Zusammenfassung
Dieser Beitrag untersucht die agrarsoziologische und sozioökonomische Forschung zur Hofnachfolge. Ausgehend von theoretischen und empirischen Definitionen der Hofnachfolge, Forschungsfragen, empirischen Methoden und der Einbettung in die Literatur werden fünf Forschungsperspektiven erarbeitet: i) Hofnachfolge als langjähriger komplexer sozialer Prozess, ii) Hofnachfolge und Ruhestand als spiegelbildliche Prozesse, iii) Wahrscheinlichkeit der Hofnachfolge als Funktion endogener und exogener Einflussfaktoren, iv) Hofnachfolge als Einflussfaktor auf bäuerliche Haushaltsstrategien und v) Hofnachfolge im Kontext von Überalterung in der Landwirtschaft. Jede Perspektive bietet spezifische Einblicke in die Hofnachfolge in landwirtschaftlichen Betrieben.
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Schlüsselwörter
- Hofnachfolgeprozess
- Hofnachfolgeforschung
- Forschungsperspektiven
- Landwirtschaftliche Haushaltsstrategien
1 Entwicklung der Hofnachfolgeforschung
Die Anfänge der agrarsoziologischen und sozioökonomischen Forschung zur HofnachfolgeFootnote 1 reichen in die 1950er-Jahre zurück (Tarver 1952). Bis in die frühen 1980er-Jahre wurden nur vereinzelt Arbeiten zum Thema publiziert (siehe Bohak et al. 2010). Anfang der 1990er-Jahre setzten Errington und Tranter (1991), Potter und Lobley (1992) sowie Gasson und Errington (1993) wesentliche Impulse für die Hofnachfolgeforschung. Im Rahmen des FARMTRANSFERS-Netzwerkes wurde zudem erstmals international vergleichbares Datenmaterial zur Hofnachfolge erhoben und in einer zentralen Datenbank archiviert (Lobley et al. 2010). Ab Mitte der 1990er-Jahre wurden Fragestellungen zur Hofnachfolge zunehmend mit ökonometrischen Modellen analysiert (z. B. Kimhi 1994, 1997; Stiglbauer und Weiss 2000). Das Ende des sozialistischen Systems in Osteuropa eröffnete die Möglichkeit, Hofnachfolgen in restituierten landwirtschaftlichen Familienbetrieben zu untersuchen (Dudek 2016; Grubbström und Sooväli-Sepping 2012; Kerbler 2012; Zagata et al. 2019). In den 2010er-Jahren befassten sich Forscherinnen und Forscher vermehrt mit Fragestellungen der innerfamiliären Übernahme- und Übergabebereitschaft (Morais et al. 2017, 2018) und der außerfamiliären Hofnachfolge (Ingram und Kirwan 2011; Korzenszky 2019) sowie mit genderspezifischen Aspekten der Hofnachfolge (Barbosa et al. 2020; Cassidy 2019; Luhrs 2016); zum einen beeinflusst vom Internationalen Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft der Vereinten Nationen 2014, aber auch weil die Überalterung in der Landwirtschaft (engl. Young Farmer Problem) zunehmend in den Fokus von Wissenschaft und Politik rückte (Zagata und Sutherland 2015). Aktuell existiert eine schier unüberblickbare Fülle an wissenschaftlicher Literatur zum Thema Hofnachfolge, deren Heterogenität den Einstieg in das Forschungsthema erschwert.
2 Forschungsperspektiven in der Hofnachfolgeforschung
Das Ziel des Beitrages ist es, die Vielfalt der Hofnachfolgeforschung zu strukturieren. Es erfolgte eine Analyse der englisch- und deutschsprachigen Literatur der letzten drei Jahrzehnte anhand der nachfolgenden Kriterien: i) theoretische und empirische Definition der Hofnachfolge, ii) Forschungsfragen, iii) angewandte empirische Methoden und iv) Einbettung in die Literatur. Auf Basis der Ergebnisse wurden fünf Forschungsperspektiven erarbeitet, die im Folgenden vorgestellt werden.
2.1 Hofnachfolge als langjähriger komplexer sozialer Prozess
Diese Forschungsperspektive verfolgt aus einer sozialpsychologischen bzw. soziologischen Position heraus einen ganzheitlichen (holistischen) Ansatz und zielt mit qualitativen empirischen Methoden auf eine facettenreiche Analyse der innerfamiliären Hofnachfolge als komplexes soziales Geschehen im landwirtschaftlichen Familien-Haushalts-Betriebssystem. Fischer und Burton (2014, S. 424 ff.) definieren den Hofnachfolgeprozess als einen sozial konstruierten endogenen Kreislauf, in dem drei einander bedingende und wechselwirkende Entwicklungen ablaufen: i) Identitätsbildung als Nachfolgerin oder Nachfolger durch Hofsozialisation, Erfahrung mit landwirtschaftlicher Arbeit und positive Verstärkung durch die Eltern, ii) Integration der Nachfolgerin oder des Nachfolgers mit der stufenweisen Übertragung von Betriebsleitungsaufgaben sowie iii) die von der Hofnachfolgesituation beeinflusste Betriebsentwicklung. Chiswell und Lobley (2018, S. 650) sehen die Identifikation von innerfamiliären Nachfolgerinnen oder Nachfolgern als kollektiven und iterativen Prozess, der im Spannungsfeld zwischen Familientradition und Individualisierung von Lebenszielen sowie rationalem Kalkül bei der Berufswahl abläuft. Publikationen bieten vertiefende Einblicke in Teilaspekte der Hofnachfolge: Brandt und Overrein (2013) untersuchen explizit die bäuerliche Sozialisation und die Bildung einer Nachfolgerinnen- oder Nachfolgeridentität, McMillan Lequieu (2015) den diesbezüglichen Einfluss von Vätern und Familientraditionen. Weilhartner (2020) analysiert die Auswahlprozesse bei der Hofnachfolge aus Sicht der weichenden Kinder, während sich Jaunecker et al. (2011) und Riley (2016) der Identität und den Rollen von Altenteilerinnen und Altenteilern widmen. Auch Analysen zum Ablauf der Hofnachfolge in postkommunistischen Ländern lassen sich hier einordnen (Dudek 2016; Grubbström und Sooväli-Sepping 2012; Zagata et al. 2019).
Darüber hinaus beschäftigt sich diese Forschungsperspektive mit der Konzeption von Phasenmodellen zur Beschreibung des Hofnachfolgeprozesses. Diese unterscheiden sich in Anzahl und Benennung der einzelnen Phasen. So definiert Hastings (1984, zitiert in Chiswell 2018, S. 5) vier Stufen der Nachfolge: i) Sozialisation, ii) technische Ausbildung, iii) Partnerschaft und iv) Übernahme der Kontrolle. Mann (2007, S. 161) befasst sich mit der Ausbildung und Berufswahl von innerfamiliären Nachfolgerinnen oder Nachfolgern. Er formuliert ein vierphasiges Modell: i) Nichtberufliche Vorstufe, in der Interesse an der Landwirtschaft geweckt wird, ii) Einführung in den Betrieb, bei der abgeschätzt wird, ob das Interesse groß genug ist, um einen landwirtschaftlichen Beruf zu ergreifen, iii) funktionelle Einbindung in betriebliche Abläufe und Entscheidungen sowie iv) Betriebsübergabe. Nach Keating und Little (1997, S. 163 ff.) erfolgt die Hofnachfolge in einem Auswahlprozess mit fünf Stufen: i) Beobachtung des Interesses, ii) Auswahl der interessierten Kinder, iii) Bewertung der Eignung und des Engagements der Kinder für den Betrieb, iv) Festlegung der Nachfolgerin oder des Nachfolgers und v) Abfindung der anderen Kinder. Seiser (2009, S. 10 ff.) differenziert zwischen i) vor der Übergabe, ii) beim Notar und iii) nach der Übergabe. Sie zeigt, dass der Hofübergabeprozess von fließenden Übergängen geprägt ist und sich das Zusammenleben und die Arbeitsorganisation der Familie nach dem Notariatsakt kaum verändern. Larcher und Vogel (2012, S. 72) unterscheiden fünf teilweise parallel ablaufende Phasen der Hofnachfolge: i) Sozialisation und ii) Berufsausbildung der Kinder, iii) Integration der Nachfolgegeneration in Entscheidungsprozesse, iv) Ruhestandsplanung der Betriebsleitergeneration sowie v) Vorbereitung und Durchführung der rechtlichen Eigentumsübertragung. Daran anknüpfend formuliert Brunmayr (2015, S. 18 ff.) ein Modell, das Hofnachfolgeprozess, Familienzyklus und Betriebsentwicklung integriert (siehe Abb. 1). Startpunkt des Prozesses ist die rechtliche Eigentumsübertragung. In der anschließenden Startphase definieren die Nachfolgerin oder Nachfolger ihre betrieblichen Ziele und richten den Betrieb daran aus (sofern dies nicht bereits in der Vorbereitungsphase auf die Hofübergabe erfolgte). Idealtypisch fällt in diese Phase auch die Familiengründung. Geschieht dies nicht und schwindet im Laufe der Jahre die Aussicht auf Nachkommen, fehlt der generationenübergreifende Planungshorizont und der Betrieb gerät in eine labile Entwicklungsphase. In eine solche Phase kommen auch Betriebe mit Kindern, wenn keines von ihnen einen landwirtschaftlichen Beruf ergreift, wenn niemand in betriebliche Entscheidungsprozesse integriert werden kann oder wenn ein am Betrieb bereits integriertes Kind seine beruflichen Pläne ändert. Umgekehrt kann sich die Betriebsentwicklung wieder stabilisieren, wenn in einer späteren Lebensphase die Familiengründung gelingt oder sich eines der Kinder nach einer außerbetrieblichen beruflichen Phase doch für die Übernahme des elterlichen Betriebs interessiert. Die im Modell veranschaulichten Zusammenhänge von Hofnachfolgeprozess, Familienzyklus und Betriebsentwicklung bestätigt Schläger (2020, S. 47 ff.) in einer qualitativen Analyse von Biobetrieben.
2.2 Hofnachfolge und Ruhestand als spiegelbildlicher Prozess
In Anlehnung an Fennell (1981) definiert diese agrarsoziologische Forschungsperspektive Hofnachfolge als eine kürzere oder längere Zeitspanne, in der die in den Ruhestand wechselnde Generation die Übertragung von Wissen, Arbeitsaufgaben, Management, Kontrolle und Eigentum an die Nachfolgegeneration plant und durchführt. Gasson und Errington (1993, S. 183) differenzieren in i) Hofnachfolge als stufenweisen Transfer der Betriebsleitung, ii) Vererbung als Eigentumsübertragung des landwirtschaftlichen Vermögens auf die Nachfolgerin oder den Nachfolger sowie spiegelbildlich dazu in iii) Ruhestand der Eltern als Rückzug von der Betriebsleitung und/oder der landwirtschaftlichen Arbeit sowie aus dem Eigentum. Errington und Tranter (1991) veranschaulichen diesen Prozess mit der Nachfolgeleiter, auf der Nachfolgerinnen und Nachfolger nach oben steigen, bis sie schließlich die gesamte Betriebsleitung und das landwirtschaftliche Vermögen innehaben.
Im Zusammenhang mit dieser Forschungsperspektive steht das von Andrew Errington initiierte FARMTRANSFERS-Netzwerk: Mit Hilfe eines standardisierten, in die jeweilige Landessprache übersetzten Fragebogens wurden bislang in 20 Erhebungsgebieten vergleichbare Daten zu Hofnachfolge- und Ruhestandsplänen sowie zur betrieblichen Kompetenzverteilung erhoben und in einer zentralen Datenbank zusammengestellt (siehe Tab. 1).
Für Österreich (Larcher und Vogel 2019; Vogel 2006), Schleswig-Holstein (Tietje 2004), Australien (Barclay et al. 2012) und Iowa (Duffy et al. 2001; Maule et al. 2020) liegen detaillierte deskriptive Analysen der Erhebungsdaten vor (statistische Kennzahlen, Häufigkeitsverteilungen, bivariate Korrelations- und Kontingenzanalysen). Umfassende Ländervergleiche sind für Schleswig-Holstein und Österreich (Glauben et al. 2004a), sowie für Japan, Iowa, Virginia, England, und Canada (Uchiyama et al. 2008) verfügbar. Für die meisten US-Bundestaaten liegen hingegen nur Teilergebnisse vor (Lobley 2010; Lobley et al. 2010). Einige Publikationen schränken ihre Analysen auf die Beteiligung von Nachfolgerinnen und Nachfolgern am betrieblichen Management ein (Errington 1998; Larcher und Vogel 2021).
Studien, die den FARMTRANSFERS-Fragebogen oder wesentliche Teile davon in eigene Erhebungsinstrumente integrieren (Engelhart 2017), sowie Vergleichsstudien, die konzeptionell auf persönlichen Erfahrungen im FARMTRANSFERS-Netzwerk aufbauen (Daugbjerg et al. 2005; Sottomayor et al. 2011), sind ebenfalls dieser Forschungsperspektive zuzuordnen.
2.3 Wahrscheinlichkeit der Hofnachfolge als Funktion endogener und exogener Einflussfaktoren
Diese Forschungsperspektive gründet in der Agrarökonomie und nutzt ökonometrische Modelle, um die Wahrscheinlichkeit der Hofnachfolge anhand unabhängiger endogener (persönlicher, familiärer, betrieblicher) und exogener (Rahmenbedingungen) Variablen zu schätzen. Untergeordnet werden auch andere abhängige Größen einbezogen, z. B. der optimale Übergabezeitpunkt (Kimhi 1994; Kimhi und Lopez 1999), Ruhestandspläne (Duesberg et al. 2017) oder die Landnutzung bei fehlender Hofnachfolge (Zou et al. 2018). Für die vorwiegend sekundärstatistischen Analysen werden z. B. Agrarzensus- oder Buchhaltungsdaten verwendet.
Was unter Hofnachfolge verstanden wird, hängt wesentlich von der Operationalisierung bei der Datenerhebung ab. In den Publikationen lassen sich fünf empirische Ansätze identifizieren:
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Einschätzung der Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter hinsichtlich der Verfügbarkeit einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers, erhoben mittels standardisierter Befragung (Aldanondo Ochoa et al. 2007, S. 216; Engelhart et al. 2018, S. 4; Glauben et al. 2004b, S. 445; Kimhi und Nachlieli 2001, S. 48);
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Vorliegen von Nachfolgeplänen bei Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern, erhoben mit Hilfe standardisierter Befragungen (Mishra et al. 2010, S. 138);
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Verfügbarkeit einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers, abgeleitet aus den Antwortoptionen in standardisierten Befragungen, die nicht direkt auf die Hofnachfolge gerichtet sind (z. B. Zukunftspläne) (Väre et al. 2010, S. 84);
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Erfolgte Hofnachfolge, abgeleitet aus veränderten Eigentumsverhältnissen zu zwei Erhebungszeitpunkten in Paneldaten (Stiglbauer und Weiss 2000, S. 9; Väre et al. 2010, S. 84);
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Wahrscheinliche Hofnachfolge, repräsentiert durch ein am Hof arbeitendes erwachsenes Kind der Betriebsleiterin oder des Betriebsleiters (Aldanondo Ochoa et al. 2007, S. 217; Kimhi und Nachlieli 2001, S. 53; Corsi 2009, S. 17).
Die Variation der unabhängigen Variablen, die in die statistischen Analysen einfließen, ist noch breiter als die Operationalisierung der Hofnachfolge. Je nach Fragestellung, theoretischem Hintergrund und Verfügbarkeit von Datenmaterial umfassen die Modelle sowohl betriebsbezogene Variablen als auch solche, die sich auf die Betriebsleiterin oder den Betriebsleiter, die Familie oder den Haushalt beziehen (für eine Übersicht siehe Rodriguez-Lizano et al. 2020). Politische, räumliche und ökonomische Rahmenbedingungen werden hingegen nur vereinzelt berücksichtigt (z. B. Bertoni und Cavicchioli 2016; Cavicchioli et al. 2019; Mishra und El-Osta 2008).
Die Modelle zeigen für die meisten unabhängigen Variablen lineare Zusammenhänge mit der Wahrscheinlichkeit der Hofnachfolge (siehe Abb. 2). Dies ist beim Alter der Betriebsleiterin oder des Betriebsleiters nicht der Fall: Der Zusammenhang ist zwar immer positiv, aber die Wahrscheinlichkeit einer Hofnachfolge nimmt mit einem bestimmten Alter ab. Es gibt also offenbar eine Altersgrenze, ab der die Hofnachfolge als „versäumt“ eingestuft werden kann.
Empirische Studien liefern teilweise widersprüchliche Ergebnisse hinsichtlich der Wirkungsrichtungen von unabhängigen Variablen. Beispielsweise ergeben einige Untersuchungen, dass eine Hofnachfolge in Betrieben mit männlicher Betriebsleitung wahrscheinlicher ist als in jenen mit weiblicher, andere zeigen jedoch das Gegenteil. Diese Diskrepanzen lassen sich wahrscheinlich auf die Modelldesigns zurückzuführen, die zwar ein breites Spektrum unabhängiger Variablen einbeziehen aber keine Wechselwirkungen zwischen ihnen berücksichtigen.
2.4 Hofnachfolge als Einflussfaktor auf bäuerliche Haushaltsstrategien
Diese sozioökonomische Forschungsperspektive untersucht mit einem qualitativen und quantitativen Methodenspektrum den Einfluss der Hofnachfolge auf bäuerliche HaushaltsstrategienFootnote 2. Diese werden empirisch unterschiedlich gefasst: i) mit Blick auf die Zukunft in Form von betrieblichen Plänen, ii) mit Blick auf die Vergangenheit als durchgeführte betriebliche Aktivitäten oder iii) als Veränderung in betrieblichen Merkmalen (z. B. Betriebsgröße). Je nachdem, ob Hofnachfolge als Einschätzung der Betriebsleiterinnen bzw. Betriebsleiter hinsichtlich der Verfügbarkeit einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers oder ihrer Mitwirkung an der Betriebsführung operationalisiert wird, konzentriert sich die Analyse auf den Nachfolgeeffekt, Nachfolgereffekt oder Ruhestandseffekt.
Ein Nachfolgeeffekt (engl. Succession Effect) tritt nach Lobley et al. (2010, S. 51) dann auf, wenn die bäuerlichen Haushaltsstrategien auf der subjektiven Einschätzung von Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern beruhen, dass eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger vorhanden ist. Er ist umso stärker, je sicherer die Hofnachfolge angenommen wird. Calus et al. (2008, S. 46 ff.) zeigten, dass das Betriebsvermögen wächst, wenn die Hofnachfolge als gesichert erachtet wird. Bei Annahme einer unsicheren Hofnachfolge bleibt es tendenziell konstant, und es sinkt, wenn scheinbar keine Nachfolgerin oder kein Nachfolger verfügbar ist. Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter, die annehmen eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu haben, investieren mehr in landwirtschaftliche Flächen, Wasserrechte und technische Ausstattung als andere (Wheeler et al. 2012, S. 271 f.).
Sobald eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger bereits vor der rechtlichen Hofübergabe in betriebliche Entscheidungen einbezogen wird, kann sie/er direkten Einfluss auf die Haushaltsstrategien und damit auf die Betriebsentwicklung nehmen, was als NachfolgereffektFootnote 3 (engl. Successor Effect) bezeichnet wird (Lobley et al. 2010, S. 51). Ein höheres Maß an Beteiligung stärkt Professionalisierungspläne (z. B. Intensivierung oder Diversifizierung der landwirtschaftlichen Produktion oder der Direktvermarktung, Flächenausweitung oder Umstellung auf Biolandbau) (Inwood und Sharp 2012, S. 112 ff.; Larcher et al. 2019, S. 40).
Der Ruhestandseffekt (engl. Retirement Effect) tritt hingegen auf, wenn Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter davon ausgehen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Hofnachfolge stattfinden wird (Lobley et al. 2010, S. 51). Er äußert sich in betrieblicher Stagnation, Extensivierung der Produktion, Reduzierung von Flächen und landwirtschaftlichem Vermögen (Inwood und Sharp 2012, S. 112 ff.; Krammer et al. 2012, S. 206 ff.; Wheeler et al. 2012, S. 271 f.). Zu erwähnen ist aber zudem, dass eine betriebliche Extensivierung auch eine Bedingung für die Hofnachfolge darstellen kann, wenn die Nachfolgerin oder der Nachfolger den landwirtschaftlichen Betrieb neben einer außerbetrieblichen Berufstätigkeit führen will (Larcher und Vogel 2010, S. 112; Mann et al. 2013, S. 114 ff.).
2.5 Hofnachfolge im Kontext von Überalterung in der Landwirtschaft
Diese Forschungsperspektive fokussiert weniger auf landwirtschaftliche Betriebe, sondern vielmehr auf deren Bedeutung für den ländlichen Raum. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Überalterung in der Landwirtschaft (engl. Young Farmer Problem), die als problematisch für die Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Nachhaltigkeit des Agrarsektors sowie für die Vitalität ländlicher Räume erachtet wird. Als zentrale Ursachen gelten zu wenige bzw. verspätete innerfamiliäre Hofnachfolgen und zu wenige landwirtschaftliche Existenzgründungen (Zagata und Sutherland 2015, S. 40 ff.). Dementsprechend analysiert die agrarsoziologische und soziopsychologische Forschung die Hintergründe der sogenannten „Hofnachfolgekrise“ (Fischer und Burton 2014, S. 433): i) Einflussfaktoren auf die Bereitschaft von Kindern, den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen, ii) Ursachen für das Hinauszögern des Ruhestands bzw. der Hofübergabe durch Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter, iii) Einflussfaktoren auf und Ablauf von außerfamiliärer Hofnachfolge und landwirtschaftlicher Existenzgründung sowie iv) Wirksamkeit von politischen Maßnahmen zur Förderung des Generationenwechsels (May et al. 2019) und von Initiativen zur Vermittlung außerfamiliärer Nachfolgen (Cush und Macken-Walsh 2016; Valliant et al. 2020).
Qualitative und quantitative Befragungen von potenziellen Nachfolgerinnen und Nachfolgern zeigen, dass die Bereitschaft zur Übernahme des elterlichen Hofs nicht nur von ökonomischen Faktoren (z. B. der Betriebsgröße) beeinflusst wird, sondern auch von sozioemotionalen Faktoren (z. B. Verbundenheit mit Familie und Betrieb, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Freunde an der landwirtschaftlichen Tätigkeit) (Morais et al. 2017, S. 449 f., 2018, S. 54 ff.; Plana-Farran und Gallizo 2021, S. 12 f.). Qualitative Studien, die sich spezifisch den Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen widmen, zeigen unter welchen Umständen Töchter bei der Hofnachfolge zum Zug kommen (Cassidy 2019; Luhrs 2016; Otomo und Oedl-Wieser 2009). Andere Untersuchungen analysieren, was für Töchter wichtig ist, um die Hofnachfolge selbst in Betracht zu ziehen (Barbosa et al. 2020).
Zu einer verzögerten Hofnachfolge kann es dann kommen, wenn Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter die Abgabe von Macht und Eigentum an die Nachfolgegeneration als Risiko empfinden und einen Prestigeverlust in ihrem sozialen Umfeld befürchten (Conway et al. 2019).
Andere Publikationen beschreiben den Prozesscharakter der außerfamiliären Hofnachfolge (Korzenszky 2019, S. 295 ff.). Entscheidend für ihr Gelingen sind vor allem das Aushandeln der Bedürfnisse von Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern mit möglichen außerfamiliären Nachfolgerinnen und Nachfolgern, überdurchschnittliche Risikobereitschaft sowie der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen. Initiativen zur Förderung außerfamiliärer Hofnachfolgen und politische Maßnahmen zur Förderung von Hofnachfolge und Ruhestand können diese Hürden meist nicht gänzlich beseitigen. So zeigen Ingram und Kirwan (2011, S. 925), dass trotz professioneller Begleitung selbst intensiv geführte Verhandlungen zwischen Hofübergeberinnen oder Hofübergebern und potenziellen Nachfolgerinnen oder Nachfolgern, immer noch von einer Seite abgebrochen werden, wenn es darum geht, die Modalitäten der Hofnachfolge vertraglich zu regeln.
3 Resümee und Ausblick
Die Analyse der deutsch- und englischsprachigen agrarsoziologischen und sozioökonomischen Literatur zur Hofnachfolge in den letzten drei Jahrzehnten zeigt eine große inhaltliche und methodische Vielfalt, die sich zu fünf Forschungsperspektiven zusammenfassen lässt. Jede dieser Perspektiven leistet spezifische Erkenntnisbeiträge zum Thema. Die Stärke der Studien zum Prozesscharakter der Hofnachfolge ist ein detailreiches und ganzheitliches Verständnis von sozialen und sozioökonomischen Zusammenhängen und langfristigen Entwicklungen in unterschiedlichen Kontexten. Die eng mit dem FARMTRANSFERS-Netzwerk verknüpfte Forschungsperspektive trägt wesentlich zur internationalen Vergleichbarkeit von Forschungsergebnissen zum Prozess der Übergabe von Kompetenzen, Funktionen und Rechten an die Nachfolgegeneration bei. Die auf die Modellierung von Wahrscheinlichkeiten einer Hofnachfolge ausgerichtete Forschungsperspektive liefert statistisch fundierte Aussagen über die Wirksamkeit von Einflussfaktoren und ermöglicht eine hohe Anschlussfähigkeit an andere (agrar-)ökonomische Fragestellungen. Die Forschungsperspektive zum Einfluss der Hofnachfolge auf Haushaltsstrategien gibt Aufschluss über die Auswirkungen individueller Einschätzungen und anderer sozialer Faktoren auf betriebliche Entscheidungen und die längerfristige Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe. Die Forschungsperspektive, welche die Hofnachfolge im Kontext der Überalterung der Landwirtschaft untersucht, setzt nicht nur auf einzelbetrieblicher Ebene an, sondern hebt deren Bedeutung für die Vitalität ländlicher Räume hervor und stellt eine Verbindung zwischen agrarsoziologischen und regionalsoziologischen Fragestellungen sowie zur ländlichen Entwicklung her.
Neben den oben genannten wertvollen Beiträgen zeigt die Analyse der Literatur zur Hofnachfolge auch die Schwächen der einzelnen Forschungsperspektiven sowie der Hofnachfolgeforschung insgesamt. Eine davon ist die mangelnde Vergleichbarkeit der Ergebnisse, sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen Forschungsperspektiven. Inkompatible Operationalisierungen von abhängigen und unabhängigen Variablen sowie unvollständige Material- und Methodenbeschreibungen erschweren studienübergreifende Analysen und die Interpretation der Ergebnisse ökonometrischer Modelle. Für eine bessere Vergleichbarkeit wären Erhebungen von Primärdaten erforderlich. So könnten verschiedene Operationalisierungen berücksichtigt und unterschiedliche begriffliche Bedeutungshorizonte der Befragten erfasset werden. Die Forschungsperspektive mit Bezug zum FARMTRANSFERS-Netzwerk fokussiert zwar auf die internationale Vergleichbarkeit der Erhebungsergebnisse, wird diesem Anspruch aber nicht vollständig gerecht. Obwohl in den vergangenen 30 Jahren eine beeindruckende Datenbank mit nahezu 18.000 Datensätzen entstanden ist, wurden Analysen dieser Daten fast ausschließlich in der sogenannten grauen Literatur veröffentlicht. Der restriktive Zugang zur Datenbank (nur für Mitglieder des FARMTRANSFERS-Netzwerks) und knappe personelle Ressourcen führen vermutlich dazu, dass die Nutzung der Datenbank hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Um dies zu ändern, könnte die Datenbank unter Einhaltung der einschlägigen Datenschutzbestimmungen in Open Access zugänglich gemacht werden.
Eine integrierte Theoriebildung wird durch die gegenseitige disziplinäre und methodische Abgrenzung der einzelnen Forschungsperspektiven gehemmt, wodurch Ergebnisse nur selten wechselseitig rezipiert werden. Dabei wäre es von Vorteil eine Forschungshaltung einzunehmen, welche die theoretischen Ansätze und empirischen Methoden anderer nicht als konkurrierend zu den eigenen, sondern als komplementär erachtet. Eine Triangulation von Methoden in interdisziplinären Teams (z. B. aus Soziologie, Psychologie und Ökonomie) könnte die Theoriebildung zur Hofnachfolge insgesamt vorantreiben.
Was die Publikation von Ergebnissen betrifft, wäre eine größere Transparenz bei der Methodenbeschreibung wünschenswert. Leserinnen und Leser sollten immer klar nachvollziehen können, was in Befragungen tatsächlich erhoben wurde, d. h., welche Fragen gestellt und welche Antwortkategorien offeriert wurden. Für diesen Zweck bieten immer mehr wissenschaftliche Zeitschriften die Möglichkeit, zusätzliches Material online zur Verfügung zu stellen (z. B. die verwendeten Fragebögen und Detailinformationen zu den Stichproben). Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass die meisten der in den vergangenen 30 Jahren durchgeführten Studien die Hofnachfolge in westlichen Industriestaaten analysieren. In Zukunft sollte sich das wissenschaftliche Interesse daher verstärkt auf die Erforschung des landwirtschaftlichen Generationenwechsels in Asien, Südamerika und insbesondere in Afrika richten.
Notes
- 1.
Vereinfacht ausgedrückt, ist Hofnachfolge die Übertragung eines landwirtschaftlichen Betriebes und seiner Bewirtschaftung von einer oder mehreren Personen auf eine andere Person oder Personengruppe. Wissenschaftliche Definitionen des Begriffs werden im Folgenden für jede Forschungsperspektive beschrieben.
- 2.
Haushaltsstrategien bezeichnen die mittel- bis langfristige Ausrichtung landwirtschaftlicher Betriebe, die bäuerliche Familien auf Basis ihrer Lebenskonzepte und angepasst an sich ändernde endogene und exogene Einflussfaktoren entwickeln und verfolgen.
- 3.
Im deutschsprachigen Raum hat sich eine abweichende Begrifflichkeit etabliert: der Nachfolgereffekt umfasst alle direkten und indirekten Einflüsse von Nachfolgerinnen und Nachfolgern (einschließlich der Annahmen über ihre Verfügbarkeit) auf betriebliche Entscheidungen vor der rechtlichen Hofübergabe; Nachfolgeeffekt hingegen bezeichnet betriebliche Änderungen, die Nachfolgerinnen und Nachfolger nach der rechtlichen Hofübergabe als neue Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter durchführen (Vogel 2006, S. 70).
Literatur
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Larcher, M. (2022). Forschungsperspektiven zur Hofnachfolge: Eine Systematisierung der wissenschaftlichen Literatur. In: Larcher, M., Schmid, E. (eds) Alpine Landgesellschaften zwischen Urbanisierung und Globalisierung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36562-2_15
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