3.1 Einsamkeitsgefühle in der Übergangsphase in den Ruhestand
Die nachfolgenden Analysen sollen klären, welche Faktoren mit der Verbreitung von Einsamkeitsgefühlen zusammenhängen. Hierfür werden verschiedene Indikatoren bezüglich der geografischen und demografischen Wohnsituation sowie Faktoren der Lebenssituation, soziodemografische und -ökonomische Aspekte, Gesundheitszustand und Facetten der Persönlichkeit deskriptiv näher betrachtet. Dazu werden die Gefühle der sozialen Isolation, außen vor zu sein und das Fehlen der Gesellschaft anderer in Bezug zu den genannten Indikatoren gesetzt. Im Jahr 2019 fühlen sich 10,6 % der 60- bis 77-Jährigen oft/manchmal sozial isoliert (SI). Weitere 30,7 % empfinden selten und 58,8 % der Befragten nie dieses Gefühl.
Betrachtet man spezifische Aspekte des Wohnens (Tab. 4.1), lassen sich bezüglich der Wohnregion keine Unterschiede finden: Personen aus Westdeutschland berichten nicht öfters von SI als Personen aus Ostdeutschland. Weiterhin lässt sich kein Unterschied zwischen Personen, die in der Stadt oder in ländlichen Regionen leben, finden. Auch unterschiedliche Haushaltsgrößen stehen nicht mit der Verbreitung von SI in Zusammenhang.
Der Anteil an Personen, die sich sozial isoliert fühlen, unterscheidet sich bedeutsam hinsichtlich unterschiedlicher sozioökonomischer Status. 7,5 % der Personen mit einem Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen größer oder gleich 2.501 € geben an, sich oft/manchmal sozial isoliert zu fühlen, während es in der Einkommensgruppe kleiner oder gleich 1.650 € 14,7 % sind (χ2(4) = 16,69; p = 0,002; V = 0,08). Noch deutlichere Unterschiede werden im Hinblick auf extreme sozioökonomische Status erkennbar: Während 6 % der Personen, die in Reichtum leben, oft/manchmal von SI berichten, sind es 19,9 % der armutsgefährdeten Personen (χ2(4) = 18,78; p = 0,001; V = 0,08).
Der Anteil an Personen, die sich sozial isoliert fühlen, variiert ebenfalls beachtlich mit dem Ausmaß an körperlicher Aktivität. SI ist vor allem bei Personen mit einer unzureichenden körperlichen Aktivität verbreitet (χ2(2) = 10,77; p = 0,005; V = 0,08). Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied in der Verteilung von SI zeigt sich außerdem bezüglich der Gesundheit: Befragte, die sich oft/manchmal sozial isoliert fühlen, weisen durchschnittlich einen schlechteren physischen wie auch mentalen Gesundheitsstatus auf.
Weiterhin zeigt sich hinsichtlich SI, dass Personen mit einer stärkeren Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften Verträglichkeit (η2 = 0,02), Extraversion (η2 = 0,04) und Offenheit (η2 = 0,01) seltener von SI berichten. Personen, die eine stärkere Ausprägung in Neurotizismus (η2 = 0,04) aufweisen, fühlen sich häufiger sozial isoliert (Tab. 4.1).
Sich außen vor zu fühlen (AS) stellt ein weiteres Einsamkeitsgefühl der Skala dar. 17,8 % der Befragten berichten, oft/manchmal dieses Gefühl zu haben, während 46,8 % der Befragten selten das Gefühl, außen vor zu sein, verspüren. 35,4 % fühlen sich nie außen vor (Tab. 4.1).
Die Verbreitung von AS variiert beachtlich mit der Haushaltsgröße. 24,4 % der Personen, die alleine leben, fühlen sich oft/manchmal außen vor. 15,4 % bzw. 16,3 % der Personen aus Zwei- bzw. Drei- oder mehr Personenhaushalten berichten davon, dieses Gefühl oft/manchmal zu empfinden (χ2(4) = 20,40; p < 0,001; V = 0,08). Bei der Betrachtung weiterer Wohnaspekte zeigt sich kein Unterschied. Ein bedeutsamer Unterschied lässt sich hingegen zwischen verheirateten und nicht verheirateten Personen finden. So fühlen sich 15,3 % der Personen in einer Ehe oft/manchmal außen vor, während 23,4 % der nicht verheirateten Personen dies verspüren (χ2(2) = 15,85; p < 0,001; V = 0,10).
Das Auftreten von AS differiert zwischen Personen unterschiedlicher Einkommensklassen: 22,7 % der Personen mit einem Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen unter 1.651 € berichten, oft/manchmal das Gefühl zu haben, außen vor zu sein, während 12,6 % der Befragten mit einem Einkommen größer als 2.500 € sich oft/manchmal außen vor fühlen (χ2(4) = 21,64; p < 0,001; V = 0,09).
Im Hinblick auf körperliche Aktivität zeigt sich, dass sich unzureichend aktive Personen häufiger außen vor fühlen als Personen mit ausreichender körperlicher Aktivität (χ2(2) = 9,91; p = 0,007; V = 0,08). Ebenfalls unterscheidet sich die Verteilung zwischen Personen hinsichtlich der Gesundheit. So weisen Befragte, die oft/manchmal von AS berichten, im Durchschnitt eine schlechtere physische sowie mentale Gesundheit im Vergleich zu Befragten auf, die sich selten oder nie außen vor fühlen.
In Bezug auf die Persönlichkeit variiert das Gefühl AS ebenfalls bedeutsam, indem stärkere Ausprägungen von Verträglichkeit (η2 = 0,01), Offenheit (η2 = 0,01) sowie von Extraversion (η2 = 0,03) mit seltener erlebten Gefühlen des Außen-vor-Seins einhergehen. Personen mit einer stärkeren Ausprägung von Neurotizismus (η2 = 0,03) fühlen sich häufiger außen vor (Tab. 4.1).
Als drittes Einsamkeitsgefühl wurde das Fehlen der Gesellschaft anderer (FG) untersucht. Dieses Gefühl verspüren 27,4 % der Befragten oft/manchmal, weitere 40,7 % selten, während 32 % nie das Gefühl aufweisen, dass ihnen die Gesellschaft anderer fehlt. Die Verteilung von FG variiert hierbei zwischen Befragten, die in Haushalten von unterschiedlicher Größe leben: So fehlt Personen, die alleine leben (38,4 %), häufiger die Gesellschaft anderer als Personen, die in einem Haushalt mit zwei (23,8 %) oder in einem Haushalt mit drei bzw. mehr Personen (23,2 %) leben (χ2(4) = 32,90; p < 0,001; V = 0,10). Die Verteilung von FG zeigt keine Unterschiede zwischen Personen aus West- und Ostdeutschland sowie zwischen Personen aus unterschiedlichen siedlungsstrukturellen Kreistypen.
FG unterscheidet sich jedoch statistisch bedeutsam zwischen verheirateten und unverheirateten Personen. So fehlt 23,9 % der verheirateten Personen oft/manchmal die Gesellschaft anderer, während dies bei unverheirateten Personen um ca. 12 Prozentpunkte höher liegt (s. Tab. 4.1; χ2(2) = 22,63; p = 0,001; V = 0,12). Zudem unterscheidet sich das Auftreten von FG hinsichtlich der Kinderanzahl: Personen, denen die Gesellschaft anderer oft/manchmal fehlt, haben durchschnittlich weniger Kinder als Personen, die selten oder nie von fehlender Gesellschaft anderer berichten (F(2;970,3) = 6,50; p = 0,002; η2 = 0,01). Hinsichtlich der Enkelkinderzahl zeigen sich keine Unterschiede.
Ein weiterer bedeutsamer Unterschied von FG wird zwischen Personen mit unterschiedlichem sozioökonomischen Status erkennbar: 31,5 % der Befragten, die aufgrund ihres Einkommens als armutsgefährdet gelten, verspüren oft/manchmal FG, während lediglich ungefähr halb so viele der Befragten mit hohem Einkommen in dieser Ausprägung davon berichten (s. Tab. 4.1; χ2(4) = 10,05; p = 0,04; V = 0,06). Ebenfalls unterscheidet sich die Verteilung von FG über ausreichend körperlich aktive und unzureichend aktive Personen hinweg, indem 25,3 % der ausreichend aktiven Personen berichten, oft/manchmal FG zu empfinden, während dies 32,3 % der unzureichend aktiven Personen tun (χ2(2) = 11,65; p = 0,003; V = 0,09). Hinsichtlich der Gesundheit zeigt sich, dass Befragte, denen die Gesellschaft anderer oft/manchmal fehlt, von einer geringeren mentalen Gesundheit berichten als Personen, denen selten oder nie die Gesellschaft anderer fehlt (F(2;918,4) = 42,09; p < 0,001; η2 = 0,06). In Hinblick auf die physische Gesundheit zeigt sich kein Unterschied.
Im Bereich soziodemografischer Merkmale besteht innerhalb unterschiedlicher Altersgruppen sowie hinsichtlich des Geschlechts eine lediglich geringe, jedoch statistisch bedeutsame unterschiedliche Verteilung von FG. So berichten 28,6 % der 69- bis 77-Jährigen oft/manchmal von FG, während dies bei den 60- bis 68-Jährigen 26,4 % sind (χ2(2) = 7,34; p = 0,025; V = 0,07). Weiterhin berichten Frauen (30,4 %) häufiger als Männer (24,6 %) oft/manchmal das Gefühl von FG (χ2(2) = 6,88; p = 0,032; V = 0,07).
Über Persönlichkeitseigenschaften hinweg zeigen sich Unterschiede in der Verteilung von FG, indem ein höherer Grad von Verträglichkeit (η2 = 0,02), Offenheit (η2 = 0,01) sowie von Extraversion (η2 = 0,05) mit einem weniger ausgeprägten Gefühl von FG einhergeht. Eine höhere Ausprägung hinsichtlich Neurotizismus ist hingegen mit einem gesteigerten Gefühl fehlender Gesellschaft anderer assoziiert (s. Tab. 4.1; η2 = 0,03).
3.2 Zusammenhänge von Wohn- und Lebensumfeld sowie Ressourcen mit Einsamkeit
Um zentrale Zusammenhänge mit Einsamkeit in der Übergangsphase in den Ruhestand unter Kontrolle eventueller Einflussgrößen zu analysieren, wurden in fünf linearen Regressionsmodellen die Variablenblöcke Wohnen, Leben, Ressourcen und soziodemografische Merkmale in unterschiedlichen Kombinationen als unabhängige und Kontrollvariablen eingesetzt. Als abhängige Variable wurde dabei durchgehend der Index für Einsamkeit der UCLA Loneliness Scale verwendet.
Tab. 4.2 Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse (AV: UCLA Loneliness Scale). Modell 1 zeigt den Zusammenhang von Wohnen mit Einsamkeit unter Kontrolle für die soziodemografischen Variablen Alter, Geschlecht und Bildung (Tab. 4.2). Geografische Aspekte hängen in diesem Modell nicht mit der Einsamkeit zusammen, sodass weder städtisches oder ländliches Wohnen noch das Wohnen in West- oder Ostdeutschland Unterschiede zeigen. Die Haushaltsgröße weist allerdings einen statistisch bedeutsamen Unterschied auf, indem eine Zunahme der Haushaltsgröße mit einer Abnahme des Einsamkeitsindex und damit einer als geringer empfundenen Einsamkeit einhergeht. Die deskriptiven Analysen in Abschnitt 4.3.1 zeigen bereits, dass insbesondere das Alleinleben, also das Leben in einem Einpersonenhaushalt, negativ mit den Einsamkeitsgefühlen zusammenhängt. Dies spiegelt sich in der multivariaten Analyse zunächst wider. Jedoch gilt es zu beachten, dass das Modell 1 nur sehr wenig Varianz aufklärt und statistisch nicht bedeutsam ist (FM1(6;1.550) = 1,811; p = 0,093; R2korr = 0,003).
Für die Analyse in Modell 2 wurde der Block Leben hinzugefügt. Dabei zeigt sich, dass durch die Kontrolle von Partnerschaft und Partnerschaftsqualität sowie der Anzahl eigener Kinder der Zusammenhang zwischen Haushaltsgröße und Einsamkeit verschwindet. In einer Partnerschaft ohne häufige Meinungsverschiedenheiten zu leben, weist gegenüber keiner Partnerschaft einen deutlich verringerten Wert auf der Einsamkeitsskala auf (β = −0,155; p < 0,001). Demgegenüber hat eine Partnerschaft mit häufigen Meinungsverschiedenheiten keinen Vorteil gegenüber dem Zustand, partnerlos zu sein (β = 0,002; p = 0,951). Mit steigender Anzahl an Kindern ist der Zusammenhang mit der Einsamkeitsskala statistisch bedeutsam negativ (β = −0,083; p = 0,001). Dieses Modell besitzt einen signifikanten Aufklärungswert (FM2(9;1.550) = 5,999; p < 0,001; R2korr = 0,028).
Finanzielle, gesundheitliche und persönlichkeitsbezogene Ressourcen wurden in Modell 3 unter Kontrolle für soziodemografische Merkmale analysiert. Personen, die ein Einkommen von unter 60 % des medianen Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens aufweisen, zeigen im Vergleich zu Personen mit mittleren Einkommen eine höhere Einsamkeit (β = 0,057; p = 0,017). Das Kriterium für Einkommensreichtum zu erfüllen, weist hingegen keinen Unterschied bezüglich der Einsamkeit im Vergleich zu Personen mit mittleren Einkommen auf. Armutsgefährdung zeigt also im Vergleich zu mittleren und hohen bis sehr hohen Einkommen eine erhöhte Einsamkeitswahrscheinlichkeit. In Bezug auf Gesundheit und gesundheitsförderndes Verhalten resultiert, dass die Ausprägung physischer und mentaler Gesundheit mit den Werten der Einsamkeitsskala zusammenhängt. Insbesondere die mentale Gesundheit ist dabei stark mit Einsamkeit assoziiert (β = 0,300; p < 0,001). Das Ausmaß an regelmäßiger körperlicher Aktivität tritt hinter dem Gesundheitszustand zurück und ist bei gleichzeitiger Kontrolle der anderen Variablen nicht mehr statistisch bedeutsam korreliert mit Einsamkeit. Die Persönlichkeitsmerkmale Extraversion (β = −0,113; p < 0,001) und Gewissenhaftigkeit (β = −0,086; p = 0,002) sind negativ mit der Einsamkeitsskala korreliert, sodass eine stärkere Ausprägung im jeweiligen Persönlichkeitsmerkmal mit geringeren Einsamkeitswerten einhergeht. Neurotizismus (β = 0,151; p < 0,001) ist hingegen positiv verbunden, sodass eine stärkere Ausprägung von Neurotizismus mit einer stärkeren Ausprägung von Einsamkeit einhergeht. Im Bereich der soziodemografischen Merkmale zeigt die Variable Geschlecht, dass Männer durch geringere Einsamkeitswerte gekennzeichnet sind als Frauen. Modell 3 weist eine Varianzaufklärung von 20,9 % auf (Tab. 4.2).
Um zu überprüfen, ob die statistisch bedeutsamen Effekte des Blocks Leben auch unter Berücksichtigung der Ressourcen bestehen bleiben, wurden diese beiden Blöcke in Modell 4 unter Kontrolle von soziodemografischen Merkmalen analysiert. Während sich erwartungsgemäß die Erklärungskraft gegenüber den vorhergehenden Modellen erhöht (R2korr = 0,225), bleibt die Bedeutsamkeit der einzelnen Koeffizienten wie in den Modellen 2 und 3 bestehen. Konkret zeigt sich, dass die Partnerschaftsqualität und die Anzahl an Kindern auch unter Berücksichtigung der Ressourcen einen statistisch signifikanten Zusammenhang mit den Werten der Einsamkeitsskala aufweisen (Tab. 4.2). Die finanziellen, gesundheitlichen und persönlichkeitsbezogenen Ressourcen besitzen außerdem vergleichbare Werte zum dritten Modell. Ein Unterschied zwischen Modell 3 und 4 besteht im Bereich der soziodemografischen Merkmale, indem der Zusammenhang mit Geschlecht durch Hinzunahme des Blocks Leben nicht mehr signifikant ist.
Modell 5 analysiert die simultanen Interkorrelationen von Wohnen und Ressourcen unter Kontrolle für soziodemografische Merkmale. Bei einer Varianzaufklärung von 21,1 % hängt ein Anstieg in der Haushaltsgröße mit reduzierten Werten auf der Einsamkeitsskala zusammen, während geografische Indikatoren keine Korrelation mit Einsamkeit aufweisen. Im Bereich der Ressourcen zeigen Armutsgefährdung (β = 0,064, p = 0,008), physische (β = −0,065; p = 0,008) und mentale Gesundheit (β = −0,296; p < 0,001) sowie die Persönlichkeitsmerkmale Neurotizismus (β = 0,153; p < 0,001), Extraversion (β = −0,115; p < 0,001) und Gewissenhaftigkeit (β = −0,086; p = 0,002) Zusammenhänge mit den Werten der Einsamkeitsskala. Geschlecht korreliert in diesem Modell dahingehend mit Einsamkeit, dass Männer geringere Werte aufweisen als Frauen (β = −0,053; p = 0,034).