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1 Einleitung

Analysen der Risikoberichterstattung liegen in der Regel zwei Fragestellungen zugrunde: Wie angemessen ist die Darstellung von Risiken in den Medien und wie werden Risiken in den Medien konstruiert? Diese Fragestellungen überschneiden sich, sind aber nicht deckungsgleich. Die erste Fragestellung basiert auf der Voraussetzung, dass wissenschaftliche oder statistische Risikoinformationen vorliegen. Sie ergibt sich explizit oder implizit aus der Annahme, dass Mediendarstellungen wissenschaftlichen oder statistischen Informationen entsprechen können und sollen. Ziel solcher Studien ist es, zu prüfen, inwieweit die medialen Darstellungen von Risiken mit den wissenschaftlich oder statistisch verfügbaren Informationen übereinstimmen oder davon abweichen (z. B. Combs und Slovic 1979; Friedman et al. 1996; Kepplinger 1989; Kepplinger und Klimpe 2017; Ryan et al. 1991; Singer und Endreny 1987). Die zweite Fragestellung basiert auf der Feststellung, dass wissenschaftliche oder statistische Risikoinformationen nicht ausreichend vorliegen oder auf der Annahme, dass Vergleiche zwischen vorliegenden wissenschaftlichen Risikoinformationen und medialen Risikodarstellungen nicht zielführend sind. In solchen Studien werden Muster der Risikoberichterstattung unabhängig von verfügbaren wissenschaftlichen Risikoinformationen betrachtet (z. B. Bauer et al. 1995; Bauer et al. 1996; Blair et al. 2015; Bräuer und Wolling 2014; Castelló 2010; Gaskell et al. 1999; Görke et al. 2000; Zeh und Odén 2014).

Die Berichterstattung über Risiken wurde am Beispiel zahlreicher Themen analysiert – zum Beispiel Gesundheit (Kepplinger und Klimpe 2017; Lewison 2008), Technologien (Bauer et al. 1995, 1996; Blair et al. 2015; Bräuer und Wolling 2014; Gaskell et al. 1999; Görke et al. 2000; Kepplinger 1989; Kepplinger und Lemke 2017; Singer und Endreny 1987; Zeh und Odén 2014), Umweltprobleme (Greenberg et al. 1989; Kepplinger 1989; Peters und Heinrichs 2005), Naturkatastrophen (Combs und Slovic 1979; Singer und Endreny 1993), Unfälle (Best 2000; Burns et al. 1993; Kepplinger und Hartung 1995; Kepplinger und Lemke 2014; Ryan et al. 1991; Wilkins und Patterson 1987) oder der Ausbreitung von Virusinfektionen wie SARS (Lewison 2008), Ebola (Sell et al. 2017) oder Zika (Ophir und Jamieson 2020). Einige dieser Untersuchungen sind Fallstudien (z. B. Kepplinger und Lemke 2017; Peters und Heinrichs 2005; Zeh und Odén 2014), andere analysieren fallübergreifend Muster der Risikoberichterstattung (Best 2000; Combs und Slovic 1979; Kepplinger 1989; Singer und Endreny 1987). Wieder andere Untersuchungen betrachten risikorelevante Informationen als Randaspekte umfassenderer Untersuchungsgegenstände wie die Berichterstattung über Wissenschaft, Umwelt, Gesundheit oder Technologien (z. B. Bauer et al. 1995, 1996; Bräuer und Wolling 2014; Gaskell et al. 1999).

2 Häufige Studiendesigns und Methodenkombinationen

Untersuchungen der Angemessenheit von Risikoberichterstattung basieren in der Regel auf Extra-Intra-Media-Vergleichen – also Vergleichen der Berichterstattung mit medienunabhängigen Daten oder Informationen (Rosengren 1970; Best 2000 zum Intra-Extra-Media-Vergleich im Speziellen). Häufig verwendete medienunabhängige Informationen sind wissenschaftliche Konstrukte, medienunabhängige Statistiken oder Expertenurteile.

Wissenschaftliche Konstrukte. Viele Extra-Intra-Media-Vergleiche gehen explizit oder implizit von dem versicherungstechnisch definierten Risikokonstrukt als Standard zur Beurteilung der Risikoberichterstattung aus. Mathematisch definiert handelt es sich bei einem Risiko um das Produkt aus der potentiellen Schadensgröße eines Ereignisses und seiner Eintrittswahrscheinlichkeit (Risiko = Schadensgröße * Eintrittswahrscheinlichkeit). So wird beispielweise das Risiko eines Medikaments zu bestimmten Nebenwirkungen ermittelt, indem die Nebenwirkungen (z. B. Kopfschmerzen, Thrombose usw.) und die Häufigkeit ihres Auftretens (z. B. „selten = weniger als einer Person von 100.000“) vor der Zulassung in zahlreichen Untersuchungen dokumentiert werden. Ein Beispiel für die Verwendung des technischen Risikobegriffs als extra-medialen Vergleichsstandard der Berichterstattung ist eine Analyse der Berichterstattung über die Einnahmerisiken des Blutfettsenkers Lipobay des Herstellers Bayer (Kepplinger und Klimpe 2017). Anlass der Berichterstattung zur Jahrhundertwende waren wenige Todesfälle, zu denen es aufgrund der Einnahme des Medikaments gekommen war. Der Erstellung des Messinstruments lag die Leitfrage zugrunde, welche Informationen erforderlich sind, um die wissenschaftlich vorliegenden, wissenschaftlich ermittelten Einnahmerisiken des Medikaments angemessen einschätzen zu können. Die AutorInnen unterschieden fünf Qualitätsniveaus der Berichterstattung: die minimale Risikoinformation führt die zentralen Begriffe des Lipobay-Vorfalls auf und verweist auf die Existenz tödlicher Einnahmerisiken; die basale Risikoinformation nennt über die minimale Risikoinformation hinaus die Anzahl der Toten weltweit oder im eigenen Land; die ausreichende Risikoinformation nennt über die basale Risikoinformation hinaus die Anzahl der Anwender weltweit oder im eigenen Land; die suboptimale Risikoinformation enthält über die ausreichende Risikoinformation hinaus Hinweise auf Todesursachen aufgrund von Überdosierungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten; die optimale Risikoinformation enthält über die suboptimale Risikoinformation hinaus Hinweise auf die Marktrücknahme des Medikaments. Ein ähnlicher Ansatz liegt der Studie von Ryan et al. (1991) zugrunde, die die Berichterstattung über eine Studie zur krebserregenden Wirkung von Koffein sowie über einen Atomreaktorunfall im Kernkraftwerk Ginna bei Ontario, New York, untersuchten. Die AutorInnen erfassten, ob in den Berichten Risiken genannt wurden, ob es generelle Verweise auf Risiken gab (z. B. „Koffein ist krebserregend“) und/oder ob die Risiken quantifiziert wurden. Zudem erfassten sie, ob die Grundlagen – zum Beispiel die Rechenmethoden – der berichteten Risikoeinschätzungen transparent gemacht wurden. In anderen Studien wurde zudem erfasst, ob die Mediendarstellungen Vergleichsrisiken nannten – zum Beispiel das tödliche Risiko eines neuartigen Virus verglichen mit dem herkömmlichen Grippevirus (vgl. Friedman et al. 1996).

Ein weiterer, häufig verwendeter Standard, an der die Risikoberichterstattung gemessen wird, sind medien-externe Statistiken – zum Beispiel über die Häufigkeiten von Unfällen, Todes- oder Schadensfällen. Auch diese Analysen lehnen sich häufig explizit oder implizit an den technisch definierten Risikobegriff an. So vergleichen AutorInnen die Häufigkeit der Berichterstattung über bestimmte Schadensfälle mit der Häufigkeit ihres in statistischen Erhebungen erfassten Auftretens in der Realität. Solche Studien zeigen, dass die Medien sehr häufig über sehr seltene Schadensfälle oder Todesursachen berichten – ohne Hinweis darauf, dass die berichteten Ereignisse selten (also unwahrscheinlich) sind. Ein Beispiel ist eine Analyse der Berichterstattung über Todesursachen wie Herzkreislaufversagen, Naturkatastrophen, Unfälle usw. (Combs und Slovic 1979). Ein weiteres Beispiel für die Verwendung medien-externer Statistiken ist ein Vergleich der Berichterstattung über Umweltrisiken im Zeitverlauf mit offiziell verfügbaren langfristig erhobenen Werten der Luftverschmutzung, Wasserqualität usw. (Kepplinger 1989). Auch Singer und Endreny (1987) nutzen verschiedene medien-externe Daten, um die Qualität bzw. der Richtigkeit („accuracy“) von Risikoinformationen in den Medien zu bestimmen. Grundlage ihrer Analyse ist die U.S. Berichterstattung über verschiedene Risikoquellen. Um die Qualität der Risikoinformation in Medienberichten zu bestimmen, erfassten die AutorInnen, ob bekannte relevante Risikoinformationen genannt oder ausgelassen wurden (z. B. wichtige Studienergebnisse, Einschränkungen von Studienergebnissen, relevante methodische Details), ob Informationen fehlerhaft (z. B. durch Verweise auf falsche Quellen, falsche Zitate) und irreführend dargestellt wurden (z. B. Darstellung von Spekulationen als Fakten).

Eine weitere medien-externe Quelle, mit der die Medienberichterstattung über Risiken verglichen wurde, sind Expertenbefragungen. Zum Beispiel verglichen ForscherInnen die durch quantitative Inhaltsanalysen ermittelten Darstellungen der Risiken von Kernenergie in den Medien mit standardisierten, quantitativen Risikoeinschätzungen von WissenschaftlerInnen (Lichter et al. 1990). Mit solchen Untersuchungen kann eingeschätzt werden, inwieweit die in Medien dargestellten Risiken den in bestimmten Wissenschaftsdisziplinen vorherrschenden Einschätzungen entsprechen oder davon abweichen. Ein damit verwandtes Studiendesign sind sogenannte Akkuratheitsanalysen (accuracy studies, z. B. Blankenburg 1970; Charnley 1936; Pulford 1976). Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass WissenschaftlerInnen Risiken angemessen einschätzen und deshalb als Standard zur Beurteilung der Medienberichterstattung geeignet sind. In solchen Studien werden die in Medien zitierten Quellen oder ExpertInnen zu der Richtigkeit („accuracy“) von Medienberichten über Wissenschaft oder Risiken befragt. Da es sich bei diesen Untersuchungen aber nicht um standardisierte Inhaltsanalysen handelt, wird auf diese Studien hier nicht weiter eingegangen.

Eindeutige technische Bestimmungen von Risiken sind häufig nicht möglich. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn potentielle unerwünschte Folgen einer medizinischen oder technologischen Anwendung und/oder ihre Häufigkeiten nicht hinlänglich bekannt sind. Das trifft zum Beispiel auf Anwendungen neuer Technologien zu. Über deren Neben- oder Langzeitwirkungen und die Häufigkeit ihres Auftretens außerhalb der kontrollierten, im Labor durchgeführten Zulassungsstudien ist zum Teil wenig bekannt. Viele Studien zur Darstellung von Technologien in den Medien untersuchen deshalb nicht die Angemessenheit der Risikodarstellungen im engeren Sinne, sondern allgemeine Muster der Risikoberichterstattung. Die inhaltsanalytischen Konstrukte und Messungen, die in solchen Untersuchungen angewandt werden, werden im Folgenden beschrieben.

3 Zentrale Konstrukte

Viele Analysen der Risikodarstellungen in den Medien zielen darauf, Schwerpunktsetzungen, Deutungsmuster und Bewertungen zu untersuchen. Hierzu werden berichtete Schadensarten kategorisiert, Frames identifiziert und Kosten/Nutzen-Aussagen erfasst.

  1. 1.

    Klassifikation von Risiken bzw. Schäden. Viele Untersuchungen der Berichterstattung über verschiedene Risiken stützen sich auf eine Gefahrenklassifikation von Hohenemser et al. (1983). Die AutorInnen kategorisieren Gefahren anhand von 12 Kategorien: Differenziert wird, 1.) ob eingesetzte Technologien, Stoffe oder Materialien bestimmte Schäden erzielen sollen (z. B. Kriegstechnologien, Schädlingsbekämpfungsmittel); 2.) wie sich schadhafte Stoffe oder Materialien räumlich ausbreiten; 3.) wie freigesetzte schädliche Stoffe oder Materialien konzentriert oder dosiert waren; 4.) wie lange schädliche Stoffe oder Materialien freigesetzt wurden; 5.) wie häufig bestimmte Schäden aufgrund einer Gefahrenquelle auftraten; 6.) wie viele menschliche Todesopfer eine Gefahrenquelle gefordert hat; 7.) wie viele Todesopfer die wiederholte Gefahrenlage eines Typs maximal gefordert hat; 8.) wie viele Menschen aufgrund einer Gefahrenquelle gefährdet waren; 9.) wie lang die Existenz einer Gefahrenquelle und das erste Auftreten negativer Folgen zeitlich auseinanderlagen; 10.) wie hoch die nicht-menschliche Sterblichkeit bei potentiellen Schäden beziffert wurde; 11.) wie hoch die nicht-menschliche Sterblichkeit bei beobachteten Schäden beziffert wurde; 12.) inwieweit Schäden generationsübergreifende Eigenschaften hatten. Zahlreiche AutorInnen (Burns et al. 1993; Freudenburg et al. 1996; Singer und Endreny 1987) nutzen diese Klassifikation zur Analyse der Berichterstattung über Risiken, vielfach in modifizierter Form. Burns et al. (1993) untersuchten ergänzend, ob die erfassten Gefahrenquellen gesellschaftliche Einflüsse haben. Andere AutorInnen benutzten in Teilen differenziertere oder vereinfachte Analyseschemata. So unterschieden einige die untersuchten Technologien (z. B. Rankin und Nearley 1979), andere differenzierten die Todesursachen (z. B. Frost et al. 1997). Singer und Endreny (1990) reduzierten die Einteilung der Gefahrenquellen auf die Kategorien – Naturgefahren (z. B. Erdbeben), Aktivitäten mit Kosten und Nutzen (z. B. Alkoholkonsum; Extremsport), Energierisiken (z. B. Stromschläge), Materialrisiken (z. B. Asbest), komplexe Technologien (z. B. Prothesen) und Krankheiten (z. B. Pandemien).

  2. 2.

    Frames. Viele Untersuchungen von Risikodarstellungen basieren auf Inhaltsanalysen der Berichterstattung über Technologien. Einige Untersuchungen erfassen Frames, also Sichtweisen oder Perspektiven in der Berichterstattung über Risikotechnologien. Viele AutorInnen differenzieren zwischen positiv und negativ wertenden Frames (z. B. Fortschritts-, Wirtschafts- versus Ethik-, Natürlichkeits- und Unberechenbarkeitsframe („Pandorra’s Box“) in der Berichterstattung über Biotechnologien (z. B. Bauer et al. 1996; McKey et al. 2011). Frames spielen auch in Analysen der Berichterstattung über die Kosten und den Nutzen von Technologien eine Rolle, die im Folgenden beschrieben werden.

  3. 3.

    Kosten-Nutzen-Bewertung von Technologien. Ein häufig untersuchter Aspekt der Risikokonstruktion in der Berichterstattung ist das Verhältnis zwischen dargestellten potentiellen Schäden (Kosten) technologischer Anwendungen und ihren Vorteilen oder Gewinnen (Nutzen). Einige AutorInnen erfassten den Anteil von Medienberichten, die nur auf die Kosten, nur auf den Nutzen oder auf beides eingehen (z. B. Bauer et al. 1995, 1996; Blair et al. 2015; Gaskell et al. 1999; Görke et al. 2000; Singer und Endreny 1987, 1993; ähnlich auch Ranking und Nearley 1979; Zeh und Odén 2014). Blair et al. (2015) untersuchten zusätzlich, ob der Nutzen bzw. die Schäden als gewiss oder ungewiss dargestellt wurden. Mediendarstellungen des Nutzens und der Schäden von Technologien wurden auch in Frame-Analysen erfasst. In einigen Untersuchungen wird erhoben, aus welcher Sicht Nutzen und Schäden dargestellt werden – zum Beispiel aus wirtschaftlicher, ökologischer oder gesundheitlicher Sicht (z. B. Blair et al., 2015; Bräuer und Wolling 2014; Castelló 2010; Zeh und Odén 2014).

4 Forschungsdesiderata

Frühe Untersuchungen der Risikoberichterstattung waren häufig von dem Anspruch getrieben, die Qualität oder sachliche Angemessenheit der Darstellung von Risiken in der Medienberichterstattung zu bestimmen. Dieser Ansatz wurde in späteren Analysen kritisiert. Einige AutorInnen argumentierten, dass die medien-externen Quellen, die als Vergleichsstandard zur Beurteilung der Quellen herangezogen werden, ebenso sozial konstruiert seien wie die Medieninhalte selbst und dass Analysen der Richtigkeit bzw. der sachlichen Angemessenheit von Mediendarstellungen deshalb nicht möglich seien (Schulz 1989; Kohring und Görke 2000).

In den vergangenen Jahren sind Diskussionen über die Richtigkeit oder Angemessenheit von Medieninhalten wieder aufgekommen, zum Beispiel in Diskussionen um irreführende oder gefälschte Meldungen („Fake News“), Verschwörungstheorien oder Desinformation (Scheufele und Krause 2019). Solche Debatten spielen vor allem in öffentlich politisierten Auseinandersetzungen um Umwelt, Technologien und Wissenschaft eine Rolle – zum Beispiel in den Debatten um Klimawandel, Evolution usw. (Iyengar und Massey 2019). Die Beschäftigung mit Desinformation verlangt systematische Verfahren, um die sachliche Angemessenheit von Kommunikationsinhalten bestimmen zu können und sachlich angemessenere von unangemesseneren Darstellungen zu unterscheiden. Hierzu sollten traditionelle Ansätze zur Bestimmung der sachlichen Angemessenheit von Kommunikationsinhalten wieder aufgenommen und weiterentwickelt werden.