4.1 Problemstellung

Zunehmende Digitalisierung und vernetzte Kommunikationsinfrastrukturen haben für viele Unternehmen die Voraussetzungen geschaffen, um sog. virtuelle Teamarbeit zu nutzen: Beschäftigte arbeiten dabei an unterschiedlichen geografischen Orten in einem Team an einer gemeinsamen Aufgabe oder Problemlösung zusammen, und setzen dafür IT-gestützte Kommunikationsmedien in variabler Form und Intensität ein (vgl. Boos et al. 2017; Kauffeld et al. 2016, S. 44 f.; Gilson et al. 2015, S. 1317). In den letzten Jahren haben Videokonferenzsysteme und Plattformen, die mobile Endgeräte für den Austausch unterschiedlicher Datentypen einbinden können, weite Verbreitung gefunden (vgl. Roth und Müller 2017). Dies wirkt sich auf die Tätigkeiten der Teams aus. Die Unternehmen nutzen das zeit- und ortsunabhängige Arbeiten, um weltweit Kompetenzen zu erschließen, Kosten zu reduzieren und interne Abläufe zu beschleunigen (vgl. u. a. Manager Monitor 2017; PAC Group 2015; SHRM 2012).

Zur aktuellen Verbreitung dieser Arbeitsform in Deutschland gibt es unseres Wissens nach keine repräsentativen Untersuchungen, die verfügbaren Daten geben insofern eher grobe Orientierungen: Akin und Rumpf (2013, S. 377 f.) ermittelten bei einer Führungskräftebefragung, dass 75 % der Unternehmen (mit Hauptsitz in Deutschland) bzw. 81 % (mit Hauptsitz im Ausland) virtuelle Teams nutzten. Ähnliche Werte ermittelte auch der Manager Monitor (2017), zudem habe die Vertrautheit mit dieser Arbeitsform in den letzten Jahren bei den Befragten weiter zugenommen, was auf eine intensivere Nutzung hindeute. Virtuelle Teamarbeit hat sich offensichtlich zu einer in vielen Unternehmen genutzten, alltäglichen Form von Arbeit entwickelt (vgl. PAC Group 2015). Es ist anzunehmen, dass es, getrieben durch die fortschreitende Digitalisierung und Tertiarisierung, aber auch im Nachgang der aktuellen Corona-Krise sowie durch die arbeitspolitische Diskussion über ein Recht auf Homeoffice-Nutzung zur weiteren Verbreitung virtueller Team- und Projektarbeit kommen dürfte.

Diese Arbeitsform ist durch spezifische Herausforderungen gekennzeichnet, die sich als Anforderungen und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten niederschlagen. Hierzu gibt es zwar mittlerweile Forschungsbefunde in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (u. a. Kordsmeyer et al. 2019; Gilson et al. 2015; Malhotra und Majchrzak 2014; Maynard et al. 2012)Footnote 1, insbesondere die Arbeitssituation der operativen Führungskräfte (opFk) in virtuellen Teams erweist sich allerdings als Forschungsdesiderat: Empirische Untersuchungen zur Arbeitssituation der opFk im deutschsprachigen Raum fehlen, soweit uns bekannt, bisher gänzlich für virtuelle Teamarbeit (vgl. Gilson et al. 2015, S. 1330; Syrek et al. 2013). Als opFk werden im Folgenden Team- und Projektleitende bezeichnet, wobei Teamleitende – je nach Organisation – disziplinarisch und fachlich für ‚ihr‘ Team verantwortlich sind, während Projektleitende ihr(e) Projekt(e) zeitlich befristet leiten. In der bisherigen Forschung wird den opFk eine zentrale Rolle für Erfolg und Leistungsfähigkeit, aber auch für die Gesundheit der virtuell arbeitenden Teams zugeschrieben (vgl. Boos et al. 2017; Antoni und Syrek 2017; Hoegl und Muethel 2016, S. 8; Hoch und Kozlowski 2014; Akin und Rumpf 2013, S. 379).

Gegenstand in diesem Teilprojekt des vLead-ForschungsverbundsFootnote 2 (vgl. die Beiträge von Antoni et al. und Hellert et al. in diesem Band) ist es vor diesem Hintergrund, für virtuell arbeitende opFk – exemplarisch in den Bereichen IT-Services bzw. Softwareentwicklung – zu untersuchen, wie deren Arbeitsbedingungen aussehen. Die IT-Branche bietet sich für ein exploratives Vorgehen besonders an, weil sie in der Nutzung der technischen Infrastruktur für verteiltes Arbeiten weit fortgeschritten ist (vgl. Roth und Müller 2017, S. 49 ff.).

Ziel des Teilprojekts ist es, Arbeitsbedingungen (Rahmenbedingungen), Belastungen und Ressourcen (vgl. Abschn. 3.1) der opFk explorativ zu untersuchen, um darauf aufbauend angepasste Maßnahmen bzw. Bausteine für ein präventives Ressourcenmanagement zu entwickeln, die die Leistungsfähigkeit und Gesundheit dieser Führungskräfte fördern bzw. erhalten sollen. Praktisches Ziel war es dabei, deren individuelle Handlungsfähigkeit durch Reflexion sowie durch besseres individuelles Ressourcenmanagement zu verbessern, wodurch sowohl der Erhalt der Arbeits- und Leistungsfähigkeit als auch die Effizienz und Effektivität der Arbeit unterstützt werden sollen. Dafür wurde u. a. ein leicht handhabbarer Fragebogen auf Screening-Niveau entworfen, der bei sog. Feedbackgesprächen mit den opFk eingesetzt wurde. Aufbauend auf den dabei gewonnenen Informationen wurden in diesen Gesprächen konkrete Vorschläge für Maßnahmen im Arbeitsumfeld oder bei der individuellen Arbeitsweise der opFk erarbeitet. Erste Ergebnisse, die im Rahmen der Gespräche mit dem Fragebogen erhoben wurden, werden im Folgenden dargestellt. Dabei stehen in diesem Beitrag drei Fragen im Vordergrund:

  1. 1.

    Welche spezifischen Herausforderungen stellen sich für operative Führungskräfte bei der Führung virtueller Teams bzw. der Arbeit in virtuellen Umgebungen?

  2. 2.

    Wie ist die Ressourcen- und Belastungssituation der opFk und wie unterscheidet sich diese zwischen höher und weniger beanspruchten opFk?

  3. 3.

    Welche Ansatzpunkte gibt es dabei für Verbesserungen der individuellen Arbeitssituation?

Im Weiteren werden zunächst die spezifischen Anforderungen an operative Führungskräfte in virtuellen Arbeitsumgebungen skizziert. Aufbauend darauf werden erste Befunde zur Ressourcen- und Belastungssituation der befragten opFk dargestellt. Aus diesen ersten Befunden werden schließlich Ansatzpunkte für Ressourcenmanagement und Arbeitsgestaltung abgeleitet.

4.2 Aktuelle Herausforderungen der operativen Führungsarbeit in virtuellen Teams

Für die operativen Führungskräfte ist charakteristisch, dass sie an einer multiplen Schnittstelle tätig sind und zwischen den unterschiedlichen Perspektiven und Interessen der internen sowie externen Kunden, dem strategischen Management (z. B. bei Ressourcenallokation bzw. Budgetfragen) und den jeweils ausführenden Teams vermitteln müssen (vgl. Latniak 2017). Ihre Tätigkeit lässt sich deshalb als kommunikationsintensives und spannungsreiches ‚Widerspruchsmanagement im Alltag‘ charakterisieren: OpFk kommt in virtuellen Teams die Aufgabe zu, die teilweise widersprüchlichen Vorgaben, Bedingungen und Ziele vereinbar zu machen (‚Scharnierposition‘) und dabei überwiegend digital vermittelte Kommunikationsformen zu nutzen. Die konkreten Aufgabenstellungen variieren dabei erheblich; es gibt kaum einheitliche Aufgabenstrukturen, und auch die inhaltlich-fachliche Ausrichtung der Tätigkeiten ist ausdifferenziert.

Dabei mehren sich die Hinweise darauf, dass diese Konstellation zumindest bei einem relevanten Teil der opFk zu kritischen Beanspruchungssituationen beiträgt. So ermittelten u. a. Pangert und Schüpbach (2011), dass in den unteren Führungsebenen die Ressourcen geringer, die Stressoren stärker ausgeprägt waren als bei anderen Beschäftigtengruppen. Unterschiede fanden sich ebenfalls bei den Beanspruchungswerten, die bei den unteren Führungskräften höher ausfallen (a. a. O., S. 76). Dies wird durch Befunde von Zimber et al. (2015) sowie frühere eigene Untersuchungen bestärkt (Latniak 2017).

Vor welchen spezifischen Herausforderungen stehen die opFk in virtuellen Arbeitsumgebungen? Um die Anforderungen konkreter zu fassen wurden in einer Vorstudie auf Basis einer Literaturübersicht und ergänzender Interviews zur Arbeitssituation spezifische Herausforderungen herausgearbeitet, denen sich Team- und Projektleitende in virtuellen Teams gegenübersehen. Charakteristisch für die Arbeitssituation opFk in virtuell arbeitenden Teams sind auf dieser Basis die folgenden Aspekte:

  1. 1.

    Die opFk sind von der Motivation und Kooperationsbereitschaft der Teammitglieder für die Lösung gemeinsamer Aufgaben abhängig. Die Autonomie in der Arbeitsausführung und die Homeoffice-Nutzung erschweren es den opFk einerseits, Transparenz und Kontrolle über die jeweilige Arbeitsleistung der Teammitglieder zu gewinnen. Dies ist eine Quelle von Unsicherheit in der Kommunikation und in der Steuerung der Prozesse (vgl. Breuer et al. 2017). Der Team-Erfolg ist von der Leistungsbereitschaft der Teammitglieder abhängig (vgl. Boes und Kämpf 2019, S. 198), was die Steuerung und Kontrolle virtueller Teams anspruchsvoll macht, da auch bei Konflikten die Kooperation im Team gesichert werden muss. Gelingt die Integration der unterschiedlichen Perspektiven nicht, kann das zu psycho-sozialen Spannungen, emotionalen Belastungen und in der weiteren Bearbeitung zu Zusatzaufwänden beitragen. Im Gegensatz dazu können funktionierende Teams (durch Bereitstellen von Unterstützung) eine soziale Ressource darstellen.

  2. 2.

    In virtuellen Teams ist Personalführung tendenziell aufwendiger als dies bei traditioneller Führung der Fall ist. Einerseits schlägt sich der Vertrauensaufbau bei fehlenden direkten Kontakten häufig als Zusatzaufwand nieder (Breuer et al. 2017), etwa durch ergänzende Telefonate oder zusätzliche ‚reale‘ Treffen. Andererseits besteht bei Teammitgliedern, die ausschließlich im Homeoffice arbeiten und medienvermittelt kommunizieren, das Risiko in eine soziale Isolation zu geraten. Ob eine solche entsteht, ist in virtuellen Arbeitskontexten schwerer zu erkennen, und es muss dem bewusst entgegen gesteuert werden.

  3. 3.

    Durch die medienvermittelte Kommunikation liegt eine kontinuierliche Einbindung der opFk in parallele Informationsflüsse nahe (vgl. u. a. Seidler et al. 2018; Gilson et al. 2015, S. 1327), die in ein quasi ungeregeltes Multitasking führen kann. Einerseits sind störende Unterbrechungen, gerade bei der Bearbeitung konzentrationsintensiver Aufgaben, kaum vermeidbar, wenn parallel z. B. Chats genutzt werden. Gleichzeitig verkürzen sich die erwarteten Reaktionszeiten auf Anfragen; insgesamt ist von einer zunehmenden Dynamisierung der Abläufe auszugehen (vgl. insg. Korunka und Hoonakker 2014), die mit Zeitdruck oder mit Regulationshindernissen (wie z. B. Arbeitsunterbrechungen und informationsbezogener Mehraufwand, vgl. Ulich 2011, S. 127) einhergehen kann. Andererseits droht – bedingt durch die jeweiligen Arbeitszeiten bei weltweit verteilten Teams – eine zeitliche Ausdehnung der Arbeit in die Morgen- oder Abendstunden für notwendige Teamtreffen und Kommunikation. Damit verschwimmt die Abgrenzung zwischen Phasen der Arbeit und Phasen der Regeneration, die sich in einer Work-Life-‚Imbalance‘ niederschlagen kann.

  4. 4.

    Die IT-technischen Kompetenz-Anforderungen an opFk steigen, insbesondere wenn Groupware- oder Kollaborationssysteme neu eingeführt werden oder nicht gut in die technische Arbeitsumgebung integriert sind. Sie sind für die opFk zentrales Arbeitsmittel und müssen sicher beherrscht werden (vgl. den Beitrag von Hardwig et al. in diesem Band; zur Nutzung neuer Medien vgl. Gilson et al. 2015, S. 1323 ff.). Dies kann sich arbeitserleichternd auswirken; hier können aber auch Quellen für Regulationsbehinderungen (Ulich 2011, S. 126) liegen. In unseren Interviews erwies sich gerade die Möglichkeit zur Einarbeitung in neue Tools als eine kritische, weil knappe Größe. Neue Systeme und Kommunikationswege ersetzen dabei i. d. R. nicht die bereits vorhandenen Mittel, sondern ergänzen die Bisherigen: Diese parallele Nutzung mehrerer Kommunikationskanäle trägt zur Wahrnehmung von informationeller Überlastung bei, der sich die opFk ausgesetzt sehen (vgl. Schulz-Dadaczynski et al. 2019, S. 281; Drössler et al. 2018; Antoni und Ellwarth 2017; Eppler und Mengis 2004).

  5. 5.

    OpFk sind durch ihre Position in der Organisation in einer Doppelrolle als Geführte und Führende: Häufig werden sie selbst virtuell geführt. Damit fällt z. B. eine kurzfristige Rückmeldung durch die Vorgesetzten als mögliche Ressource aus. Unterstützung ‚von oben‘ ist unter solchen Bedingungen nicht zeitnah verfügbar (vgl. Roth und Müller 2017). An dieser Stelle sind Rollen- und Zielklarheit sowie Unterstützung durch die eigenen Führungskräfte als Ressourcen (durch z. B. Feedback und Wertschätzung) bzw. – bei Fehlen derselben – als potenzieller Stressor zu berücksichtigen.

  6. 6.

    Meist ist die Position einer operativen Führungsaufgabe eine erste Bewährung für die weitere berufliche Entwicklung, die entsprechend gut bewältigt werden soll. Eine große Motivation der opFk für ihre Tätigkeit kann dazu beitragen, dass sie sich in die Tätigkeit auch mit großer Energie einbringen – oder in die Gefahr „interessierter Selbstgefährdung“ (Krause et al. 2015) geraten; gemeint ist damit ein Verhalten, bei dem Beschäftigte sich bewusst gesundheitsschädigend verhalten, um Misserfolge zu vermeiden. Dabei werden quasi die Leistungs- und Verhaltensmuster Selbstständiger von abhängig Beschäftigten übernommen.

Als weitere Herausforderung zeichnet sich für die opFk die zunehmende Verbreitung agiler Methoden der Softwareentwicklung und des Projektmanagements ab, die u. a. auch in einem der kooperierenden Unternehmen begonnen wurde. Mit den veränderten Rollen (wie z. B. Scrum Master oder Project Owner) und den anderen Ablaufstrukturen entstehen für die opFk neue Führungsanforderungen, die quer zum bisher im Unternehmen etablierten Führungshandeln liegen. Wie dies in virtuellen Arbeitskontexten in den Unternehmen umgesetzt werden kann und welche Bedingungen sich für die Beschäftigten und die opFk daraus ergeben ist eine offene Forschungsfrage (vgl. u. a. Boes und Kämpf 2019).

Diese Herausforderungen machen virtuelle Führung tendenziell zeit- und ressourcenintensiver als direkte Führung (vgl. Hoch und Kozlowski 2014), denn vieles, was in lokalen Teams in der direkten Interaktion emergent entsteht, muss in virtuellen Arbeitszusammenhängen bewusst hergestellt werden und führt zu zusätzlichen Arbeitsaufwänden. Gleichzeitig deutet sich anhand der skizzierten Spannungsverhältnisse an, dass die jeweils konkrete Ausprägung nicht ein-für-allemal gesetzt, sondern der Reflexion und Veränderung durch die Handelnden zugänglich ist. Insofern bietet sich hier durch Belastungsabbau bzw. ein entsprechendes Ressourcenmanagement die Möglichkeit, zu verbesserten Arbeitsbedingungen der opFk beizutragen.

4.3 Elemente eines Ressourcenmanagements für operative Führungskräfte

Vor diesem Hintergrund haben wir aufbauend auf den Befunden der Literaturanalyse und der Interviews mit opFk und Unternehmensvertretern relevante Ressourcen- und Belastungsfaktoren für den Screeningbogen ausgewählt und in den anschließenden Feedbackgesprächen erhoben. Die überarbeitete Endfassung des Instruments und die erarbeiteten Gestaltungsempfehlungen werden nach Projektende über die Webseite des Projekt verfügbar gemacht.

4.3.1 Ressourcen- und Belastungskonzept

Dabei verstehen wir Ressourcen als Handlungspotenziale, die von den Beschäftigten funktional unterstützend zur Bewältigung ihrer Anforderungen oder zur Reduzierung von Belastungen bzw. psychischer Kosten genutzt werden können (vgl. insg. Gerlmaier 2019a, S. 95 ff.). Wir gehen im Sinne des relationalen Belastungs- und Ressourcenkonzepts davon aus (vgl. Moldaschl 2005; Gerlmaier und Latniak 2007), dass Ressourcen nicht universell in allen Situationen als solche wirken, sondern erst im konkreten Gebrauch ihren Ressourcencharakter entfalten und insbesondere ihre stressreduzierende Wirkung von äußeren Bedingungen der Arbeitssituation bzw. der Handelnden abhängig sind.

Als mögliche situative Quellen gesundheitsförderlicher Ressourcen, die betrieblich beeinflusst werden können, unterscheiden wir im Anschluss an Gerlmaier (2019a) a) arbeitsorganisatorische und kapazitätsbezogene Ressourcen (kurz: ‚Arbeitsressourcen‘), die aus der Gestaltung des Arbeitssystems resultieren und z. B. in Form von Handlungs- und Gestaltungsspielräumen, Kapazitätspuffern oder Arbeitstandems (vgl. Gerlmaier 2019c) stressreduzierend wirken können.Footnote 3 Zweite wichtige Ressourcenquelle sind b) soziale Ressourcen, wie das soziale Klima im Team bzw. in der Organisation, soziale Unterstützung durch Kolleg*innen, oder ein unterstützendes Führungsverhalten des/r Vorgesetzten, für die jeweils stressmindernde Wirkungen als nachgewiesen gelten. c) Daneben gibt es Qualifikationsressourcen, die z. B. durch arbeitsimmanentes Lernen präventive Effekte in kritischen Situationen entfalten können. Hinzu kommen schließlich d) persönliche und Bewältigungsressourcen, die der Aufrechterhaltung der Gesundheit dienen können, wie etwa Selbstwirksamkeitserwartungen, Selbstmanagementfähigkeiten oder Erholungskompetenz. Sie wirken im Umgang mit den Anforderungen im Rahmen der organisatorisch vorgegebenen Möglichkeiten bei Nutzung problemlösend, belastungsreduzierend oder die Regeneration unterstützend.

Wir schließen uns darüber hinaus für die Entstehung psychischer Belastungen an das Konzept widersprüchlicher Arbeitsanforderungen an (vgl. Moldaschl 2005), das postuliert, dass psychische Belastungen in der Arbeit aus spezifischen Widersprüchen zwischen Anforderungen, Regeln und Ressourcen in der Arbeit entstehen, die von den Betroffenen dann nicht gelöst oder bearbeitet werden können (Einschränkung von Bewältigungsmöglichkeiten). Für den IT-Bereich wurden dafür 5 Widerspruchstypen identifiziert und operationalisiert (vgl. Gerlmaier und Latniak 2007, S. 135 ff.): Neben 1) widersprüchlichen Zielen in der Arbeit sind dies 2) Widersprüche zwischen Arbeitsanforderungen und Ausführungsbedingungen, 3) zwischen Aufgaben und Aneignungsbedingungen (Lernbehinderungen), 4) zwischen subjektiven Erwartungen und betrieblichen Zielen sowie 5) zwischen Arbeits- und Lebensweltanforderungen (Work-Life-Balance). Stress und Fehlbelastungen sind nach diesem Verständnis Resultat einer unzureichenden Ressourcensituation für die Bewältigung der Anforderungen bzw. Folge widersprüchlicher Konstellationen von Anforderungen, Regeln und Ressourcen in der Arbeit.

Die für den Screeningbogen ausgewählten Indikatoren genügen damit zwei Kriterien: Zum einen werden Indikatoren berücksichtigt, die im Rahmen der Vorstudie (Literaturauswertung, Interviews) als relevante Belastungs- und Ressourcenfaktoren identifiziert wurden. Hierzu zählten neben den skizzierten Spezifika virtueller Führung auch ‚klassische‘ Regulationsbehinderungen wie z. B. Zusatzaufwand, Arbeitsunterbrechungen oder Zeitdruck, die oft durch individuelle Mehrarbeit kompensiert werden. Gleichzeitig sollte das Instrument relativ kurz bleiben, um ein zügiges Ausfüllen zu Beginn der Gespräche zu ermöglichen. (vgl. o., sowie Kordsmeyer et al. 2019). Zum anderen sind je mindestens eine Kurzskala bzw. ein Item der konzeptionell entwickelten Belastungs- und Ressourcentypen im Instrument berücksichtigt, um so ein möglichst breites Spektrum von Faktoren abzudecken. Auf Basis der Vorstudie (Literaturauswertung, Interviews) haben wir kapazitätsbedingte Aspekte (wie Zeitdruck, Work-Life-Balance), die informationsbezogenen Faktoren, Rollenklarheit und die Lerndimension berücksichtigt. Zum anderen standen individuelle Handlungspräferenzen im Fokus, die für die Feedbackgespräche gute Ansatzpunkte für unmittelbar umsetzbare Handlungsmöglichkeiten erschließen sollten.

4.3.2 Instrument und Stichprobe

Insgesamt haben wir für den Screeningbogen folgende Ressourcenaspekte übernommen (Tab. 4.1):

Tab. 4.1 Ausgewählte Ressourcen

Für die Belastungen wurden folgende Aspekte berücksichtigt (Tab. 4.2):

Tab. 4.2 Ausgewählte Belastungen

Die Beantwortung erfolgte jeweils anhand angepasster 5-stufiger Vorgaben. Daneben wurden Fragen zu den individuellen und organisatorischen Rahmenbedingungen gestellt (u. a. zu Arbeitszeit und -orten, Zeitdifferenzen im Team, sowie Einschätzungen zu Teamkapazität/-stabilität/-kompetenzen) (vgl. Chudoba et al. 2005; Boos et al. 2017; Reif et al. 2018; Smith et al. 2011). Ergänzt wurde dies Output-seitig durch Fragen zur arbeitsbedingten Motivierung, psychischem Erleben (Stress/Burnout) und Befindensbeeinträchtigungen als Beanspruchungsaspekten (u. a. Hacker und Rheinhold 1999; Mohr et al. 2005 in der Fassung von Gerlmaier 2011; Maslach und Jackson 1984 in der Fassung von Böhm et al. 2017; Fahrenberg 2004 in der Fassung von Gerlmaier 2011).

Eingesetzt wurde der Screeningbogen in der zweiten Jahreshälfte 2019 in insgesamt 24 Feedback-Gesprächen. Diese wurden überwiegend im direkten Kontakt geführt (23 Gespräche erfolgten face-to-face sowie eines video-basiert). Die Gespräche dauerten jeweils zwischen 90 und 120 min. Zu Beginn der Gespräche wurde der Screeningbogen von den Gesprächspartner*innen ausgefüllt.

Die Teilnehmenden kamen aus insgesamt 3 Unternehmen, davon ein großes IT-Service-Unternehmen, eine IT-Service-Tochterfirma eines großen produzierenden Konzerns, sowie einer Forschungseinrichtung. 23 Teilnehmende waren im IT- bzw. Softwareentwicklungsbereich tätig, ein/e Teilnehmende/r arbeitete in einem Forschungsbereich. Von den Teilnehmenden waren rund 71 % männlich, 29 % weiblich, etwa 55 % hatten ein oder mehrere Kinder, die im Haushalt lebten. 50 % der Befragten waren zum Befragungszeitpunkt zwischen 51 und 60 Jahren alt, 33,3 % zwischen 41 und 50, 12,5 % zwischen 31 und 40 Jahren, 4,2 % waren älter als 60 Jahre. 25 % der Teilnehmenden verfügten über bis zu 5,5 Jahre, die anderen 75 % bis zu 25 Jahre Führungserfahrung. Dabei waren rund 67 % der Teilnehmenden disziplinarisch für ihre Teams verantwortlich; die Hälfte der Gesprächspartner*innen war (z. T. zusätzlich) projektleitend tätig, wobei diese Teilnehmenden zudem in der Regel mehr als ein Projekt leiteten. Die Mehrzahl der Befragten (ca. 71 %) hatte dabei mehr als 10 Mitarbeitende in ihrem wichtigsten Projekt.

4.4 Ergebnisse

4.4.1 Kontext der Befunde: Rahmenbedingungen und Arbeitssituation

Virtuelle Teamarbeit ist für die befragten opFk weitgehend routinisiert und gelebter Alltag. Ihre Arbeit vollzieht sich primär digital vermittelt über Kollaborationsplattformen, Chats, E-Mail, Video- bzw. Telefonkonferenzen. Die Homeoffice-Nutzung wurde in einem IT-Dienstleistungsunternehmen (IT-Tochter eines großen Industriekonzerns, in dem wir die überwiegende Mehrzahl der Gespräche geführt haben) durch ein Desk Sharing-Konzept bei der Raumnutzung forciert; den Beschäftigten standen dort keine individuellen lokalen Büro-Arbeitsplätze mehr zur Verfügung. Es zeigte sich, dass sich ein Mix aus unterschiedlichen räumlichen Konstellationen eingespielt hat: Rund 71 % der Befragten arbeiten selbst mindestens einmal wöchentlich vom Homeoffice (oder anderen Orten) aus.

Charakteristisch sind dort international zusammengesetzte Teams mit großen Zeitzonendifferenzen sowie kulturellen und sprachlichen Unterschieden. Mitarbeitende aus unterschiedlichen Unternehmensstandorten, von Dienstleistern sowie alternierend Telearbeitende sind eingebunden (‚hybride‘ Teams). Rund 75 % der Befragten arbeiten dabei täglich mit Personen zusammen, die eine andere Sprache (als Muttersprache) sprechen, und rund 63 % arbeiten täglich mit Beschäftigten aus unterschiedlichen Zeitzonen zusammen, was zu entsprechenden Restriktionen bei der Meeting-Planung beiträgt.

Die dafür notwendige technische Infrastruktur läuft aus Sicht der Befragten zufriedenstellend; lediglich individuelle technische Bedingungen einzelner Teammitglieder (z. B. instabile Leitung, mangelhaftes WLAN) führen hier zu Einschränkungen. Die Einschätzung der genutzten digitalen Medien durch die opFk ist überwiegend positiv, wobei Unterschiede hinsichtlich der digitalen Kommunikation im deutschen Sprachraum (83 % ‚gut/sehr gut‘), über unterschiedliche Zeitzonen (61 %) und bei der Kommunikation mit Personen mit anderem sprachlichen oder kulturellen Hintergrund (54 %) festzustellen sind.

Das Arbeitsumfeld der Teilnehmenden ist hoch dynamisch: Es ist durch häufige Restrukturierungsmaßnahmen und Änderungen in der Teambesetzung gekennzeichnet. Die letzten 6 Arbeitsmonate der Teilnehmenden waren geprägt von Veränderungen in der Teambesetzung (ja: 88 % der Teilnehmenden), Restrukturierungsmaßnahmen am Standort (75 %), Wechsel in den Arbeitsaufgaben/im Aufgabenfeld (46 %,) und häufig wechselnden Aufgabenprioritäten und Ziele bei den opFk und in ihrem Team (immer/oft: 50 %). Lediglich technisch verursachte Probleme traten vergleichsweise selten auf (25 % immer/oft).

Motivation und Kompetenz ihrer Teammitglieder für die anstehenden Aufgaben haben die Teilnehmenden als gut oder sehr gut bewertet (rund 67 % bei der Kompetenz; 71 % bei der Motivation). Problematischer wird hingegen die Personalkapazität für die anstehenden Aufgaben gesehen; hier gaben etwa 30 % der Teilnehmenden an, dass diese ‚schlecht/sehr schlecht‘ sei.

Die Befragten arbeiten damit in einem hoch dynamischen organisatorischen Umfeld, das bis in die individuellen Aufgabenzuschnitte hinein häufigen Veränderungen unterworfen ist, und dies unter kritischen Kapazitätsvoraussetzungen bei etwa einem Drittel der Befragten.

4.4.2 Ansatzpunkte für das Ressourcenmanagement

Im Folgenden werden die explorativen deskriptiven Befunde zu den Belastungen von opFk und deren Nutzung von Arbeits- sowie Bewältigungsressourcen auf Item-Ebene dargestellt. Im Anschluss daran wird untersucht, ob es erkennbare Unterschiede zwischen höher und weniger beanspruchten opFk gibt: Dafür wurde ein Mediansplit auf Grundlage der verwendeten Items/Skalen zu Beanspruchung (Stress/Burnout) durchgeführt (vgl. o.), um die Vergleichsgruppen zu bilden, die 11 (niedrigere Beanspruchungswerte) bzw. 13 Personen (mit höheren Werten) umfassten.

Betrachtet man zunächst die Angaben zu den psychischen Belastungen, so zeigt sich, dass 1) Unterbrechungen bei der Arbeit durch Personen und Telefonate und 2) das Erledigen beruflicher Dinge außerhalb der Arbeitszeit mit jeweils rund 71 % am häufigsten („trifft völlig/eher zu“) genannt werden, gefolgt von 3) Problemen an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen („Eine Teilnahme an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen gestaltet sich für mich schwierig“) mit 54 %. Es folgt dann 4) der Zusatzaufwand bei der Beschaffung von Informationen, die vorliegen sollten (mit 50 %), 5) die Erreichbarkeit für Personen, mit denen die opFk beruflich zu tun haben, auch außerhalb der Arbeitszeit (50 %), gefolgt von 6) großem Zeitdruck durch Terminvorgaben, 7) Unterbrechungen durch fehlende oder fehlerhafte Zuarbeiten, 8) der Notwendigkeit von Rückfragen bei unzulänglichen Informationen, 9) dem Gefühl, nicht alle Informationen effektiv verarbeiten zu können, sowie 10) der Aussage, dass Aufgaben eigentlich anders bearbeitet werden sollten und schließlich dem Item, dass 11) man sich während der Arbeit nicht angemessen in neue Sachverhalte einarbeiten kann (bei 6-11antworteten jeweils 37,5 % aller Befragten „trifft völlig/häufig zu“).

Dies verweist einerseits auf die große Bedeutung von Regulationshindernissen beim Belastungsgeschehen (5 Items u. a. zu Unterbrechungen und fehlenden Informationen), daneben werden die Probleme mit der Entgrenzung der Arbeit (mit 2 Items) sowie mit der Weiterbildung (2 Items) thematisiert, sowie Zeitdruck (als Regulationsüberforderung; vgl. Ulich 2011, S. 128 f.), Informationsverarbeitungsprobleme und kritische Bearbeitungsformen der jeweiligen Arbeitsaufgabe.

Für die Arbeitsressourcen ist bemerkenswert, dass die Befragten von einer für sie relativ günstigen Ressourcenausstattung berichten: Die höchsten Werte ermittelten wir für die Items 1) Verlässlichkeit von Kollegen, wenn es bei der Arbeit schwierig wird als ein Aspekt sozialer Unterstützung und 2) die Klarheit über den eigenen Verantwortungsbereich („Ich weiß genau welche Aufgaben in meinen Verantwortungsbereich fallen“) mit je 87,5 % ‚trifft völlig zu/eher zu‘ sowie 3) die Klarheit über die Erwartungen Anderer an die eigene Arbeit (mit rund 79 %). Deutlich wird auch die Bedeutung von beruflicher Sinnerfüllung (3 weitere Items unter den 10 am häufigsten genutzten) sowie der Work-Life-Balance (2 Items unter den 10 am häufigsten genutzten) im Erleben der Befragten.Footnote 4

Die Gesprächspartner*innen nannten als am häufigsten genutzte Bewältigungsressourcen 1) die Erweiterung der Kompetenzen und des Wissens (79,2 % hier mit den Antwortkategorien ‚immer/oft‘), daneben 2) die verbesserte Planung und Organisation (70,8 %), sowie 3) Distanz schaffen zur Arbeit (66,7 %). Dieses Ergebnis ist insofern bemerkenswert als das am häufigsten genutzte Mittel (Wissen erweitern) gerade das ist, das im Alltag offenbar bei einigen der Befragten einem deutlichen Kapazitätsproblem unterliegt.

4.4.3 Vergleich von operativen Führungskräften mit höherer und niedrigerer Beanspruchung

4.4.3.1 Belastungen

Für den Mediansplit-basierten Vergleich von Gruppen unterschiedlich Beanspruchter zeigt sich, 1) dass deutliche Unterschiede beim erlebten Zeitdruck auftreten: Die höher Beanspruchten geben dabei zu fast 62 % („trifft völlig zu/eher zu“) an, dass sie nicht fertig werden, wenn sie ihre Arbeit gründlich erledigen wollen, während dies nur für rund 9 % der geringer Beanspruchten gilt. Unterschiede zeigen sich auch 2) beim Aspekt ‚Informationsüberflutung‘, bei dem rund 62 % der höher Beanspruchten angaben (vs. 9 % bei der Gruppe weniger Beanspruchter), nicht alle Informationen effektiv bearbeiten zu können. Rund 31 % (vs. 18,2 %) gaben an, von den Informationen überwältigt zu sein. Auch das Item „Ich verschwende viel Zeit damit, E-Mails und Sprachnachrichten zu beantworten, die (…) nicht direkt mit dem zusammenhängen, was ich erledigen muss“ belegt deutliche Unterschiede zwischen höher und weniger Beanspruchten (38,5 % vs. 9 %). Menge und Qualität der zu bearbeitenden Informationen scheinen damit bei den befragten operativen Führungskräften eine kritische Größe für Beanspruchungsrisiken darzustellen.

Das Ausmaß der Beeinträchtigung von Tätigkeiten durch Arbeitsunterbrechungen unterscheidet 3) die beiden untersuchten Gruppen ebenfalls: Während fast 85 % der höher Beanspruchten mit „trifft völlig zu/eher zu“ bei dieser Frage antworteten, waren es unter den weniger Beanspruchten lediglich 54,5 %. Alle weiteren Fragen zum Zusatzaufwand ergaben keine großen Unterschiede zwischen den verglichenen Gruppen.

Diese zeigen sich schließlich 4) hinsichtlich der Aneignungsbehinderungen. Hier ergibt der Mediansplit allerdings ein widersprüchliches Bild: Einerseits geben fast 54 % der höher Beanspruchten (vs. 18,2 %) an, dass sie Probleme hätten, sich während der Arbeit angemessen in neue Sachverhalte einzuarbeiten. Andererseits bemängeln 73 % der geringer Beanspruchten (vs. 38,5 % der höher Beanspruchten), dass Teilnahmen an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen für sie schwierig wären. Für die Aneignungsbehinderungen zeigen sich damit möglicherweise zwei unterschiedliche Muster: Einerseits besteht bei den höher Beanspruchten die Tendenz, im Alltag keine Zeit mehr für die Einarbeitung in neue Themen zu finden, andererseits sind die weniger Beanspruchten – parallel dazu – nicht in der Lage, sich für Weiterbildungsmaßnahmen aus dem Alltag auszuklinken. Beide Muster deuten auf unterschiedliche Weise darauf hin, dass für die Befragten aus ihrer Sicht zu wenig Zeit oder Priorität im Alltag für Einarbeitung und Weiterbildung und damit für den Aufbau der zentralen Ressource Kompetenz gegeben ist.

Entgegen der Erwartungen verläuft die Verteilung beim Entgrenzungsaspekt; hier zeigen sich höhere Werte für die Erreichbarkeit in der Freizeit bei den geringer Beanspruchten. Offensichtlich gelingt es diesen besser, mit der zeitlich flexibilisierten Kommunikation in einer für sie schonenderen Weise umzugehen; in den Gesprächen wurden hierfür sehr unterschiedliche Umgangsformen berichtet. Zudem wiesen mehrere Gesprächspartner*innen darauf hin, dass sie zwar prinzipiell oder im Notfall erreichbar sind, dies aber insbesondere von ihren Vorgesetzten faktisch kaum in Anspruch genommen werde.

Insgesamt zeigen sich bei den Belastungen deutliche Anhaltspunkte für eine hohe Gesamt-Workload bei den Befragten, die bei den höher Beanspruchten tendenziell mit höherem Zeitdruck, mehr ‚Informationsüberflutung‘ und häufigeren Unterbrechungen einhergeht.

4.4.3.2 Ressourcen in der Arbeit

Bei den Arbeitsressourcen zeigen sich für viele Faktoren nur relativ geringe Differenzen zwischen den unterschiedenen Gruppen, mit meist günstigeren Ausprägungen für die weniger Beanspruchten. Größere Differenzen zeigen sich allerdings 1) bei der Zielklarheit als einem Aspekt von Rollenklarheit. Hier liegen die Häufigkeiten der Antworten für das Item „Es gibt klare Ziele für meine Arbeit“ mit ‚trifft völlig/eher zu‘ bei 46,2 % für die höher Beanspruchten gegenüber 72,7 % bei den geringer Beanspruchten. Die beiden anderen Fragen dieser Skala liefern auf hohem Niveau ebenfalls günstigere Werte für die geringer Beanspruchten [‚wissen welche Aufgaben im Verantwortungsbereich liegen‘ (76,9 % vs. 100 %), ‚wissen, was von mir bei der Arbeit erwartet wird‘ (69,9 % vs. 90,9 %)].

Nennenswerte Unterschiede zeigen sich 2) bei der Ressource Gestaltungsspielraum: Hinsichtlich der Möglichkeit, Arbeitsaufgaben an das Team zu delegieren, sind die Unterschiede zwischen beiden Gruppen zwar noch vergleichsweise gering (61,5 % für höher Beanspruchte vs. 72,7 %). Bei der Möglichkeit, Einfluss auf Fertigstellungstermine oder Arbeitsvolumen zu nehmen, trennt sich dies weiter (38,5 % vs. 54,5 %) und erreicht die größte Differenz (30,8 % vs. 54,5 %) beim Item „Ich kann Arbeitsvolumen oder Terminvorgaben mit dem Vorgesetzten oder Kunden neu aushandeln, wenn der Arbeitsanfall zu groß wird“. Insgesamt sind die Gestaltungsmöglichkeiten der höher Beanspruchten geringer ausgeprägt.

Unterschiede zeigen sich auch bei der 3) Unterstützung durch Kollegen sowie bei der 4) Unterstützung durch Vorgesetzte. Die Unterschiede sind dabei für die Unterstützung unter Kollegen auf hohem Niveau deutlich (76,9 % höher Beanspruchte vs. 100 %), für die Vorgesetztenunterstützung etwas geringer; sie deuten aber auf unterschiedlich gute Unterstützungsstrukturen hin, die für die Kompensation bzw. das Puffern von alltäglichen Lasten genutzt werden können.

Bemerkenswert sind schließlich noch die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bei den Werten für 5) Work-Life-Balance und berufliche Sinnerfüllung, die wir abgefragt haben (vgl. FN 4). Dabei ist zum einen auffallend, dass es den geringer Beanspruchten besser gelingt, einen Ausgleich zwischen Privat- und Berufsleben herzustellen. Bei der Bewertung sind allerdings die höher Beanspruchten insgesamt zufriedener. Schließlich zeigen die Werte für 6) berufliche Sinnerfüllung im Vergleich nennenswerte Differenzen zwischen den beiden Gruppen: Die höher Beanspruchten haben dabei höher ausgeprägte Werte (84,6 % vs. 63,3 % bzw. zu 54,5 % bei den beiden Items).

Angesichts dieser Befunde verdichtet sich der Eindruck, dass die Gruppe der höher Beanspruchten einerseits über geringere Rollenklarheit, aber vor allem deutlich geringere Verhandlungs- und Entscheidungsspielräume verfügt als ihre geringer beanspruchten Kolleg*innen. Die Unterstützung ist dabei insgesamt hoch, allerdings auch hier besser für die geringer Beanspruchten mit deutlichen Unterschieden ausgeprägt. Bei der beruflichen Sinnerfüllung gibt es klärungsbedürftige Bezüge zwischen beruflicher Sinnerfüllung und Beanspruchung: Die Befunde könnten sich als Anzeichen für eine interessierte Selbstgefährdung (Krause et al. 2015) deuten lassen, bei der hohe Motivationswerte mit vergleichsweise höheren Beanspruchungen einhergehen.

4.4.3.3 Bewältigungsressourcen

Für die Bewältigungsressourcen zeigen sich beim Vergleich der höher und geringer Beanspruchten für die folgenden sechs Aspekte deutlichere Unterschiede: Zunächst gibt es Unterschiede 1) bei die Nutzung von Kurzpausen (vgl. Latniak 2019) und das 2) Arbeiten nach der persönlichen Leistungskurve (Gerlmaier 2019b, S. 327): Für Kurzpausen stellten wir fest, dass die höher Beanspruchten diese zu 38,5 % ‚immer/oft‘ nutzen, während die geringer Beanspruchten sie zu 72,7 % nutzen. Nur 15,4 % der höher Beanspruchten achten bei der Bearbeitung der Aufgaben (immer/oft) auf ihre persönliche Leistungskurve, während dass bei den geringer Beanspruchten zu 45,5 % der Fall ist. Hier besteht offenbar noch erhebliches Potenzial.

Relevant sind auch die Unterschiede, die sich hinsichtlich eher arbeitsorganisatorischer Aspekte [Arbeit besser gestalten 3) bessere Planung/Organisation 4) und 5) Lernmöglichkeiten (Kompetenzen/Wissen erweitern)] auf Grundlage der Befunde eröffnen. So unterscheiden sich die beiden Gruppen hinsichtlich der Nutzung dieser drei Aspekte deutlich: Eine aktive Bearbeitung der Verbesserungsmöglichkeiten von Arbeit (zusammen mit Kollege*innen und Vorgesetzten) nutzen 38,5 % der höher Beanspruchten, aber 63,6 % der geringer Beanspruchten, für bessere Planung und Organisation sind die Werte 61,5 % vs. 81,8 %, für das Wissen-Erweitern 69,2 % vs. 90,9 %. In der Summe nutzen also die weniger Beanspruchten diese Mittel deutlich häufiger.

Ein weiterer Unterschied betrifft 6) das Item ‚Distanz zur Arbeit schaffen‘: Die höher Beanspruchten nutzen dieses eher kognitive Coping zu 53,8 % ‚immer/oft‘, die geringer Beanspruchten zu 81,8 %. Korrespondierend damit ist, dass Letztere zu 72,7 % ‚selten/nie‘ Freizeitaktivitäten reduzieren, während dies die höher beanspruchte Gruppe zu lediglich 53,8 % macht.

Kaum nennenswerte Unterschiede ergaben sich bei den ebenfalls erfragten Freizeitaktivitäten: Dies ist auch vor dem Hintergrund eines umfassenden Sport- und Beratungsangebots zu sehen, das von den Teilnehmenden z. T. intensiv genutzt wird (bei der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmenden bestand hierzu ein Unternehmensangebot am Standort).

4.4.4 Grenzen des Instruments und der Befunde – weitere Forschungsbedarfe

Für diese Ergebnisse sind folgende Einschränkungen zu berücksichtigen: 1) Wir haben das Screeninginstrument nicht als Experteninstrument zum wissenschaftlichen Nachweis von Wirkungszusammenhängen ausgelegt, sondern als Hilfsmittel für einen praktischen Einsatz (z. B. beim Coaching). Die dargestellten explorativen Ergebnisse auf Item-Basis geben insofern eher Hinweise für weitergehende Forschungen. Es besteht weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich der Güte des Instruments, das noch anhand einer größeren Stichprobe eingehender evaluiert werden sollte. 2) Die zweite Einschränkung liegt darin begründet, dass bei den Gesprächen ausschließlich freiwillig Teilnehmende mitwirkten. Dies birgt das Risiko einer Verzerrung der Ergebnisse, da die Stichprobe ggf. nur Interessierte mit verfügbarer Kapazität umfasst, während akut Überlastete sich dafür erfahrungsgemäß eher keine Zeit nehmen.

4.5 Arbeitspolitische und arbeitsgestalterische Ansatzpunkte

Anhand dieser Befunde wird deutlich, dass die befragten operativen Führungskräfte mit häufigen Aufgaben- und Kontextwechseln konfrontiert sind, die entsprechenden Koordinations(-zusatz-)aufwand mit sich bringen, und zudem häufig parallel mehrere Aufgaben oder Probleme zu bearbeiten haben (Multitasking bzw. Mehrstellenarbeit). Dies geschieht teilweise unter Zeitdruck und bei einem hohen Anteil von – durch Meetings oder Kommunikation – verplanter Zeit. Wichtige Ressourcen sind dabei offenbar der Gestaltungsspielraum, Rollenklarheit, die Unterstützung durch Führungskräfte und Kolleg*innen, sowie die ausgewogene Work-Life-Balance. Die wesentlichen psychischen Belastungsfaktoren sind neben dem Zeitdruck und den Arbeitsunterbrechungen in erster Linie die mit der Kommunikation verbundenen Informationsverarbeitungsprobleme.

Vor diesem Hintergrund können präventiv ausgerichtete Arbeitsgestaltungsansätze darauf gerichtet sein, zu einer ‚Entzerrung‘ und zu einer nach eigenen Möglichkeiten und Bedarfen geplanten Arbeitstätigkeit beizutragen. Wir knüpfen damit an die Überlegungen in Gerlmaier und Latniak (2013) an, wo dies als „Defragmentierung“ bezeichnet wurde: Diese Maßnahmen sind primär darauf gerichtet, insgesamt weniger Aufgaben parallel zu bearbeiten (d. h. die Ausführung der Aufgaben möglichst sequenziell durchzuführen), um damit die individuelle Informationsverarbeitung zu verbessern und die Aufgabenbearbeitung kontrollierbarer und sicherer zu machen. Dies hat nicht nur gesundheitspräventive Effekte, sondern trägt auch zur Effektivierung und sicheren Bearbeitung der Prozesse bei.

Eine ganze Reihe angesprochener belastungsreduzierender bzw. ressourcenaufbauender Maßnahmen gehören dabei schon zum gängigen instrumentellen Handlungs- und Maßnahmenspektrum, das operativen Führungskräften zur Verfügung steht und genutzt wird, wie z. B. das Delegieren und Priorisieren, frühzeitig Unterstützung zu organisieren oder zusätzliche Kapazitäten zu schaffen sowie unterschiedliche kognitive Bewältigungsmaßnahmen (wie z. B. Maßnahmen zur Distanzierung von der Arbeit). Zudem zeigten sich Ansatzpunkte zur Verbesserung z. B. für die Nutzung von Kurzpausen, für die Berücksichtigung der persönlichen Leistungskurve, für den Wechsel von konzentrationsintensiven Aufgaben mit Aufgaben, die weniger konzentrationsintensiv sind, oder für das Festlegen von Zeiten für ungestörtes Arbeiten (Blockzeiten). Diese unterschiedlichen Ansätze gilt es weiter zu fördern und z. B. in Coaching-Gesprächen bzw. in Trainings einzuführen und zur Nutzung zu empfehlen.

Neben diesen eher individuellen Aspekten und den eher kleinschrittigen Maßnahmen zur Effektivierung virtueller Besprechungen oder des Mailverkehrs sehen wir auf Unternehmensebene eine Reihe von Ansatzpunkten, die zur Belastungsreduzierung an der für die opFk verfügbaren Arbeitskapazität ansetzen können. Es handelt sich dabei um regulierende Maßnahmen, wie z. B. eine 1) Begrenzung der Zahl der Projekte (Abbau von Mehrstellenarbeit, Begrenzungen für das Multitasking) oder der Führungsspannen, für die die opFk jeweils verantwortlich sind (Team- bzw. Projektgröße). Dies könnte zu reduziertem Zeitdruck beitragen. Dieses Ziel kann auch 2) mit dem Einsatz von ‚Führungstandems‘ erreicht werden, bei dem jeweils Leiter*in plus Stellvertretende/r für das jeweilige Team oder Projekt benannt werden und als Tandem in wechselseitiger Abstimmung arbeiten. Dies würde die individuellen Spielräume der opFk vergrößern und zudem die Möglichkeit eröffnen, sich einfacher in emotional kritischen Situationen auszutauschen und die Spannungen im Gesprächskontext abzufangen und teilweise abzubauen. Zudem hätte es den Nebeneffekt einer verbesserten Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung für das Unternehmen.

Ein weiterer entlastender Ansatzpunkt ist die 3) Einführung spezifischer Kostenstellen für Lernaufwände im Unternehmen, auf die Lernzeiten gebucht werden können. Dies würde dazu beitragen, einerseits notwendige Lernaufwände weniger in die Regenerationsphasen außerhalb der Arbeitszeit abzudrängen, und andererseits zu verdeutlichen, dass das Unternehmen dieses Lernen als eine Investition in die Beschäftigten begreift, die es zu fördern gilt.

Daneben deuten die dargestellten Befunde darauf hin, dass sowohl in der Arbeit wie an der Grenze zwischen Arbeitszeit und Regenerationsphasen ein bewussterer Umgang mit der eigenen Arbeitskraft bei den opFk unterstützt werden sollte. Für die Regeneration in der Arbeit sind u. a. die o. g. 4) Kurzpausen förderlich. Für die Arbeitszeitgrenzen bleiben 5) z. B. die in den beteiligten Unternehmen bereits geltenden Regelungen zu Wochenendarbeit (Mailverbot bzw. keine Beantwortung von E-Mails am Wochenende) weiter zu schulen bzw. zu reflektieren und ggf. anzupassen. Daneben sollte in 6) Trainings oder im Rahmen von Coachings verstärkt daran gearbeitet werden, dass die opFk eine für sich jeweils tragfähige Abgrenzung von Arbeit und Regeneration entwickeln, die z. B. durch bestimmte Handlungsmuster (Rituale wie die Tasse Tee nach dem „nach Hause kommen“) unterstützt wird. Da die opFk in der Regel keine festgelegten Wochenarbeitszeiten haben, gibt es bei Zeitregelungen allerdings kaum wirkliche Ansatzpunkte; Vieles bleibt von der Interaktion zwischen opFk und den jeweiligen Vorgesetzten abhängig. Umso wichtiger wären hier Schulungen oder Trainings im Rahmen der Führungskräfteentwicklung, die zu Verhältnis von Verausgabung und Entspannung Informationen vermitteln, d. h. Gestaltungskompetenz aufbauen. Dies könnte praktisch umgesetzt und durch ‚Lerngruppen‘ sowie seitens der Vorgesetzten praktisch unterstützt werden.

Angesichts der skizzierten dynamischen Organisationsstrukturen erscheint es allerdings insbesondere notwendig, für eine regelmäßige Reflexion der Arbeitssituation zu sorgen, bei der leistungsbeeinträchtigende Arbeitsbedingungen in den Blick genommen werden. Zudem wäre dies die Gelegenheit, bei der (Arbeits-)Gestaltungskompetenzen im Ansatz vermittelt werden könnten. Dies wäre ein erster Schritt zur dauerhaften Verminderung der Belastungen und dem kontinuierlichen Aufbau von Ressourcen der operativen Führungskräfte in virtuellen Arbeitskontexten.