Zusammenfassung
Im Beitrag werden die langjährigen Erfahrungen der Autor:innen in der kritischen, antirassistischen Bildungsarbeit an diversen Bildungseinrichtungen in Österreich theoretisch reflektiert, um der Frage nachzugehen, wie Bildung gestaltet sein sollte und welche Aspekte sie berücksichtigen muss, um effektiv gegen rassistische Überzeugungen vorgehen zu können. Ausgegangen wird dabei davon, dass sich Rassismus als komplexe Ideologie verstehen lässt und vielschichtig auf Subjekte wirkt, wonach antirassistische Bildung gleichermaßen vielschichtig gestaltet sein sollte und als Ideologiekritik angelegt sein muss. Diese These wird in fünf Schritten ausgearbeitet und erläutert: Zu Beginn wird beschrieben, weshalb und wie sich Rassismus als Ideologie verstehen lässt. Darauf aufbauend wird die diesbezügliche Spezifizität Österreichs während der Fluchtbewegungen ab 2014 besprochen. Danach wird ausgeführt, inwiefern politische Bildung als Ideologiekritik bezüglich rassistischer Ideologien fungieren kann. Als praktisches Beispiel für ein solches pädagogisches Konzept wird sodann ein von den Autor:innen konzipiertes und durchgeführtes Workshopformat diskutiert, dessen Grenzen schließlich in einem letzten Schritt ausgewiesen werden.
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Notes
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Bei einer TV-Debatte zur Bundespräsident:innenwahl am 21.04.2016 wurde Hofer gefragt, ob er nicht falsche Erwartungen wecke, wenn er so tue, als könne er als Bundespräsident bspw. für strengere Zuwanderungsgesetze sorgen. Er schließt sein Statement mit der Aussage „Sie werden sich wundern, was alles gehen wird“ ab. (ORF-Elefantenrunde zur Bundespräsident:innenwahl, 21.04.2016, 33′25–35′20, online abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=d4w2fPN7fuM).
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Für eine umfangreiche Analyse der Geschichte, Ideologien und Auswirkungen dieser meritokratischen Prinzipien siehe Sandel (2020).
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An dieser Stelle kann aus Platzgründen nicht näher auf die Verschränkung von „race“ mit „gender“ und „class“ eingegangen werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die temporäre Ermöglichung der Absicherung (über die Etablierung des Normalarbeitsverhältnisses) durch den Ausschluss von Migrant:innen sowie Frauen* ermöglicht wurde (Nachtwey 2016, S. 83). Maria Mies spricht in diesem Zusammenhang etwa von der „Hausfrauisierung“ als Strategie um Frauen* weltweit, in Abgrenzung zu ihren (Ehe)Männern, in den Kapitalakkumulationsprozess zu integrieren, was auf eine geschlechterhierarchisierte Arbeitsteilung in der internationalen Arbeitsteilung verweist (Mies 2014, S. 112–144).
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Für eine detaillierte Analyse dazu siehe Nachtwey (2016). Nachtwey beschreibt die realen Prozesse des Abstieges breiter Teile der Bevölkerung in der „regressiven Moderne“ und die sich dadurch wieder stärker manifestierenden Klassenunterschiede.
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Die wohl umfangreichste Untersuchung einer solchen politischen Strategie boten Hall et al. (1978).
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Eine dritte Art inwiefern Rassismus als Ideologie fungieren kann, bildet die Internalisierung der Vorurteile gegenüber den Unterdrückten von diesen selbst, welche dazu führt, dass diese ihre eigene Unterdrückung weniger stark kontestieren (Shelby 2003, S. 182; Zurbriggen 2013; Fanon 2016). Dieser Mechanismus ist in unserem Zusammenhang weniger relevant, da die Zielgruppe unseres pädagogischen Konzepts zumeist nicht selbst Ziel rassistischer Unterdrückung ist.
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Eine Zeitdiagnose zu „Moralisierung“ und „Ethisierung“ (als sich überschneidende, aber auch in der Unterscheidung zeitdiagnostisch aufschlussreiche Phänomene) legte jüngst Moritz Ege (2022) vor. Für diesen Artikel relevant sind insbesondere, S. 186-189 als Überblick zu „Moralisierung als Vorwurf“ zu betrachten. Daran anschließend ist die auf S. 190 formulierte Frage hinsichtlich der politischen Ausrichtung des Moralisierungsvorwurfes aufschlussreich, wobei unser Text auf die von Ege als „antiliberalistisch“ kategorisierte Schlagseite blickt.
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In diesem Sinne expliziert Jaeggi (2009, S. 294), dass die Ideologiekritik versucht, „die Sichtweisen der Betroffenen zu rekonstruieren, ihr Verstehen zu verstehen, die Problematik eines Geschehens nicht extern-objektivistisch, von außen, sondern aus ihrer Sicht zu rekonstruieren.“
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In diesem Zusammenhang wirken manchmal auch Aussagen von Lehrer:innen, die sich gewissermaßen entsetzt über Fragen der Teilnehmenden zeigen und tendenziell eine Allianz mit uns Referierenden aufbauen möchten, kontraproduktiv, indem sie sich über gestellte Fragen echauffieren.
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Dies nahmen wir etwa ab dem Jahr 2017 wahr. Die Asylanträge gingen in Österreich, wie im Rest EUropas aufgrund der restriktiven Grenzpolitik, nach dem Peak von 2015 stetig zurück. So wurden im Jahr 2015 88.340, 2016: 42.285 und 2017: 24.735 Asylanträge in Österreich gestellt. Damit liegt die Anzahl der Anträge im Jahr 2017 knapp unter der Prä-2015-Anzahl von 2014, die bei 28.064 lag (BM. I 2017, S. 4). Die mediale Aufmerksamkeit auf das Thema war entsprechend etwas geringer und somit auch die Möglichkeit der Rechten (inkl. deren Medien) direkt via der Thematik „Asyl“ zu mobilisieren. Dies scheint wohl einer der driftigsten Gründe für die oben beschriebene Wahrnehmung von Lehrkräften zu sein.
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Das Konzept „Politische Bildung als Unterrichtsprinzip“ kann als „[Minimalkonsens] für die damals verhandelnden Parteien“ (Dachs 2008, S. 31) verstanden werden, der 1978 in Form eines Grundsatzerlasses verlautbart wurde. So gab es 1974 Bestrebungen seitens des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht „Politische Bildung“ als Pflichtfach zumindest in den AHS- und BHS-Abschlussklassen einzuführen. Dieser Regierungsvorschlag mündete jedoch in einer breiten Debatte über die potenzielle politische Instrumentalisierung des Unterrichtsfaches, führte schließlich auch von linker Seite zur Angst, dass AHS-Lehrer:innen tendenziell weniger sozialdemokratisch geprägte Inhalte im Unterricht tradieren würden. Der Vorschlag wurde schließlich zurückgezogen (Dachs 2008, S. 27).
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Berger, G., Panahi, A., Bäumel, L. (2023). Theorie und Praxis ideologiekritisch-antirassistischer Bildung am Beispiel eines Schulworkshopkonzepts in Österreich. In: Girnus, L., Panreck, IC., Partetzke, M. (eds) Schnittpunkt Politische Bildung . Politische Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40122-1_10
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