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1 Einleitung

In modernen Gesellschaften ist auch die Justiz aufgrund des hohen Stellenwertes publizistischer und digitaler Medien als Informations- und Meinungsbildungsquelle zunehmend auf mediale, öffentliche Kommunikation angewiesen – auch wenn sie anders als PolitikerInnen und Parteien meist nicht direkt um Wählerstimmen buhlen müssen (Collins und Cooper 2015; Davis 2011): Denn nur indem Informationen über rechtliche Prozesse und Urteile transparent gemacht und vermittelt werden, kann für die Legitimation und Anerkennung der Gerichte und ihrer Entscheide in der Bevölkerung geworben werden (vgl. Altenhain 2016; Branahl 2005; Becker-Toussaint 2009; Hanske und Lauber-Rönsberg 2013; Koppenhöfer 2012; Meyer 2019; Trüg 2011; Widmaier 2004, S. 399). „Die Medien sind das zentrale Sprachrohr der Justiz“ resümiert Winfried Hassemer (2009, S. 16; vgl. auch Taras 2017), ehemaliger Vizepräsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Zudem sind die Justiz und Gerichtsprozesse auch ohne eigenes Zutun bereits häufig im Fokus medialen Interesses, da sie Aufmerksamkeit erregende Merkmale, wie die Nachrichtenfaktoren Schaden, Konflikt und auch Emotionalisierung auf sich vereinen können (Heinrich 2012). Die Justiz, so die Forderung vieler PraktikerInnen, müsse sich daher in einer komplexer werdenden Gesellschaft selbst und in einer für Laien verständlichen Sprache erklären und zu juristischen Fragen in die Öffentlichkeit einbringen können, auch um Fehlinterpretationen und falschen Aussagen über die Justiz vorzubeugen (Hassemer 2009; Hitt and Searles 2018, Staton 2004).

Neben diesen, aus normativer Perspektive wünschenswerten, Kommunikationszielen und -motiven, sehen juristische Akteure Kommunikationsmaßnahmen – v. a. während Gerichtsprozessen – häufig auch als Teil der Verteidigungsstrategie und der juristischen Arbeit an (Kottkamp 2015). In seiner bereits 1987 veröffentlichten Monographie „Strafprozeßführung [sic] über Medien“ verweist Wagner (S. 7–8) auf den taktischen Einsatz von Medienarbeit: „Was Beschuldigte, Anwälte Richter und Politiker öffentlich als Vorverurteilungen oder Vorfreisprüche beklagen, entspricht in Wirklichkeit häufig einem klaren prozeßstrategischen [sic] Kalkül von Verteidigern, Polizei oder Staatsanwaltschaft.“ Der Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen (2007, S. 34) zufolge hat diese prozessbegleitende Kommunikation in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen: „Konnten sich früher seriöse Anwälte noch der Medien enthalten, liefern sie heute ihre Mandanten mit einer solchen Einstellung dem Pranger der Spekulationen aus.“ Wenig überraschend werden daher auch staatsanwaltschaftliche BerufsanfängerInnen im Rahmen von Pflichtveranstaltungen im Umgang mit den Medien geschult (Becker-Toussaint 2009, S. 43). Im kommunikationspraktischen und wissenschaftlichen Diskurs hat sich mittlerweile die Bezeichnung Litigation-PR für strategische Kommunikationsprozesse vor, während und nach Gerichtsprozessen oder rechtlichen Auseinandersetzungen wie bspw. bei Strafverfahren und Patentstreitigkeiten oder auch im Bereich des Kartell- und Kartellschadensersatzrechts etabliert (Wohlrabe 2020): Der Name setzt sich aus dem englischen Begriff „Litigation“ für Prozess, Gerichtsverfahren oder Rechtsstreitigkeit einerseits, und «PR» für Public Relations, das im deutschsprachigen Raum mit Öffentlichkeitsarbeit übersetzt wird, andererseits zusammen (Heinrich 2012; Holzinger 2009). Ziel ist dabei zum einen die öffentliche Meinung im eigenen Interesse zu beeinflussen, um damit wiederum auch bei den EntscheiderInnen ein unterstützendes Votum bewirken zu können (Haggerty 2003). Zum anderen soll mithilfe von Litigation-PR auch ein bereits geschädigter Ruf durch Krisen- und Reputationsmanagement verbessert werden (Haggerty 2003; Heinrich 2012; Holzinger 2009; Reber et al. 2006). Schmitt-Geiger (2014) spricht in diesem Zusammenhang von Angriffs- und Verteidigungsmandat. Welches Ziel im jeweiligen Rechtsstreit von Relevanz ist, hängt ab vom Rechtsgebiet (Strafrecht, Zivilrecht, …) und ob die Öffentlichkeitsarbeit für die Kläger- oder Beklagtenseite geleistet wird: Es wird angenommen, dass sich vor allem VertreterInnen von Beklagten in Strafrechtsfällen um Reputationsmanagement bemühen müssen (vgl. Heinrich 2012).

2 Trends inhaltanalytischer Studien zur Justizberichterstattung

Forschung und insbesondere empirische Studien zur Justizkommunikation und Litigation-PR sind insgesamt eher limitiert (vgl. Rademacher und Bühl 2012, S. 244; Taras 2017). Überblickswerke und Sammelbände widmen sich dem Thema meist aus einer theoretisch-konzeptionellen, rechtlichen oder kommunikationspraktischen Perspektive (vgl. Rademacher und Schmitt-Geiger 2012; Wohlrabe 2020). Auch der Sammelband „Justices and Journalists. The Global Perspective“ von Davis und Taras (2017), vereint v. a. Überblicksdarstellungen zur Entwicklung der Pressearbeit des jeweils höchsten Gerichts ausgewählter Länder weltweit, jedoch ohne klaren empirischen Fokus.

Die wenigen sozialwissenschaftlichen Studien stützen sich zudem meist auf Befragungs- und Interviewdaten mit Akteuren der Justiz (vgl. Baugut et al. 2019; Gies 2005; Johnston und McGovern 2013; Kottkamp 2015; Peleg und Bogoch 2014; Rademacher und Bühl 2012; Scheu 2019). Die (meist nicht standardisierten) inhaltsanalytischen Studien zur Justizkommunikation und Litigation-PR fokussieren auf die Medienarbeit einzelner Gerichte (Bundesverfassungsgericht in den USA) oder im Zusammenhang einzelner Gerichtsfälle und Rechtsstreitigkeiten, häufig mit prominenter Beteiligung (Köhler und Langen 2012 zum Fall „Kachelmann“; Reber et al. 2006 zu den Fällen „Martha Stewart“, „Richard Scrutchy“ und „Michael Jackson“). Theoretische Schwerpunkte (bspw. Reber et al. 2006: Modell der PR von Grunig; Delitz 1986: Determinationshypothese…) oder eine Präferenz für bestimmte Studiendesigns (Input–Output-Analysen) oder Methodenkombinationen sind aufgrund der geringen Anzahl der Studien nicht abschließend auszumachen.

Gründe für den vergleichsweise überschaubaren (empirischen) Forschungsstand zur Justizkommunikation und Litigation-PR liegen u. a. darin begründet, dass die Justiz selbst – v. a. im Vergleich zu anderen politischen Institutionen und Akteuren – lange Zeit zurückhaltend und wenn, dann meist in einer für Laien nicht nachvollziehbaren Fachsprache einseitig kommuniziert (vgl. Meyer 2019; Reber et al. 2006) und damit auch wenig Anlass für Analysen geboten hat (Johnston und McGovern 2013; Rath 2015; Scheu 2019; Strother 2017): In einer durchschnittlichen Medienmitteilung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes wird bspw. die richterliche Entscheidung meist im Originalwortlaut, d. h. in juristischer Sprache auf rund zwei bis vier Druckseiten (bei komplexeren Urteilen bis zu zehn Seiten) wiedergegeben (vgl. Rath 2015; Meyer 2019).

3 Ergebnisse inhaltanalytischer Studien zur Justizberichterstattung

Inhaltsanalytische Studien zu den Inhalten von Justizkommunikation interessieren sich zum einen für die vermittelten Informationen über die Justiz, Gerichte und Prozesse. Zum anderen werden der Stellenwert und die Inhalte von strategischer Justizkommunikation – Litigation-PR – untersucht. Aufgrund des überschaubaren Forschungsstandes werden nachfolgend nicht nur Studien berücksichtigt, die mehrheitlich auf einer (standardisierten) Inhaltsanalyse basieren, sondern auch Erkenntnisse besprochen, die in Publikationen als Randinformationen und daher häufig ohne umfassende methodische Einordnung (bspw. zur Grundgesamtheit, zu Qualitätsindikatoren) vermittelt werden.

Informationen über Justiz, Gerichte und Prozesse

Welche Informationen in Medienmitteilungen von Gerichten vermittelt werden, wurde durch die Analyse des Medienmitteilungstyps erfasst: Das deutsche Bundesverfassungsgericht veröffentlichte im Jahr 2017 bspw. 117 Medienmitteilungen – 60 % davon informierten über die Entscheide selbst, 20 % enthielten Ankündigungen, 11 % beschrieben organisationsspezifische Informationen (wie bspw. Jubiläen) und 9 % thematisierten  Kontakt- und Besuchsmöglichkeiten des Gerichts (Holtz-Bacha 2017, S. 109). Auch Meyer (2019) unterscheidet zwischen „Entscheid bezogenen Medienmitteilungen“, „Entscheidankündigungen“, „Ankündigung von mündlichen Anhörungen“ und „Sonstiges“.

Delitz (1986) ging der Frage nach, welche Inhalte der staatsanwaltlichen Medienmitteilungen des Jahres 1983 auf mediale Resonanz in regionalen und überregionalen Tageszeitungen stoßen. Er identifiziert dabei einen durchschnittlichen Selektionsanteil, d. h. eine Berücksichtigung der in Medienmitteilungen besprochenen oder angekündigten Fälle in der Medienberichterstattung in Höhe von 32.9 % wobei die regionalen Tageszeitungen und Boulevardmedien die höchste, die linke überregionale Tageszeitung taz die geringste Übernahmewahrscheinlichkeit aufwiesen (ebenda, S. 519). Beeinflusst wird der Selektionsanteil durch die Medien zum einen von der Pressemitteilung (Informationsanteil, gemessen an der Zeilenlänge der Falldarstellung) selbst. Zum anderen spielen fallspezifische Merkmale eine Rolle: In den Medien werden vor allem die in den Medienmitteilungen thematisierten erstinstanzlichen und umfangreichen Fälle, die spezifische Deliktstypen (Tötungs- oder Amtsdelikte) verhandeln, aufgegriffen. Auch Gerichtsprozesse in denen prominente Personen involviert sind, werden wahrscheinlicher von JournalistInnen aufgegriffen. Delitz (1986) räumt jedoch ein, dass der starke Niederschlag staatsanwaltschaftlicher Medienarbeit in der journalistischen Berichterstattung nicht nur als Determination verstanden werden dürfe. Schließlich könne die starke Übernahme auch mit den antizipierten Medienlogiken durch die Pressestelle der Staatsanwaltschaft erklärt werden, die in ihren Mitteilungen vor allem solche Fälle und Fallmerkmale berichten, die für JournalistInnen potenziell von Interesse sein könnten. Dass diese Erwägungen tatsächlich eine Rolle bei der juristischen Medienarbeit spielen können, zeigt auch ein Befund von Meyer (2019), der in seiner Studie analysierte, welche Faktoren den Versand von Medienmitteilungen (Publikation Medienmitteilung ja/nein) durch Gerichte selbst determinieren. Er stellt fest, dass vor allem Gerichtsurteile, die einen vorhergehenden niedrig-instanzlichen Entscheid korrigieren oder Status Quo-Änderungen bedeuten und damit den Nachrichtenfaktor Konflikt bzw. Status enthalten, häufiger in einer Medienmitteilung besprochen werden.

Stellenwert und die Inhalte von strategischer Justizkommunikation – Litigation-PR

Dass es in der juristischen Medienarbeit nicht nur um die Vermittlung juristischer Entscheide und Prozesse geht, sondern auch strategische Erwägungen eine Rolle spielen, trägt der Forschungszweig Rechnung, der sich mit den Inhalten von Litigation-PR auseinandersetzt.

Köhler und Langen (2012) analysierten – in einer qualitativen Inhaltsanalyse – im Fall Kachelmann, inwiefern die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft den Prinzipien der Objektivitätspflicht, des Persönlichkeitsrechts und dem Gebot der Unschuldsvermutung entspricht: Bei der Inhaltsanalyse konnten die Autoren zeigen, dass durch die explizite Nennung des Verhaftungsortes und des Berufs auch ohne Nennung des Namens für die Presse eine eindeutige Identifizierung Jörg Kachelmanns aus der ersten Pressemeldung der Staatsanwaltschaft zur Festnahme deutlich wurde. Die Staatsanwaltschaft ist damit über die presserechtliche Auskunftspflicht hinaus gegangen.

Welche Rolle das Internet respektive persönliche Webseiten von prominenten Angeklagten als direktes, von journalistischen Gatekeepern unabhängiges, Kommunikationsmittel in Prozessen spielen, analysierten Reber et al. (2006). Ihr Interesse galt dabei den gewählten Kommunikationsmodi, der Dialogorientierung resp. Ansprache und Einbindung der Nutzenden der Webseite (gemessen anhand der Dimensionen „dialogic loop“, „useful information“, „encouragement of return visits“, „ease of navigation“ und „conservation of visitors“, nach u. a. Kent und Taylor (2003), sowie dem Einsatz von vordefinierten Litigation-PR-Frames wie bspw. „negativer Publicity entgegenwirken“, „den Standpunkt des/der Klienten/in bekannt machen“, „für eine ausgewogene Berichterstattung in den Medien sorgen“ (ebenda, S. 34; Übersetzung von der Autorin). Ihren Erkenntnissen zufolge werden vor allem einseitige, weniger dialogorientierte oder Besucher-bindende Inhalte, sondern vor allem Pressemitteilungen, rechtliche Dokumente und andere relevante, „nützliche“ Informationen auf den Webseiten vermittelt. Am häufigsten wurde auf den Webseiten der Frame „negativer Publicity entgegenwirken“ (68.8 %) sowie „für eine ausgewogene Berichterstattung in den Medien sorgen“ (55.8 %) identifiziert. Vergleichsweise selten wird der Frame „Hilfe für die Konfliktlösung zur Verfügung stellen“ auf den Webseiten verwendet.

4 Forschungsdesiderata

Das Wissen um die Kommunikationspraxis und -inhalte der Justiz ist nach wie vor beschränkt (vgl. zusammenfassende Darstellung in Tab. 1): Welche Informationen über das Recht und die Rechtsprechung in welcher Form (Sprache: Fach- vs. Laiensprache, Medienkanal, …) von Gerichten, Anwälten und anderen Rechtsakteuren in die Öffentlichkeit getragen, transparent und begründet werden und welche Rolle diese für Legitimationsprozesse des Rechtssystems spielen (können), ist nur unzureichend erforscht. Auch Erkenntnisse über Inhalte und Erfolge von strategischer Litigation-PR liegen nur im geringen Maße vor: Damit bleiben Fragen wie „Welche Kommunikationsstrategien werden während Gerichtsprozessen von juristischen Akteuren angewendet? und „Werden dabei kommunikationsethische Maximen (keine Vorverurteilung; Persönlichkeitsrechte involvierter Akteure respektieren) eingehalten?“ bisher unbeantwortet.

Tab. 1 Zusammenfassung: Inhaltsanalysen zur Justizkommunikation & Litigation-PR.

Von besonderer Relevanz wäre dabei die Analyse und der Vergleich der Kommunikation unterschiedlicher juristischer Akteure (RichterInnen/Gerichte, (Staats)anwälte/anwältinnen) auf unterschiedlichen instanzlichen Ebenen. Bisherige Forschung hat meist den Fokus auf die Kommunikation oberster (Verfassungs)Gerichte gelegt. Ein Großteil relevanter juristischer Entscheide wird jedoch auf unteren Instanzen gefällt. Um das interdependente Verhältnis zwischen Medien und juristischer Öffentlichkeitsarbeit empirisch fassen zu können, wären zudem Studien mit Methodenkombinationen (Inhaltsanalyse von Medienarbeit und Medienberichterstattung, Befragung von Gerichtsreportern und juristischen Akteuren, Beobachtung von Gerichtsprozessen und Medienkonferenzen, …) erkenntnisversprechend. Auch wenn die Justiz als kommunikatonsträge gilt, so ist dennoch mit der weiteren Bedeutungs- und Reichweitenzunahme von sozialen Medien auch mit einer Partizipation von juristischen Akteuren auf diesen Plattformen zu rechnen (Warren 2014, S. 58). Auf diese Entwicklung sollte die Forschung reagieren und zunehmend auch diese Kommunikationsformen und deren Bedeutung für eine dialogorientierte und damit legitimierende Justizkommunikation berücksichtigen.