerungen für andere Disziplinen bzw. Förder-Regimes nicht ausschließen. Für die interdisziplinäre Beurteilung von KI in wissenschaftlichen Arbeitswelten stellen sich u. a. folgende Fragen aus computerwissenschaftlicher, wissenschaftsphilosophischer sowie arbeits- und rechtswissenschaftlicher Sicht:

Von technischer Seite aus ist zunächst zu fragen, welche Entwicklungsperspektiven, Meilensteine und Einsatzbereiche von KI in der Forschung „realistisch“ absehbar sind und wie sich das Zusammenspiel mit Big Data und anderen, auch klassischen Forschungsansätzen gestalten wird. Die Beantwortung dieser Fragen soll zugleich klären, welche Erwartungen an und Befürchtungen vor KI als überzogen entmystifiziert werden sollten. Auf der anderen Seite kann dadurch ermessen werden, worin der innovative Kern von KI-Systemen liegt und worin damit die Grenzen der KI liegen. So gilt es, den wissenschaftlich-technischen Kern von KI-Systemen für den öffentlichen Diskurs offenzulegen und reflektierbar werden zu lassen.

Zur Beantwortung solcher Fragen ist angesichts der begrifflichen Vielfalt im Bereich KI zunächst eine systematische Betrachtung dieses komplexen Feldes vor dem Hintergrund ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung vorzunehmen. Auf der Basis typischer KI-Anwendungen in Teilchenphysik, Klimaforschung und Medizin sind Schlussfolgerungen für die Qualität, Effizienz und Innovationskraft von KI in der Forschung zu entwickeln und mögliche Rückwirkungen auf das Wissenschaftssystem zu skizzieren.

Aus wissenschaftsphilosophischer Sicht fragt sich, ob, inwieweit und wo die Nutzung von künstlicher Intelligenz und Big Data den etablierten Forschungsmodus moderner Forschung verändert. Vor allem ist zu untersuchen, ob KI und Big-Data-basierte Forschung „mit der leichten Hand“ dazu führen, „Wahrheit“ allein in der großen Menge verfügbarer Daten zu vermuten. Ferner ist von Interesse, ob sich wissenschaftliche Prognosen künftig statt von Kausalitäten von Korrelationen bzw. automatisch erkannten Mustern ableiten lassen. Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, welche Folgen dies für die künftige Rolle von Theorien und ihre Validierbarkeit sowie für die Erklärbarkeit von Forschungsergebnissen hätte.

In diesem Zusammenhang muss Wissenschaftler/Wissenschaftlerinnen vor allem die Sorge beschäftigen, ob Forschung als genuin menschliches Betätigungsfeld mittelfristig noch Bestand haben wird und welche Rolle den forschenden Akteuren in hybriden Mensch-Maschine-Ensembles bleibt. Verstehen sie sich noch als Urheber des jeweiligen Forschungshandelns oder füllen sie allenfalls noch kognitive oder sensorische Lücken in den jeweiligen Forschungsprojekten? Ein etwaiger Technikpaternalismus, der im Industriesektor bereits angedacht ist (Spath et al. 2012), würde bewährten Forschungsgrundsätzen und -traditionen widersprechen. Die vorliegende Studie greift insbesondere diese Punkte auf.

Spezieller ist auch der Einsatz von KI im Modus des Machine Learning in der Forschung zu hinterfragen, da hierbei die internen Lernprozesse in den künstlichen neuronalen Netzen opak bleiben und somit nicht nachvollziehbar sind (Black Box). Ohne Transparenz kritischer Schritte hin zum finalen Forschungsergebnis wäre aber die Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses als immanente Kernforderung moderner Wissenschaft an sich selbst fraglich. Insoweit könnten sich zukünftig Forschungsergebnisse weitgehend der Kontrolle der Forschenden sowie ihrer gewohnten Validierung in der Wissenschaftsgemeinschaft entziehen. Zu untersuchen ist somit, ob für bestimmte KI-basierte Forschungsleistungen Abstriche an ihre Verlässlichkeit gemacht werden müssen. Die epistemische Robustheit von KI-unterstützter Forschung und Entwicklung ist daher zu klären. Das schließt die Frage ein, welche Aussichten bestehen, „neuronale“ Prozesse von KI und ihre Resultate künftig besser verstehbar zu machen. Für die Qualität und Validität wissenschaftlicher Arbeit ist somit zu klären, ob der Einsatz von KI und Big Data zu effizienterer und weiterhin exzellenter Forschung und Entwicklung führt oder ob man sich damit Defizite in ihrer Erklärbarkeit einhandelt. Im ungünstigen Fall stünden Vertrauen und gesellschaftliche Anerkennung von Wissenschaft auf dem Spiel.

Die wissenschaftsphilosophische Reflexion über KI-unterstützte Forschung zeigt, ob und wo bewährte und anerkannte Forschungspraxen auch künftig erhalten bleiben und wo ein technisch bedingter Wandel – möglicherweise auch disruptiver Art – zu erwarten sind. Beispielsweise könnte dies die Erschließung neuer, bislang nicht zugänglicher Gegenstandsfelder (vergl. Chou et al. 2017) und die künftige Rolle des Experimentierens in der Forschung betreffen, oder auch eine denkbare Verschmelzung von Wissenschaft und Technik zu „Techno-Science“.

Aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive ist zunächst herauszustellen, in welchem Maße sich die allgemein vorausgesagten Konsequenzen der Digitalisierung für die Arbeitswelten (vergl. Frey und Osborne 2013; van Est und Kool 2015) auch auf die Beschäftigungslage auf dem akademischen Arbeitsmarkt übertragen lassen. So sind in diesem Zusammenhang neu entstehende und verlorengehende Berufsbilder und Arbeitsplätze in der Forschung von Interesse sowie deren mögliche Folgen für die sozialen Sicherungssysteme. Hierbei sind auch Fachkräfteangebot und demografische Indikatoren zu beachten.

Auf Mikroebene ist zu fragen, ob „intelligente“ Assistenzsysteme ihr grundsätzliches Potenzial, wissenschaftliches Arbeiten flexibler, effizienter und effektiver zu machen, auch in der Praxis ausspielen können. Auch sei auf den Arbeitsprozess im Forschungsalltag verwiesen, der sich sowohl als kognitiv reizvoll und abwechslungsreich als auch als monoton und einseitig belastend oder gar als überfordernd darstellen könnte. Explorative Umfragen unter Wissenschaftlern/Wissenschaftlerinnen sollen dieser Frage nachgehen und Hinweise geben, ob breite Digitalisierung und künstliche Intelligenz im Arbeitsalltag eine Flexibilisierung hin zu mobiler Arbeit, individuell angepassten Arbeitszeiten oder der Verlagerung von standardisierbaren Aufgaben an KI in der Praxis möglich erscheinen lassen (vergleiche auch Zettel et al. 2014). Auf der anderen Seite kann dieses Angebot gepaart mit hoher intrinsischer Motivation für die eigene Forschung auch in eine an Selbstausbeutung grenzende Bereitschaft für Einsatz und Erreichbarkeit münden. Die sich daraus ergebenden arbeitspsychologischen, und -medizinischen Konsequenzen der weiteren Digitalisierung im Forschungsalltag könnten auch wirtschaftlich bedeutsam werden (vergl. Storm 2017). Schließlich stellt sich die Frage, ob und wie KI-gestützte Arbeit menschengerecht gestaltet werden kann, um nicht nur psychische und physische Belastungen von Forschern/Forscherinnen zu reduzieren, sondern auch deren wissenschaftliche Autonomie im Forschungsprozess künftig zu erhalten.

Aus Regulierungsperspektive stellen sich Fragen durch den zunehmenden Einsatz von KI und Big Data in der wissenschaftlichen Forschung insbesondere hinsichtlich fairer Forschungsevaluation sowie möglicher Konflikte zwischen den Maximen der Wissenschaftsfreiheit einerseits und des Datenschutzes andererseits.

Da KI-basierte Forschung zumeist datenintensiv ist, fragt sich, (a) ob dies das Verhältnis und die Beurteilung von empirischen und reflektierenden Forschungskulturen in der Forschungsevaluation verändert, (b) ob diese Veränderung legitim wäre und ggf. (c) welche Beurteilungsmethoden der Diversität von Fachkulturen im Zeitalter von KI gerecht werden. Parallel dazu sind ggf. bereits bestehende Regulierungsansätze von KI auf ihre Relevanz für forschungsnahe Bereiche hin zu untersuchen. Weiterhin ist das Konfliktfeld von Wissenschaftsfreiheit und Datenschutz zu erkunden, das insbesondere durch die Zweckbindungsnorm der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) für die wissenschaftliche Erhebung personenbeziehbarer Daten gegeben ist. Hier ist im Interesse der Freiheit der Forschung nach legitimen Möglichkeiten des Austarierens und/oder der Lockerung der Zweckbindungsvorschrift zu suchen bzw. in Sonderfällen zu spezifizieren.

Schließlich ist im Zusammenhang mit der Regulierung von KI auch die Legitimität der KI-unterstützten Beurteilung von Wissenschaftlerprofilen im Arbeitsprozess und auf dem Arbeitsmarkt kritisch zu beurteilen.

Die interdisziplinäre Perspektive ist eine reflektierende, die die vorgenannten relevanten disziplinären Perspektiven zum Thema KI in der Forschung aufeinander bezieht und auf das Erkenntnis- und Beratungsinteresse hin weiterentwickelt und integriert. Das Ziel ist eine vorausschauende, prospektive Technikfolgenabschätzung von KI in der forschenden Wissenschaft, die begründbare und legitime Schlüsse für die Handlungsebene ermöglicht.

Entsprechende Vorschläge an die Adressaten in Forschung und Wissenschaft formulieren, welche qualitätssichernden Gestaltungsaufgaben für das Wissenschaftssystem durch die verbreitete Anwendung von KI in der Forschung erwachsen und welche Maßstäbe (z. B. Intersubjektivität) hierfür in Frage kommen und gerechtfertigt sind. Hierfür ist beispielsweise die Frage einschlägig, welche Motive und Normen das künftige Erkenntnisinteresse von Forschung leiten sollen und inwieweit KI-getriebene Forschung transparent sein sollte. Ferner ist zu klären, wie und wo der bewährte falsifikationistische Validierungsmodus moderner Forschung im Zeitalter von KI aufrechterhalten werden kann. Auf der Basis soll dann untersucht werden, welche individuellen Kompetenzen gefördert werden müssen, um „fit für die Zukunft“ in der Wissenschaft zu sein und welche Fähigkeiten dagegen nicht mehr im bisherigen Maß benötigt werden. Daraus lassen sich Hinweise für die strukturelle und inhaltliche Ausgestaltung von Aus- und Weiterbildungsinhalten ergeben. Die Beantwortung der vorgenannten Fragen werden damit auch einen konkreten Beitrag zum forschungspolitischen Anliegen der „Responsible Research and Innovation“ in Europa leisten (vgl. Owen et al. 2013).

1.2 Künstliche Intelligenz: eine Einordnung

1.2.1 Ein Thema von großer öffentlicher Aufmerksamkeit

Die hohe Öffentlichkeitswirksamkeit von KI ist mit überzogenen Erwartungen einerseits sowie mit übertriebenen Befürchtungen andererseits verknüpft. Dazu kommt, dass KI ein beliebtes Thema für Spielfilme ist und dadurch die Gefahr besteht, dass Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen.

Hinsichtlich der Explikation des Begriffs „KI“ existiert eine große Bandbreite an Verständnisweisen und Definitionen. So meinte Herbert Simon, einer der Gründerväter von KI 1965: „Machines will be capable […] of doing any work that a man can do.“ (Allen 2001). Und sein Kollege Marvin Minski prophezeite 1970: „Within 10 years computers won’t even keep us as pets.“ (Allen 2001).

Solche überzogenen Erwartungen und Befürchtungen werden auch heute medienwirksam geäußert. Prominente Vertreter dafür sind Ray Kurzweil, Nick Bostrom, Yuval Noah Harai, Elon Musk, sowie der kürzlich verstorbene Stephen Hawking. So behauptet Ray Kurzweil in (Kurzweil 2015, Kap. 1): „Mit der Singularität werden wir die Grenzen unserer biologischen Körper und Gehirne überschreiten. Wir werden die Gewalt über unser Schicksal erlangen. Unsere Sterblichkeit wird in unseren Händen liegen. Wir werden so lange leben können wie wir wollen (…). Bis zum Ende des Jahrhunderts wird die nichtbiologische Komponente unserer Intelligenz Trillionen Mal mächtiger sein als bloße menschliche Intelligenz“. Die letzte Aussage hatte er übrigens 2005 noch für das Jahr 2045 prognostiziert (vgl. BrainyQuote.com 2021). Anhänger der Denkrichtung des Transhumanismus streben an, Grenzen menschlicher Möglichkeiten, sei es intellektuell, physisch oder psychisch, durch den Einsatz technologischer Verfahren zu erweitern. Von ihnen wird die Erwartung geäußert, dass alle Krankheiten und sogar der Tod mithilfe von Technologien besiegt werden können.

Die meisten professionellen Einschätzungen von KI sind demgegenüber deutlich nüchterner. Auch gibt es keine allgemein in der Wissenschaft akzeptierte Definition von KI. Stattdessen kursieren dutzende Definitionen in der einschlägigen Literatur. Beispielsweise führt die AGI Sentinel Initiative eine Liste von 17 Definitionen für Künstliche Intelligenz im Vergleich zu 17 weiteren Definitionen für menschliche Intelligenz.Footnote 1 So lautet beispielsweise die KI-Definition des United States Defense Science Board (DSB): „Artificial intelligence, the capability of computer systems to perform tasks that normally require human intelligence (e.g., perception, conversation, decision-making).“ (DSB 2016). Entsprechende Definitionen in Enzyklopädien und Wörterbüchern weisen in eine ähnliche Richtung, so z. B. in Encyclopedia Britannica,Footnote 2 The English Oxford Living DictionaryFootnote 3 oder Merriam-Webster.Footnote 4

Für viele Unternehmen hat KI eine strategische Bedeutung. So stammt beispielsweise folgende Aussage von Amazon: „Without ML, Amazon.com couldn’t grow its business, improve its customer experience and selection, and optimize its logistic speed and quality.“ (Marr 2018). Für Google hat Machine Learning hohe Priorität, um intelligentere und nützlichere Technologie zu entwickeln, sowie möglichst viele Menschen zu unterstützen. Ähnlich äußern sich Facebook, IBM und andere Technologie-Konzerne (Marr 2018). Aber auch die deutsche Bundesregierung hat 2018 eine KI-Strategie verabschiedet mit dem Ziel, die Erforschung, Entwicklung und Anwendung von künstlicher Intelligenz in Deutschland auf ein weltweit führendes Niveau zu bringen und zu halten.Footnote 5

1.2.2 KI im Kontext von Automatisierung und Digitalisierung

KI ist ein Teil des umfassenderen Trends der Digitalisierung und der digitalen Transformation, der auf das Ausschöpfen von Potenzialen der Digitaltechnik gerichtet ist. Dies wiederum kann als ein Teil des umfassenderen Trends der Automatisierung gesehen werden, in der menschliche Arbeit von Maschinen übernommen wird. Besonders seit der industriellen Revolution verändert diese Automatisierung in rasanter Weise alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Viele Berufsgruppen sind komplett verschwunden, neue sind entstanden, und Menschen sowie Gesellschaften mussten sich stets an veränderte Gegebenheiten anpassen, die durch technische Entwicklung verursacht wurden. Damit verbunden waren neue Gestaltungsnotwendigkeiten wie -möglichkeiten.

Während im Zuge der industriellen Revolution vorwiegend physische Tätigkeiten von Maschinen übernommen wurden, werden im Zuge der Digitalisierung, insbesondere mit KI-Techniken, zunehmend auch anspruchsvollere Tätigkeiten automatisiert. Beispielsweise können KI-Anwendungen auf Basis bildgebender Verfahren in ausgewählten Bereichen der Medizin menschliche Experten bei der Diagnose von Krankheiten nicht nur in der Geschwindigkeit, sondern auch in der Präzision übertreffen.

KI hat seit der Jahrtausendwende enorme Fortschritte gemacht und wird in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft täglich genutzt. Beispiele dafür sind:

  • Virtuelle Assistenten wie Apples Siri oder Amazons Alexa;

  • Gesichtserkennung in modernen Kamerasystemen;

  • Industrielle Bildverarbeitung;

  • Business Intelligence;

  • Robotik.

Diese großen Fortschritte von KI der letzten Jahre sind im Wesentlichen folgenden vier großen Entwicklungstrends zu verdanken:

  1. 1.

    Immer leistungsfähigere Hardware;

  2. 2.

    Stetig verbesserte KI-Software (Algorithmen, Bibliotheken, Entwicklungsumgebungen, Programmiersprachen);

  3. 3.

    Zunehmende Verfügbarkeit großer Datenmengen, vielfach auf der Basis umfassender Sensorik gewonnen (Big Data);

  4. 4.

    Verbesserter Ausbildungsstand von Software-Entwicklern im Bereich KI.

1.2.3 Definition von KI

In Ermangelung einer allgemein anerkannten Definition von KI, geben wir hier eine Definition an, welche wir für das gemeinsame Verständnis dieser Studie verwenden:

Künstliche Intelligenz bezeichnet die Fähigkeit von Computersystemen, auf sie zugeschnittene Aufgaben selbsttätig zu lösen, die aufgrund ihrer Komplexität bislang menschliche Fähigkeiten erforderten.

Diese Definition lehnt sich an die Definition des Defence Science Board (DSB 2016), sowie an zahlreiche ähnliche Definitionen an. Computersysteme können dabei Anwendungen auf PCs, Tablets oder Smartphones sein, aber auch Roboter, eingebettete Systeme, Wearables, etc. Es ist in dem Zusammenhang wichtig darauf hinzuweisen, dass Computersysteme mit KI-Fähigkeiten gemäß dieser Definition nicht intelligent sind, sondern lediglich in der Lage sind, bestimmte anspruchsvolle Aufgaben zu lösen. Diese Aufgaben setzten bislang exklusiv menschliche Fähigkeiten des Wahrnehmens (Sehen, Hören, Fühlen etc.), Lernens, Wissens, Denkens, Kommunizierens (Sprechen, Schreiben etc.) und Handelns voraus. KI-Systeme ahmen diese Fähigkeiten nach und führen so – im Rahmen ihrer bestimmungsgemäßen Möglichkeiten – komplexe Problemlösungen automatisch durch. Siehe zur Illustration die folgende Abb. 1.1.

Abb. 1.1
figure 1

Fähigkeiten intelligenten Verhaltens. (Quelle: Humm 2020) (Abb. 1.1 verändert nach „Artaxerxes“ gemäß der geltenden Creative-Commons-Lizenz. Original: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Our_Community_Place_Sandbox.jpg)

Beispiele für solche KI-Systeme sind selbstfahrende Autos oder virtuelle Assistenten wie Apples Siri oder Amazons Alexa. Virtuelle Assistenten simulieren dabei die Fähigkeiten des Hörens (Spracheingabe, z. B. „Alexa, mach den Fernseher an“), des Sprechens (Sprachausgabe), sowie des Handelns (z. B. Fernseher einschalten). Selbstfahrende Autos ahmen die Fähigkeiten des Sehens (Verarbeitung von Kamerabildern sowie weiteren Sensordaten), des Lernens (z. B. Erkennung von Stoppschildern), des Wissens (z. B. über Verkehrsregeln), sowie des Handelns (z. B. Ansteuerung von Gas, Bremse und Lenkrad) nach.

1.3 Wissenschaftliches Arbeiten als Teilbereich der Wissensarbeit

Die Auswirkungen der Digitalisierung und des Einsatzes von KI-Methoden auf wissenschaftliche Arbeit lassen sich erst abschätzen, wenn ein grundlegendes Verständnis der charakteristischen Merkmale dieser Arbeit vorliegt. Die wissenschaftliche Arbeit zeigt viele Parallelen zur Wissensarbeit auf, zu der bereits viele arbeitswissenschaftliche Untersuchungen vorliegen (vgl. Arlinghaus 2017).

Wissensarbeit beinhaltet zunächst einmal allgemein die Verarbeitung von Informationen und die Anwendung von Wissen. Darüber hinaus zeichnet sie sich jedoch auch durch eine hohe Selbstständigkeit einerseits und eine gewisse Unsicherheit andererseits aus. Sie ist ferner komplex, kommunikationsintensiv und umfasst routinierte ebenso wie kreative Tätigkeiten. Insofern kommt hier – zumindest partiell – auch die Erzeugung von neuer Information hinzu.

Es soll in dieser Studie argumentiert werden, dass wissenschaftliche Forschung eine spezielle Form der Wissensarbeit darstellt. Forschende sind in diesem Sinne als hoch qualifizierte Fachkräfte zu bezeichnen, die ihr Wissen anwenden, um neues Wissen oder ambitionierte wissenschaftliche Methoden zu entwickeln. Es wird ferner davon ausgegangen, dass sich wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Forschung durch ein hohes Maß an Innovationsarbeit auszeichnet und dass wissenschaftliches Arbeiten von ausgesprochen hoher Selbstständigkeit, ergebnis- und prozessbezogener Unsicherheit und Kommunikationsintensität geprägt ist, das letztendlich auf die Bildung neuer wissenschaftlich begründeter Erkenntnis gerichtet ist.

1.4 KI in wissenschaftlicher Forschung

Wie im Privat- und Geschäftsleben sind KI-Anwendungen auch in der Wissenschaft und Forschung mittlerweile vielfältig im Einsatz. Beispiele hierfür sind:

  • Theorieentwicklung in der Teilchenphysik auf der Basis von Data Mining Technologien und maschinellem Lernen;

  • Mustererkennung in der Klimaforschung;

  • Prognose von Epidemien in der Medizin.

Der zunehmende Einsatz von KI lässt folgende positive Effekte für die Forschung erwarten:

  1. 1.

    Forschungsaktivitäten können nun mittels KI effizient durchgeführt werden, die bislang nicht praktikabel waren. Beispiel hierfür ist die Extraktion und Korrelation von Daten aus unterschiedlichen Quellen bzw. Forschungsdatenbanken.

  2. 2.

    KI erlaubt solche Analysen, die bislang unmöglich waren. Beispielsweise kann hierfür die individualisierte Genomanalyse für bestimmte medizinisch-therapeutische Zwecke ins Feld geführt werden.

  3. 3.

    Forschende werden durch KI bei der Hypothesenfindung und Modellbildung unterstützt. So kann Maschinelles Lernen und Data Mining z. B. zur Aufdeckung bislang verborgener Korrelationsmuster beitragen. Dabei kann von den Forschenden bereits das Aufdecken verborgener Muster prognostisch genutzt werden – auch abseits der Erkenntnisbildung über zugrunde liegende kausale Erklärungen.

Die vorliegende Studie wird klären, inwieweit der Mensch hierbei handelnder Akteur in der wissenschaftlichen Forschung bleibt und ob und inwieweit KI-Anwendungen dabei die Rolle von neuartigen Werkzeugen einnehmen werden. An dieser Stelle sei vermerkt, dass bereits die mächtigen Werkzeuge in der Wissenschaftsgeschichte fundamentale Änderungen von neuen Methoden und Erkenntnissen hervorgerufen und ganze Wissenschaftszweige begründet haben. Beispielsweise hat die Erfindung des Mikroskops die Biologie und Medizin revolutioniert und das Gebiet der Molekularbiologie erst ermöglicht. Dennoch könnte sich der Werkzeugcharakter von bestimmten KI-Instrumenten grundlegend anders darstellen. Waren alle bisherigen Werkzeuge in der Geschichte der Wissenschaften kausale, stabile Maschinen, die im Prinzip transparent und kausal erklärbar waren, wäre hier nun zu untersuchen, ob und inwieweit sich dies bei KI-Werkzeugen aufgrund ihrer Komplexität, ihrer Dynamik, und Autonomie, sowie der Unklarheit der Systemgrenzen der Untersuchungsobjekte verändern wird.

In den folgenden Kapiteln analysieren die Autoren/Autorinnen aus Perspektive verschiedener einschlägiger Disziplinen mögliche Chancen und Herausforderungen von KI für die wissenschaftliche Forschung und machen Gestaltungsvorschläge für ihre wünschbare Einbettung.