1 Einleitung

Kommunen in Mitteleuropa ernähren sich, indem sie einkaufen (Sipple 2022). Vor allem in den Städten, aber auch in vielen Gemeinden des ländlichen Raumes stehen der Bevölkerung scheinbar selbstverständlich Einkaufsmöglichkeiten zur Versorgung mit Lebensmitteln zur Verfügung. Ohne dass dies näher durch staatliche Stellen koordiniert scheint, bietet vor allem der Lebensmitteleinzelhandel eine Vielzahl von Gütern des kurz-, mittel- und langfristigen Bedarfs an, teilweise in Kombination mit und unter Inanspruchnahme von Dienstleistungen (Kühn 2011). Tatsächlich ist „in einer freiheitlichen Ordnung wie der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland die Versorgung mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen grundsätzlich nicht Aufgabe des Staates, sondern eine solche der Bürger“ (Henneke 2009, S. 17). Handel und Logistik sichern die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Ernährung ist entsprechend für die meisten Städte und Gemeinden in Deutschland – abgesehen von raumplanerischen Fragen der Ansiedlung des (Lebensmittel-)Einzelhandels und der Vergabe von Aufträgen im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens – ein kommunalpolitisch weitgehend unbearbeitetes Feld (Schanz et al. 2020). Dieser Umstand wird verstärkt durch die Mehrheit der Bürger*innen, die Ernährung als privates Thema wahrnimmt, in das sich staatliche Akteur*innen möglichst nicht einmischen sollten (BMEL 2022).

Gleichzeitig weisen Historiker jedoch darauf hin, dass die Versorgung der Bürger*innen mit den zum Leben notwendigen Grundnahrungsmitteln seit dem Mittelalter zur ureigensten Aufgabe der Kommunen gehörte, „die über Jahrhunderte die Ernährung mit Obst und Gemüse, mit Milch, Brot und Fleisch durch die Organisierung des Marktwesens und durch die Ansiedlung der entsprechenden Zahl der einschlägigen Handwerker gewährleisteten“ (Lackner 2004, S. 90). Mit dem Aufkommen des industriell-technischen Fortschritts übernahmen die Kommunen als Träger der lokalen Verwaltung die Daseinsvorsorge für ihre Bürger*innen. Besonders expandierende Bereiche der Daseinsvorsorge waren u. a. Schlachthöfe und Markthallen (Henneke 2009). Insbesondere in Krisen- und Kriegszeiten rückten Fragen der Sicherung der Lebensmittelversorgung immer wieder verstärkt in den Fokus kommunalpolitischer Anstrengungen (Meier 2020). So wird unter anderem die Gründung des deutschen Landkreistags im Jahr 1916 unmittelbar der Einsicht in die Notwendigkeit der Zusammenarbeit während des Ersten Weltkriegs bei der Sicherung der Ernährung über das jeweilige Kommunalgebiet hinaus zugeschrieben (Henneke 2009).

Spätestens seit den 1990er Jahren führten dann massive Konzentrationsprozesse im Lebensmitteleinzelhandel zu einem starken Rückgang der ortsansässigen, inhabergeführten Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe (Jürgens 2017) und Lebensmittelhandwerksbetriebe (Sipple und Schanz 2021). In Folge wurde und wird die flächendeckende Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung, vor allem auch für weniger mobile Bürger*innen, insbesondere für Kommunen im ländlichen Raum, wieder zu einem kommunalpolitisch relevanten Thema. Zuletzt hat schließlich auch die Corona-Pandemie zu einer deutlichen Sensibilisierung für die Bedeutung von Ernährung als Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge beigetragen. Viele Bürger*innen machten dabei zum ersten Mal Erfahrungen mit Versorgungsengpässen bei notwendigen Gütern und Dienstleistungen des täglichen Lebens. Die Verwundbarkeit der Produktions- und Logistikketten hat die scheinbare Gewissheit der selbstverständlichen Versorgung mit Nahrungsmitteln über Handel und Logistik erschüttert. Fragen der Ernährungssicherheit, aber auch der Ernährungssouveränität, sind dadurch wieder verstärkt auf die kommunalpolitische Agenda gerückt (Millard et al. 2022; Swinnen und McDermott 2020). Der inzwischen deutlich zu spürende Klimawandel und die damit einhergehenden Verschiebungen in den traditionellen Agrarregionen, sowie Veränderungen in den internationalen geopolitischen Landschaften werden diese Entwicklung wohl noch deutlich verstärken. Es ist zu erwarten, dass das Thema Ernährung zu einem festen Bestandteil jeder kommunalpolitischen Agenda und damit auch der kommunalen Daseinsvorsorge wird.

2 Ernährungssicherheit, Versorgungswüsten und Nachhaltigkeit

Die United Nations Food and Agriculture Organization (FAO) definiert Nahrungssicherheit (food security) allgemein als Zustand, „wenn alle Menschen jederzeit physischen und ökonomischen Zugang zu sicherer und nahrhafter Nahrung haben, die ihre Ernährungserfordernisse und -präferenzen für ein aktives und gesundes Leben erfüllt“ (FAO 2006). Konzeptionell geht es um die Verfügbarkeit von Nahrung (food supply security), um den Zugang zu Nahrung (food consumption security), um die Nutzbarkeit der Nahrung und die Stabilität des Ernährungssystems. Ernährungssicherheit (nutrition security) basiert auf einem breiteren Verständnis und umfasst auch die Aspekte der Hygiene, der Gesundheitsvorsorge und der sozialen Fürsorge (Mahla et al. 2017).

Während Städte von Anfang an auf Stadt-Land-Beziehungen zur Versorgung mit Nahrungsmitteln angewiesen waren, wird mit dem Beginn der Moderne auch der Status von ländlichen Dörfern als fast autarke Versorgungsgemeinschaften in Mitteleuropa abgelöst (Chilla et al. 2016). Die zunehmende Bevölkerungsdichte und die klimatischen, insbesondere saisonalen und topographischen Bedingungen bedingen eine Einbindung der lokalen Ernährungssicherheit in überregionale Märkte. So bezog beispielsweise die Schweiz bereits 1913 ihre Rohstoffe für die Brotproduktion hauptsächlich aus Russland (35 %), den USA (28,5 %), Kanada (15 %) und Rumänien (9,5 %), mit dem Rhein als Hauptbezugsroute für das amerikanische und das russische Getreide (Meier 2020). Der Selbstversorgungsgrad in Deutschland mit Nahrungsmitteln lag in den vergangenen Jahrzehnten zwar insgesamt bei 83 %, allerdings konnte der Bedarf im Jahr 2021 bei Obst nur zu 20 %, bei Gemüse zu 38 % und bei Eiern zu 73 % aus heimischer Produktion gedeckt werden (s. Abb. 1). Bei Kartoffeln lag der Selbstversorgungsgrad dagegen bei 150 %. Auch bei Fleisch, Milch und Getreide übersteigt die Erzeugung den Bedarf (BLE 2023). Die idealisierten Vorstellungen einer regionalen Versorgung von Kommunen mit Nahrungsmitteln sind daher grundsätzlich zu hinterfragen.

Abb. 1
figure 1

Der Selbstversorgungsgrad in Deutschland mit ausgewählten Nahrungsmittelgruppen (BLE 2023)

Für den Anteil regionaler Lebensmittel am Konsum einer Kommune sind die Produktgruppe, die Region an sich, aber auch das Vorhandensein von Verarbeitungsstrukturen und Verkaufskanälen entscheidend. Der tatsächliche regionale Konsum in einer Kommune darf deshalb nicht gleichgesetzt werden mit dem Produktionspotenzial einer Region, wie die wenigen vorhandenen empirischen Studien zeigen (Moschitz und Frick 2018, 2021; Moschitz et al. 2018). So liegt zum Beispiel der potenzielle regionale Eigenversorgungsgrad der Stadt Leutkirch im Allgäu für Milch aus ihrer von Grünland dominierten Region bei 960 %, der Anteil konsumierter regionaler Milch dagegen nur bei 4 %. Der effektive regionale Selbstversorgungsgrad schwankt über die Produktgruppen hinweg zwischen null und 70 %. Die Gründe hierfür liegen im Wesentlichen in der sog. „Delokalisierung“ moderner Ernährungssysteme, das heißt in der Entkopplung der Orte der Produktion und des Konsums von Lebensmitteln. Prozesse der Globalisierung und Ausdifferenzierung (horizontal nach Nahrungsmittelgruppen, vertikal nach Wertschöpfungsstufen) haben zunehmend komplexe und abnehmend transparente Produktions-, Prozess- und Wertschöpfungsketten im Nahrungsmittelbereich zur Folge (Montanari 1995; Viljoen und Wiskerke 2012; Sipple und Schanz 2019). Was schon 1912 für die Brotversorgung der Stadt Basel festgestellt wurde gilt heute generell: „Das Versorgungsgebiet einer Stadt ist heute die halbe Welt“ (Reichlin 1912 nach Meier 2020, S. 36).

Gleichzeitig haben die Entwicklungen des Lebensmitteleinzelhandels in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass sich filialisierte Supermärkte und Discounter vor allem auf städtische Räume konzentrieren und dazwischen sogenannte „Versorgungswüsten“ entstanden sind (Jürgens 2020). In Schleswig-Holstein gab es im Jahr 2015 in 802 von 1110 Kommunen (d. h. für immerhin 17,3 % der Gesamtbevölkerung) kein ausreichendes Angebot an Lebensmitteln des täglichen Bedarfs in der näheren Umgebung (Jürgens 2017, 99 f.). Abwanderung und demographischer Wandel mit schrumpfender Kaufkraft in ländlichen Räumen oder auch Stadtteilen verstärken diese Entwicklung weiter. In Nordamerika korrelieren diese „Versorgungswüsten“ bzw. „food deserts“ häufig räumlich-strukturell mit den Wohnorten vulnerabler Bevölkerungsgruppen (Armut, ethnische Zugehörigkeit etc.). In Deutschland sind sie dagegen ein räumlich weniger ausgeprägtes Phänomen und beruhen eher auf individuellen Erfahrungen, die von den Lebensbedingungen und Teilhabefähigkeiten, insbesondere der Mobilität, abhängen (Neumeier und Kokorsch 2021). Weniger mobile Menschen erleben deshalb insbesondere in entleerten Orten tatsächliche Versorgungswüsten, was nicht nur im Hinblick auf Fragen der Lebensbedingungen kommunalpolitisch problematisch ist. Aufgrund der sozialen Funktion von Ernährung ist mit dem erschwerten Zugang zu Lebensmitteln zugleich ein wichtiger Bereich der sozialen Teilhabe betroffen. Dies betrifft insbesondere Menschen in prekären Lebenslagen, deren gesellschaftliche Teilhabe ohnehin eingeschränkt ist (Augustin 2020; Augustin und Rosol 2023). Die Forderung, den Zugang zu Lebensmitteln als integratives kommunales Handlungsfeld zu begreifen, ist daher unmittelbar nachvollziehbar.

Das Thema Ernährung bietet sich zudem als konzeptioneller Ansatzpunkt für kommunale Nachhaltigkeitsstrategien an (Stierand 2008, 2014; Schmagold 2012; Moragues et al. 2013; Schanz et al. 2020; Sipple und Schanz 2019). Nachhaltigkeit und Klimaschutz spielen für Kommunen in vielen ihrer Aufgabenbereiche eine immer größere Rolle. Dabei wird oft vernachlässigt, dass der Bereich Ernährung einer der größten Treiber anthropogener Klima- und Umweltauswirkungen ist. Bis zu 30 % des ökologischen Fußabdrucks und rund 25 % der globalen Treibhausgasemissionen sind auf den Ernährungsbereich zurückzuführen (Jungbluth et al. 2012; Willett et al. 2019; Vermeulen et al. 2012; Crippa et al. 2021). Auch soziale Aspekte und Gerechtigkeitsfragen werden durch Ernährung unmittelbar berührt (Allen 2010; Glennie und Alkon 2018), wie sie zum Beispiel in der Fairtrade-Town Initiative verfolgt werden (Gmeiner et al. 2021). Fragen der Ernährungssouveränität, d.h. das Recht aller Bürger, ihr eigenes Landwirtschafts- und Ernährungssystem zu definieren, drängen entsprechend zunehmend auch in den kommunalpolitischen Raum. Gleichzeitig verbindet Ernährung als Querschnittsthema eine große Vielzahl von kommunalpolitischen Feldern (s. Abb. 2) (Stierand 2014, 2008). Inhaltliche Vorstellungen zum Thema Ernährung sind in Städten stark interessengeprägt und unterscheiden sich, wie bei anderen kommunalpolitischen Themen auch, entsprechend stark innerhalb der Bürgerschaft (Baldy 2019). Dies führt zwangsläufig zu Zielkonflikten und entsprechenden Herausforderungen bei der Auswahl, Anwendung und Umsetzung kommunalpolitischer Instrumente (Sipple und Schanz 2023a, b; Wiek et al. 2023).

Abb. 2
figure 2

Querschnittsbereiche zwischen Ernährungssystem und Stadtentwicklung (Schanz et al. 2020 im Anhalt an Stierand 2008, S. 128)

Inwieweit gesellschaftliche Werte und Normen einzelner Gruppierungen bzw. Mehrheiten, zum Beispiel mit Bezug zu Ernährungsstilen, die Ausgestaltung der kommunalen Daseinsvorsorge beeinflussen sollten, ist umstritten. Unstrittig ist jedoch, dass die Kommunen für die angestrebte gesellschaftliche Transformation zur Nachhaltigkeit entscheidend sind (Schneidewind et al. 2018; Grabow und Honold 2017). Die Folgen des Umwelt- und Klimawandels erfordern daher vorsorgeorientierte Anpassungen der kommunalen Dienstleistungen und Infrastrukturen (Beer et al. 2021; Dütschke et al. 2019). Insofern gilt: „Viele Aufgaben, die mit Klimaschutz und Klimafolgenanpassung verbunden sind, unterliegen zumindest indirekt dem Auftrag der öffentlichen Daseinsvorsorge und sind damit ‚eher Pflicht als Kür‘“ (Roth und Walter 2020, S. 109).

3 Kommunale Daseinsvorsorge und Ernährung

Der Begriff der öffentlichen Daseinsvorsorge ist trotz vielfältiger Verständnisse und resultierender unscharfer Verwendungen verwaltungspolitisch und planerisch fest etabliert. Hierzu trägt auch die wiederholte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Verankerung im Raumordnungsgesetz in Deutschland bei (Milstein 2018). Allgemein wird öffentliche Daseinsvorsorge dabei verstanden

„als die Gesamtheit der Leistungen der Verwaltung zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger für eine normale, dem jeweiligen Lebensstandard entsprechende Lebensführung. Es handelt sich also um Aktivitäten, bei denen der Staat und die öffentliche Verwaltung gezielt zur Versorgung der Bürger mit den notwendigen, dem jeweiligen Stand der Zivilisation entsprechenden Leistungen tätig werden, weil der nach allgemeinen Regeln geordnete Markt die Versorgung der Bürger nicht ausreichend gewährleistet.“ (Henneke 2009, S. 18)

Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip waren und sind vor allem Städte, Landkreise und Kommunen Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge, insbesondere im Bereich der Infrastruktur, wie z. B. der Strom-, Gas-, Wärme- und Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung und der Abfallentsorgung (Henneke 2009; Henneke und Ritgen 2021).

Das ursprüngliche Verständnis, demzufolge Aufgaben der Daseinsvorsorge Staatsaufgaben sind, die der Staat selbst erbringt, ist inzwischen dem Verständnis eines „Gewährleistungsstaats“ gewichen. Hier gewährleistet „die öffentliche Hand nicht mehr selbst die eigentliche Leistungsproduktion, sondern […] ‚nur noch‘ eine Grundversorgung mit gemeinwohlrelevanten Dienstleistungen zu vereinbarten Qualitäts- und Preisstandards an bestimmten Standorten“ (Einig 2008, S. 17). Die Leistungserbringung der öffentlichen Daseinsvorsorge erfolgt heute durch hauptverantwortliche staatliche Leistungserfüllung (z. B. in der Schulverwaltung), parallele oder arbeitsteilige Trägermodelle (z. B. in der Mobilitätsinfrastruktur), überkommunale Zweckverbände (z. B. Abwasserversorgung) oder privatisierte Unternehmen. Hinzu kommen Genossenschafts- und Bürgerschaftsmodelle und das Ehrenamt (Steinführer 2015; Krajewski und Steinführer 2020). Entsprechend lässt sich ein modernes Grundverständnis der kommunalen Daseinsvorsorge, zitiert nach Beer et al. (2021, S. 10), auf Basis von sechs Eckpunkten formulieren:

  1. 1.

    Bürger*innen in den Mittelpunkt: Daseinsvorsorge zielt darauf ab, Einzelpersonen grundlegende Verwirklichungschancen, gesellschaftliche Teilhabe und damit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

  2. 2.

    Ausrichtung auf Ziele und Wirkungen: Infrastrukturen, Güter und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge sind kein Selbstzweck. Vielmehr sollten sie zur Erreichung von gesellschaftspolitischen Zielsetzungen eingesetzt werden und entsprechende Wirkung entfalten.

  3. 3.

    Vielfalt und Differenzierung: Ziel der Daseinsvorsorge ist nicht die Erbringung eines bestimmten, universell geltenden Standards, sondern die Suche nach bedarfsgerechten und ortsspezifischen Lösungen. Dabei funktionieren Entwicklungsstrategien nicht ohne die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung.

  4. 4.

    Systemische Perspektive: Die Sicherstellung der Daseinsvorsorge erfordert integrierte, systemische Lösungsansätze. Dafür müssen herkömmliche Grenzen sektoraler Infrastrukturangebote überschritten und eine ganzheitliche Analyse der Anforderungen und Rahmenbedingungen zukunftsfähiger Lebensverhältnisse vorgenommen werden.

  5. 5.

    Koproduktion der Leistungen: Die Organisation der Daseinsvorsorge ist ein Auftrag, der durch staatliche und kommunale Behörden in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen zu erbringen ist.

  6. 6.

    Dynamische Weiterentwicklung: Daseinsvorsorge ist kein Zustand, sondern ein Gestaltungsauftrag, der entwicklungsoffen und stetigem Wandel unterworfen ist. Mit Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen und sich verändernden Rahmenbedingungen muss dieser Auftrag immer wieder aufs Neue interpretiert werden.

Eine eindeutige Bestimmung des kommunalen Aufgabenkatalogs in der Daseinsvorsorge fehlt bisher (Beer et al. 2021). Insofern ist auch umstritten, inwieweit das Themenfeld Ernährung tatsächlich unter die kommunale Daseinsvorsorge fällt. Artikel 74 Abs. 1 des Grundgesetztes regelt in grundsätzlicher Weise, dass die Sicherung der Ernährung (Ziffer 17) und das Recht der Lebensmittel (Ziffer 29) unter die konkurrierende Gesetzgebung der Länder fällt. Entsprechend finden sich in den Landesverfassungen und den Gemeindeordnungen der Länder ähnliche Aussagen zur Sicherung der Ernährung. Was die Regelungsgehalte und die Regelungsstrukturen der kommunalen Daseinsvorsorge betrifft, sind jedoch seit den 1990er Jahren länderspezifisch erhebliche Abweichungen festzustellen (Henneke 2009). Das Themenfeld Ernährung ist daher, wie andere Leistungsbereiche der kommunalen Daseinsvorsorge auch, uneinheitlich und nur in sehr genereller Form geregelt. Beabsichtigt eine Kommune im Zuge der Wahrnehmung der Daseinsvorsorge ein kommunales Unternehmen zu betreiben, so gilt nach § 67 der Deutschen Gemeindeordnung (DGO), dass „1. der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt“, „2. das Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf steht“ und „3. Der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann“ (Henneke und Ritgen 2021, S. 160).

Wie Rogalinski (2013) am Beispiel des Artikel 83 der Bayrischen Verfassung ausführt, ist die dort enthaltene Verpflichtung der Gemeinden, „Einrichtungen zur Sicherung der Ernährung“ vorzuhalten, nicht unmittelbar mit einer generellen Sicherstellung des Zugangs zu Lebensmitteln gleichzusetzen. Vielmehr handelt es sich zunächst um die Verpflichtung, die Bevölkerung im Rahmen der Sozialhilfe, z. B. über Suppenküchen, „Tafeln“ oder Schulspeisungen, oder in Notfällen generell zu ernähren. Gleichzeitig stellt

„die Förderung der örtlichen klein- und mittelständischen Unternehmer im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts eine der Grundlagen der Daseinsvorsorge dar, weil zu überhaupt jeder kommunalen Betätigung finanzielle Mittel erforderlich sind, die durch die wirtschaftliche Prosperität von Unternehmen, Bürgern und Kommunen erst verfügbar werden.“ (Rogalinski 2013, S. 30)

Ein Vorteil der kommunalen Ebene ist, dass sich gerade hier in den Netzwerken der lokalen Ernährungswirtschaft gezielt die zentralen bzw. relevanten Akteur*innen für die Nachhaltigkeit und Resilienz des kommunalen Ernährungssystems identifizieren lassen. Zu diesen Netzwerken zählen die Landwirtschaft, das Lebensmittelhandwerk, die Außer-Haus-Verpflegung (Restaurants, Kantinen, Catering und Imbisse), der Lebensmitteleinzelhandel sowie Einrichtungen des Convenience-Food wie Tankstellen und Kioske (Sipple und Schanz 2019). Lokale Akteursnetzwerke gelten als maßgebliche Grundlage für eine lokale Nachhaltigkeitstransformation und die damit verbundene Gestaltbarkeit lokaler Ökonomien (Luthe et al. 2012). Sie sind „wegen ihrer regionalen Verbundenheit, gefestigten Kooperationskultur, hohen Innovationsfähigkeit und komplementären Kompetenzen der Netzwerkakteure“ eine wesentliche Grundlage für regionale Resilienz (Buhl und Ritter 2023, S. 116). Die gezielte Förderung dieser zentralen bzw. relevanten ortsansässigen Betriebe im Bereich der Versorgung, Verarbeitung und Entsorgung von Lebensmitteln kann folglich als eine integrale Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge interpretiert werden.

Dies gilt insbesondere für strukturschwache Regionen und vor allem für den ländlichen Raum. Aufgrund von Konzentrationsprozessen im Lebensmitteleinzelhandel und Veränderungen der sozialen und technischen Ernährungsgewohnheiten (Mager et al. 2023) sind die Betriebsstrukturen im Bereich der lokalen Ernährungswirtschaft stark ausgedünnt und wenig differenziert. In vielen Gemeinden gibt es weder einen Laden noch eine Gaststätte (Eberhardt et al. 2021). In solchen Fällen „entleerter Orte“ kann die kommunale Daseinsvorsorge eine – zumindest vorübergehende – eigenwirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand legitimieren:

„Bund, Länder und Kommunen können eigene Einrichtungen schaffen, wenn auf andere Weise das Fehlen eines ausreichenden, preiswerten, dauerhaft sicheren und flächendeckenden Angebots durch Private nicht zu beheben ist. Auch kann die Sorge um eine Gemeinwohlbelange berücksichtigende Tarifgestaltung eine Eigenwahrnehmung durch die öffentliche Hand legitimieren, wenn eine gleichmäßige Versorgung durch Private nicht zu erwarten ist.“ (Henneke 2009, S. 23)

Praxisbeispiele für kommunale Unternehmen der Ernährungswirtschaft zur Sicherung der Daseinsvorsorge aus Städten und Gemeinden in Deutschland gibt es bereits. Hierzu zählt die Stadt Darmstadt (Hessen), wo bereits ein Großteil der Schulverpflegung über den Eigenbetrieb für kommunale Aufgaben und Dienste (EAD) produziert wird. Über den EAD konnte in Darmstadt nicht nur die Produktion des Schulessens sichergestellt werden, sondern gleichzeitig der Anteil an Bio-, Fairtrade- und regionalen Produkten schrittweise auf 50 % erhöht werden (Stadt Darmstadt 2020; Sipple und Wiek 2023). Darüber hinaus gibt es Beispiele aus dem ländlichen Raum, wo Kommunen aufgrund von Betriebsschließungen die Nahversorgung als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge durch die Gründung eines kommunalen Unternehmens sichergestellt haben. Zur Illustration werden im Folgenden hierzu zwei Fallbeispiele aus 1) Unterkirnach (Baden-Württemberg) und 2) Wolframs-Eschenbach (Bayern) vorgestellt.

  1. 1.

    Die Gemeinde Unterkirnach ist eine Kleinstadt mit rund 2500 Einwohner*innen und liegt im Schwarzwald-Baar-Kreis im Südwesten Baden-Württembergs. Nachdem hier im Jahr 2015 der einzige Lebensmitteleinzelhandelsbetrieb vor Ort schließen musste, sorgte die Gemeinde bereits im November für eine Lösung zur Aufrechterhaltung der Nahversorgung. So wurde auf Initiative und unter Federführung des Bürgermeisters Andreas Braun die „Unterkirnach Landmarkt GmbH“ als einhundertprozentige Tochtergesellschaft gegründet. In diesem Zuge wurden Umbaumaßnahmen durchgeführt, eine Frischetheke eingebaut sowie eine Poststelle und ein Lieferservice eingerichtet. Ziel der Gemeinde war es von Beginn an, auf lange Sicht wieder private Betreiber*innen für den Landmarkt zu finden, denen dann ein funktionierender Betrieb übergeben werden kann (Kommert 2015). So konnten im Genehmigungsverfahren die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und das Gewerbeaufsichtsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises von der Notwendigkeit des kommunalen Unternehmens überzeugt werden. Ausschlaggebend hierfür war die Tatsache, dass es schwierig erschien, nach längerer Schließung des Marktes wieder Betreiber*innen zu finden. Neben der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Nahversorgung sahen beide Institutionen zudem keine entstehenden Nachteile für den privaten Einzelhandel bzw. Filialisten (Schück 2015; Ganter 2016). Zu Beginn des Jahres 2018 wurde schließlich ein privater Betreiber für den Landmarkt gefunden an den der Betrieb übergeben wurde. Die Gemeinde Unterkirnach konnte mit Investitionen in fünfstelliger Höhe einen örtlichen Lebensmitteleinzelhandelsbetrieb erhalten und so die Nahversorgung vor Ort sichern (Schimkat 2018).

  2. 2.

    Das bayerische Wolframs-Eschenbach ist eine Kleinstadt in Mittelfranken, hat 3200 Einwohner*innen und gehört zum Landkreis Ansbach. Seit dem Jahr 2020 betreibt die Stadt eine kommunale Bäckerei. Nachdem die einzige Bäckerei im Ort über zwei Jahre leer stand, weil sich keine Nachfolge fand, entschloss sich die Gemeinde, die Bäckerei selbst zu übernehmen und als Backwarenverkaufsstelle mit Café zu betreiben. Zunächst musste jedoch die Kommunalaufsicht beim Landkreis Ansbach darüber beraten, ob die Gemeinde mit ihrer Stadtbäckerei einen Beitrag zur kommunalen Daseinsvorsorge leistet. Dazu waren auch Stellungnahmen der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer erforderlich. Mangels lokaler Konkurrenz aus der Privatwirtschaft wurde ein positiver Bescheid erteilt. Auf Basis eines Beschlusses des örtlichen Gemeinderates, investierte die Gemeinde schließlich rund 50.000 € in den Um- und Ausbau der ehemaligen Bäckerei. Seither betreibt Wolframs-Eschenbach als Kommune eine Backwarenverkaufsstelle. Die Backwaren stammen von einem Bäckereibetrieb aus einem Nachbarort. Sollte sich eine Privatperson oder ein Betrieb finden, soll auch die Bäckerei in Wolframs-Eschenbach mittel- bzw. langfristig wieder privatwirtschaftlich betrieben werden (Mallwitz 2020; Güttel 2020).

Beide Beispiele zeigen anschaulich, wie gerade kleinere Städte und Gemeinden im ländlichen Raum zur Sicherung der Daseinsvorsorge kommunale Unternehmen im Bereich der Ernährungswirtschaft gründen. Hierbei handelt es sich jeweils um Beispiele aus dem Bereich des Lebensmitteleinzelhandels. Es gibt aber auch Beispiele aus dem Bereich des Großhandels und der Verarbeitungsbetriebe, wo vielerorts ein Mangel an Betrieben besteht, der die Aufrechterhaltung bzw. Ermöglichung regionaler Lieferketten erschwert und/oder verhindert (Sipple und Schanz 2019; Moschitz und Frick 2021). Im Bereich der Schlachtbetriebe und Großmärkte waren oder sind viele Kommunen bereits traditionell tätig. Gerade hier gibt es viele weitere gute Gründe für den Erhalt bzw. die Wiederaufnahme der kommunalen Trägerschaft (Fink-Keßler 2021; Rogalinski 2013).

4 Fazit und Ausblick

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels mit inzwischen realen großflächigen Ernteausfällen und der Verwundbarkeit globaler Nahrungsmittellieferketten durch die Verschiebung geopolitischer Strukturen erscheinen zukünftige Notsituationen in der Versorgungssicherheit wahrscheinlicher. Dies erfordert eine Ernährungswende auch und gerade auf kommunaler Ebene (Faltermeier et al. 2022; Heuser und Bommert 2019; Eberle et al. 2006). Neben den ökologischen und politischen Herausforderungen bestehen hier im Bereich der Ernährung auch sozio-ökonomische Handlungsnotwendigkeiten, die eine Erweiterung der Daseinsvorsorge um das Handlungsfeld Ernährung rechtfertigen. So führt der Rückgang von Betrieben im Lebensmitteleinzelhandel (Jürgens 2017), im Lebensmittelhandwerk (Sipple und Schanz 2021) und der Gastronomie (Franz 2020), zu einer infrastrukturellen Ausdünnung betroffener Städte und Dörfer. Die Folgen sind Versorgungslücken (Jürgens 2020), eine sozio- und wirtschaftsstrukturelle Abwertung von Ortskernen und Innenstädten (Kulke 2020), sowie eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Kommunen (Sloane und O’Reilly 2013). Zudem gefährden in einigen Regionen Betriebsschließungen in der Außer-Haus-Verpflegung die adäquate tägliche Versorgung von Bildungseinrichtungen mit gesunden und vollwertigen Mahlzeiten (Jansen et al. 2020; Steinmeier und Kastrup 2022). Ein Hauptgrund für viele Betriebsschließungen ist der ausgeprägte Mangel an qualifizierten Fachkräften, Betriebsnachfolger*innen und Neugründer*innen (Hickmann et al. 2021; Elles et al. 2021). Diese Herausforderungen machen ein Handeln von Kommunalpolitik und -verwaltung im Bereich der Ernährung erforderlich. Über die Pflicht zur Daseinsvorsorge müssen Kommunen gewisse Angebote der Grundversorgung sicherstellen. Gleichzeitig gelten sie als eine besonders wirkungsvolle Umsetzungsebene der Nachhaltigkeitstransformation. Gerade auf kommunaler Ebene werden Praktiken des business as usual und der individuellen Lebensbedingungen und Gewohnheiten tagtäglich geprägt, (re-)produziert und ausgeführt (Kirst et al. 2014, 2019; Dütschke et al. 2019; Gustafsson und Ivner 2018).

Allerdings sehen viele Kommunen ihre Handlungsmöglichkeiten im Bereich Ernährung als begrenzt an, da die Regulierung der Märkte übergeordneten Ebenen zugeschrieben wird (Pothukuchi und Kaufman 1999, 2000; Brinkley 2013). Auf den ersten Blick scheint es, als ob die kommunalpolitische Steuerung sich weitestgehend auf raumplanerische Fragen der Ansiedelung des (Lebensmittel-)Einzelhandels, kommunaler Marktkonzepte sowie das kommunale Beschaffungswesen beschränken müsste (Moragues-Faus und Morgan 2015; Brinkley 2013). In der Kommunalplanung und -verwaltung existieren jedoch gleichzeitig vielfältige Querbezüge zu ernährungsrelevanten Handlungsfeldern (Stierand 2008, 2014), ohne dass diese unmittelbar zwingend erkennbar sind. Außerdem sind in der lokalen Ernährungswirtschaft in der Regel eine große Zahl unterschiedlicher Betriebe ansässig, die über Absatz- und Beschaffungsbeziehungen miteinander im Austausch stehen (Sipple und Schanz 2019; Sipple 2022). Ein systemisches Verständnis der Dynamiken lokaler Ernährungssysteme gerade auf Ebene der Kommunen offeriert folglich Hebelpunkte für deren nachhaltige Gestaltung (Sipple und Schanz 2023a, b).

Darüber hinaus lassen sich in der kommunalen Praxis ordnungspolitische Rahmensetzungen für eine kommunale, ernährungsbezogene Nachhaltigkeitspolitik identifizieren. Dies gilt besonders für kommunale Instrumente zur Stärkung der lokalen nachhaltigen Ernährungswirtschaft (Sipple und Wiek 2023), was sich an Beispielen aus Literatur und Verwaltungspraxis aufzeigen lässt (Sipple et al. 2023b; Wiek et al. 2023). Gerade in kleineren Städten und Gemeinden sind es Praktiken, welche die Gestaltung lokaler Ernährungssysteme prägen (Baldy et al. 2021; Sipple und Schanz 2023a, b). Ein Ansatzpunkt hierfür kann die Anpassung und Entwicklung von Dienstleistungen und Infrastrukturen zur kommunalen Daseinsvorsorge sein. Dies zeigt sich auch anhand konzeptioneller Überlegungen zu kommunalen Unternehmen der Ernährungswirtschaft (Sipple et al. 2023a).

Die Frage, ob und wie spezielle ernährungsrelevante Handlungsfelder Teil der kommunalen Daseinsvorsorge werden können, muss in den kommenden Jahren weiter untersucht und diskutiert werden. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, warum Ernährung ein zentraler Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge sein sollte. Diese Erweiterung erscheint trotz Personalmangel und steigendem Kostendruck in den Kommunalverwaltungen notwendig,  um die Resilienz der Kommunen zu sichern (Tillack und Hornbostel 2023). Nur so können sie dem eigentlichen Ziel hinter der gesetzlichen Daseinsvorsorge und der sozial-ökologischen Transformation gerecht werden: der Existenzsicherung für Mensch und Natur (Höher et al. 2022).