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1 Digitalisierung im Lehramt für das Fach Sachunterricht

Die Aufgabe des Faches Sachunterricht (SU) ist es, Schüler*innen zu befähigen, „ihre natürliche, kulturelle, soziale und technische Umwelt sachbezogen zu verstehen […] und sich darin zu orientieren, mitzuwirken und zu handeln“ (GDSU 2013, S. 9). Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss das Fach „die sich stets ändernde Lebenswelt der Kinder betrachten und berücksichtigen“ (GDSU 2019, S. 11). Digitalisierung beschreibt umfassende Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens durchdringende Wandlungsprozesse (Baecker 2016). Der Einfluss von Digitalisierung ist auch auf Grundschulkinder sehr groß (Straube et al. 2018). Mittlerweile ist jedoch hinlänglich bekannt, dass Digital Natives nicht zwangsläufig digitale Expert*innen sind (IEA 2018). Obgleich bereits Kinder „einen immer besseren Zugang zu digitalen Medien haben […], mangelt es am Verstehen dahinterliegender Funktionsweisen und Gestaltungsprozesse“ (Straube et al. 2018, S. 3). Erste Studien deuten darauf hin, dass kognitive Voraussetzungen für eine Auseinandersetzung mit Digitalisierung bereits bei Grundschulkindern vorhanden sind (z. B. Hoffmann et al. 2017). Formelle Bildung muss demnach zu einem entsprechenden Kompetenzaufbau beitragen und Digitalisierung eine feste Komponente des Curriculums im SU bilden (GDSU 2019).

Aktuell steht (schulische) Bildung – und damit nicht zuletzt auch die Sachunterrichtsdidaktik – vor der Herausforderung, digitalisierungsbezogene Kompetenzziele, wie sie zum Beispiel in den Positionspapieren der Kultusministerkonferenz (KMK) (2017), der Gesellschaft für Informatik (GI) (2019) und der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) (2019) formuliert werden, mit der Bildungsrealität an Schulen sowie in der Lehramtsausbildung in Einklang zu bringen. Um Chancen der Digitalisierung nutzbar zu machen, sind die Bildungsakteur*innen in den Fokus zu rücken (Kerres 2018). Damit Schüler*innen mündig in der digital geprägten Welt agieren können, müssen ihre digitalisierungsbezogenen Kompetenzen durch Lehrkräfte systematisch und umfassend gefördert werden (Rubach und Lazarides 2019). Zudem bildet erst eine fachbezogene Befähigung angehender Lehrer*innen zur Vermittlung von digitalen Kompetenzen an Schüler*innen und zum reflektierten Einsatz digitaler Medien im Unterricht als zentraler Aspekt der Professionalisierung den Grundstein für die Inwertsetzung einer digitalisierten Lebens-, Arbeits- und Bildungswelt (ebenda; GFD 2018). Diese Aufgabe liegt verpflichtend in den Händen der Hochschulen als Ausbildungsort angehender Lehrkräfte (KMK 2017).

Dennoch stellt eine nachhaltige Bildungsstrategie eine Querschnittsaufgabe aller Schulfächer und -formen dar (KMK 2017). Der Grundschule und insbesondere dem SU kommen in diesem Kontext eine Schlüsselfunktion zu: Die Grundschule adressiert als einzige Schulform alle Schüler*innen eines Altersjahrgangs und muss demnach die Grundlage für eine digitalisierungsbezogene Bildung legen, welche anschlussfähig für eine fach- und schulformdifferenzierende Ausbildung im Sekundarbereich ist. Im Grundschulfach SU dienen (digitale) Medien als ein unabdingbares Mittel der Veranschaulichung und als Gegenstand des Fachs selbst, im Sinne eines Lernens „mit und über Medien“ (Gervé und Peschel 2013). Der Hoffnung, (Sachunterrichts-) Studierende selbst könnten ein entscheidender Treiber der digitalen Transformation sein, widersprechen die Ergebnisse einer Studie von Schmid et al. (2017), der zufolge sich insbesondere Lehramtsstudierende als wenig digitalaffin erweisen. Daher sollte die Auseinandersetzung mit und über digitale Medien in einer frühen Phase im Studium implizit und explizit einsetzen, um sowohl den digitalisierungsbezogenen Kompetenzerwerb als auch die Bereitschaft, sich mit digitaler Bildung auseinanderzusetzen, zu fördern.

Das hier vorgestellte Lehr-Lern- und Forschungsprojekt „Die digitale Lehrer*innentasche“Footnote 1 möchte diesen Anforderungen begegnen. Die zugrunde liegende Veranstaltung „Einführung in die Didaktik des Sachunterrichts“ wird jeweils im Sommersemester (SoSe) für alle (d. h. ca. 100) Sachunterrichtsstudierende in der Studieneingangsphase am Institut für Sachunterricht (ISU) der Universität Duisburg-Essen (UDE) angeboten.

2 Konzeption: Das Lehr-Lern-Projekt „Die digitale Lehrer*innentasche“

Die Veranstaltung „Einführung in die Didaktik des Sachunterrichts“ verfolgt das Ziel, Studierenden grundlegende sachunterrichtsdidaktische Kompetenzen zu vermitteln. Die Vorlesung bildet den theoretischen Rahmen und legt den Fokus auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und bildungspolitische Diskurse zu den sieben VorlesungsthemenFootnote 2. Digitale Medien und Digitalisierung werden explizit in der zweiten Vorlesungseinheit „SU zwischen Anschauung und Medien“ behandelt. Die Inhalte der Vorlesung werden in der Übung als Grundlage für eine reflektierende und praxisorientierte Vertiefung genutzt: So erwerben die Studierenden beispielsweise Kenntnisse über wissenschaftliches Arbeiten und Unterrichtsmethoden für das Lehren und Lernen in sachunterrichtlichen Kontexten. Während die Studierenden für die Vorlesung keine Prüfungs- oder Studienleistung ablegen, fertigen sie als Studienleistung in der Übung ein schriftliches Portfolio an, welches die Praxisbeispiele, Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens sowie Reflexionsaufgaben enthält.

Im SoSe 2019 wurde die Veranstaltung in ein Blended-Learning-(BL)-Format umgewandelt – nach Staker und Horn:

„[A] formal education program in which a student learns at least in part through online delivery of content and instruction with some element of student control over time, place, path, and/or pace and at least in part at a supervised brick-and-mortar location away from home“ (Staker und Horn 2012, S. 4).

Da die Verzahnung der Präsenz- und Onlinelehre entscheidend ist (Kerres 2013), wurde das BL als Inverted Classroom (IC) (Schmid et al. 2017) konzipiert, indem die E-Learning-Vorlesung auf die alternierend stattfindende praxisorientierte Präsenzübung in Kleingruppen vorbereitet, sodass die „Wissensvermittlung vorwiegend virtuell stattfindet […], während in den Präsenzphasen fachliche Diskussionen und Vertiefung dominieren“ (ebenda, S. 15).

Die Orientierung weg von einer Präsenzveranstaltung hin zu einem BL soll den Studierenden ermöglichen, die Onlineangebote zeitlich und räumlich flexibel zu absolvieren und dabei ihrem eigenen Lerntempo zu folgen. Zudem wird die Idee verfolgt, dass Studierende durch das eigene Erleben der digital gestützten Lernumgebung diese als realisierbare Option im späteren Berufsalltag wahrnehmen. Das explizite digitalisierungsbezogene Lernen wird so um implizite Formen des Lernens ergänzt. Die Inhalte beim E-Learning zielen in ihrer Gestaltung darauf ab, möglichst nachhaltig und motivierend zu wirken, um dadurch den Herausforderungen der Studiengangsorganisation (fehlende Anwesenheitspflicht, keine Prüfungsleistung) zu begegnen. Zudem kann die positive Haltung zu einer digitalen Lernumgebung den Weg zu einer Auseinandersetzung mit Digitalisierung, wie sie das Fach SU vorsieht, fördern.Footnote 3

Da nach Weidlich und Spannagel (2014) reine Vorlesungsvideos zu einer eher oberflächlichen Aneignung führen, wurden die Vorlesungsinhalte in Moodle in kompakte, vielfach aufgabenbasierte Sinneinheiten übersetzt. Diese Einheiten werden in Form rezipierender (kürzere Videos, Texte) oder aktivierender Elemente (zum Beispiel als interaktive, in H5P (eine mit Moodle kompatible Software zum Erstellen von interaktiven Lehr-LerninhaltenFootnote 4) erstellte Grafiken oder als – teilweise anonyme – kooperative Beteiligungsformate, wie Wikis oder Diskussionsforen) angeboten. Hierfür bietet die Moodleversion der UDE zahlreiche Funktionen und Plug-insFootnote 5. Auf externe Angebote wurde nur in Ausnahmen verlinkt (beispielsweise um auf Literaturdatenbanken zu verweisen). Abb. 1 zeigt exemplarisch die Spannbreite der verschiedenen Onlineaktivitäten innerhalb einer Vorlesungseinheit. Abb. 2 strukturiert die interaktiven, produktiv-kooperativen Elemente der Lernumgebung und illustriert diese exemplarisch.

Abb. 1
figure 1

(Eigene Darstellung basierend auf Gryl und Borukhovich-Weis 2020, S. 435)

Vorlesungsgestaltung, Ausschnitt aus eigenem Moodlekurs auf moodle.uni-due.de.

Abb. 2
figure 2

(Eigene Darstellung)

Onlineaktivitäten, Ausschnitte aus eigenem Moodlekurs auf moodle.uni-due.de.

Die Förderung des selbst gesteuerten Lernens erfolgt durch verschiedene Kontrollelemente. Dazu zählen kurze Selbsttests (zum Beispiel Lückentexte) (s. Abb. 2), die Häkchen zum Markieren erledigter Aufgaben (s. Abb. 1), die „digitale Lehrer*innentasche“ (s. Abb. 3) und das abschließende Multiple-Choice-Quiz zu jeder Vorlesungseinheit mit Selbstkontrollfunktion (s. Abb. 1 und 2). Die von den Dozierenden erarbeiteten und mittels H5P integrierten Quiz zielen darauf ab, ein möglichst großes thematisches Spektrum der Vorlesungsinhalte abzudecken, indem zu jeder Onlineaktivität jeweils mindestens eine Frage integriert wurde.

Auch wenn der Einsatz von Gamification mitunter kritisch bewertet wird (zum Beispiel Ferrara 2013), zeigen Studien, dass spielerische Elemente Lernen fördern können (Woll et al. 2014). Piasecki fragt zu Recht, warum Lernumgebungen nicht „letztlich auch Spaß machen und zum Wiederkommen animieren [sollten]“ (2014, S. 381). Neben den genannten Quizformaten wurde Gamification insbesondere durch das Plug-in „Level up!“ realisiert. Dieses lässt sich manuell von Lehrenden eines Kursraums in Moodle anlegen und ausgestalten. Dabei werden ausgewählten Onlineaktivitäten Punkte zugeordnet, die Studierende durch das Absolvieren der Aufgaben sammeln können. Die Punktzahl pro Aktivität wurde anhand der Relevanz und des Umfangs der Inhalte von den Dozierenden vergeben, das heißt, je wichtiger die Inhalte und je umfangreicher deren Bearbeitung, desto mehr Punkte werden vergeben. Studierende können im Kurs ihre Gesamtpunktzahl einsehen, sich auf einer (anonymisierten) Rangliste mit Kommiliton*innen vergleichen und mehrere Level – für jede Vorlesungseinheit eines – absolvieren. Als zusätzliche Motivation füllt sich pro absolviertem Level die „digitale Lehrer*innentasche“ symbolisch mit dem entsprechenden Icon der Vorlesung (s. Abb. 3)Footnote 6.

Abb. 3
figure 3

(Eigene Darstellung basierend auf Gryl und Borukhovich-Weis 2020, S. 425)

Die „digitale Lehrer*innentasche“, Ausschnitt aus eigenem Moodlekurs auf moodle.uni-due.de.

Die Zugänglichkeit zu der Lernplattform über elektronische Endgeräte wie Smartphones mittels der Moodle-App ermöglicht und fördert eine mobile Nutzung der Lernplattform. Mobiles Lernen umfasst Hug folgend jedoch mehr als „Lernen mit mobilen Endgeräten und Softwareanwendungen“ (Hug 2010, S. 193). So sind es in der vorgestellten Lernumgebung neben der technischen Zugänglichkeit vor allem die digitalen Partizipationsmöglichkeiten und angeregten Reflexionsmomente bzw. die „Microlearning“-Erfahrungen (ebenda, S. 201), wie zum Beispiel die kurzen Foreneinträge oder einzeln hochgeladene Fotos in der kooperativen Datenbank, die ein Konzept des mobilen Lernens, das „individuelle und soziale Formen des Wissensaufbaus unterstützt“ (ebenda, S. 193), fördern.

3 Evaluation: Ergebnisse der Interviewstudie

Die Begleitstudie (Gryl und Borukhovich-Weis 2020) inklusive der hier vorgestellten Interviewstudie wurde mit dem Ziel durchgeführt herauszufinden, inwiefern das IC, Gamification, Selbststeuerung und mobiles Lernen aus Sicht der Studierenden lernfördernd bzw. motivierend wirken, um die junge Lernumgebung weiter zu optimieren. Ein IC stellt kein neues, aber ein wenig etabliertes (hochschul-) didaktisches Konzept dar. So bieten nur etwa 20 % von über 600 in der eingangs genannten Studie (Schmid et al. 2017; s. Kap. 1) befragten Hochschullehrenden ihre Veranstaltungen als IC an (ebenda, S. 15). Die Evaluation hat daher ferner zum Ziel, Erkenntnisse für den hochschuldidaktischen Anwendungskontext zu generieren.

Für die qualitative Interviewstudie (I2019)Footnote 7 wurde ein semistrukturierter Leitfaden auf Basis der Ergebnisse zweier vorab online durchgeführter Befragungen (B1 und B2) zu Beginn (NB1 = 26) und unmittelbar nach Abschluss des Kurses (NB2 = 39) erstelltFootnote 8. Die etwa 30-minütigen Interviews (Ni2019 = 21Footnote 9) wurden aus den Transkripten inhaltsanalytisch mit der Software MAXQDA zur computergestützten qualitativen Datenanalyse ausgewertet. Dabei wurden nach Kelle und Kluge (2010) deduktiv Kategorien aus der Forschungsfrage und damit dem Leitfaden entwickelt und, als entscheidender Mehrwert der qualitativen Erhebung, induktiv weitere Kategorien aus dem Material hervorgebracht, um die Perspektiven der Proband*innen im Kontext des E-Learnings vertieft und über die bestehenden theoretischen Heuristiken und Intentionen der Dozierenden hinaus zu verstehen und Verbesserungsvorschläge direkt und in der gebotenen Komplexität erheben zu können.

Die Ergebnisse der Auswertung zeigen, dass die Befragten das E-Learning insgesamt als gelungen beurteilen (zwölf Befragte stufen es als positiv, zwei Personen als mittelmäßig und nur eine Person als negativ ein). Ein Großteil der Befragten (14) empfindet den Zeitaufwand als angemessen und bewertet positiv, dass die Lernzeit effizienter als bei einer klassischen Präsenzvorlesung genutzt werden kann (beispielsweise werden bekannte Inhalte bewusst ausgelassen, neue Inhalte dafür intensiver behandelt, indem zum Beispiel eine Onlineaktivität erneut absolviert wird). Die Mehrheit (16 Personen) bewertet auch die Lerninhalte und deren Umsetzung durch verschiedene Formate positiv. Zehn Befragte loben die Vielfältigkeit der Aktivitäten: Drei der Befragten erklären, dass dadurch Vertiefungsmöglichkeiten entstehen oder die inhaltliche Auseinandersetzung abwechslungsreicher seien sowie dass kurze Videos zugänglicher seien als ein Video über die Gesamtdauer einer Vorlesung. Darüber, wie die Studierenden die zu rezipierenden / aktivierenden Formate beurteilen bzw. welche sie präferieren, liegt ein gemischtes Stimmungsbild vor. Die kurzen Videos (maximal sieben Minuten) werden unterschiedlich eingestuft; vier Personen sehen sie positiv, andere äußerten vereinzelt Kritik in Bezug auf die Dauer oder die Möglichkeit, Notizen zu machen. Lektüredokumente werden von zehn Befragten als hilfreich bewertet. Die interaktiven Aktivitäten werden von circa der Hälfte der Befragten angesprochen und überwiegend positiv bewertet. Kritik erhalten einige kooperative Formate, wie Foren oder MinutenpapiereFootnote 10:

„Ist […] halt immer schwierig, wenn keiner reinschreibt, kann man auf nichts antworten und wenn man selber als Erster reinschreibt und dann noch drei weitere Leute dazu was schreiben, aber ihren eigenen Text und keinen Bezug auf das andere im Forum nehmen. […] Ich weiß immer nicht, wie sinnvoll das ist, so Forumsdiskussionen zu machen, wenn die Beteiligung der Studierenden da relativ gering ist“ (IP7, 29. Juli 2019).

Diese Meinung wird von sieben Personen bestätigt. So gibt eine befragte Person an, dass es nicht leichtfällt, den ersten Beitrag zu posten, andererseits, wie drei Personen sagen, ist es ebenfalls schwierig, die bereits existierenden Beiträge um neue Inhalte zu ergänzen. Sieben Studierende bewerten die Foren und die Minutenpapiere positiv, da Austausch und die persönliche Reflexion angeregt würden. Darunter bevorzugte eine Person eine anonymisierte Variante der Interaktion:

„Ich habe immer gesehen, da stand jetzt Julia XY oder so. Ich hätte vielleicht [vorgeschlagen], dass das anonym ist, weil so kann man der Person das zuordnen und so weiß ich jetzt, was sie denkt“ (IP8, 31. Juli 2019).

Die Ergebnisse zeigen ferner, dass die Vereinbarkeit des E-Learnings mit dem Alltag von der Mehrheit der Befragten (15) als (sehr) gut eingeschätzt wird. Die Befragten verweisen vor allem auf die Vorteile des mobilen Lernens und der Flexibilisierung. Aus der Möglichkeit, die als kompakte Aktivitäten verfügbaren Inhalte diskontinuierlich und zeitlich flexibel zu bearbeiten, resultiere eine gute Vereinbarkeit der Veranstaltung mit Berufstätigkeit, Alltagsverpflichtungen und Familie, die laut zwei Studierenden insbesondere an einer Pendleruniversität vorteilhaft sei. Eine Befragte äußert sich dazu folgendermaßen:

„Ich meine, als Mama ist es auch nicht immer so einfach, da überall hinzukommen. Aber zum Großteil immer vor den Veranstaltungen und meistens dann abends […]. Oder halt in Freistunden, wenn man dann sowieso in der Uni ist und seinen Laptop dabeihat. Dann habe ich das dann halt da bearbeitet, die Sachen [...] für mich war das immer total gut, wenn dann irgendwie was dazwischenkam, dass man dann einfach sagen kann, okay, ich schließe jetzt einfach die sechs Minuten Vorlesung […] ab und guck […], wann ich dann halt Zeit hab […], anstatt halt wirklich eine Stunde dazusitzen und […] zuzuhören. Also fand ich es auf jeden Fall angenehmer, dass es auch so kleinschrittig gemacht worden ist“ (IP19, 16. Juli 2019).

Einige der Befragten bevorzugen Präsenzveranstaltungen bzw. äußern sich kritisch gegenüber E-Learning-Angeboten: Zwei Studierende sind der Ansicht, dass unter der freien Einteilung von Arbeitsort und -zeit die Konzentration und dadurch auch die Motivation leide. Eine Person gibt an, durch das E-Learning verstärkt zu prokrastinieren. Sieben Studierende betonen, dass eine persönliche Betreuung und die Möglichkeit, Fragen an Dozierende zu stellen, wichtig für den Lernerfolg seien. Generell betont ein Großteil der Befragten in unterschiedlichen Kontexten die Bedeutung der Verbindung zwischen E-Learning und Präsenzveranstaltungen.

Die Elemente zur Selbstkontrolle werden überwiegend positiv bewertet. Die Häkchenfunktion stufen insgesamt 16 Befragte als (teilweise) hilfreich für die eigene Organisation ein, was besonders aufgrund der Vielzahl der Aktivitäten im Kurs bedeutend erscheint und laut einer Person das zeitlich flexible Lernen unterstützt:

„Ich wusste, wo ich aufgehört habe, wenn ich zum Beispiel eine Pause [...] gemacht habe. […] Also sehr praktisch halt. Sozusagen eine Art Lesezeichen“ (IP12, 6. August 2019).

Als motivierend empfinden die meisten Befragten die Häkchenfunktion nicht. Zehn Personen bewerten das abschließende Quiz als (sehr) gut, da es die Möglichkeit der direkten Überprüfung des Gelernten ermöglicht.

Die Gamificationelemente „Level up!“Footnote 11 sowie die „digitale Lehrer*innentasche“ werden nur von wenigen Befragten thematisiert. Sieben Personen äußern sich zu der Tasche, wovon sechs diese als positiv und eine Person als negativ bewerten. Aktiv genutzt (durch Anklicken des Erfolgsbalkens) wurde „Level up!“ nur von zwei Befragten. 18 Studierende haben das Tool nicht verwendet, da sie es entweder nicht verstanden oder (bewusst) nicht beachtet haben. Von den zwei Befragten, die das Tool benutzt haben, ordnet es eine Person – ähnlich wie die Häkchen – als organisatorische Unterstützung ein. Die andere Person hingegen erkennt die Spielidee:

„Das fand ich ziemlich cool. Also dadurch, dass, je mehr man lernt quasi, desto mehr Punkte bekommt man und desto höher wird das Level. Das ist halt dieses Gamificationprinzip, dass man halt quasi das Ganze ein bisschen spielerischer angeht. Und ich fand die Idee echt klasse, weil dann hat man auch noch so einen gewissen Ansporn“ (IP16, 26. Juli 2019).

Eine weitere Person, die das Tool ursprünglich nicht wahrgenommen hatte, erkennt während des Interviews das Spielprinzip und stuft es als hypothetisch motivierend ein. Weitergehend nennt IP16 in Anlehnung an Videospiele Vorschläge, um den Spielcharakter zu steigern:

„Wenn man Videospiele spielt […], kennt man das, dass du […] verfeinerte Statistiken hast. Wo warst du jetzt besonders gut drin? Was ist jetzt dein, dein Fachgebiet? […] Und vielleicht irgendwie so Achievements einbauen. […] Ist ja eigentlich was ganz Gutes, wenn du dann halt […] so ein Sternchen dafür bekommst. Ist zwar dann nur so ein Gummipunkt, den man bekommt, aber ich glaube, das ist dann schon ein etwas größerer Anreiz, wenn das Ganze mehr aufgebaut ist wie ein Spiel“ (IP16, 26. Juli 2019).

Die Person gibt an, dass die Ranglisten nicht anonymisiert gestaltet sein sollten, da erst durch den Vergleich mit Kommiliton*innen ein motivierender Wettbewerbscharakter entstehe („man will ja halt immer noch diesen Vergleich haben, sonst ist es ja kein richtiger Wettbewerb, den man hat“). Sie schlägt vor, die Nutzung von Pseudonymen einzubauen, um eine Anonymisierung zu ermöglichen. Zwei Befragte betonen die Wichtigkeit vollständiger Anonymität. Weitere zwei Befragte schlagen vor, die Gamification-Elemente mit einem Sachpreis zu verbinden. Drei Personen geben an, dass eine Einstufung anhand der erzielten Punkte (beispielsweise von Anfänger*in bis Expert*in) motivierend wirken würde.

Sechs Personen, die „Level up!“ nicht genutzt haben, stufen Bewertungs- und Vergleichssysteme hypothetisch als nicht motivationsfördernd ein. Drei Personen begründen dies damit, dass dadurch Druck oder das Gefühl, bewertet zu werden, erzeugt würde. Eine Person ist ambivalent eingestellt, da Spiele generell motivieren können, aber „Level up!“ dem Prinzip der Flexibilisierung von Lerntempo und -rhythmus durch E-Learning widerspreche. Drei Studierende lehnen Gamification nicht prinzipiell ab, haben das Tool aber nicht genutzt, weil sie Priorität auf das Inhaltliche gesetzt und keinen Spielraum für eine Beschäftigung mit den Gamification-Elementen gesehen haben.

Hinsichtlich des Lernerfolgs sind die Meinungen gespalten: Sechs Personen sehen den (nachhaltigen) Lernerfolg durch das E-Learning erhöht, da eine selbstständigere und intensivere Auseinandersetzung mit den Vorlesungsinhalten als in einer Präsenzvorlesung erfolge. Zehn Befragte geben an, dass vor allem die fehlende Prüfungsleistung für geringe Motivation sorge. Zwei Personen sagen, dass sie eine zeitlich gebundene Präsenzveranstaltung – im Gegensatz zu einer dauerhaft abrufbaren Vorlesung – vor Prokrastination schütze. Das Vorlesungsformat als E-Learning motiviert demnach längst nicht alle Studierenden, regelmäßig mitzuarbeiten.

Ein Zusammenhang zwischen der Technikaffinität und Motivation sowie dem Lernerfolg lässt sich nicht erkennen. Obwohl für einen Großteil der Befragten Digitalisierung im Alltag eine wichtige Rolle spielt, treffen diese 16 Personen sehr unterschiedliche Aussagen über ihre Motivation und den Lernerfolg. Drei Personen, für die Digitalisierung eine untergeordnete Bedeutung hat, waren nicht weniger motiviert als die digital affine Gruppe. Auch fünf Personen, die Digitalisierung kritisch angesprochen haben, bewerten das E-Learning-Format positiv.

4 Diskussion: Chancen, Grenzen und weiterführende Forschungsansätze

Das vorgestellte Projekt liefert einen Beitrag, um Erkenntnisse für eine nachhaltige Implementierung digital gestützten Lehrens und Lernens zu gewinnen, die am Bedarf und den Fähigkeiten der Studierenden anknüpft. So zeigt die Interviewstudie insgesamt, dass E-Learning dem Bedarf der Studierenden nach Flexibilisierung entspricht und bestätigt damit die Ergebnisse der Befragungen B1 und B2 (Gryl und Borukhovich-Weis 2020). Dennoch stellt das eigenverantwortliche, zeitlich flexible digitale Lernen für einige Studierende eine Herausforderung dar, weshalb das IC-Setting als ein geeignetes Format bei der Implementierung digital gestützter Lehre erscheint: Die Studierenden erhalten die Möglichkeit zu einem interaktiven Face-to-Face-Austausch in einem geschützten Raum, in dem sie sich weniger exponieren müssen als beim Austausch in einem Forum. Insbesondere wenn E-Learning als Mittel der Wahl proklamiert wird, um eine große Anzahl Studierender effektiv zu unterrichten, darf persönlicher Kontakt nicht außer Acht gelassen werden.

Interessanterweise zeigt die Studie, dass Technikaffinität sich nicht als ausschlaggebend für die Motivation und den Lernerfolg erweist. Dies ist insofern positiv, als so auch die wenig technikaffinen (Lehramts-)Studierenden (siehe oben) prinzipiell für ein E-Learning-Format begeistert werden können. Umgekehrt sollten sich Lehrende bewusst machen, dass eine allgemein hohe Affinität zu Technik nicht gleichbedeutend mit Interesse an digital gestützten Lehr-Lern-Formaten ist. Insgesamt scheint den Studierenden – unabhängig von ihren Vorerfahrungen und Interessen – eher ein stimmiges, gut zugängliches Lernarrangement wichtig zu sein. So zeigt die Untersuchung, dass innerhalb des E-Learnings einige Faktoren (eher) lernfördernd bzw. lernhemmend wirken: Die Elemente zur Selbststeuerung werden überwiegend positiv bewertet. Hinsichtlich der Methodenvielfalt ist festzuhalten, dass verschiedene rezipierende und aktivierende Formate sehr unterschiedlich angenommen werden. Gerade aus diesem Grund wird der Methodenmix hier als gewinnbringend interpretiert, da dadurch eine gewisse Spannbreite unterschiedlicher Präferenzen (jeweils in Teilen) angesprochen wird. Eine Mischung an Aktivitäten zu realisieren, die alle Studierenden gleichermaßen anspricht, scheint (im derzeitigen Stadium des E-Learnings) utopisch, außer es werden Inhalte gleichzeitig in verschiedener, wählbarer Form präsentiert, wie es auch der ein inklusives Lernen fördernde Ansatz des „Universal Design for Learning“ fordert (CAST 2020). Nichtsdestoweniger kann die vorgelegte Evaluation eine Annäherung erzielen. So wurden beispielsweise für den derzeitigen Durchlauf der Veranstaltung im SoSe 2020 einige Formate ersetzt, reduziert, modifiziert oder entfernt. Bisher deutet eine erfreulich hohe Beteiligung der Studierenden darauf hin, dass diese Anpassungen Früchte tragen.

Auch in diesem Turnus wird die Veranstaltung dreigliedrig evaluiert. Die Auswertung aus dieser Begleitstudie wird zu ausgewählten oder weiter spezifizierten Aspekten (siehe unten) – so die Erwartung der Autor*innen – genauere Erkenntnisse liefern. Die Onlinebefragung vor Beginn des Kurses (B4) (NB4 = 72) hat bereits stattgefunden. Eine Onlinebefragung nach Abschluss des Kurses (B5) sowie eine qualitative Interviewstudie (I2020) (Ni2020 = 20) werden derzeit durchgeführt.

Die Interviewstudie I2020Footnote 12 konzentriert sich auf eine weiterführende Evaluation des Gamificationelements „Level up!“, da die bisherigen Ergebnisse aus I2019 leider nur bedingt aussagekräftig sind. Ungeachtet dessen lassen sich aus den Ergebnissen von I2019 interessante Tendenzen ablesen: Gamification in der Lehre scheint motivationsförderndes Potenzial zu bergen. Allerdings sind die Anforderungen an die Ausgestaltung allem Anschein nach relativ hoch. Betrachten wir die Äußerungen zu Gamification und den interaktiven/kooperativen Formaten in einem Gesamtkontext, so lässt sich vermuten, dass mehr Wahlfreiheit hinsichtlich des Grads der Introvertiertheit bzw. Exponiertheit die Akzeptanz der Lernumgebung sowie die Motivation der Studierenden steigern könnten. In einer Studie mit 60 Studierenden kommen Nistor et al. (2014, S. 398) zu dem Ergebnis, dass „die spielbasierte Gestaltung von Lernumgebungen nicht an sich und ohne Weiteres eine Akzeptanz erhöhende Maßnahme sein muss“, sondern vor allem die Kombination mit Selbststeuerung, hier verstanden als die Möglichkeit, die Gamification-Elemente zu nutzen (oder eben nicht), die intrinsische Lernmotivation fördere. Hier eröffnen sich ggf. Potenziale, um Herausforderungen der Studiengangsorganisation zu begegnen. Gleichzeitig zeichnen sich deutliche personelle wie auch technische Limitationen ab. Gryl und Borukhovich-Weis (2020) legen den nicht zu unterschätzenden didaktischen, konzeptionellen und personellen Aufwand für die Realisierung einer entsprechenden Lernumgebung dar.

Auch erscheint es interessant, die Option auf (mehr) Wahlmöglichkeiten hinsichtlich einer Anonymisierung der Studierenden, nicht nur im Gamification-Bereich, sondern allgemein, etwa auch in digitalen Beteiligungsformaten (zum Beispiel Diskussionsforen) zu untersuchen. So stellt die bereits im ersten Durchlauf erkennbare Diskrepanz zwischen einer regen und im gewissen Maße soziale Eingebundenheit verkörpernden Social-Media-Kommunikation (Stalder 2016) zwischen den Studierenden und der zurückhaltenden Exposition ihrer selbst im Kontext der vorgestellten Lernplattform einen weiteren Analyseschwerpunkt der Onlinebefragung B5 sowie der Interviewstudie I2020 dar.

Die Lernplattform besitzt Aspekte von Social-Media-Kommunikation: kleinteilige, diskontinuierlich und flexibel zu absolvierende Einheiten, regelmäßige Informationen (in Form von E-Mails) oder die multimediale Kombination von Text, Video und Bild. Die Lernumgebung erlaubt (jedoch klar umgrenzte) eigene Postings in Text- und Bildform sowie das Kommentieren von Inhalten. Zudem ist die Zugänglichkeit auf mobilen Endgeräten möglich. Es gibt aber auch signifikante Unterschiede, die die Diskrepanz zwischen selbstverständlicher und eher schleppender Kommunikation erklären könnten: Social Media dient der Identitätskonstruktion, während die Lernumgebung in erster Linie der Professionalisierung und damit einem spezifischen Teilbereich der Identitätsbildung dient, auch wenn über die „digitale Lehrer*innentasche“ versucht wird, das Selbstverständnis der zukünftigen Lehrkräfte als Teilbereich von Identitätskonstruktion emotional zu adressieren. Soziale Netzwerke funktionieren durch komplexe Gruppendynamik, resultierend in einem gewissen sozialen Druck (bezüglich Erreichbarkeit, Darstellung etc.) (Hintermann et al. 2018). Die Lernumgebung ist stärker durch das klassische Machtgefälle gekennzeichnet: Die Dozierenden bieten die Mehrzahl der Inhalte an und setzen, trotz aller Offenheit, die Maßstäbe, nach denen Antworten bewertet werden. Der Spielraum der Lernenden ist begrenzt; die Plattform überrascht nur bedingt mit ihren Inhalten, da der akademisch-schulische Diskurs bedient wird; es passiert keine Viralität. Auch Social Media ist durch ein Machtgefälle gekennzeichnet (Dolata und Schrape 2017); gleichwohl stehen hier andere Interessen Pate und die Machtbeziehungen sind differenziert(er) und intransparent(er). Potenziell lassen sich auch als Nutzer*in gewisse (im System immanente und damit wieder begrenzte) Machtpositionen erringen – etwa als Influencer*in. Insofern sind Machtverhältnisse in einer universitären E-Learning-Umgebung offenkundiger und persistenter. Dies mag auch die fehlende Interaktion der Studierenden untereinander erklären: Das gegenseitige Kommentieren widerspricht dem tradierten Rollenbild universitärer Vermittlung; zugleich ist die Surveillance mit den Dozierenden personifiziert. Die Lehrenden bemühen sich allerdings um Transparenz bezüglich der Verwertung von Daten. Die unterschiedliche Handhabung von Transparenz zeigt sich auch im Gebrauch von Algorithmen: In der Lernplattform wird eine minimale Variante des Nudging, also Praktiken zur Verhaltensbeeinflussung des Menschen nicht durch Restriktionen, sondern (eher) durch Handlungs- und Verhaltensweisen beeinflussende Lenkungen, die kaum als solche von der gelenkten Person wahrgenommen bzw. akzeptiert, inkorporiert und/oder als angenehm empfunden werden (Thaler und Sunstein 2008), durch das Gamification-Element „Level up!“ gesetzt. Praktiken in klassischen Social-Media-Plattformen sind hingegen deutlich intensiver durch algorithmengesteuertes Nudging geprägt, die mit den Bedien-, Post- und Suchgewohnheiten der Nutzer*innen hochgradig interagieren und sie daher deutlich zielgenauer beeinflussen können. Zusammenfassend ist also E-Learning durch eine hohe Transparenz und Zurückhaltung, geringere Identifikation der Studierenden und (möglicherweise) stärkere Rezeptionshaltung geprägt, resultierend in einem geringeren Umfang der Kommunikation. Schließlich soll betont werden, dass wir Transparenz als Voraussetzung für mündige Bildung erachten und die Maßnahmen, die wir umsetzen (unter anderem Vorstellungsvideos der Dozierenden, verschiedene Möglichkeiten, Fragen zu platzieren sowie vermehrte Rückmeldungen zu online gestellten Aufgaben), daher nur teilweise identisch mit Social-Media-Prinzipien sind: Sie zielen (trotz der im SoSe 2020 vorherrschenden coronabedingten Distanzlehre) auf die Herstellung von Nähe, Verbindlichkeit und die Sichtbarkeit der Lehrenden ab.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Begleitstudie zu der vorgestellten Veranstaltung neben Erkenntnissen zu digitalen Lehr-Lern-Räumen (in der Lehrer*innenbildung) an Hochschulen auch wichtige Anschlussfragen liefert, die es (im Zuge der Evaluation der aktuellen Kohorte) zu untersuchen gilt.