Das Arbeitsgericht Hamburg konstatiert am 01. September 2006 unter dem Aktenzeichen 27 Ca 136/06 im Rahmen eines Prozesses um die Rechtmäßigkeit von verdachtsunabhängigen Drogentests bei Mitarbeiter*innen eines Hafenterminalbetreibers, dass „(d)ie Teilnahme bzw. die Aufforderung zur Abgabe eines Urintests (…) geeignet (ist), festzustellen, ob ein Arbeitnehmer uneingeschränkt arbeitsfähig ist, oder nicht.“ (ArbG Hamburg 2006) Die Drogenurinschnelltests, die in dem betroffenen Unternehmen jedoch zum Einsatz kamen, waren gerade nicht qualifiziert, die Arbeitsfähigkeit der Arbeiter*innen zu überprüfen, da dies voraussetzen würde, dass diese Tests erstens die Konzentration einer psychoaktiven Substanz im Urin ausmachen könnten – was die genutzten qualitativen Schnelltests jedoch nicht zu detektieren imstande waren. Ein Urintest schaut allein in die (jüngere) Konsumvergangenheit einer Person und überblickt gerade nicht deren aktuelle Beeinflussung, was ihn folgerichtig unfähig macht, die gegenwärtige Arbeitsfähigkeit einer Person zu überprüfen (vgl. Kap. 6). Die ihm fälschlicherweise vom Gericht zugeschriebene Kompetenz war dabei von hoher Relevanz für die Urteilsfindung, da die instrumentelle Geeignetheit – neben der Erforderlichkeit und Angemessenheit – eines von drei Kriterien ist, dass das Gericht als notwendigerweise zutreffend erachten musste, um den Eingriff in die Privatsphäre der betroffenen Arbeitnehmer*innen als verhältnismäßig und damit rechtlich zulässig erklären zu können (z. B. Kaspar 2014: 101).Footnote 1 Und da die Kriterien in einem hierarchischen Verhältnis stehen, kann eine Maßnahme weder erforderlich noch angemessen sein, wenn sie ungeeignet ist (Wienbracke 2013: 149). Dieses Urteil dient bis heute als wesentliche juristische Referenz im Diskurs um Arbeitssicherheit durch Drogentests, das darin vermittelte Wissen kann somit als institutionalisiert angesehen werden, was wiederum die weitere Diskursreproduktion berührt, da das Urteil „zur Grundlage neuer Aussageproduktionen“ wird, der Diskurs dadurch gleichsam „‚zum Tanzen gebracht (wird)‘“ (Keller 2017b: 30).

Mit diesem empirischen Beispiel soll deutlich werden: Es kommt nicht allein darauf an, welche drogenanalytischen Fähigkeiten die genutzten Tests jeweils tatsächlich besitzen, als vielmehr, welche ihnen von den beteiligten Akteur*innen zugeschrieben werden. Und diese Attributionen haben diskursive Auswirkungen, indem handfeste Institutionalisierungen die Folge sein können, die wiederum die Rahmenbedingungen zukünftiger Drogentestpraktiken bedingen und schließlich als wichtige diskursive Referenz, z. B. in Debatten um die Rechtmäßigkeit von Drogenkonsumkontrollen – was immer auch mit dem diskursiv eminent wirkmächtigen Topos der Legitimität verbunden ist –, fungieren.

Zwar ist nicht bekannt, wie es konkret zur gerichtlichen Fehldeutung der Kompetenzen von Drogenurinschnelltests kam, gleichwohl soll das Urteil als empirischer Aufhänger für die These dienen, dass je größer die Zuversicht in die Fähigkeiten von Drogentests ausgeprägt ist, desto eher man bereit ist, ein solches Instrument anzuwenden. Gleichzeitig kann konstatiert werden, dass eine diskursiv durchsetzbare Legitimierung von Drogenkonsumkontrollen per Drogentest umso wahrscheinlicher ist, je objektiver die von ihm gegebenen Resultate wahrgenommen werden. Mit ‚objektiv‘ ist hier die Attribution gemeint, dass im Rahmen eines kontrollierten, unvoreingenommenen Verfahrens ein im Gegensatz zu subjektiven Bewertungen wertneutrales und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis generiert wird, das mit Recht den Anspruch auf Wahrheit kommuniziert (vgl. Porter 1994: 197; Daston/Galison 2007: 17; Dünkel 2008: 148).Footnote 2

Bereits Nelkin/Tancredi (1989: 23; Übers. S. E.) betonen in ihrer Studie über die Verbreitung biomedizinischer Testverfahren in gesellschaftlichen Alltagskontexten der USA die weitverbreitete Annahme von der „wissenschaftlichen Objektivität“ solcher Tests und die mit ihnen einhergehende „Aura der Präzision“ (1989: 23; vgl. a. 17, 38; Übers. S. E.). Solche Tests würden weithin als „neutral“ angesehen, was sich positiv auf die Legitimierung der damit zusammenhängenden Programme auswirke (1989: 10 f., 38; Übers. S. E.). Auch Daly (1989: 100; Übers. S. E.) betont in ihrer Analyse von Praktiken der Echokardiografie, dass solche Tests für gewöhnlich als „isolierte Ereignisse“ verstanden werden, „in deren Rahmen objektive technische Daten“ erhoben werden.Footnote 3 Und Lupton (1997: 93) ergänzt: „The discourse of diagnostic testing and screening represents these procedures as ‚scientific‘ and objective, value-free determinations of a reality uncontaminated by social processes“. Für Drogentests konstatiert schon Buchanan (2015):

“The technology appears to offer some tempting evidence and insight. (…) When faced with a complicated situation of determining and responding appropriately to drug misuse, a positive drug test appears to offer conclusive proof – clear evidence upon which straight talking and tough sanctions can be imposed.“ (vgl. a. Campbell 2005: 381)

Nelkin/Tancredi (1989: 87, 162 f., 168) deuten einen weiteren, in diesem Zusammenhang relevanten Punkt an: Drogentests, gerade weil sie als objektive Instrumente wahrgenommen werden, bilden eine vermeintlich unvoreingenommene Basis für Selektions- und Exklusionsentscheidungen und können somit die Verantwortung für solche, bisweilen als unangenehm empfundenen Urteile übernehmen. Sie treten mithin als zusätzliche Verweisungsadressaten auf die diskursive Bühne und bilden ein vermeintlich rationales, unvoreingenommenes Entscheidungsfundament für die (Aus-)Sortierung von Menschen. Mit Bezug auf u. a. Drogentests spricht Legnaro (1999: 128 f.) passend dazu von einer „Entmoralisierung“, die mit der Drogentestanwendung verbunden ist, sowie die damit exekutierbare „wertneutral(e)“ Kontrolle von Drogenkonsum.

Im Folgenden möchte ich daran anknüpfend, mit Rückgriff auf einschlägige Aussagen von Anwender*innen oder Befürworter*innen und Herstellern von Drogentests, empirisch rekonstruieren, inwieweit Drogentests als objektive Instrumente – als Apparaturen mit Wahrheitsvermögen – diskursiv verhandelt und welche Charakteristika im Zuge dessen konkret mit ihnen verknüpft werden. Ausgangspunkt dieser Herangehensweise ist das von Daston/Galison (2007: 121–200) wissenschaftshistorisch hergeleitete Attribuierungsmuster der „mechanischen Objektivität“, welches sich auf ein idealistisches Bild maschineller Erkenntnisproduktion bezieht und einen möglichst subjektlosen, instrumentell gestützten Aufzeichnungsprozess propagiert. Ergänzend dazu wird im Folgenden der Latour’sche Topos des blackboxing herangezogen, im Rahmen des Konzepts der mechanischen Objektivität situiert und – der artefaktanalytischen Methodik folgend – anhand eines konkreten Drogentestartefakts empirisch unterfüttert. Zum Schluss werde ich diskutieren, wie die mechanische Objektivität von Drogentests mit ihrer Eigenschaft zusammenhängen, Faktizität zu konstituieren und somit als „Wahrheitsmaschinen“ (Lemke 2004a: 267) zu dienen.

1 Das Attribuierungsmuster mechanischer Objektivität

In ihrer historisch angelegten Studie zum wissenschaftlichen Leitbild der Objektivität analysieren Daston/Galison (insb. 2002; 2007; Galison 2003; Daston 2005) die unterschiedlichen Regime der Objektivität, wie sie in der Geschichte der (Natur-)Wissenschaft als epistemische Tugenden vertreten und derer sich jeweils für die Bewertung der Gültigkeit von wissenschaftlichem Wissen bedient wurde. Am Beispiel von frühen Verfahren der Bildgebung – auf die das instrumentelle Repertoire wissenschaftlicher Objektivität allerdings keineswegs beschränkt ist (Daston/Galison 2007: 17)Footnote 4 –, allen voran mit Bezug auf wissenschaftliche Atlanten, zeigen sie auf, wie sich das Verständnis des adäquaten Mechanismus’ objektiver Erkenntnisgewinnung im geschichtlichen Verlauf verändert hat. Während noch im 18. Jahrhundert und zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Ideal der ‚Naturwahrheit‘ dominant war, welches die aktive Rolle kompetenter und bisweilen genialer Wissenschaftler*innen für das Ziel der Enthüllung metaphysischer Wahrheit betonte (Daston/Galison 2002: 35–57; 2007: 45 f.; Galison 2003: 385, 387; Daston 2005: 121–128), die durch ihre ebenso planvolle wie akribische Intervention idealisierte Typen von Phänomenen repräsentativ visualisieren sollten, veränderte sich das Verständnis von angemessener wissenschaftlicher Bildgebung zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Galison 2003: 385 f.; Daston/Galison 2007: 48). Angestoßen durch die (Weiter-)Entwicklung der Fotografie (Daston 2001: 153; 2005: 142 f.; Daston/Galison 2007: 132; vgl. a. Fitsch 2014: 38), war nun ein Leitbild vorherrschend, von Daston/Galison (2002: 31; 2007: 45, 127) als „mechanische Objektivität“ tituliert, das die Automatisierung der Bildherstellung propagierte und so auf die möglichst naturgetreue sowie von menschlicher Hand tunlichst befreite Wiedergabe der visualisierten Objekte bestand (Daston/Galison 2002: 29 f., 57–87; 2007: 45 f., 48, 121–200). Es ging nicht mehr um die realistische Abbildung im Sinne einer möglichst getreuen Darstellung des Objektypus’, sondern um eine möglichst naturalistische Darstellung des individuellen Exemplars in all seinen singulären Eigenheiten (Daston/Galison 2002: 87; Daston 2005: 124 f., 128). Darauf folgte wiederum zur Wende des 20. Jahrhunderts, auch als ablehnende Reaktion auf die radikale Bildkritik der Verfechter*innen struktureller Objektivität,Footnote 5 das Leitbild des geschulten Urteils (Daston/Galison 2007: 267–325). Dessen Advokat*innen kritisierten die Zufälligkeit der per mechanisch-objektiver Bildgebung dargestellten Phänomene und gingen in der Folge dazu über, Bilder wieder stärker zu bearbeiten und auf diese Weise Muster herauszuarbeiten und hervorzuheben – ohne allerdings einem ähnlichen genialistischem Ideal zu huldigen wie zu Zeiten der Naturwahrheit (Galison 2003: 387 f., 410–418; Daston/Galison 2007: 49 f., 327–383). Für die Gegenwart erwarten Daston/Galison (2007: 50, 438 f.) abermals eine Neuformierung der wissenschaftlichen Bewertung objektiver Bildgebung, zumal es zunehmend weniger um die Repräsentation – im Sinne des wiedergebenden Kopierens von Realem – geht, denn um das Präsentieren, die Konstruktion von neuen Objekten, die Sichtbarmachung von bis dato Unsichtbarem und die damit einhergehende verstärkte Handhabe von Bildern als Werkzeuge.

Aus der historischen Analyse von Daston/Galison – die keineswegs eine völlige Ablösung der jeweiligen historischen Objektivitätsverständnisse impliziert (Galison 2003: 391) – und der dort beschriebenen wissenschaftlich-epistemischen Tugend der mechanischen Objektivität lässt sich ein Attribuierungsmuster ableiten, das technowissenschaftlichen Apparaturen gemeinhin entgegengebracht wird und ihnen pauschal eine unverzerrte Abbildung der Wirklichkeit zuspricht. Zum besseren Verständnis sei nun die epistemische Tugend der mechanischen Objektivität eingehend beschrieben, um sie im Folgekapitel aus dem empirischen Material für Diskurse des Drogentestens zu rekonstruieren.

Beim wissenschaftlichen Ideal der mechanischen Objektivität ging es allem voran um ein „Blindsehen“ (Daston/Galison 2007: 17), eine möglichst authentische Beobachtung und Aufzeichnung der Welt, was ermöglichen sollte, die Natur für sich selbst sprechen zu lassen (Galison 2003: 386; Daston 2005: 117; Daston/Galison 2007: 126). Maßgeblich war im Zuge dessen eine doppelte Idealisierung: So wurde zum einen ein „Maschinenideal“ verfolgt, das eine technische Apparatur als „neutrale(n) und transparente(n) Operateur“ begriff und das einzig adäquate wissenschaftliche Instrument als möglichst „interventionsloses Aufzeichnungsgerät“ ansah (Galison 2003: 390). Menschlichen Subjekten wurde demgegenüber unterstellt, sich im Zweifel eher ästhetischen Referenzen und künstlerischen Traditionen denn dem abzubildenden Objekt verantwortlich zu fühlen und – bewusst wie unbewusst – ihre Interessen, Erfahrungen, Hoffnungen, Präferenzen etc. in das Bild einfließen zu lassen (Daston/Galison 2002: 30–33, 57, 84; 2007: 126 f., 129 f.; Galison 2003: 388 f.; Daston 2001: 153; 2005: 141, 148 f.). Der Impetus, der aus dieser doppelten Idealisierung folgerichtig resultierte, war, wissenschaftliche Bildgebung zu mechanisieren und zu automatisieren. Denn Maschinen – oder Menschen, die wie Maschinen funktionieren – wurden als willenlose Entitäten angesehen, die aufgezeichnete Reize verzerrungsfrei wiedergeben und auf diese Weise ein authentisches Abbild zu kreieren garantieren (Daston 2001: 153; 2005: 141: Daston/Galison 2007: 146 f.). Maschinen seien – im Gegensatz zum Menschen – „immun gegen Versuchungen“ (Daston/Galison 2007: 130, vgl. a. 145), sie seien von sich aus tugendhaft und böten aufgrund ihrer Willenlosigkeit keinerlei Angriffsfläche für subjektive Verfälschungen und die daraus folgende „Überblendung der Natur“ (Daston 2005: 149). Sie dienten mithin als Garanten einer ebenso unkorrumpierbaren wie urteilsfreien, protokollartigen Wiedergabe und eines unverzerrten sowie unbestechlichen Blicks auf die Welt, der immer auch schon mit dem „Nimbus des Anschaulichen“ überzeugte und die Unmittelbarkeit der technisch generierten Erkenntnisse – und damit die Kreation von Fakten – suggerierte (Daston 2005: 153; Daston/Galison 2002: 84, 87). Damit war nicht zuletzt die Ausstattung der maschinellen Befunde mit „Beweiskraft“ (Daston 2001: 145) und der spezifischen „Beglaubigung der Identität von Abbildung und Abgebildetem“ (Galison 2003: 393), im Sinne eines „‚graphische(n) Abdruck(s)‘ der Wirklichkeit“ (Heintz/Huber 2001: 19), verbunden. Die Hinwendung zur mechanischen Objektivität hatte letztlich auch praktische bzw. ökonomische Gründe, da mit der Nutzung von (teil-)maschinisierter Bildgebung, durch die (Teil-)Automatisierung des Herstellungsverfahrens, hohe Reproduktionsaufkommen möglich waren, da, so die Annahme, Maschinen – im Gegensatz zum Menschen – dauerhaft ermüdungsfrei und fehlerlos agieren können (Daston/Galison 2007: 129, 143, 146 f.).

Liest man die von Daston/Galison rekonstruierte epistemische Tugend der mechanischen Objektivität als Attribuierungsmuster und bezieht es allgemein auf technische Apparaturen, dann sind damit diejenigen – freilich immer auch diskursiv vorgeprägten – typischen Denkmuster angesprochen, die Personen zeigen, wenn sie mit technischen Instrumenten interagieren.Footnote 6 Diese zeigen sich konkret darin, welche Charakteristika Akteur*innen den Artefakten attestieren und wie sie diese in das eigene Tun integrieren (vgl. a. Heintz/Huber 2001: 19).

2 Drogentests als objektive Entscheidungsinstanzen und neutrale Adressaten von Verantwortungszuschreibung

Wie in Kapitel 5 gezeigt wurde, ist die Anwendung von Drogentests von Arbeitgeber*innenseite allen voran als Sicherheitsstrategie zu verstehen, als institutionalisierte Antwort auf identifizierte drogenkonsumbedingte Risiken. Das menschlicherseits in aller Regel nicht direkt wahrnehmbare Gefährdungspotenzial einer Person sollen Drogentests entsprechenden Sicherheitspraktiken zugänglich machen. Wie nun zu zeigen ist, werden Drogentests auch deshalb angewendet, weil ihnen – in ihrer Eigenart als technische Artefakte – das Vermögen objektiver Erkenntnisgewinnung zugeschrieben wird und sie für eine neutrale und faire Klassifizierung der getesteten Personen bürgen können. Dabei werden Assoziationen rekonstruierbar, die große Überschneidungen mit dem Attribuierungsmuster der mechanischen Objektivität nach Daston/Galison besitzen.

So argumentiert der ehemalige Funktionär der Arbeitgebervertretung Nordmetall Bengelsdorf (2011: 56; vgl. a. Diller/Powietzka 2001: 1227) in einer Handreichung für betriebliche Drogenpolitik: „Der Alkohol-/Drogentest überwindet die unsichere Erkenntnislage aufgrund subjektiver Einschätzung und liefert zuverlässige Ergebnisse.“ An anderer Stelle konstatiert er ausführlicher: „Der Einsatz objektiver Erkennungsmethoden durch Alkohol-/Drogentests hat den Vorteil, die unsichere Erkenntnislage aufgrund subjektiver Einschätzung zu überwinden und zuverlässige Ergebnisse zu liefern.“ (2009: 126) Analog dazu schreibt Manns (2007) vom Drogentesthersteller Dräger in einem Beitrag zur Substanzdiagnostik am Arbeitsplatz mit Bezug auf Alkoholtestgeräte: „(Die) Situation der Tolerierung gewisser Trinkmengen und deren Feststellung bringt Vorgesetzte in eine problematische Situation. Allenfalls Diagnostik-Werkzeuge wie Atemalkoholgeräte können unmittelbar vor Ort und sicher eine Beobachtung objektivieren.“ Steinmeyer (2012a), ebenfalls von Dräger, betont gleichfalls die Relevanz eines „objektive(n) und empfindliche(n) Nachweisverfahren(s)“ bei der Entdeckung von substanzbedingten Arbeitsunfällen sowie die Wichtigkeit, mit geeigneten „Mess- und Nachweisverfahren (…) den Eindruck von Nüchternheit mit Messergebnissen zu belegen.“ Die langjährige BASF-Betriebsärztin Kleinsorge (1998: 86) betont, dass die Werksärzt*innen bei Verdacht auf Drogenkonsum von Mitarbeiter*innen „verpflichtet [sind], die Diagnose zu sichern“, was konkret bedeute, dass ein Drogentest zu veranlassen ist (vgl. a. Kleinsorge 2000: 56).Footnote 7 Auch Manns (2007: 45) betont die Kapazität von Drogentests, die allgemeine menschliche Unfähigkeit, Drogenkonsumierende auf Basis äußerer Anzeichen zuverlässig zu erkennen, durch einen „eindeutigen Nachweis“ kompensieren zu können. Ebenfalls konstatiert Musial (2005: 131) – die aus der Rechtsabteilung des Chemiekonzerns Degussa stammt – dass ein Drogentest „eines der wichtigsten Instrumentarien zur Aufdeckung und Überwachung von Drogenkonsum (ist)“, da er aus Mangel äußerlicher Anzeichen für „einen eindeutigen Nachweis“ notwendig sei. Und schließlich argumentiert der*die Repräsentant*in eines Drogentestherstellers (B118: 259–265; Herv. S. E.) in Bezug auf Alkoholmessgeräte, dass man nur so eine gewisse Objektivität in den Prozess bekommen könne. Denn wenn eine andere Person Jemandem sage, dass sie alkoholisiert sei und zum Vorgesetzten gehen müsse, um das zu klären, wäre das grundsätzlich sehr subjektiv. Wenn man aber mit einem konkreten Promille-Wert argumentieren könne, hätte man eine andere Diskussionsgrundlage und könne das Vorgehen auf objektiverer Basis begründen.Footnote 8

Dem Drogentest wird also – dem Ideal der mechanischen Objektivität gleichsam paradigmatisch folgend – die Aufgabe übertragen, den Faktor Mensch und die damit zusammenhängenden Fehlerquellen aus dem Testprozess zu eliminieren und die menschliche Beobachtung durch eine instrumentelle zu ersetzen oder zu ergänzen. Dieser Ausschluss hat nicht nur epistemische Vorteile, indem ein vermeintlich eindeutiges und wahres Ergebnis erhoben werden kann, was auf allgemeine Akzeptanz – insbesondere bei den betroffenen Personen – stößt. Das mechanische Produkt des Drogentests hat gegenüber dem Menschen erhebliche Geschwindigkeitsvorteile und kann ohne Probleme viele Proben in kurz aufeinanderfolgenden Intervallen in gleicher Wertigkeit analysieren, was sich speziell im Rahmen von Einstellungsverfahren großer Unternehmen als praktikabel erweist (vgl. Kap. 5). Eine mögliche Alternative zur Überprüfung von möglichem Drogenkonsum, die allein von Menschen durchgeführt wird, z. B. Vigilanztests,Footnote 9 dauern demgegenüber wesentlich länger und operieren viel offensichtlicher mit der menschlichen Fehlbarkeit.

Die angenommene Objektivität von Drogentests ist auch deshalb von Relevanz für deren Anwender*innen, da Drogenkonsumkontrollen selbstredend auf Diskriminierung aus sind, auf die kategoriale Trennung von Personen, die in der Regel mit Sanktionen verbunden ist. Sei es nun der temporäre Führerscheinentzug respektive die Untersagung der Weiterfahrt oder die Ablehnung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens: mit Drogentests sind jeweils Eingriffe in die individuellen, rechtlich verbrieften Freiheiten der getesteten Personen verbunden, die einer nachvollziehbaren und stichhaltigen Rechtfertigung bedürfen. Es ist in solchen Fällen grundsätzlich von Vorteil, auf einen rationalen und eindeutig fundierten Entscheidungsprozess verweisen zu können, dem eine faire und transparente Basis zugesprochen wird. Und genau dies kann der Drogentest leisten. So schreibt beispielsweise Schütz (1999: 55) in seiner Einführung zur Drogenanalytik:

„Es wäre in hohem Maße riskant und beispielsweise bei Gericht wenig beweiskräftig, wenn sich ein ‚Drogennachweis‘ nur auf auffällige Beobachtungen (z. B. Pupillenform, Sprach- und Gangunsicherheiten, ‚Narbenstraßen‘ o.ä.) stützen würde. Daher ist ein Nachweis mit den Verfahren der modernen Analytik unverzichtbar.“

Der Drogentest bildet mithin, wie die Betriebsärzt*innen Kleinsorge/Zober (1994: 488) betonen, „die einzige Möglichkeit der Objektivierbarkeit“, er repräsentiert also die einzige Option, fernab subjektiver Empfindungen fundiert und u. U. gerichtsfest einschlägige Maßnahmen zu rechtfertigen (vgl. a. B51: 56 f.; Fleck 2002: 77). Zwar auf Atemalkoholtestgeräte bezogen, indes auf Drogentests übertragbar, schreibt analog dazu der Suchtberater Kolitzus (2000: 97):

„In all meinen Seminaren versuche ich die Verbreitung von Alkomaten zu erhöhen. In diesem Sinne argumentieren auch Juristen: Ein Rechtsanwalt rät Unternehmen, Alkoholtestgeräte einzusetzen, auch um bei einem möglichen späteren Kündigungsprozess Fakten vorweisen zu können.“ (vgl. a. Tödtmann 1999: 128)

Denn: „Die leidige Diskussion, ob ein Arbeitnehmer nun unter Alkohol steht, kann mit dem Alkomaten schlagartig geklärt werden“ (2000: 100). Das heißt, mit den Testinstrumenten soll Handlungssicherheit hergestellt werden, die sich auf deren wahrgenommenes Vermögen bezieht, Realität korrekt abzubilden und auf diese Weise Vermutungsdiagnosen abzusichern (Kleinsorge 1997: 306; vgl. a. 1996: 35). Und auch Bengelsdorf (2009: 126) betont mit Blick auf die Objektivität von Alkohol- und Drogentests:

„Arbeitsvertragliche Auseinandersetzungen z. B. wegen der Entgeltfortzahlung für ausgefallene Arbeitsstunden infolge alkoholkonsum-/drogenkonsumbedingter Beschäftigungsverbote und deren Dauer, der Wirksamkeit einer Abmahnung oder Kündigung werden vermieden.“

Drogentests wird also eine, bisweilen insbesondere im Vergleich zur menschlichen Urteilsfähigkeit konturierte Objektivierungskompetenz zugeschrieben, die sich nicht zuletzt auch als Garantie einer hinreichenden Verfahrensneutralität erweist. Die Nutzung von Drogentests, so die Annahme, macht den Identifizierungsprozess von potenziellen Drogenkonsument*innen unabhängig von subjektiven Bewertungen und kann dadurch für eine unvoreingenommene und faire Beurteilung der getesteten Personen sorgen. Entsprechend schreibt der Drogentesthersteller Securetec (o. J.), dass die besonderen Vorteile des Hinzuziehens externer Hilfe, einschließlich ihrer Testinstrumente, wie folgt aussehen:

  • „Neutrale Bestandsaufnahme

  • Keine emotionale Verstrickung

  • Lösungsansatz aus der Vogelperspektive

  • Objektive Methoden zur Aufklärung

  • Entlastung der Fach- und Führungskräfte“

Drogentests erscheinen in diesem Sinne als unparteiische Bewertungsinstanzen, die die Identifikation von Drogenkonsument*innen verlässlich und ohne Rückgriff auf interpretativ-wertende Axiome vollziehen. Deutlich wird diese dem Test zugeschriebene Attribution der Unparteilichkeit in folgendem Kommentar, in dem ein*e Betriebsärzt*in aus der Chemiebranche (B113: 1796–1801, vgl. a. 828) über alternative Mechanismen der Identifizierung von Drogenkonsumierenden spricht:

„Ich sage, ja mein Gott, die Mitarbeiter untereinander haben sich letztendlich zu begucken und dann muss eine oder einer sagen: ‚Mit dem stimmt’s nicht‘. Denunziation in so einer Gruppe geht nicht, die einzige Chance ist randomisiertes Screening, damit bin ich da raus. Ja, das ist wesentlich fairer.“

Die Nutzung von Tests zur Kontrolle von Mitarbeiter*innen, ob sie Drogen konsumiert haben oder nicht, hat folglich den Effekt, (persönliche) Verantwortung an ein technisches Fabrikat, an einen neutralen Dritten, zu delegieren und eine Bewertung fern menschlicher Bewertungen anbieten zu können, was eine Form von Verantwortungsübergabe impliziert. Der Drogentest wird dann zum Entscheidungsverantwortlichen und damit zur Referenz entsprechender Rechtfertigungen (B31: 211–229).

Wie es also auch bereits bei Nelkin/Tancredi (1989: 23) anklingt, sorgen Tests für eine vermeintlich rationale Klassifizierung und bieten sich auf diese Weise als Adressaten für Verantwortlichkeitszuschreibung an (vgl. a. Egbert et al. 2016: 259). Porter (1996: 8; Herv. S. E.) beschreibt diesen Effekt sehr treffend mit Bezug auf Quantifizierungen:

„The appeal of numbers is especially compelling to bureaucratic officials who lack the mandate of a popular election, or divine right. Arbitrariness and bias are the most usual grounds upon which such officials are criticized. A decision made by the numbers (or by explicit rules of some other sort) has at least the appearance of being fair and impersonal. Scientific objectivity thus provides an answer to a moral demand for impartiality and fairness. Quantification is a way of making decisions without seeming to decide. Objectivity lends authority to officials who have very little of their own.“

Diese Adressierung gilt insbesondere mit Bezug auf zwei Situationen: Zum einen, wenn unliebsame Entscheidungen getroffen werden müssen und der Test von der eigenen (moralischen) Haftung ablenkt; zum anderen, wenn es um mögliche Schadensersatzforderungen nach einem drogenkonsumbedingten Unfall kommen sollte.Footnote 10 Es sprechen somit allein schon (präventiv-)juristische Gründe dafür, als Arbeitgeber*in (v. a. im sicherheitsrelevanten Bereich) – gleichsam in vorausschauender Verantwortungsabgabe – ein Drogentestprogramm zu implementieren, da auf diese Weise ein konsequentes Eintreten gegen drogenkonsumierende Angestellte dokumentiert und gleichzeitig im Falle eines drogenbedingten Arbeitsunfalls auf den Drogentest verwiesen und dieser gleichsam in die Entscheidungsverantwortung genommen werden kann – gemäß dem Motto: ‚Der Drogentests hat den/die Stellenbewerber*in für drogenspezifisch unbedenklich eingestuft und es gab für uns keinen Grund, daran zu zweifeln. Dass sich dies als Fehlurteil herausgestellt hat und der*die Mitarbeiter*in nun doch einen drogeninduzierten Unfall herbeigeführt hat, kann uns nun nicht zur Last gelegt werden. Wir haben uns zu Recht auf das rationale Urteil des Drogentests verlassen‘. Ein Spezialfall in diesem Zusammenhang ist die Situation eines*einer Betriebsärzt*in, der*die im Einzelfall entscheidet, trotz eines positiven Tests den*die Bewerber*in als gesundheitlich geeignet an die Personalstelle weiterzuleiten, und dann im Falle eines Unfalls haftbar gemacht werden könnte (B103: 171–191).

Diese Verantwortlichkeitsübertragung kann nicht nur auf institutioneller, sondern auch auf individueller Ebene Relevanz entfalten, vor allem bei betroffenen Vorgesetzten. Diese sind bei Vorlage von Anzeichen einer möglichen Berauschtheit ihrer Mitarbeiter*innen gut beraten, diesen Verdacht entweder eindeutig zu entkräften – z. B. per Drogentest – oder den/die Verdächtige*n umgehend vom Arbeitsplatz zu entfernen, um mögliche spätere Klagen wegen Fahrlässigkeit abzuwenden (BP4: Abs. 117, 262, 395; B51: Abs. 12, 35; Zummack 2015: 17). So stellt Strack (2006: 67) von der Degussa AG (Chemieunternehmen) unter der Überschrift „Verantwortung des Vorgesetzten“ fest:

„Die chemische Industrie trägt wegen ihrer Produkte und Produktionsanlagen große Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Öffentlichkeit. Entsprechend sind Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar geregelt, denn der Vorgesetzte ist für die Handlungen seiner Mitarbeiter und für die Sachanlagen verantwortlich. Er haftet direkt, seine Verantwortung ist nicht delegierbar. Dies gilt umso mehr, wenn die Handlungen der Mitarbeiter durch Drogen beeinträchtigt sein könnten.“

Dazu auch die Aussage eines*einer Betrieblichen Suchtberater*in (B42: Abs. 68):

„(A)usschlaggebend ist der subjektive Eindruck des Vorgesetzten. Wenn der Mitarbeiter verwirrt ist, Fehltage hat, (…) seine Fehler macht, seine Arbeitsleistung stark nachgelassen hat und tatsächlich der Vorgesetzte am Arbeitsplatz feststellt, der ist heute nicht in der Lage seine Arbeit zu machen, dann braucht der Vorgesetzte überhaupt keinen Test. Der kann den sofort nach Hause schicken. Das ist die Verantwortung von der Führungskraft. Der ist für die Sicherheit verantwortlich am Arbeitsplatz und, ich sage mal so, ist mehr von der Führungskraft her schon grob fahrlässig, wenn der sie weiter arbeiten lassen würde. Das ist auch für die Führungskräfte, glaube ich, nicht so richtig klar. (…) Wenn da der Eindruck vorhanden ist, dass jemand seine Arbeit nicht ausführen kann, weil er unter dem Einfluss von irgendwelchen Substanzen steht. Dann muss eigentlich der Vorgesetzte reagieren und den vom Arbeitsplatz entfernen.“

Und Steinmeyer (2012a) vom Drogentesthersteller Dräger schreibt pointiert: „Bei der Vorsorge und den Maßnahmen gegen Suchtmittelmissbrauch im Betrieb nimmt der Vorgesetzte eine Schlüsselposition ein. Denn gemäß Arbeitsvertrag ist er verpflichtet, bei Substanzmissbrauch tätig zu werden.“ (vgl. a. Nadulski et al. o. J.: 2 f.) Ebenso betonen Meyer/Schack (1998: 54–56) in einer berufsgenossenschaftlichen Handreichung die Verantwortlichkeit von Arbeitgeber*innen, drogenbezogenes Fehlverhalten von Arbeitnehmer*innen zu vermeiden. Noch deutlicher wird Meyer an anderer Stelle (Breitstadt/Meyer 1998: 469):

„(D)em Arbeitgeber bzw. dem betrieblichen Vorgesetzten (obliegt) die Pflicht, den technischen, organisatorischen und arbeitnehmerbezogenen Arbeitsrahmen so zu gestalten, daß den verschiedenen Schutzzielen ausreichend Rechnung getragen wird und sicherheitsgefährdende Schutzzielkonkurrenzen weitestgehend ausgeschlossen werden.“ (vgl. a. Wienemann 2010: 215)

Und obgleich es rein juristisch einen Test nicht zwingend benötigt, um arbeitsrechtlich relevante Sanktionen auszuführen (z. B. B31: 177–209; B42: 68), ist es aus Vorgesetztensicht durchaus sinnvoll, einen solchen durchzuführen oder in Auftrag zu geben, um die Verdächtigungen zu verifizieren, entsprechende Eindeutigkeit herzustellen, die drogenbedingte Beeinflussung „schwarz auf weiß“ (B31: 204) zu dokumentieren. Schließlich nimmt es ihn*sie selbst aus der alleinigen persönlichen Verantwortung für die einzuleitenden arbeitsrechtlichen Schritte – z. B. Suspendierung, Abmahnung –, die einen womöglich in einem sozialen Spannungsverhältnis zurücklassen (vgl. a. Egbert et al. 2016: 258). Wie bereits bei Nelkin/Tancredi (1989: 84 f.) angemerkt, ist nämlich nicht zu unterschätzen, dass sich die Arbeitskolleg*innen – inklusive der Betriebsärzt*innen – bisweilen ausgesprochen gut untereinander kennen und womöglich freundschaftlich verbunden sind, was es schwieriger für die unmittelbar Betroffenen macht, auf Basis des äußeren Erscheinungsbildes eine mit Sanktionen zusammenhängende Entscheidung über die Arbeitsfähigkeit von Kolleg*innen zu treffen. Die gilt umso mehr, als dass durchaus mit Widerstand ob der Unfähigkeitsbewertung gerechnet werden muss – weil sie eben als subjektiv wahrgenommen und entsprechend kontestiert wird. Unterstützt wird dieser Gedankengang durch die Ausführungen seitens Strack (2006: 66) von der Degussa AG mit Bezug auf die Rolle der Werksärzt*innen, dass diese in Folge des prävalenten Sicherheitsrisikos durch Drogenkonsum „in einer doppelten und somit schwierigen Funktion (agieren)“, da sie einerseits „Vertrauensarzt“ für die Beschäftigten, andererseits „Betriebsarzt“ und damit arbeitgeberseitige Unterstützer*innen seien. In die gleiche Richtung denken Breitstadt/Meyer (1998: 469), ebenfalls von der Degussa AG, wenn sie kritisieren, dass die innerbetrieblichen Vorgesetzten und Konzernleitungen dazu tendierten, die Werksärzte als „Betriebspolizei“ zu sehen, womit diese von ihrem „Beratungsauftrag der Arbeitsmedizin“ in einen „Kontrollauftrag“ gedrängt würden. Strack (2006: 67; Herv. S. E.) ergänzt hinsichtlich des Parts der direkten Vorgesetzten:

„Er muss in der Lage sein, Verhaltensauffälligkeiten zu erkennen, und den Mut haben, sich mit diesen aktiv auseinanderzusetzen, das heißt, er muss bereit sein, zu intervenieren. (…) Eine solche Intervention erfolgt in einer extrem unsicheren Situation. Der Vorgesetzte stellt nämlich weder eine Diagnose noch ist er verpflichtet, irgendetwas zu beweisen. Allein aus seiner Verantwortung für die Sicherheit seiner Mitarbeiter und für den ordnungs- und bestimmungsgemäßen Betrieb seiner Anlagen heraus legitimiert sich sein Handeln. (…) Für die konkrete Intervention muss er also nicht nur die selbst gefühlten Barrieren überwinden (z. B. die eigene Unsicherheit zu akzeptieren, den Mitarbeiter vielleicht ungerecht zu behandeln oder ihm zu schaden), sondern er trifft eventuell auch auf massive Widerstände – beim Mitarbeiter selbst und in der Wahrnehmung anderer. Der Vorgesetzte muss sich auch vergegenwärtigen, dass der sich irren kann.“

Die Nutzung des Drogentests als objektivierendes Instrument kann somit helfen, das genannte Spannungsverhältnis abzubauen und (objektive) Klarheit zu erlangen, indem ein deutliches Ergebnis angezeigt wird und die Verantwortlichkeit an den Test delegiert werden kann (vgl. a. Paul 2010: 176). Denn wie heißt es schon bei Porter (1994: 209) so treffend mit Bezug auf Quantifizierungen: „But while quantifiers can scarcely assert that their conclusion come from nowhere, they can claim that they come from ‚somewhere else.‘“

3 Drogentests und blackboxing

Die weitverbreitete Selbstverständlichkeit, mit der Drogentests objektive und eindeutige Ergebnisse zugesprochen werden, kann, in Ergänzung des Attribuierungsmusters mechanischer Objektivität, mit dem von Latour (1987: 2 f., 81 f., 131, 253; 2002a: 222–224, 373; Latour/Woolgar 1986: 150, 242, 259) beschriebenen „blackboxing“ erläutert werden.Footnote 11

Diesen Prozess des blackboxingFootnote 12 definiert Latour (2002a: 373) wie folgt:

„Mit diesem Ausdruck (…) ist das Unsichtbarmachen wissenschaftlicher und technischer Arbeit durch ihren eigenen Erfolg gemeint. Wenn eine Maschine reibungslos läuft, wenn eine Tatsache feststeht, braucht nur noch auf Input und Output geachtet zu werden, nicht mehr auf ihre interne Komplexität. Daher das Paradox: Je erfolgreicher Wissenschaft und Technik sind, desto undurchsichtiger und dunkler werden sie.“

Den Begriff hat Latour aus der Kybernetik übernommen, wo er immer dann genutzt wird, wenn ein Teil einer Maschine oder eine Menge von Steuerbefehlen sehr komplex ist, was das Zeichnen einer kleinen Box zur Folge hat, von der dann nur noch die eingehenden Eingaben (Input) und das finale Ergebnis (Output) relevant sind (Latour 1987: 2 f.). So wird beispielsweise das Massenspektrometer als Blackbox beschrieben, da es ein kompaktes und handliches Gerät darstellt und einen Computer enthält, der die Ergebnisse ausgibt (Latour/Woolgar 1986: 150). Auf diese Weise bleibt die ‚interne Komplexität‘ des dahinterliegenden biochemischen Analyseprozesses opak und die Resultate werden in der Folge als Fakten interpretiert: „(E)ach of the indications is black-boxed, and incorporated into a piece of furniture. Consequently, the final result is taken as incontrovertible.“ (1986: 150) Routinemäßig genutzte und nicht mehr kontestierte technische Artefakte werden tendenziell als ein Gesamtartefakt angesehen, das nicht aus mehreren Einzelteilen und dahinterstehenden wissenschaftlichen Theorien besteht, sondern einen monolithischen Block darstellt, womit die Entscheidungen und Stabilisierungen, die während ihrer Entwicklungsprozesse vollzogen wurden, in den Hintergrund rücken (Latour 1987: 131; 2002a: 222 f.). Die mit technischen Artefakten – als soziotechnische Instrumente verstanden – per se einhergehende gesellschaftliche Kontingenz wird also unsichtbar, was wiederum mit einer Stabilisierung und Verfestigung des objektiven Gehalts der gemessenen Testergebnisse korrespondiert (Latour/Woolgar 1986: 242): „The activity of creating black boxes (…) [means] rendering items of knowledge distinct from the circumstances of their creation“ (1986: 259). Man vergisst gewissermaßen die Geschichte der Technologien (Pinch 1986: 212). Gleichzeitig scheinen die inneren Vorgänge des Testprozesses, also jener technische Ablauf, der das Testresultat unmittelbar generiert, in der praktischen Anwendung von untergeordneten Relevanz zu sein. Da tendenziell nur noch In- und Output wahrgenommen werden, wird das Resultat als Ergebnis eines automatisierten Prozesses gesehen, was – wie schon bei Daston/Galison hervorgehoben (vgl. Abschn. 7.1) – mit Objektivität, weil von menschlicher Intervention unabhängig verstanden, assoziiert wird.

Wie kann das Konzept des blackboxing nun auf Drogentests bezogen werden? Mit Rückgriff auf die artefaktanalytische Herangehensweise von Froschauer/Lueger (vgl. Abschn. 4.3.3) und die Erkenntnisse der teilnehmenden Beobachtungen zum konkreten Umgang mit Drogentests, wird im Folgenden der Aufbau eines typischen Drogenschnelltests (vgl. Abb. 7.1 u. 7.2) genauer begutachtet, um auf diese Weise die von ihm ausgehende blackboxing-Bewegung zu beschreiben.

Abb. 7.1
figure 1

(Quelle: eigenes Foto)

Ungenutzter Drogentest der Firma nal von minden.

Drogentests werden von den Herstellern gemeinhin in eingeschweißten Tüten vertrieben, in denen sich – je nach Testart – neben der Testkassette selbst noch eine Pipette befindet (vgl. Abb. 8.1 u. 8.3) (BP10: 200 f.). Die Testkassetten werden in ihrer äußeren Erscheinung durch eine Plastikhülle dominiert, die den Blick auf die für den bioanalytischen Detektionsprozess konstitutiven Teststreifen weitestgehend verhüllt und nur die Pipettieröffnungen (unten) und das Auslesefeld (oben) offen lässt. Der hier dargestellte Test wird treffender Weise als „Kassettentest“ beschrieben (nal von minden 2014: 9). Diesbezüglich heißt es: „Da sich der [Test-]Streifen in dem Gehäuse befindet, kann man ihn nur anhand der Öffnungen im Gehäuse erahnen.“ (2014: 9) Der Detektionsprozess verläuft dabei, sobald der Urin auf die entsprechenden Stellen der Teststreifen pipettiert wurde, automatisch ab, in dem per Kapillarwirkung der Urin eigenständig nach oben steigt, nach rund fünf Minuten das Ergebnis per Strichdarstellung angezeigt wird und dieses dann ‚nur‘ noch ausgelesen werden muss (vgl. dazu Kap. 8). Nicht zu sehen sind weite Teile der Teststreifen und somit bleibt weitestgehend opak, dass und wie der Urin aufsteigt. Die unterschiedlichen Zonen auf den Teststreifen sind überdies nicht erkennbar (vgl. dazu Abschn. 8.2). Unsichtbar sind zudem die auf den Streifen platzierten Antigene und Antikörper, also diejenigen Entitäten, die durch ihre (Nicht-)Kopplung das Testergebnis überhaupt ermöglichen. Grundsätzlich implizieren Drogentests also eine rigorose Zurichtung des Anwender*innenblicks und damit eine aktive Herstellung von (Un-)Sichtbarkeiten.

Abb. 7.2
figure 2

(Quelle: eigenes Foto)

Benutzter (negativer) Drogentest der Firma nal von minden.

Gemäß der von ihnen verkörperten Praktikabilitätsanforderungen (vgl. Kap. 6), ist die praktische Umsetzung von Drogentests gänzlich frei von den biochemischen Prozessen, die hinter dem Detektionsprozess stehen. Die Anwender*innen der Tests haben allein dafür Sorge zu tragen, dass die Probenflüssigkeit unverfälscht ist und sie ein adäquates Maß an Probenflüssigkeit – weder zu viel noch zu wenig – in die dafür vorgesehenen Öffnungen pipettieren. Konkret heißt es dazu in der Gebrauchsanleitung des hier dargestellten Tests:

  1. „1.

    Nehmen Sie die Testkassette aus der Schutzhülle und versehen Sie sie mit einer Kennzeichnung für die Patientenprobe oder die Kontrolle.

  2. 2.

    Nehmen Sie das Gefäß mit der Urinprobe und die Pipette, und saugen Sie ausreichend Urin in die Pipette.

  3. 3.

    Geben Sie 3 Tropfen (ca. 150 µl) Urin mit der Pipette in die runde Probenöffnung der Kassette. Nutzen Sie bitte für jede Probe eine neue Pipette und Testkassette. Achten Sie darauf, dass kein Urin direkt auf die Membran des Reaktionsfeldes gerät. Starten Sie die Stoppuhr.“ (nal von minden 2014: 9)

Es ist ebenfalls darauf zu achten, dass der Test auf eine horizontale Oberfläche abgelegt wird. Zudem sollen die Anwender*innen dem Test ausreichend Zeit geben, das Ergebnis zu visualisieren (nal von minden 2014: 9). Um weitere Einzelheiten des Detektionsprozesses haben sich die Anwender*innen in aller Regel, wenn es nach den Herstellern geht, nicht zu sorgen. Drogentests repräsentieren somit genau das, was Pinch (1986: 213) als konstitutiv für black boxes ansieht: „The instrument can literally be treated as a ‘black box’ by the operator – there will be no need to understand in detail the physics or chemistry contained within the instrument as the instrument now produces data of relevance to only one evidential context.“

Gleiches gilt für die wissenschaftlichen Kontroversen und Kontingenzen, die im Skript des Tests eingeschrieben sind. Innerhalb seines Gehäuses versammelt sich jegliche wissenschaftliche Aktivität und die damit zusammenhängenden Realitvitäten – von Grenzwertbestimmungen über Kreuzreaktivität zu Metabolisierungsdauer bzw. Detektionszeitfenster (vgl. Kap. 6) –, auf deren Basis ein solcher Test operiert. Diese wird jedoch in der Testanwendung nicht mehr deutlich, es wird durch den Test als abgrenzbares Einzel-Artefakt „reifiziert“ (Latour/Woolgar 1986: 242; Übers. S. E.). Da das Design des Tests die Verfahrensweise nicht mehr sichtbar erscheinen lässt, entzieht sie sich zugleich der stetigen Hinterfragbarkeit, da in der praktischen Umsetzung der Fokus nur noch auf In- und Output, auf die korrekte Anwendung des Verfahrens gelegt wird. Es sind dabei die in die Testinstrumente inskribierten gesellschaftlichen Normen, Entscheidungen und Hypothesen, die allesamt für sich genommen in der Regel nicht zwangsläufig sind, die im Rahmen der Nutzung weitestgehend unsichtbar blieben. Für Drogentests gilt also genau das, was Hörning (2001: 178) allgemein über Technik sagt: Sie „entproblematisiert, da sie Kontingenz invisibilisiert.“ Gleichzeitig wird den Tests – wie oben gesehen – unterstellt, dass sie unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten entwickelt wurden und sie das Produkt eines wissenschaftlichen Konsens’ sind, was die Objektivierungsattribution verstärkt. Die wissenschaftliche Apparatur trägt so zur Rationalisierung der Testpraxis bei, indem sie als „technological witness“ (Campbell 2005: 381) fungiert.

Eine ähnliche Funktion ist dem Körper der getesteten Person zuzuschreiben, der gleichsam zum ‚Hort der Wahrheit‘ wird, da in der praktischen Umsetzung von Drogentests die implizite Annahme vorherrschend scheint: „(t)he body does not lie“ (Aas 2006). Das, was im Körper stattfindet oder vorhanden ist, ist von außen nicht sichtbar. Der Test zeigt in diesem Sinne referenzlose Informationen an, die nicht ohne Weiteres in ihrer Güte bewertet werden können. Durch Drogentestanwendungen wird der Körper der getesteten Person zur eminent wichtigen „Relaisstation“ (Foucault 1998 [1977]: 129) und zum „wahrheitsgetreuen Register derjenigen Substanzen, die eine Person gegessen, geatmet, geschnupft, injiziert oder geraucht hat.“ (Gilliom 1994: 1; Übers. S. E.) Im Gegensatz zur getesteten Person, die man bezüglich ihres Drogenkonsums gar nicht erst fragt, da man ihr die Antwort ohnehin nicht glauben würde,Footnote 13 greift man auf den Test zurück, der die individuelle Autonomie der Geheimniswahrung unterminiert. Durch Nutzbarmachung des „lesbaren Körpers“ (van der Ploeg 2005: 77; Übers. S. E.), indem „Urin als ein Lotse zu inneren Zuständen“ (Gilliom 1994: 5; Übers. S. E.) agiert, wird der Körper als „Quelle beispielloser Genauigkeit und Präzision“ (Aas 2006: 153) operationalisiert.

4 Pragmatischer Positivismus: Objektivität als nützliche Realfiktion

Hanson (1994: 13; Übers. S. E.) situiert die Quelle jeglicher Testpraktik im „unbändigen Optimismus des Positivismus“. Damit meint er den Standpunkt, dass menschliches Verhalten natürlichen Gesetzen folge und dass diese starren Normen auf Basis wissenschaftlicher Prozeduren entdeckt und rekonstruiert werden können. In der Tat legen einige der gezeigten Zitate nahe, dass Drogentests regelmäßig die Fähigkeit zu objektiver Erkenntnisproduktion und eindeutigem Informationsgehalt zugeschrieben wird. Aber auch wenn dies im Einzelfall anders sein sollte und beispielsweise ein*e Betriebsärzt*in oder ein*e Polizist*in durchaus die epistemische Fragilität von drogentestbezogener Wissensgenerierung zu reflektieren vermag, in der Anwendungspraxis selbst haben sie kaum Gelegenheit, entsprechende Widersprüche bzw. epistemische Vorläufigkeiten in actu in Rechnung zu stellen, da nicht selten auf Basis des Testergebnisses umgehend eine Entscheidung gefällt werden muss (z. B. ein „unverzügliches Beschäftigungsverbot“, Kauert 2004: 303). Natürlich gibt es die Möglichkeit, einen positiven Schnelltest per nachgelagerter Bestätigungsanalyse verifizieren zu lassen, deren Ergebnis ist aber in der jeweiligen Testsituation selbst nicht entscheidungsrelevant, weil auf der Stelle ein Votum darüber abgegeben werden muss, ob die getestete Person arbeitsfähig respektive verkehrstüchtig ist. Und solche Entscheidungen sind allein vor dem Hintergrund binärer Entscheidungsoptionen zu fällen möglich: am Arbeitsplatz belassen/vom Arbeitsplatz entfernen, Weiterfahrt/Nicht-Weiterfahrt. Das heißt, etwaig reflektierte testseitige Unzuverlässigkeiten – z. B. eine Fehlertoleranz von x-Prozent –, die ihrem objektiven Nimbus zuwiderlaufen würden, können faktisch nicht situativ einkalkuliert bzw. praktisch umgesetzt werden, da einer Person freilich nicht zu x-Prozent die Weiterfahrt verboten respektive nur so und so viel prozentig die Arbeitsfortsetzung untersagt werden kann. Die ausgeworfenen Ergebnisse können also nur als richtig oder falsch gedeutet werden, Relativierungen sind de facto nicht möglich. Auch kann das Artefakt selbst nicht in den Abwägungsprozess mit einbezogen, mit ihm kann nicht verhandelt werden (Lianos/Douglas 2000: 264). Mit anderen Worten: Die Anwender*innen von Drogentests können oft gar nicht anders, als die Tests in einer Weise zu nutzen, als ob sie objektive Instrumente wären.Footnote 14

In Kongruenz mit Hutter/Teubner (1994: 115), die die Denkfiguren des homo oeconomicus und homo juridicus als institutionelle „Realfiktion(en)“, als zwar kommunikative Konstrukte, die indes durch ihre praktische Relevanz Wirklichkeitscharakter entfalten, beschreiben und analog zu Bröcklings (2007: 283) These, das Subjektivierungsmodell des unternehmerischen Selbst als „Realfiktion im Modus des Als-ob“ zu begreifen, also als „kontrafaktische Unterstellung“ der Möglichkeit vollumfänglicher marktwirtschaftlicher Existenz, sind Drogentests im Sinne objektiver Erkenntnisinstrumente folglich als Realfiktionen zu beschreiben. Ihnen werden implizit (über die direkte Umsetzung seiner Ergebnisse) oder explizit objektivierende Kompetenzen zugeschrieben, die zwar hypothetisch sind, aber konkrete reale Effekte zeitigen.Footnote 15 Und aufgrund der Notwendigkeit, situative Entscheidungen auf Basis der Testergebnisse unverzüglich zu treffen, die sich aus den praktischen Anwendungsbegebenheiten ergibt – schließlich ist es eine der Hauptaufgaben des Drogentests, Unwissenheit in Erkenntnis umzuwandeln, „to convert uncertainty into proof“ (Campbell 2005: 381), und klare Entscheidungskriterien bereitzustellen – sind es „nützliche Fiktionen“ (Vaihinger 1922: z. B. 29), die hier am Werk sind. Denn eine Testanwendung ohne die optimistische These, auf diese Weise gültige Resultate generieren zu können, würde in der Anwendungspraxis nur wenig Sinn ergeben. Drogentests sind nur dann hilfreich, wenn ihnen im Sinne eines objektiven Zeugen „epistemische Autorität“ (Schmidt/Voges 2011: 11) zugesprochen wird, wenn sie in einer Weise angewendet werden, als ob sie objektive Ergebnisse generieren würden. Ähnlich verhält es sich mit dem positivistischen Grundmotiv: Das idealisierte Ziel der Testanwender*innen ist die Generierung von positiven Befunden, die tatsächlich existierende (Persönlichkeits-)Merkmale in ihrer natürlichen Gesetzmäßigkeit abbilden. Dieser pragmatische Positivismus ist letztlich unausweichlich, da mit einem Testergebnis faktisch stets ein gewisser objektiver Erkenntnisgewinn assoziiert wird, weil die Ergebnisse handlungsleitendes Wissen generieren und in Entscheidungen übersetzt werden (müssen), womit die Eigenschaft von Drogentests als Reifikationsgeneratoren bzw. Wahrheitsmaschinen angesprochen ist.

5 Drogentests als (objektive) ‚Wahrheitsmaschinen‘

Wie gezeigt, implizieren Testverfahren unter der Zuhilfenahme von Testinstrumenten eine Delegation der damit zusammenhängenden Verantwortlichkeiten und stellen eine allgemein akzeptierte, vermeintlich objektive Basis für die Klassifikation von Personen bereit, die den Rückgriff auf die menschliche Urteilskraft, einschließlich der damit einhergehenden subjektiven Urteilskriterien, instrumentell umgehen und scheinbar gleichermaßen neutrale wie objektive Entscheidungsmerkmale zur Verfügung stellen können.Footnote 16 Statt einer menschlichen Person, die stets in der interpretativen Dimension verhaftet bleibt, ist es der vermeintlich a-soziale Test, dem ‚mechanische Objektivität‘ zugesprochen wird und der ein entsprechend unverzerrtes und unparteiliches Ergebnis zu produzieren imstande ist. Der Drogentest tritt mithin als eigenständiger Diskursaktant auf, mit dem – gerade aufgrund der ihm zugeschriebenen Materialität – spezifische Eigenschaften assoziiert werden. Die den Tests beigemessene Neutralität, die Aushandlungsprozesse unnötig werden lässt, ermöglicht eine vermeintlich ebenso eindeutige wie faire Zuordnung/Klassifizierung der Personen. Die Zuordnung muss nicht mehr von den Testanwender*innen selbst vorgenommen werden, die entsprechende Verantwortlichkeit kann an den Test übertragen werden – er wird mithin zum Delegierten (Latour 2002a: 227; Laux 2017: 179).Footnote 17 Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang gerade auch die Eigenart der Testinstrumente als wissenschaftlich-technologische Hilfsmittel, deren Ergebnisse schon aufgrund dieser Assoziierungen von den Akteur*innen in ein evidentes Resultat transformiert werden. Denn gemäß dem Attribuierungsmuster der mechanischen Objektivität ist der geeignete Weg zur unverzerrten Erkenntnis, die Natur möglichst interventionslos für sich selbst sprechen zu lassen. Als ein Subphänomen der mechanischen Objektivität wird dabei ferner die implizite Annahme der Anwender*innen von Drogentests relevant, dass die mit einem adäquaten Instrument aus dem menschlichen Körper extrahierten Information per se einen naturgetreuen Charakter hätten und der Körper, in Kombination mit einer geeigneten Technologie für dessen Lesbarmachung, zum ‚Hort der Wahrheit‘ mutiert. Beides sind Prozesse, die durch den black box-Effekt unterstützt werden: Eine Automatisierungsassoziation drängt sich auf, die in den Testprozess eingeschriebenen Kontingenzen bleiben opak und der Test wird in seiner routinemäßigen Anwendung auf seine praktischen Notwendigkeiten reduziert.

Mit den genannten Charakteristika drogentestbezogener Wissensproduktion ist ein weiteres Kernmerkmal von (Drogen-)Tests eng verbunden: sie konstituieren Faktizität und bergen deshalb die Disposition, das getestete Phänomen zu ontologisieren (vgl. dazu Berger/Luckmann 2009 [1969]: 94 f.; Heintz 2000: 114). Hanson (1994: 4, 47, 249; 2000: insb. 74–76) macht bereits deutlich, dass die Entwicklung und daran anschließende Nutzung von Tests mit einer Reifikationstendenz einhergeht: Indem ein Test entwickelt wird, der ein ebenso komplexes wie abstraktes Phänomen in einem singulären Verfahren auf ein eindeutiges Resultat verdichtet, wird suggeriert, dass es das jeweilige Indikandum in einem ontologischen Sinne tatsächlich gäbe (vgl. a. Gould 1983: 264; Holert 2003b: 226). Mit anderen Worten: Die bloße Existenz respektive Anwendung eines Testverfahrens evoziert die Verdinglichung der Zielvariable und damit die Transformation einer gesellschaftlich relativen, sozial konstruierten Kategorie in ein Objekt mit ontologischem Status samt gesellschaftspraktischer Potenz (vgl. a. Grubitzsch 1999: 56). Die gilt gleichfalls für Drogentests. Sie werden angewendet, um Drogenkonsumierende zu identifizieren, die wiederum als Sicherheitsrisiken gelten. Inwieweit die jeweils positiv getestete Person tatsächlich eine Gefährdung für Leib und Leben darstellt, wird von ihm freilich nicht geprüft. Er kontrolliert lediglich, ob Rückstände von ausgewählten psychotropen Substanzen im Urin nachweisbar sind, woraus deduziert wird, dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, wenn diese Person weiter Auto fährt oder weiter arbeitet bzw. den betreffenden gefahrengeneigten Job antreten darf. Das Etikett des Risikos wird dieser Person qua Testergebnis angehaftet und evoziert entsprechende Konsequenzen, wie z. B. eine abgelehnte Bewerbung oder die Untersagung der Weiterfahrt; das betroffene Individuum verändert sich gleichsam, es wird zum Drogenkonsumierenden, zur riskanten Person.Footnote 18 Auch hier gilt wieder, dass freilich die Möglichkeit der Bestätigungsanalyse gegeben ist, in aller Regel aber bereits durch den Schnelltest konkrete Sanktionen provoziert werden. Somit konstituiert er Faktizität – ganz im Sinne des Baudrillard’schen (1982: 112) „Hyperrealismus“– indem sein Ergebnis in eine zukunftsbezogene Information umgedeutet und entsprechend gehandelt wird, folglich Scheinwelt und Realität zusammenfallen (Hanson 1994: 287 f., 298 f.; 2000: 68–71). Demzufolge sind Drogentests als „Wahrheitsmaschinen“ (Lemke 2004a: 267; Herv. S. E.; vgl. a. 2004b: 23, 27) zu verstehen, die für die involvierten Personen ganz reale Konsequenzen haben und – indem sie vermeintlich neutral bestimmen, welche Person riskant ist und welche nicht – definieren, was als wahr zu gelten hat und wer die Person ‚wirklich‘ ist (vgl. a. Hanson 1993: 32; Horn 2002: 110).

Dabei ist die Wahrnehmung der Tests als eindeutig und objektiv nicht nur als Katalysator von Faktizitätskonstitution und Reifikationsprozessen relevant, sondern ebenfalls für ihre institutionelle Einbettung von großer Wichtigkeit. Insbesondere wenn die positiv getestete Person unmittelbare Konsequenzen, mitunter auch rechtlicher Art, zu spüren bekommt, macht es einen enormen Unterschied, ob das Ergebnis unter Rückgriff auf einen Test erhoben wurde oder es sich auf die subjektive Einschätzung einer Person bezieht. Oft ist die Nutzung eines Drogentests ein (impliziter) institutioneller Zwang und bisweilen auch ein Schutz für die Tester*innen, die die Rechtfertigungslast für die betreffende Entscheidung an den Test abgegeben können. Gleichzeitig ist hervorzuheben, dass die Ansicht, Drogentests könnten neutral – und damit unvoreingenommen und fair – Drogenkonsument*innen aussortieren, einen wichtigen Beitrag für die Rechtfertigung der Einführung von entsprechenden Kontrollen leistet und als Legitimationsverstärkung dienen kann.

Im Sinne eines indirekten diskursiven Effekts agiert der Drogentest also nicht als neutraler Mittler, er operiert viel mehr als transformierende Kraft, die Prozesse der Wissensgenerierung und Sinnkonstitution und damit die dispositive Konstruktion von Wirklichkeit merklich tangiert, da die ihm zugeschriebenen Eigenschaften, die wiederum mit seiner Dinglichkeit eng zusammenhängen, spezifische Assoziationen hervorrufen, die in diskursives Wissen übersetzt werden. Kurzum: Der Test als wissenschaftlich-technologisch verhandeltes Instrument macht einen konkreten Unterschied hinsichtlich der Art und Weise, wie mit den Resultaten umgegangen wird und wie der Test den sozialen Zusammenhang, in den er eingebettet ist, mitgestaltet – wie es beispielsweise der Urteilsspruch vom Arbeitsgericht Hamburg zu Beginn dieses Kapitels anzeigt. Das Resultat gewinnt eine andere praktische Qualität, indem es eine objektive Sortierung von Menschen verspricht. Gleichzeitig ist mit ihm als technischem Artefakt stets die Tendenz des blackboxing verbunden, da es für Außenstehende stets schwierig ist, konkret zu bewerten, was ein solcher Test tatsächlich kann und was nicht. So oder so: Drogenkonsum und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken werden auf diese Weise neu- bzw. andersartig zum Gegenstand diskursiver Praktiken, indem ein solcher Test neue zeichenförmige und mithin diskursivierbare Referenzen generiert.